[Inhalt]

PROSA ROSA SINE SPINA


DER LANGE I UND MAJIA-HE

Mein Junge, laß dir von deiner Großmutter ein Märchen erzählen. Ich träumte einmal, ich hätte vor sehr langer Zeit in China gelebt. Es war in der Zeit der Xia-Dynastie, dem goldenen Zeitalter des Matriarchats im Reich der Mitte. Noch war der Gelbe Kaiser nicht geboren, ihn hatte das Regenbogenmädchen noch nicht in die Geheimnisse der himmlischen Musik und der mystischen Liebeskünste eingeweiht, noch waren Yao, Shun und Yü nicht aufgetreten, es war lange vor der Sintflut. Die Mütter bestimmten die Gesellschaft und die Mutterbrüder oder Onkel waren den Kindern der Mutter tausendmal näher und lieber als die natürlichen Zeuger, die nichts galten. So war das damals. Ja, so ist das auch heute noch manchmal. Aber zu jener Zeit geschahen große kosmischen Katastrophen. Die größte kosmische Katastrophe war noch schlimmer als die spätere Sintflut. Nämlich die großen dämonischen Mächte in den Lüften schufen zu der einen guten Sonne noch neun weitere Sonnen, so daß der Himmel die Erde und das Meer und alle ihre Bewohner zu vernichten drohte. Viele Menschen begannen gegen den Himmel zu rebellieren und zu fluchen, aber ebenso viele beteten auch zum Himmel, daß er einen Retter senden möge. Und der Himmel war gnädig und sandte einen Retter, den Herrn. Das war gewißlich unser lieber Herr Jesus. Aber dieser Name ist für eine chinesische Zunge schwer auszusprechen, darum nannte sie ihn immer nur den Langen I. Seine Frau, die Retterin, das war unsere liebe Frau Maria. Aber weil die chinesische Zunge das R nicht aussprechen kann, darum nannten sie sie Majia-He. Wenn ich mich recht erinnere, bedeutete Majia-He soviel wie die Gelbe Maria, weil sie von gelber Hautfarbe wie die Chinesen war, sie hatte auch ebensolche Schlitzaugen und lange schwarze Seidenhaare. Nun, der Lange I trug Pfeil und Bogen, er war als ein Krieger gekommen. Er bat Majia-He, zuhause zu bleiben und für den Erfolg seiner Mission zu beten. Dann setzte er sich auf seinen mongolischen Renner und ritt hinaus in die Welt. Droben brannten die neun dämonischen Sonnen, die grimmigen Feuer des Zornes. Aber der Lange I legte den Pfeil an, spannte den Bogen und schoß die erste Sonne vom Himmel, die zweite, die dritte, und so weiter, bis er alle neun Dämonensonnen vom Himmel geschossen hatte. Die Sonnen fielen in das Bo-Hai, das Gelbe Meer, und verlöschten. Da ritt der Lange I zurück in seine kleine Hütte in dem unbekannten Dörfchen Anci. Dort begrüßte ihn unsere Frau Majia-He. Der Ruhm des Langen I war groß und es sammelten sich Schüler um ihn, die von ihm in die Kunst des Bogenschießens eingeweiht werden wollten. Denn das Bogenschießen nach der Lehre des Langen I war eine Mystik. Es ging dabei darum, von aller Zielverfehlung abzusehen, diese galt als Sünde, und das Ziel genau in der goldenen Mitte zu treffen, dieses galt als Gottvereinigung. So sammelten sich zweiundsiebzig Schüler um den Langen I, aber er wählte zwölf besondere Männer aus, denen er auch noch tiefere Geheimnisse mitteilte, wie zum Beispiel die Geheimnisse der ewigen Jugend. Der Anführer dieser zwölf Schüler war Gen, der Fels. Das war ein starker Mann. Aber der Lieblingsschüler vom Langen I war Yen-Hui, nach ihm benannte sich später auch der Lieblingsschüler von Kung Fu Tse.
Aber auch eine Schülerin hatte der Lange I, das war ein Blumenmädchen, die nannte er immer nur Meh-Meh, Schwesterchen. Er weihte sie ein in die Geheimnisse des Regenbogenmädchens. Das war eine mystische Lehre, die die sexuelle Vereinigung des männlichen und des weiblichen Prinzips zum Gleichnis nahm für die Vereinigung des Menschen mit der höchsten Gottheit. Der Lange I lehrte nun dreihundert Jahre lang seine Schüler, dann ging er in eine Bergeinsiedelei, das Kraut der Unsterblichkeit zu suchen. Er war auf dem Gipfel des Tai-Shan, des Ostberges, allein mit dem höchsten Herrn des Himmels, der zeigte ihm das Kraut der Unsterblichkeit. Da brachte der Lange I es zurück in sein Haus und verwahrte es sorgfältig in einer Truhe. Er sagte: Ich werde nun bald heimkehren in den Himmel. Nach meinem Tod wird der Himmel euch zeigen, ob einer von euch würdig ist, das Kraut der Unsterblichkeit zu kosten. Ich kann es euch nicht erlauben. Denn ihr seid allesamt Sünder, das heißt, arme Teufel, die das Ziel verfehlen im mystischen Bogenschießen. Ihr seid des Krautes der Unsterblichkeit allesamt nicht würdig. Da ritt der Lange I davon und ward nicht mehr gesehen. Nur sieben kleine Kinder, drei Mädchen und vier Knaben, erzählten, sie hätten ihn auf seinem mongolischen Schimmel durch den Himmel reiten sehen. Aber die Menschen glaubten ihnen nicht. Nun sammelten sich die Schüler alle um Majia-He, um unsere Frau vom Reich der Mitte, die Gelbe Majia. Sie zählte neunhundert Jahre, als ihr träumte, nun dürfe sie eine Spitze eines Blattes vom Kraut der Unsterblichkeit kosten. Sie war aber so bescheiden und hielt sich selbst für den ärmsten aller armen Teufel, daß sie nur mit ihrer Zunge an der Wurzel des Stengels leckte. Da fuhr sie auf in einem gewaltigen Wirbel in den Himmel und flog geradewegs auf den Mond zu. Zuerst sah sie mitten auf dem Mond einen hohen vollen Zimtbaum stehen, darin saß ein kleiner Schneehase, der zerrieb die Rinde mit einem Stößel in einem kleinen Mörser zum alchymistischen Puder der Träume, das er dann über die Erde streute. Aber so wurde der Baum immer kleiner. Wenn nur noch ein Wurzelstock übrig blieb, war der ganze Mond als lichter Vollmond von der Erde aus zu sehen. Damals menstruierten die Frauen noch regelmäßig zu Vollmond.
Aber dann wuchs wieder ein Reis und wieder ein Zimtbaum aus dem Wurzelstock, und wenn der ganze große breite Baum wieder mitten im Monde stand, dann war der Mond verfinstert und die Menschen sagten auf der Erde: Nun ist Neumond. Zu Neumond prophezeiten immer die Urgroßmütter und die Poeten sangen geheimnisvolle Liebeslieder. Und Majia-He kam zum Mondpalast, der war ganz aus weißer Jade gebaut. Im Innern hingen viele Spiegel, so daß der Palast unendlich erschien. In der Mitte der Unendlichkeit aber stand ein Thron aus einem einzigen durchsichtigen Jaspis. Dort ließ sich nun Majia-He nieder und war fortan die Himmelskönigin. Manchmal sehen Menschen, wenn der Mond ihnen ganz nah kommt, auch die Himmelskönigin lächeln. So erging es viele Zeitalter später einmal einem Dichter. Der war unsterblich in die schönste Frau Chinas verliebt, aber natürlich unglücklich, sonst wär er ja kein Dichter gewesen. Darum zechte er unermeßlich und stieg sternhagelbetrunken in ein kleines Fischerboot und ruderte auf den Dung-Ting-See. Der Dichter sah im Spiegel des Sees den Vollmond glühen wie einen Pfirsich der Unsterblichkeit und im makellosen Spiegel des Vollmonds sah er das Angesicht der Frau des Reiches der Mitte, der Gelben Majia. Da warf er sich dem Spiegelbild des Mondes im Dung-Ting-See entgegen und ertrank im See, so sagen die Ungläubigen. Aber die Gläubigen sagen, er versank in den Liebesumarmungen der Himmelskönigin für immer!



DAS HOHE LIED DES REICHES DER MITTE

Das Liebeslied der chinesischen Poesie. Von Shi Tuo-Tang, dem Ersten Dichter der Tang-Dynastie. Mit seinem Ölmaul soll er mich küssen! Seine Küsse sind berauschender als der heiße Reiswein! Dein Moschus duftet stark! Dein Name ist wie Moschus! Darum lockst du die Blumenmädchen an. Reiß mich an dich! Rasch! Der Himmelssohn führe mich in seine Duftgemächer! Wir wollen jubeln: A-ya, A-ya! Deine Liebe ist des Ruhmes würdiger als die dreihundert Becher Reiswein, die der Dichter zechte! Es gibt nur eine rechte Sitte und wahre Tugend: Dich zu lieben! Ich bin wie schwarze Jade, ihr Blumenmädchen von Xian, ich bin wie eine schöne schwarze Jade! Ich bin wie die Zelte der Mongolen und wie die Teppiche Ming-Huangs! Was schaut ihr die schwarze Jade an? Ich bin ohne Sonnenschirm in der Sonne spazieren gegangen. Meiner Großmutter Enkelsöhne sind böse auf mich. Ich soll ihre Gärten pflegen. Aber meinen eigenen Garten hab ich nicht gepflegt. Geliebter, wo ruhst du am Mittag, wo spielst du mit Phönix und Drache? Was soll ich irren durch die Gassen roten Staubes bei den andern Kerlen? Wenn du das nicht weißt, du Schönste der Schönen, dann laß deine Nymphensittiche frei! Du bist der Lieblingsstute gleich vor dem Wagen des Kaisers Shi-Huangdi, meine Geliebte! Wie schön ist die jadezarte Haut deines Angesichts mit dem Ohrschmuck von Perlen. Wie schön ist dein elfenbeinweißer Hals mit der Schnur von Münzen. Machen wir dir noch silberne Kettchen mit kleinen Zauberformeln dran. Wenn der Himmelssohn zu Tische sitzt, dann duftet meine Orchidee. Mein Geliebter liegt mir wie ein Beutelchen mit Zimtrinde zwischen meinen Brüsten. Eine Päonie ist mein Geliebter, eine Päonie auf dem Weg zu den Reisfeldern. Schön bist du, eine wahre Schönheit, Prinzessin. Deine Augen sind wie Meteore. Schön bist du, stark und kräftig, Geliebter. Unter dem rauschenden Bambus ist unser Bett. Pinien und Kiefern sind die Wände unsres Duftgemaches. Ich bin eine Päonie in den Gefilden von Xian, ich bin eine reine Lotosblüte im Teich. Eine Lotosblüte unter Nesseln ist meine Geliebte unter den närrischen Weibern. Ein Pfirsichbaum unter Kiefern ist mein Geliebter unter den törichten Kerlen. Ich will ruhen im Schatten des Pfirsichbaumes und seinen süßen Pfirsich mit meinem Gaumen kosten. In das Weinhaus hat er mich geführt. Seine Fahne über mir ist die flatternde Liebe! Stärkt mich mit Pflaumenkuchen, labt mich mit Litschi! Ich bin krank vor Liebe! Seine Linke liegt unter meinem Kopf und mit seiner Rechten streichelt er mich. Bei den Einhörnern und den weißen Elefantenkühen beschwöre ich euch, ihr Blumenmädchen in Xian, stört unsre Liebe nicht, bis wir erwachen. Ah, der Geliebte kommt! Siehe, er kommt! Er springt über den Ostberg, er hüpft über die Westhügel. Dem Einhorn gleicht mein Geliebter, der geflügelten Schlange! Draußen steht er! Durch das Fensterloch spioniert er und lugt durch den Seidenvorhang meines Schlafgemaches. Der Geliebte säuselt mit glatter Zunge: Steh auf, Geliebte, du Schönheit, und komm!
Vorbei ist der Winter und der Schnee geschmolzen. In den Gärten blühen die Pfingstrosen. Der Pirol singt. Die Nymphensittiche zwitschern in den Bambuskäfigen. An den Pfirsichbäumen blüht die Blust. Vor der Schenke wird Reiswein ausgeschenkt. Steh auf, Geliebte, Schönste der Schönen, und komm! Meine Elster in der Pinie, mein Zaubervogelweibchen im Maulbeerbaum, komm, laß mich dein jadegleiches Angesicht sehen und deine hauchende säuselnde Stimme! Fangt uns die Geisterfüchsin, fangt uns die Geisterfüchsin, die meine Manneskraft aussaugen will! Der Geliebte ist mein und ich bin sein, der in den Lotusblumen lagert. Wenn der Tag verweht und die Schatten lang werden, dann komm, Geliebter, und sei wie ein Einhorn auf dem O-mi-Berg! Nachts unter meinem Gazevorhang des Bettes im Schlafgemach, da suchte ich den Geliebten, aber das Lager war leer. Ich will aufstehen und durch die Gassen des roten Staubes schweifen an den Häusern der Blumenmädchen vorbei, ob ich ihn finde. Ich will schauen, ob er auf dem Platz des himmlischen Friedens ist. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Mich fanden die Bonzen auf ihrer Runde durch Peking. Habt ihr ihn gesehen, den meine arme demütige Seele liebt? Kaum war ich an den Bonzen und ihren Mönchen vorbei, da fand ich den Geliebten. Ich umschlang ihn mit meinen jadeweißen Armen. Ich brachte ihn in das Haus meiner Großmutter, die mich erzogen hat, in die Ohrenkammer jener, die mir aus dem Buch der Lieder vorgelesen. Bei den Einhörnern und den Phönixen will ich euch beschwören, ihr Blumenmädchen in der Welt des roten Staubes, stört mich und den Geliebten nicht, bis wir unser Liebesspiel zuende gespielt – Sung-Dschou! Wer ist jene, die da aus der Wüste kommt, wie Rauch von Weihrauchstäbchen aufsteigend, Weihrauchstäbchen von Zimt und Opium, duftend wie die Gewürze der Apotheker? Siehe, da ist die Sänfte von Ming-Huang. Sechzig Bonzen begleiten ihn. Alle tragen Dolche in den Seidenärmeln, gegen die fremden Teufel von Mitternacht. Eine Sänfte ließ Kaiser Ming-Huang sich machen aus Tung-Ölbäumen vom Westgebirge, die Pfosten aus Jade, die Lehnen aus Nephrit, der Sitz von Brokat, eingelegt mit Perlen. Kommt, ihr Blumenmädchen von Peking und schaut, ihr Blumenmädchen von Xian, schaut den Kaiser Ming-Huang mit dem Hochzeitskranz, den seine Kaiserinmutter aus Bambuszweigen geflochten für den Tag der Hochzeit des Kaisers mit seiner Lieblingskonkubine, der Nacht seiner schönsten Freuden! Eine himmlische Schönheit bist du, meine Geliebte, eine himmlische Schönheit bist du! Hinter deiner Seide schimmern deine Augen wie Meteore. Dein Haar ist glatt wie Seide und schwarz wie Lack. Deine Zähne sind wie Melonensamen. Deine Lippen sind wie eine Himbeere. Wie ein Pfirsich ist deine Schläfe unter dem seidigen Haar. Wie ein Elfenbeinturm ist dein Hals, daran hängen Gong neben Gong von Pagoden. Deine Brüste sind wie Jujuben-Datteln, zwei Jujubendatteln, und deine Brustspitzen sind wie Jadekospen auf Jadegebirgen. Wenn der Tag verweht, will ich zum Weihrauchhügel und zum Zimtberg. Alles an dir ist Schönheit, Geliebte, du bist eine makelose Jade! Komm mit mir, meine Braut, komm von dem O-mi-Berg, komm mit mir herab vom O-mi-Berg! Weg vom Ostberg, weg vom Westgebirge, weg von den Hügeln der Drachen und Tiger! Verzaubert hast du mich mit der Magie deiner Blicke und dem Zauber deines Amuletts am Halse. O wie hinreißend schön sind deine Liebeskünste, Geliebte, meine Braut! Deine Liebeskünste berauschen mich mehr als dreihundert Becher Reiswein, dein Schweiß ist betörender als die besten Öle und Essenzen.
Von deinen Lippen, Geliebte, fließt Pfirsichsaft, Pfirsichsaft und Reiswein sind unter deiner Zunge! Die Düfte deiner Seide sind wie die Düfte einer Apotheke. Ein japanischer Garten ist meine Geliebte, ein japanischer Garten in der verbotenen Stadt, ein verschlossener Brunnen. Ein Lustgarten bist du! Pfirsichbäume mit köstlichen Pfirsichen sprossen in dir, Jujubendatteln, Pflaumenbäume, Lotos, Orchideen, Päonien, Chrysanthemen, Bambus! Eine reine Quelle bist du, eine reine Quelle, wie Wasser, die herabfließen vom Himalaya. Kommt, ihr Winde des Drachen und des Phönix, blast in diesen Lustgarten, daß die Düfte, daß die betörenden Düfte mich berauschen! Mein Geliebter komme in seinen Lustgarten und speise von den süßen Pfirsichen der Unsterblichkeit! Ich komme in meinen Lustgarten, Enkelin meiner Großmutter, meine Geliebte, meine Lieblingskonkubine! Ich esse meine Pfirsiche samt den Pflaumen, ich trinke meinen Reiswein samt der Pflaumenmustunke! O ihr Poeten, ihr fröhlichen Zecher, kommt und berauscht euch an den Liebeskünsten der Geliebten! Ich schlief, aber meine demütige Seele war wach. Da, mein Geliebter pochte so laut wie mein Herz: Mach auf, Meh-Meh, mein Schwesterchen, meine Geliebte, mein Zaubervogelweibchen, du makellose Jade-Jungfrau! Mein Kopf ist voll von Tau, aus meinen schwarzen Haaren tropft der Tau der Nacht. Ich habe meine Seide schon ausgezogen und mein durchsichtiges Gazehemdchen ganz abgelegt, soll ich mich wieder anziehen? Ich habe meine kleinen niedlichen Lotossprossenfüße schon gebadet, soll ich sie wieder beflecken mit dem roten Staub der Welt? Mein Geliebte führte die Hand durchs Loch, da bebte mein Leib vor Wollust. Ich erhob mich, dem Geliebten aufzutun. Da troff das Schloß der Pforte von Gummi arabicum. Ich tat ihm auf, dem Geliebten. Aber da war er entschwunden. Mir blieb der Atem stocken und zirkulierte nicht mehr vom Scheitel zu den Fersen, denn er war fort! Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht. Ich rief ihn, aber er gab keine Antwort. Da fanden mich die Bonzen bei ihrem Gang durch die Nacht, die Sittenwächter schlug mich und nahmen mir meinen leichten Seidenumhang, sie schlugen mich mit der neunschwänzigen Peitsche, die Sittenwächter. Ich beschwöre euch, ihr Blumenmädchen, wenn mein Geliebter bei euch liegt, so sagt ihm, daß seine Geliebte krank ist vor Liebesbegierde! Was hat dein Geliebter denn vor anderen Kerlen voraus, du Schönste der Schönen? Worin übertrifft dein Geliebter die anderen Kerle, daß du uns so beschwörst? Mein Geliebter ist weiß wie Jade und rot wie Nephrit. Er ist der Hauptmann von Millionen Chinesen. Sein Haupt ist transparent wie Jade. Seine glatten Haare sind schwarz wie Lack. Seine Augen sind Mandeln, in Tau gewaschen. Seine Zähne sind wie eine Perlenschnur der Mönche. Seine Wangen duften wie Gewürze der Apotheker. Seine Lippen sind süß wie Litschi, sie fließen über von Soyamilch. Seine Finger sind wie Goldbarren und daran trägt er Ringe von Magiern. Sein Leib ist wie Elfenbein. Seine Schenkel sind Säulen, um die sich geflügelte Schlangen ringeln. Seine Gestalt ist wie der Ostberg Tai-Shan, erhaben wie Kiefern des langen Lebens. Sein Mund ist wie Reiswein, alles ist berauschend an ihm. Zehntausendfaches Glück dem, der von ihm geliebt wird. Das ist mein Geliebter, ja das ist mein Go-Go, mein Bruder, ihr Blumenmädchen von Peking! Wohin ist dein Geliebter gegangen, du Schönste der Schönen? Wohin verschwand dein Geliebter? Wir wollen ihn in allen Betten suchen. In seinen Lustgarten ging mein Geliebter, zu den Beeten mit den Heilkräutern weiser Einsiedler, um im Lustgarten zu spazieren und Lotosblumen zu pflücken. Ich gehöre meinem Geliebten als seine ergebenste Sklavin und mir gehört der Geliebte als mein ergebenster Sklave, er, der zwischen Lotosblumen spazieren geht. Schön wie Peng-lai-shan bist du, herrlich wie die verbotene Stadt von Peking, himmlisch wie das Sternbild der Weberin, meine Geliebte! Wende deine Zauberaugen von mir, denn sie verzaubern mich. Dein Haar ist fein wie Seide, schwarz wie Lack. Deine Zähne sind Melonensamen. Der Pfirsichwange gleich ich deine Wange. Sechzig Kaiserinnen hat Ming-Huang, achtzig Konkubinen, Blumenmädchen ohne Zahl, aber Eine ist seine Geliebte, seine Auserwählte, die Lieblingin ihrer Mutter! Sie ist das einzigartige Zaubervogelweibchen, die makellose Jade-Jungfrau!
Erblicken die Blumenmädchen die Geliebte, dann sind sie eifersüchtig, sehen die Konkubinen und Kaiserinnen sie, dann brennt die Galle in ihnen. Sie ist schön wie das Lächeln der Morgenröte, sie ist strahlend wie die Sonne, sie ist inspirierend wie der Mond, den die Dichter besingen beim Wein. Sie ist schimmernd wie der weiße Sternenstrom, sie ist liebevoll wie die himmlische Weberin. In den Garten mit den Mandelbäumen stieg ich und zu dem Dattelbaum, nach den Datteln zu sehen. Ich wollte sehen, ob die Pflaumenbäume und die Pfirsichbäume schon blühen. Dreh dich im Kreis, Yang Gue-Fei, dreh dich im Kreis, damit wir dich betrachten können. Was wollt ihr denn sehen an Yang Gue-Fei? Den Tanz von Phönix und Zaubervogel! Wie schön sind deine Lotossprossenfüßchen, du Prinzessin! Deine Hüften sind wie ein Geschmeide eines Schmiedemeisters. Dein Schoß ist der Becher, aus dem der Himmelssohn zecht! Deine Brüste sind Jadeberge und deine Brustspitzen Jadekospen der Unsterblichkeit. Dein Hals ist ein Turm aus Elfenbein mit manchem Gong daran. Deine Augen sind wie die Teiche der Mandarin-Entenpaare von Szetschuan. Dein Haupt gleicht dem Westgebirge der Königinmutter Hsi-Wang-Mu, in deinen Haaren wie in Seideschlangen liegt der Kaiser gefangen. Wie lüstern bist du und wie aufreizend, o Geliebte, du Geliebte voll der Wollust! Wie eine Dattelpalme ist dein Leib, dein Schoß ist gespalten wie eine Dattel. Ich will die Palme besteigen und die Dattel pflücken. Krüge mit Reiswein sind deine Brüste, ich will mich satt trinken. Deine Küsse sind wie überfließender Reiswein, der den Zecher betrunken macht, daß er im Schlafe spricht. Ich gehöre meinem Geliebten als seine ergebenste Sklavin und mein Geliebter gehört mir als mein ergebenster Sklave. Mein Geliebter begehrt keine andere Freundin als mich allein! Komm, mein Geliebter, wir spazieren unerkannt, inkognito durchs Reich der Mitte und spazieren zu den Feldern der armen Bauern und schlafen in den Dörfern unter Bambus. Früh wollen wir dann zu den Reisfeldern gehen, zu sehen, ob der Reis für den Reiswein schon reift, ob die Pfirsichblüte blüht, ob die Pflaumenblüten blühen. Dort schenk ich dir meine Ganzhingabe. Die Alraune der Magier schreien. Ach bist du nicht mein Brüderchen, Go-Go, der mit mir auf den Knieen meiner Großmutter gesessen? Dann dürft ich dich in aller Öffentlichkeit küssen und kein Sittenwächter würde zetern. Führen wollt ich dich und dich in die Ohrenkammer meiner Großmutter bringen, die mich erzogen hat mit dem Buch der Lieder allein. Dort gäbe ich dir Pflaumenmustunke und Pfirsichsaft. Seine Linke liegt unter meinem Köpfchen und seine Rechte streichelt mich. Ich beschwöre euch, ihr Blumenmädchen von Peking, stört unsre Liebesruhe nicht, bis wir von selber aufwachen. Wer ist sie, die aus der Mongolensteppe kommt, Arm in Arm mit ihrem Geliebten? Unter dem Pfirsichbaum der Unsterblichkeit bist du aufgewacht, erleuchtet unterm Feigenbaum der Religion, dort, wo deine Großmutter heimgegangen ist in das himmlische Reich der Ahnen. Stärker als der Tod ist die himmlische Liebe! Eifersucht ist aber heißer als die Hölle. Die Glut der Lust ist eine Glut des Himmels! Auch das Gelbe Meer und auch der Yang-Tse-Kiang kann das Feuer der Liebeslust nicht löschen. Gäbe einer auch den Reichtum des Kaisers von Indien für die Liebe, man würde ihn nur verspotten. Die du in den Lustgärten wohnst, auf deine hauchende säuselnde Stimme lauschen die Poeten, die Zecher bei Nacht. Laß mich dein Liebessäuseln hören. Rasch, rasch, mein Geliebter, tanze wie der Phönix mit dem Zaubervogelweibchen und fahre in den Himmel wie der Gelbe Kranich!


DAS FUNDAMENT DES GOTTES J
ODER DER BAUM DER EKSTASE


SALOMO UND SULAMITH

Salomo und Sulamith saßen sich gegenüber. Über ihre Scheitel floß ein Licht und zwischen ihren Augen brannte eine Sonne, ihr Hals erschimmerte bernsteinfarben. Auf dem Schoße Sulamiths loderte eine rosenfarbene Flamme wie ein Stern. Auf ihren Füßen blühten goldene Blumen. Auf Salomos Schoße loderte eine lilienfarbene Flamme wie ein Strahl. An seinen Füßen schimmerten Ledersandalen von Schlangenhaut. Salomo bete Jah an, den Herrn. Und Sulamith rief zur Ischa Chochmah, der Königin. Die Kraft von Jah drang in Salomo und die schöne Liebe der Chochmah strömte in Sulamith ein. Salomo wurde stark und feurig, voller Verlangen, Sulamith zu haschen und zu fangen und zu umfangen. Sulamith ward scheu und weich und süß, doch voll schelmischer Lust. Salomo und Sulamith schenkten einander den Süßwein in die Kelche. Salomo sah Sulamith an, wie Jah die Lieblingin Chochmah ewig anschaut. Sulamith schaute Salomo an, wie Chochmah die Kraft von Jah bestaunt in Ewigkeit. Salomo tauchte seinen Finger in ein Gefäß mit Honig und zeichnete Blumenmuster auf die festen jugendlichen Brüste Sulamiths. Er tropfte Honig auf ihre lieblichen Lippen und Honig in ihren Nabel, er bestrich ihre schön gebogenen Schenkel mit dem tropfenden Seim der Wabe und beträufelte auch die hennagefärbten Zehen der Füße mit dem Nektar der Biene. Sulamith sprach sehr freundlich zu Salomo und malte mit dem Honig labyrinthische Linien auf den Körper Salomos, auf die Lenden und Kniee und versüßte auch noch sein königliches Zepter, das zu der Krone gehörte. Salomo begehrte den Honig und die Milch unter der Zunge Sulamiths. Er wollte gewinnen die ganze Liebe Sulamiths. Dazu ist heilige Reinheit vonnöten. Salomo war geladen wie ein elektrischer Blitz, bereit sich zu entladen über der schwülen Erde. Sulamith fühlte sich irdisch. Aber sie liebte den feurigen Salomo. Er aber sah in ihr nicht die irdische Frau, vielmehr den mystischen Becher der Freude, den Kelch der Ganzhingabe, den er mit dem Weine des Heiles füllen wollte. Das Lager duftete nach grünen Kräutern. In dem irdenen Becher glühte der feurige Wein. Salomo und Sulamith breiteten ihre Arme zur ewigen Anbetung aus. Sie weihten ihre Liebe der Quelle aller Schöpfung, der ewigen Liebe in Jah, dem Ewigen! Und Salomo und Sulamith erkannten einander in der Liebe Gottes .Salomo flog auf dem Sturm wie ein Adler, Sulamith ritt auf den Flügeln des Windes. In einer Vision erschienen vor ihren geistigen Augen Adam und Eva nackt im Paradies. Salomo und Sulamith opferten alle Glut der Liebe und alle Kraft der Ganhingabe der schöpferischen Kraft, die das Universum geschaffen. Die göttliche Kraft, so beteten sie zusammen, möge die dargebrachte Liebe und Ganzhingabe zum Heil der Welt verwenden.
Und Salomo und Sulamith ruhten aus in dem Frieden des göttlichen Hauches, der ewigen Ruach, wie im Schoß der ewigen Shabbath. Der Garten duftete und der Wein und Honig schmeckte köstlich. Erfrischend war ein kühler Windhauch auf dem Salz des Körpers. Das Blut rauschte leise eine ewige Anbetung Gottes: Jah-Chochmah, Jah-Chochmah, Jah-Chochmah! Salomo und Sulamith speisten Feigen und Datteln, tranken Wein und brachen vom Brot. Sie ruhten in einem ewigen Atem, der Ja und Amen hieß.


SALOMO UND DIE KÖNIGIN VON SABA IM LIBANONWALDE

Die Königin von Saba war vorausgegangen, um die Lichtung im Libanonwalde der Liebe zu weihen. Der Mond erschimmerte über der Lichtung. Den Kreis der Lichtung bedeckte sie mit einem reinen weißen Leinentuch. Auf einen kleinen Steinaltar stellte sie einen Krug mit Wein, Schalen mit Feigen und Rosinenkuchen, Schalen mit gerösteten Körnern und Schalen mit Kräutern und Gewürzen und ein Flakon mit duftendem Öl. Gegenüber dem Altar stand ein bronzener Kessel. Aus dem Kessel stieg Weihrauch von Onyx, Galbanum und Stakte auf. An den Zedern des Libanon hingen Leuchter. Sie streute etwas Salz auf die Erde und weihte die Lichtung dem Heiligen, Gott, dem Herrn. Die Königin von Saba sprach: Mit Schweiß und Tränen reinige ich die Lichtung von allem Bösen, Lügenhaften und Häßlichen und heilige diesen Ort zum Heiligtume für das Sakrament der Liebe. Sie trug einen Schale mit Gerstekörnern im Kreis und sprach: Mit der Gabe der Erde begrüß ich die Heiligen, mögen sie unsere Liebe gütig und gnädig betrachten. Dann trug sie Räucherstäbe über die Lichtung und sprach: Das Feuer vom himmlischen Altare Ariel reinige diesen Ort. Das Feuer meines Herzens brenne an diesem Ort. Mit dem Weihrauch ruf ich die Weltseele und die Engel, damit sie unsere Träume segnen. Sie streute Kräuter und Gewürze auf die Erde. Sie sprach: O schöpferische Ruach, meine Mutter, o Chochmah, meine Schwester, heiligt meinen Leib und mein Herz, meine Seele und meinen Geist. Führt den König in den Wald des Libanon, damit wir uns lieben, wie es die Vorsehung Gottes vorgesehen. Wenn wir in Liebe ein Herz und eine Seele geworden sind, möge der Segen Gottes sich auf uns und alle Lebewesen um uns niedersenken. Mache mich, Frau Weisheit, zu deinem Gleichnis und Sakrament. Laß alle Schöpfung jubeln, wenn der mit blutigem Wein gefüllte Silberkelch gehoben wird und sich darbringt! Die Königin von Saba stand vor dem bronzenen Kessel, hob die Arme zum Himmel und betete: Heilige Weisheit, sende mir deinen Geweihten, den König, daß er Herr des Libanonwaldes und Bräutigam der Königin des Südens werde. Hier bei der Zeder und beim Dornbusch, hier bei den roten Beeren und den weißen Blüten erwarte ich den Bräutigam. Ich beschwöre dich, Geliebter, bei den sanften Rehen und den edlen Hirschen, ich beschwöre dich bei der reinen Taube und dem Falken des Himmels! Bei meiner rosigen Lippe, bei meinen schwarzen Augen, bei meinen festen Brüsten und meinen gebogenen Schenkeln beschwör ich dich: Komm, komm bald, mein Herr! Vom Berg des Libanon und vom Wald des Libanon, aus dem Libanonwaldhaus ruf ich dich auf diese Lichtung zur Liebesvereinigung mit der Königin des Südens! Rede, mein Herr, denn deine Geliebte hört.
Und Salomo blies dreimal in sein Schofar-Horn und sprach: Gegrüßet seiest du, o Königin des Südens! Dein Ruf erreichte mich auf nächtlichem Pfad. Ich jagte den Hirsch, doch ließ ich ab von ihm, um zu dir zu eilen. Und sie sprach: Komm, mein Jäger und sage mir, wie schön ich bin und daß du mich mehr liebst als das Licht. Ich bin die Frau. Wenn du dich mit mir in Liebe vereinigst, wirst du vereinigt mit dem Ewigweiblichen werden. Im Ewigweiblichen wirst du neugeboren. Und er sprach: Welcher Schlüssel eröffnet die Himmelspforte? Und sie sprach: Wirf auf die Erde einen Silberschekel. Wenn der Silberschekel auf die Erde fällt, auchzt die Seele aus dem Feuer gen Himmel. Wirb um mein süßes Lächeln! Salomo trat auf die Lichtung. Da sprach die Königin von Saba: Beantworte meine Rätselfragen, denn ich will sehen, ob du wirklich weise bist. Siehe, ich bin jung wie ein neugeborenes Lamm und alt wie der letzte Atemzug eines Greises. Mein Haupt und meine Füße sind kalt, aber in meinem Herzen brennt das Feuer. Mein Schoß ist ein Kelch, der nimmer leer ist, aber kein Mann kann mich in seinen Armen halten. Wer bin ich? Und Salomo sprach: Du bist die Erde, Adama, unsere Mutter. Und die Königin von Saba sprach: Ich berühre die Erde, aber nie hab ich den Fuß auf die Erde gesetzt. Ich wandle auf dem Meer, aber nimmer werden meine Füße naß. Ich habe vierzehn Töchter, aber keinen Vater und keine Mutter. Wer bin ich? Und Salomo sprach: Du bist die Mondin. Die Königin von Saba sprach: Wir sind zusammen geboren, aber wir berühren uns nie. Wir sehen gleich aus und müssen doch verschieden bleiben. Wir trennen uns nie, wir sprechen uns nie und müssen zusammen sterben. Wer bin ich? Und Salomo sprach: Du bist dein eigenes Spiegelbild. Nun darf ich dich lieben? Sie sprach: Komm näher, Geliebter, und rufe mit mir die ewige Weisheit an, denn sie ist die Lieblingin Gottes. Niemals dürfen sich Mann und Frau vereinigen, außer als Sakrament der göttlichen Liebe. Salomo und die Königin von Saba faßten sich an den Händen und verneigten sich dreimal vor dem Himmel: O Sophia, Mutter und Königin, Licht in der Finsternis, fülle uns mit der Liebe und mit der Erkenntnis und mit der göttlichen Lust der Vereinigung von Braut und Bräutigam! Und Salomo sprach zu Bilkis: Durch das Licht in deinen Augen schaue ich die verborgene Welt des heiligen Geistes. Führe mich zwischen Elfenbeintürmen mit Kuppeln von Sternen, öffne mir die heilige Pforte in die Welt der Träume, Visionen und Ideen! Bilkis sprach zu Salomo: Komm, Geliebter, ich will dich salben mit dem heiligen Salböl. Bilkis nahm Salomo den Mantel von den Schultern und zog ihm seinen purpurnen Rock aus und salbte seine Glieder. Bilkis sprach: Sei gesalbt mit der Salbung, das ist die Weihe der Ruach ha-kadosch. Und Salomo nahm Bilkis den Mantel und den Schleier und salbte ihr Haupt und Brust, die Lenden und die Füße. Er sprach: Sei auch du die Gesalbte der Ruach ha-kadosch. Du bist meine Inspiration. Du bist die Kirche des Heiligen Geistes. Und Salomo sprach: Erlaubst du mir, den efeuumwundenen Keuschheitsgürtel um deine Lenden zu öffnen? Und sie gewährte es ihm. Mit einem scharfen Messer zerteilte er die Zona Virginalis aus berauschendem Efeu. Da hob er sein Messer gen Himmel und rief: Heil dir, Sophia, göttliche Jungfrau! Der Schlüssel zur Pforte in das Reich der Liebe sei dir geweiht! Und Salomo und die Königin von Saba legten sich nieder auf das weiße Leinen und deckten sich zu mit ihren grünen und purpurnen Mänteln. Da seufzte Bilkis: Mein Bräutigam, siehe, der Pfad zum Herzen und die Pforte des Traums liegt offen vor dir. Die Perlenpforte ist offen und das Paradies erwartet dich. Das Geheimnis der heiligen Hochzeit in der Aue des Paradieses kann nur die ewige Frau dem Mann offenbaren, denn der Leib der Frau ist das Paradies des Mannes. Und die Königin von Saba tat sich auf und empfing den König von Salem. Da jauchzte Salomo: Wahrlich, ich wandle durch die Pforte in die Grotte der Sterne! Bilkis sah am Himmel den Mond wie eine Lotosblüte, Salomo sah durch den Himmel zücken einen stillen Blitz. Die Lotosblume des Mondes und der stumme Strahl des Blitzes erleuchteten hell den nächtlichen Himmel. Im Licht des Himmels weihten der Bräutigam und die Braut ihre heilige Lust der Ewigen Weisheit, die Weihe der menschlichen Liebe zum Heil der Welt zu verwenden. Sie leerten den Wein in einem gemeinsamen Kelch, sie zogen ihre Röcke und Mäntel an und verließen schweigend vor Seligkeit wie die Engel den Wald des Libanon. Die Königin von Saba sprach: O Salomo, regiere in Jerusalem als der Fürst des Friedens und Ebenbild von Jah, dem Gott der schenkenden Liebe!


DAVID UND ABISCHAG VON SCHUNEM

1

Abischag von Schunem, das schöne holdselige Mädchen trat ein. Sie blieb so weit entfernt vom alten Dichter David, daß er sie nicht berühren konnte. Er ssagte zärtlich zu ihr: Ach, Abischag von Schunem, ich bin lebenssatt und gehe nun bald den Weg allen Fleisches. Ich sehne mich nach dem Frieden in der Versammlung meiner Ahnen und ich sehne mich nach deiner Mädchenschönheit. Öffne mir deine Pforte und rufe mich zurück zu dir, mein Mädchen. Aber das braune Mädchen schwieg. Da sprach der alte Dichter David wieder: Abischag, mein braunes Mädchen, Geliebte meines Herzens! Hast du mich vergessen? Hast du mein Angesicht in deinem Geiste denn nicht mehr gesehen? Aber das Mädchen schwieg. Da hob der alte Hirte zum dritten Mal seine Stimme: Wenn ich nun verlassen muß das Land der Lebendigen, ohne deine Liebe zu spüren, dann will ich beten zu Gott, daß er dein Herz bewege, mir ein Zeichen der Erinnerung, eine Reliquie unserer Jugendliebe zu schenken. Da holte das braune Mädchen unter ihrem weißen Schleier eine rote Rose hervor und ließ sie auf die Erde sinken. Dann zog sie sich zurück. Der alte Dichter war allein mit der roten Rose und dachte an die schöne Jugend.

2

In den Gärten von Jerusalem aber verbarg sich Abischag von Schunem hinter einem Dornstrauch. Im Hintergrund stand ein Davidsturm von Elfenbein. David kam und trug in einem Beutel die roten Rosenblätter jener Blume der Erinnerung, die sein Mädchen ihm geschenkt. In seiner Hand hielt er den Hirtenstab. Er hat die Erziehung seines Sohnes Salomo beendet und den Sohn in die Obhut des Propheten Nathan gegeben. David ist nun bereit, heimzuwandeln durch die Pforte des Todes in die Versammlung der Ahnen. Während er im Freien wandelte, versuchte er Zeichen zu schauen aus der Jugend der ersten Liebe. Er dachte an Michal. Abischag ist ganz wie Michal in ihrer Jungfräulichkeit war. Da seufzte er: Alles ist anders geworden, seit ich zum ersten Mal den blühenden Garten von Jerusalem durchgewandelt bin. Ach, Abischag, Abischag, heiliges Mädchen, meine letzte Liebe, höre mich und begleite mich an die Pforte des Todes. Mädchen, Mädchen, öffne mir die Pforte zur ewigen Jugend, ins Reich der Herrlichkeit, in das Himmelreich der Freude! Mein Nachfolger ist gesalbt, auf dem Thron Israels wird ein Davidssohn sitzen. Er lauschte auf das Wehen des Windes und rief: O Herr, du Vater der Geister und Herr der Herzen, sende mir Abischag von Schunem, mein braunes Mädchen. Herr, du hast mich alle Weisheit gelehrt, du hast mir vom Garten Eden gesprochen. Erhöre mein Gebet und sende mir Abischag von Schunem, daß sie mich leite an die smaragdene Pforte in das Reich, das meine Sehnsucht ist! Ich, David, der Sohn Gottes, durch dessen Lieder die Ruach gesprochen, der Lieblingsdichter Israels, ich bitte dich, König, sende mir das braune Mädchen an der Pforte des Todes! Da erschien das Mädchen Abischag von Schunem und sprach zu David: Herr, mein König, ich hörte ein Wehen in der Luft und eine leise Stimme säuselte um mich: David, sprach die Stimme. Und so bin ich gekommen, meinem Hirten zu begegnen. Und David sprach: Ach, braunes Mädchen, meine Jugendliebe bist du in meinem hohen Alter. Öffne mir den Elfenbeinturm und laß mich eintreten fröhlich mit dir. Nun komm, und nimm mich in die Arme und laß mich ruhen in der Beuge deiner Arme. Und Abischag flüsterte: David war Michals Liebe, aber Michal hat David verloren an die Welt, denn David war berufen, als Hirte das Gottesvolk zu weiden. Michal ist ohne Kinder geblieben. Wenn Michal dich heute sehen würde, sie spräche zu dir: Das ist nicht mehr der Jüngling, den ich geliebt, der jung und stark und schön war. Du bist gebeugt von der Last der Lebensernstes und des Hirtenamtes und der Hinfälligkeit deines Fleisches. Du bist dem Tode nahe, Geliebter! Und David sprach mit leiser Stimme: Mein Mädchen, ich schwöre bei dem Milan, den ich dir geschenkt hab als Vogel der Liebe, daß ich immer noch David bin, der Hirte, David, der Dichter. Bei dem grünen Unterrock aus serischer Seide, den ich dir gestohlen, schwör ich, daß ich immer noch der Mann bin, der liebt! Und das Mädchen sprach: Still, nicht mehr davon, schweig von dem Unterkleid, daß du mir gestohlen! Du stehst an der Pforte des Todes! Und David sprach: Geliebte, süße Königin meines Herzens, Seele meiner Seele, ich bins, der deine Jungfräulichkeit glich der dornenlosen Rose. Da öffnete Abischag von Schunem den Elfenbeinturm beim Dornbusch und er trat ein zu ihr. Da ließ sie ihren Schleier fallen und stand allein in reiner Schönheit da, in ihren schwarzen Haaren einen Kranz von Rosen. David kniete vor seinem Mädchen und sprach: Ich, König, ich knie vor meiner Königin. Meine Liebe, ich schenke dir mein Herz! Das braune Mädchen sprach: Die Rose ist das Zeichen meiner Liebe. Willst du mich im Angesicht des Todes zu deiner Geliebten nehmen? Und David küsste die Rose zwischen Dornenhecken. Und David segnete Abischag und das braune Mädchen weihte den Hirten, sie küssten einander mit dem heiligen Kuß der Liebe. Da rief das braune Mädchen: Seid gegrüßt, ihr Todesengel, ich rufe euch zu Zeugen auf: Ich bin das braune Mädchen, die unberührte Jungfrau, und der alte sterbende Hirte ist mein Geliebter! Und da sich der Hirte und die Jungfrau liebten, starb der Hirte und opferte hin sein Leben dem Herrn, dem Ewigen!


DIE HOCHZEIT SALOMOS UND DER TOCHTER DES PHARAO

Alle versammelten sich im Tempel vor dem Altar. Der Hohepriester stand im Osten und die Prophetin im Westen. Sie waren Greise. Salomo und die Tochter des Pharao standen, er im Norden und sie im Süden. Alle verneigten sich in Richtung des Allerheiligsten. Und der Hohepriester sprach: In diesem Tempel wohnt Schalom, in diesem Tempel lebt die Liebe. Wir heißen die Erzengel und die Schutzengel hochwillkommen, diese Hochzeit mit uns zu feiern. Der Hohepriester betrachtete still das Tau-Kreuz und berührte die Reliquien des Altares. Er sprach: Die Hochzeit im Tempel beginnt. Wir feiern die Hochzeit unter dem Segen der Gnade Gottes. König Salomo, du, und du, o Königstochter, Tochter des Pharao, kommt, damit ihr geheiligt werdet, wie es alter Brauch ist, wenn Priesterkönige sich vermählen. Und Salomo und die Tochter des Pharao knieten vor dem Hohenpriester. Der salbte ihnen die Hände mit dem heiligen Salböl. Er sprach: Hebt eure Häupter, das ich eure Stirnen mit dem heiligen Tau-Kreuz der Seraphim und Cherubim besiegeln kann. Der Hohepriester zeichnete mit dem Salböl das heilige Kreuz des Tau auf die Stirne Salomos und die Stirn der Tochter des Pharao. Dann sprach der Hohepriester: O Tochter des Pharao, du bist nach dem Bilde der Weisheit gebildet. Du bist erfüllt vom Geist der Weisheit. Sei barmherzig und sei wie eine Mutter zu allen Menschenkindern. Siehe deine Hilfe in deinem Bräutigam und werde ein Fleisch mit deinem Geliebten. Sieh in ihm dein inneres Selbst und juble über deinen Geliebten. O König Salomo, du bist geschaffen als Ebenbild von Jah. Übe Treue und Gerechtigkeit. Halte die Gebote Gottes und sei barmherzig mit den Armen, Schwachen und Kleinen. Gebrauche das Schwert des Wortes und den Hirtenstab des guten Hirten. Durch diese Frau wird dein Leben vollkommen. Sieh in ihr dein eigenes weibliches Selbst und juble über die Geliebte. Und Salomo und die Tochter des Pharao fassten sich bei den Händen und küssten sich. Und die Prophetin hob den heiligen Kelch des Bundes und betete: Komm, Frau Weisheit, Jungfrau im Sternenmantel, Mutter mit dem schöpferischen Schoße, Schwester mit den heilenden Händen. Schau nicht auf unsere Sünden, sondern schau auf diesen heiligen Kelch des Bundes. Du erfüllst die Menschen mit geistlicher Gnade und vergöttlichst die Menschen zu Göttern. In dem heiligen Kelch des Bundes begegnen wir deiner Seele und deinem Blut. Wer deine Gottheit trinkt wie Blut, der wird die Weisheit und Gnade empfangen. Hier wirst du in ihm gezeugt und geboren. Von hier wird er ausgesandt in die Welt und hierher darf er zurückkehren als wie zur Ruhe in deinen Armen, um dich anzubeten und dir sein Leben zu weihen. Chochmah, Mutter, Schwester und Braut des Königs Salomo, Mutter, Schwester und Göttin der Tochter des Pharao, Chochmah, fülle den heiligen Kelch des Bundes mit deiner Gottheit und deiner Allseele und mit deinem mystischen Blut, damit, die daraus trinken, eingehen in die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes! Und die Prophetin rief den König Salomo und die Tochter des Pharao und führte sie zum Altar. Die Prophetin sprach: Dies ist der Kelch des Heils, gefüllt mit dem kosmischen Leiden der Weisheit, der ewigen Mutter. Vor diesem Kelche werdet ihr geloben, den andern zu lieben, zu ehren und einander treu zu sein für alle Tage eures Lebens. Der Bund der Ehe Gottes ist unauflöslich. Indem ihr von diesem Kelche trinkt, empfangt ihr die Gnade des Herrn und seiner Herrlichkeit. Schaut den Kelch der Hingabe an als eure Mutter und den blutigen Wein als euren Freund und Vater. Trinkt das Blut der Traube und seid gesegnet! In euch sind Adam und Eva wiedergekehrt auf die Erde und die Erde ist der Garten Eden.


DIE ERSCHEINUNG DER SOPHIA

Auf einem schwarz und silbernen Tische standen sieben weiße Kerzen, drei rote Rosen und ein Gefäß mit goldenem Honig. Sulamith trug ein Gewand aus feiner fließender weißer Seide und Salomo einen schneeweißen Umhang. Weihrauch glühte auf einer Räucherpfanne. Salomo sprach: Gegrüßet seiest du, Sophia, Königin des Himmels und der Erde! Diese Wohnung wartet auf dich. Gegrüßet seiest du, Sophia, fleischgewordne Idee der Schönheit, Tochter Gottes! Gegrüßet seiest du, Sophia, Jungfrau Israels, Mutter des Messias, des Heilands, Herrin der Weisheit! Siehe, da sah Sulamith, wie Sophia auf sie herabkam und sie wie eine Glorie oder ein lichter Schleier umgab. Als Sulamith nun die Gegenwart der göttlichen Herrin Sophia spürte, sprach sie: Das Gebet ist erhört und die Jungfrau ist gekommen. Sie hat ihren Sternenmantel angelegt und ihre Füße auf den Mond gestellt und ist mit dem Lichtgewand der Sonne zu uns gekommen. Wer sie annimmt, muß würdig werden, ein Mensch des Friedens, ein Menschenfreund! Und Salomo nahm nun Sulamith an die Hand und trat mit ihr an den Tisch. Er führte sie in die Wolke des Weihrauchs. Salomo sprach: O Sulamith, ich spende deinem Haupte Weihrauch und bewundere die in dir wohnende Weisheit. O Sulamith, ich spende deinem Körper Weihrauch und bewundere die durch ihn sich offenbarende Schönheit. Ich spende deinen liliengleichen Füßen Weihrauch und bitte dich, bei mir zu bleiben. Dann benetzte Salomo Sulamiths Zunge mit einigen Tropfen Wabenhonigs. Er sprach: Geliebte, deine Zunge ist süß wie Honig, dein Name, Geliebte, ist süß wie Honig, deine Küsse, Geliebte, sind süß wie Wabenseim. Siehe, ich spende dir meinen Honig. Teile die Süße mit mir und spalte die Wabe für mich. Gleich der Biene mit dem Stachel saug ich den Nektar deiner Blütenlippen. Salomo küsste Sulamith. Dann salbte er ihre festen jugendlichen Brüste mit dem Salböl von Myrrhe, Narde, Aloe, Balsam und küsste die Spitzen ihrer Brüste zärtlich. O Sulamith, sprach Salomo, laß mich die Schönheit des Reichtums deiner Brüste, deiner festen jugendlichen Brüste mit duftendem Salböl salben. Laß mich ruhen wie ein Myrrhebeutel zwischen deinen Brüsten, die wie Gazellen in Lilien hüpfen. Und Sulamith-Sophia sprach: O König Salomo, du sollst mein König und Geliebter und Gemahl sein! Solange du mir beiwohnst und mit mir zusammenlebst in einer heiligen Ehe, sollst du Friedefürst von Israel und Juda sein. Du sollst stets zwischen den Brüsten Sophias gebettet ruhen und die Ruach ihres Mundes trinken unter heiligen Küssen der Liebe mit feurigen Zungen! Zwischen Sophias Brüsten gebettet, wirst du der König der Juden werden, durch ihre Salbung der Gesalbte heißen! Vor der Macht Sophias bist du ein kleines Kind. Und Salomo nahm die Rosen vom heiligen Tische. Vor Sophia verwandelten sich die drei roten Rosen in eine weiße, eine rote und eine goldene Rose. Sophia führte Salomo zum mystischen Brautgemach. Sophia, meine göttliche Jungfrau-Braut, sprach Salomo, öffne mir die Pforte zum Königspalast, ja, öffne mir die Pforte zum Brautgemach! O göttliche Jungfrau, ohne deine Liebe bin ich nur ein sterblicher Mann, doch von dir mit göttlicher Liebe geliebt, durch deine Einwohnung, deine Beiwohnung werde ich von deiner Ganzhingabe vergöttlicht zu einem unsterblichen Menschen-Gott aus Gnade! Wenn wir uns vereinigen, Jungfrau, wird das heilige Land im Frieden sein. ...Und Sophia vereinigte sich mit Salomo.... Und Salomo sprach: Die Rettung ist gekommen, das Gottesvolk hat die Macht des Gesalbten gesehen. Ich bin zum Gesalbten geworden, zum Messias Israels, ich werde als Friedefürst regieren solange die Sonne scheint und der Mond am Himmel steht. Gegrüßet seiest du, Sophia, Königin des Himmels, Königin des Südens, gegrüßet und gebendedeit sei dein Name von Ewigkeit zu Ewigkeit! Und Sophia sprach durch den Mund der zärtlichen Sulamith: Ich bin die Gottheit Israels, die Herrscherin der ganzen Welt, ich bin Sophia, ich bin den heiligen Männern Ein-und-Alles! Ich werde bei euch bleiben bis ans Ende der Zeit und werde sein in alle Ewigkeit! Gesegnet sei die Frau, durch die ich spreche, und gesegnet sei die Wohnung, in der meine Verehrung erneuert wird. Und Sophia schwand von Sulamith. Und Sulamith und Salomo ruhten in vertrauter Umarmung als Mann und Frau im Frieden des Ehebettes.


JAH-CHOCHMA

Dunkle Nacht. Schau: Jah saß auf seinem Throne. Jah beschaute die Formen des Lebens. Chochmah war bei Jah und lag auf einem Kissen zu Füßen des Thrones. Die Sphärenmusik erklang wie Rauschen des kristallenen Meeres am Throne. Jah sprach: Himmel und Erde sind gestaltet aus dem Nichts. Die Nacht und den Tag hab ich, o Jah, der Schöpfer, geschaffen. Ich will ruhen von meinen Werken. Und Jah schwieg. Aber Ruhen und Schweigen erzeugt in mir den Drang der Liebe. Komm, Geliebte! Und Chochma sprach: Ich höre die Stimme Gottes. Ich bin Chochmah, die bei Ihm war vor aller Zeit und allem Raum und aller Existenz. Siehe, Schöpfer, ich bin deine Hoffnung, dein Glaube, deine Liebe. Frage mich, ich werde dir antworten in der Weisheit deines Geistes. Und Jah sprach: Chochmah, wie kann ich meinem Alleinsein jenseits der Schöpfung ein Ende bereiten? Und Chochmah sprach: Indem du aus Liebe Geschöpfe schaffst und ihnen die Fähigkeit gibst, zu lieben, dich vor allem zu lieben und die Mitgeschöpfe wie sich selbst. Und Jah sprach: Chochmah, sage mir in dem Geiste meiner Weisheit, wie ich, die einzige Gottheit, Götter erschaffen soll, die göttlich sind wie ich? Denn einer ist Gott und ist keine Gottheit außer Ihm. Und Chochmah sprach: Du kannst in meinen Armen Menschen erschaffen, Ebenbilder deiner Gottheit. Du kannst mich senden, deine göttliche Weisheit, in dem Schoße einer Menschentochter selbst ein Mensch zu werden, um die Menschen aus ihrer Hinfälligkeit zu erlösen und sie durch meine Ganzhingabe zu vergöttern. Dann werden sie aus Gnade Menschengötter und Menschengöttinnen sein durch mystische Anteilhabe an meiner Gott-Natur. So wirst du, o Herr, der einzige Gott sein, aber in mir sind dir gesellt zur Anteilhabe an deiner Gott-Natur die aus Gnade gezeugten Mitgötter deiner einzigen Gottheit. Und Jah sprach: In der gesamten Schöpfung seh ich keine Frau, die rein genug wär, makellos, daß sie würdig wäre, dich in ihrem Schoße zu empfangen und zu gebären. Ich sehe sie allein in der Idee meines Geistes. Chochmah sprach: Gib ihr, der makellosen Idee deines Geistes, ein menschliches Leben. Sie wird geschaffen von deinem heiligen Geist als makellose Jungfrau. In sie will ich niedersteigen, sie unter Bewahrung ihrer makellosen Jungfräulichkeit Mutter werden lassen und Gebärerin meiner Gottheit.


GESANG DER DREIFALTIGKEIT

Die Schechinah sang: O Jah, o Schöpfer, alles Leben ist aus deinem Willen entstanden. Aus deinem Gedanken kamen Raum und Zeit, aus deinem Gedanken kamen die Elemente. Ich schaue dich und Licht von tausend Sonnen strahlt von deinem Antlitz! Und Jah gab seiner Schechinah eine goldene Harfe, das Lied des Kosmos zu singen. Und es redete Jah: Du, du bist die Schechinah, du erfüllst die Schöpfung. Wir sind eins, der Herr und seine Herrlichkeit. Von dir kommt alle Weisheit und die Kunst ist der Lohn für die Psalmisten, die dir huldigen. Du bist die Inspiration der heiligen Schriften. Du bist die Verheißung. Gemeinsam mit dir hab ich die Welten erschaffen. Dein Licht ist der Schimmer von tausend Monden, meine Schönheit! Und es ist erschienen der Logos und seine Sophia. Und der Logos schenkte seiner Sophia eine goldene Lilie.Und der Logos sprach: Wie schön du bist, Geliebte, eine Frau wie eine Aue, zart wie ein Garten. Deine Harmonie erfüllt das All mit Schönheit. Du bist die Weltseele, du bist die Makellose. Und Sophia nahm die Posaune der Auferstehung und reichte sie dem Logos und sprach: O Logos, in dir ist alles Leben erschaffen. Wenn ich als Weltseele eine Harfe der Harmonie der Schöpfung bin, so bist du als Weltgeist die Schöpferhand, die meine Harfe streicht und spielt. Wir sind der Sphäros, der Ur-Ton, in welchem das vollendete und vollständig erlöste All ertönt als eine Harmonie und ein kosmischer Gesang der Liebe. Ohne Vereinigung von Weisheit und Wort gibt es keine Lieder. Und es klang eine Glocke und Ecclesia kam, die Idee der himmlischen Jerusalem. Sie nahm eine Fackel und reichte sie dem Heiligen Geist. Und Jerusalem sprach: O Herr, der du Gott bist, Herr, der du Licht bist, Gott auf Erden und Geist in aller Materie, du, der die Welt im Innersten zusammenhält als der Geist der Liebe, erfüllt von dir will ich alle Sterbenden führen in meinen Schoß als in einen Palast der Liebe. Dort wird der in mir Gestorbene tanzen den Tanz der Engel, der kein Ende nimmt, und lachen das Lachen des Heiligen Geistes in einer Freude, die dem Rausch der seligsten Liebestrunkenheit gleicht! Und der Heilige Geist nahm die Fackel der Liebe und reichte der Jungfrau Ecclesia nun das Schwert des Wortes und sprach: O Heilige Jungfrau, die die Menschen nicht kennen und die sie fürchten, ich reiche dir das Schwert des Wortes, das Wahrheit von Lüge scheidet. Du bist mein Tempel, ich bin der liebende Gott in dir. Und wenn ich in dir tanze und brause und rausche, dann prophezeie die Erfüllung aller Verheißungen und das Kommen des Goldenen Zeitalters, da Gerechtigkeit und Friede sich küssen, sich küssen im heiligen Kuß der Liebe! Und als die drei Personen der Gottheit so gesprochen, erwachte der Seher.



MARIEN-SYMPOSIUM


DER PROTESTANT:

Wir Protestanten sind Glieder der heiligen, apostolischen, christlichen Kirche. Wir sind Söhne der Kirchenväter. Wie die Kirchenväter von Ephesos bekennen wir: Groß ist die Theotokos! Denn der Engel Gabriel nennt sie die Begnadete, die Holdselige, denn Elisabeth preist sie als die Gesegnete unter den Frauen. Und der heilige Paulus, mein Namenspatron, spricht von Christus, der geboren wurde von einer Frau. Diese Sprüche halten fest, wie ich wohl weiß, daß Maria Gottes Mutter ist. Darum ist in Einem Worte alle ihre Ehre inbegriffen, wenn man sie Gottes Mutter nennt, kann niemand Größeres je und je von ihr sagen. Nicht zu ihrer eigenen Ehre wird Maria Gottes Mutter genannt, sondern Christi Ehre wegen, der Herr und Gott ist. Die Theotokos ward verkündet, um die Gottheit Jesu Christi ins wahre Licht zu stellen. Darum irrt Nestorius, der Maria nur Mutter der menschlichen Natur Christi nannte, sie nur Christotokos nannte. Die menschliche Natur Christi und die göttliche Natur Christi sind vereinigt in der Einen Person Jesu Christi, dessen Mutter Maria ist. O wie wirklich war die Menschwerdung, wirkliche Inkarnation des Logos in dem Fleisch und Blut eines geschöpflichen Mutterschoßes! Ja, Maria ist die Gebärerin unseres Heils, die reine Magd des Herrn, ancilla domini. Die reine Magd, das ist die reine Jungfrau. Denn siehe, das ist die höchste Ehre, die man Maria erweisen kann, daß man die gute Tat des Sohnes Mariens an uns armen Sündern recht erkenne, ehre und zu ihm laufe. Denn was ist das Größte an Maria? Daß sie uns den Sohn Gottes, den Erlöser geboren! Aber bedenkt, der Titel Gottes Mutter kann die Abergläubischen wohl in ihrer heidnischen Unwissenheit verwirren. Ist doch Gott der ursprungslose Ursprung und der anfanglose Anfang und der grundlose Urgrund und ist ihm keine Mutter voraus. Aber Maria ist die Sancta Virgo, sie ist gebenedeit von Gott, weil Gott sie gewürdigt hat, der Welt den Sohn Gottes zu schenken. Dadurch hat Gott Maria hoch geehrt. Und von dieser Ehre darf Maria auch selbst im Magnifikat singen. So halten wir fest an der leibhaftigen Offenbarung Gottes in der Menschheit Christi durch Maria, die Gottesmutter und heilige Jungfrau. Christus ist geboren aus der reinen Jungfrau. Wir sollen der Heiligen gedenken, um uns zu erinnern, welche großen Gnaden Gott den Heiligen erwiesen. Die Mutter Christi dürfen wir wohl unter die Heiligen zählen. Maria ist die dignissima amplissimis honoribus, die der höchsten Ehren Würdigste. Denn wir bekennen mit der Gottessohnschaft Christi auch die Gottesmutterschaft Mariens. Denn wir glauben, lehren und bekennen, daß Maria nicht bloß einen pur lauteren Menschen, sondern den wahrhaftigen Sohn Gottes empfangen und geboren hat. Darum wird sie Mutter Gottes genannt und ist auch wahrhaftig die Mutter Gottes.

Wir bekennen im Apostolicum, daß Christus ist geboren von der Jungfrau Maria. Das ist unbestritten. Ja, Maria ist semper virgo, immerwährende Jungfrau, vor und in und nach der Geburt, wie Luther, Zwingli und Calvin bekennen. Luther verurteilte scharf den Häretiker des vierten Jahrhunderts, Helvidius, der behauptete, daß Maria mehrere Kinder gehabt hätte. Zwinglis glühendste Leidenschaft war die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens. Es steht geschrieben: Josef erkannte Maria nicht, bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar. Doch dies bedeutet nicht, daß Maria eine ordinäre Ehe geführt habe. Josef ist der Jungfrau nur zum Schutze beigegeben worden. Schon daraus, daß Jesus seiner Mutter, der Frau, am Kreuze den Lieblingsjünger als Sohn anvertraute, ist zu erkennen, daß sie keine weiteren Kinder gehabt hat. Die im Evanglium genannten Brüder und Schwestern Jesu sind nahe Verwandte des Herrn. Wir bekennen also als die Kinder der Kirche der Reformation, daß Christus ist geboren: Ex Maria, pura, sancta, sempervirgine!

Was sagt die Reformation zur Unbefleckten Empfängnis? Diese Lehre, die Lehre der Makellosen Konzeption, behauptet die Empfängnis der Jungfrau im Schoße ihrer Mutter, der heiligen Anna, als eine natürliche Empfängnis, die durch die Gnade Gottes frei von allem Makel der Erbsünde war. Luther liebte diese Reinheit Mariens, die ihr gegeben war um der Reinheit und Sündlosigkeit des Menschensohnes willen. Die heilige Mutter Gottes, die den Gottessohn im Fleisch geboren, konnte nicht eine gemeine Sünderin sein. Die Freiheit Mariens von dem Makel der Erbsünde geschah im Augenblick ihrer Empfängnis als der Vereinigung des Leibes mit der vernünftigen Seele. Der reformatorische Theologe Valentin Weigel nannte Maria darum gar eine Inkarnation des Heiligen Geistes. Zwingli nannte Maria eine reine, heilige, unbefleckte Magd, das heißt Jungfrau. Dennoch bestritten andere, wie Calvin und Melanchton, diese Lehre. Schließlich war sie auch in der katholischen Kirche lange umstritten und wurde erst im neunzehnten Jahrhundert zum unfehlbaren Dogma der Offenbarung erhoben.

Was lehren wir aber von der Aufnahme Mariens in den Himmel? Das Volk schwärmt wohl gelegentlich von der Himmelfahrt Mariens, doch ist es keine Himmelfahrt gleich der Himmelfahrt Christi, sondern eine Aufnahme in den Himmel durch den in den Himmel gefahrenen Christus. Die katholische Kirche verkündet, daß die unbefleckte Gottesgebärerin und immerwährende Jungfrau Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden ist. Wo ist aber für diese Auffassung die Grundlage in der Heiligen Schrift? Luther kannte das Fest Mariä Himmelfahrt. Er sprach, es stehe zwar nichts davon im Evangelium, wie Maria im Himmel sei, auch nicht, wie sie dorthin gekommen, das sei auch nicht nötig zu wissen. Es genügt zu glauben, daß die Heiligen leben. Er wußte nicht, ob sie im Leib oder außerhalb des Leibes in den Himmel gefahren sei. Er wollte das Fest Mariä Himmelfahrt gefeiert sehen. Welcher Christ zweifelt daran, daß die würdigste Mutter des Herrn bei ihrem Sohn in himmlischen Freude lebe? Die einen Christen glauben nun einmal, daß Marien Seele im Himmel sei, ihr Leib aber noch in der Erde ruhe, die anderen Christen aber glauben, daß sie mit Leib und Seele im Himmel sei. Jeder urteile, wie er will. Schließlich ist Henoch leiblich in den Himmel aufgefahren und bei Christi Auferstehung sind viele Heilige leiblich auferstanden. Gewiß ist aber, daß Maria mit ihrem Sohne Jesus lebe. Aber ist nicht auch Elias leiblich in den Himmel gefahren, damit die Kinder Israels ein Bild der Unsterblichkeit der Seele hätten und doch nicht den Leib des Heiligen verehren? So ist auch die reine unbefleckte Kammer der Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, ihr heiliger Leib, von den Engeln in den Himmel getragen worden. Ja, wir trauen darauf, daß die reine heilige Magd von Gott erhöht ist über alle Geschöpfe der Menschen oder seligen Engel, aller Kreaturen im Himmel und auf Erden und im Meer, bei Christus in der ewigen Freude. Nun aber, ihr Papisten, werdet wohl bedauern, daß der Körper der Jungfrau im Himmel ist, ihr hättet sonst wohl eine Kirche um ihre Reliquien gebaut, die größer als Jerusalem und Rom gewesen wäre...


DER ORTHODOXE:

Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich über mich armen Sünder! Dich besingen wir, dich preisen wir, dir danken wir, Herr, und bitten dich, Gott, zu preisen die selige Gottesmutter und immerwährende Jungfrau Maria! Im Augenblick der Wandlung des Brotes und Weines durch den Heiligen Geist in Fleisch und Blut Christi, danken wir Gott vor allem für unsere allerheiligste, makellose, über alle Heiligen und Engel gelobte Gottesmutter Maria, die Ewige Jungfrau! Wahrhaft würdig ist es, dich, Theotokos, selig zu preisen, Allerseligste, Unbefleckte, Mutter Gottes! Verehrungswürdiger bist du als die weisesten Cherubim und die vor Liebe brennendsten Seraphim, die du in unversehrter Jungfräulichkeit den göttlichen Logos geboren, Gottes Gebärerin und Gottes Mutter, dich preisen wir höher als alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden! Wen aber führt die Herrin der himmlischen Heerscharen an? Wen führt die Königin der Engel und Mutter der Menschen? Alle im Glauben Entschlafenen, alle Voreltern, alle Väter und Mütter des Glaubens, alle Patriarchen, Propheten und Prophetinnen, die Apostelin der Apostel und die Apostel, die Jungfraun und die Evangelisten, die Märytrer und Bekenner, alle Heiligen, Witwen und Waisen! Wir danken, wenn wir der Gottesmutter danken, auch Johannes dem Täufer, dem Apostelkonzil und besonders danke ich dem heiligen Andreas, meinem Patron, und aller Heiligen des Orients und Okzidents, auf deren Fürsprache hin uns gnädig heimsuchen möge der Gott, der Liebe ist! Wir bitten die Gottesmutter um Fürsprache für alle Heimgegangenen, die universelle christliche Kirche und die ganze Menschheit und die gesamte Schöpfung. Unserer allerheiligsten, reinsten, über die Maßen gepriesenen, allen Ruhmes würdigen Gottesmutter und Ewigjungfrau Maria eingedenk, weihen wir uns selbst und die gesamte Schöpfung unserm Herrn und Gott, Jesus Christus! Siehe, die Gottesmutter in der Ikone ist niemals ohne ihren Sohn. Er ist das göttliche Kind der Gottesmutter. Steht sie aber als unsere Fürsprecherin vor Seinem Thron, so steht sie dort mit Johannes dem Täufer. Denn wie Johannes der Täufer die Vollendung des Alten Bundes, ist Maria der Inbegriff und die Vollendung des Neuen Bundes, die sich zusammen als Ein Ewiger Bund der Menschheit mit Gott zu Christus, der göttlichen Weisheit, anbetend wenden. Maria ist der Anbeginn des Neuen Bundes. Deine Geburt, o Gottesmutter, hat der ganzen Mutter Erde Freude bereitet. Aus dir ging hervor aus wie aus dem Schoß der Morgenröte die Sonne der Gerechtigkeit. Er nahm den Fluch hinweg, zerstörte den Tod, brachte den Segen und schenkte uns ewiges Leben. Darum preisen wir dich, die Aurora Gottes, die du dem Himmelslicht, das die Sonne ohne Untergang ist, auf unaussprechliche Weise aus deinem Schoß der Morgenröte den Leib geschenkt, gesegnete Gottesmutter und heilige unbefleckte Jungfrau, sei gepriesen! Darum ist der Tag der Verkündigung des Herrn durch den Engel an die Jungfrau Maria der Anbeginn des Heils und die Offenbarung des Geheimnisses von Ewigkeit. Gottes Sohn wird Sohn der Jungfrau, der Engel verkündet der Begnadeten die Gnade. Mit dem Engel beten wir allezeit: Sei gegrüßt, du Gnadenvolle, freue dich, Maria, Gott ist mit dir! In der heiligen Weihnacht aber gebiert die Jungfrau den Seienden, überwesentlichen Gott! Die Mutter Erde gewährt der Höchsten Macht eine Grotte. Die Himmlischen und die Hirten feiern den Frieden. Die Weisen des Morgenlands ziehen nach der Weisung der Sterne zu der Jungfrau und dem Jungfraunkind, dem urewigen Gott und Gottheit von Urzeit her! Halleluja!

Singen will ich die heiligen Ostern, das Mysterium von Kreuzestod und Auferstehung zu ewigem Leben! O Christus! Als dich, den Schöpfer und Gott, am Kreuze hängen sah Jene, die dich als Jungfrau geboren, da rief sie unter Tränen und Trauer: Mein Sohn, mein Sohn! Wohin ist deine Schönheit? Siehe, du warst der Schönste aller Menschensöhne! Nun ist an dir keine Schönheit mehr, du bist der Allerverachtetste, der entstellte Gottesknecht! Ich ertrage es nicht, den Gerechten so ungerecht gekreuzigt zu sehen! So klagte Maria. Wir wollen besingen Ihn, der sich aus Ewiger Liebe für uns kreuzigen ließ! Ihn schaute Maria am Kreuz und sprach: Wirst du gekreuzigt, entstellt in deiner Schönheit, verflucht, weil du am Holze hängst, angespieen mit Gift und Galle, du bist doch mein Gott und mein geliebter Sohn! So klagte Maria. O Jesus, Ströme von Tränen hat mit blutendem Herzen die Allerreinste über dich vergossen und gerufen: Wie soll ich nun dir dienen, mein geliebter Sohn? O Gott, o Logos und Sophia! O meine Wonne! Wie soll ich dein Begrabensein drei Tage lang ertragen? Es zerreißt mir vor Schmerzen mein Mutterherz! Wer wird mir Wasser geben, daß meine Augäpfel überströmen von Tränenfluten wie Wasserbäche? Woher nehme ich all die Ströme, rief die jungfräuliche Mutter und Frau der Schmerzen, meinen Jesus zu beweinen? Ihr Schluchten, ihr Seelen alle, schluchzet, schluchzet mit der Frau der Schmerzen, alle Kreaturen des Kosmos, heult mit der Mutter Gottes um den gekreuzigten Sohn Marias! So klagte Maria. Siehe, der Gekreuzigte in seiner Passion am Kreuz, er tröstete seine Mutter und alle Frauen von Jerusalem und ihre Kinder und die gesamte Menschheit: Weine nicht über mich, meine Mutter! Du wirst schauen im Grabe deinen Sohn, den du im Schoß getragen. Aber ich werde auferweckt, ich werde auferstehen in der Kraft Gottes und verherrlicht im Geist zu ewigem Leben im Reiche Gottes! Siehe, Magd des Herrn, die dich seligpreisen, alle Kinder und Kindeskinder, die werde ich, o Frau der Schmerzen, als dein Sohn und Gott, ich, Christus zur Rechten des ewigen Vaters, werde alle jene erhöhen, die in Glauben und Liebe dich, o allerseligste Jungfrau, lieben und preisen! So sprach Christus am Kreuz. So ruft nun die Kirche im Schoß der Menschheit der allerseligsten Jungfrau zu, die Christus verklärt hat: Strahle, strahle heller als die Sonne, milder als der Mond, glühender als die Morgenröte, himmlische Jerusalem! Denn die Gloria Gottes geht auf in dir! Tanze mit den Engeln und Seligen himmlische Hochzeitstänze, Tochter Zion, und jauchze im Heiligen Geist als die Braut des Heiligen Geistes! Mutter Gottes, allerreinste Jungfrau, freue dich, Halleluja, über die Auferstehung Christi und die Auferstehung der Toten! Siehe, der Engel des Herrn rief der Jungfrau zu: Freue dich, Maria, voll der Gnade! Und ich sing auch mit englischer Zunge und mit Menschenzunge: Freue dich, allerseligste Jungfrau, denn dein Sohn ist auferstanden als die Erstgeburt aus den Toten! Freue dich, makellose Jungfrau! Freue dich, Menschheit! Halleluja!

Chaire! Freue dich! Das will ich singen! Es wäre leicht und wäre ohne Gefahr der Übertreibung der Poesie, ein skrupulöses Schweigen zu bewahren, o Jungfrau! Dir zu Liebe schöne Hymnen zu singen ist ein schwieriges Werk. So gib mir, die du meine Braut und Mutter bist, passend zu meiner Absicht auch die heilige Inspiration! Wohlan, singen wir im göttlichen Wahnsinn die Schönste der Frauen! Freude dir, du Gipfel, schwer ersteigbar den Menschen! Freude dir, du Tiefe, schwer erschaubar den Engeln! Freude dir, du Thron des ewigen Königs! Freude dir, du Trägerin dessen der hält das All in der Hand wie einen Apfel! Freude dir, du Luna, die spiegelt den Sol justitiae! Freude dir, du Mutterschoß der Fleischwerdung Gottes! Freude dir, du Anfang der neuen Schöpfung! Freude dir, in der der Schöpfer ein Embryo geworden! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, in den unergründlichen Rat du Eingeweihte! Freude dir, du gewisse Ruhe der Ruhebedürftigen! Freude dir, du Vorspiel der Wunder Jesu! Freude dir, du schönste Weisheit der Lehre Jesu! Freude dir, du Himmelsleiter, auf der Gott selbst zu uns kam! Freude dir, du Regenbogenbrücke, die von der Erde zum Himmel führt! Freude dir, du von den Engeln besungenes Wunder und Meisterwerk des Schöpfers! Freude dir, du Entsetzen und Zittern der Dämonen! Freude dir, die du empfangen das Überlicht! Freude dir, du von allen Weisen unergründliche Weisheit! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, du Paradiesfrucht! Freude dir, du Aue der Barmherzigkeit! Freude dir, du Tafel der Weisung Gottes! Freude dir, du Garten der Wonne! Freude dir, du Heim der Seele! Freude dir, du Brautgemach des Christen! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, du unverwelkliche Blüte! Freude dir, du keuscher Flor! Freude dir, du Lebensbaum! Freude dir, du Kleid des Nackten! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte...) Freude dir, du tausendjährige Rose! Freude dir, du Apfel der Schönheit! Freude dir, du Duft des Menschheitsfrühlings! Freude dir, du Brot des Lebens! Freude dir, du Wasser des Geistes! Freude dir, du versiegelter Garten, verschlossener Born, Lustgarten Gottes! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! (Maria lächelte....) Freude dir, du Grenze der grenzenlosen Liebe Gottes! Freude dir, du Zusammenfall der Gegensätze! Freude dir, du Schlüssel des Paradieses! Freude dir, du Hoffnung auf die Schöne Liebe! Freude dir, du unvermählte Braut! Freude dir, du Kelch der Weisheit! Freude dir, du Brautgemach der Vorsehung! Freude dir, du Weisheit der Narren! Freude dir, du Muse der heiligen Dichter! Freude dir, du Sophia der Philosophen! Freude dir, du Königin der Apostel! Freude dir, du Braut der Patriarchen! Freude dir, du Erleuchtung aller Lebenden! Freude dir, meine jungfräuliche Braut! Freude dir, Christi jungfräuliche Braut! (Maria lachte sanft gedämpften Girrens...)



DAS GASTMAHL BEI NATHAN DEM WEISEN


Es war in einer milden Maiennacht im Mittelalter, da in Jerusalem, im Hause Nathans des Weisen, eines jüdischen Patriarchen, dieser zusammenkam mit seinen zwei Freunden, nämlich Al-Hafi, einem islamischen Derwisch, und Curd von Schwaben, einem christlichen Templer. Sie beschlossen, drei Nächte lang zu feiern, nämlich vom islamischen Freitag, über den jüdischen Samstag, bis zum christlichen Sonntag, und kräftig die Becher zu stürzen, denn sie waren alle gottestrunkene Männer, die den Wein liebten. Die Magd Nathans des Weisen hieß Daja, sie war eine siebzehnjährige, wunderschöne Christin, blutjung und bezaubernd. Sie schenkte den Wein ein und diente den Männern mit gesalzenen Mandeln.
Als erstes hob Nathan der Weise als der Gastgeber seine Stimme und sprach: Liebe Freunde, wir wollen trinken, bis wir zu tanzen anfangen. Aber der Wein sei voll der Wahrheit, denn die Wahrheit ist die Weisheit und die Weisheit ist Gott. Also wollen wir, um den Wein zu heiligen, Gott verherrlichen, und um Gott zu verherrlichen, den Wein heiligen. Wenn uns der Geist des Weines inspiriert, dann wollen wir in der bezaubernden Gegenwart der schönen Daja eine Lobrede auf die Gottheit halten. Ich schlage vor, daß am Freitag Al-Hafi Gott preist, am Samstag werde ich, Nathan, Gott preisen, am Sonntag soll Curd von Schwaben Gott preisen. Schließlich soll die schöne Daja als die Muse dieses Wettstreits dem den Kranz in die Locken drücken oder den Kuß auf die Lippen, der am schönsten von Gott gesprochen hat.
Die Männer waren einverstanden. Und so begann Al-Hafi in der Freitagnacht Gott zu preisen.

AL-HAFI:

Ich nenne mich einen Sufi, denn ich trage das wollene Gewand der Armut. Armut ist Mystik. Aber ein Sufi ist nicht nur ein Armer, nicht nur ein Wanderer und Asket und Beter, er ist ein innerer Mensch mit sieben Qualitäten und einer achten Qualität: Er ist großmütig wie Abraham, der seinen geliebten Sohn losließ, er ist hingebungsvoll wie Ismail, der sich geopfert hat, er ist geduldig wie Hiob, er lebt von Zeichen wie der stumme Zacharias, er ist ein Fremdling in der Welt wie Johannes der Täufer, er ist arm wie Moses, er ist ein Pilger wie Jesus und wahnsinnig wie Mohammed! Alle diese Heiligen sagen eines: Lasse dich selber los! Lasse ab vom tyrannischen Moslemstaat, von den Paschas und Patriarchen, lasse ab von den Herren des Geldes! Geh in die Wüste und suche Gott! Sei ein Wüstenvater, ein Eremit, ein einsiedlerischer Mönch, sei ein Bettler! Denn wir sind alle Bettler vor Gott, das ist gewißlich wahr. Ein Sufi besitzt nichts und wird von nichts und niemandem besessen. Ein Sufi zieht Gott allem anderen vor und wird von Gott allen anderen vorgezogen. Ein Sufi ist ein Safa, er ist ein Mensch der inneren Reinheit. Wer durch Liebe gereinigt ist, ist rein, wer durch den Geliebten gereinigt ist, ist ein Sufi. Adam war ein Sufi. Vierzig Tage war er einsam im Garten Eden, bis ihm Gott den Odem in die Nase blies. Ein Sufi trägt die Freude im Herzen auch in der Zeit des Kummers. In der Zeit des Kummers tanzt der Sufi und tanzt sich ekstatisch in die Vereinigung mit dem Geliebten, das ist der Höhepunkt der Glückseligkeit! In diesem Gipfelpunkt des Tanzes gibt der Sufi sein Ich auf, wirft es dem Geliebten zu und wird der Geliebte selbst! Gott ist groß und ist keiner außer ihm und Ich bin sein Prophet! – Daja, schenke mir ein vom verbotenen Wein!
Meine lieben Freunde, ich wurde in Afghanistan geboren. Als Kind sah ich das Nichts. Das Nichts war Liebe, war Alles. Tyrannen aber überzogen die Erde, Theologen verfolgten die mystischen Gottesfreunde. Mein Vater, ein mystischer Gottesfreund, sah in einer Vision die Schreckensherrschaft der Barbaren. Ich war in meiner Jugend ein eifriger Gottsucher und suchte einen greisen Mystiker auf. Er war ein Dichter. Auch ich ward ein Dichter. Wer kann von Gott reden als allein ein Dichter? Ich pilgerte nach Mekka und studierte die Lehren meines Vaters, der Plotin und Gregor von Nazianz studierte. Nach dem Tode meines Vaters lehrte ich den Koran, das schönste Gedicht der Welt. Nun verstand ich erst den mystischen Geheimpfad meines Vaters. Die Weltseele Plotins, die Weisheit des Heiligen Geistes von Gregor von Nazianz und der Barmherzige des Koran begannen einen dreifaltigen Tanz vor meiner Seele zu tanzen. Da stürmten die Tyrannen, Barbaren und Mörder unser Land. Aber zu jener Zeit traf ich meinen Freund, die Sonne des Glaubens. Er stellte mir eine Frage, die so ungeheuerlich klang, so blasphemisch, daß ich alle meine Gottesgelehrsamkeit in einem Blitz verlor, vom Kamel stürzte wie Saulus vor Damaskus und Gott sah! Da begann die große Liebe zwischen dem Schriftgelehrten und dem Derwisch. Die Liebe loderte so hell, daß ich alles andere vergaß. Ich saß zu Füßen des Meisters, des Geliebten, aß und trank nicht mehr und lebte allein von dem Manna seines Wortes und dem Tau seines Geistes. Er liebte mich so sehr, daß er die berühmtesten Theosophen Kieselsteine nannte im Vergleich mit mir, dem Rubin seines Herzens. Er nannte sich selbst: Der Liebende. Ja, er nannte sich: Der Pol aller Geliebten. Und ich stürzte wie die Sterne diesem Pol zu, in dessen Feuer ich brannte und doch nicht verbrannte. Die Theologen mißbilligten meine Liebe, weil ich den religiösen Pflichten nicht mehr nachkam. Auch kämmte ich Haare und Bart nicht mehr und wusch meine Kleidung und mein Geschirr nicht mehr. Ich lebte nur noch als Liebender des Pols aller Geliebten. Da verschwand der Geliebte plötzlich wie ins Nichts. Meine Seele wollte sich nicht trösten lassen. Ich war elender als der Psalmist, elender als Jeremias, elender als Hiob! Aber schließlich fand ich den Geliebten wieder und liebte ihn heißer und inniger als je zuvor! Aber meine Familie wurde eifersüchtig auf den Geliebten im Geist und ermordete ihn heimlich. Sie sagten mir, er sei ins Ausland gegangen. Mein Herz starb den Tod, aber auferstand als der Geliebte! Ich war nicht Ich mehr, ich war Er! Mein Herz war die Muschel, der Geliebte die Perle! Ich war der Mensch, mein Herz war Er! Ich war nicht mehr in mir, sondern Er war in mir! Nun lebte nicht mehr ich, sondern Er lebte in mir! Ich war verborgen in Ihm, Er war verborgen in Gott! Ich legte meinen Namen ab und wurde Träger Seines Namens.
Nun sammelten sich Jünger um mich, wir tanzten gemeinsam den Tanz der Ekstase! Auf den Todesfeierlichkeiten der Freunde tanzten wir die Tänze der Hochzeit! Wir wurden die tanzenden Derwische, die auf den Gräbern tanzten, die tanzten im Geiste Gottes, die tanzten mit Gott! Wir waren berauscht von Gott! Nun beteten nicht mehr wir selbst, sondern Gottes Geist betete in uns! Gott ließ Gebete in uns strömen und erhörte Seine eigenen Gebete! Unsre Gebete wurden in uns gebetet mit feurigen Zungen! Die Leute meinten, wir hätten vom verbotenen Wein getrunken. Aber dann ward das Gebet in uns – Stille. Ich ging in die Stille, wanderte durch das Schweigen und verschwand im Nichts. Als ich zunichte ward, da war ich nichts als Lobgesang zu Gottes Ehre! Ich hatte aufgehört, ein Beter zu sein, um die Anbetung selbst zu sein. Ich hatte aufgehört, ein Dichter zu sein, um das neue Lied des Mose vor Gottes Thron zu singen. Ich war Gottes durch das immerwährende Angedenken so inne geworden, daß ich aufgehört hatte zu sein, in Gott aufging, wo Beter und Gebet nicht mehr sind, nur noch Gottes ewige Gegenwart. – Daja, du bist schön! Schenk ein den Wein, du Schöne!
Daja, deine schönen Augen fragen: Was ist Liebe? Meine Schöne, du wirst es heute sehen, morgen sehen und übermorgen sehen. Heute werde ich getötet, morgen werde ich verbrannt, übermorgen streut man meine Asche in den Wind! Die Theologen sehen in mir einen Hexenmeister, einen Gotteslästerer. Sokrates war ein Gotteslästerer, Jesus war ein Gotteslästerer, Al-Hafi ist auch ein Gotteslästerer! Unsere Gotteslästerung ist die Lästerung der falschen Götter, denn wir lieben alle einzig den Einen! Er ist der Stein der Weisen, der unser Blei in Gold verwandelt, in ihm sind Feuer und Wasser, Königin und König, Er ist der Eine, der Zusammenfall der Gegensätze, das vollkommene Werk Seiner Selbst! Er ist Er und ich bin Er! Er ist die absolute Wahrheit und darum bin ich auch die absolute Wahrheit! Er ist Gott von Selbst und ich bin Gott durch Ihn! Ihr wundert euch, Freunde? Aber seht, so sprach Pharao auch, als er sprach: Ich bin der höchste Herr! Siehe, als Gott Adam erschaffen, forderte Gott die Engel auf, sich vor Adam anbetend niederzuwerfen. Aber Satan sprach: Ich bin besser als Adam. Gott hat Adam aus Lehm erschaffen, aber mich aus Feuer. Da sprach Gott: Hinweg mit dir, Satan, hinweg mit dir aus dem Paradies! Liebe Freunde, ich sage euch: Ich bin Er und Er ist ich! Ich bin der höchste Herr wie Pharao und aus Feuer geschaffen wie Satan. Wenn ihr Rechtgläubige seid, müßt ihr mich für diese Gotteslästerung steinigen! Die Gelehrten rufen mir zu im Gericht: Welches Kreuz willst du mit deinem Blut beflecken? Ich werde mein Kreuz mit meinem Blut beflecken! Aber vorher zog ich durch Indien, war bei Brahmanen, war bei Tantristen. Ich meditierte mit dem Kopf nach unten. Ich studierte die Lehre der Manichäer. Dann kehrte ich heim und pilgerte wieder nach Mekka. Siehe, ich bin der, den ich liebe, und der, den ich liebe, er ist ich! Schon schreien die Glaubenswächter, die muslimischen Inquisitoren verschworen sich im Hohen Rat, mich zu ermorden! Sie werfen mir vor, daß ich Tote auferwecke und Dämonen durch den Finger Gottes austreibe! Allen Rechtgläubigen rufe ich zu: Siehe, Gott der Erhabene fordert mein Blut von euch! Ich sage wohl die heiligen Worte des Buches und bete die heiligen Gebete, aber der Sinn, warum Gott mein Blut fordert, ist tiefer als heilige Worte und Gebete. Ihr werdet einen Märtyrer für die Wahrheit schaffen! Es gibt für die ganze Welt nichts wichtigeres, als daß ich als Märtyrer für die Wahrheit sterbe! Dann werden nicht mehr Gott und Ich sein, sondern nur noch Einer! Ich bin Nichts, Alles ist Er! Ich bin nicht mehr und Er ist nicht mehr allein Ich-Bin, sondern ich bin in Ihm und wir sind vereinigt ewig Ich-Bin! Ich bin dann Gott in Gott, denn Gott ist einzig und es ist kein Gott außer Gott!
Daja lächelte, sie war so unaussprechlich lieblich...

Am folgenden Tag, in der folgenden Nacht, der Nacht des jüdischen Sabbat, war eine Sabbatstille über Jerusalem, in der eine Nachtigall anhob, Gott zu besingen. Daja setzte sich auf den Boden zu Füßen der drei Männer. Sie hatte die Karaffe mit Libanonwein auf den Tisch gestellt, die Schale mit gesalzenen Mandeln daneben, sie hatte Kissen auf die Lager gelegt, auf denen die Männer lagen. Nun schaute sie aus dem Fenster und sah auf den Mond und lauschte Nathan dem Weisen, ihrem Patriarchen, der sich gemütlich in den Kissen streckte und anhob, Gott zu preisen.

NATHAN:

Wir preisen den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs. Es heißt nicht: Wir preisen den Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs. Denn obwohl der Gott Abrahams auch der Gott Isaaks ist und der Gott Abrahams, der Gott Isaaks auch der Gott Jakobs ist, so ist Isaak nicht gläubig an Abrahams Gott und Jakob nicht gläubig an Isaaks Gott und Abrahams Gott, sondern Abraham glaubt an Abrahams Gott, Isaak glaubt an Isaaks Gott und Jakob glaubt an Jakobs Gott. Er ist der Gott der Lebenden, Ihm leben sie alle. Er ist allen unmittelbar, so daß jeder sagt: Mein Gott!
Wißt ihr, Freunde? In früherer Zeit ging der Heilige, wenn er ein Wunder vollbringen wollte, an einen heiligen Ort, entzündete eine geweihte Kerze und sprach das meditative Gebet. In der folgenden Zeit entzündete der Weise, wenn er ein Wunder vollbringen wollte, zwar nicht mehr die geweihte Kerze, aber er sprach das meditative Gebet am heiligen Ort. Dann, wenn der Priester ein Wunder vollbringen wollte, so entzündete er nicht mehr die geweihte Kerze und sprach auch nicht mehr das meditative Gebet, aber er war am heiligen Ort. Schließlich, wenn der Dichter ein Wunder wirken wollte, so entzündete er keine geweihte Kerze, sprach kein meditatives Gebet und war nicht am heiligen Ort, aber er besang das Licht und das Wort und den Tempel. In dem Gesang solch einen Dichters ist mir Gott begegnet.
Da suchte ich Gott zu erforschen. Ich las den einen Meister der Überlieferung und dann den andern Meister der Überlieferung, und der eine sagte dies und der andere jenes. Aber als ich den einen Meister las, der dieses von Gott sprach, da vereinigte ich meine Seele mit seiner Seele, er sprach in meiner Seele, und sein Gotteserleben wurde mein Gotteserleben. Dann las ich den andern Meister, der jenes von Gott sprach, ich vereinigte meine Seele mit seiner Seele, er sprach in meiner Seele, und sein Gotteserleben wurde mein Gotteserleben. Und es war ein und derselbe Gott, denn es ist nur ein Gott, er ist Einer und Alles. Ich studierte die Weisung Moses, den Psalter und die Propheten. Dann studierte ich Talmud und Kabbala. Ich studierte die babylonische Magie, den Sufismus, den indischen Pantheismus und die Mystik der spanischen Barfüßer. Platon und Plotin erschlossen mir Idee und Sphären der göttlichen Selbstoffenbarung, Pythagoras das Geheimnis der Zahl, nach der der Kosmos geordnet ist. Ich studierte das Tao der Chinesen und erkannte, daß Gott männlich und weiblich ist und der Zusammenfall der Gegensätze in eins. Denn der Alte der Tage ist der Vater und die Einwohnung in der Schöpfung ist die Mutter, Er ist Gott-Geist und Sie ist Gott-Natur und in ihrer Vereinigung ist es die Eine überwesentliche Gottheit.
Der Mensch ist Gottes Bild. Gott ist aber glückselig, und darum ist der Mensch auch glückselig. Darum ist der wahre Weise der lächelnde Weise und der wahre Fromme der singende Fromme. Einmal fragte mich eine junge Frau nach dem Namen Gottes. Ich sagte: Die ganze Heilige Schrift ist der Name Gottes. Liebe Ihn, Er ist da, liebe Ihn und dann geh, und tu was du willst, geh in die Welt und putze den Kindern die Nase und liebe Ihn! Ich war im Sankt Katharinen.Kloster am Fuß des Sinai. Ich sprach mit den Mönchen dort über die Weisheit der Heiligen Schrift. Alle Meister waren beseligt von der göttlichen Weisheit. Ein Abbas des Klosters sagte mir: Das Studium der Gelehrsamkeit der Geheimnisse Gottes muß dich zu einem einfältigen Kinde machen, sonst ist all deine Weisheit Torheit vor Gott. Wenn du wirklich weise sein willst vor Gott, dann werde zum Narren der Liebe! Dann wird dir das Essen der Speise, das Trinken des Weines, das Baden deines Leibes, der Schlaf in der Nacht, das Tanzen zur Musik und die Erkenntnis der Geliebten zum reinen Gottesdienst, denn Gott ist Alles und Nichts, er ist überall und nirgends. Dann wirst du Gott in deiner alltäglichen Wirklichkeit erleben, in den Augen eines Kindes, in dem Lächeln einer schönen Frau, in der Hand des Bettlers, in dem Gesang der Nachtigall, in dem guten Gedicht, ja, selbst ein schillernder Schwarm Schmeißfliegen auf dem Kothaufen eines Hundes wird dir schön sein wie der Smaragd am Throne Gottes! Gott ist da! Dann wirst du von allen lernen, nicht allein von den Weisen, nicht allein von den Frommen, nicht allein von den reinen Herzen der Kinder, sondern auch von den Narren, den Gottlosen und selbst von den Satanssöhnen wirst du lernen, Gott anzubeten. Alles spricht von Gott. Jede Seele ist Thron Gottes, selbst die Seele des armen Sünders, der seine Seele dem Satan vermacht, selbst in ihm wirst du tiefer als seine Verdammnis die Schöpfermacht Gottes sehen. Denn Gott ist das Nichts, das allein Alles belebt, und ohne dieses alleinige Nichts ist das Alles nichts als ein Nichts. Alles ist geheimnisvoll und verborgen, Gott allein ist klar, Gott allein ist der Ich-bin-da!
Nathan nahm einen tiefen Schluck vom Wein, Daja schenkte ihm gleich nach, denn sie begehrte, weiter vom Patriarchen zu hören den Lobpreis Gottes.
Liebe Freunde, ich habe den Vater Elias geschaut! Ihr fragt mich, wie ich den Vater Elias schauen konnte, wo ihn doch der Rabbi der Synagoge nicht schaut? Aber seht, der Vater Elias ist der Engel des Bundes. Wird das Kind in den Bund aufgenommen durch die Weihe des Rituals, gewinnt es Anteil an der Seele des Vaters Elias. Er ist nämlich in seiner mystischen Ganzhingabe an Gott zur Seele des Bundesvolkes geworden. So ist in jedem Kind, das in den Bund aufgenommen wird, ein Funke von der Allseele des Vaters Elias gegenwärtig. Bildet das reifende Kind die Bundesseele des Vaters Elias in sich zur Gestalt, so erscheint ihm der Vater Elias, der in ihm war. Gute Werke der Liebe lassen die Offenbarung des Vaters gedeihen. Der Rabbi der Synagoge hatte nicht die Kraft, den Keim der Allseele gedeihen zu lassen. Wer sich Gott ganz hingibt, dem schenkt Gott die Gnade, daß seine Seele sich mit der Allseele verbindet. Nur der Tod des Ich bringt das Selbst, die Seele, in Verbindung mit der Allseele. Ist er aber in Verbindung mit der Allseele, erlebt er das göttliche Licht der Liebe nicht nur in seinem eigenen Innern, sondern in dem Innern jeden Menschenkindes, in dem Innern aller Schöpfung. Gott ist die Seele seiner Seele, aber Gott ist auch der Duft des Frühlings, aber Gott ist auch das Leid des Kranken. Ja, Gott ist auch die Seele der Seele der Sklaven Satans. Der Erleuchtete sieht, wie nahe die Sklaven Satans doch in Wahrheit Gott sind, nur durch einen winzigen Schritt getrennt. Dann wird die Seele trunken vom allgegenwärtigen Gott. David singt: Wie lieblich ist es, dem Herrn zu singen! Und ich singe: Wie lieblich ist es, den Gesang Gottes in der eignen Seele singen zu hören! Alles andre ist nur Schall und Lärm. Allein wenn Gott im Sänger singt, ist wahrer Gesang. Das ist der Gesang, der im All ertönt, das süße Lied, das in allen Dingen schläft. Du wirst ein Wahnsinniger, wenn du das Meer singen hörst und des Bettlers Hymne an Gott! Aber dein Wahnsinn wird Torheit der Liebe sein!
Daja summte ein Kinderlied vor sich hin, das ihre Amme ihr an der Wiege gesungen. Sie zählte dabei Mandeln in die Schale. Nathan schaute in den Kelch und betrachtete den Rubin des Blutes und sprach:
Ein Student der Theologie erzählte mir von seiner Begierde nach der göttlichen Weisheit. Jener sprach: Ich studierte den Pantheon Babels und Griechenlands, den Feuerkult der alten Perser, die Mysterien der Isis und die Hymnen an Aton, ich studierte Philosophie und Magie Chinas und den Asketismus und die Erotik Indiens, ich studierte Platon und Empedokles, ich studierte die Engellehre und die Äone der Gnosis und die Sprüche der apokryphen Evangelien. Aber nach jeder Pforte der Erkenntnis tat sich eine weitere geheimnisvolle Pforte auf. Auf eine gelöste Frage erschien ein neues Rätsel. Gibt es da ein Ende? So fragte mich der Student. Ich sprach zu ihm: Mein Sohn, es gibt ein Ende, das ist die jähe Einsicht. Die jähe Einsicht ist die Offenbarung. Du hörtest wohl, Frau Weisheit sei eine verschleierte Göttin. Du begehrtest, sie bloß zu schauen. Du möchtest sie entblättern Schleier um Schleier, Schmuck um Schmuck. Du begehrst, sie bloß zu schauen und dich in Erkenntnis mit ihr zu vereinigen. Siehe, eines Tages erkennst du, in den Gnadenstunde, im göttlichen Kairos erkennst du dies: Sie selbst kommt aus dem ewigen Geheimnis aller Geheimnisse, sie legt Kronen und Diademe ab, legte die Schleier einen nach dem anderen ab, entkleidet sich der Obergewänder und der Untergewänder und tritt ganz nackt in deine Todesfinsternis. Du suchtest sie, aber sie hat dich gefunden. Du wolltest sie schauen, aber nun schaut sie dich an. Du wolltest ihrer teilhaftig werden, aber nun geht sie selbst in dich ein. Da bist du durch die Pforte des Ewigweiblichen in das Geheimnis der Geheimnisse eingetreten, in das Ur-Geheimnis der Ewigen Liebe! Da singst du: O Du, o Du! Wo ich gehe, wo ich stehe, Du! In Freuden und in Leiden Du! In Licht und Dunkel Du! In Tod und Leben Du, nur Du, allein nur Du, einzig und immer nur Du! ICH BIN!
Daja schaute Nathan tief in die Augen, zu schauen dieses Du in ihm. Sie hoffte morgen noch mehr zu hören vom Geheimnis der ewigen Liebe.

Am dritten Tage, dem christlichen Sonntag, erwartete Daja gespannt den Lobpreis des Tempelritters Curd von Schwaben. Sie wußte, daß er in sie verliebt war... Der Templer bekreuzigte sich mit dem Signum der Trinität, tauchte eine salzige Mandel in den Weinkelch, verspeiste die weinbenetzte Mandel, als ob er Gott schmecke und begann zu sprechen.

CURD VON SCHWABEN:

Liebe Schwester! Liebe Brüder in Gott! Ich kenne einen Mann, der die Gläubigen in seiner Jugend mit dem Schwert verfolgte. Aber in einer Nacht sah er plötzlich Christus. Christus war das reine Licht, das in der Finsternis schien. Aber Christus war nicht das Licht des Tages, in dem alle Geschöpfe so deutlich sind und Gott so undeutlich ist, sondern der Mann erblindete sozusagen und sah die dichteste Nacht. Die Nacht war der Wohnort Gottes, Gott war die dunkle Nacht. Gott war das unsichtbare Licht in der dichten Nacht. Denn Gott ist nicht das sichtbare Licht, sondern das unsichtbare Überlicht. Wer das wahre Licht sehen will, der schaue in die dunkle Nacht. Wer schauen will, muß blind sein. Wer Gott schauen will, muß blind sein für alle Geschöpfe. Oh die verwirrenden und betörenden schönen Geschöpfe! Wer sie anschaut, wird blind für Gott. Wer mit den Geschöpfen redet, der hört das Wort Gottes nicht. Wer aber mit Gott redet ohne das Gleichnis eines Geschöpfes zu gebrauchen, der redet von der Bloßheit Gottes in der Nacht. Alle Bilder Gottes sind wie dichte Schleier. Gott legt die Schleier ab und ist bloßes Nichts in der Nacht. Alles ist ein Etwas, ein Etwas, das ein anderes Etwas nicht ist. Aber Gott ist Alles und Nichts. Gott ist die absolute Fülle der absoluten Leere. Alles ist ein Seiendes, darum ist Gott ein Nichts. Alles ist Nichts, darum ist Gott ein Seiendes.
Als ich so unaussprechlich ahnte das Geheimnis des Nichts, das das reine Sein ist, da träumte mir, ich sei Maria und wäre schwanger geworden vom unsichtbaren Licht und gebäre Gott in mir. Da sah ich nichts als Gott in meinem Schoß. Die Engel schauen wohl die überwesentliche Gottheit, die brennenden Schlangen der Seraphinen verhüllen Antlitz und Geschlecht und rufen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der himmlischen Scharen! Aber Maria spricht: O mein geliebter Sohn! Ich sah nicht Maria, aber ich war in Maria, daß ich Maria war und Gott gebar und sprach zu Gott: O mein geliebtes Kind!
Die Theologen sagen: Gott ist Vater. Aber wenn du den Vater siehst, so fällt Geschöpfliches in deine Seele und du siehst nicht die bloße überwesentliche Gottheit. Die Theosophen sagen: Umarme Gott als Geliebte. Aber wenn du die Schönheit der Geliebten schaust, so fällt Geschöpfliches in deine Seele, und du umarmst nicht das reine Sein in Ewigkeit. Erst als ich den Vater nicht mehr sah und auch nicht mehr die Geliebte in ihrer Schönheit betrachtete, sah ich das reine Nichts Gottes, das Alles ist. Da ich Gott sah, Gott in mir und ich in Gott, da liebte ich Gott. Da ich Gott liebte, der Liebe ist und nichts als Liebe, da liebte ich nichts außer Gott, da war in mir keine Liebe außer der Liebe Gottes. Als ich die göttliche Liebe liebte, da liebte ich erst in Wahrheit. Denn alle Liebe zu einem geschöpflichen Etwas, das nicht Liebe an sich ist, ist eine irdische Mischung aus Liebe und Haß. Allein die Liebe zur Liebe an sich ist reine Liebe und nichts als Liebe.
Daja flüsterte fast unhörbar den Namen Curd...
Wer ist Gott ohne mich? Geh ich verloren in Gott, so gewinnt Gott. Vereinigt sich Gott mit meiner Seele, so sind wir eine vereinigte Gottmenschheit. Ist nicht das Ziel der Selbstoffenbarung Gottes das Gottmenschentum? Ist das nicht die höchste Lust der göttlichen Liebe, ein Gottmensch zu sein? Gott begehrt mit der brennendsten Leidenschaft, sich der Menschheit zu vereinigen und ein Gottmensch zu sein!
Siehe, Er ist Gottmensch, er ist Christus! Er ist der Bräutigam und ich bin seine Liebe Frau, er ist der göttliche Eros und ich bin seine Braut Psyche! Oh, der Geliebte führte mich in die Nacht. Ich sah ihn nicht, ich fühlte ihn nicht, ich verstand ihn nicht. Aber der Geliebte liebte mich. Als er mich liebte, ward ich erfüllt von seiner Liebe. Ich war schön, weil er mich in Liebe ansah. Ich war nackt vor ihm, weil er mich erkannte. Als er mich liebte, ward ich eins mit ihm. Das war mein Liebestod, das Mitsterben seines Liebestodes. Das war das nächtliche Fest der Hochzeit. Er hatte mich durch die Hölle der Todesangst geschleift, durchs Fegefeuer der verschmähten Leidenschaft, bis ich im Paradies an seinem brennenden Herzen lag! Sein Herz war eine blutende Wunde, von Dornen gekränzt, mein Herz war auch eine blutende Wunde, vom Schwert durchbohrt. Wir vereinigten unsere Herzen und wurden ein einiges brennendes Herz! Dieses Herz war die Glückseligkeit der einigen Liebe Gottes! Dieses Herz war eine ewige Lust im Paradies! Ich liebte den Geliebten mit der ewigen Liebe, mit der er mich liebte, der Geliebte liebte seine Geliebte mit der ewigen Liebe, unaussprechlicher Liebe, brennender Liebe, einzigartiger und besonderer Liebe! Das war die süße Wollust der mystischen Vereinigung! Ich erhob mich vom Ehebett des Kreuzes, feucht vom Blut und Schweiß des Liebestodes, da sah ich den Geliebten: Er war Eins und Alles! Er war nicht mehr Er, Er war die Ewige Liebe! Die Ewige Liebe war der Berggipfel über den Wolken, die Ewige Liebe war die Lichtung im Fichtenwald, die Ewige Liebe war die einsame Insel im Salzmeer, die Ewige Liebe war der kristallene Strom in der Nacht, die Ewige Liebe war das Flüstern der Lenzluft, die Ewige Liebe war die Mutterstimme der dunklen Nacht, die Ewige Liebe war die Jungfrau in der Morgenröte, die Ewige Liebe war das trunkene Liebeslied, die Ewige Liebe war das einsame Wort: Ja, ich will! Die Ewige Liebe war in der Vereinigung, da die Ewige Liebe Sich Selber ganz hingab und in mir die Ewige Liebe zeugte!
Daja seufzte: Alleluja...

Die Männer lagen müde vom Wein in ihren Kissen und schlummerten. Daja ging einsam durch die Nacht von Jerusalem. Sie flüsterte: Gott, gib mir ein Zeichen! Siehe, Gott war nicht müde wie ein Mann, Gott gab ein Zeichen. Am Himmel erschien eine Frau, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen, auf ihrem Haupt eine Krone von Sternen. Daja flüsterte: Wer bist du, Schöne Dame? Du bist die Schönste aller Frauen! – Da sprach die Dame mit sanfter Stimme: Ich bin schön, weil ich liebe! Willst du schön sein, so liebe auch du! – Und Daja sprach: O Schöne Dame, in der Welt gibt es unterschiedliche Religionen. – Da sprach die Dame geheimnisvoll: Vor Gott sind die Menschen aller Religionen gleich. Gott herrscht in jeder Religion wie ein König. Es gibt nur einen Gott und einen wahren Glauben. Gott ist Liebe! – Und Daja sprach zu der Dame: O Schöne Dame, sag mir deinen Namen! – Da lächelte die Dame überaus lieblich und sprach mit süßer Liebe: Ich bin die Mutter des wahren Gottes!


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