[Inhalt]

PROSA

Von Peter Torstein Schwanke


I. IM ANFANG

„An den Abenden ging Gott mit ihnen spazieren, und sie verständigten sich still miteinander und ließen sich an ihrem Zusammensein genügen. Doch manchmal saß Gott neben ihnen... Er erzählte ihnen dann erneut die Geschichte, die sie nicht oft genug hören konnten: ...wie Er sein Werk mit seinen am meisten geliebten Geschöpfen gekrönt hatte - mit dem Mann und ... mit der Männin.“
(Evelyn Minshull)



1. Ewigkeit

HERR, ich bitte Dich um Deinen Beistand, Gott Vater und Sohn und Heiliger Geist, von heute an für die mir bestimmte Zeit, Dich zu besingen als den einzigen Gott, den einzig wahren und lebendigen Gott, der sich in Jesus Christus der Menschheit selbst offenbarte. Lieber Vater, ich will es nicht wie die Theologen machen, denn du hast mich nicht einen Theologen werden lassen, ich will es machen wie die Poeten, denn du hast mich einen Poeten werden lassen. Gob, daß alles in meinem Werk zur Ehre, zum Lob und zur Verherrlichung Jesu Christi geschieht. Das ist der Sinn meines Lebens und meines Werkes, die Verherrlichung Christi, den ich liebe von ganzem Herzen.
      Die Weisheit, die wirkliche, wirkende Weisheit, spielte wie ein Kind vor dem Höchsten. Und die Weisheit war die Schwester des Geistes, und dieser Geist war die Liebe zwischen dem Ewigen Zeugenden und dem Kind, der Weisheit, und das Kind war der Sohn, und der Ewige Zeugende war der Vater, der in der Ewigkeit zeugte aus sich selbst ein Anfangloses, aus-dem-Vater-Gezeugtes, ein Wesen, Ihm in allem gleich.
Und dies Wesen, das da sein Wesen war und sein innerstes Herz in einem schönen Wort zusammengefasst, das nennt man auf griechisch: Logos. Die Hebräer aber nennen es: Memra. Die Chinesen nennen es: Tao. Die Deutschen nun nennen es: das Wort.
Und Logos war schön, denn sein Vater war vollkommen, sein Zeuger war vollkommen, und das in vollkommener Liebe Gezeugte konnte nicht häßlich sein (allein im Sinne des Dichters: faire ist foul and foul is fair, so konnte es häßlich sein, denn es war die vollendete Schönheit, über allen irdischen Begriff hinaus schön). Nicht häßlich ist Liebe, sondern die Liebe ist lieblich, und Lieblichkeit ist schön. So ist, was aus der Liebe kommt (und Gott ist Liebe) lieblich und schön. Und das ist meine Lilie des Zeugnisses.
Schön war Logos und in allem das vollkommene Ebenbild des Angesichtes des Vaters, sein Einziggeborener, der nicht geboren ward, sondern gezeugt, der Anfanglose, allein aus einem Vater, ohne eine Mutter, nicht Geschöpf wie die Engel und Menschen und andern Kreaturen, sondern ewig und derselbe Gott. Was ein Mensch zeuget ist Mensch. Was Gott zeuget ist Gott. Und Gott zeugte Gott, und Gott liebte Gott, und die Liebe Gottes zu Gott selbst, ist Gott, denn Gott ist die Liebe. So ist Gott der Liebende, Gott der Geliebte, Gott die Liebe.
Und der Liebende gab sich seinem Geliebten als der Vater dem Sohne, und die Liebe, mit der der Geliebte den Liebenden liebte (denn der Geliebte war der Liebende) war der Geist der Liebe. Und darum nennt man Gott auch den heiligen Geist der Liebe.
Denn die Liebe war heilig, ist heilig und wird immerdar heilig sein, denn sie ist vollkommen und ohne Schuld, ohne Fehl und Makel, ohne Finsternis, denn die Liebe ist ein schönes Licht, ein liebliches Licht, ein heiliges Licht, als welches man es auch Herrlichkeit nennt, denn es ist ein Licht von Majestät und Schönheit und reicher Pracht.
Darum heißt es: Deine Stimme ergeht mit Macht / und deine Stimme ergeht mit Pracht. (Darum auch ist Gott der Erzvater aller Poesie der Liebe. Darum ist der Geist der Liebe, der Heilige Geist, des Minnesangs Erzvater, und er sang das Liebeslied der Liebeslieder und das schmachtende Seufzen - voller Lob - des Mannes, der da „der Geliebte“ hieß.)
Und Gott reimte darum Pracht auf Macht, da er prächtig war in seiner vollkommenen Vollmacht. Und Gott reimte darum Leben auf Weben, weil er der Lebendige war, der bis auf den heutigen Tag webt in Geisteswirkungen. Und Gott reimte darum Stangen auf Fangen, weil er, der Leidenslose, leiden würde um unsres Heiles willen.
Und Gottes Wille ist der Wille zur Seligkeit und Glückseligkeit und zum ewigen Heil, darum ist sein Wille heilig, und sein Wille ist heilig, weil er der Wille des Heiligen ist, und sein Wille ist rein und heilig, weil es der Wille der Liebe ist, der heiligen Liebe. Und nichts wird er wollen noch je wollen können was außer der Liebe ist, denn sein Wille ist Liebe, sein Herz ist Liebe, sein Geist ist Liebe, und sein ewiges Poem der Liebe ist der menschenliebende Logos.
Diesen will ich mit schönen Worten besingen, denn er ist der schönen Worte würdig, weil er der Herr der Herrlichkeit ist und der Schöpfer der Schönheit. Ja, er ist des Preises würdig, denn er ist der Würdige, der Erhabene, der in sich selber ruhte zu sein in ewiger Ruhe und war in gleicher Ewigkeit zeugend wirksam.
Diesen will ich anbeten, denn er ist der Anbetungswürdige. Genügt es nicht, daß geschrieben steht: Gott ist Liebe!? Wer anders sollte Anbetung verdienen, als der die Liebe ist? Unser aller abgrundtiefste Sehnsucht ist die Liebe, unser, die wir vor Grundsteinlegung der Welt im Herzen Gottes waren, im Schoß des Schöpfers, im Gedenken seines Geistes.
Er sah alles voraus, da er die göttliche Weisheit ist und immerdar sein wird, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er ist allwissende Weisheit, und kein Geheimnis ist ihm zu tief, nicht einmal das Geheimnis der Tiefe der Gottheit (und was wäre so tief wie die Tiefe der Gottheit?) denn der Geist, der Gott ist, ergründet die Tiefe der Gottheit. Dies vermag der Geist, denn er ist Gott innewohnender Gott von Gott.
Siehe, er ist Ein Gott!
Siehe, er ist der Dreipersonale!
Siehe, er ist drei Personen in Einer Göttlichen Natur!
Oh Gott, anbeten will ich dich wie in meiner ersten Stunde im Reiche des Lichtes, und darum laß mich Anteil haben an deiner Weisheit, die vor deinem Throne - spielte! als Kind! Und auch ich bin Kind und will spielen. Oh laß mich trinken von den Brüsten der Weisheit Erkenntnis um Erkenntnis. Das weißt du, daß ich ein Kind im Glauben bin, im Glauben, nicht im Schauen, ein Niemand noch im Schauen, aber einst ein vollkommener Mann im Schauen, wenn ich schauen darf Dein Angesicht, Allerschönster!
Gott, laß mich mit Hilfe deines Geistes der Erkenntnis die Weisheit selbst erkennen tiefer und tiefer, die dein ewiger Sohn ist. Deine Weisheit, o Gott, ist das Wort, das bei Gott war und Gott ist und unter uns wohnte. Und der Geist des Wortes wohnt in meinem Herzen. Durch den Geist des Wortes wohnt das Wort in meinem Herzen und durch das Wort wohnt Gott in meinem Herzen. Liebe und Wahrheit und göttliche Weisheit wohnen in meinem Herzen. Oh, Herr! das ist mir zu wunderbar!-
Du bist die Liebe, allmächtiger Gott, der du Recht zu allem hast, denn du bist die Gerechtigkeit selbst. Es gibt keine Ungerechtigkeit bei dir oder in dir, denn du bist die Wahrheit und ohne Fehl und Schuld. Denn du bist ein heiliger Gott, ein reiner Gott. Du bist das ganze, allumfassende Geheimnis, du bist der Einzige und ein einiger Gott.
Untrennbar bist du der Vater, der Logos, die heilige Liebe. Untrennbar bist du das Licht, die Seligkeit, das ewige Heil. Untrennbar bist du die Freiheit, der Trost, die herrliche Schönheit.
Dreiperonaler Gott, du, o Trinität in Union, sei angebeten von mir in alle Ewigkeit!
Vater, lehre mich durch den Beistand deines Heiligen Geistes, der der Geist deines Sohnes ist, ob du im Nichts lebtest? Wenn aber ein Nichts gewesen wäre, in dem du lebtest, dann wäre ja auch noch etwas anderes gewesen als du, nämlich das Nichts. So aber war weder Nichts noch Ichts, sondern allein Gott.
Und Gott hatte sein Zuhause in Gott selbst, denn er ist der Zufluchtsort, der Hort, die Burg. Gott ist sich selbst Heimat, denn der Sohn wohnt durch den Geist im Herzen des Vaters, und der Vater wohnt durch den Geist im Herzen des Sohnes, und der Sohn und der Vater lebt im Geist, der Gott ist. So ist Gott in sich eine ruhende Ewigkeit.
Es gab auch keine Ewigkeit als eine lange, wenn auch sehr lange Folge von Jahren, sondern es gab nur Gott. Und Gott bewegte sich, denn er bewegte sich vom Vater zum Sohne, doch die Bewegung geschah nicht im Raum, denn es gab keinen Raum, sondern im Geist, denn es war nichts als Gott allein.
Hallelujah, Gott, ich will dich loben, dich, den ich meinen Herrn und Gebieter nenne! Gott, mein lieber Vater, gewähre mir, mehr und mehr das Wesen deiner heiligen Liebe zu ergründen, deiner ewigen Liebe, denn da du die Liebe bist, bist du, o Ewiger, die ewige Liebe.
Und du hast deine Liebe offenbart, indem du offenbart hast, wie der Vater den Sohn liebte. Immer in deines Herzens Allerheiligsten lebte der Sohn. Immer ließ der Vater dem Sohn den Segen und die Salbung des Heiligen Geistes zufließen, es war ein ewiger Fluß vom Vater zum Sohn, denn in Ewigkeit, vor aller Zeit, zeugte der Vater den Sohn, darum gab es auch keine Zeit oder Ewigkeit, in der der Sohn nicht wäre gewesen. Und Zeugen ist das Wesen deiner Liebe, denn der Zeugende gibt vom Eigenen dem Gezeugten, und deine Liebe ist ein unendliches Geben, darum ist Geben seliger als Nehmen. Und Seligkeit ist der Kuß deiner Liebe, der Kuß des Geistes, der Kuß der Liebe auf den Mund des geliebten Sohnes. Und Seligkeit ist das Anschaun deines schönen Angesichtes, o Gott, und niemand sah noch den Vater, als nur der Sohn, und wer den Sohn sieht, sieht den Vater, denn der Abglanz deiner Herrlichkeit und Ausfluß deines Lichtes, o Vater, ruht auf dem Angesicht des göttlichen Sohnes. Darum begehre ich, o Herr, dein Angesicht zu schauen, denn dein Angesicht zu schauen ist der Quell der ewigen Glückseligkeit!
(Gott vergebe mir die Torheit meiner Erkenntnis!)
Und der Sohn liebte, liebt und wird in alle Ewigkeit lieben den Vater, denn er gab sich ganz hin, seine Liebe war völlige Hingabe. Und der Sohn vollzog den heiligen Willen des ewigen Vaters, denn er erkannte, daß der heilige Wille des ewigen Vaters der heilige Wille der ewigen Liebe war und ist und ewig sein wird! Voller himmlischer Harmonie war das Herz Gottes gestimmt, und die Harfe des Herzens Gottes spielte die Weise der Liebe.
Und der Liebeskuß des Geistes ruht auf den Lippen des Sohnes, über welche Anmut ausgegossen war, und das Herz des Sohnes schlug am Herzen des Vaters, und der Geist war innigst verbunden mit dem Vater, war inwendig in dem Sohne.
Und der Geist erkannte die Tiefe der Gottheit, denn er war der Geist aller Erkenntnis. Und die Fülle der Erkenntnis war in dem Sohne, und der Geist nahms vom Sohne und gabs durch den Sohn dem Vater wieder. Und der Geist war der Geist des Dienens, denn der Sohn war ein Diener, denn Liebe heißt dienen.
Gott vergebe mir, wo ich nicht würdig genug anbeten kann! Gott vergebe mir, wo meine Worte von der göttlichen Wahrheit des wahren Glaubens abirren! Ich bin Hauch, Staub, ein Geschöpf, eine Blume, ein bald welkes Gras. Aber Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit ein und derselbe, der dreipersonale Eine Gott!
Du bist Licht, und in dir ist keine Finsternis, du wohnest in einem überaus unzugänglichen Lichte, und der Sohn ist der Ausfluß und Abglanz dieses Lichtes in solcher einzigartiger Weise, daß er selbst das Licht heißt. Du bist rein, und in dir ist nichts Böses. Du bist die Liebe, und in dir ist kein Haß auf irgendein Geschöpf deiner Liebe.
Du bist ein guter Gott, ja, niemand ist gut als Gott allein. Du heißest: der gute Meister. Und in deinem Gutsein ist beschlossen die lauterste Güte. Darum war und ist in deinem ewigen Reiche nur die Güte wirksam, die Reinheit, das Gutsein, die Liebe. Du bist so gut, daß du die Lüge nicht kennst, und alle deine Verheißungen sind wahrhaftig, und treu stehst du zu ihnen. Denn du bist der Gott der Wahrheit, und dein Sohn ist die Wahrheit, und dein Geist heißt der Geist, der in alle Wahrheit führt. Da du wahrhaftig und wahrhaft und wahr bist, bist du auch vertrauenswürdig. Darum komm ich mit meinem Vertrauen vor dich und verehre dich. Denn dich ehren, ist die Quelle des Heils. Du heißest der, der da das Heil bringt, der Heiland, der da rettet und Seligkeit bringt mit seinen durchbohrten Händen!
O Vater, deine Seligkeit besingen, das wollt ich gerne, dazu hilf mir bitte durch den Beistand deines Heiligen Geistes! Deinen Sohn hast du bestimmt zu leiden, um die Seligkeit für deine Geliebten zu erringen. Die Seligkeit aller derer, die du schaffen wolltest, lag dir an deinem Herzen, so sehr, daß du dir deinen eigenen Sohn vom Herzen rissest, wie der Pelikan sich sein Herzblut herausreißt für seine Jungen, um Seligkeit zu erringen für die Geliebten. Denn du wolltest und willst sie ewiglich an der Seligkeit deines Herzens teilhaben lassen.
Und dein Herz ist voller Seligkeit, und dein Herz zu kosten, heißt das Glück zu kosten, und dein Angesicht zu schauen, heißt die ewige Glückseligkeit. Überschwengliche Freude verheißest du denen, die in dir leben, in deinem Geiste und auf den Spuren deines Sohnes wandeln, ihnen verheißest du: Ihr werdet euch noch freuen! und den treuen Knechten: Gehet ein zu eures Herrn Freude!
Dich schauen, o Herr, von Angesicht zu Angesicht, heißt überfließende Freude schöpfen aus dem Born des ewigen Lebens, heißt trinken den Wein der ewigen Glückseligkeit, heißt sattwerden an den Früchten von den Bäumen unsterblichen Jubels, heißt ewig zu genießen das Manna der himmlischen Wonne!
Das Leid ist für die Zeit des Wimpernzuckens, aber Freude und Glückseligkeit sind die ewige Schau, Aug in Auge, da wird kein Leid mehr sein, kein Weinen aus das Weinen von Freudentränen, kein Schreien außer der Jachzeschrei der Glückseligkeit, dann wird es, wie am ersten Tag des Paradieses: Wonnen über Winnen tränken uns wie Ströme der Glückseligkeit, sie strömen direkt aus dem Bronnen deines Herzens, o Jesus, es sind ströme deines alleinseligmachenden Blutes!
Herr, du bist das Wort Gottes, die Lateiner sagen: das Verb, das ist den Grammatikern das Tu-Wort, denn in dir offenbarte sich die mächtigste Tat Gottes, die Erlösung und Errettung vieler. Du bist das Wort, der ausgesprochene innere Sinn des Herzens Gottes. Du bist das Wort, der manifest gewordene Gedanke des Geistes Gottes. Du bist das Wort, vollendeter Ausdruck der Seele des Vaters, die ganze Liebe des Vaters ist in dir beschlossen und ausgedrückt.
Du bist das Wort, das Liebeslied Gottes, die vollkommene Liebeslyrik. Wie der Dichter in einem Wort seinen Gedanken ausspricht, seinen Geist formuliert, so tat es Gott im Logos; denn Gott ist der Erz-Poet, und Jesus ist sein Opus der Liebe, Jesus ist der Ausdruck der Liebe des Vaters, der Liebe des Vaters, die er zu seinen Geliebten hat. Der Satz, der den Logos ausdrückt, lautet: Gott ist Liebe, oder: Ich hab dich je und je geliebt.
Vater, du trägst den Titel El Shaddai, das ist der, an dem mein Geist und meine Seele und mein Leib Genüge hat, du bist der: Genug. An dir hat mein inwendiger Mensch sein Genüge, und gerade in dieser Zeit, da ich Mangel leide, bist du mein Ein und Alles. Da ich die Kreatur entbehren muß, bist du der, der mich erfüllen möge mit seinem Geist der Liebe.
Herr, ich begehre deine Herrlichkeit mehr als die vergängliche Herrlichkeit eines schönen Geschöpfs, denn ich erkannte: Gott ist vielmal größer als alle seine Geschöpfe zusammen, Gott ist vielmal schöner als sein schönstes Geschöpf. Ich weiß nicht, welches Geschöpf sein schönstes Geschöpf ist, und angenommen, es sei der Mensch, welcher Mensch ist denn der schönste Mensch? Aber ein Geschöpf weiß ich, das in meinen Augen sehr schön ist, und ist doch nur des Grases Blume und muß bald davon, ist nur Hauch und Staub und weht dahin, und muß vielleicht, wie Stroh, ach, ins Feuer! Erbarme dich, Herr, des schönen Geschöpfes!
Und nun, was soll ich sagen, Herr? Ich steh an einer Weggabelung, da stehen zwei Wegweiser, und auf beiden steht: der Weg schmerzlicher Leiden! Und ich habe einen Weg zu gehen, ich weiß, der rechte Weg, der Weg der Tugend und des Gehorsams, ist der Weg des Willens Gottes, aber auch dieser erscheint mir als ein Leidensweg.
Darin will ich dir aber gehorsam sein, daß ich den Weg beschreite, und deinen Geboten folgen, die mir diesen Weg weisen. Ich will, wie du es geboten, mein Kreuz auf mich nehmen und es tragend den Weg schmerzlicher Leiden beschreiten und es tragend dich preisen und verherrlichen, o du herrlicher Gott!
Du wirst mit mir diesen Weg der Schmerzen gehen, wirst dich unter mein Kreuz stellen und mir tragen helfen, so daß ich dein Joch trage, und es ist leicht, und die Trübsal ist zeitlich und vergänglich, und die Trübsal ist leicht im Vergleich zur ewigen Glückseligkeit, die bei Gott ist, an der ich teilözuhaben erhoffe im Glauben an den Retter, den ich zu schauen sehr begehre! Hallelujah an dem Tage der Schau!
Herr Jesus, du Licht vom unerschaffnen Lichte, selber unerschaffnes Licht, gezeugt vom Gott des Lichtes, komm mit deinem Licht in meine Dunkelheit! Herr, du verheißest denen, die dir vertrauen, daß die Tautropfen deiner Gnade ihre Wüste zu einem Garten macht, daß ihre Seele wie ein bewässerter Garten blüht und Frucht bringt!
Und der Heilige Geist sprach mit leiser sanfter Stimme zum Vater: „Was sinnest du? Ich weiß wohl, was du sinnest.“ Und der Vater sprach mit einer Stimme wie lindes Wetter: „Ich sinne, eine Schöpfung zu schaffen.“ Und der Sohn sprach mit mildem Tone: „In mir und durch mich willst du eine Schöpfung schaffen, Vater?“ Und der Vater antwortete dem Sohne: „Das ist mein Wille, durch mein Wort eine Schöpfung zu schaffen, und es brüte der Geist überm Chaos.“
Und der Heilige Geist sprach: „Herr, du weißt, wie die Dinge kommen werden, denn du bist der Allwissende.“ Und der Vater sprach: „Ja, ich weiß, daß meine Geschöpfe mich verlassen werden.“ Und der Sohn sprach zum Vater mit der Stimme des Heiligen Geistes: „Und du wirst sie zu dir zurückholen durch die Erlösung.“ Und der Vater lächelte, wie umwölkt: „Mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, ich werde dich drum opfern müssen und hingeben an den Tod.“ Und der Heilige Geist fragte den Vater: „Ich ich werde erwecke als Geist des Lebens den Sohn?“ Und der Vater bestätigte: „Ja, Gott der Sohn, das Leben selbst, wird auferstehen aus dem Reich des Todes.“
Und der Sohn lächelte und sprach zum Vater: „Vater, du siehst die Geliebten, die du mir geben wirst.“ Und der Vater lächelte und seufzte: „Ach, ich habe solche Sehnsucht nach meinen Kindern!“ Und der Heilige Geist fragte den Sohn: „Lieber Sohn des Vaters, du wirst mich senden zu den Kindern des Vaters?“ Und der Sohn sprach erhabner Stimme: „Ja, geliebter Geist, ich werde dich senden vom Vater her mit Sausen und Brausen, daß du wohnest in den Herzen der Kinder.“ Und der Heilige Geist sprach zum Sohn: „Ich leite sie zu deiner Verherrlichung.“ Und der Sohn erwiderte: „Ja, verändere sie, auf daß sie mir ähnlich werden und werden vollkommene Ebenbilder der Gottheit.“
Und der Vater sprach: „Du willst ihr Meister und ihr Führer sein, und wohinaus?“ Und der Sohn sprach: „In ihrer himmlischen Heimat mögen sie alle, die du mir gibst, zu deinem Lobe und Preise ewig sein! Ich werde sie dir zurückgeben, Vater, dann sei Gott alles in allem.“
Und der Vater und der Sohn und der Heilige Geist sprach: „Amen, Amen.“


2. Die Schöpfung

Am Anfang der Schöpfung breitete Gott durch sein Wort den Himmel der Himmel aus wie einen bunten Teppich, und gründete auf dieser weiten elysischen Flur einen herrlichen Palast, der kein Ende nahm. Und es ward das Vaterhaus Gottes, und er wohnte darin und erleuchtete dasselbe durch seine überaus schöne Herrlichkeit.
Und keiner der zu schaffenden Menschen, die auf Erden leben sollten, sah dies Vaterhaus Gottes je bisher, aber es mußte herrlich sein, denn Gott selbst wohnte in Pracht und Majestät. Und es war ihm nicht genung, denn der Himmel der Himmel konnte nicht fassen die herrliche Schönheit Gottes, also daß diese überfließend und überquellend war und sich ergoß in weiteren Schöpfungen nach seinem Herzen.
Und er schuf den nächsten Himmel durch sein Wort, er sprach und er war da, und es war ein Himmel, der trug den Abglanz seiner herrlichen Schönheit, und es war das Heiligtum. Gottes Palast aber war das Allerheiligste, in welchem Gott und das Lamm wohnte. In dem Heiligtum des nächsten Himmels aber lebten, die er geschaffen durch sein Dichten, die Himmlischen, welche fast so schön wie Gott.
Und die Himmlischen sahen auf von ihrem Himmel zum Himmel des Himmels, und sie sahen eine überaus edle herrliche Schönheit das Wohnhaus Gottes erleuchten, und es war eine so strahlende Schönheit, daß es ihre Augen blendete. Darum verhüllten sie ihre Augen mit den Flügeln. Sie verhüllten die Augen mit den Flügeln weniger vor dem Palast der Himmlischen Unendlichkeit, als vielmehr vor der Schönheit Gottes selbst, denn sie konnten die schmerzlich-schröckliche Schönheit Gottes zu schauen nicht ertragen!
Aber sie dienten ihm allezeit und verehrten ihn und hoben ihre weiteren Flügel, mit denen sie nicht ihre himmlischen Augen erhüllten, sie hoben ihre Flügel auf zum Himmel der Himmel, hoben ihre Flügel auf zu Gott, ihn zu preisen mit Lobgebärde.
Und ihre Flügel waren bedeckt mit tausend Augen, wie Schmetterlinge, denn auf alle Arten und Weisen suchten sie Gott zu erkennen, wie er sie erkannte, und sie suchten ihn zu schauen, und schauten seinen Sohn, der war der Herr der Himmlischen Scharen, und sie nannten ihn Zevaoth, den Gott der Scharen von heiligen Himmlischen!
Und Gott war schöpferisch gesonnen, da schuf er den dritten Himmel, und es war der Himmel der Erde. Der war ebenfalls ein schöner Himmel, von einem sanften milden Licht, denn Gott schuf das Licht. Er schuf, um das Licht zu unterscheiden und die Zeit zu erschaffen, auch die Finsternis.
Und das Licht war überuas kostbar und leuchtender als die schönsten Edelsteine, weißer Onyx und blauer Lapislazuli und lichtgrüner Smaragd, oder als Lampione aus Elfenbein und Pergamentpapier. Und das Licht war süßer als Honig und kostbarer als Gold. Und das Licht war das fließende Licht der Gottheit, summend wie Bienen, und es war Licht vom unerschaffnen Lichte, und es stieg herauf der Morgenglanz der Ewigkeit.
Und eie Finsternis war schwarze Nacht, und sie war wie schwarzer Samt oder Katzenfell, und es war eine Nacht ohne Mond und Sterne. Es war undurchdringliche Finsternis, und nichst und niemand war zu sehen. Nur der Geist wehte... Und Gott durchschaute die dichte Finsternis und sah ihr auf des Abgrunds Grund. Das war der Abyss.
Und Licht und Finsternis ebbten und fluteten wechselnd in harmonischen Wellen an dem Himmel der Erde.
Die Erde aber war öde Wüste, chaotische Leere, es war auf ihr ein Tohu und ein Bohu. Auf der Erde wohnte die unendliche Einsamkeit. Es war, als wäre schon der Tod gewesen, aber es war der Anfang der allerersten Schöpfung.
Weder entstand die Erde aus dem Lehm, den einer der Götter formte, noch ward das Chaos von einer Schlange umschlungen und befruchtet wie ein steinernes Ei, daß sie einen Affen gebäre, noch war die Erde selbst eine Göttin Mutter, und auch war geschaffen die Erde nicht von einem bösen Demiurgen, und schon gar nicht entstand die Erde aus Selbstbewegung und Höherentwicklung aus dem knallenden Nichts. Sondern die Erde ward geschaffen, weil Gott im Worte seines Sohnes sie schuf, durch diesen Logos: Jhehi! Und Gott rief mit unendlichen Donnern: Veni creator spiritus!
Und es kam der schöpferische Geist und schwebte auf dem Wasser. Denn die Erde in ihrer Ödheit war bedeckt von dunklen Urfluten, welche stürmten, brausten, wogten, brandeten und alles überfluteten, wie die Sturmflut von Baltrum Norddeich überflutet, als der Poet ward gezeugt.
Und es waren die Wasser der Tiefe, die Abgrundbronnen, die Ozeane der Erde, und die Wasser des Himmels, welche aus des Himmels Schleusen stürzten, vom König der Fischer geöffnet. Und der heilige Geist, er schwebte überm Wasser, wie eine Taube, und, wie manche Althebriden sagen, brütete.
Er ist ja die Taube, die der Vater zu seinem Sohne sandte mit dem Briefe: Ich hab dich lieb! Da darf man wohl auch sagen: Sie brütete, und er brütete aus dem Chaos die Schöpfung aus, da Gott wollt schaffen aus dem Nichts ein Ichts.
Alles Gute kommt von oben, und so kommt von oben der gute Geist, und was entstand, das war, siehe, gut! Da waren Himmel und Erde und Licht und Finsternis und die Wasser, über denen der weiße Vogel Gottes schwebte. Und es brach herein der schönste Morgenglanz der Ewigkeit, denn es war das erste Osterfest der ersten Liebe.
Und der Himmel der Erde und die Erde waren mit dem Vater erbunden durch einen himmlischen Weg, den die Himmlischen immer beflogen, mit ihren sechs Flügeln fliegend. Und sie bestaunten die Schönheit der Schöpfung und freuten sich mit ihrem Schöpfer, daß alles, siehe, von solch einer außerordentlichen Schönheit war.
Schön war das Licht des ersten Himmels, das Gott aus seinem lichten Herzen, sich ähnlich erschaffen hatte, es berührte die Seele wie Musik von goldenen Himmelsharfen, es floß wie die kristallenen Wasser des oberen Himmels, es leuchtete wie das Ariel-Feuer auf dem Altare des Himmels.
Und schön war die Schönheit der Dunkelheit, denn es war eine Dunkelheit wie Rabenfedern oder Salomos Haar, und es war eine Dunkelheit, die schließen ließ aufs unendliche Geheimnis Gott, der selbst noch tausend und abertausendmal unergründlicher ist als die geheimnisreichste Nacht der Erde.
Und reich an Schönheit war auch der Chor der Wasserfluten und der Geist über dem Wasser, die wie der Wind da wehten, denn Gott machte seine Himmlischen zu einem wehenden, raunenden Wind. Und sie sangen über den Wassern zusammen mit dem melodischen Rauschen der Wasser selbst, die in Harmonie eintönten mit den oberen und den unteren Wassern, und alles brauste wie ein Orgelspiel: Soli Deo Gloria!
Und die wunderschöne Kreation des Erdenschöpfers lag eingebettet in den Wassern, ein Embryo mit einer sanften Seele in der Mutter Fruchtwasser, und die Wasser waren angeblickt vom lichten Himmel.
Und in dem Himmel der Himmlischen entstand eine große Bewegung, ein Rauschen von Myriaden Schwingen, welche alle leuchteten mit ihren Abermyriaden Augen, und ein großes Chor entstand, ein Lob- und Freudengesang ging aus von den Anbetungsstätten der Himmlischen, welche Gott lobpreisten.
Gott hatte sie zu seinen Boten bestimmt, darum hießen sie: Engelinnen. Und sie waren nach oben bestimmt zu dienen durch Anbetung dem Allerhöchsten, und sie waren nach unten bestimmt, Botschaften von Gott an die schönen Kreaturen auszutragen und den Kreaturen zu helfen, den Kronen der Schöpfung, in Liebesgemeinschaft mit ihrem Schöpfer zu bleiben.
Und da sie nach oben ihren Lobpreisdienst verrichteten, tönten sie zu den goldenen himmlischen Harfen ein wunderschönes Werk von Freudengesängen, und sie sangen Jubel über Jubel, denn es begann das große Jubeljahr der Schöpfung.
Und sie verhüllten mit zween Schwingen die Augen (denn Gott war zu schön) und sie verhüllten mit zween Flügeln ihre Leiber (denn sie waren keusch) und sie hoben zween Schwingen zur Anbetung auf zum Himmel der Himmel, wo Gott war und ist und sein wird. Und sie priesen ihn mit allerschönsten Stimmen, welche nur Sterbende und Selige vernehmen. Und es flutete auf ihr Chrous zu Zevaoth!
Und die Lobpreisengel Luzifer, der Träger des himmlischen Lichtes, und Gabriel, der Künder, und Michael, der Erzritter, und Ariel, der Hüter des Altares, standen unterhalb des Thrones Gottes und priesen ihn mit herrlichem Lobgesang.
„Herr“, sprach der herrliche Luzifer, „du hast mich zu einem Engel der Freiheit gemacht, zu einem freien Engel, und ich will dir meine Freiheit darbringen zum Lobpreisopfer. Du hast mich zu einem Engel der Schönheit gemacht, zu einem herrlichen, und ich will preisen deine herrliche Schönheit, allmächtiger Gott!“
Weiter sang der schöne Morgenstern unter den Engeln: „Schöpfer der Engel und der Himmel, ein wenig herrlicher als ich bist Du, denn dein Thron ist um sieben Stufen höher als der heilige Berg der Versammlung der Himmlischen. Sei du mein Gebieter, denn du bist der Allerhöchste, hoch erhaben, würdig zu empfangen Lob und Preis von einem Engel, den du schön gemacht.“
Und Gabriel, der Bote des Wortes Gottes, der einst grüßen wird die Jungfrau Maria, hob an zu preisen den allmächtigen Gott: „O du Wort der Schöpfung, ich preise dich, weil du dich herabbegeben, eine Schöpfung zu schaffen von drei herrlichen Himmeln, einer wasserumgürteten Erde und schönen Engeln, demutvollen Dienern und geringsten Knechten.“
Weiter pries der Künder Gottes, der Herold des Herrn, das Wort Gottes: „Herr, in deiner weisheitvollen Vorsehung siehst du den Fall des Menschen, und mich erwähltest du, die Kunde von ihrer Errettung zu ihnen zu bringen. Dafür sei dir meiner Stimme Lob und Preis!“
Und Michael, der goldene Ritter unter den Himmlischen, pries mit einer Stimme, die geschliffen war wie das Schwert des Geistes und mächtig wie die Posaune des Jüngsten Tages: „Gewaltiger! Du bist meine Stärke, Herr, und ich hab dich herzlich lieb! Du bist der allmächtige Gott, der zu allen Tagen der Ewigkeit das Zepter in den Händen hält und die Kaisergewalt nicht niederlegt, die Regierungsmacht über die Universen, zu keiner Sekunde!“
Und weiter pries der starke und gewaltige Erzengel Gott: „Gott meiner Stärke, du weißt vom Kommen des Bösen, aber uns rufst du zum Streite gegen deine Feinde, dafür preis ich dich, o mein Gott, daß ich dir mit dem ganzen Einsatz meines Lebens als streitbarer Schutzengel deines tausendjährigen Friedens dienen darf, mit Schwert und Posaune, zu errichten das Reich der Himmel auf Erden, daß hereinbricht auf die arme Erde der Morgenglanz der Ewigkeit, ich darfs schauen, ich darfs schauen und dich anbeten!“
Und Ariel, die Glut der Seraphim im Blicke, pries Gott, der die Liebe ist: „O Vater, von Herzen lieb ich dich! Keiner ist so schön wie du, keiner ist so sanft und gütig und gnädig wie du. Du bist die preisungswürdige Weisheit, und dich zu lieben, Vater, ist niemals vergeblich und allein zum ewigen Glück, denn herzlich liebst du deine guten Engel und den Menschen, die zu modellieren willst.“
Und weiter pries Ariel Gott mit Feuer: „O Gott, welche Glut der Liebe hast du mir ins Herz gegeben! Das ist das Feuer deines Altares, Herr, und du selbst bist das Opfer, das sich in Liebe verzehrt wie in himmlischer Glut der Passion! Gott, in deinem Sohn erweisest du deine Liebe, der wird heißen: der Schönste der Menschenkinder! Und Gott, weckt nicht Schönheit Liebe? Aber du liebst auch die entstellten, verkrüppelten, blinden und lahmen Kreaturen, die aussätzigen, ekelerregenden, widerlichen, lästerlichen, ja gottfeindlichen Menschen, den du, du bist die Liebe!“
Und da war geworden aus Abend und Morgen der erste Tag der Schöpfung vollendet.
Guter Gott, ich möchte gern ein Lob der Wasser schreiben, und ich würde auch gern, so wie die alten Poeten es taten, die Muse dazu bitten, die Muse Melpomene.
Herr, ich danke dir für das Wasser, dies der vier Elemente, welches der Melancholien Element ist, denn die Melancholischen haben nah am Wasser gebaut. Und die letzten Tage war mir manchesmal zum Schluchzen und ich hätte gern das befreiende Naß in meinen Augen und auf meinen Wangen gespürt. Darum wird mir, dem Manne Tor (das ist hebräisch und heißt verdolmetscht Turteltaube) das Lob des Wassers zu einer Klage um Lilith, auf die zu verzichten mir herbe Schmerzen macht. Aber ich weiß, wenn ich leide nach deinem Willen, ich dafür Lohn der Seligkeit mehre, denn die die weinen, werden dereinstmal lachen!
Aber nun bin ich zu müd und matt zum Lachen, und näher steht mir melancholischer Dämmer und das traurige Denken an Lilith. Ich denke an sie - o Lob des Wassers - wenn ich meine fiebrigen Glieder bade, die so zerschlagen sind, daß sie im heißen Wasser vor Fieberschauern zittern.
Da denk ich an Lilith und sehne mich nach ihrem gütigen Beistand, aber du gabst ihre Güte einem andern Hirten, daß wir nicht zueinander kommen können, wie die Königskinder, zwischen denen sich ein tiefer Graben befand - o Lob des Wassers.
Da ich nun in den dunklen Wassern der Seele dämmre mit müder Traurigkeit - o Lob des Wassers - bitt ich dich, Herr, daß du mit dem stärkeren Elemente kommst, mit Feuer, mich wiederzubeleben, wie dein Sonnenfeuer das Jahr im Märzen immer wieder belebt, im Monden Abib.
Zum Zeichen dieser Hoffnung bekam ich von meinem Bruder heut ein Bündel weißer Tulpen. Aber du weißt auch, wie gern ich diese Tulpen weiterreichte an Lilith, daß sie sie mit Liebe ins Wasser stellte - o Lob des Wassers - oder lieber noch eine einzige rote Rose. Aber leider nein! Drum schluchz ich und ist mir weh zumute und meine Seele zerfließt wie ein dunkler Strom - o Lob des Wassers.
Und wie denn soll ich vergessen ihre Schönheit? Reden die alten Poeten von der Lethe, dem Fluß des Vergessens, der Psalmist auch vom Land des Vergessens, aber Dante spricht vom Fluß der Erinnerung alles Guten und Wahren und Schönen - o Lob des Wassers.
Reiße mich heraus aus dieses Elends tiefen Fluten - o Lob des Wassers - und diesen stillen Meeren der Traurigkeit, und scheide die Wasser der Melancholie und Depression von den Strömen der Wonne, und dann laß mich baden in dem erneuernden Bad der Ströme der Wonne, daß sie da mächtig brausen wie der hawaianische Ozean.
Herr, ich wüßte gern, ob du die oberen Wasser über der Feste, die du den Himmel der Erde nanntest, gesammelt zum Gericht über die Menschen, die du schaffen wolltest und von denen du wußtest in deiner Vorsehung - ach! daß sie fallen würden?
Waren die oberen Wasser bestimmt für die Sintflut, die Sündflut, die die Sünder hinwegschwemmen würde, alle Menschen bis auf den Einen und seine Sieben? O großer erschröcklicher Gott!
Herr und Vater, ich darf mir kein Bild von dir machen, sagt dein zweites Gebot. Und so leicht ist es, sich von dir ein Bild zu machen, als eines Despoten (der du nicht bist) oder eines allesversöhnenden Großvaters (der du auch nicht bist), sondern du bist ein einiger Gott, den wir Menschen auf Erden nie ganz erkennen werden, sondern für den Himmel ist uns verheißen, daß wir dich erkennen, wie du uns erkennst, vollkommen.
Aber du hast dich offenbart in der Heiligen Schrift, und darin hast du dich offenbart als ein Richter der Sünde, als einen zornigen Gott, der Adam aus dem Paradies mit Eva vertrieb, der die große Flut ließ kommen, der Israel nach Babylon ließ deportieren, und der, o Jesus, die Händler aus dem heiligen Tempel zu Jerusalem mit Peitschen heraustrieb und die Pharisäer nannte Otterngezücht: Wie wollt ihr sicher sein, daß ihr dem künftigen Zorn entrinnet? Und es wird kommen der Tag des Herrn, da ergehen wird der Zorn des Lammes, der da ausschenken wird in einem Taumelbecher den Wein des Zornes Gottes über die Völker und Nationen und Könige derselben und die große Hure.
Vater, so darf ich dich weiterhin nennen und will dir vertrauen, auch wenn ich dich nicht immer verstehe. Mit den gewaltigen Wassern über der Feste des Himmels hast du es niederschütten so lange, und die Wasser der Erde stiegen über die höchsten Berge sieben Meter, daß Sünder und Vieh darin ertrunken, bis auf die Gerechten, Noah und seine Familie in der Arche.
Und in der Arche des Glaubens an Jesus Christus ist es möglich, dem kommenden Zorn zu entrinnen, und in jenes Land zu kommen, wo der Gerettete wird wie Noah unter einem Weinstock sitzen, denn wir werden dort mit dem Herrn und Meister trinken vom Gewächs des Weinstocks, uralten, besten Wein beim Hochzeitsmahl des Lammes.
Von den Wassern will ich dir singen, o Lamm, du Retter meiner Seele!
Hat nicht der Regen, der in Friesland so oft darniedergeht, mich oft zuhause in meinem Zimmer sitzen lassen bei herbstlichen sauren Äpfeln, und ich vergrub mich in die schönsten Kinderbücher, daß ich die Welt der Phantasie bereisen konnte mit dem Segelboot meiner Seele?
Und wie schön war es auch heute, nach langer krankheitsbedingter Einsamkeit, der Gang durch die dunklen regennassen Labyrinthe der Innenstadt, da mit so viele wunderschöne Menschen entgegenkamen, anmutige Männinnen, die den Kragen hochschlugen gegen den nassen Wind?
Und hast du denn auch am zweiten Tag den Schnee gemacht? Wie herrlich ist doch der Schnee! So herrlich, daß er mit dem erscheinenden Christus, wie er selbst sich dem Johannes offenbarte, in Verbindung gebracht wird.
Und wie lieblich und überaus zart und anmutig ist doch der feinste Schneepuder oder Schneestaub auf den braunen Wimpern eines Mädchens, wenn es den Liebenden mit den flockigsten Bällen bewirft, lachend, und sein Herz verzaubert.
Der Schnee, wenn er die Landschaft einweißt, und wenn dann der Himmel blau und die Sonne weißgolden ist, er hat so einen schönen Abglanz von der Herrlichkeit Gottes, daß er zu Recht vom Seher als Christi Gewand geschaut ward. Und er kann nach langem grauen Regen des norddeutschen Dezembers im tiefsten Winter dann der Seele wieder etwas vom herrlichen Lichte geben, das unsre Seele so dringend braucht, und braucht nicht nur das Licht von Schnee und Sonne, sondern das Licht vom Lichte selbst.
Und wie schön wars, in Friesland am Deich spazieren zu gehn, durch das Maisfeld zum Deich, und dort die Nordsee zu sehn, die manche den Blanken Hans nennen, mir begegnete sie wie ein silbermatter Spiegel, in dem der alte grauhaarige Wolkenhimmel sich betrachtete und seine Falten mit Freude zählte. Und mir war sie wie das Land von kleinen weißhäutigen Meermädchen, welche auf kleinen schimmelweißen Seepferdchen aus schaumiger Gischt ans Ufer ritten, um dort mit den Menschenkindern zu spielen, daß die Mannen in ihrer Philosophie nicht Lebensfreude vergessen. Denn schöne Mädchen sind ein Quell von Lebensfreude.
Dies alles trifft die Gewalttat des zweiten Schöpfungstages nicht, gewiß, ich leb ja in gefallener Schöpfung, und die Wasser, die du, Herr, sammeltest und voneinander schiedst, die aren in nichtgefallner Schöpfung. Aber in der Schönheit der gefallnen Schöpfung liegt ein Abglanz und ein Vorschein heiler Schöpfung, wenn man mit Sehnsucht und Liebe des Herzens schaut.
Und mit Liebe zum Schöpfer vollendet sich der zweite Tag.
Du, Herr, sammeltest die Wasser des Euphrat, der am Ararat entsprang, die Wasser des Tigris, der das Zweistromland bewässerte, in dessen Fruchtbarkeit die Schrift entstand, und Gihon und Pischon strömten in Eden.
Du ließest entstehen den Quell der Donau, über welchen Hölderlin eine orgelnde Hymne dichtete, die mir, bevor ich dich kannte, Religion war auf dem Weg zu dir; und den Vater Rhein, den Strom der deutschen Märchenerde; und den Neckar, an welchem der Turm von Tübingen ruht.
Du ließest den Quell des gelben Vaters Ägyptens, des lotossäumigen Nilstroms, im Dunkeln, und ließest die Wasser sich sammeln zum schwarzen Niger. Die Amazone des Urwalds, den Amazonas, ließest du werden, und den herrlichen Jangtsekiang (den Blauen Strom) und den Huanghe (den Gelben Strom) und Majia-He im Reich der Mitte.
Die Rote See machtest du nicht rot. Das Mittelmeer ließest du schaumige Muscheln tragen. Du teiltest die See, wie man einen Apfel hälftet, und winktest auf dem Meer mit weißer Hand.
Du ließest werden Ems und Weser meiner Heimat, und die jadegrüne Jade Frieslands. Du ließest werden die Nordsee, mit dem warmen Golfstrom, und den Atlantik, den Stillen Ozean mit seinem pazifischen Frieden und die Indische See mit schönen fruchtbaren Inseln.
Du ließest sich sammeln die Thamis, wo der schwarze Schwan von Avon singen wird, die Mündung der brabantischen Schelde, wo der Schwanenritter erschien, und den Schwanenteich zu Norden, wo ein einsamer Poet in Trauer wandelte - bei den Trauerschwänen beschwör ich dich, Geliebte!
Und die Jungfrau Terra, rund wie das Schönheitsideal der Tang-Zeit, zog den Schleier der silbernen Wasser zur Seite und offenbarte ein herrliches Antlitz, schwarz wie eine schwarze Madonna oder schwarze Jade; mit Nasenbergen, Wangenhügeln, Augenteichen, Kinriffen, Ohrgrotten und Lippenwellen. Und die Stirn war umweht von rosigem Wolkenhaar. Und siehe, sie war schön. An ihrer Stirn trug sie ein Diadem, das heilige Land von Jerusalem, die Stadt des Morgensternes.
Und Terra trat, die schöne Jungfrau, wie eine meergeborene Göttin (gezeugt aus des himmlischen Vaters Liebe) mit einem Fuß an den schwarzen Sandstrand von La Palma. Und sie wanderte zum goldnen Sand der Sahara (die Erde war wüst) und zum Atlasgebirge, das den Himmel zu tragen schien wie ein Titane.
Und ihre Brust war der Himalaya. Und ihre Scham (und sie schämte sich nicht) der Jungfraunberg der Alpen. Ihre Finger waren die Five Mountains. Ihr Nabel aber, in welchem eine Perle ruhte, war der Merg Moria, denn er ist der Nabel der Welt, da dort der heilige Tempel des Allerhöchste würde stehn.
Schöpfer, Gott, du schufest wie ein Künstler, mit jedem Schritt des Werkes zufrieden und dennoch von kreativer Unruhe weitergetrieben. Ruhe fändest du erst, wenn dein großer Plan eines Schöpfungsromans in sieben Kapiteln zuende gebracht. Und auch ich will mich freuen an jedem Tag, den du werden läßt, und schaffen in meiner Dichterarbeit.
Auch du, Herr, tust bis auf den heutigen Tag deine Werke. Dennoch bin ich nicht wie du. Ich schaffe aus Vorhandenem, aus Geist und Natur, aus Kultur und Seele, aus Tag und Traum, aber du, o Gott, du schufest Himmel und Erde und alles Lebende aus dem Nichts.
Danke, Gott, daß du auf den herrlichen Gedanken gekommen, die Erde zu schaffen!
Und du, o Schöpfer, bist herrlicher und gewaltiger als deine Schöpfung von Himmel und Erde. Groß und herrlich bist du und nie genug zu preisen. In Ewigkeit wird mir der Lobpreis nicht enden, Herr, du Gott des Himmels!
Und den Poeten schufest du zu deinem Ebenbilde, du legtest schöpferisches Vermögen in ihn, gabest ihm die Gabe aus Gnade, kreativ zu sein, gabest Phantasie und Verstand und Glauben, dich als den Geber aller guten Gaben zu verherrlichen.
Himmel und Erde und Meere, sie scheinen mir wie ein Mythos, sie sind Fingerzeige und Hinweise auf die Wahrheit, sie sind nicht die Wahrheit selbst, sondern Schatten der Idee, denn du, o Jesus, bist die Wahrheit selbst.
Darum laß mich bei aller Mythe nicht vergessen, daß du mein Gott bist, mein Schöpfer und mein Erlöser und mein Tröster, und dir allein will ich alle Mythen opfern und sie zu Füßen deines heiligen Thrones im Himmel dankbar niederlegen.
Ach mein Gott! Mir schien, Gott sei ungnädig und hart, kalt und fern. Ich verzweifelte an der Wirksamkeit der Gebete, und meinte, Gott erhöre meine Gebete nicht. Aber dann warf ich mich weinend aufs Angesicht und betete: „Vater, Vater...“ Und ich bat den Herrn Jesus um seinen Trost, den heiligen Tröster. Und ich unterwarf mich Gott als sein Knecht.
Und Gott tröstete mich durch seinen Heiligen Geist, der in mir wohnt, Christus in mir. Und Gott sandte meinen Bruder im Herrn vorbei, der sagte, mein Dichten sei ein Sammeln von Schätzen im Himmel, denn ich tät es ja zu Lob und Ehre Gottes. Wer den Lohn nicht auf der Erde hat, der hat aber ewigen Lohn im Himmel, und dieser Lohn wird größer, goldener und süßer sein.
Darum preise ich dich, daß ich für dich leiden darf, leiden an meinem Leben, meinem armen Dasein, und dein Geist befeuert in mir die Sehnsucht nach deines Sohnes herrlicher Wiederkunft und der Entrückung in die Lüfte; dein Geist befeuert in mir die Sehnsucht, die heiße Sehnsucht nach dem ewigen Leben im Paradies, in der schönen Jeruschalajim, der hochgebauten Stadt. Ach, wär die Stunde da!
Dann wollt ich weiter dich preisen, aber besser, heiliger und vollkommener, denn du bist der Leiter meines Lebens, der Erlöser meines Geistes und Leibes und der Tröster meiner Seele und Gemütes. Du bist der Herr! Du bist die Majestät im Himmel, die Lobpreis verdient, und von der ich den Lohn allen süßen Trostes und herrlicher Glückseligkeit dankbar empfangen darf in der Stunde, da ich meinem Heiland gegenüberstehe.
Herr Jesus, ich grüße dich mit dem Kuß der Liebe, und ich bitte dich demütig, daß du weiterhin all mein Dichten leiten und erfüllen mögest mit deinem Geist, der mir sagt, daß alles, was lieblich und wohllautend und eine Tugend, bei mir sein soll.
Du schufest den Ozean des Nordens mit seinem eiskalten Glanz, seiner metallenen Härte und silbernen Unterkühltheit, mit seinen herrischen Fluten, seinem männlichen Brausen, wie einen kaltherzigen Frostriesen machtest du das nördliche Meer, wie einen rationalen Engländer oder einen germanischen Donnergötzen, der polternd durch die Eisweiten reitet.
Du schufest den Ozean des Südens mit seinen heißen Fluten, seinen fließenden Silberblicken, seinen geöffneten feuchten Wellenlippen, stöhnend vor Brunst, wallend vor Leidenschaft, schwülstig in seinem Aufwallen von stürmischen Gefühlen, welche branden wie ein Meer aus Feuer, eine wütende See der Leidenschaft, wie einen italienischen Poeten machtest du den südlichen Ozean, wenn er seine Madonna mit schluchzendem Mandolinenlaut besingt oder wie eine mittelmeerische schaumhafte Liebesgöttin, welche bloß und schön auf ihrer Muschel einherzieht.
Und mitten zwischen ihnen legtest du den Weg der Erde frei, den goldenen Mittelweg, und da gabest du der Erde Verstand und Gefühl, Leidenschaft und Vernunft, Poesie und Philosophie, Theologie und Minne, und du ließest über die Erde kommen drei Zeitalter der Sehnsucht: das Zeitalter der großen Mythe von der Insel der Glückseligkeit, das Zeitalter der Jungfrau süßer Minne und das Zeitalter der romantischen Natur mit der unendlichen Sehnsucht nach dem Ewigen.
Und auch ich, ich wandle auf dieser Erde, die ihre Sehnsucht durch das Jammertal trägt, daß das Jammertal zu einem Quellgrund wird, und es fließen daselbst die Brünnlein der Hoffnung, der Hoffnung auf den Himmel, der Hoffnung auf die Fluten göttlicher Liebe, der Hoffnung auf das Paradies, und alle Hoffnungen münden in Eine ein, daß ist die Hoffnung auf die Erkenntnis des Herzens Gottes!
Den Blumenstrauß, den der Hebräer Tor gern der fernen Lilith gebracht hätte, da er sie liebte, diesen bring ich nun dem dar, der der Schöpfer der Blumen, und nicht nur der Blumen, sondern auch von Kraut und Gras und allerlei Bäumen.
Pfingstrosen Chinas schuf der Herr in seiner weisen Voraussicht als Verheißung auf die Erweckung im Reich der Mitte und als Zierde für den Päonienblütenpalais von Guefe, der schönsten Frau der Tang!
Lilien schuf der Herr in seiner großen Reinheit zum Zeichen für die Tugend der klugen Jungfraun, zum Bilde für die großen Mondaugen eines schönen Weibes.
Rosen schuf der Herr in seiner großen Liebe, und er gab sie den Menschen, um die Liebe zu ihrer Geliebten in feuriger Minne auszudrücken. Und er machte ihre Schönheit mit dem Dorn zum Sinnbild der geheiligten Sünderin. Und er ließ sie blühen im purpurnen Blute, denn an dem Dorn des Kreuzes vergoß der Herr sein Blut und bewies damit die Liebe Gottes zu allen Kreaturen.
Veilchen schuf der Herr in seiner unendlichen Barmherzigkeit als Blume für die lieben Großmütter und ebenso zum Bilde für die veilchenaugigen Griechinnen, welche anmutige Schwestern sind, und zum Gefäß eines herrlichen Duftes, der wie Weihrauch aufsteigt mit den Gebeten der Heiligen.
Vergißmeinnicht schuf der Herr, damit der Mann in seiner unerwiderten Liebe nicht den Tröster vergesse, der ihm alle Tränen von Wimpern und Wangen küssen will mit seinen Feuerlippen und Balsammunde.
Passionsblumen schuf der Herr in seiner großen Hingabe an seine Geschöpfe zur Erinnerung an die Passion seines Sohnes Jesus Christus.
Nelken schuf der Herr in seiner großen Zuneigung für alle jene, welche Liebe fühlen, aber nicht ausdrücken dürfen, orangene Nelken, welche wie Morgenröte glühen, verschwiegene Schwestern der roten Rosen.
Und die Bergamotten-Orange schuf Gott an diesem Tage zum Zeichen für Salomos Liebe, der der Fürst der Liebe geheißen ist, und ein Vorschatte war des Sohnes, denn die Bergamotten-Orange ist immergrün wie Christus ewig, und seine Frucht erfrischend.
Die Eiche schuf Gott und den ganzen Eichgrund, auf daß darin dereinstmalen David dürfe wandelnd, und die Herrschaft seines Sohnes währe ewig!
Die Blutbuche schuf Gott mit großer Trauer um den Mann Tor, der sich unter die Blutbuche legen wird und sein Leben auszuhauchen hofft, aber „Gott fand ihn in seinem Blute liegen und beschloß bei sich, er solle leben und schön werden“!
Den Wacholder schuf Gott mit Trauer und Versprechen von Trost, auf daß Elia eines Tages, wenn er sterben wird wollen, daselbst von einem Engel Gottes gestärkt wird und getröstet mit schlichten, schlichten Dingen, die so kostbar sind.
Die Zeder schuf Gott an diesem Tag als einen König der Bäume, denn es wird die Zeder sein ein Zeichen für den Gerechten, welcher alle andern Menschen überragt. Unter Zedern wird der Fürst der Liebe lagern und seine Liebe seiner Braut bezeugen.
Die Zypresse schuf Gott an diesem Tage mit großer Liebe für die Griechen, welche sich am Tage des Todes ihrer Geliebten mit Zypressenzweigen das Haupt bekränzen und heulen und klagen wie Klageweiber, denn noch war ihnen der sterbende und auferstehende Gott in Wahrheit nicht begegnet, der Sieger über den Tod.
Die Myrte schuf Gott an diesem Tage für alle Liebenden, denn in ihrer Liebe, der Liebe eines Mannes zu einer Frau, hatte Gott ein Abbild geschaffen seiner Liebe zu seinem himmlischen Volk.
Die Myrrhe schuf Gott mit großer Freude an diesem Tage, und die Narde in Indien ebenso, denn es würde gebraucht das Harz derselben zum heiligen Öl für den Propheten, Priester und König, welcher Gesalbter des Herrn heißt.
Das Gras und des Grases Blume schuf Gott an diesem Tage zum Zeichen der Demut und Erkenntnis für seine sterblich gewordenen Menschen, denn sie sollten erkennen, daß des Menschen Leben ist wie Gras und Grases Blume (die Gänseblümchen auf dem Rasen): Am Morgen und Mittag wenden sie ihre Häupter und Spitzen der Sonne zu, aber am Abend werden sie welk und gemäht.
Und sie müssen davon.
Darum lehre mich bedenken, daß ich sterben muß, auf daß ich klug werde und nach dir frage, Herr, denn du schauest vom Himmel, ob einer der Menschen klug sei und nach dir frage. Denn wer nach dir fragt, der wird gewißlich Antwort finden, und wer suchet und bittet und anklopfet, der wird finden und empfangen und ihm wird aufgetan das Tor zum himmlischen Jerusalem, so er stirbt in deinem Namen, Jesus.
Und du schufest an diesem Tage auch die Ähren mit ihren goldenen Halmen, und es ward noch kein Unkraut zwischen den Weizen gesät, denn noch war der Feind nicht auf den Plan der Heilsgeschichte getreten. Der Weizen und der Roggen, die Gerste und der Reis, das Sorghum-Korn und Mais und Hirse und Cous Cous, alle geriten wohl und neigten sich demütig vor dem sanften Winde, deinem sanften Geiste.
Und zahllos wie die Halme der Gräser auf den weiten Wiesenebenen von Scharon wird sein die Zahl der Heiligen und Erlösten in der neuen Stadt am Ende der Zeit, eine unzählige Zahl, und der Same Abrahams, des Vaters des Glaubens, wird unzählig sein wie die Staubkörner auf der Erde, die Sandkörner am Meer und die Sterne am Himmel.
Und so atmete aus mit purpurner Glut des Abends der dritte Tag sein Leben, um sich Gott als Opfer darzubringen.-
Und am Himmel flog hin der Adlerstern. Der Adler war an Jovis’ Throne, trug seine Befehle und seine Blitze aus. Er holte den griechischen Jüngling Ganymedes in den Himmel des Jovis, indem er ihn ergriff und in die Höhe riß: auf Adelers Fittichen, wie es im Liede heißt. Und Ganymed ward Mundschenk des Göttervaters. Und darum, weil die Seele hinaufsteigt in ihre Heimat, ließen die Griechen einen Adler aus dem Feuer steigen, wenn des Toten Glieder Asche wurden. Weil er den allwissenden Adler, der allein das Licht der Sonne schauen kann, liebte, ließ Jovis ihn an das Firmament versetzen, wo er in der Milchstraße, nah am Äquator, steht. Er besteht aus drei Sternen, zum Lobe der Dreieinigkeit, die alle in gleicher Entfernung von einander stehen; der mittlerste der drei (wie bei den drei Engeln, die Abraham im Hain Mamre begegneten, der mittlere Engel der Engel des Herrn war) ist Atair, ein Stern der ersten Größe.
Und am Himmel schuf der Höchste Capella im Sternbild des Fuhrmanns, und Capella war der himmlische Name der Jungfrau Aega, welche in einer Höhle ein Kind aufzog, das war Jovis, der geboren worden auf Kreta. Sie hatte solchen Glanz, daß sie die Giganten blendete, da diese den Himmel stürmen wollten. Dieser Glanz kam von der Gnade Jovis’, da sie ihn auf Kreta aufzog, und zum Lohne dafür versetzte er sie ans Firmament. Von ihr wird auch gesagt, daß sie die Braut des syrinxspielenden Gottes war.
Und am Himmel tauchte Ambrosia auf, eine der sieben Plejaden, der Töchter des Heroen, der den Himmel auf seinen Schultern trug, Atlas geheißen von den Griechen. Weil Ambrosia an den Himmel versetzt ward, ward das Himmelsbrot der unsterblichen Götter Ambrosia genannt, denn am Himmel ward auch sie mit demselben gespeist, wie es zum Trank den himmlischen Nektar gab.
Die Plejade Maja ward von Orion sieben Jahre lang umworben, bis sich Jovis über sie erbarmte (und über ihre triefaugige Schwester Merope) und sie als Plejade an den Himmel versetzte. Ihre Schwester Electra aber, dieselbe wird genannt eine Braut des Höchsten, Jovis’ Braut, und darum ward auch sie zu den Himmlischen gerechnet und bildet mit ihren Schwestern das Siebengestirn. Die Römer nannten die Plejadenschwestern Vergiliae, das heißt verdolmetscht Frühlingsgestirn, weil der Frühling die Jahreszeit der Liebe ist.
Und unter den celestialen Lichtern waren auch zu finden Cassiopeia und Andromeda, ihre Tochter. Da Cassiopeia stolz war und sich für schöner hielt als die Meeresnymphen, ward ihre Tochter Andromeda an einen Felsen gebunden und einem Meeresdrachen ausgeliefert, dem Leviathan. Sie war schon verdammt, und der Leviathan nahte bereits, als der herrliche Heros Perseus nahte, ausgestattet mit göttlicher Rüstung, und befreite Andromeda aus ihren Ketten, rettete sie vorm Rahab-Drachen und freite sie zur Braut und führte sie in sein Vaterland. Jovis aber versetzte sie (und ihre Mutter, die späzter Buße tat, als sie sah, daß ihrem Hochmut der Fall der Tochter gefolgt war) an das Firmament.
Und am Himmel entstanden die vier Gegenden mit ihren Sternen und Bildern, und die südliche Himmelsgegend ward Antica genannt, die nördliche Postica, die östliche Antesinistra (der Himmel der Sinesen) und der Westen Antedexira.
Und am Himmel, aus Gnade und Erbarmen des Höchsten, ist auch Antinous zu finden, der schönste Jüngling, welcher den Kaiser des Orients liebte, und aus religiösem Wahnsinn und übergroßer Schwermut ertrank er im gelben Fluß. Sein Sternbild ist auf der nördlichen Halbkugel zu finden und besteht aus neunzehn Sternen, wovon einer veränderlich ist, wie auch des Antinous Gemüt je nach dem Stand der Frühlings- oder Herbststerne veränderlich war.
Und es ward am Himmelsfirmament der Ara-Altar gefunden, den einige als einen Opfertisch und andere als ein Weihrauchgefäß darstellen, und auf diesem Altar sollen die unsterblichen Götter geopfert haben, bevor sie zum Kampfe gegen die dämonischen Cyclopen auszogen. Und darum besteht der Altar auch aus sieben Sternen, der Zahl der himmlischen Vollkommenheit, oder aus vier Sternen, der Zahl der Gestalten vor dem Throne des Höchsten und der Zahl der Bücher des Lebens.
Und am Himmel ist auch zu finden das Bild des Arcas, der der Stammvater aller Arkadier wurde, die in dem Hirtenlande Arkadien lebten (auch ich war in Arcadia). Er war ein Sohn Jovis’ und wurde von einem Wüterich geschlachtet, dem Jovis zum Mahl vorgesetzt, um zu sehen, ob dieser ein Gott sei; derselbe aber machte Arcas wieder lebendig und ließ ihn in den Tempel des Jovis eintreten, von wo er ihn an den Himmel versetzte (und seine Mutter Callisto ebenfalls): die große Bärin und der Bärenhüter.
Und Arcturus ward am Himmel gefunden, den die Araber Hüter des Himmels nennen (Haris el Semä), von dem aber auch Ben Jonson meinte, er sei der verherrlichte Arthur, König des Grales auf der Insel der Seligen, Avalon.
Und die Argo, das Schiff, mit dem die Argonauten ausfuhren, das goldene Vlies zu finden (ein Vorschatte des reinen unbefleckten Lammes Christus), dieses Schiff ward zu seinem ewigen Ruhm ans Firmament versetzt.
Und die Jungfrau des Goldenen Zeitalters, Asträa, ward an den Himmel versetzt, denn im Himmel herrscht ein ewiges Goldenes Zeitalter, da gibt es keine Kriege, kein Leid und Geschrei und keinen Tod. Denn als auf der Erde der Sündenfall stattgefunden hatte, verließ Asträa die Erde und wandte sich dem Himmel zu (wie auch die Perser sagen, daß die Gottheit der Liebe den Baum der Unsterblichkeit auf den Mond versetzte).
Auriga ward am Himmel glänzend gemacht, welcher mit seinen Ziegen (er ist der Hirte) zum Teil in der Milchstraße steht und zum Teil auch außerhalb derselben. Er steht zwischen den sieben atlantidischen Jungfraun und der großen Bärin, der Mutter des Hirtenvaters Arkas. Aurigas erster Stern kann als der glänzendste Stern des gesamten Himmels gefunden werden.
Der Becher des Gottes aller Poeten steht am Himmel, westlich der Jungfrau, mit 17o Grad gerader aufsteigung und hundertzwanzig und einem Sternen. Es ist ein Becher mit Wein, denn in Raserei haben alle Poeten als Propheten geweissagt (und sie sind Propheten, denn sie sind Jünger des Sohnes Gottes).
Berenice war eine ägyptische Jungfrau, welche einen Mann mit großer Treue liebte, und als er in den Krieg zog, schnitt sie sich das lange Haar mit herrlichen Locken ab und brachte es in den Tempel der Gottheit der Liebe. Wo es aber nicht wieder gefunden ward, denn es war als das Haar der Berenice an das Firmament versetzt worden, eine Sternschnuppe nah am Schweife des Löwen, in vielen Nebeln verschleiert, denn das Haar einer Jungfrau ist ihr Schleier. So haben die unsterblichen Götter des Himmels die Treue wahrer Liebe gewürdigt.
Icarius war ein Hirte, der seinen Mitgenossen den Wein der Seligkeit zu trinken gab, sie aber verschmähten die Heilkraft dieses Trankes und erschlugen in lästerlicher Trunksucht und Wahnsinn den Hirten, der mit seiner Tochter Erigone ans Firmament versetzt wurde: Icarius ist der Bootes.
Brome war eine Nymphe, die den Gott des Weines und des mystischen Brotes erzog, und ward von dessen Vater an den Himmel versetzt mit ihren Schwestern als Hyaden.
Und über alle herrschte Chardaniel, wie die Juden den Engel nennen, welcher der Engel des Firmamentes ist und sieben Myrionen Mal größer ist als die andern Engel, er strahlt immerfort von zwölf weißen Blitzen.
Und eine Hyade war die Schwester des Hyas, der von einem wilden Tier zerrissen worden, worüber sie und ihre Schwestern so weinen, daß sie Regen bringen auf die Erde. Und ihr Name war Cleia.
Und Cygnus war der Sohn des Gottes der Seher. Und er starb aus großem Leid, weil ihn sein Freund verlassen hatte. Er ward an den Himmel versetzt, wo er mit dem Haupt nach unten (wie Petrus dereinst in Rom) am Kreuz des Nordens hängt. Um seinetwillen ward der Schwan, der nicht zu den unreinen Tieren des mosaischen Gesetzes zählt, sondern der Kormoran, zum Lieblingstiere der Dichter erwählt. Denn der Schwan, wie Platon sagt, singt, wenn er seinen Tod kommen sieht in Vorausschau, denn er freut sich auf die Unsterblichkeit seiner Seele und sein Schwimmen in den elysäischen Seen. Und darum wird der Schwan von den Chinesen auch Himmlische Weißgans genannt.
Und da die Jünger der großen Gottheit diese loben mit Zymbeln und Triangeln, ward die Triangel (Deltoton) an das Firmament versetzt, am Fuß der Andromeda, die mit ihren klingenden Füßen Lobtanz tanzt, und nahe am Widder, der geopfert ward an Isaaks statt.
Und zur Mahnung für alle Sünder, sich dem Bösen nicht länger auszuliefern, sondern an den Retter Christus zu glauben, ward der Drache ans Firmament geheftet mit feurigen Pfeilen. Er war der lenäische Drache, welcher zehn Köpfe hatte und von Herkules getötet ward. Er war der Drache, der in den hesperischen Gärten am Apfelbaum sich ringelte. Er war der Drache, der aus der deukalionischen Flut auftauchte und den ganzen Erdkreis versuchte. Er war sogar am Orakel des castilischen Quells, von welchen giftverpesteten Wassern viele Dichter tranken, bis Apollon den Drachen tötete, die kastalische Quelle reinigte, und Weisheit zum Lobe und zur Verherrlichung des allmächtigen Gottes strömt nun daraus. Ich selbst trank auch davon, es war süß - wie der Kuß meiner Muse - und trunken von diesen „heilig-nüchternen Wassern“ sing ich nun Christus meinen Lobpreis!
Und am Himmelsfirmament kniet ein Mann, den man Engonasi nennt, und er kniet und streckt seine Arme zum himmlischen Vaters aus. Und er kniet zwischen der Krone und der Leier. Und sein Mitknecht Opiuchos betet mit an, ein gelber Stern, denn er war ein Asiat, mit den schwarzen Haaren des nächtlichen Himmels, denn Gott wekcte ihn immer in der Nacht zur Anbetung auf.
Und zwei Brüder, von denen der eine unsterblich und der andere sterblich, waren am Firmament zu sehen, und der unsterbliche Zwilling trug eine Lyra und der sterbliche Zwilling trug eine Keule. Und sie liebten einander und ließen sich oftmals den friesischen Fischern sehen. Und sie wurden als Sternbild Gemini genannt.
Und Hesperus liebte die atlantische Tochter Hesperis, die Hoffnungsreiche ebenfalls ihn, der ihre Hoffnung war. Und er stieg auf den Berg, der den Himmel trug (den Atlas) und ward in einem großen Sturme hinweggerissen. Gott nannte den schönen Abendstern Hesperus, weil er ihn nicht mehr Luzifer nennen wollte. Manchmal nennt man Hesperus, die Hoffnung, auch Vesperstern, weil er gnädig lächelnd schaut aufs Vespergebet.
Und die Ozeaniden oder Atlantiden (denn Atlantis im Ozean war die Insel des Goldenen Zeitlaters) hießen: Arinoe, Ambrosia, Baccho, Bromia, Erato (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Muse der erotischen Lyrik), Eruphia, Eudora, Cisseis, Coronis, Cardia, Nysa, Phäsyla, Polyhymno, Polyxo, Phäo, Pytho und Synecho. Sie waren Geliebte des Gottes von Wein und Brot, und wurden deshalb von dessen Vaters ans Firmament versetzt.
Hydrochous ward am Himmelsfirmament gefunden, aber er leitete, der Wassermann, kein neues Zeitalter ein, sondern er war nur Zeichen der Herrlichkeit Christi, des Einzigen, der ein neues Zeitalter eingeleitet.
Die Krone, welche die Gottheit der Liebe einst der Jungfrau Ariadne zum Geschenk gemacht, als sie sich mit dem herrlichen sterbenden und wiederkehrenden Gott vermählte, die Krone ward an den Himmel versetzt und wartet auf die Heiligen, als Krone des Lebens.
Und schließlich ward auch die Lyra jenes Poeten, der um seiner Geliebten willen in die Unterwelt stieg, wiederkehrte ins Leben durch die Gnade Gottes und schließlich von wilden rasenden Frauen zerrissen wurde, weil er ihr Wollust- und Wahnlied nicht singen wollte, sondern wollte weiter Gott im Himmel mit seiner Lyra preisen, an den Himmel versetzt. Seiner Lyra wohnte und seinem Gesange solche Macht inne, daß Totes lebendig wurde und Unbewegliches ihm folgte. Und er besang die unsterblichen Götter in frommen Hymnen. Diese Lyra ist, wie alles Lyrisches sollte Prophetisches sein, nah am Schwan zu finden (Cygnus am Kreuz des Nordens). Und ihr hellster Stern heißt Wega. Es muß Wega einer der unsterblichen Poeten sein, Dante oder Milton oder Klopstock. Oder ist Wega eine der Musen, Beatrice oder Laura oder Diotima? Aber alle Sterne, seien es Wega oder Sterne vierter Ordnung oder die vielen teleskopischen Sterne, strahlen ihr geliehenes Licht dem Schöpfer zurück, der sich geoffenbart hat in Christus dem Herrn! Ihm sein Lob und Preis und Ruhm, jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit! Selah!
Sol (Sonne) trat hervor aus seinem Himmelszelt, wie ein Bräutigam, und er wusch sich in dem Tau des Morgens, und er kämmte sein goldenes Haar. Sein weißes Antlitz glänzte vor großer Herrlichkeit, und er legte die goldene Rüstung an, schirrte die weißen Rosse vor seinen goldenen Wagen und reiste zum Zenit, von dort aus seinem himmlischen Auge mit glühendem Blick auf seine Braut zu schauen.
Und er warb um sie im Frühling, da seine Kraft die Rosen belebte, im Maien, da sein mildes Leuchten die Apfelbäume blühen machte in rosaweißem Blust, und er warb um sie im Sommer, da seine Hitze die Nymphen in den Seen erfreute, daß sie sich badeten in der Wärme des Tages, und er warb um sie mit seinem güldenen Glanz im Herbste, da das Gold der Bäume wetteiferte mit dem Golde Sols, und da seine glühenden Blicke auf den weißen Schleier des Nebels fielen, und er warb um sie im Winter, da der weiße jungfräuliche Schnee mit dem Glanz der Reinheit Antwort gab auf sein Werben und sagte: „Willst du mich treffen, mich Frau Erde, so warte bis Frühling, und dann am Sonntag in der Frühe, da werden wir uns treffen und gemeinsam das Blühen der Liebe feiern!“
Und Sol stand auf dem Gipfel des Himmels, und er vergoß das purpurne Glühen seines Blutes, und er sank in die tiefe Nacht, am Morgen zu erstehen, am Sonntagmorgen mit der Herrlichkeit des Morgensternes.
In der Nacht aber waltete die Jungfrau mit ihrem milden Antlitz, Luna, die schöne Sandte. Sie hatte wahrlich ein Mondgesicht und trug ein weißes Kleid, bestickt mit Tautropfen und der Zierde der diamantenen Sterne, die aber verblassten vor der herrlichen Silberglorie ihrer Erscheinung. Und sie lächelte lieblich zu dem träumerischen Hirten Endymion, der in Karien auf dem Berge Lat in einer Höhle schlief, und sie küsste ihn mit ihren blassen Lippen und ließ rinnen die kristallenen Augentropfen aus ihren Lilienkelchen, und es waren Tropfen der Sehnsucht. Und Endymion träumte von der Schönheit Lunas, wie sie wandelte am Meere des Himmels, herzutrat zu ihm und ihn umarmte. Und er sah ihren Keuschheitsgürtel, den sie um die Hüfte trug, und auf dem Gürtel war ein Mondstein angebracht. Und die Nacht wob Lunas Haar wie einen fließenden Schleier um ihr weißes Gesicht, in denen tiefe Augenkelche schlummernd glänzten. Und Endymion floß über vor Wonne und himmlischer Lust, denn es war ein so überaus sanftes Licht, das da vom Antlitz Lunas ausging, und es war so eine romantische Süßigkeit auf ihren lächlenden Lippen, und es war eine so selige Stille um ihn her, daß er das leise Singen hörte, und es war das Singen der Nachtigall, die in einem weißen Rosenbusche saß, und es war die Sprache Lunas:
„Nun biet ich dir Adieu, mein Lieber, denn ich muß scheiden! Ich muß sinken in die feuchten Wellen der Zeit und untergehen in den Feuern des Tages, weh mir! Ich klage und weine, siehe, meine kristallenen Tränen tropfen aus den himmlischen Lilienkelchen auf den schlummernden Busen, aber ich muß davon, und wir werden uns nimmer wiedersehen. Adieu denn also, mein Lieber!“ Und Luna schied.
Und da schimmerte herauf die herrliche Morgenröte. Alle Vögel Griechenlands und Israels, alle Vögel vom Indus bis zum Rhein, hoben allezeit an, die Morgenröte zu grüßen. Sie streute mit ihren rosigen Armen weiße und purpurne Rosen über die Flur. Sie trug in ihren langen goldenen Locken Rosen- und Päonienblüten. Und im Haare, über der Stirn, trug sie ein wunderbares Diadem, das war der Morgenstern.
Der Morgenstern, den die Heiden nach der schönen Venus benannten, war geschaffen von Gott zum Gleichnis für den sterbenden und erstehenden Christus. Er war derselbe wie der Abendstern, der in der Umnachtung sein purpurnes Blut vergoß, durch die Grabesnacht wanderte, und in seiner weißen Glorie am Morgen vom Schöpfer erweckt ward.
Und der Morgenstern funkelte in siebenfältig-weißem Licht mit seiner kristallen-diamantenen Krone am Haupt des Himmels, und er sagte: Schau mich an, aber anrühren kannst du mich nicht! Und Gott wird diesen Morgenstern, der aufgegangen ist, in unsern Herzen leuchten lassen, ihr Christen, denn es wird Christus in unsern Herzen wohnen durch den Heiligen Geist.
Und Christus wird der Bräutigam sein, der da suchet seine Braut, das ist sein himmlisches Volk, und Christus wird ihr Tröster sein, der bei allem Liebesweh (wie Tor um Lilith weinte) der Trost und die Verheißung der ewigen Seligkeit ist, und Christus wird kommen vom Haupt des Himmels und uns, die wir an ihn glauben, auferstehen lassen zu ihm in den Äther hinein, dort mit ihm zu leben in alle Ewigkeit, denn der Morgenstern hat bereitet eine himmlische Stadt, die herrlicher ist als das Firmament, und es wird darin wohnen eine Schar, größer als die Schar der Sterne am Himmel, und die Stadt wird heißen: die neue Jerusalem und wird geheißen werden mit einem neuen Namen.
Das alles war Gottes Plan, als er Sonne und Mond und Morgenstern und alle Sterne erschaffen, den Menschen zu leuchten und die Zeit zu messen, die am Ende aufgehen wird in Ewigkeit.
Damit endete der vierte Tag.
Und Gott schuf die liebliche Nachtigall und gab ihr eine himmlische Stimme. Und der jugendliche Nachtigallsänger sehnte sich nach der Rose, welche in purpurnen Farben süß duftete und im Herbste so anmutig die roten Tücher ihrer Blütenblätter sinken ließ, im Frühling aber blühte in verschlossener Keuschheit, gewandet in Purpurgewänder. Und er sehnte sich und sang seiner Sehnsucht die schönsten Hymnen. Er saß in der Nacht, im silbernen Mondschein und linden Frühlingsduft in einem Myrtenbusch und sehnte sich nach der persischen Rose und sang:
„O Rose, wie herrlich schön bist du! Deine purpurnen Gewänder stehen dir so gut, und deine Blütenaugen, und deine feinen Blätterhände, und selbst deine Dornen, mit denen du deine Keuschheit schützt vor den Versuchungen durch böse Würmer, alles an dir scheint mir wahre Schönheit zu sein!
Ich bin bezaubert von deinen Düften, es sind die weltweit berühmten Düfte des Rosenöles, ein lieblicher Duft, der meine Sängerseele in Verzückung setzte. Ja, deine Düfte machen mich närrisch, daß ich, wenn ich meditiere im Mondschein über des Schöpfers Schönheit, an nichts andres denken kann als an deine Schönheit. Und im Herbste, wenn dunkle Wetter mit heftigen Stürmen deinen Hain umrauschen und du dein rotes Tuch ganz keusch zur Erde fallen läßt, dann würd ich dich so gern mit meinen weichen Vogelschwingen einhüllen und wärmen und dich schützen vor des Winters scharfer Schneide.
Du bist meine Sehnsucht, denn in deinem Rosenbusch möcht ich mich gerne bergen und ein Nest in deinen Blüten finden. O wir würd mir im Maien! wenn du süß duftest und deine Wangen so weiß und rot leuchten, und deine Augen, die Knospen, so schimmern, und deine Lippen, die taufeuchten Rosenblütenblätter, zum Kusse gespitzt - mir alles so antgegenlacht!
Dann würf ich mich gern in deine Arme, aber deine Dornen wehren mir. Dann macht ich mich so gerne innig eins mit dir, aber wir sind getrennt, denn du sitzt jenseits des Euphrat und ich diesseits. Und so bleibt mir nichts, als deinen Purpur zu missen und nur den Purpur meines Nachtigallenblutes und den Purpur meiner Liebesglut in wehe schluchzenden Hymnen zu verströmen.
Darum sing ich dir von dem Blut und dem Purpur eines Königs und von der Schönheit des Schöpfers, daher du deine Schönheit zu danken hast, Geliebte. Und ich bete in neunfältigen Psalmen zum Schöpfer, daß du seine Liebe erfährst wie ich, denn er machte dich nicht nur zum Gleichnis seiner Schönheit, sondern zum Gleichnis der Liebe überhaupt, einer Liebe, die in Purpurblutströmen verströmt und die Auferstehung ewiger Liebe feiert!
Und ich würde mich so gern über den Phrat schwingen und mit meinem Schnabel deine Blüte küssen, o wie würd ich da singen einen herrlichen Hymnus der Liebe! Aber so sing ich einsam im Myrtenbusch, einsam im Mondschein, trauernd um deine herrliche Schönheit, die mir nicht verliehen ist, Elegien in süßen Reimen. O Rose, o Rose, ich lieb dich, wahrlich, wahrlich, ich singe dir: Ich liebe dich!...
Und von der Treue der Schwäne hat schon manches Lehrbuch geschrieben. Ich aber will ihre Schönheit rühmen und erzählen, wie sie mir begegnet sind in den schweren Zeiten.
Ich ging einsam am Schwanensee im Februarnebel, und wie der Nebel floß meine Seele aus laute Weh- und Schwermut hin, denn ich liebte Diotima, welche die Göttin meiner Träume war, und ich sah sie, wie Morgaine le Faye, in einem Zauberbilde durch den Nebel fließen, und ich kehrte in meine Eremitage zu weinen.
Da trat die Seele eines blauen Schwanes in mein Zimmer und rief mich zurück zum Schwanensee. Und ich ging zum Schwanensee und sah, das erste Mal in meinem Leben, einen schwarzen Trauerschwan an der grünen Pforte auf mich warten. Und ich sah sein Auge, welches aus einem einzigen Rubin gemacht war, und er vergoß unter den schwarzseidigen Lidern eine blutige Träne, denn er litt sympathetisch mit meiner Schwanensängerseele.
Und wir teilten ein Stück vom Brote, und ich redete mit ihm und gab ihm den Namen Arminion. Und immer, wenn ich zum Schwanensee kam mit Trauer in der Seele und Umnachtung um meinen klagenden Geist, da grüßte mich zum Troste Arminion.
Aber eines Tages war er fort, er war erschlagen worden, und seine Schwanin, Thusnaldea, sie fraß nicht mehr, sie litt und starb aus Treue, denn sie wollte ihm folgen in den Staub der Erde. Und der Schwanenhirte flößte ihr ein Öl ein, aber sie weigerte sich der Medizin und starb Arminion nach.
Und ich hängte meine elegische Harfe wie Jeremia in die Weide, die Trauerweide, welche sich silbern über den stillen See neigte, und ging ebenfalls zu sterben, denn auch meine Hoffnung war verschwunden und dahin. Aber Gott erweckte mich und gab mir meine Harfe wieder, daß ich den Vater und den Sohn im Geiste preise und rühme!
Und auf dem See ruhten die Enten, die bunten Erpel hatten ihr grünes Regenbogenkleid an, die Weibchen trugen das franziskanisch-braune Gewand, daß sie ihre Küken bergen könnten am braunen Schilfufer. Und um die Enten herum paddelten die Möwen mit aufgeregtem Gemüt und hofften auf ein Gnadenbrot des Menschen.
In meiner Kindheit sah ich immer in jenem Garten, der das Paradies meiner Kindheit war, die Amseln bei den Büschen und Sträuchern, die Männchen im schwarzen Anzug schienen mir besonders herrlich, anders als bei den Menschen, wo die Schönheit die der Weibchen ist.
In demselben Garten stand eine alte Kastanie, welche ihre mütterlichen Arme weit breitete. In ihrer Krone nisteten Tauben, welche immer Ruckediguh riefen und Ruhu-Ruhu. Mir war dies Gurren der Turteltaube so heimelig und so sehr vertrauenserweckender Wohllaut mit dem Klang von Heimat und Ruhe, daß ich das Gurren der Turteltaube schöner noch fand als den Klang des Glöckchens der alten römischen Kapelle, die hinter der Hecke des Gartens friedlich schlummerte oder in stillen Zeiten des Gebetes meditierte.
Die Taube wählte Gott, der sie erfand, zum Zeichen des Heiligen Geistes, so daß der Heilige Geist wie eine Taube niederkam auf den Täufling Jesus. Halleula dem Heiligen Geist, welcher die Salbung ist, mit welcher der Messias gesalbt ward, Halleuja dem Heiligen Geist, der der Geist des Friedens ist (und darum die Taube) und der Geist der Sanftmut (und darum die Taube) und der Geist der Liebe (und darum die Taube).
Im Meere geschaffen hatte Gott auch den Riesenfisch, den manche für einen Walfisch hielten, und er schuf ihn zum Zeichen den Propheten Jona, denn der Prophet würde für drei Tage in seinem Bauch begraben liegen und auferstehen, Gericht und Gnade zu verkünden.
Ich hatte einen Traum. Da stand vor mir eine Jungfrau, Chiesa geheißen, sie schien eine Jungfrau von hohem Wert und von himmlischer Geburt. Ihr Antlitz war so schön, daß es nicht von Fleisch zu sein schien, sondern ein himmlisches Portrait, dem Antlitz lichter Engel gleich, klar wie der Himmel, ohne Makel und Flecken. Auf ihren Wangen schien das Rot wie Rosen, in Lilien gebettet, ausatmend ambrosianischen Wohlduft, mich mit doppelter Wonne erfüllend, und ihr Duft war in der Lage, die Kranken zu heilen und die Toten zu beleben. Es war der süße Odor des Geistes.
In ihrem schönen Antlitz flammten zwei feurige Lampen, genährt von des Schöpfers himmlischem Licht, und die Blicke schossen aus ihren Augen wie feurige Strahlen, so wunderbar hell, daß es mir mein Sehen beinah benahm. In ihren Augen versuchte der blinde Liebesgott oft sein Feuer zu entzünden, aber er hatte keine Macht über ihre Augen, denn mit schrecklicher Majestät und grimmigem Zorn zerbrach sie seine wollüstigen Pfeile und ertränkte die niedre Begierde.
Ihre elfenbeinerne Stirn breitete sich wie eine Tafel, auf welche die wahre Liebe ihre lieblichen Triumphe schrieb und schrieb die Kämpfe ihrer Göttlichkeit. Alles, was gut und eine Tugend war, stand darauf zu lesen, denn daselbst wohnte Gutes und Ehre.
Und wenn sie sprach, waren ihre süßen Worte wie tropfender Honig, der zwischen den Perlen von Zähnen und Rubinrosen von Lippen hervorströmte mit einem silbernen Klang, der himmlische Musik zu sein schien.
Auf ihren Augenwimpern saßen viele Grazien unter dem Schatten ihrer ebenmäßigen Brauen, und jede stattete sie aus mit Grazie. Jede ließ ihr Sanftheit zukommen. O solch ein glorioser Spiegel himmlischer Gnade und souveränes Monument sterblicher Gelübde! Wie soll eine zerbrechliche Feder ihr himmlisches Antlitz beschreiben, in großer Furcht, durch den Wunsch nach besonderen Worten ihre Schönheit zu entwürdigen?
So schön schien sie, und tausend mal tausendmal so schön, als sie vor mir erschien, und war gewandet in gesponnene silberne Seide, mit Gold bestickt, dessen Fäden glänzten wie zwinkernde Sterne, und der Gürtel um ihre Taille war von reinem Gold.
Und in ihrer Hand hielt sie eine Lanze und auf ihrem Rücken trug sie Bogen und Köcher, gefüllt mit stahlgespitzten Pfeilen, womit sie jagte das böse Tier in siegreichem Lauf. Die Sehne ihres Bogens teilte ihre schneeigen Brüste, die wie junge Früchte im Maien ein wenig schwellten und bebten, durch die dünne Seide zeichenhaft zu erkennen.
Und die Jungfrau Chiesa in ihrer Schönheit führte mich in meiner nächtlichen Phantasie zum Ufer des Meeres und sagte: „Siehe, Ichtys kommt!“ Und da tauchte auf aus den gewaltigen Fluten der Zeit in großer Herrlichkeit der Ichtys-Fisch. Er war ganz aus Gold, mit silbernen Schuppen, seine Schwanzflosse Opal, seine Augen Rubin, seine Kiemen Smaragd.
Und der Ichtys-Fisch nahm mich auf den Rücken und entführte mich in die Tiefe. Und ich ward durch einen feuerroten Korallenwald geführt und spürte, wie ich dadurch verwandelt wurde. Schließlich kamen wir zu dem Muschelschloß, wo der Ichtys regierte. Das schloß war aus hundertvierundvierzig Millionen Muscheln gebaut und von einem herrlichen Perlmuttglanz. Die zwölf Toren waren aus Perlen gebaut. Die Mauern waren aus unterseeischem Gold. Zu Seiten standen Korallenbäume mit Meeresfrüchten behangen, und wer von diesen Meeresfrüchten speiste, würde ewig leben in dieser untermeerischen Welt.
Und Ichtys prophezeite, daß dieses Muschelschloß des Meeresgrundes am Ende der ersten Schöpfung auftauchen würde aus der Tiefe des Ozeans (und das sei das wahre Atlantis, von dem die Griechen auch ein Auftauchen stets sich hatten erhofft) und würde an den Saum des kristallenen Meeres, an den kanaanitischen Strand gesetzt, von wo der Strom des Lebens in silbernem Liquor fließen wird. Ich selbst, prophezeiten Ichtys mir, würde daselbst die Jungfrau Chiesa sehen, und ich wäre eingeladen zum Hochzeitsfest.
Und mit diesem Traume endete der fünfte Tag der Schöpfung.
Und Gott schuf die Hindin der Morgenröte, die weiß wie Schnee war und mit braunem Hauch. Und sie war jene, der eine alte hebräische Weise gewidmet war, eine Melodie, welche die große Ehre hatte, des sterbenden Christus Worte zu tragen: Eli, Eli, lama asabthani!?
Und es war möglicherweise dieselbe Hindin, dieselbe weiße Hindin, welche in Eirelonde Thomas den Reimer holte in das Land der Feen, wo Prinz Oberon in einem christallenen Schloß regierte.
Und Gott schuf das weiße Einhorn, welches so rein war, daß es nur von einer keuschen Jungfrau gefangen werden konnte. Und es heißt, der Engel Gabriel, als Jäger verkleidet, trieb das reine Einhorn zur sanften stillen Jungfrau Maria. Und auch dies ist Christus.
Und Gottes Stimme machte das Einhorn kreißen, und es gebar eine Herde von Einhörnern, lauter reine unschuldige Tiere, welche leben werden in dem Wald der Feen unter der Herrschaft des Prnizen Oberon, dem Prinzen im christallenen Schloß. Und es wird sein der ganze geschaffene Weltzraum nach dem großen Purgatorium ein ewiges Christ-All, in welchem Christus Alles sein wird.
Herr, als du den Löwen schufest, den König der Tiere, den mächtigen Aslan, da machtest du ihn zum Freunde der sulamithischen Gezlle, welche nicht zu zittern brauchte vor dem Mächtigen, denn er war ihr Freund. Und sie legte ihre weichen freudebebenden Flanken an seine väterliche Mähne und schmiegte sich an.
Herr, als du den Wolf schufest, daß er ein Tragiker unter dem Monde sei und heule in sibirischen Einsamkeiten, da gabest du ihm ein beherztes Herz, alles Leid, das nach dem Fall der Schöpfung über ihn kommen würde, zu tragen, und dennoch einst ein treuer Freund des Lammes war er. Nein, du schufest ihn nicht als Diokletian des Lammes, sondern als Mitgefährte desselben.
Herr, als du den chinesischen Tiger schufest und den afrikanischen Elefanten und den amerikanischen Grizzly-Bären, da machtest du sie zu Gleichnissen deiner Macht und Stärke. Du gabest ihnen Gewalt, nicht zum Unfrieden, sondern Kraft des Lebens. Und du gabest ihnen weder Feinde noch machtest du Elende zu ihren Opfern.
Und als du, Herr, die kleinen Füchse schufest, da wolltest du mit ihrem Purpurpelz einen herrlichen Farbtupfer in die Schöpfung setzen, und du wolltest sie zu einem Gleichnis der Klugheit machen. Darum heißt es in den Apokryphen: „Seid lieblich wie die Nachtigall und klug wie die Füchslein.“ Nicht hattest du im Sinn, die dämonischen Legenden von der wollüstigen Geisterfüchsin in Umlauf zu setzen, welche Manneskraft und Mannesleben aussaugt und nichts fürchtet als den Donner. Nein, du machtest die Füchse niedlich, hübsch und unschuldig. Und sie spielten mit den kleinen Mäusen Fangspiele, ohne ihre Leben anzutasten.
Und du machtest die vierfüßige Schlange, welche noch klüger war als die kleinen Füchslein, und du gabest ihr ein glühendes Aug und eine herrliche Haut, die mit dem Regenbogen im Schillern wetteiferte. Und sie lief und lief in der Schöpfung umher und pries den Schöpfer. Nicht schufest du sie als Zeichen des Satan, sondern damit der Herr Jesus zu sagen vermochte: „Seid wahrhaftig wie die Tauben und weise wie die Schlangen.“ Erst später ließest du es zu, daß in einer dämonischen Metamorphose Luzifer in sie fahren konnte.
Herr, du machtest die Eselin und würdest sie eines Tages sprechen lehren, daß sie unterweise einen falschen Propheten, der auf dem Wege war, Israel zu verfluchen. Und deine Eselin ließest du sehen den Engel Gottes. Im Paradiese aber sprach die Eselin immer nur Eines: I-AH, womit sie den Herrn pries.
So pries mit Stammeln das Schaf mit seinem Bäh-Bäh in Wahrheit den himmlischen Vater, den seine Kinder Abba nennen, die chinesischen Baba, die deutschen Papa.
Er, nicht wir uns selbst, hat uns gemacht zu Schafen seiner Weide. Er schuf die Schafe, die so friedlich und so sanftmütig und so fromm zu ihrem Hirten schauen. Und er würde seinen Schafen (denn noch war Adam, der erste Sohn Gottes, nicht geschaffen) einen Hirten erwecken, der sie bei ihrem namen rufen würde und sie weiden mit großer Langmut und Barmherzigkeit. Aber schon hatte Gott geschaffen die saftig grünen Weiden mit den köstlichen Blümlein, schon hatte Gott geschaffen die stillen frischen Wasser der Quellen und Bäche für ihr Dürsten. Denn Gott schuf Gras und Kraut, daß es das Herz der Schafe stärke, und das trunkenmachende Wasser, daß es das Herz der Lämmer erfreue! Gnade über Gnade, o überfließender Gnadenborn, o überquellender Segensborn, o Gott, mein Hirte. Du bist Hirte, o Jesus Christus, und würdest selber zu einem Lamme werden, o Herr!
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat! Meine Seele war betrübt, da gab mir das heilige Wort den Trost, den Gott für mich bereitet hatte. Seine Gnade und Barmherzigkeit währt ewig!
Lobet ihn, ihr seligen Engel, ihr seine Diener, die er zu Winden und Feuerflammen machte, lobet den Herrn, ihr Cherubim und Seraphim! Lobet ihn, denn Gnade und Gerechtigkeit sind seine Thrones Säulen, lobet ihn, denn er ist Schöpfer und Erhalter und Vollender des Universums!
Lobet ihn, meine Gedanken, denn er ist sehr sanft und zart und gehet spazieren auf den Fittichen des unsichtbaren Windes! Loebt ihn, meine Sinne, denn ein herrliches Feuer und Blitze ohne Zahl gehen aus von seinem schönen Antlitz! Lobet ihn, meine Phantasie und meine Seele, denn der Herr ist prächtig geschmückt mit Schöpfungen außerordentlicher Schönheit!
Ich will bedenken, daß ich Staub bin und wie ein Buschwindröschen, welches vom Wind entblättert wird und in den Staub sinkt, aber mit all meinem Odem will ich preisen und rühmen meines Vaters Liebe und meines Herrn Gnade und des Geistes meines Geistes Tröstungen ohne Ende! Halleluja dem Allerhöchsten, dem König der Völker, dem Gott meiner Seele Hallelujah!
Die Heiden in China erzählen nun folgende Mythe, welche noch Reste der auch an sie geoffenbarten Wahrheit erkennen lassen. Näcmlich nachdem Himmel und Erde geschaffen waren, durchwanderte die gütige Göttin Nü Wa die Landstriche zwischen Himmel und Erde. Wunderschön wars auf der Erde und wunderschön am Himmel strahlte die Sonne, schimmerte der Mond und funkelten die Sterne. Auf der Erde gediehen Zimtbäume und blühten Pfingstrosen, Einhörner und Tiger lebten friedlich miteinander. Überall reges Leben!
Obwohl sich die Göttin an dieser herrlichen Landschaft erfreute, regte sich Einsamkeit und Traurigkeit in ihrer Seele. Zwischen Himmel und Erde fehlte ein Lebewesen, welches intelligent sei und welches sie zum Herrn über die andern Kreaturen machen wollte. Ohne dieses Lebewesen bliebe die Landschaft mit allem Gezweig und Getier, so schön auch immer, einsam und öde.
Die Göttin begann, mit beiden Händen den gelben Lehm der östlichen Erde zu nehmen und, nach ihrer eignen Gestalt, eine kleine Figur zu formen, die aufrecht stand und geschickt war, klug war und sprechen konnte. Die Kreatur umtanzte jubelnd ihre Schöpferin, da war Nü Wa glücklich und tanzte vor Freude.
Aber die Erde war groß und weit, und sie war zu groß, für nur Eine sprechende Kreatur zu groß, darum holte sie von einem Berg eine Kletterpflanze, die sie dann an einem Ende in der Hand hielt und das andere Ende an einen Felsblock band. Dazwischen häufte sie gelben Lößschlamm auf und schwang dann die Ranke mächtig hin und her, wie Kinder beim Seilspringen ihr Seil bewegen. Die verspritzten Klümpchen Schlamm aber bildeten eine weitere Figur, und auf diese Weise entstand zum Menschen ein Mensch. Und es dauerte nicht lange, da war aus Weib und Mann eine ganze Menschheit geboren.
Aber mitnichten war die Göttin Nü Wa die Schöpferin, sondern der einzig wahre, lebendige Gott, welcher sich offenbart als der: Ich bin, der ich bin! Er allein ist der Schöpfer, der durch das Wort den Menschen schuf, und der Mensch hieß Adam, und Gott schuf den Menschen zu seinem Schatten und ähnlichen Bilde, und zu seinem ähnlichen Bilde schuf Gott den Menschen als Mann und Weib.
Aber nicht schuf Gott den Menschen als Hermaphroditus, als mythisches Zwitterwesen zwischen Gott Hermes (dem Gott der Diebe ) und Göttin Aphrodite (der Göttin der Huren).
Auch schuf Gott nicht, wie manche Juden fabeln und Aristophanes im Symposium lallt, den Menschen als ein Doppelwesen aus einer männlichen und einer weiblichen Häfte, welche Rücken an Rücken gewesen, später aber getrennt, wie man einen Apfel hälftet, und darum Zeit seines Lebens Sehnsucht haben, zueinander zu kommen, jeder Mann zu seiner angeschaffenen Hälfte.
Oh, warum denn dann hätte Tor, die Turteltaube, solche Sehnsucht gehabt nach Lilith, der Lilie, dieselbe aber keinerlei Sehnsucht verspürt nach ihm?...
Gott schuf, indem er den Mann Adam von der Erde Adama nahm und hauchte ihm Lebensodem ein, den Odem vom Odem Gottes, und schuf ihm eine vernünftige Seele, damit er sich dadurch von allen andern Kreaturen unterscheide. Und Gott schuf aus der Herzensseite des Mannes diesem zum Gegenüber das Weib, welche heißen wird Mutter der Lebenden, Eva.
Und Gott machte einen Mann und eine Frau, denn so sollten sie in Liebe zueinander leben. Und Gott schuf, wie die Juden sagen, den Menschen als Mann und Weib am Vorabend des Sabbat, wie auch die Chinesen und Platon sagen, der Mensch wurde als letzte Kreatur geschaffen, am sechsten Tage der Schöpfung, und Gott lehrte den Menschen Demut: denn selbst die Mücke ward vor ihm geschaffen, die unvernünftig summende; und Gott gab dem Menschen Herrlichkeit und Würde: denn der Mensch sollte beherrschen in weiser Liebe die ganze Kreatur. Darum auch begegnete Sankt Franziskus den Vögeln in solcher christlichen Liebe.
Und Gott ließ Adam und Eva leben bei den fruchtbaren Bäumen des Paradieses, deren Früchte reicher waren als selbst das dickste Vieh in Siebenbürgen, wie ein Hundertjähriger sagte.
Und mit der Schöpfung der Tiere und Menschen an Einem Tage - Herr, da war ich wie ein Vieh vor dir - endete der sechste Tag, und Gott setzte dem Menschen die Krone auf, und es war die Krone der Berufung zum ewigen Sabbat.
Damit endete der sechste Tag.
Gott hatte sich in sechs Tagen jede Spezie erschaffen zu seiner Verherrlichung, alles was auf Erden, im Himmel oder im Meer zu finden, alle Sterne, alle Vögel und Fische, alle Lämmer und die ersten beiden Menschen. „Mein Vater wirkt bis auf den heutigen Tag“, sagte der Herr Jesus zehntausend Jahre später.
Und so begann Jahwe am siebenten Tage seinen Feiertag, den großen universalen Sabbat, die kosmische Ruhe, den großen Sphairos, er, der Schöpfer und Erhalter und Vollender des Universums.
Denn das Ziel seiner Schöpfung war das gemeinsame Liebesfreudenfest von Schöpfer und Schöpfung, ein Hochzeitsfest von Bräutigam und Braut in unendlicher reiner Liebe, Jubel des Ewigen und seiner Ewigen! Und Gott sah zu allen Kreaturen und lächelte: Siehe, es ist gut. Und Gott sah zu den Menschen, Adam und Eva in unverdorbener Unschuld, und lächelte lieblich und sagte: Siehe, dies ist sehr gut!


3. Eva

Adam ging allein einen weiten Weg, von Kusch nach Gihon, von Gihon zum Phrat, vom Phrat zurück zum Morijah. Dort legte er sich nieder. Er weinte, sein Gesicht in den Händen verborgen. Und er weinte vor Gottes Angesicht, und er w a r Gebet. Sein ganzes weinendes Wesen war Gebet, ein stummes Schluchzen, ein schluchzendes Flehen.
Gott der Barmherzige sah ihn und hörte ihn in seinem Herzen. Und er ratschlug mit sich selbst und sagte: „Sohn, wie wollen Wir Adam trösten?“ Und der Sohn sagte: „Da ich vorausschauend meine Menschheit sehe und weiß um die Sehnsucht des Menschen, der Unser Ebenbild ist, sage ich: Wir müssen ihm eine Geliebte schaffen, eine, die er lieben kann.“ Und der Heilige Geist sprach: „Herr, ich will der neuen Schönheit meinen Odem geben, Geist vom Geiste des Lebens.“ Und Gott der Schöpfer beschloß: „Im Worte Gottes soll geschaffen werden und beseelt werden mit dem Geiste Gottes von Mir die, die Adam Geliebte sei.“
Und Gott der barmherzige Vater senkte Adam in einen tiefen barmherzigen Schlaf. Und in seiner väterlichen Barmherzigkeit nahm er aus Adams Seite und gestaltete eine schöne Frau, herrlich anzuschauen, und hauchte ihr den Atem der Liebe in, daß sie wahrhaft lebe.-
Siehe, aber in der Diaspora, im Exil, wandelte der Hebräer Tor, die Turteltaube, in Arkadien, einsam unter den schönsten Blumen, traurig im Herbste über das Welken der Blätter, das Sterben der Bäume, den grauen Schleier des Herbstes, der die bloße Schönheit des Maien verhüllte mit griesgrämigem Sinn. Anders sah es aus in seinen Träumen, denn da träumte er von Eden und Edens Süße und Buntheit unsterblichen Lebens: Freude über Freude, wahres Glück der Seele!
Oh, wenn die Hirten ihre trottenden Schafe auf die Wiesen trieben, dann irte der Exilant allein durch den traurigen Hain, da die Blätter der Orangenbäume seufzten und der Oleander so einsam am staubigen Wegrand stand. Wo ist ein Teich, dessen Wasser kristallinisch genug, wiederzugeben die reine Struktur der Zypressengestalt seiner schönen Lilith? Wo ist ein rinnender Bach, rieselnd wie das Wasser des Lebens von Eden, hier im arkadischen fremden Lande?
Nicht mehr ist der goldene Widder da! Fern ist er gegangen, durch die Lüfte, über den Hellespont, ins ferne, entrückte Colchis-Chawila, auf der andern Seite des Meeres! O Sehnsucht, sich zu betten ins goldene Vlies des Widders, dort zu kosen mit der Lammesseele, dem göttlichen Daphnis, den Vergil gepriesen, dem Sproß der Götter! Käm er wieder, da wäre purpurn gefäbrt das Vlies der Lämmer, niemehr wird stechen die giftige Schlange, und nimmer durch Disteln und Dornen irrte der nackte Fuß des Exilanten, sondern er wäre in der Heimat wieder! Friede, Friede wird sein, das Land des Friedens, da dort wandert der schöne Fürst des Friedens, durch die athenischen Gärten bis zur platonischen Stadt! Aber wie ferne, wie ferne! „Ich bin nichts als ein Fremder auf Erden, und meine Heimat ist in der Höhe, o so weit in der Ferne, o so weit in der Ferne“ sang der arkadische Sänger auf goldener Leier Apollons.
Tor stand die Sehnsucht nach Leben, mitten in einer sterbensmüden, welkend matten Zeit, da der Sand durch die Uhren rieselte und der Schatten vorwärts wanderte auf die Nacht zu, die kein Ende nehmen wollte. Ach wie anders in Eden! -
In Eden wandelte Adam im maienen Sonnenschein über die grünenden Hügel, da die Zypressen ohne Traurigkeit und die Zedern ohne Stolz sich erhoben in mächtigen Hainen, umgeben von weisheittriefenden Ölbäumen und freudetrunkenen Weinstöcken, in deren Schatten die beiden Engel saßen, einer ein Cherub und einer ein Seraph, und hingen ihre goldenen Harfen in die grünen Schleier der jungfräulichen Silberbirken am rauschenden Euphrat. O die Engel waren schön wie Keuschblickende, jungfräuliche Jüngerinnen des Himmelreiches. Die Engel waren entsprungen dem Schönheitssinn des Schöpfers.
Dieser selber aber, der die Spiegel der Seelen, die Augen so liebte, daß er sie vertausendfältigte auf den Flügeln der Seraphim, alle von Liebe glühend, alle schimmernd in Adams Seele strömend, daß er verzückt erstand von seiner Ruhe auf moosenem Lager und wandelte bloßen Fußes durchs tauige Gras, das seine Haut liebkoste mit seinen Spitzen wie mit Mädchenfingern,- dieser selber aber, der Schöpfer, war die Quelle der Schönheit, denn aus dieser Quelle entsprang die Musik, die Melodie, die wohllautende Sprache, die innige Liebesverschlungenheit von Wahrheit und Schönheit, Wahrheit und Liebe, Liebe und Schönheit. Jahwe war das bona summa summarum bonum, das Gute und Wahre und Schöne, und schuf sich Adams Gesang, die ewige Hymnik, und die Geliebte ihm zum Anschaun der Herrlichkeit Jahwes, als Quelle seiner ewigen Hymnik.
Laß uns doch, Adam, hören die protobiblische Hymne von Ebenbildlichkeit nach der schöpferischen Liebe Ideal!
„O Herrlichkeit, du vollendetes Wesen der Schönheit, o Leben in vollkommener Liebe, welche Kuß und Umarmung ist, meines Schöpfers, der mich an die Brüste der Weisheit legt und auf den Schoß der ewigen Ruhe, o schöpferische Liebe, halt mich an den Händen und leite mich nun durch den Hain der Unsterblichkeit, leite mich durch deine schönen Augen, welche da sind Lammesaugen, welche da sind Taubenaugen, und birg mich in der milden Mutter Nacht lind liebkosend unter dem Schirme deiner weißen Schwanenschwingen, und schau mich an aus sanften himmlischen Augen, wie Monde balsamisch, und umschling mich, daß meine Seele in deine Seele fließe und wir in eins verschmelzen, und gib mir den Kuß und den süßen Odor deines Odems! O süße Wonne, o schönes Leben, o göttliche Liebe! O Preis und Ruhm sei dir, du ewiger Vater auch der Mondin, die mit dem weißen Gesicht und den balsamishen Blicken und dem Lächeln der Perlenzähne und betauten Rosenblütenblätterlippen mir ihr Mondlied singt und murmelt Minne an den Perlenschnüren und Kränzen goldener Rosen an ihrem Lilienarm und spricht dem Wanderer zu das innige Nachtlied: Süße Ruh in Gipfeln und Wipfeln, so ruhe auch du... Diese hast du mit deinem goldenen Finger erschaffen, o ewiger Vater!“
Und aus dem Meer der Magnolienblüten im grünen Gras, gebadet im Honigseim der Sonne, von himmlischen Amoretten weißer und goldener Schmetterlinge hymnisch jubelnd umschwungen, von dem Dufte der Myrrhe und Myrte und Moschus umdüftet, tauchte aus dem Traum der Sehnsucht, aus einem Traum der Liebe, die erste Liebe, die Neue, Eva!
Rote Rosen in ihren braunen Locken, eines Weibes Haar: Ach läg ich in diesen Locken gefangen! Der Abendschimmer Hesperien ruht auf diesem blonden Haupt! Schleier eines Weibes, das unsterbliches Leben in sich hat!
Wie Schimmer der Plejade, die Orion so liebte, die Augen, segenströmende Monde, voll von himmlischem Feuer, astrale Fackeln aus Kiefernholz, Blaue Blumen, Traumaugen, Garten-Eden-Sterne voller Vergiß-mein-nicht, Veilchen mit holdseligen Mädchenblüten, Lilienmonde! O die blauen Meere, die Mütter des Lebens, o die veilchenaugigen Töchter der Liebe, o die tiefen Teiche, an den Tauben sitzen, o an eurem Saume sinnend, findet der Dürstende den berauschenden violetten Wein der ewigen Liebe!
Lippen wie Rosenblütenblätter, auf denen der Nektar der olympischen Venus schlummert, lächelnd wie rosige Amoretti, trunken von Ambrosia, Palmblätter sieghafter Keuschheit! Seligmacherinnen seid ihr, süßer als der Kakao von Kusch! Rosen, Rosen, Rosen! Eos, die Morgenröte, und Eros in ihrem Schoße, die Liebe, liegen auf deinem rosenlippigen Mund, wenn du küssest, Eva! O küss Küsse zahlreich wie die Sterne der Plejade, die Orion so liebte!
Perlenkränze, lobpreisend das weiße Sternbild der Jungfrau, welche zum Kreuz des Südens schaut, sind deine Zähne, lauter kleine Schwanenküken, badend in der roten See deiner Lippen! Deine Zähne sind lauter kleine Elfeinbeinplektren, mit denen Sappho auf goldener Lyra für Kypris und Adonis spielte! Deine Zähne sind lauter kleine Elfenbeintürme Davids, in denen David träumte von Michal, der Prinzessin! Deine Zähne sind lauter weiße Pergamente oder Papyrusblüten, auf denen siebenzungige Dichter niederschreiben ihre Oden vom Küssen, Küssen, Küssen! Schneeflocken, aus den Rosenhimmeln Auroras gesunken mit schaumweißem Tanz!
Goldene Glocken von untermeerischen Domen sind deine Brüste, sind rote Äpfel vom Baum des Lebens, sind Nährmütter der tröstenden Weisheit und Gazellenzwillinge, welche hüpfen, sind die Marmorbrüste der Melitta von Petra Tou Romiou, wenn sie in Marion badet!
O Eva, in der Grotte, o Eva, in der Nacht, o Eva, wo du gesegnet bist mit Liebe!
Du bist die unsterbliche Geliebte, du bist die Immerneue,-
die immerneue Eva, die immerneue Eva, die immerneue Eva, die immerneue Eva, die immerneue Eva, die immerneue Eva, die immerneue Eva!


4. Prophezeiung

Es war einmal ein guter Fürst, und es war einmal eine ängstliche zitternde Taube, die zitterte und war ängstlich, denn sie sah einen Falken kommen, der sie packen und fressen wollte. Da flüchtete sich die Taube zum Fürsten und suchte Schutz bei ihm. Der Fürst gewährte der Taube sicheren Schutz. Aber der Falke trat auch zu dem Fürsten und sagte: „Gib mir die Taube!“ Und der Fürst sagte: „Laß die arme, zitternde Taube, nim dir eine starke Wildsau, aber laß die arme, zitternde Taube!“ Und der Falke sagte: „Ich fresse aber keine Wildsauen, denn ich bin ein Falke, und der Falke will die Taube fressen!“ Und der Fürst besann sich bei sich selbst und entschloß sich zu sagen: „Ich will dir Fleisch von meinem Bein geben und es aufwiegen gegen die Taube, dann kannst du mein Fleisch fressen, und die Taube geht frei aus.“ Und der Falke war einverstanden, denn des Fürsten Fleisch war wie Taubenfleisch. Also schnitt sich der Fürst sein linkes Bein ab und wog es gegen die Taube, denn er durfte (da er ein gerechter Fürst war) den Falken nicht betrügen. Das Bein wog aber leichter als die Taube. Daraufhin schnitt er sich das rechte Bein auch noch ab, aber immer noch war die Taube schwerer als die beiden Beine. Daraufhin schnitt sich der Fürst alles Fleisch vom Leibe, und da wog es die Taube auf, aber er selbst stand da als ein blutiges Skelett. Der Falke fraß das Fleisch, und die Taube war frei und dem Fürsten von ganzem Taubenherzen dankbar. Als der Falke davongeflogen war, stand der Fürst (denn es war ein wundervoller Fürst) wieder als ein herrlicher Fürst mit schönem Leibe da und sandte die Taube aus, den Brief von seiner Liebe an alle Enden der Erde zu tragen.



II. TIAN JING – DAS BUCH DES HIMMELS


ERSTE ABTEILUNG

(Diese Abteilung wird dem Lenz zugeordnet und behandelt das "Wahre Buch vom Südlichen Blütenland" des Tschuang Tse.)

1

Der Meister sagte zu seinem Jünger A-Ji: "Tschuang Tse sagt: Der höchste Mensch ist frei vom Ich, der geistige Mensch ist frei von Werken, der berufene Heilige ist frei vom Namen.- Was ist das Ich? Es gibt ein doppeltes Ich, das erste und gute Ich ist ein Spiegel des Himmels, erfüllt vom Himmlischen Frieden, unsterblich und rein, das zweite Ich wendet sich dem roten Staub zu, ist irdisch gesinnt und vergänglich und liebt die Tugend nicht. Vom letzteren ist der Weise frei, er hat es in den Tod gegeben. Aber seine Persönlichkeit, wie der Atem des Himmels sie hingehaucht hat, die hat zurecht Bestand. Nach dem Bestand des Wesens sehnten sich schon viele, sowohl die Herrscher der alten wie die der neueren Zeit, aber man erreicht nicht lange Dauer durch magische oder tugendhafte Werke oder aus der Hand der Gui-Geister, sondern allein der Himmel verleiht die Dauer, da er selbst ewig ist. Im Himmel beginnt der Weg, da ist die Quelle des langen Lebens immerdar, und wer auf diesem rechten Wege wandelt, kehrt sich zur Unsterblichkeit. Das ist Sinn und Ziel des Weisen, des (vom Himmel) berufenen Heiligen, darum sehnt er sich nicht nach einem irdischen und gar vergänglichen Ehrennamen, wie die Narren es tun, sondern er ist frei vom eigenen Namen. Ist er darum namenslos? Das sei ferne! Sondern er ist gerufen nach dem Namen des Himmels (ich nenne ihn Dao)." Da hob A-Ji seine feinen Brauen, die wie schlafende Seidenraupen waren, und sagte: "Meister, woher hast du das?" Worauf der Meister sprach: "Ich hörte einem Klangstein zu, und die Musik trug mich auf Flügeln in die Unsichtbare Welt der Himmlischen Geister."

2

Der Meister sah in einer Vision zwei Katastrophen; die eine war geschehen in der Vergangenheit, eine große Flut, und die andere wird geschehen in naher Zukunft, ein großes Feuer. Da dachte er sich: Wer kann bestehen? Nur wer sein Vertrauen auf den Himmel setzt. Wie recht hat doch Tschuang Tse, wenn er vom Gläubigen sagt: "Eine Sintflut, die bis an den Himmel reicht, kann ihn nicht ertränken. Gluten der Hitze, in denen Metalle und Steine zerschmelzen und die Erde und Berge verdorren, können ihn nicht verbrennen." In vergangener Zeit rettete der Himmel einen Menschen, den wir Da Yü nennen, in einem Boot (einem Acht-Leute-Boot); in der kommenden Zeit wird er die Himmelssöhne, die Dao-Jünger retten durch seine Liebe.

3

Der Lieblingsjünger des Meisters, A-Ji, kam mit einer Bambusflöte des Weges von Honan in die Eremitage des Meisters, da hörte der das süße Flötenspiel und sagte: "Tschuang Tse redet vom Orgelspiel des Himmels. Was meint er damit? Es gibt verschiedene Orgelpfeifen, die eine ist lang und die andere kurz, die eine gibt einen tiefen und die andere einen hohen Ton, aber alle sind gleich wichtig, um eine vollkommene Musik zu erzeugen. Aber nicht die Pfeifen allein machen die Musik, sondern der Wind, das ist der Atem des Himmels. Tschuang Tse sagt: Hinter all dem steht eine treibende Kraft, die macht, daß jene Klänge sich enden und daß sie sich erheben.- Ist dir aufgefallen, mein lieber Sohn, daß der Weise zuerst das Ende der Töne anspricht und dann, daß sie sich erheben? So macht der Atem des Himmels unsern letzten Seufzer, aber er macht auch, daß wir (um mit den Dichtern zu sprechen) auf einem Gelben Kranich uns erheben in das Reich der Unsterblichkeit. Ist dieser Atem des Himmels auch der Geist deiner Musik? Dann soll sie mir gefallen." Daraufhin fing der Meister an zu singen: "Zhi dao wan dai".

4

Als zum Meister in seine Einsiedelei ein junger Wahrheitssucher kam, der den Meister zum Lehrer haben wollte, da setzte der Meister dem Menschen mit den schönen Augen etwas Reis und grünen Tee vor und fragte: "Wie ist dein Name, schöner Mensch?" Und der Wahrheitssucher sagte mit melodischer Stimme: "Mein Vater nannte mich Liang-Yi, aber wenn du mir einen anderen Namen geben willst?" Da lächelte der Meister und sagte: "Ich erkenne den Namen an, den dein Vater dir gab. Und du suchst einen Lehrer in Weisheit? Weißt du, was Tschuang Tse sagte? Er sagte: Man muß wohl einen wahren Lehrer annehmen, obwohl wir keine äußere Spur von ihm zu erfassen vermögen. Man kann entsprechend seinem Glauben an ihn handeln.- Das ist ein Wort, des Bedenkens wert. Aber welcher Lehrer ist würdig, das man an ihn glaube? Das Dao sei unser gemeinsamer Lehrer, es ist das Wort der Weisheit und ist älter als Mond und Lotosblumen. Ja, schon im Anfang war das Dao beim Himmel wie ein Kind und spielte vor dem Jadethron des Himmels, da es vom Atem des Himmels alle Erkenntnis der Ewigkeit empfing. Nimm dir das Dao zum Lehrer, und wenn du es auch nicht siehst mit deinen fleischlichen Augen (die schön sind wie die einer Prinzessin), dann kannst du im Glauben doch erkennen, daß das Dao sozusagen eine Himmlische Person ist, und da das Dao das Wort ist, das der Weg ist, so folge ihm und du bist auf dem rechten Weg, dem Weg des Himmels, da dich der Atem des Himmels belebend treibt in die Ewigkeit. Zweifle nicht, Liang-Yi, glaube!"

5

Und Liang-Yi, der aus Nanking gekommen war in des Meisters einsame Berghütte auf dem Taishan, wurde ein Jünger des Meisters, bemüht, seine Lehre von der Wahrheit des Himmels zu erfassen. Da stellte Liang-Yi eine Frage: "Lieber Meister, als du mich das erste Mal sahst, sprachst du von meinen Augen, die du nicht verschmähtest, schön zu nennen. Was nennst du schön?" Da war der Meister einen Augenblick stille und besann sich im innersten Inneren, da er sich besprach mit dem Geist, und daraufhin gab er zur Antwort: "Tschuang Tse sagt: Der Berufene sieht die Dinge an im Lichte der Ewigkeit.- So hab ich deine Augen angesehn, und da hab ich gesehn, daß deine Augen nach dem Himmel Ausschau halten wie die fliegenden Vögel, ich merkte: Dieser Mensch hat Phönix-Augen, die aufschauen. Alles Gute kommt von oben, vom Himmel der Himmel, und wer viel dahin schaut, dessen Augen werden erleuchtet vom Licht des Himmels. Du, mein Lieber, hast Augen, die leuchten, als ob du Honig gegessen hättest, aber nicht vom Honig leuchten deine Augen, sondern von der Erleuchtung, die in dir wohnt. Was suchst du eigentlich bei mir, da du schon einen Himmel im Herzen hast?" Da senkte Liang-Yi seine Wimpern demütig beschämt und sagte: "Ach Meister, du weißt doch wirklich mehr über mich selbst als ich. Wieviel mehr erkennt mich der Himmel, der meine Augen so kunstvoll bereitet hat wie die Sterne der Weberin oder des Hirten."

6

Der Meister stand eines Morgens früh auf (er pflegte immer früh aufzustehen, mit den Vögeln und dem Morgenstern) und wanderte über den Taishan; an seiner Seite gingen seine beiden Jünger: A-Ji mit den Seidenraupenbrauen und Liang-Yi mit den Honigaugen. Auf einen Felsen setzte sich der Meister und hob die Stimme: "Meine lieben Kinder, was denkt ihr über folgenden Spruch? Das Dao zu erkennen heißt, des Himmels Schatzhaus zu besitzen.- Ist das nicht ein ganz herrliches Wort?" Da sagte A-Ji: "Mir scheint, im Himmel ist eine wunderbare Welt, wenn es da auch gar ein Schatzhaus gibt. Das müßte aussehen ganz von hellgrüner Jade und roten Edelsteinen und von außen geschmückt ganz regenbogenfarben oder smaragden." Da lächelte der Meister und sagte: "Die hellgrüne Jade ist grün wie das Leben, das dauert, und hell wie das Licht des Himmels; der rote Nephrit ist rot wie das Herz des Himmels, das heißt die Liebe, und das regenbogenbunte Drumherum, das ist die Vielfalt der Himmelssöhne." Da hob Liang-Yi seine Arme zum Himmel und sagte: "O welch ein Lohn, das Dao zu erkennen, das so reich ist an Liebe und Licht und Leben! Nach dieser Erkenntnis trachten ein irdisches Leben lang, das ist ein wertvolles Leben, ja, das hat Sinn." Da freute sich der Meister über seine Jünger und sagte: "Darum schämen wir uns nicht unserer irdischen Armut, weil wir im Himmel einen Schatz haben, und wo unser Schatz ist, da ist unser Herz."


7

Der Meister schlief wenig; wenn er sich auf seine Bambusmatte legte, dann nicht, ohne mit dem Himmel zu reden. Oft wachte er in der Nacht auf und sagte: "Der Himmel hat zu mir geredet: Ich liebe meinen Jünger!" Als er nach solch einer Nachtwache aufstand, sah er zur aufgehenden Sonne, die den Taishan vergoldete, setzte dann Wasser für seinen Tee auf, weckte die beiden Jünger, die in einer Nebenkammer ruhten, und sagte: "Ich denke über ein Wort des Philosophen nach. Er sagte: Es gibt wohl ein großes Erwachen, und danach erkennen wir diesen großen Traum.- Was wird das für ein Erwachen sein? Ich meine, wir werden jubeln wie die Lerchen, wenn sie sich aufschwingen zum Licht des Himmels. Und wenn wir hier nur in dunklen Rätseln denken und vieles uns geheimnisvoll und unergründlich scheint, dann werden wir da Klarheit haben und sehen die Wahrheit in voller Schönheit und Güte. Die bedrängenden Träume werden wir abschütteln, uns gern der prophetischen Träume erinnern. Der lichte Morgen der Ewigkeit wird alle Schatten der Nacht verbrennen mit seinem heiligen Feuer. Aber mit Pfingstrosenarmen, weiß und rosig, wird uns das unsterbliche Leben umarmen. O meine Kinder, ich kanns nicht aussagen, ich glaub, ich müßte ein Poet sein!"

8

Kurz, nachdem in den Städten und Dörfern der Welt das Neujahrsfest gefeiert wurde mit dämonischem Zauber, da trat in die Stille der heiligen Einsamkeit zum Meister mit seinen beiden Jüngern ein junger Mann. Er trug ein einfaches Bauernlinnen, im Beutel hatte er nur ein wenig Ginseng, in seiner Hand hielt er einen knorrigen Knotenstock. Aber diese ärmliche Erscheinung wurde bereichert durch ein himmlisches Lächeln in seinen Augen und auf seinem ganzen Gesicht. Er neigte sich ehrfürchtig, als er den Meister sah, und sagte: "Ein Himmlischer Bote befahl mir in einem Traum, dich aufzusuchen, um von deinen Lippen Worte des Lebens zu lesen. Siehe, hier bin ich." Da freute sich der Meister, daß der junge Mann gekommen war, denn er hatte ihn schon erwartet. Der Meister klatschte in die Hände und rief: "A-Dar, A-Dar, ich habe ein Wort des Philosophen für dich: Erhebe dich ins Grenzenlose! Und wohne im Grenzenlosen!" A-Dar dachte nach und fragte: "Meister, deute mir das Wort." Und der Meister: "Grenzenlos ist der Himmel der Himmel, da ist alle Macht versammelt, die kein Berg aufhalten kann, die übers Wasser laufen kann von einem Ende des Himmels bis zum andern, von einem Winkel des Meeres zum andern. Da hat eine Stadt von Jade das Dao, und diese Stadt selbst soll deine Wohnung sein. Wer sein Herz an die Ewigkeit bindet, dem scheint das Menschenleben auf Erden das Dasein einer Eintagsfliege, aber das bekümmert ihn nicht, denn nach seinem letzten Seufzer ist er daheim!"

9

A-Dar und A-Ji waren im Gespräch begriffen über die Vögel des Berges, da sagte der eine, der Spatz sei schöner, und der andere, der Sperling sei schöner, der eine meinte, eine Frau solle die Haare lang und offen tragen, der andere meinte, sie solle den Knoten tragen. Sie hatten sich in den Garten des Müßiggangs, in den Hain der Nichtigkeit verirrt. Der Meister hörte es eine Zeit lang geduldig sich an und sagte dann: "Ihr redet wie Poeten. Wann werdet ihr weise? Kennt ihr nicht das Wort: Ich verlasse mich ganz auf den Geist und nicht mehr auf den Augenschein, der Sinne Wissen hab ich aufgegeben und handle nur noch nach den Regungen des Geistes?- Wisst ihr nicht, daß ihr Geist vom Geiste seid, daß euer Atem Ausfluß ist des Himmlischen Atems? Was meint ihr denn, ist eine Frau anderes? Fragt nicht, ob sie ein Phönixschmuckstück oder ein Eisvogelfederschmuckstück im Haar trägt, sondern ob ihr Geist Vertrauen zum Himmel hat. Lieblich sein, rosige Wangen haben ist nichts, ist wie schnell verblüht! Aber einen Himmel im Herzen: das ist liebenswert." Da schämten sich A-Dar und A-Ji, daß sie nicht weiser waren als Besucher in den Gassen der betörenden Blüten.

10

Noch am folgenden Tage schämten sich die beiden Jünger, und sie trauten sich nicht mehr unter die Augen des Meisters, darum schütteten sie ihr Herz Liang-Yi aus. Der trat zum Meister und erzählte ihm alles. Da sagte der Meister mit einer Stimme voller Barmherzigkeit: "Was den beiden geschehen ist, das ist heute allgemeines Menschenlos. Der Philosoph nennt es: ein Abweichen von der himmlischen Wesensart, so daß man die anvertrauten Gaben Gottes vergißt.- Aber sie mögen sich nicht bekümmern. Darum ward ja das himmlische Dao irdische Tugend, daß man diesen Weg gehen kann. Reue ist gut, das sag ihnen, aber sie sollen sich nicht zergrämen, sondern auf die Güte des Himmels bauen. Sag ihnen dies: Bereut! Der Himmel ist nahe!"

11

Liang-Yi wollte für eine Zeit in die Welt hinauswandern, er fühlte sich zum Wanderphilosophen berufen. Er sprach den Meister darauf an, und der sagte ihm: "Gehe nicht zu den Weisen in den Einsamkeiten. Zum einen scheint ihnen meine Lehre eine Torheit und Narretei, zum anderen sind sie bereits auf der Suche nach Unsterblichkeit. Geh vielmehr zu den Studenten und Melonenverkäufern, zu den Blumenmädchen und Nebenfrauen, geh zu Beamten und Bonzen, geh zu den Bettlern. Ja, sind sie nicht alle Bettler um Geist? Sie sind krank an der Seele, weil sie die himmlische Natur verlassen haben. Darum sagt der Philosoph: Ein Reich, das in Verwirrung ist, muß man suchen. Vor der Tür des Arztes sind viele Kranke.- Ich sage dir, die Kranken bedürfen des Arztes. So gehe hin in Frieden, aber kehre zu Neumond wieder, denn ich habe noch einige Worte für dich, die gut sind, daß du sie hörest."


12

A-Ji bat den Meister, ihm etwas geschälten Reis kochen zu dürfen, und er fragte, ob er auch Geschmack fände an etwas Melonentee. Da merkte der Meister, daß A-Ji ihm dienen wolle. Weit entfernt, hochmütig zu sein, nahm der Meister dies zur Gelegenheit, den Lieblingsjünger zu belehren: "Mein Sohn, in der Schrift, über die ich schon öfter gepredigt habe, steht folgendes geschrieben über das Dienen: Wer ein Diener des Himmels ist, der weiß, daß der Himmelssohn und er selbst in gleicher Weise vom Himmel als Kinder angesehen werden.- Wieviel mehr wäre es also gerecht, wenn ich dir diente!" Das verstand A-Ji, und er verstand es so: Die Kinder des Himmels sollen einander dienen, so dienen sie auch dem Himmlischen Vater. Da sagte A-Ji: "Wie schön ist doch das Geräusch, wenn man Reis wäscht! Darum will ich dir dienen, mein Meister! Du dienst mir schon genug mit deinem Wort!"

13

Die Hütte war nicht groß und prächtig wie der Kaiserpalast von Tschang-an, aber es lebte sich ganz herrlich in dieser Eintracht und Einmütigkeit. Da empfand A-Dar etwas ganz Wunderbares, aber er konnte es nicht in Worte fassen. Der Meister aber durchschaute seinen Jünger und sagte: "Mein Freund, wenn du in deine Kammer gehst, dann vergißt du nicht das Dao, du bewahrst es im Herzen und traust dem Himmel. Das ist recht und die wahre Tugend. Wer so lebt, auf den trifft das Wort aus der philosophischen Schrift zu, das da lautet: Zu einem solchen kommen die Unsichtbaren, um bei ihm Wohnung zu nehmen.- Ja, ich sage dir, in deine Kammer kommen der Himmel und sein Dao, der Atem des Himmels säuselt in deiner Wohnung, und das ist des unaussagbaren Wohlempfindens eigentliche Ursache. O mein Freund, ist das nicht ganz wunderbar? Der Himmel ist der Hausvater in unserer Hütte, das ist noch schöner, als wenn selbst der Kaiser Wu-Di in all seiner Pracht uns besuchte!"

14

Über den Taishan flog ein Zug Wildgänse, weiß und geordnet, denen schaute A-Dar nach, und da er die Vögel des Himmels verfolgte, dachte er über den Himmel nach und was noch über dem Blau des Äthers sich befindet. Der Meister sah seine Blickrichtung und sprach gütig: "Die Menschen sehen im Himmel ihren Vater, sagt Tschuang Tse, und lieben ihn persönlich." A-Dar strahlte den Meister an und fragte: "Ist es nicht so, o Meister, daß wir Himmelskinder viel mehr sind als die nach Süden ziehenden Wildgänse? Und wenn die schon an die blaue Kuppel dringen, wieviel höher hinaus gehts dann mit uns! Zum Vater, in seine liebende Gegenwart! A-ya!"

15

Der Meister sagte: "Im Buch steht geschrieben, daß das Dao von Ewigkeit besteht, daß es den Geistern den Geist verleiht und die materielle Welt des Oben und Unten geschaffen hat. Ja, Tschuang Tse sagt: Das Dao ist älter als das Altertum und doch immer jung.- Ich meine, solch ein Dao ist wert, zu empfangen Anbetung und Loblieder. Ach, wäre es doch als Mensch unter uns! Ich wollte diesen Menschen auf den Mund küssen!"

16

A-Ji und A-Dar gingen über die Bergwiesen und betrachteten die schönen Blumen, die alle so kunstreich gefertigt waren, sie waren hervorragend modelliert, schöner noch als die großen Standbilder auf den Seelenwegen. Da sagte A-Ji: "Die Natur ist ein großer Schmelzofen, der Schöpfer ist der große Gießer." Und A-Dar stimmte in den Lobpreis ein: "Wohin er mich schickt, soll es mir recht sein." Und da sie einmütig mit den Worten des Weisen den Schöpfer priesen, tönte eine Stimme vom Himmel: "Es ist vollbracht!... (Ich schlafe ein, und ruhig werde ich wieder aufwachen...)"

17

Als die beiden Jünger von der Berghöhe zurückkamen, da sie die Stimme des Dao gehört hatten, kamen sie zur Hütte, die im Schatten immergrüner Kiefern stand, sie traten ein und sahen den Meister auf dem Boden liegen, mit der Stirn auf den Planken. Er hatte sie schon bemerkt, schaute kurz auf, ganz geduldig und gütig lächelnd zitierte er ein Wort des Alten: "Ich bin eben dabei, mit dem Schöpfer zu verkehren." Die beiden Jünger zogen sich demütig zurück, und der Meister fiel wieder weinend auf sein Angesicht.

18

Da der Meister betete, hörte er die sanfte Stimme, mit der ihn der Atem des Himmels von innen anhauchte, süßer als Honig: "Sie alle sterben; ich allein bin!" Da empfand der Meister diese unaussagbare Gnade, daß dieser "Ich bin" sich herabließ von seinem majestätisch-himmlischen Thron und zu seinem geringsten Knecht auf Erden so barmherzig sprach. O Herr!

19

Nach seiner stillen Zeit rief der Meister seine beiden Jünger (Liang-Yi war ja bis zum kommenden Neumond auf Wanderschaft) und sagte: "Ich will euch die Demut und Ordnung lehren. Es heißt: Dem Dao gegenüber muß der Edle alles eigene Streben aus seinem Herzen verbannen.- Könnt ihr das? Macht euch auf den Weg! Überwindet euch selbst! Der Mensch ist sich selbst der größte Drache! Aber der Himmel gibt seinen Jüngern ein Schwert, diesen Drachen zu richten, es ist das selbe Schwert, mit dem der große Tang den letzten Tyrannen der Xia-Dynastie vertrieb und das fromme gottwohlgefällige Königtum der Shang errichtete. Laßt ab von den Wegen der bösen Leidenschaften, laßt euch vom Atem des Himmels erfüllen, der der wahre Meister ist und euch auf den Weg des Himmels führt, den das Dao als Himmelssohn für alle Menschen zwischen den vier Meeren gebahnt hat zum Vater Himmel! Auf, auf!"

20

Als der Neumond am Himmel stand, dunkel wars die Nacht so ganz und gar, da kehrte wie eine leuchtende Lampe Liang-Yi wieder zu seinem Meister, der ihn freudig empfing. Liang-Yi sagte: "Wie irrte ich, als ich fortging von dir, mein Meister!" Da gab der Meister ein Wort der Weisheit: "Wenn einer seine Torheit einsieht, so ist er noch nicht ganz betört.- Mein Sohn, wie freue ich mich, daß wir gemeinsam nun wieder in der Stille dem Himmel lauschen wollen. Und wenns auch ganz finster um uns ist, das Dao in uns macht uns zu Lichtern in der Welt, herrlicher als der Mond und der Himmelsstrom!"

21

Am folgenden Morgen, als die Luft so klar und frisch war auf dem Taishan, da kam Liang-Yi von seinem Frühgebet zurück in der rosigen Morgenröte, um den Tee mit seinen Brüdern zu trinken, da sagte er: "Welch ein Friede zwischen uns!" Der Meister nickte: "Friede mit den Menschen, das ist menschlicher Friede; Friede mit dem Himmel, o das ist himmlischer Friede! - Gewiß, der zog in dein Herz ein, Liang-Yi, ich seh es am Glanz auf deinem Angesicht."

22

"Meine Kinder", sprach der Meister, "meine lieben Kinder, wie lieb ich den Himmel und das Dao und den Atem des Himmels! Er hat mich gesegnet in dieser Morgenstunde, angerührt und berührt hat er meine Empfindung. Seht und suchet, ob ihr die Gottheit fühlen könnt! Wie sagt der Liebhaber der Weisheit?: Unaussprechliche Unendlichkeitsgefühle stiegen in mir auf. - O Weite an Weite, Herrlichkeit an Herrlichkeit! Ewigkeit, Ewigkeit, Kinder! Da sah ich die Jadestadt des Allerhöchsten und das Dao wie einen Himmelssohn mit ausgebreiteten Armen, mich willkommen heißend! Myriaden Geister lobten ihn mit ehrwürdiger Tonkunst! Kinder, ich sage euch: Gerechtigkeit, das ist das Lamm über uns! A-ya!"

23

A-Ji dachte viel nach, und er fand viele Prinzipien, daß sich sein Geist verwirrte vor lauter Philosophie. Da sah ihn der Meister ratlos, erkannte seine Gedanken und sagte: "Laß dich nicht verwirren von Philosophie. Ich will dir sagen, worauf es in den letzten Dingen ankommt. Wir haben ja die Alten zum Vorbild, und wie sagt Tschuang Tse?: Die höchsten Menschen der alten Zeit nahmen die Liebe zum Pfad. - Die Liebe ists!"

24

Liang-Yi hatte eine Stimme, schöner als Musikstein und Kultglockenspiel, aber er sang keine närrischen Lieder, sondern Lobpreis, und so sang er dieses Lied des Weisen:
"Wer des Wortes reine Art
Innerlich im Geist bewahrt
Und verliert in keiner Not,
Der wird eines sein mit Gott!"
Da der Meister seinen Jünger so singen hörte, sagte er: "Woher hast du das, daß du so singen kannst? Ich halte dafür, daß es eine himmlische Begabung ist. Darum Dank! Denn so erfahre ich wieder, wie schön die Gesänge der Unsterblichen in den Gefilden der Ewigkeit, oben im Himmlischen Garten sein werden!"

25

A-Ji, A-Dar und Liang-Yi hatten sich untereinander besprochen, sie hatten die Lehre des Meisters weiter vertieft und sich gegenseitig ihre Erkenntnisse mitgeteilt. Dabei waren sie auf eine Frage gestoßen, die ganz lebendig vor ihren Sinnen stand und sie drängte. Also hob A-Ji als der Älteste der Drei seine Stimme, wohltönend im Klang, und er sagte zum Meister: "Ehrwürdiger Meister, eines haben wir, wie wir meinen, noch nicht ganz verstanden. Du sprichst desöfteren vom Atem des Himmels. Was ist darunter zu verstehen?" Und der Meister faltete fromm seine Hände vor der Brust, schlug die Augen zum Himmel auf und hauchte: "Der Geist, heißt es, entsteht aus dem Dao. - Der Atem des Himmels ist der Geist des Himmelsvaters, der wie ein Wind weht, so unsichtbar, so von einem Ende der Erde zum andern dringend. Die Alten lehrten, daß dieser Geist über die Flut des Anfangs blies, daß aus ihr die Erde auftauchte. Manche Dichter vegleichen ihn auch mit einem Vogel, der von einem Ende des Himmels zum andern fliegt. Ich meine, es ist ein singender Vogel, ein wahrhaft himmlisch singender Vogel, er singt schöner als Himmelsgans oder Phönix, er singt nicht nur schön, sondern (was erst eigentlich schön ist) vollkommene Wahrheit. Wenn der Atem singt, so süß, oder säuselt wie ein Abendlüftchen in den paradiesischen Hainen, dann beginnt der Mensch aus Lehm erst wahrhaft zu leben, er ist angehaucht mit Leben und voller Freude, zu der der Himmel ihn geschaffen hat. Ja, der Himmel hat den Menschen, wie die Alten sagen, aus Lehm geschaffen und ihn mit dem duftenden Atem des Himmels angehaucht, mit Geist von seinem Geiste, mit Leben aus der Quelle des Lebens. Ach und Weh über die Menschheit, daß sie so sehr abgekommen ist vom Weg des Dao und gefallen ist in die Begierden des roten Staubes! Aber nicht verläßt uns der Atem des Himmels, sondern als ein Geist der Freude ist er uns in unserer Trübsal, mitten in des Chaos Mitte, ein Trost, so süß und selig seufzend nach der Seligkeit. Ach Kinder, wenn ich es sagen könnte, mit welchem himmlischen Trost ich getröstet wurde in meiner Trübsal, die mich ergriff über die Nichtigkeit der Welt! Sinn und Seligkeit, Glut und Geist, Friede und Freude hauchte mir ein der heilige Atem des Himmels. Gewiß, dieser Hauch ist eine Gottheit, ebenbürtig dem Vater Himmel und dem Dao und mit beiden eins, kurz: mein Herr!"



ZWEITE ABTEILUNG

(Diese Abteilung wird dem Sommer zugeordnet und behandelt die Gespräche des Kung Fu Tse, das "Lun Yü".)

1

A-Ji und Liang-Yi gingen in brüderlicher Eintracht über den Taishan durch das geheimnisvolle Kiefernwäldchen, als eben die Sonne aufging und die Lichtung vergoldete. Da flog der Vogel Fong vorüber und sang aus den Lüften: "Ein Jüngling soll seine Liebe überfließen lassen auf alle!" Da sagte A-Ji: "Wenn ich recht unterrichtet bin, ist das ein Wort Kung Fu Tses"; und Liang-Yi sagte: "Das ist eins der Lieblingsworte unseres Meisters."

2

A-Dar zweifelte an der Wahrheit des Dao, diesen Zweifel hatte ihm ein Gui-Geist eingeblasen, und er hatte sich nicht zu wehren gewußt. Aber der Meister sah A-Dar an seinem zerrissenen Gesichtsausdruck seine innere Zerrissenheit an und sagte: "Bewahre dies Wort Kungs: Mache Treue und Glaube zu deiner Hauptsache.- Glaube an die Wahrheit des Dao und glaube, daß des Dao Liebe treu ist und nach deiner Treue trachtet. Es ist wie in einer Liebesbeziehung, da Vertrauen und Treue so wichtig sind."

3

Als nun A-Ji und Liang-Yi von ihrem Spaziergang zurückkamen, da nahm der erste die Bambusflöte, um ein altes Loblied zu spielen, Liang-Yi aber verneigte sich vor seinem Meister. Dieser betrachtete seine zwei Jünger genau, als sähe er mit Feuerkohlenaugen direkt in ihr Herz hinein, und sagte dann: "Kiu sagte: Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Form? Ein Mensch ohne Menschenliebe, was hilft dem die Musik? - Lobpreis und Demut, die sind beide nichts wert ohne Liebe."

4

Eines Abends, der Sturm rüttelte an der Hüttentür, klopfte es, und ein armer Mann trat herein, machte den Kotau vor dem Meister und sprach: "Eine Sündenlast zernagt mir die Seele, ich hoffe hier den Frieden zu finden." Da sah der Meister des armen Mannes Zerknirschung und sagte: "Wer gegen den Himmel sündigte, hat niemand, zu dem er beten kann;- so sagt Kiu. Aber einer betet für uns, das ist das Dao, das vor dem Jadethron des Himmels tönt und für dich eintritt, lieber Yün. Dieses Dao ist deine Gerechtigkeit: das Lamm über dir, es wäscht dich rein und kleidet dich in lotosweißes Hanflinnen. Sei getrost und guten Mutes." Da streckte Yün die Arme zum Himmel aus und rief: "O Himmel, o Himmel, o lieber Vater! Ich danke dir, daß du mir die Vergebung zugesagt hast durch den Meister, und ich bitte dich, daß ich sein Jünger werden darf!" Draußen donnerte es, der Sturm brauste gewaltig wie eine Heerschar über die Hütte hin. Yün war nun der vierte Jünger des Meisters.

5

Yün stellte sich den andern drei Jüngern vor und sagte: "Die Welt war lange ohne Wort Gottes, nun gebraucht der Himmel euren Meister als Glocke." Er meinte damit ein bronzenes Glockenspiel aus der alten Zeit, da man Gott spielte auf Glocken Opferlieder. Die Glocke läutet laut, daß die Schlafenden aus dem Schlaf erwachen und sich des Opfers bewußt werden. Das ist ein Wort Gottes, vom Himmel her gesprochen, daß das Lamm geopfert ward, die tugendlose Welt zu versöhnen mit dem Himmel.

6

Viele Menschen Shandongs waren abergläubisch und wandten sich den Geistern, der Magie und Zauberei zu, da ging eine abergläubische Familie den Taishan hinauf, um oben den Jadekaiser anzubeten, das taoistische Idol. Die Eltern hatten ihre Kinder dabei, die den Meister mit seinen Jüngern unter einer Krüppelkiefer sitzen sahen, wie er einen Pfirsich verspeiste, da liefen sie herzu. Die Jünger wollten sie wegschicken, aber der Meister sprach: "Kennt ihr nicht das Wort Kius: Die Kleinen möchte ich herzen? - Solch ein Vertrauen, wie die Kleinen zu Vater und Mutter haben, so vorbehaltlos hingebungsvoll, solch ein Vertrauen sollt ihr zum Himmel haben, der ein lieber Vater euch ist." Er schenkte den Kleinen ein paar Pfirsiche und rief ihnen zu: "Sheng ling shi ai!"

7

Yün hob die Arme zum Himmel und betete: "Ach, daß die Menschen den Weg verlassen haben und in Untugend leben! Was wäre da möglich, zu tun? Wenn nun einer käme und spendete dem Volk Gnade, ja wenn einer käme, der die gesamte Menschheit erlösen könnte; was wäre zu dem zu sagen?" Und da sandte der Himmel durch das Gebot eines Himmlischen Boten den Meister zu Yün, da sagte der Meister: "Dschung Ni sagte über den Erlöser: Göttlich wäre der zu nennen. - Haben diesen Erlöser nicht schon Yao, Shun und Yü erwartet, war er ihnen nicht durch Schafgarbe und Schildkröte verheißen: Gut ist es, auf den Wahren Mann zu sehen? Ich meine, er ist schon gekommen, ein wahrer Gottmensch. A-ya!"

8

A-Ji und A-Dar hatten Yün befragt, wo er hergekommen, da sagte der vierte Jünger: "Ich komme aus der Welt des Staubes, aber mit dem Himmel im Herzen. Da ich Worte der Wahrheit sagte, haben ungerechte Beamte mich verfolgt. Aber ich sagte mir immer mit einem Wort aus den Gesprächen: Gott hat den Geist in mir gezeugt, was kann Huan Tui mir tun? - Als meine Mutter mich in Lüsten empfangen und der Schöpfer mich im Mutterschoße bereitete, da hauchte mich Gott mit dem Atem des Himmels an, da hab ich meinen Geist empfangen. Meine Mutter erzählte mir später, daß ich immer, wenn vom Himmel die Rede war, in ihrem Mutterbauche hüpfte vor Freude. Der Himmel ist mein Baldachin, wie könnten mich da die zehn Sonnen stechen?"

9

Immer, wenn Liang-Yi einen Pirol zwitschern hörte, dachte er an das Wort des Meisters, der Erlöser wäre schon gekommen, das ließ ihm keine Ruhe, darum fragte er den Meister, ob der den Höchsten Heiligen gesehen habe mit eigenen Augen. Da sagte der Meister mit einem Worte Kius: "Den Gottmenschen zu sehen, war mir nicht vergönnt. - Ich habe die Offenbarung, daß das Dao auf der Erde gewandelt ist im roten Staub, aber im vollkommenen De, in vollendeter Tugend. Ist das begreifbar, daß das ewige Dao uns menschlich begegnete? Das ist mehr, als Götter und Geister können! Denn das ist Ausdruck der Liebe zu den Menschen (ren)."

10

Zu der Zeit, da die Menschen der Welt das Drachenbootfest feierten, kam ein junger Mann auf den Taishan, trat vor den Meister, der im Kreis seiner Jünger an einem Maulbeerbaum saß, und gestand ihm, daß er mit Blumenmädchen nach den Gesetzen des Kamasutra gelebt habe, wie er es ausdrückte. Da entrüsteten sich die Jünger und sagten, solch ein Mann der Untugend habe in ihrem heiligen Kreis nichts zu suchen. Aber der Meister sah die Schamröte auf den Wangen des jungen Mannes und sah die silberne Träne an seiner seidigen Wimper, da sagte der Meister mit einem Wort des Vaters der Lehre: "Wenn ein Mensch sich selbst reinigt, um zu mir zu kommen, so billige ich seine Reinigung, ohne ihm seine früheren Taten vorzuhalten. - Da du Scham über deine Schmach empfindest, mögest du dein altes Leben und den roten Staub der Welt von dir abtun durch eine rituelle Reinigung, eine Waschung und das Anziehen eines reinen weißen Gewandes, wie es schon die Shang hielten." Da freute sich der junge Mann, der To-To hieß.

11

To-To trat gereinigt und geheiligt dem Meister unter die Augen und fragte, was er nun bedenken solle und an welche Worte er sich nun halten solle. Da gab der Meister ihm zu seinem Neuanfang ein Wort aus der Schrift des Vaters der Lehre: "Bis zum Tode treu dem rechten Weg! - Das sollst du halten, denn wer bis zum Tode nicht vom Weg der Wahrheit abweicht, der geht am Ende in die Himmelstadt aus Jade ein, der wird wandeln im Himmlischen Garten unter Pfingstrosen mit seligen Genien!"

12

Und To-To fragte den Meister, ob er, To-To, ein Amt annehmen solle, er kenne die Klassiker und den Kanon, ja einen Großteil der Oden auswendig, wäre also geeignet, an der Regierung des Reiches mitzuwirken. Da schaute der Meister ernst und sagte: "Das Reich des Dao ist nicht von dieser Welt des roten Staubes. Kennst du nicht das Wort Kius: Meint ihr, ich möchte in den Armen von Ministern sterben und nicht vielmehr in den Armen meiner treuen Jünger? - Wes Geistes sind die politisch Mächtigen? Willst du dem grausamen Qin Shihuangdi dienen oder dem liebreichen Dao des Himmels? Dem Sklaventreiber oder der Mutter der zehntausend Wesen? Ein Amt, das ist eitel."

13

Yün fragte, wie man merke, ob man wirklich Vertrauen und Hingabe gegenüber dem Himmel in sich habe und übe, oder ob man sich mit religiösen Gefühlen selbst weihräuchere. Da sagte der Meister: "Der Weise sagte: Wenn das Jahr kalt wird, dann erst merkt man, daß Lebensbäume immergrün sind. - Siehe, erst wenn du in Not, Bedrängnis und Verfolgung gerätst, merkst du, ob du dem Himmel vertraust. Liegst du in Seide auf Samt und Brokat auf einem Kang aus Jade bei Reiswein und gekochtem Lachs mit Reis vom Yangtse, so magst du zufrieden sein mit deinem Leben. Aber danke dem Himmel um so inniger, wenn du mit der neunschwänzigen Peitsche gestraft wirst, wenn man die Knöchelpresse bei dir anlegt und dich in ein finsteres Loch zu den Ratten wirft. Dann dem Himmel Ja! zurufen und dankbare Liebe haben zum lieben Himmlischen Vater, das nenn ich Glauben, der Glaube genannt werden kann."

14

Liang-Yi sagte: "Im Dao wurden der Äther und das Reich der Mitte geschaffen, es ist unausschöpflich und geheimnisvoll. Und dieses nun, meinst du, kümmere sich um mich? Ich halte es nach meinem Empfinden für unnahbar und fern." Da schaute der Meister verständnisvoll in Liang-Yis schwarze Augen, die schimmerten, und sagte: "Mein Vorbild sagte angesicht des Todes: Wehe, Gott hat mich verlassen! Wehe, Gott hat mich verlassen! - Aber wie irrte er darin! Gott verläßt uns nicht, er ist der Verläßliche. Er ist unnahbar, aber uns so nahe. Vielleicht fühlte Kiu den Abgrund der Untugend mit seiner ganzen Verworfenheit. Aber flöhe ich auch zu den Gelben Quellen, siehe, Gott wäre auch da. So sorge dich nicht, fürchte dich nicht, weine nicht länger, o Liang-Yi. Gott ist mit dir!"

15

A-Ji machte sich viel Gedanken über die Ethik des Altertums, über Sitten- und Morallehren, den Tugendbegriff und die Auffassung von der Pietät, das Verständnis der Kinderliebe und Sohnespflicht. Er hatte eine Meinung ausgebildet, daß diese Tugenden auch für die Jünger seines Meisters vom Taishan Bedeutung hätten. Davon erzählte er dem im Natürlichen älteren, im Geistlichen jüngeren Bruder To-To, der nichts anderes zu sagen wußte als ein Kung-Wort: "Der Vater sei Vater, der Sohn sei Sohn." Er meinte wohl, daß der Himmel Vater sei und A-Ji Sohn, und so wie der Himmel wirklich Vater in allem ist, liebevoll und vorbildlich, erzieherisch wirkend und versorgend, so solle auch A-Ji ein Sohn sein, eine Freude seines Vaters, in Kinderliebe lebend, gehorsam und dem Wege des Vaters folgend. Dasselbe bezog To-To auch auf sich.

16

A-Dar sah man eines Abends sich plötzlich oben auf dem Taishan flach auf den Boden werfen, er kniete nicht nur, er neigte nicht nur seine Stirn zu Boden, er legte sich auf den Boden und drückte sein Antlitz auf den harten Felsen. Da pries er den Himmel in einer Zunge, die weder Mandarin noch Kantonesisch war. To-To, der herbeikam, staunte, schwieg, verharrte, und erst, als A-Dar sich erhob, fragte To-To, was das alles zu bedeuten habe. A-Dar sagte mit einem Gespräche-Wort: "Das Wesen des Herrschers ist der Wind, das Wesen der Geringen ist das Gras. Das Gras, wenn der Wind darüber hinfährt, muß sich beugen. - A-ya! Der Herrscher ist der Himmel, und da er mir begegnete, da warf ich mich vor ihm nieder. A-ya! Der Herrscher Himmel ist wie Wind, wie Hauch, wie Atem, und da er mich angehaucht hat und seine Liebe ausgegossen in meinem Herzen, darum preis ich ihn mit der Sprache der Himmlischen Boten." Da sagte To-To naiv: "Ich konnte deine Zunge nicht verstehen, aber es schien mir, als sagtest du immer wieder: Friede! Friede!"

17

Als im Sommer in hauchfeiner Sommergaze, flüssig und reizend wie Libellenflügel, Jungfrauen wandelten über den Taishan bei den Maulbeerfeldern, da wühlten sie To-Tos Herz auf, und er sah in sich und fand in seiner Seele Wollust, die den Frieden seines tugendhaften Geistes aufstörte und verwirrte. Er beichtete das dem keuschen A-Ji, dem Lieblingsjünger des Meisters, und der sagte: "Wie heißt es doch in dem Buch der weisen Gespräche? Seine eigenen Sünden bekämpfen und nicht die Sünden anderer bekämpfen, werden nicht dadurch die geheimen Fehler gebessert? - Was soll ich nun sagen? Schaue ich in mich hinein, so seh ich Mängel an Tugend. Will ich dir brüderlich helfen, so sag ich: Überwinde!" Da seufzte To-To und sagte: "Ach wie weit und fern ist mir die vollkommene Tugend! Ich bin mehr ein Wurm als ein Mensch!" Aber A-Ji begann zu singen ein uraltes Loblied aus dem Shijing, in dem der Gott des Alten Bundes, Shangdi, gepriesen wurde. Das schließlich half dem jungen To-To.


18

Es war ein herrlicher Sommertag, die Orchideen in den Tälern glänzten, die Schäfchenwolken am blauen Himmel überm Taishan glänzten, die Augen glänzten Yin-Ko, dem Jüngling, der da wandelte den Berg hinan zur Hütte des Meisters. Er traf den Meister, fasste gleich Vertrauen und sagte: "Ich hatte mich in eine siebzehnjährige Jungfrau verliebt, aber sie war schon einem anderen versprochen. Ich entschloß mich, aus der Welt in die Einsamkeit zu flüchten, um den Geist des Himmels zu suchen. Was soll ich nun aber sagen, da mein Herz noch voller jugendlich-törichter Schwärmerei?" Der Meister lächelte, er neigte sein Haupt zur Seite und sah aus einem schrägen Winkel Yin-Ko an und sagte: "Das eine Wort Kius halte dir vor, wenn dein Schicksal dir widrig scheint: Ich murre nicht wider Gott. - Ja, was er dir zumißt vom Himmel her, deinen Weg, den sieh an als einen Ratschluß und Weg himmlischer Liebe, Fürsorge und Güte. Und wenn du selbst dein Bestes nicht kennst, wenn du dich selbst nicht mehr verstehst in der Verstrickung deines Gefühles, dann sage mit dem alten Konfuzius dir dies: Wer mich kennt, das ist Gott. - Ja, was wolltest du mehr noch wollen? Damit hast du schon alles." Yin-Ko seufzte und sagte: "Das Dao hat mein Seufzen gehört und mir einen Tröster gesandt."

19

To-To sah Yin-Ko und befreundete sich mit ihm, denn er fühlte, daß sie eines Geistes seien, ja, beide wußten, der andere ist ebenfalls angehaucht vom Atem des Himmels, er hat sich eins gemacht mit dem Dao und erkennt die Herrschaft des Himmels an. Lob und Preis der Gemeinschaft, die der Himmel gestiftet hat. Da sah der Meister ihre Gemeinschaft und sagte: "Wohl denen, die die Macht des Geistes an sich wirken lassen. Dieser Geist ist ein Geist der Einmütigkeit, der Brüderlichkeit, des Friedens, der Harmonie und der Menschenliebe, der Tugend und des rechten Weges. Ihr, meine Kinder, ihr kennt die Macht des Geistes. Kiu sagte: Wenige sind ihrer, die die Macht des Geistes kennen. - Es sind vom Himmel Erkorene, deren Bund dauerhaft und fest ist. Lobenswert ist wahrlich diese Liebe zwischen euch!"

20

To-To und Yin-Ko sprachen aus einem Munde, eines Sinnes und Geistes, als wäre To-To Oberlippe und Yin-Ko Unterlippe, und der eine könne nicht reden, ohne daß der andere mitrede. Da sagte, ein Wunder des Himmels war es, da sagte (mit einem Worte aus den Gesprächen) To-To: "Gibt es ein Wort..." und Yin-Ko ergänzte: "...nach dem man das ganze Leben handeln kann?" Der Meister war so froh, so froh ihrer Einmut und Gleichgesinntheit, daß er an den beiden die Antwort ersah: "Die Nächstenliebe."

21

Als es einmal finstere Nacht war, der Mond von der Erde verdunkelt wurde, da belagerten grausige Dämonen, schwarze Krieger, die Seele A-Jis, der er flehte zum Himmel (Gott), daß er ihm helfe, ihn rette und beschütze. Er fürchtete sich in dem Augenblick nicht mehr vor den Dämonen, aber er fühlte eine große zitternde Ehrfurcht vor dem allerheiligsten Gott. Das drückte er am nächsten Morgen Liang-Yi gegenüber mit folgenden Worten aus: "Kung sprach: Der Edle hat eine heilige Scheu vor dem Willen Gottes. - Daß das Wirklichkeit und Wahrheit ist, hab ich erfahren, da mir diese Scheu geschenkt worden ist zum Schutz. Wahrlich, wer vor Gott heilige Scheu hat, ihn also mit gebotener Demut und kindlichem Herzen liebt, der ist geschützt, der ist zuhaus in der Burg des Himmels, der braucht sich nicht länger zu fürchten vor den Dämonen des Aberglaubens. Diese Scheu vor dem Willen Gottes ist der Anfang der Erleuchtung und der Weisheit jenseits des Wissens. A-ya!"

22

Nach einer Meditation mit dem Meister, früh am Morgen, sie hatten über ein heiliges Wort meditiert, das die Liebe des Allerhöchsten ausdrückte, nach dieser Meditation ging der Himmelsbürger Yün von des Meisters Hütte fort. Er ging zu den Vertretern einer philosophischen Schule, die versuchten, das Dao mit geistiger Spekulation zu erfassen. Sie bereiteten sich vor auf ein politisches Amt, sie wollten einen idealen Musterstaat im Reich der Mitte gründen nach den Prinzipien des Dao. Yün hatte eine andere Einsicht. Er sagte zu einem Vertreter dieser Philosophen: "Ihr studiert die Worte Kungs und versteht sie doch nicht. Ja, ihr versteht ja nicht einmal die Worte des Dsi Dschang. Wenn ihr nicht einmal die Erklärungen des Jüngers versteht, wie meint ihr, könnt ihr den Meister selbst verstehen? Wenn ihr die Jünger nicht liebt, wie wollt ihr den Meister lieben? Ja, seht in euch, ob ihr Liebe habt. Wie wollt ihr ohne Liebe zur Wahrheit etwas Wahrhaftiges begründen? Kennt ihr nicht dieses Wort des Dsi Dschang: Wer der Wahrheit in seinem Verstande zustimmt, ohne daß sie eine Macht in seinem Leben wird, der ist weder kalt noch warm. - Ja, ich sage euch, der Himmel wird solche lauen Leute ausspeien! Ich bin gewiß, das Herz des Himmels ist voll der Glut der Liebe, und ich will hineingeschmolzen werden, ich will, daß dieses Feuer der Liebe mein Herz läutert wie Gold und veredelt. Mein Ziel ist die Wahrheit, aber eine Wahrheit der Liebe, eine andere erkenne ich nicht an. Was ist Wahrheit? fragt ihr Philosophen. Ich frage: Wer ist Wahrheit? Der Gottmensch ist Wahrheit, der das Dao ist, der die Liebe des Himmels ist! Aber was red ich zu verschlossenen Ohren? Euer Verstand hat euer Herz hart und taub gemacht. Ach, ihr seid wie Schlangen, die den Beschwörer nicht hören! Ihr seid meinem Herzen eine Last und ein Ach und ein ständiges Flehen zum Himmel!" Als die Philosophen dies hörten, lachten sie Yün aus und jagten ihn mit Knüppeln fort.

23

Yin-Ko fragte den Meister, wer Heiliger sei und welche Erkenntnis ihn als solchen ausweise. Der Meister sagte: "Ich kenne ein Wort Kungs, das da lautet: Wer Anfang und Ende zugleich besitzt, der nur ist ein Heiliger. - Wer nun ist Anfang und Ende? Das Dao ists, denn im Dao wurde die Welt geschaffen, im Dao wird sie enden. Man kann es nun Anfang oder Ende nennen, es ist einfach wahr, es ist Wahrheit und Wirklichkeit. Der Anfang, der das Dao ist, ist ein mächtiger Anfang, nicht nur Beginn der Zeit, sondern urgewaltiges Geschehen. Ein solches vollzieht sich am Heiligen, wenn der Anfang seiner Weisheit zu ihm kommt, die Wende seines Lebens zum Ursprung zurück, das ist so unaussprechlich erhaben, gewaltig und machtvoll und herrlich, o Yin-Ko, da seh ich die Macht der Liebe, die im Dao mir begegnet, ja, daß der Himmel so an mir gehandelt hat! Diesen Anfang halt ich, wie ich das Ende ersehne, das Ende, das ein Wirken herrlich und groß ist und mich heimbringt in das Geheimnis der Geheimnisse." Yin-Ko sah den Meister mit großen Augen an.

24

To-To, eines Sinnes mit Yin-Ko, trat zum Meister und sagte: "Meister, du hast Yin-Ko gesagt, wer ein Heiliger ist, du hast gesagt, wer Anfang und Ende besitzt, ist heilig, geheiligt vom Dao, das da Anfang und Ende und Wort des Lebens ist. Der Heilige, ist es nicht der, der immer aufs Dao schaut? Was nun sagst du zum Dao? Ich meine, du hast ein Wort darüber auf dem Herzen, das wunderbarer ist als das Geschwätz der Philosophen." Da lachte der Meister herzlich und sagte: "Nicht, daß ich die Alten nicht ehren würde, ich nehme gern ein Wort des alten Kung auf. Eins seiner Worte liegt mir besonders am Herzen, er legt es dem heiligen Shun in den Mund, der da sagte: Wenn die zehntausend Gegenden Sünde haben, so bleibe die Sünde auf meinem Leib. - Das bedenke, mein Sohn. Du mußt wissen, daß Shun sich nicht selbst verherrlichen wollte, sondern als ein Prophet des Altertums sprach und das, was er scheinbar auf sich bezog, auf einen Gottmenschen bezog. Wer ist nun dieser? Ich meine, wie er Gott und Mensch ist, der Gottmensch, so ist er Dao und roter Staub zugleich. Ja, er ist das Wort des Lebens in einer tugendhaften Gestalt. Wäre mir die Gnade früherer Geburt zuteil geworden, ich wäre in den Westen gewandert, ihn zu sehen, über die Berge und über die drei Ströme, Euphrat und Tigris und Jordan, ins exotische Land gezogen wäre ich, dem Gottmenschen seine Füße zu küssen. Aber nun red ich von ihm, was mein Herz mir sagt. Er ist der, der sah, daß die Menschen der zehntausend Gegenden sündigten gegen Gott, indem sie den Himmelsvater verachteten und sich selbst an seine Stelle setzten, ihre Ahnen oder Götter und Geister mehr liebten als den Allerhöchsten und ohne Tugend lebten. Da ward das Dao unwürdige Staubgestalt und nahm bis zu einem fluchwürdigen Tod die Sünde aller auf sich und warf sich mit ihr in den Tod. Wo ist nun meine Sünde? Siehe, auf ewig dahin und von mir genommen ist sie fort und ab! A-ya! Aber der Gottmensch, siehe, zur Rechten des Himmlischen Vaters steht er und redet, das Dao, mit dem Atem des Himmels: Ich komme wieder!"



DRITTE ABTEILUNG

(Diese Abteilung wird dem Herbst zugeordnet und behandelt das "Li Ji", das Buch der Riten und Sitten.)

1

Der Meister versammelte seine Jünger um sich, als da waren: A-Ji, A-Dar, Liang-Yi, Yün, To-To und Yin-Ko. Er sagte zu ihnen: "Wir wollen von der Sitte reden, das ist, wir wollen von dem reden, was gut und was böse ist. Seit unsere Urahnen sündigten, haben wir Erkenntnis des Guten und Bösen. Aber wer ist gut, als Gott? Gott ist das Dao des Himmels. Im Li Ji heißt es darum: Was der Himmel dem Menschen bestimmt hat, ist sein Wesen; was dieses Wesen zum Guten leitet, ist der Weg. Der Weg darf nicht verlassen werden; dürfte er verlassen werden, so wäre er nicht der Weg! - Lange Rede mit tiefem Sinn! Kinder, euer Wesen hat euch der Himmel zugeteilt, er hat euch geschaffen, damit ihr auf dem Wege des Lebens wandelt. Daher hat jeder den Drang, die Unsterblichkeit zu suchen. Wer den Weg des Lebens gefunden hat, der hat schon Anteil an der Unsterblichkeit. Das ist nicht nur langes Leben von hundert Lenzen, das ist langes Leben immerdar, langes Leben von zehntausend Lenzen! Ihr habt den Weg, aber weicht nicht zur Rechten und nicht zur Linken! Zur Rechten ist die Unzucht des Leibes, zur Linken ist der Hochmut des Geistes. Seid demütig vor dem Himmel, aufrichtig gegenüber dem Dao und betrübt nicht den Atem des Himmels in euch. Wisset, das Dao ist der einzige Weg, der zum Himmel führt, zum Vater auf seinem Jadethron!"

2

Da sagte Yün, der in der Welt gewesen war und die Menschen kannte, da sagte er mit einem Li-Ji-Wort: "Ach, daß der Weg nicht begangen wird!" Er hatte eine Last auf dem Herzen, ein Mitleid mit denen, die noch nicht auf dem Wege des Lebens waren, darum auf dem Wege des Todes waren, arme Seelen!

3

To-To verstieg sich in Verzückung, Begeisterung und übermütigem Jubel. Er hielt es für Lobpreis sondergleichen, vom Dao Folgendes zu singen: "O Weg des Lebens, du bist groß und geheimnisvoll, du bist so fern und unfassbar, vor allen Universen warst du da, vorm Chaos, vor Licht und Finsternis, vor Geist und Seele und Leib, in unausschöpflicher Unergründlichkeit bist du zuhause, Urprinzip des Lebens könnte man dich nennen, zu heilig, als daß ich mich dir nahen dürfte!" Da mußte A-Ji ihn rügen, er hielt seinem Bruder im Dao einen Spruch aus dem Sittenbuch vor, das da lautet: "To-To, ich habe ein Wort für dich, das da lautet: Der Weg ist nicht ferne vom Menschen. Wenn die Menschen den Weg vom Menschen entfernen, so kann man das nicht (mehr) den Weg nennen. - Siehe, mein lieber Bruder, erinnere dich daran, was du hörtest. Die Weisheit kommt aus dem Hören, die rechte Lehre aus dem Wort (Dao). Dieses Dao ward, wie unser Meister uns lehrte, Knechtsgestalt im roten Staub, zwar in unbescholtener Tugend, aber von der Welt verachtet und gehasst. Wie meinst du nun, daß es unnahbar wäre, wo es doch ebenso menschlich wie göttlich ist, ja, wenn der Gottmensch die eine Hand zum Vater ausstreckt, so doch die andere zu dir, deine Hand zu fassen." To-To sagte: "Ich glaube, der Himmel helfe meinem Unglauben. Hast denn du das Dao des Himmels gesehen in Knechtsgestalt?" Da sagte A-Ji: "Ich sah Dao, und siehe, die Augen glühten, das Gewand war weiß wie Schnee." Da wunderte sich To-To: "Weiß war das Gewand? Ja, trauerte er denn?" Da sagte A-Ji: "Es war so weiß, weil es ganz aus Licht war."

3

To-To hatte die Worte A-Jis bedacht und trat mit seinen Überlegungen zu Yin-Ko, zu dem er sagte: "Wenn Dao lebt als Gottmensch und mir nah kommen will, wie muß ich dann leben?" Und Yin-Ko sagte: "Dasselbe, mein Lieber, fragte ich gestern den Meister. Wir sind uns wirklich seelenverwandt. Siehe, er sagte mit einem Wort aus den Riten: Nach oben grollt er nicht dem Himmel, nach unten zürnt er nicht den Menschen. - Ja, damit ist er dem Dao ähnlich, der ist aller Heiligen Vorbild und Erster. Denn, mein Lieber, der Gottmensch hatte vollendeten Frieden mit dem Himmel, ein Himmlischer Friede füllte sein Herz, und er hatte Liebe und Erbarmen für die Menschen, ach die armen Seelen, die ihre Untugend zu den Gelben Quellen hinabzieht, aber Er, Er zieht sie hinauf in des Himmels Jade- und Phönixstadt! Wer so ist, der hat Ruhe gefunden im Schatten des Allerhöchsten, in den wurde die Himmlische Liebe ausgegossen. Das ist der gute Weg. Ich bin so dankbar, mein Geistbruder, daß wir beide auf diesem Weg des Lebens sind, geleitet vom Wort der Liebe zum Ziel der Wallfahrt: der Himmlischen Harmonie mit Gott!"

4

Der Meister trat vor seine Jünger und sagte: "So weit geht die Offenbarung des Geheimnisvollen (Li Ji): Ich sah das Dao, ich sah ihn, der da Dao ist, seine Augen blickten voll Glut der Liebe in mein Herz, sein Herz war aus Glut, seine Haare waren licht wie der Weisen Haare. Oben war er wie Licht und Feuer, unten herum aber wie Messing oder Kupfer. Das war ein Gottmensch. Ja, so weit geht die Offenbarung des Geheimnisvollen, wie das Li Ji es nennt."

5

Yün sah man am Morgen auf dem Taishan zum Gipfel gehen, an eine schöne Stelle, da Kiefern des ewigen Lebens standen, da betete er zum Himmel. Natürlich nicht zu dem, was die Welt so Himmel nennt, zu den Sternen und Wolken, nein, er betete nicht zum Sternbild des Drachen. Der Himmel, zu dem er betete, das war der, den sie im fernen Ju-te-a "Ich bin" nannten, ein Geist, personhaft. Er betete wie die Alten in Ehrfurcht und Demut, und da er anbetete, empfing er Kraft vom Himmel, moralische Orientierung und umfassende Menschenliebe (ren). Davon wußte der Meister, und er sagte über Yün mit einem Wort aus dem Sittenbuch: "Vom Himmel empfängt er's täglich neu."

6

Liang-Yi sah über die Jasmintee-Tasse hinweg zu A-Ji und sagte: "Bruder im Dao, woher kenn ich dich? Wie kenn ich dich? Was heißt es, einen Menschen zu erkennen? Das Li Ji sagt: Wer den Menschen kennen will, darf es nicht unterlassen, den Himmel zu erkennen. - Es ist so: Wir sind vom Himmel geschaffen, wir sind des Himmels Spezie, ja, kühn bekenn ich: wir sind Himmelssöhne, Kinder des Vaters (Baba). Siehe, wie es in einem Lied heißt, wir haben den Himmel im Herzen. Ich kenn den Himmel in deinem Herzen und sehe, er ist gleich mit dem Himmel in meinem Herzen. So sind wir eins und einig und einmütig. Diese herzliche Verbundenheit, vom Himmel geschaffen, nenne ich wahres Erkennen. So will ich den Himmel erkennen, also daß ich eins mit ihm bin: Ich im Himmel und Himmel in meinem Herz. Bruder, meinen Himmel will ich dir schenken! Nennen wir das ai oder ren?"

7

Der Meister lehrte: "Im Buch heißt es: Die Wahrheit haben, ist des Himmels Weg; die Wahrheit suchen, ist des Menschen Weg. - Ja, Kinder, der Himmel hat Wahrheit, ist wahrhaftig, ist nicht nur wahrhaftig, das heißt, hat nicht nur Wahrheit an sich, sondern ich sage: das Dao des Himmels ist Wahrheit. Das hat mir nicht Fleisch offenbart, das offenbarte mir der Himmel, da das Dao sagte: Ich bin die Wahrheit... Dao ist nicht allein Richtigkeit eines Gedankens, sondern ist das einzig Wahre, das einzig wirklich Substantielle und Wesentliche. Alles, was sich wahrhaftig nennen will, muß eins sein mit dem Dao, sonst ist seine Wahrhaftigkeit nur ein subjektiver Trugschluß, eine sich selbst irreführende Illusion. Darum: der Mensch erlangt Wahrheit, die Wahrheit über Gott und des Menschen Bestimmung dadurch, daß er die Wahrheit sucht, das heißt, indem er jenes Wesen sucht, daß vom Himmel her offenbarte, daß es die Wahrheit im Wesen ist, also, indem er das Dao sucht. Das sagt den Menschen der Welt: Sucht die Wahrheit, macht euch auf den Weg! Ja, begehrt denn keiner mehr nach der Wahrheit?"

8

Der Meister lehrte: "Noch einmal will ich euch von der Wahrheit predigen. Dazu berufe ich mich auf ein Wort aus der Schrift: Die Wahrheit ist Ende und Anfang aller Dinge. Ohne Wahrheit gibt es kein Ding. Darum hält der Edle die Wahrheit wert. - Wie nun, meine Lieben? Beten wir nicht den Himmel an als unsern Schöpfer? Sind wir nicht des Himmels Söhne? Aber ist nicht der Gott des Himmels und das Dao des Himmels identisch, und sagte nicht das Dao von sich, daß es mit der Wahrheit identisch ist, und sagte weiter nicht auch das Dao, daß sein Geist ein Geist der Wahrheit ist, daß dieser Geist der Wahrheit der Atem des Himmels ist? Wer will das scheiden? Dies nenn ich die wahren Drei Schätze (in Wahrheit Ein Schatz, meines Herzens Schatz und Liebling)." Da schaute To-To ganz verzückt, da er hörte, daß Gott ein Liebling sei, denn da war ja nun vollkommen und auffindbar, was er seit je ersehnte und suchte! Nun fuhr der Meister fort: "Dieser Geist der Wahrheit, der Geist des Dao, in ihm sind wir geboren. Er war am Anfang über dem Chaos. Im Dao ist alles geschaffen, durch das Dao (Es werde) und zum Dao hin. Und da das Dao die Wahrheit ist, wurde die Schöpfung aus der Wahrheit, durch die Wahrheit und für die Wahrheit geschaffen. Wir nun, als Geschöpfe ebenfalls, wie sollten wir unsern Schöpfer nicht ehren und die Wahrheit als unserm Herrn huldigen?"

9

Der Meister wollte wissen, was nun das Credo und die Konfession seiner Jünger sei, da sagte A-Ji: "Der höchste Heilige ist, wie das Li Ji sagt, wie ein tiefer Quell, der Wasser spendet zu seiner Zeit. - Ich meine, dieses Wasser, das der Höchste Heilige, das der Gottmensch spendet, das ist das Wasser des Lebens vom Himmel her. Was ist das Wasser des Lebens? Es ist Erquickung des inneren Lebens, des Geistes, darum muß es selbst Geist sein, denn nur Geist erquickt den Geist. Der Geist, den der Höchste Heilige spendet, daß muß der höchste, Heilige Geist sein. Der werde in mir zu einer Quelle und quelle auf, täglich will ich den Gottmenschen (Dao) darum bitten, daß sein Geist des Lebens, sein Himmlischer Atem, in mir lebendig sei und meinen Geist und ganzen Menschen lieblich erfülle!"

10

Daraufhin bekannte Yün: "Wie es im Buch der Riten heißt: Wenn der Höchste Heilige sich offenbart, dann ehrt ihn sein Volk; wenn er spricht, so glaubt ihm sein Volk; wenn er handelt, so freut sich sein Volk. - A-ya, Er offenbarte sich an seinem Tag, er offenbart sich auch heute noch täglich durch seinen Geist (shen), er wird sich schließlich vollends offenbaren, indem er wiederkommt, Er, der Gottmensch, der das Dao Gottes ist. Ich danke dem Himmel (Abba), daß ich zu Seinem Volk zähle, da ich des Himmlischen Vaters Kind bin, so glaube ich dem Gottmenschen, so freue ich mich am Dao, so ehre ich den Höchsten Heiligen."

11

Dann zeugte To-To von seinem Glauben: "Es steht geschrieben: Alles, was Odem hat, ehre und liebe Ihn! Er ist dem Himmel zugeordnet! - A-ya! Mit Oden und Gedichten, Preis- und Kultliedern, Hymnen und Liebesversen, großen Psalmen (Da Ya) und kleinen Psalmen (Siau Ya) lobe alles, was Odem hat, den Herrn der Himmlischen Boten, den Herrn, der wie Jade und Nephrit auf dem Throne, meinen Herrn! A-ya! Lobet den Herrn!"

12

Und Liang-Yi bekannte: "Ich glaube an des Einzigen Doppelnatur: Echt ist seine Menschlichkeit... strahlend ist sein Himmlisches... (Li Ji) Darum nennen wir ihn ja auch Gottmenschen. Er war der beste Mensch, lebte in vollkommener Tugend (heilig war seine Geburt) und erfüllte alle Gebote der Menschenliebe vollends. Aber das nicht allein, sondern vom Himmel hoch da kam er her, im Himmel der Himmel war er von Anfang an zuhause, strahlend, wie es heißt, leuchtend von himmlischem Licht, da er das Licht selbst war und ist und sein wird, das Licht, das mich erleuchtete, ein süßes Licht, so süß, ach!"

13

Und A-Ji besprach sich morgens in der Frühe, vor Sonnenaufgang, mit Liang-Yi, der Lieblingsjünger mit dem schönen Jünger, und in einem waren sie sich einig, was da A-Ji nach den Worten des Ritenbuches formulierte: "(Unser Weg ist,) die Menschen zu lieben und das Ziel sich zu setzen im höchsten Guten." Da sagte Liang-Yi: "Wie? Ist es nicht so, daß nur, wer die Menschen liebt, die Kinder des Himmels, daß nur der auch den Himmel lieben kann? Wer hat das Anlitz des Himmlischen Herrn je gesehen? Wer nicht seine Kinder, die sichtbar sind, liebt, wie sollte der den Vater, der unsichtbar ist, lieben können? Darum: laß uns lieben mit Gemüt und Verstand, Seele, Herz, Geist, hun und po und allen Kräften!" Und A-Ji ergänzte: "Ja, mein lieblicher Lieber! Und unser Ziel, das ist im höchsten Guten; und wer ist denn dies? Das ist der Himmel, der Herr des Himmels, der Vater, Er allein ist gut! Er ist die Quelle allen Gutens, denn alles Gute kommt von oben. Wie kommen wir dahin, da wir soviel Frevelhaftes in unserer Körperseele (po) haben, soviel Frevel und Freudenmädchentum, ach, Liang-Yi, du weißt, wir sind nicht durch und durch gut und rein und heilig. Wie das werden?" Da hörte der Meister ihr Gespräch und ihre Besprechung und erbarmte sich der beiden und gab ihnen ein Wort der Weisheit: "Das Dao ist eure Gerechtigkeit, eure Gerechtigkeit ist das Lamm über euch (wie das Schriftzeichen verdeutlicht). In alten Zeiten bereiteten die Priesterhirten ein Lamm vor zum Opfer für Shang-Di, das der Himmelssohn als Hoherpriester opferte, dies Lamm, rein und makellos, sollte die Frevel des Volkes tragen. Dies ist nun das Dao selbst geworden, eure Gerechtigkeit, so ihr euer Herz ihm übergebt und ihm nachfolgt!"

14

Yün, den man auch das Lied des Himmels nannte, weil er allmorgentlich einen Psalm im Herzen sang dem Himmel zu, der überdachte eines Morgens in seiner Stillen Zeit folgendes Wort aus dem Buch: "Er hatte stets die klare Bestimmung des Himmels vor Augen." Da besprach sich Yün mit dem Meister: "Meister, was ist meine Bestimmung vom Himmel her?" Da sprach der Meister: "Des Himmels Sohn ist das Dao, das vollkommene Ebenbild des Himmels, eins und identisch sind Himmel und Dao, gleichgesinnt wie Vater und Sohn in Liebe. Diesem Sohn werde gleich. Das ist die Bestimmung des Himmels." Yün fragte: "Wie kann das werden?" Da sagte der Meister: "Der Atem des Himmels, in dich gehaucht vom Himmel bei deiner Erneuerung des ganzen Menschen vom Dao her, der arbeitet an dir, der wirkt in deinem Inneren als dein Lebensatem gestaltend, der wird dich umgestalten und dich gleichgestalten dem Dao, dem erstgeborenen Himmelssohn!"

15

To-To sagte: "Meister, ich leide unterm Hochmut, ich meine, ich, ich bin nun ein Jünger des Dao, die Menschen der Welt des roten Staubes sind all eitle Narren. Wie nun? Ich leide darunter." Da sprach der Meister sanft: "Was will der Himmel, wie du dich zu stellen hast zu den Kindern der Welt? Was sagt das Li Ji: Nur die Liebe zu den Nächsten ist für ihn köstlich. - Du willst ihm doch köstlich sein, ein Wohlgeruch und angenehm seiner Zunge, auf daß er dich nicht ausspeit? So laß dich erfüllen von der Liebe, die der Schöpfer aus dem Chaos zu allen seinen Kreaturen hat. Wenn er schon den Eisvogel und die Steinschwalbe liebt, wieviel mehr das Blumenmädchen, das er freikaufen will! So gehe hin, achte ihrer Linien nicht, sieh ihr in die Augen, die da Spiegel der Seele sind, und sieh in dieser Seele die vom Himmel überschwenglich geliebte Seele!"

16

Da ihre morgentliche Gemeinschaft Liang-Yi, der Schöne, und A-Ji, der Lieblingsjünger, vor dem Himmel oben auf dem Taishan hatten zum Lobe der Drei Schätze: Himmel, Dao und Atem des Himmels; da sah es der Meister und schätzte ein ihr Tun also mit einem Li-Ji-Wort: "Das heißt den Segen des Himmels erben!" Ja, der Himmel will gelobt werden begeistert und wahrhaftig, und wer so tut, der ist wahrlich gesegnet.

17

To-To zagte nach einem schrecklichen Traum von einer drei Meter langen Ratte eines Morgens ganz fürchterlich, da sah ihn der Meister zittern und beben und sang ihm zu Trost und Erbauung: "Trau dem Dao, denn, wie geschrieben steht, auf diese Weise hat der Heilige einen sicheren Schutz, in dem er seine Persönlichkeit bergen kann." Da seufzte To-To ganz schwer und tief und lang und hingegeben und sagte: "Ja, mein Meister, ich glaube, das Dao ist ein Zufluchtsort, ist eine Eremitage oben auf den höchsten Bergen, wo kein fremder Teufel hingelangt, ist wie eine zehntausend Li lange Mauer um das Reich, daß kein grausamer Barbar eindringt. Ja, wer unter dem Baldachin des Himmels Zuflucht findet, der kann zum Allerhöchsten sagen: Bei dir find ich Ruhe, du bist sicher wie eine Palaststadt. Mein Herr, auf dich traue ich, du Dao Gottes!"


18

Der Meister sagte zu A-Dar eines Abends: "Es steht geschrieben (im Li Ji): Des Großen Einen Offenbarung heißt Bestimmung, sein Wirken ist im Himmel." Da sagte A-Dar: "Das ist etwas, meinen Verstand völlig übersteigend, daß der Himmel alles, was geschieht, bestimmt hat im Voraus, aber daß der Täter seiner Tat die freie Entscheidung aus seinem freien Willen heraus hat und damit die volle Verantwortung. Aber ebenso wundersam nimmt mich, daß das Dao (aus dem das Firmament und das Reich der Mitte entstanden, und das ewig ist) im roten Staub gewandelt in der verachtungswürdigen Gestalt eines Dieners und den Tod eines Verbrechers gestorben sein soll in Ju-te-a, und ist doch noch das volle ganze Dao, das man auch Gott nennen kann? Ja, wahrlich wundersam ist der Weg des Himmels."


19

Yün hatte eine Offenbarung bekommen in seiner frühmorgentlichen Andacht in des Berges Gipfeleinsamkeit, die teilte er mit: "Es steht geschrieben: Die Liebe ist die Wurzel der Gerechtigkeit. - Ja, denn wenn der Himmel nicht ein Herz der Liebe hätte, so würde er den Haß vielleicht dulden, denn den Haß dulden, das heißt ebenfalls hassen. Aber die Liebe will allüberall nur Liebe und nichts als Liebe, will Liebes allen Menschen, Herren wie Knechten, Männern wie Frauen, Hauptfrauen wie Blumenmädchen, Alten wie Kindern, Chinesen wie Barbaren, alles gleich: Liebe allen Kreaturen! darunter machts der Himmel nicht. Wie sollte er das Böse der Bösen, den Haß dulden? Er wird den Haß, das Böse, die Lieblosigkeit ausrotten auf ewig! Gepriesen sei die Liebe, die uns ein Himmel ist, der Himmel, der uns Liebe ist!"

20

Und Yin-Ko, der Liebliche unter den Jüngern, beschloß, den Meister zu verlassen, nicht weil er die Welt liebgewonnen hätte, sondern weil sein Herz brannte für die Verlorenen unten in den Tälern, den im roten Staub des nichtigen Daseins kriechenden Elenden, und er, Yin-Ko, nahm Abschied. Der Meister segnete: "Liebe! Liebe! das ist unser Spruch für dich, Yin-Ko! Siehe, wenn dich auch das Elend der Welt bedrängt, die schweren schwarzen Wolken der Trübsal dich bedrängen, dich die Seufzerlüfte der Wehmut anhauchen, Trauer dich umflort, gedenke des Li-Ji-Wortes: Endgültig entsteht das Glück, wenn große Geisteskraft in Gemeinschaft mit dem Himmel wirkt.- Ja, daß das so ist, das hab ich selbst in Weh und Not erfahren, daß da eine Freude ist, die man auch Trauer nennen könnte, denn sie gleicht nicht den heitern Vergnügungen oder dem großen und beständigen Glück, sondern ist so weh und süß, so sehnsüchtig selig, so groß vom Goldglanz des Glückes und zugleich durchsetzt vom schwarzen Ebenholz der Qual, tiefempfundenes Leben, ach... Du, Yin-Ko, du mit dem Himmel! das geht jedenfalls gut, wenns auch schwer dich anficht, gehts zum Guten aus. Und so will ich dies und das dir sagen, es sei alles lauter Gutes und Liebes dir, ich wills sagen mit einem Li-Ji-Wort: Früh und spät segnen sie sie; das dringt empor und wird vernommen von dem höchsten Geist des erhabenen Himmels, und er ist voller Freude.- Ja, mein Lieber, mein Schöner, mein Freund, das ist wahr: des Segens freut sich der Geist des Himmels, der ja der Segnende ist, denn wer segnet, der segnet im Geiste des Himmels, und so segne ich dich: Ich bitte den Geist des Himmels um den vollgültigen Segen für dich, o du liebenswerter Mensch! Der Geist des Himmels, der hochheilige, lasse schauen seine Taubenaugen auf dich, er sei voll Mitleid und Barmherzigkeit zu dir, er hauche dich an: Tsing an! Friede dir, o Yin-Ko, Friede in der Zeit und Friede in der Ewigkeit! Und dies will ich dir als letztes Wort mit auf deine Mission geben, deine Wanderung durch die Täler der Todesschatten, ein Li-Ji-Wort, mit Wahrheit gedeutet: Der Herr, der dem Himmel opfert, heißt Himmelssohn; wenn er begraben ist, wird er zum göttlichen Herrscher (Di).- Ja, wie ist das nun zu verstehen? Der Herr, der ist der, der auch selbst das Opfer genannt wird, mit dem er hinwegtrug die Sünde der Menschheit, dies ist dir gültig, so bist du mit dem Himmel ja versöhnt und lebst in Frieden und Himmlischer Harmonie; dieser Herr nun, er ward begraben, obwohl er doch so himmlisch war, aber er ward zur großen Herrlichkeit erhoben, wo er thront auf dem Jadestuhl des Himmels mit Shang-Di, selbst ist er Di, göttlicher Herr, der sei mit dir, ja, Yin-Ko, der Herr sei mit dir!" Das sagte der Meister und küsste Yin-Ko mit einem brüderlichen Kuß der Liebe.


VIERTE ABTEILUNG

(Diese Abteilung wird dem Winter zugeordnet und behandelt Mo-Ti.)

1

Der Meister nahm all seine drei Seelen zusammen, Geist-, Gemüts- und Leibes-Seele, denn nachdem Yin-Ko gegangen war zur Mission der Todestäler, war seine Seele wehmütig wie die kaltfeuchten Nebelstreifen um des Taishan Gipfelspitze. Die Maulbeerbäume starrten wie Skelette in der fahlen und bleichen Dämmerung gespenstisch. Da besann sich der Meister auf seinen Geist, in dem der Atem des Himmels wohnte, und ließ sich trösten von dem himmlischen Lispeln des Geistes, der ausseufzte seine Seele, der vorbrachte all seine Traurigkeit vor den Jadethron des Allerhöchsten, von wo zurückkam eine Aufgabe. So wandte sich der Meister wieder dem Philosophieren und geistlichen Spekulieren zu. Er rief seinen Lieblingsjünger A-Ji zu sich, ging mit ihm durch den seufzenden Nebel, der in den kahlen Bäumen hing, da war ihre Rede aber blühendes Leben, ja, des Meisters Worte über Mo-Ti waren wie Pfingstrosen, welche im Winterschnee blühn. Der Meister sprach: "Von den Himmelssöhnen sagte Mo-Ti, daß sie: die Bevölkerung des Reiches dazu anleiteten, durch Ackern Shang-Di zu dienen. - Ja, mein Lieber, das wollen auch wir tun, das Volk lehren die wahre Verehrung, dazu wollen wir selbst als Diener des Allerhöchsten (Shang-Di) ackern, nämlich zuerst das Unkraut ausreißen, dann den Boden umpflügen, dann den Samen säen. Das Unkraut ausreißen heißt, irrige Vorstellungen von dem Allerhöchsten auszulöschen, etwa die, Er sei ein grausamer Herr, streng und unerbittlich, nein, sondern wir wollen dem Volk sagen, daß er die Liebe ist! Das möge dann, möge der Geist es wirken! das möge dann ihre Seelen aufwühlen und umkehren die Begriffe von Gut und Böse und von Recht und Unrecht, denn bisher hielten sie das Böse für gut und Unrecht für rechtmäßig, aber wir, wir säen gleich hinein, und was ist unser Same? Das Wort Gottes! Das Dao des Shang-Di, das ist der Same, den wir säen, nicht sterblichen Samen wie die Wollustjünger, sondern unsterblichen Samen aus dem Schoß des ewigen Vaters: den Sohn (Dao) wollen wir senken in die Seele der Menschen. Möge der Geist es geben, der Hauch des Heiligen, daß nicht die Gui-Dämonen kommen und gleich das gute Wort wieder rauben, oder daß die Dornen und Disteln der Sorgen dieser Welt es erwürgen, sondern ruhe dies Wort im guten, fruchtbaren Grund des Menschengeistes im Herzen, auf daß es treibe und die Pfirsiche ewigen Lebens reifen! Das ist Dienst am großen Shang-Di, dem Herrn und Gott!"

2

To-To trat zum Meister mit wehmütigem Seufzen, da sein Lieblingsbruder Yin-Ko gegangen war, da sah der Meister die Trauerschatten dunkeln unter To-Tos Augen und die Träne perlen an seiner seidigen Wimper, da sagte er: "Wie sagt Mo-Ti?: Die Menschen sind Eigentum des Himmels.- Siehe, so geht Yin-Ko mit dem Himmel, der Himmel ist zum Segen über Yin-Ko, der Himmel geht als Freund und Bruder neben Yin-Ko, der Himmel geht als treibende Kraft zum Guten hinter Yin-Ko, der Himmel ist gar wie ein Fels unter seinen Füßen, ja, der Himmel kommt seiner bräutlichen Seele entgegen als Bräutigam, ja, als Bräutigam im Lamm der Gerechtigkeit, im Dao Gottes: Shang-Di ist Liebe!" Da seufzte von Herzen To-To noch einmal und legte all seine Bruderliebe zu Yin-Ko dem Himmel in seine gütigen Vaterhände: "Abba! bewahre Yin-Ko bis in die Unsterblichkeit, bis in den Himmlischen Garten hinein!"

3

Yin-Ko ging aber nun vom Taishan hinab, durch den kahlen Papiermaulbeerbaumwald, im Herzen die Mission, die Menschen der Täler zu befreunden mit dem Himmel im Dao, da dachte Yin-Ko an ein Mo-Ti-Wort: "Als der König die Verheißung Gottes erfüllt hatte", da ward das Dao wie das Fleisch eines Opfertieres, wie ein Sklave, da ward der Gottmensch, einst in lauter Herrlichkeit die Freude selbst, mit einem Mal bestürzt und gar betrübt bis an den Tod... Herr! Diesen, der sich bis zur Menschlichkeit erniedrigt aus seiner höchst erhabenen göttlichen Gottheit, den wollte sie den Menschen Shandongs nahebringen, die da aber- und zaubergläubisch waren und den Magierpriestern nachliefen.

4

Und Yin-Ko (die Augen leuchteten wie die Liebe, die eine Flamme Gottes ist) traf auf drei alte Weiber, zahnlose Großmütter von mehr als einem dutzend Enkeln, die schwatzen und tratschten über das neuste Unwichtige ihres Dorfes Penglai, an der Küste zum kalten Bo-Hai gelegen, die saßen inmitten vieler gackernder Hühner auf dreibeinigen Hockern und schrubbten Fische. Da kam Yin-Ko dazu und sagte: "Friede euch! Ehrwürdige Großmütter, ich will euch von Shang-Di erzählen. Ihr seid zum Segen geworden, da ihr habt Nachkommen gegeben und das chinesische Volk groß gemacht. Gott liebt die Chinesen! Sehet, so sagt auch Mo-Ti: Wenn die Bevölkerung abnimmt, dann gibt es nicht genügend Leute, die da Shang-Di dienen.- Ja, nun muß es aber auch so sein, daß ihr wirklich Shang-Di dient! Aber was will er denn, daß wir tun? fragt ihr. Er will nicht Opfer von Jade und Nephrit, keine Dreifüße und Tonschalen, keine Seide und keinen Bambus, weder Weihrauchstäbchen noch Seelentafeln, er will euer Herz und eure Liebe! Sehet, sein Dao, das Wort von der Liebe Gottes, ist Gottmensch geworden im fernen Ju-te-a, jenseits des Euphrat, den sollen wir lieben! Aber wie nennt er sich? fragt ihr? Sehet, mir träumte heute Nacht ein Traum, ein Himmlischer Bote sagte mir den Namen des Gottmenschen, den ihr herzlich lieben sollt: YE-SU!"

5

Und Yin-Ko ging weiter und fand zwei Männer, die des Morgens an der Mole beim Schattenboxen waren, sie rief ihnen zu: "Friede euch! ihr Männer, mit den Fäusten werdet ihr die Schatten des Unheils nicht überwinden! Womit aber dann? fragt ihr? Sehet, mit dem Wort Gottes, dem Wort des allerhöchsten Shang-Di, mit dem Dao der Liebe! YE-SU ist sein Name! Der in eurem Munde wird Wunder wirken. Aber wenn man, wie Mo-Ti sagt: die Dienste gegenüber Shang-Di verhindert, dann wird Shang-Di von oben einschreiten.- Ja, wie nun wollt ihr euch, ihr Schattenboxer, vor dem kommenden Zorn Shang-Dis schützen? Da sag ich euch in aller Liebe: YE-SU ist euer Anwalt, euer Schirm und Schutz, auf den vertraut, und ihr seid entronnen dem schrecklichen Zorn des Allerhöchsten!"

6

Und Yin-Ko traf auf eine Frau, die da im roten Kleid mit blauem Seidenumhang und mit einem beinah nackten Säugling auf den Armen ging mit bloßen Füßen, die nun sprach Yin-Ko derart an: "Friede dir und dir! Liebe Frau, was meinst du, wie wirst du dem Zorn des Allerhöchsten entrinnen? Siehe, Mo-Ti sagt: Shang-Di wird Strafen herabsenden, diesen Leuten Unheil bringen, sie züchtigen und verwerfen.- O Frau, ist das nicht fürchterlich und zum Entsetzen? Ich sehe, du entsetzt dich. Gut so. Aber sei getrost, wenn du den Sohn Shang-Dis, den Gottmenschen YE-SU in deinem Herzen zu lieben dich entschließt (denn er ist wahrlich liebenswert), so wirst du womöglich gezüchtigt, aber aus Liebe tut Shang-Di das dann als ein lieber Vater, dich zu ihm und zu YE-SU zurückzubringen; verworfen wirst du aber nimmermehr, sondern bist angenommen für Zeit und Ewigkeit, ja, wirst gesegnet mit echtem Leben, das da dauert in die Unsterblichkeit hinein, welche da zuhaus sein wird im Himmlischen Garten und in der Jadestadt des Himmels, der Stadt des Lammes der Gerechtigkeit und des Allerhöchsten, Shang-Di und seinem göttlichen Sohne YE-SU!"

7

Und Yin-Ko traf auf einen Familiensohn, der saß über den Schriften über die Kindespietät, die Sohnesliebe, und grübelte über die Frage des Aufwandes, den man bei Begräbnissen zu betreiben habe, um als tugendhaft in den Augen des Himmels zu gelten. Yin-Ko sah das und sagte: "Wie sagt doch Mo-Ti: Strebte man dadurch (durch pomphafte Begräbnisse und überlange Trauerzeiten) nach der Gunst Shang-Dis und seines Geistes, so würde man doch nur Unheil erlangen.- Ja, das ist nicht der rechte Weg, um als tugendhaft in den Augen des Allerhöchsten im Himmel zu gelten. Aber welchen Weg kenn ich? fragst du mich? Siehe, es gibt da nur einen Weg der Wahrheit, der ins Leben führt, welches unvergänglich ist, und dieser Weg ist das Dao Gottes, das ist der Gottmensch, vom Himmel zu uns gekommen in die Niedrigkeit des Irdischen, der da wandelte unter uns im roten Staub der Welt und war doch nicht von der Welt, sondern von Gott, der starb für unsre Schuld als das Himmelsopfer, das Lamm des Hirtenpriesters, zu diesem Gottmenschen gehe, der wiederbelebt wurde von Shang-Di, der nun im Himmel auf dem Jadestuhl sitzt und deine Liebe begehrt: YE-SU ist sein lieblicher Name!"

8

To-To nahm nun (da sein geliebter Bruder Yin-Ko nicht mehr auf dem Taishan in der Bambushütte des Meister weilte) ebenfalls Abschied vom Kreis der Jünger und ihres Rabbunis, er ging mit dem Segen des Lehrers. Er ging durch Wälder und Täler, über Berghänge und durch kleine Dörfer, aber seine Sehnsucht nach Yin-Ko nahm er mit sich, da dachte er dies: Wenn schon mein glühendes Herz voller Bruderliebe dem Himmel bekannt ist, sollte da nicht auch jegliche Sünde in meinen Gedanken, ja in meinen Träumen und in meinem Unterbewußtsein dem Himmel bekannt sein? Das sagte doch auch der gute Mo-Ti: "Vor dem Himmel gibt es keinen Wald, kein Tal, keine noch so dunklen, verborgenen menschenleeren Plätze, sondern sein Licht sieht alles." Ja, darum: Der Himmel (Shang-Di) ist der Allwissende, sein Dao (YE-SU) ist die Weisheit Gottes. Dies dachte To-To und beruhigte sich.

9

To-To traf auf einen jungen Inder, der im Büßergewand wie ein Asket durch die Ebene lief und verloren und depressiv wie ein aus dem Nest gefallener Vogel klagte. Da schrie er nach einem Menschenkind, aber der war schon gestorben und konnte nicht mehr hören. Also sagte To-To zu dem depressiven Inder: "Auch der Himmelssohn (sagt Mo-Ti) darf nicht entscheiden, was richtig ist, sondern der Himmel tut dies für ihn.- Wie soll denn gar ein einfaches Menschenkind das Rechte wissen, das im Alter von achtzig Jahren sagte: Ich suche die Wahrheit immer noch...? Nein, sondern ich sage dir: Der Himmel, Shang-Di selbst, der sagte dem Himmelssohn, ich meine diesmal das Dao, den Sohn Gottes, Er sagte Ihm, was zu tun ist, ja, der Sohn kam vom Vater und brachte dessen Wort zu den Menschen auf der Erde, der wahre Sohn des Menschen, er hat die Mission vom Himmel, dem Himmlischen Vater war er in allem untertan, bis zum Tod am Fluchholz gar, darum ward er auch erhöht und gekrönt mit Majestät, er ist das Lamm über uns, unsre Gerechtigkeit. Dem wende dich zu, der wird dir helfen."

10

Da fragte der Inder, mehr neugierig als aufrichtig suchend: "Was soll ein Mensch tun, der sich dem Sohn des Himmlischen Vaters zuwendet? Und was wird ihm gegeben?" Worauf To-To nicht verlegen war und mit Kraft des Geistes sagte: "Mit einem Wort aus dem Buch des Mo-Ti sag ich dir, siehe, es steht geschrieben: Wenn er sich den Ansichten des Himmels fügt, alle Menschen liebt und ihnen hilft, dann wird er Belohnung erhalten.- Ja, siehst du nicht? Füg dich in die heilige Fuge, die da YE-SU lautet, stell dich an sein Herz, an seine blutende Seite (eine blutende Liebe ist Seine) und du kannst beginnen, die Menschen zu lieben; nicht nur die Deinen, wie es alle Barbaren halten, sondern auch die bedürftigen Nächsten, ja bald gar die Feinde, die liebe mit einer Liebe, mit der dich Shang-Di durch das Dao liebt mit dem Kusse seines lieblichen Himmels-Atems... Ja, das darfst du hoffen, wie die Väter in Ju-te-a ebenfalls, die auf einen himmlischen Lohn schauten, das darfst du wagen zu hoffen, daß der Sohn des Himmels dich führt in den Himmlischen Garten, in die Himmlische Stadt von Jade, in die Gegenwart Shang-Dis, des Allerhöchsten, der dich herzen will mit herzlicher Liebe. A-ya!"

11

Auf das Wort Liebe reagierte der Inder zurückhaltend, er schien es mit Wollust zu verwechseln. To-To sah sein fragendes Gesicht und sagte: "Der Himmel sagte (wie Er durch Mo-Ti sprach): Diese Heiligen lieben alle die, die auch ich liebe, und sie dienen allen, denen auch ich diene. Ihre Liebe zu den Menschen ist allumfassend, ihre Hilfe für die Menschen ist groß." Da staunte der Inder, daß Gott redete. To-To aber gab von sich eine Hermeneutik, mehr poetisch als philosophisch: "Die Liebe ist der Phönix am Himmel droben herrlich glühend, aber mir ward sie zu einem Spatz in meiner Hand. Die Liebe ist eine Königin, schimmernd wie die Sternstromdame, ja, viel herrlicher noch als jene, aber mir ward sie ein bettelnder Bruder. Die Liebe ist der himmlische Garten mit Bambushainen der Poesie und Kiefernhainen des langen Lebens und Pfirsichhainen der Unsterblichkeit, aber mir ward sie ein Marterholz, da man mich streckt und mir die Glieder verzerrt. Die Liebe ist mir wie ein himmlischer Bote, der den Balsam des süßesten Trostes zuseufzt, aber mir ward sie eine Nacht abgrundtiefer Einsamkeit, da sie in großer Todverlassenheit mir erschienen ist vom Himmel her, sie, die Liebe, mit langen Haaren, im braunen Gewand, die Arme ausbreitend, mich zu empfangen an einer Tafel von Reiswein und Mantou, oh mein Lieber! ich danke der Liebe und liebe die Liebe, bin verliebt in die Liebe, wenn ich das so sagen darf, verzückt vor Liebe, die Liebe... was ist sie? Sie ist eine Flamme Gottes! Sie wohnt für immer in Ihm, in YE-SU!"

12

Und A-Ji ging vom Meister fort, gesegnet zur Mission, und ging zur Küste und nahm im Hafen ein Boot, eine seetüchtige Dschunke, und segelte hinüber nach Taiwan, wo er in den Bergen zu den wilden, heidnischen Menschen vom Stamme der Paiwan ging, die da an totemistische Zauberei glaubten, was ein Gestank und Greuel dem Himmel ist. A-Ji aber hatte Liebe für die verlorenen Seelen, die da in Schatten und Todesdunkel saßen. Er sagte vor dem versammelten Volk auf dem Marktplatz: "Achtet doch nicht eure Schlangengötter und Totengeister für so hoch! Siehe, Mo-Ti sagt: Nur der Himmel ist vornhem, nur der Himmel ist weise! - Das ist wohl wahr, der Himmel ist sehr erhaben, er ist der Schöpfer des Äthers und des Reiches der Mitte mit den Inseln, er ist der, der diese Berge machte und den Pazifischen Ozean. Ihr Menschen, der Himmel hat Schönheit und Pracht zum heiligen Schmuck sich angelegt, Morgensterne sind die Edelsteine in seinem Diadem, mächtige Gottessöhne dienen Ihm, dem Erhabenen, Ihm, dem gewaltigen Herrscher, Ihm, dem Allmächtigen, Ihm, dem Allerhöchsten: Shang-Di ist sein Name in unserer Zunge! Siehe, die Weisheit des Himmels, die Weisheit Gottes, das ist das Dao Gottes, das er in Ewigkeit aussprach, das ist jetzt Mensch geworden um eurer Vergehen willen. Wisst ihr denn nicht, daß ihr den heiligen Himmel beleidigt, den Herrn, wenn ihr Schlangengötter und Totengeister verehrt? Er, der Himmel, ist allein verehrungswürdig, Gott! Ihr kränkt und beleidigt sein heiliges Herz! Aber in seiner Weisheit ist ihm das alles bewußt und auch der Weg zu eurer Rettung: denn euer Vergehen bringt euch unweigerlich ewigen Tod! ewige Qual in dem finsteren Reiche unter den Gelben Quellen, da in neun Regionen die Höllenfeuer geschürt werden ewig von den Dienern der Finsternis, gräßlich-greulichen Todesdämonen; Gott aber in seiner Weisheit weiß die Rettung und sagt es euch heute: Traut dem Dao Gottes, das da Mensch ward, und sein Name ist YE-SU! Er ist die Weisheit Gottes, er ist der Vornehme, der sich gering machte um unsretwillen, euret- und meinetwillen, er ist der Schönste aller Himmlischen, der der häßlichste Menschensohn ward vor lauter Striemen und Wunden am Fluchholz, da er starb, er, den Gott (Vater Himmel) vom Tode und aus den Toten auferweckte, daß Er, YE-SU, nun im Himmel herrscht, mein Herr und mein Gott, wie der heilige Mensch To-Ma ihn nannte. Dem glaubt, dem Herrn!" Da bekehrten sich viele Paiwanesen in den Bergen, warfen ihre hölzernen Schlangenidole ins Feuer und beteten Gott an!

13

Yin-Ko ging auf ein Schiff und reiste nach Japan, denn die Mission nahm ungeahnte Ausmaße an, da redete sie: "Wie der chinesische Weise Mo-Ti geredet: Es gibt solche, die ihre Mitmenschen lieben und ihnen helfen, die den Willen des Himmels befolgen und des Himmels Lohn empfangen, - so will auch ich euch sagen: Hört auf den Willen des Himmels! Was ist der Wille des Himmels? Es ist der Wille des Himmels, daß ihr den ewigen Himmelssohn, das Dao Gottes, den Gottmenschen YE-SU liebt und ihm traut und euch ihm hingebt mit aller Liebe, die er in euch schütten wird, glaubt nur, daß er für eure Verfehlungen alle am Fluchholz gestorben ist, am Kreuz der Lateiner, daß er nicht geblieben ist unter den Gelben Quellen und nicht geblieben in der Region der neun Höllenfeuer, sondern ward heraufgerufen von Vater Himmel, seinem Gott und meinem Gott, seinem Vater und meinem Vater, und ward gerufen, sich zu setzen neben Gott, von wo er wiederkommen wird zu richten die Lebenden und die Toten. Ja, glaubt an YE-SU, dann könnt ihr somit auch glauben an das ewige Leben in Gemeinschaft mit Gott, dem Gott des Himmels. Dem und seinem Sohn und seinem Geiste sei Lob und Preis und Ruhm und Herrlichkeit und Anbetung und Weisheit und alles Liebesküssen in Ewigkeit! Amen!"




III. ZUR VERLEIHUNG DES GELBEN BAMBUSHUTES –

VON DER KINDLICHEN LIEBE

Einleitung.- Der Gelehrte, der sich selbst nannte „Das Geräusch beim Reiswaschen“ schrieb einen umfangreichen Essay über die kindliche Liebe in der sanften Schule der Literaten. Da wir wissen, wie schwer dies umfangreiche Werk durch seine Schriftzeichenanalyse und fremdsprachlichen Texte ist, haben wir uns vorgenommen, denen, die gerne lesen, Anregung zu verschaffen, und denen, die gerne in der Weisheit des Ostens forschen möchten, einen Einblick zu gewähren, und allen, die gern ein Buch zur Hand nehmen, inneren Gewinn zu bringen. Es wird nicht leicht, wenn wir uns der Mühe der Kürzung unterziehen, aber ohne Fleiß kein Preis, so wird ja auch eine köstliche Mahlzeit nicht ohne Mühe zubereitet. Diese Mühe wollen wir aber gerne auf uns nehmen, damit es vielen zur Erbauung gereiche. Das ins-Detail-gehen wollen wir dabei den Forschern der Wissenschaften überlassen. Wie jener Gelehrte einen Palast aus Edelsteinen schuf, wollen wir uns begnügen, eine schöne Jade zu schleifen.

Mein Sohn, vernimm die Bedeutung der Tradition, durch die wir die Wahrheit mehr und mehr erkennen und mit ihr uns selber. Mögest du erkennen des Himmels Willen und des Himmels Plan für die Gegenwart.
Man soll der Quelle gedenken, wenn man Wasser trinkt. Darum gedenke auch der geistigen Traditionsgüter der Weisheit und der kanonischen Schriften.
Sei gewissenhaft gegen die Vollendeten, folge nach den heiligen Dahingegangenen, so wendet sich deine Art zur Hochherzigkeit. Darum: Gib nicht preis die Lehren der Väter.
Die Heiligen der vergangenen Zeiten haben einen Grund gelegt, nicht allein in ihren Worten, sondern auch in ihren Taten.
Die Summe ihrer Lehre ist die kindliche Liebe zum Vater im Himmel. Diese kindliche Liebe ist die oberste Tugend. Nur durch sie wird der Mensch zum Menschen.
Die Kaiser des Altertums pflogen der kindlichen Ehrfurcht vor dem Himmel, daher hatten sie ihr Amt.
Wenn man die kindliche Liebe senkrecht stellt, reicht sie von der Erde zum Himmel; wenn man sie waagerecht stellt, reicht sie von einem Ende der Erde zum andern; wenn man sie auf die Zukunft anwendet, erkennt man ihre Ewigkeit.
Dreizehn Jahre suchte Konfuzius einen Herrscher, den er unterweisen konnte. Schließlich kehrte er in seine Heimat Lu zurück und wandte sich der Unterrichtung seiner Schüler zu. Fortan widmete er sich der Musik und der Poesie.
Mit fünfzig Jahren ward Konfuzius das Gesetz des Himmels kund, mit sechzig ward sein Ohr aufgetan. Er glaubte an den Himmel als seinen Gott.
Seine Jünger überlieferten seine Lehre. Man nennt seine Lehre: die sanfte Schule der Weisen.
Der Meister war seinen Jüngern wie ein Vater seinen Söhnen.
Die Gelehrten sollen sich bemühen um eine fortdauernde Interpretation der heiligen Schriften, der Klassiker, die da enthalten historische Dokumente, Weisheitssprüche, Poesie und rituelle Texte.
Wenn die Menschen mit dem Himmel in harmonischer Einheit leben, dann sind in Einheit auch die Früheren und Späteren und auch die Lebenden und Heimgegangenen.
Das Leben ist ewig.
In den überlieferten Schriften wird nach dem Willen des Himmels und dem Sinn des Lebens gefragt. Im Buch der Lieder wird der Himmel verehrt.
Von den Jüngern wurden geschrieben die Vier Bücher; die Worte des Meisters sind darin überliefert.
Mein Sohn, die ersten Schriftzeichen wurden auf Knochen geschrieben und waren Ritualtexte zum Opfer. Daran siehst du, daß um des Todes willen die Menschen von jeher versöhnt werden wollten mit dem Himmel und daß ein Opfer der Sühne vonnöten.
Beim Opfer ward der dunkle Wein im Tempel dargebracht.
Schon die Alten wollten die Gemeinschaft mit den verklärten Heimgegangenen aufrecht halten.
Wer den Schutz des Vaters verliert, lebt furchtsam wie ein streunender Hund. Ist er in der Ferne, strebe er danach, heimzukehren, wie die fallenden Blätter eines Baumes zur Wurzel zurückkehren.
Lasse den Weihrauch nicht ausgehen!
Unter dem Himmel seien alle eine himmlische Familie des Himmelssohnes!
Der Himmel ist Vater. Er ist der Eine, der groß ist. Er ist der Allerhöchste.
Der Herr brachte die lichte Tugend, da mußten die wilden Kuan fliehen. Der Himmel verleiht Amt und Genossin.
Der Allerhöchste setzte den Himmelssohn ein, über alle Völker zu herrschen.
Erhaben ist der Allerhöchste, des Volkes Herrscher, erschrecklich ist er, und oftmals wird sein Wille fälschlich dargestellt.
Erhaben ist der Allerhöchste, er schaut vom Himmel in hehrer Macht, er blickt forschend in das Reich, ob die Völker Ruhe haben.
Er herrscht über Raum und Zeit.
Der Sohn des Himmels empfing vom Himmel den Befehl, sein Volk zu regieren.
Alle Lebewesen stammen vom Himmel ab, aber das Menschenvolk ward vom Himmel gezeugt.
Leib und Seele sind Gabe des Himmels.
Der Himmel leidet mit seinem leidenden Volk.
Der Himmel hilft seinen Kindern, die Harmonie zu erreichen.
Die Menschen können Kontakt mit dem Himmel aufnehmen nur durch die Vermittlung des Himmelssohnes. Der Himmelssohn ist Vertreter des Himmels, die Menschen zu regieren, und Vertreter der Menschen, dem Himmel das Opfer darzubringen.
Konfuzius sprach: Wer mich kennt, das ist der Himmel.
Der Edle habe Scheu vor dreierlei: Vor dem Willen des Himmels, vor erhabenen Menschen, vor den Worten der Heiligen.
Wie edelgesinnt war König Wen! O lichte Hingabe lebenslang! Vom Himmel war ihm sein herrliches Königsamt verliehen.
Beim Opfer steigt ein Wohlgeruch auf, den der Allerhöchste riecht und sich freut.
Der Himmelssohn ist der Erste Sohn. Er heißt auch: die Quelle, der Anfang. Er ist Vater und Mutter des Volkes. Er erfüllte stellvertretend für das Volk das Gesetz des Himmels.
Von der Vergangenheit bis heute wurde nicht gesehen, daß zwei Starke um die Macht kämpften und doch lange an der Macht blieben. Der Himmel hat nur Eine Sonne, das Land nur Einen König.
Der Vater ist Oberhaupt. Die Mutter ist herzlich. Kindliche Liebe und Freundlichkeit gegen die Brüder muß man wahren.
Hundert Wohltaten fangen mit der kindlichen Liebe an.
Der Gehorsam des Sohnes ist das Fundament der Menschenliebe.
Mein Sohn, diese Schrift ist kostbar wie ein Opfergefäß aus Bronze. Für die Kinder und Kindeskinder soll sie immerdar gut bewahrt werden.
Mache Namen und Werke der Alten bekannt. Entscheide, welche Lobschrift ihnen gebührt. Überliefere den Preis treu den Nachkommenden. In der Rühmung wird auch deine Persönlichkeit bewahrt.
Sei gehorsam den heiligen Geboten, überliefere Tugenden, Werke und Worte.
Wenn ein Mensch eine Lobinschrift betrachtet, gedenkt er nicht allein des Gelobten, sondern auch des Lobenden.
Was die Menschen können, ohne es gelernt zu haben, ist ihr eigentliches Können. Was die Menschen wissen, ohne darüber nachgedacht zu haben, ist ihr eigentliches Wissen.
Jedes Kind, das die Mutter auf den Arm nimmt, weiß seine Mutter zu lieben.
Anhänglichkeit an die Nächsten ist Liebe.
Die Art der heiligen Könige war kindliche Ehrfurcht und Brüderlichkeit.
Die Mutter nimmt das Kind in die Arme, stillt es an ihren Brüsten, hütet es.
O Vater, du zeugtest mich, o Mutter, du säugtest mich.
O weiter, hoher Himmel, voller Vater- und Mutterhuld!
Ich freue mich des würdigen Herrn, der das Volk wie Vater und Mutter pflegt.
Groß ist wahrlich die Ursprungskraft des Schöpferischen, alle Wesen verdanken ihm ihren Anfang.
Der Mensch ist das Würdigste aller Geschöpfe.
Sohn bedeutet Mensch, Sohn bedeutet Meister. Der Himmelssohn ist der Erste Sohn.
Die die Tugend makellos besitzen, leben langes Leben für und für und werden nie vergessen.
Die Jungen mögen in Weisheit lauschen den Weisungen der ehrwürdigen Väter.
Die Art des Vaters ist Liebe, Erbarmen und Gerechtigkeit. Die Art des Sohnes ist kindliche Liebe, Ehrfurcht und Gehorsam.
Gütiger Himmel, gib uns einen beständigen Geist, auf daß wir nicht beschämt werden.
Preist man ihn nicht? Ehrt man ihn nicht? Nie wird mans müde bei den Menschen, den Vater zu preisen!
Mein Sohn, ich begehre, dein Herz gerade zu machen, ruchloses Reden zum Schweigen zu bringen, verkehrte Worte zu bannen, um so das Werk der Heiligen fortzusetzen.
Kindliche Liebe und Brüderlichkeit sind die Grundlagen der Menschlichkeit.
Von allen Kreaturen ist der Mensch die größte. Von allen menschlichen Taten sind die Taten der kindlichen Liebe die größten.
Die Wahrheit suchen, ist des Menschen Weg. Die Wahrheit besitzen, ist des Himmels Weg.
Im Anfang war der Weg des Himmels und der Weg der Menschen ein einziger.
Mein Sohn, nicht deine Zeugung ist das Höchste, sondern daß du das Tao findest.
Wenn der Allerhöchste kindliche Liebe gebietet, wer wagte es, nicht zu folgen?
Dem Gelehrten ist das Tun die Vollendung der Erkenntnis.
Ein Kind sollte seinem Vater dienen: Beim Hahnenruf aufstehen, sich waschen, den Mund spülen, sich kämmen, sich das Haar knoten, es mit einem Seidenband umschlingen, es mit einem Haarpfeil feststecken, die übrigen Haare hinter den Schläfen bürsten, den Hut aufsetzen, ihn unterm Kinn zusammenbinden, die Enden des Bandes herunterhängen lassen, ein dunkles Gewand anziehen, Knieschützer anlegen und den großen Gürtel, in den es sein Notiztäfelchen steckt (Worte der Rühmung einzutragen).
In der Ferne dient mancher dem Vater mit Gedichten.
Wildgänse regen laut die Flügel und setzen sich in den Eichenwald. O endloser blauer Himmel! Wann sind wir in der Heimat? Der wilden Gänse Flügel rauschen, sie setzen sich in den Dornwald. O endloser blauer Himmel! Wann kommt das selige Ende?
Rastlose Arbeit! Dem Baum wär Ruhe lieber, aber der Wind hört nicht auf zu wehen.
Des Edlen kindliche Liebe ist verbunden mit Ehrerbietung. Er tut, was in seinen Kräften steht, lebt nach der Tugend und hat inneren Frieden.
Mein Sohn, wandle mit Furcht und Zittern, als stündest du vor einem tiefen Abgrund, als trätest du auf dünnes Eis.
Mein Sohn, lache nicht unbeherrscht und schwatze keine Geheimnisse aus.
Ehrerbietung vor dem Himmel ist Anfang der Weisheit.
Ehrerbietung ist schwierig, sie mag wohl möglich sein, aber Beständigkeit ist schwierig, sie mag wohl möglich sein, aber das Durchhalten bis zum Ende ist schwierig.
Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen sei dem Himmel nicht zur Schmach.
Dem Meister nachfolgen heißt nachzuahmen, nachzuahmen heißt ähnlichzuwerden.
Das Leben beginnt nicht mit der Geburt, sondern im Schoß der Mutter.
Bei der Schwangerschaft sollte die Mutter sich benehmen, wie sich die Königinmutter benahm, als sie König Cheng im Schoße trug.
Wenn sie allein war, war sie nicht hochmütig. Wenn sie zornig war, schimpfte sie nicht.
Man lese der Mutter Gedichte vor und rede zu ihr nur Erbauliches.
Bei der Geburt eines Mädchens wurde in alter Zeit ein Tuch aufgehängt. Das Tuch heißt Folgsamkeit und Sanftheit.
Man unterziehe das Kind dem Reinigungsbad. Wie einen Pfeil vom Bogen schieße man die Sünde weit weg!
Wie ein Pfeil das Zentrum der Scheibe treffen soll, so sollst du den Sinn des Lebens treffen.
Die Kunst ist leicht zu erreichen, schwieriger ist es, das Tao zu erreichen. Das Tao ist aber wichtiger als die Kunst.
Wenn bei der Namensgebung die Poesie bedacht wurde, waren die Namen von Menschlichkeit, Sanftheit und Schönheit bestimmt. Wenn bei der Namensgebung die Weisheit beachtet wurde, nannte man seinen Sohn Sheng (heilig) oder Hui (barmherzig) oder Tao (Weg).
Das Kind wird von der Mutter aufgezogen. Mit dreizehn Jahren lerne es Lieder und Musik.
Glücklicher Monat, glückliche Zeit! Sei ehrfurchtsvoll und vervollkommne deine Tugend. Zehntausend Jahre währe dein Leben! Empfange die unendliche Segnung immer und ewig!
Heute, mein Sohn, gebe ich dir deinen Ehrennamen: Minziqian! Er ist gut und schön, er paßt zu dir. Folge dem Jünger des Meisters nach und werde ein tugendhafter, weiser Mensch. Dein neuer Name ist dein Weg.
Hochzeit ist ein Werk des Himmels. Die Eheschließung dient der Vermeidung von Unzucht.
Wie eine Wildgans soll die Frau dem Manne folgen. Wie eine Wildgans soll eine Jungfrau ihre Keuschheit bewahren.
Der Tod bedeutet Trennung von Fleisch-und-Knochen.
Leben und Tod sind vom Himmel vorherbestimmt.
Ich kann abends gut sterben, wenn ich morgens das Tao gehört habe.
Wer das Tao fand, fand den Sinn des Lebens. Der braucht vorm Tode keine Angst zu haben.
Nur wenn man in der Erde liegt, hat man Frieden.
Der Himmel ist die Quelle aller Lebewesen.
Der Mensch ist das bevorzugte Lebewesen, der Empfänger der Tugenden des Himmels. Der Befehl des Himmels bestimmt die menschliche Natur.
Das menschliche Schicksal ruht im Willen des Himmels.
Der Edle hat eine heilige Scheu vor dem Willen des Himmels.
In dem Maße, in dem die Menschen nach dem Tao des Himmels leben, empfangen sie des Himmels Segnungen.
Der Edle soll mehr nach dem Tao verlangen als nach gewöhnlicher Speise, denn das Tao ist die wahre Speise des menschlichen Herzens.
Der Mensch bekommt vom Himmel die Tugend verliehen mit dem Auftrag, sie zu verwirklichen.
Der Himmel gibt mit dem Leben auch eine Lebensaufgabe.
Der Himmel schafft nicht nur die Menschen, sondern legt ihnen auch den Weg des Lebens vor.
Die Heiligen folgten dem Tao des Himmels und verwirklichten die Tugenden des Himmels.
Mein Sohn, überwinde deine selbstsüchtigen Begierden und stelle die Sittlichkeit her.
Menschen sollen lernen, menschlich zu sein.
Alle Dinge sind harmonisch, nur die Selbstsucht sät Zwietracht.
Im Herzen des Menschen wohnt das himmlische Prinzip und die Selbstsucht. Wenn das Diesseits siegt, ist das Jenseits unterworfen; wenn das Jenseits siegt, ist das Diesseits unterworfen.
Um Selbstlosigkeit zu erreichen, betrachte das Lamm der Gerechtigkeit über dir.
Der Mensch soll das Tao nicht allein zum eigenen Nutzen hören, sondern es weitergeben an die anderen Menschen.
Denke täglich darüber nach, ob du treu und zuverlässig bist, die Lehre übst und als Vorbild weitergibst.
Wer gut singen kann, sollte auch andere seiner Stimme nachfolgen lassen. Wer gut lehren kann, sollte andere seinem Herzen nachfolgen lassen.
Eis besteht aus Wasser, ist aber kälter als Wasser. Das Messer wird durchs Schleifen geschärft. Der Edle soll tiefgründig und umfangreich lernen und erkennen und sich selbst ergründen, so wird er erleuchtet.
Wenn man nicht auf den Himalaya steigt, weiß man nicht, wie hoch der Himmel ist. Wenn man die überlieferten Worte der Heiligen nicht hörtdann weiß man nicht, wie reich die Weisheit ist.
Das Wissen ist nicht allein fürs Wissen da, sondern für ein besseres Tun.
Lernen und ständige Übung bringt Freude.
Lernen heißt: wiederholte Übung des Fliegenlernens.
Wenn eine Jade nicht geschliffen wird, dann wird aus ihr kein gutes Werkzeug werden.
Einem Menschen ohne Menschenliebe, was hülfe dem die Sittlichkeit? Einem Menschen ohne Menschenliebe, was hülfe dem die Kunst?
Mein Sohn, du brauchst ein großes Herz, denn deine Last ist schwer, dein Weg ist weit. Die Menschenliebe, die ist deine Last: ist sie nicht schwer? Im Tode bist du erst am Ziel: ist der Weg nicht weit?
Menschenliebe ist wichtiger, als das eigene Leben zu erhalten.
Was du dir selbst nicht wünschst, das tu du auch den Andern nicht.
Wer sich um die Menschenliebe müht, der hat sie schon. Doch auch Konfuzius hat die wahre Menschenliebe nicht erreicht.
Ohne Menschenliebe ist der Mensch ein abgestorbenes Stück Holz.
Ehrfurcht ist der Anfang der Menschenliebe.
Sei mit ungeteiltem Herzen treu.
Sei gütig und zur Vergebung bereit.
Übe Menschenliebe an den Elendsten.
Liebe den Himmel über alle Maßen und die Menschen desgleichen.



IV. CYPROS ODER DIE MADONNA MIT DEM GRANATAPFEL

„Singen will ich die Keusche, Blühende, Goldengekränzte,
Ihr ward geweiht mit den Türmen das meerumgürtete Cypros!“
(Homer)



1

Hilarion, Papas der Maronitischen Kirche von Marion und Patriarch der
Schlüsselinseln grüßt San Marco von Venedig und seine geliebte Schoschannim
von Susa mit dem Kuß der Liebe!
Ihr Lieben, Ihr bittet mich, Euch von meinem Eiland Cypros zu erzählen, das
will ich gerne tun. Zuerst will ich Euch berichten, wie es dazu kam, daß ich
Papas wurde. Ich lebte auf Cypros und dichtete an einem Heldenepos über die
Schlacht von Salamis, da die Griechen die Perser besiegten, als mir Maria
Metamelia begegnete. Ich liebte sie vom ersten Blick in ihre schönen Augen
an. Sie war so keusch, daß man sich ihr nicht mit Begehren nahen konnte,
sondern allein mit Bewunderung. Sie nahm sich meiner Seele an, ich glaube
auch in regelmäßigen Fürbittegebeten. Eines Tages führte sie mich in die
Burg, oben in den Bergen, die nach meinem Namenspatron Sankt Hilarion
benannt ist. Diese alte schöne Burganlage, in einem Wald von blauen Zedern
gelegen mit weiter Aussicht auf die fruchtbaren Felder, war der der Ort, da
die Religion der Liebe entstand. Ich liebte Maria Metamelia so innig, daß
mir schien, ich sei in einem Feuer verbrannt und als Phönix auferstanden,
als ein Mensch mit einem neuen Herzen. Da trat ich vor die Jungfrau und
schenkte ihr rote Rosen, weiße Rosen und goldene Rosen. Sie aber in ihrer
allgemeinen Menschenliebe, an der sie so reich war, schenkte diese Rosen der
ganzen Welt. Ich sehe sie noch am Burgfenster stehen und hinausschauen,
voller Sehnsucht, voller lebendiger Hoffnung auf den Himmel... sie sah
"durch den Horizont", wie man in Papua-Neuguinea die Hoffnung nennt. Sie war
ganz vom Evangelium geprägt, wie ich jetzt zu erkennen vermag. Sie war
allein von Christus geprägt, liebte die Schrift über alle Bücher und
sonstigen Geistesäußerungen, glaubte an die unendliche Gnade Gottes und
hatte einen tiefen Glauben, aus dem heraus sie sich demütig Gott unterwarf
und sagte: "Nicht wie ich will, sondern des Herrn Wille geschehe an mir!"
Ihr Lieben, ein Maler, der aus Italien kam und sie sah, wollte sie malen. Er
nannte sich Alessandro der Büßer, denn er hatte lange Zeit heidnische Bilder
von Aphroditen gemalt, nun aber hatte er Buße getan und wollte eine Madonna
malen. Da sah er Maria Metamelia und nahm sie sich zum Model. Sie liebte die
armen Straßenkinder sehr mit reicher barmherziger Liebe, sowohl die
griechischen als auch die türkischen. Ein kleines Kind aus Medina hatte sie
als Paten angenommen, als es getauft worden war, es hieß Jussuf. Nun saß sie
also inmitten einer Schar schwarzhaariger griechischer und türkischer
Kinder, der kleine getaufte Jussuf auf ihrem Schoß, einen Granatapfel
haltend, winkte er dem Maler zu. Ich will euch nur schreiben, wie das
Antlitz der Maria Metamelia aussah. Über ihre langen dunkelblonden Locken
trug sie einen hellroten Schleier, welcher einen transparenten Saum hatte.
Der Schleier fiel über ihre Haare, ließ diese aber noch sichtbar sein, ihr
schönes Antlitz war jedenfalls zu sehen. Sie hatte hellbraune Haut, von der
Sonne Cypros' hellbraun, eine feine schlanke Nase und schmale, ungeschminkte
Lippen von schöner rötlicher Farbe. Ihre feinen Brauen wölbten sich schön
über den Augen, welche blaugrün waren und mit unendlicher Melancholie
schauten. Sie sah aus wie ein Traum, wie ein melancholischer Traum von
wahrer Schönheit und ewiger Liebe. Überhaupt war sie sehr schwermütig. Das
nannte sie ihren "Dorn im Herzen". Aber diese Schwermut brachte sie dazu,
immer wieder nächtelang unter Tränen auf dem Angesicht zu liegen auf ihrem
griechischen Hirtenteppich in ihrer Zelle und Buße zu tun vor Christus. Er
hat ihr daraufhin reiche Gnade zugesprochen. Denn im Maße der Buße bemißt
sich das Maß der Gnade. Nun starb sie jung, mit dreiunddreißig Jahren. Was
die Ärzte auch sagen, ich bin mir sicher, sie starb an ihrer schwermütigen
Sehnsucht der Seele, ihrer Sehnsucht nach dem Paradies Gottes. Ich ward an
ihr Sterbelager gerufen, der kleine Jussuf saß und hielt ihr schönes Haupt
und weinte, ich kniete zu ihren Füßen und benetzte diese mit bitteren
Tränen. Da schaute sie aus tiefen mondweichen Augen, verzückt gen Himmel
lächelnd, und flüsterte: "Meinen Heiland seh ich nahen... Gott ist Liebe,
darum liebet einander, liebe Kinder!" Damit verschied sie, indem ihr Engel
ihr den Atem von der süßen Lippe küsste. Ach ihr Lieben, ich kann nicht dran
denken, ohne traurig und fromm zu werden. Nach Maria Metamelia wollte ich
keine weitere Frau mehr lieben! Ich ging darum ins Kloster, ward ein
Augustinermönch. Christus berief mich dann in einer Erscheinung am Tage
Marien Himmelfahrt zum Papas der Maronitischen Kirche. Mit meiner Vollmacht
als Papas sprach ich die Jungfrau der Barmherzigkeit heilig: Sankta Maria
Metamelia! Ich bin sicher, sie betet für mich. Das Volk verehrt sie und hat
in einer Andachtsgrotte das Bild des Malers Allesandro des Büßers
aufgestellt. Auch eine Ikone, die Sankta Maria Metamelia selbst gemalt nach
einer Vision aus dem Andachtswinkel ihrer Seele, wird dort in Ehren
gehalten, sie zeigt Christus als den Phönix der Auferstehung im Paradies des
Ewigen Lebens! - Ihr Lieben, nun will ich Euch also in der nächsten Zeit in
meinen Episteln dies schöne Eiland vorstellen. Da ihr die klassische Poesie
liebt, werdet ihr auch hören von der Geburt der Aphrodite, welche in den
beiden Homerischen Testamenten "Charis" heißt. Sie sieht gewiß aus, lieber
Bruder San Marco, wie deine junge Sponsa Schoschannim von Susa. Homer nennt
Charis "die Keusche, Blühende, Goldengekränzte". Viel Blüten sollen blühen,
viel Wein getrunken werden, denn ich weiß, Euch freut dies. Schließlich
wollen wir gemeinsam das Osterfest der Cyprioten feiern. Denn Jesus Christus
lebt wahrhaftig, unser Herr! Dem seien Eure schönen Seelen anempfohlen,
damit grüßt Euch
Papas Hilarion von Marion.


2

Papas Hilarion schreibt zur Geisterstunde an den Dialektiker vom Markusplatz
und seine hübsche Johanniterschwester, San Marco und Schoschannim: Ich grüße
Euch mit dem Kuß der Liebe!
Ihr Lieben, es gibt soviel zu erzählen, womit soll ich beginnen? Ich habe
mich hier in Marion eingerichtet. Die modernen Leute nennen den Ort Polis,
ich aber als antiker Mensch nenne ihn gut altzypriotisch Marion. Ich wohne
in einem kleinen Häuschen neben der kleinen Maronitischen Kirche, verwalte
auch die Schlüssel. Es ist nur eine kleine Kapelle, denn wir sind wenige
Fromme hier, die meisten sind Schismatiker oder Häretiker oder, noch
schlimmer, Ketzer. Nun gut. Was Ihr charismatische Christen "biblische
Haushalterschaft" nennt, das heißt bei mir nach einem prophetischen Wort
"löchriger Beutel", dazu der Haushalt wächst mir über den Kopf. Ich habe
darum eine Haushälterin eingestellt, die liebe Römerin Anna Perennis
Corinna. Sie ist etwa in meinem Alter (ich fühle mich oft so alt!) und ist
sehr fleißig. Sie sagte, sie wollte schon in ihrer Jugend etwas Sinnvolles
für die Menschheit tun. Nun sieht sie wunderlich genug das Sinnvolle darin,
mir die Alltagssorgen fernzuhalten. Sie kann mir nicht gefährlich werden,
weil Gott mir in einem Traum eine keusche Bruderliebe für sie gab. Sie grüßt
Euch herzlich.
Ihr Lieben, ich denke gern daran zurück, wie wir in Korinth immer so schön
zusammengesessen und fleißig in Zungen geredet. Damals sprachen wir auch
über die Bekehrung des Saulus, der nach seiner Bekehrung Paulus hieß. Etwas
ähnliches will ich Euch heute erzählen. Es geht in dieser frommen Legende
der Maronitischen Kirche um Jene, der das Eiland Cypros geweiht ist. Also
lauschet mit den Ohren Eurer Seele: - Während des großen Glaubensstreites,
der zum seelenverwirrenden Schisma der Kirche führte, gab es einige, die die
Bilder der Madonna besonders hassten. Sie konnten nicht glauben, was über
eins der schönsten von ihnen erzählt wurde. Nämlich der Evangelist Lukas war
nicht nur ein Arzt, der ein sehr kultiviertes Griechisch sprach (er schreibt
das erlesenste Griechisch des Neuen Testamentes, nur der Dichter des
Hebräerbriefes kommt ihm nah), sondern Lukas war auch ein begnadeter Maler.
Da er die Mutter unseres Herrn und Gottes Jesus Christus mit eigenen Augen
sah und sie als die erste Christin, die erste Heilige und Christusgebärerin
ehrte, malte er ein Bild von ihr. Dies Bild befand sich lange Zeit in
Konstantinopel, wo man es andächtig betrachtete. Im Schismatischen Streit
aber wurde es von protestierenden Menschen aus der Kirche herabgerissen,
dann warfen es die Bilderstürmer ins Mittelmeer. Der Herr aber, der nach dem
Psalmisten seinen Thron über der Flut gebaut, bewegte das Mittelmeer, daß es
das Bild unversehrt an den Strand von Cypros legte. Ich weiß nicht, in
welcher Bucht das schöne Bild angespült wurde. Manche meinen, es wäre beim
Felsen Petra tou Romiou gewesen. Jedenfalls ward das Bild von einem Fischer
gefunden und in einer Höhle versteckt. Später, als manche Zyprioten wieder
zur schönen Religion zurückgefunden, baute man ein Kloster um diese Ikone
und weihte es der Heiligen Maria vom goldenen Granatapfel. In zypriotischer
Zunge heißt dies das Kloster der Chrysoroyiatissa. Ich weiß nicht, ob ihr
dies aussprechen könnt, aber es ist ein sehr schönes Wort. Ihr ist also
diese Insel geweiht. Aber nun zu der Bekehrung des Saulus zum Paulus.
Dieselbe Jungfrau begegnete einst dem Jüngling Eustach. Dieser war in seiner
Jugend ein großer Verehrer Robespierres und dann auch Napoleon Bonapartes
gewesen und lästerte vielfach den heiligen Namen Gottes. Eines Tages irrte
er durch einen Zedern- und Zypressenhain auf dem Fünffingergebirge, da
begegnete ihm ein Hirsch. Nun war er ein passionierter Jäger und wollte
gleich mit seiner Flinte diesen Hirschen schießen. Da sah er aber plötzlich
in dem imposanten Geweih des edlen Tieres ein goldenes Kreuz leuchten und
hörte eine Stimme: Eustach, Eustach, was verfolgst und lästerst du mich? Da
merkte er, daß Christus lebte, er fiel sogleich mit dem Angesicht in das
Moos des Waldbodens und weinte bittere Tränen der Buße. Als er seine Augen
wieder auftat, sah er vor sich eine Ikone liegen. Als er das Bild
betrachtete, wurde eine wunderbare Glut in seinem Herzen wach, und er ward
zu einem großen Liebenden Gottes und der Nächsten. Darum nannte er das Bild
die Ikone der Heiligen Maria vom Walde. In Venezianischer Zeit ward unter
diesem Namen der Jungfrau Mutter ein Kloster gebaut, in welcher sich die
Ikone noch heute befindet. - Soweit also für heute. Ich hoffe, Ihr seid noch
nicht auf die Skelettreligion der Häretiker hereingefallen, sondern habt ein
Herz für die schöne Religion, welche in Fülle nur in der Maronitischen
Kirche zuhause ist. Wie dem aber auch sei, verbunden im einzigen und
alleinigen Herrn Jesus Christus grüßt Euch, Euer Euch liebender Bruder
Hilarion von Marion.


3

An die Geliebten schreibt der Liebende, Papas Hilarion von Marion an die
schöne Schoschannim und den weisen San Marco. Der Gott, der Euch anschaut
und mit mir viel Geduld hat, segne Euch!
Ihr Lieben, diese Epistel wendet sich besonders an die Edelfrau von Susa,
denn in Eurer letzten Epistel schrieb sie: "Blüten..." Ich höre sie seufzen
dabei, was ich verstehe, da Euer Venedig ja nur aus Marmor und Wasser
besteht. Hier aber weckt alles die Sehnsucht nach dem Garten Eden. Ich will
dir also, meine Schwester, Cypros zeigen, wie es blühend und gekränzt aus
einem vielfarbigen Blütenmeer sich erhebt in vollkommener Schönheit.
Besonders die Zeit von März bis Mai, allerorten die schönste Zeit des
Jahres, ist sehr blütenreich dies Eiland. Da sind zum einen die vielen
verschiedenen Orchideenarten mit ihrer sinnlichen Schönheit, daneben aber
auch die nonnenhaften Tulpen, die kriegerischen Jungfraun und Amazonen der
Schwertlilien durchziehen die Wiesen, der wilde Mohn blutet seine
träumerische Milch und schaut mit schamroten Wangen, der goldene Raps betört
die Vögel mit seinen betörenden Düften, sinnverwirrend, vor allem lieb ich
die Pfirsichbäume, von denen man in China sagt, sie tragen die Pfirsiche der
Unsterblichkeit. Im Sommer ist das Eiland ein goldenes, da die
Getreidefelder alles in ein Goldgewand kleiden, bestickt mit den Blüten der
Oleander. Im Bergland kann man dann auch singen: O Nadelbaum, o Nadelbaum,
bist auch im Sommer grün! Kommt der Herbst, dann blühen die violetten und
keusch-weißen Krokusse, die goldenen Glocken der Narzissen, die zartzarten
Anemonen, die prachtvollen Hyazinthen und die Ophelien von Seelilien. In den
Wäldern findet ihr vor allem die Aleppo-Kiefer, in hohen Höhen auch die
bizarren Schwarzkiefern. Im Gebirge walden vor allem Zedern als Könige und
Zypressen als Klageweiber. Der australische Eukalyptusbaum seufzt nach dem
Flug des australischen Trauerschwanes. Die Olivenbäume sind geziert mit
grünen Smaragden oder jenen köstlichen Früchten, von denen sich Sankt Petrus
in Rom ernährte, die Zweige allerdings sind der Göttin der Weisheit und dem
Frieden und Noahs Taube gewidmet. Hier sind auch deine Apfelblüten, o
Schoschannim, zu finden, geschwisterlich leuchtend neben den Birn- und
Kirschblüten. Die Mandelbäume, die vanGogh so herrlich malte, stehen hier
Modell. In den Ebenen steht der Baum der Daphne, den man auch den Lorbeer
nennt, benannt nach der Liebe Petrarcas Madonna Laura, welche den Poeten mit
dem kapitolinischen Lorbeerkranz kränzte. Bananenstauden und Zitrusfrüchte
geben die schönsten Farbtupfer in Gelb und Orange. Vor allem aber, das wird
dich freuen, lieber San Marco, wachsen hier die fruchtreichsten Weinreben.
Besonders vorzüglich ist der Wein von der Mesaoria-Ebene, aber auch von
anderen Weinen will ich dir bei Gelegenheit berichten. Der Stachelbusch der
Macchia hat hier breiten Raum gewonnen. Daran freuen sich die Ziegen.
Häufiger aber als die Ziege ist das Mufflon Agrinon, das scheue Bergschaf.
Die männlichen Wildschafe haben imposant gewundene Hörner und halten sich
mit ihren Weibchen vor allem im Troodos-Gebirge auf. Auch findet man ab und
an noch Wildleoparden und Wildesel, und auch den Hirsch des Eustachius kann
man, wenn Gott gnädig ist, ab und an schauen, er ist edel und menschenscheu.
Natürlich schleichen hier auch überall vor den Häusern Katzen den Frauen um
die Beine. In den Wäldern jagen manche Hasen und Kaninchen, wenige nur
lieben wie ich die purpurroten Füchse, welche der Dichter Reinecke nennt,
und die behenden Kletterer Eichhörnchen, die man meines Erachtens völlig zu
Unrecht Rote Waldteufelchen nennt, sie sind sehr lieb. An den Teufel
erinnert mich da mehr die karogemusterte Otter. Nun aber zu meinen
Lieblingen, den Eigentümern von Schwingen: da gibt es auf Cypros die
Seidensänger, die nicht so heißen, weil sie immer flöten, wenn sie ein
Seidenkleid sehen, die Wildtauben, die girren und gurren und turteln wie die
Weltmeister oder Don Giovanni, aber auch den Vogel Kaiser Friedrichs von
Sizilien, den Falken, der Minnesänger Königsvogel, aber am majestätischsten
ist der in den Bergregionen mit Blick in die Sonne segelnde Kaiseradler -
Lang lebe unser Kaiser von Gottes Gnaden! Für Euch aber hab ich zum Schluß
die Flamingos aufgehoben, die an den Salzseen von Larnaca überwintern auf
der Reise nach Lanzarote oder La Palma. Da führen die Vogelmännchen
Wettrennen und Balztänze auf, den Weibchen zu imponieren, nähern sich ihnen
werberisch, und wenn ein Weibchen ganz still hält, ist es einverstanden und
gibt sein Jawort, dann verschlingen Flamingomann und Flamingoweib die Hälse
in zärtlich-zierlichen Windungen, was sehr anmutig anzusehen. Ihre rosane
Farbe haben sie übrigens vom Verspeisen der Krebse und Algen. Damit wären
wir wieder beim Wasser, und das ist ja Cypros Element, darum ist auch hier
zuhause, guter San Marco, die Venus deiner Venen. Ich freue mich an Euer
beiderseitiger Wonne, wende mich nun wieder in meiner Zelle der Schrift zu
und grüße Euch mit frommem, ehrerbietigem Gruß!
Hilarion.


4

Papas Hilarion an die gnadenreiche Schoschannim von Susa und seinen
gelehrten Bruder San Marco von Venedig: Ich grüße Euch mit dem Kuß der Liebe
und segne Gott um Euretwillen!
Ihr Lieben, diesmal will ich Euch berichten von dem Ort, an dem ich meinen
Bischofssitz haben, von Marion, und vom Berg der Berge des Abendlandes, vom
Olympus.
Ich wohne also in Marion, was mir Herzenssache ist. Man nennt es heute auch
Polis, den Marion ist die Stadt der Städte von Cypros. Es liegt abgelegen
mit schönen Stränden an der Küste des Mittelmeeres. Unter den Achäern ward
es um 1000 vor Christi Geburt ein Stadtkönigtum, zur Zeit also, da König
David Jerusalem zur Königsstadt machte. Von Persern, Ptolemäern und Türken
oftmals vernichtet, erstand Marion immer wieder neu. Im pittoresken
Fischerhafen möcht ich mit Euch zwischen bunten Booten und Weidenkörben
Maränen speisen, ihr Lieben, und dazu Wein von Mesaoria trinken. - Nun aber
zu der schönen Mythe von Marion, ich will Euch von der Aphrodite von Marion
erzählen. Aphrodite, die Meerentstiegene, wird von Platon ja Urania genannt:
die Himmlische. Im nabatäischen Petra nannte man sie Königin des Himmels,
Melitta. Diese also - wie soll ich sie nennen? ich will sie die Marionische
Aphrodite nennen - stieg beim Felsen Petra tou Romiou an Land und begab sich
nach Marion. Wo sie ging, wuchsen Myrten, blühten weiße und rote und goldene
Rosen, schaute schämig der keusche verträumte Mohn, trunken von Milch des
Trostes, stand von Bienen umsummt da die blühende Linde des Maien, sangen
Schwalbe und Sperling, girrten die Tauben von ewig treuer Liebe, und auch
der ewig treue Prophetenvogel, der Schwan flog der Marionischen Aphrodite
nach, den sie war so weiß, daß er die Himmlische für seine Schwanin hielt.
Über ihr schien der Diamant des Morgens, der Morgenstern, welcher die Heimat
der Liebenden ist. Es war an einem Freitag im April, als sie zu einer
schattisgen Felsnische zwischen Feigenbäumen trat. Sie legte ihren
rosenroten Mantel ab, zog die lindgrünen Sandalen aus und entkleidete sich
auch des weißen Seidengewandes und stieg in das Wasser, das da im Bad der
Felsnische ruhte, und reinigte sich. - Auf der Rückfahrt von Troja kam der
Sohn des Theseus, des Königs von Athen, der Jüngling Akamas nach Marion. Er
trat an die Feigenbäume und sah eine weiße Schwanin ruhen auf dem Wasser.
Der Athener war so keusch, daß er die Blößte der Marionischen Aphrodite
nicht schauen konnte und sie also in seiner Seele für eine weiße Schwanin
hielt. Die Jungfrau nun war so keusch, daß sie sich, als sie den Jüngling
sah, ihren purpurnen Mantel einer Königin griff und ihren bloßen Leib damit
verhüllte. Da erlaubte sie ihm, ihre elfenbeinweißen Schultern zu schauen.
Daraufhin sah er ihr ins Antlitz und war überwältigt von solcher Anmut und
Schönheit. Ihre Augen waren grün wie das Meer, in dem sich ein blauer Himmel
spiegelt, ihre Lippen waren wie schmale Rosenblütenblätter. In Liebe
versetzt von solchem Liebreiz, pflückte er die roten Rosen, die am Rande der
Grotte im Moos wuchsen und schenkte sie ihr. Drei Tage verlebten sie in
reiner herzlicher Liebe. Wenn sie schlief, wachte er und betrachtete die im
Moos Schlafende und begehrte nichts, als ihr eine goldene Locke aus der
schönen Stirn zu streichen. Nach drei Tagen aber mußte die Tochter Zeus auf
den Olymp, in die Wohnung des Königs der Götter zurück. Akamas lebte fortan
nur noch von der Erinnerung an die Marionische Aphrodite. - Ihr Lieben,
jenes Bad, in dem die Himmlische badete, nennt man die Fontana Amorosa. Wer
von diesem Wasser auch nur Einen Tropfen trinkt, wird von unverlöschbarer
Liebesglut erfasst. Ich gestehe Euch, ich trank davon, und seit jenem Moment
bin ich erfüllt von hoher heiliger Agape für Sankta Maria Metamelia und
bete, daß die Vorausgegangene auch mich eines nichts zu fernen Tages nach
sich ziehe in die Seligkeit der Seelen, in das Paradies der Liebe Gottes! -
Nun aber auch noch auf den Olymp zu sprechen zu kommen, das wird Euch
interessieren, steigt man zwischen Kiefern und Schwarzkiefern, zyprischen
Zedern und Zypressen gewundene Pfade hinan, durch einen Maulbeerbaumhain,
vorbei an blühenden Pfirsichplantagen, von der Seite von Bergschafen und aus
den Lüften von Kaiseradlern beäugt, bis man zu den Kaledonia-Wasserfällen
kommt. Schließlich erreicht man den Ort Troodos. Dort befindet sich ein
Kloster der seligen Jungfrau Maria, die man bei Euch in Venedig ja so schön
Madonna nennt. Dort befindet sich als Kleinod der Gürtel Mariens, den sie
bei ihrem Heimgang in den Himmel auf der Erde zurückließ. Dies ist der
Gürtel, der, wie ein deutscher Dichter sagte, des tobenden Weltalls
Entzücken zusammenhält. In diesem Kloster bitten viele Liebenden durch die
Fürsprache der allerseligsten Maria Aphroditissa Gott um Seinen Segen. Von
diesem Kloster führt ein schmaler Weg zum Ort Omodhos, der dem Heiligen
Kreuz geweiht ist. Dort saß ich auf einem Stuhl aus Steineichenholz, diesen
Brief an Euch schreibend, gedenkend an die Splitter vom Heiligen Kreuz, die
auch mir mein Herz durchbohrten und es zu Tode verwundeten, daß allein die
Liebe Gottes, meines Heilandes, mich noch heilen kann. -
Es grüßt Euch die Gemeinschaft der Heiligen von Cypros!
Euer
Hilarion von Marion.


5

Der heilige Sünder Hilarion an die Heiligen Schoschannim und San Marco: die
Gnade Gottes sei mit uns allen!
Ihr Lieben, Ihr fragt in Eurem lieben Brief, wie es uns mit den Türken gehe
auf dem Eiland Cypros? Nun, ich will schweigen von all den Verheerungen, die
sie hier angerichtet, manche Kreuzritterburg in Schutt und Asche gelegt,
manches Kloster zu Ruinen umgewandelt, gar manche Kathedrale in eine
blasphemische Moschee verwandelt, da geleugnet wird, daß Jesus Christus der
Sohn Gottes! Aber Einen will ich rühmend hervorheben und Eine: Suleiman den
Prächtigen und seine schöne Geliebte Zulima! Schließlich will ich Euch noch
von dem ehrenvollen Grab der Großmutter des Königs von Jordanien
berichten. - Suleiman der Prächtige wohnte in einem Palast in der Altstadt
von Famagusta, wie es die Griechen, von Magosa, wie es die Türken nennen. Er
wohnte innerhalb der Mauern, mit Blick auf den Diamantturm und die
Zitadelle, welche der Markuslöwe schmückt, und welche man die Zitadelle
Othellos nennt, weil hier einst Il Moro, der Mohr geherrscht, welchen sich
Shakespeare zum Vorbild seinees Dramas nahm. Er sah auch durch das Seetor
nach Varoscha, welches eine Geisterstadt ist. In seinem prächtigen Palast
lebte er wie weiland die Könige von Jerusalem, Armenien und Cypros. Er
wandelte von seinem Palast, welcher aus Elfenbeinzierrat und
Lapislazulimosaiken war, mit türkischen Bädern, turkish delight, türkischen
Honig kostend, durch das Seetor mit dem adriatischen Löwen an den Strand,
zur Zeit der letzten Nachtwache, wandelte von Strand zu Strand, von Bucht zu
Bucht, von Palm Beach zur Corall Bay, bis er in die Bucht von Petra tou
Romiou kam, nah an Paphos-Ktima gelegen. Er war kein strenger Muselman, wenn
er auch die Suren des Koran alltäglich betend las, so war er doch auf Cypros
ein großer Genießer unverschleierter Weiber geworden, seinem Namenspatron
nacheifernd. Nun, er war die Nacht durch gewandert, ein großer Kenner der
Sterne. Besonders hatte er aufgeschaut zum Sternbild der Jungfrau, welches
er in orientalischem Götzendienst Ishtar-Fatima nannte. Als er in der Bucht
der Buchten, am Strand der Strände ankam, ging gerade der Morgen herauf. Er
stand in den braunen Gräsern, scharrte mit den Füßen in den Sandalen in den
Kieselsteinen. Die Felsen standen grotesk gestaltet in das Meer hinaus. Das
Wasser war grün, mit weißen Schaumkronen, welche die Wellen an den Strand
trugen und Suleiman dem Prächtigen zu Füßen legten. Am rosigen, nun
lichtblauenden Himmel stand einsamschön der Morgenstern. Wie ein Diamant
blitzte sein Licht durch den klaren Äther. Das Grün des Meeres verschwamm
mit dem Lichtblau des Himmels, darin die Strahlen der jungen Sonne
schwammen. Dies alles ergab eine Art magische Beleuchtung, die sich tief auf
die Seele Suleimans malte. Da hatte er eine Vision - er fragte sich, ob er
wahnsinnig sei, oder ob ihn gar die Dschinn-Dämonen des Schaitan
versuchten - er sah schweben über dem Meer ein Weib von allerlieblichster
Schönheit. Ihre Haare flossen an ihrem bloßen Leib herab. Die Haut war
hellbraun von der Sonne Cypros. Ihr Antlitz war schmal und von entzückendem
Liebreiz. Ihre Augen schauten wie funkelnde Morgensterne, verschleiert von
langen Wimpern. Sie hielt sich mit den schlanken Händen das Haar, wie
gefärbt von zyprischem Henna, vor die Brüste, verschleierte so die beiden
jungen Turteltauben. Suleiman der Prächtige schloß vor Schauer und Entzücken
die Augen, dies Bild in seiner Seele für immer zu fixieren. Als er die
beiden Augen wieder öffnete, war die Vision verschwunden. Vielleicht war es
die Fata Morgana gewesen, von der man sagte, daß sie in Messina wohne? Da
hörte er junges Mädchenlachen. Erstaunt sah er sich um. Da sah er ein junges
Mädchen in einem weißen Hemdchen und einem curryfarbenen Röckchen und
tanzte. Sie tanzte hinreißend, beweglich wie eine von Flötenspiel betörte
Schlange, wand sie sich unter den Palmbäumen. Ihre schwarzen Haare, in
lockenden Locken, fielen ihr in ihr braunes Antlitz, welches in
verführerischer Unschuld zu ihm schaute. Suleiman war völlig betört. Sie
bewegte sich und gab alle Posen, die der Mediceischen Venus, die der
Coiischen Venus, die der Venus des Praxiteles, die der Venus Callipigos, die
der Badenden Venus, lächelnd die die Venus Frigida, und lockte ihn sich
nach, indem sie mit ausgestrecktem Arm ihn zu sich rief. Er wandelte, wie
ein Mondsüchtiger seinem Monde nach, dem hüfteschwingenden Mädchen nach. Bei
Allah und seinem Propheten, rief Suleiman der Prächtige, wer bist du? Ich
bin Zulima! lachte sie girrend wie eine Turteltaube. Um das Handgelenk hatte
sie ein Kettchen mit kleinen weißen perlmutternen Muscheln aufgereiht. Über
die See flogen weiße Lachmöwen. Da hatte der König von Jerusalem, Armenien
und Cypros eine Braut gefunden. Und er nannte sie seine Zulima Fatima
Ishtar, Rose von Magosa, Augusta von Famagusta, Koralle von der Corall Bay,
schlanke Palme von Palm Beach, und gemeinsam betraten sie die Moschee und
trieben Götzendienst. - Nun aber, ihr Lieben, ihr Heiligen von Susa und
Venedig, will ich Euch von der Großmutter Tod erzählen. Jenseits des großen
Salzsees von Lamaca, da man den auferweckten Lazarus ehrt als rechtgläubiger
Christ, haben die Ungläubigen eine Grabmoschee errichtet. Diese heißt Hala
Sultan: geehrte Mutter. Umgeben von Palmen und Zypressen liegt hier die Amme
Mohammeds begraben. Die Araber nennen sie Umma Haram, und alle türkischen
Schiffe, wenn sie diesem Orte an der Küste nahekommen, müssen die Flagge
senken. Hinter der Gebetsnische (wo Christi Gottheit geleugnet wird) führt
ein Durchgang zur Grabkammer. Das Grab ist verhüllt. Über dem Sarkophag
befindet sich ein großer Stein, der am Todestage der Umma Haram von Mekka
nach Cypros flog und dort eine Zeitlang über dem Grabe schwebte. Um ihn
herum liegen drei kleinere Steine, die sich am Vorabend des Todes der Umma
Haram aus der Millomauer von Jerusalem lösten und übers Mittelmeer nach
Cypros schwammen. Andere erzählen allerdings, daß Engel diese Steine vom
Berge Sinai hierher trugen. In einem Nebenraum der Grabkammer befindet sich
das Grab der Großmutter des Königs von Jordanien. Von dort müssen wir
unbedingt zum Salzsee, der aufgrund eines Fluches des heiligen Lazarus
entstand. Eine Weinrebe (dort wuchsen einst viele Weinstöcke) verweigerte
dem Heiligen, den Christus von den Toten auferweckt hatte, seine Beeren,
darauf verfluchte Lazarus den Weingarten, und der verwandelte sich in einen
unfruchtbaren Salzsee. Gott allerdings verwandelt auch die Öde in Schönheit,
so sammeln sich dort, wie ich Euch schon berichtete, die rosanen Flamingos.
Auch unsere Seele überwintert am verfluchten Salzsee, aber einst werden wir
uns erheben und fliegen über das Meer des Todes zur Insel der Glückseligen,
da die Palmen des ewigen Lebens wachsen! Bis dahin, verschlinget zärtlich
Eure Hälse, ihr mein liebes zypriotisches Flamingopaar!
Euer Hilarion, Sklave Jesu Christi.


6

Hilarion von Marion an die liebe Schwester Schoschannim und den Lehrer des
Evangeliums San Marco: Alles Liebe! -
Ihr Lieben, heute Nacht ist eine stille Melancholie in meiner Seele und ich
denke mit Wehmut an die Zeit zurück, als Sankta Maria Metamelia noch auf
Erden weilte. Vielleicht vermag mich das Schreiben an Euch ein wenig zu
trösten? -
Man kann von Cypros nicht schreiben, ohne von Paläa Paphos zu erzählen.
Wieder einmal muß ich auf den Fels der Römer zu sprechen kommen, Petra tou
Romiou. Heute stand ich am dunklen Strand und sah die drei Felsen im blauen
Meere ruhen, und die Brandung brach sich am Felsen. Der Himmel war licht und
helle Perlmutterwolken segelten leise durch die Lüfte. Hier soll die
Marionische Aphrodite das erste Mal gesehen worden sein, sie kam gewiß vom
Morgenstern, dem Reich der Liebe, da die Ideen und Ideale der schönen Liebe
zuhause sind. Und sie wird ja auch genannt: Mutter der schönen Liebe. Man
baute ihr in Paläa Paphos, nicht weit vom Strand, ein Heiligtum. Dort salbte
man einen schwarzen Stein, ich weiß nicht ob es ein schwarzer Onyx war, mit
Myrrhenöl. Man brachte Weihgeschenke dar, Maronen und Maränen und
Myrtenblüten der Magna Mater. -
An dieser Stelle will ich Euch aus dem Mythenkreis von Paphos erzählen. Da
ist die Geschichte von Pygmalion: Angewidert von der Hurerei zog sich der
Künstler in die Einsamkeit zurück und bildete aus Marmor von Mararra das
Bild der Marionischen Aphrodite. Die Gestalt war ganz aus dem Traum seiner
Seele aufgestiegen, ich weiß nicht, ob man es auf genialie Inspiration
zurückführen kann. Das Bild entsprach so sehr seinem Ideal, daß er in Liebe
entbrannte für die Marmorschöne. Die himmlische Liebe erbarmte sich des
träumenden Künstlers und sandte ihm eine zyprische Jungfrau, welche in
unglaublichem Maße dem Ideal seiner Seele glich, das war die schöne Jungfrau
Galathea. In einem goldenen Muschelwagen, gezogen von schneeweißen
Delphinen, fuhr die schöne Galathea über das Meer. Junge Tritonen bliesen
auf gewundenen Muschelhörnern Lobpreis ihrer Schönheit. Meeresgreise
schwammen um sie und wurden jung unter dem Meereshimmel ihrer Blicke. Ihr
goldenes Haar wehte im Winde, im Winde wehte ihr rosenroter Mantel, den sie
um die elfenbeinweißen Schultern geworfen und der die jungen Tauben ihrer
Brüste keusch verhüllte. Sie fuhr in ihrem goldenen Muschelwagen an den
Strand von Paphos-Ktima, da Pygmalion sann und träumte in seiner musischen
Melancholie, und küsste ihn, da küsste ihn sein Ideal, da küsste er die Idee
der ewigen Schönheit, die schöne Liebe selbst, die ihm in der Jungfrau
Galathea begegnete. -
Eine andere Mythe sag ich, die nicht ursprünglich aus Cypros stammt, sondern
aus Delphi, wo der Nabelstein der Welt steht, aber da sie die Liebe zum
Inhalt hat, wird ihrer auch in Paläa Paphos gedacht. Apollo, der Gott der
Propheten und Poeten, liebte unsterblich die schöne Nymphe Daphne. Er sang
ihr zur "goldenen Leier Apollons" Preisgesänge ihrer Anmut und
Holdseligkeit. Sie aber mochte sich nicht so gepriesen sehen und wollte vor
allem begehrt nicht werden. Apollo jedoch ließ nicht ab, um sie zu werben,
und stellte ihr nach. Sie aber floh vor dem Stürmischen. In dem Augenblick,
da er sie erhaschte, flehte sie zum König der Götter, der sie in einen
Lorbeerstrauch verwandelte. Apollo aber hörte nie auf, Daphne zu lieben, und
da er im Reigen der Musen war, verkündete er das Edikt, daß wahrhaft heilig
singende Dichter der Liebe sollten werden gekränzt mit dem Lorbeerkranz. Ihr
Lieben, dieser Ehre wurden Dante und Petrarca teilhaftig, dieser wegen
Beatrice und jener wegen Laura, die er mit Daphne verglich. -
Schließlich will ich Euch erzählen vom Kult des sterbenden und
auferstehenden Halbgottes Adonis. Sein Kult stammte aus dem Vorderen Orient,
er ward heilig gepflegt in Paläa Paphos. Adonis war der Schönste aller
Menschenkinder, ward aber von einem Untier häßlich entstellt und zu Tode
verwundet. Er starb in einem Hain aus Olivenbäumen in Idalion. Die schöne
Göttin Anadyomene, welche einst von vielem Volk als Herrin sündiger Liebe
angesehen, aber den edleren Geistern und Liebhabern der Weisheit eine
Fürstin schöner Liebe war, liebte den Halbgott Adonis sehr und beweinte ihn
mit bitteren Tränen. Sie saß in ihrer immer sich erneuernden
Jungfräulichkeit und schönen Anmut im fließenden Kleid auf der Wiese, und
quer über ihren Schoß lag der hingegossne Leichnam des Adonis, des Sohnes
der Myrrha, nur mit einem Lendentuch bekleidet. Aber im Frühling feierte man
im Vorderen Orient und im abendländischen Paläa Paphos das Erwachen des
Adonis. Mit ihm erwachen die Lilien und die Rosen und die ganze Natur. Da
ziehen singend und tanzend die Jungfraun unter Zither- und Zimbelspiel ins
Heiligtum und jubeln: Feiert Adonis, kommt und feiert ihn, denn erwacht ist
Adonis, drum feiert ihn! Da wird dann gepriesen die Heilige Hochzeit, in der
die Priesterin der Liebe stellvertretend für die Gemeinde der Jungfraun und
Jünglinge sich mit dem schönen Gott vermählt. Dann wandeln alle in den
Heiligen Garten, da sie in weißen Gewändern Reigentänze tanzen
überschwenglicher Freude und seligen Lachens! -
Ihr Lieben, mich hat das Schreiben an Euch wirklich getröstet. Ich empfehle
Eure Seelen der Fürsprache der Sankta Maria Metamelia und der allerseligsten
Madonna Maria Aphroditissa: O clemens, o dulce, o venusta Maria! Das nächste
Mal will ich Euch schreiben von Neu-Paphos und der Geißelsäule des Paulus.
Ich grüße Euch mit dem Kuß der Liebe, bitte Euch, mir zu schreiben, und
bitte richtet meinen Gruß auch an die Sabinerin und die Versammlung in ihrem
Haus aus.
Euer
Hilarion von Marion.


7

An San Marco, der mit Wein, und Schoschannim, die mit Olivenöl der Seele
Hilarions wohltat oftmals in Korinth, wo wir in Zungen sprachen, schreibt
dieser aus Marion auf Cypros: Ich grüße Euch wiederum mit dem Kuß der
Liebe! -
Ihr Lieben, ich hoffe heimlich, Ihr habt das Interesse an Cypros nicht
verloren, darum wag ichs, Euch heute von Neu-Paphos zu schreiben. -
Neu-Paphos, oder die Königliche Domäne Ktima, das im dritten Jahrtausend vor
Christi Geburt genannt ward Souskia, liegt inmitten von Zitrusplantagen und
Weingärten. Die Römer nannten es Heilige Hauptstadt aller zyprischen Städte,
liebevoll: Augusta des Augustus. Paulus und Barnabas, der auf Cypros
geborene Sohn des Trostes, auch Josef geheißen, kamen auf einer
Missionsreise auf dies Eiland. Paulus bekehrte hier Sergius Paulus, den
römischen Prokonsul. Von Pauli Schicksal auf Cypros etwas später mehr. -
Erst will ich Euch in die antiken Häuser führen. Im Haus des Dionysos
befindet sich ein Mosaik vom göttlichen Dulder (Ulyß) in der Meerenge von
Messina. Im nächsten Raum ist dargestellt der Jüngling Narziß, der von der
Nymphe Echo abgewiesen worden war und fortan das Echo der Echo das Bild
seiner Seele liebte. Die himmlische Liebe erbarmte sich des Schmachtenden
und verwandelte ihn in einer Wiedergeburt in eine Osterglocke, die seinen
Namen trägt. Über einem Tor steht, an die Mutter Erde gleichermaßen und den
eintretenden Gast: Sei gegrüßet, auch du! Dann sieht man den Weingott selbst
einziehen, in einem Wagen, gezogen von schwarzen Panthern, Musikanten
begleiten ihn, Bauern ernten Wein, umschwärmt von Hasen und Vögeln. Dir,
lieber San Marco, möcht ich widmen das Mosaik vom Ersten Weintrinker!
Dionysos ist da zu Gast beim attischen König Ikarios, sie sprechen über die
Kunst des Weinanbaus, lauschend sitzt dabei die süße Nymphe Akme. Ikarios
spendet das heilige Getränk einigen Ziegenhirten, die glauben, er wolle sie
vergiften durch das Machwerk der Zauberei, daraufhin erschlagen sie ihn,
Ikarius geht in die Mythologie ein als erster Märtyrer des Weingottes. - Wie
Apollon die Daphne liebte, das sagt ich Euch schon. Aber wie der König der
Götter den Jüngling Ganymed liebte, wisst Ihr das auch? Er riß ihn heraus
aus dem Tal der Tränen, auf den Adelers Fittichen trug er ihn in die
Himmelsburg, wo Ganymed Mundschenk der Götter ward. Auch zu sehen ist ein
Bild der Jungfrau Leda, welche der Gott in Gestalt eines Schwanes besuchte.
Er umhalste sie, sie gab sich ihm hin in der Umarmung, der Blick des
Schwanes und der Blick der Jungfrau flossen in eins, da ward aus der Union
der Seelenfunken geboren die schönste Frau Griechenlands, die Spartanerin
Helena, welche die hohe Siegestrophäe der edlen Griechenfürsten vor den
Toren des asiatischen Ilion war. Im Haus des Äon wird der Preis der
Schönheit unter allen Meermädchen der Jungfrau Kassiopeia zuerkannt; Zeus,
der Göttervater, Helios, sein Sohn, die Sonne, und die Jungfrau Minerva, die
Göttin der Weisheit, schauen zu und bestätigen den Sieg Kassiopeias. Im Haus
des Theseus, des Königs von Athen, ist zu sehen, wie er sich in das
gefährliche Labyrinth begibt, da das Untier in der Mitte lauert, daraus ihn
der Beistand der kretischen Prinzessin Ariadne herausführt. Auch Achilles,
der Freund des Patroklos, ist zu sehen im Bilde. Die drei
Schicksalsgöttinnen, Moiren, schauen ihn an und gemahnen, daß auch selbst
ein Achill wird nicht seinem Schicksal entgehen. Schließlich im Haus des
Orpheus ist der Dichter-Seher zu schauen, wie er mit der siebensaitigen
Leier, gestimmt auf die Sphärenharmonie, die Bäume des Waldes in seine
Nachfolge ruft und die wilden Tiere zähmt, er, der bis zu den Sternen,
Jungfrau und Schwan und Leier, seine Eurydice liebt, über das Totenreich
hinaus, wie er ihr zuschwor. - - Nun aber zu der fränkischen Kirche des
heiligen Franziskus, der ein zweiter Orpheus war und mit seinem Gesang die
Spatzen und Sperlinge fromm machte. Vor dem Tor dieser Kirche steht eine
Säule, an welcher dereinst Sankt Paulus ausgepeitscht worden von den
aufgebrachten Heiden. Er pries ja den Kaiser nicht als Herrn und Gott,
sondern pries den Unbekannten Gott, der seinen Sohn Jesus Christus als
Retter gesandt hat und an einem vorbestimmten Tage als Richter der Lebenden
und Toten senden wird, wie es das Apostolische Credo bezeugt, und darum
seien alle Menschen aufgerufen zur Buße. Hier in Paphos war Sankt Paulus
auch in einem geistlichen Kampf mit dem okkulten Zauberer Barjesus, wie ein
wenig später auch Sankt Petrus ringen mußte geistlich mit Simon Magus, der
sich als die Kraft Gottes ausgab. Paulus nahm dem Zauberer das Augenlicht.
Die Blinden von Paphos wallen zur Kirche der heiligen Solomonis an der
Avenue Apostolos Pavlos. Jene Märtyrerin war mit ihren sieben Söhnen im
zweiten Jahrhundert in der Zeit der Christenverfolgung auf Zypern des roten
Martyriums gewürdigt worden. Ihre Freude im Herrn war der Siegeskranz und
die Krone des ewigen Lebens! -
Wollen auch wir, ihr Lieben, zu jeder Zeit bereit sein, den Namen des Herrn
Jesus treu zu bekennen als des einzigen Namens unterm Himmel, in welchem
Rettung ist, und wollen wir in Seinen Fußtapfen wandeln und unser Kreuz auf
uns nehmen täglich. Er segne Euch!
Hilarion von Marion.


8

Hilarion von Marion an San Marco, den Besitzer der Manessischen Handschrift,
und seine Braut Schoschannim von Susa: Küsset Euch allezeit mit dem heiligen
Kuß!
Ihr Lieben, eben bin ich von einem Traum erwacht. Vor dem Fenster meines
Dormitoriums deutet sich die Morgenröte an, doch noch ist der herrliche
Morgenstern nicht aufgegangen. Ein Hahn kräht als Herold des Morgensternes.
Mir begegnete wie einst dem Propheten Daniel eine Vision auf dem Lager der
Nacht. Ich hatte mich im Zypressenwald der Mesaoria-Ebene in der tiefen
Nacht verirrt, so träumte ich, und aus dem Gebüsch funkelten Augen hungriger
Wildleoparden, als zu mir trat der Minnesänger Reinmar (ihr wisst, ich liebe
die deutsche Poesie). Er trug einen roten Mantel und grüne Beinkleider, in
der Hand hielt er eine Harfe von Elfenbein und auf seiner linken Schulter
saß ein Sperling und auf der rechten eine Nachtigall, welche lieblich
flötete. Da sprach Reinmar zu mir: "Vil liber Hilarion, ic wil dir wiesen
dine minne, diu nahtigal is ire botin. Sanct Maria Metamelia ruft dine sel
in bluomigen himmels aue, diu holde vrouwe!" Da folgte ich him, wir stiegen
tiefer in den Wald und dann einen Hügelhang hinan, bis wir zu einem
Myrtenhain kamen, da die Spitze des Hügels als Felsen starrte, aus dem eine
Quelle eintsprang. Über mir ging eben die Morgenröte auf. Da schwebte in
einem langen Gewand aus allerfeinstem allerreinstem weißen Linnen Sankta
Maria Metamelia herab. Sie trug goldene Sandalen an den bloßen Füßen. In den
dunkelblonden Locken trug sie einen zarten goldenen Kronreif, geziert mit
Edelsteinen bunt wie der Schweif eines Pfauen. Als ich sie sah, wurden mir
die Kniee weich, all mein Leben schien mir sündig und unrein. Sie schaute
mich aus ihren himmlischen Augen an, die Licht verbreiteten wie der Mond in
der Nacht, leuchtend wie die Smaragde an Gottes weißem Thron (Gott vergebe
mir dies Gleichnis)! Unter dem Blick ihrer Augen überkam mich die göttliche
Traurigkeit, welche da führt zur Buße. Mit dem weitfallenden Ärmel ihres
schleierartigen Gewandes strich sie mir über die tränenfeuchten Augen. Als
seien mir von ihrer liebevollen Berührung die Augen des Herzens, die Augen
des Geistes aufgetan, sah ich in der aufgehenden Morgenröte eine
Erscheinung: Die Mutter meines Herrn erschien in einer Aura von Gold der
Morgenröte, um ihr Haupt strahlte es wie der Morgenstern. Sie trug ein
Gewand, der auch ihr Haupthaar verhüllte. Ihr Mantel war aus lichtem
Rosenrot und geziert mit goldenen Blumenmustern. Zwei Engel senkten vom
Himmelszenit eine goldene Krone auf ihr Haar. Da sah ich, daß sie auf dem
rechten Arm ein Kind hielt, und wundersam genug: dies Kind hatte das Antlitz
eines mündigen Mannes! Um das Haupt Jesu leuchtete die volle Sonne des
höpchsten Mittags. Er sah mit barmherzigen Blicken in mein Herz - da flehte
ich: Ach du mein Herr! erbarme dich, und gedenke, daß ich Staub bin! Und der
Herr wies mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf die Heilige Schrift,
die geöffnet in seiner Linken lag. Da tönte in meinem Geiste das Wort in
fremder Zunge: "Freut euch an der Barmherzigkeit Gottes und schämt euch
nicht, ihn zu loben!" -
Mein Herz, ihr Lieben, ist nach diesem Traum voll von Liebe, denn die Liebe
waltet als Königin im Universum, denn Gott ist die Liebe!
Alles Liebe!
Euer
Hilarion von Marion, Papas der Maronitischen Kirche.


9

Papas von Marion an die Heiligen von Venedig! Gottes Gnade und Christi
Frieden und die Liebe des Heiligen Geistes seien mit Euch!
Ihr Lieben, in der Maronitischen Kirche singen wir einen "im Stehen
gesungenen" Hymnus, den ich dichtete, er wird genannt: das Marionische
Alpha-Beta Mariens:

Auferstehungszeugin!
Bekennerin!
Christusgebärerin!
Davidsturm!
Eulogia, vor allen Frauen gepriesene!
Fraue Minne!
Gott Sohnes Mutter!
Hagia Aphroditissa!
Immaculata!
Jungfrau!
Kelch der Hingabe!
Liebe Frau von Marion!
Madonna!
Neue Eva!
Osterfreude bezeugende!
Pieta!
Quadrocento-Muse!
Rose ohne Dornen!
Sitz der Weisheit!
Tor von weißem Stein!
Unbefleckte!
Venusta dulce pia Maria!
Wabenhonig-Bienenkönigin!
Xenion des Euangelion!
Yehowah's Magd!
Zofe Gottes!

Ich weiß nicht, ob man in der Kirche Sankt Markus denselben Hymnus singt.
Aber seht nur, in der Maronitischen Kirche ist vor allem die Liebe unsre
Verkündigung, die Liebe unsre Lehrerin und Meisterin und die Liebe die uns
inspirierende Weisheit - darum, was in der Liebe gesungen wird, mag Gott dem
Herrn wohl alles wohlgefallen!
Mit dem Gruß der Liebe grüßt Euch
Hilarion.


10

An San Marco und Schoschannim, die Heiligen, schreibt Hilarion: alle Tage
denk ich an Euch in herzlicher Bruderliebe.
Ihr Lieben, langsam naht das Ende meiner Berichte vom Eiland Cypros. Nun
will ich Euch von den Evangelisten erzählen.
Die Stadt Larnaca ist nach dem griechischen Wort Larnax, Sarkophag, benannt.
Im Altertum nannte man die Stadt Kition. Darum heißt es im Alten Testament
auch Kittim, wenn Cypros oder der griechische Archipel oder die gesamte
römische Ökumene gemeint ist. Sei gegrüßet, Kition! Am Pfingstfest gibt es
hier eine Prozession zu Ehren der Rettung Noahs aus der Sintflut. Man
gedenkt der Arche, in der sich das Wort Gottes befand, und der Muttergottes
des Meeres, in der sich das Wort Gottes befand, aus deren Muschelschoß sich
die Liebe Gottes in die Welt gebar. Der von den Toten auferweckte heilige
Lazarus, Bruder Mariens und Marthas, die der Herr liebhatte, war einst nach
Kition gelangt. Mit Maria Magdalena und ihrer Schwester war der Heilige von
den Juden, die nicht an den Messias Jesus glaubten, in einem Boot ausgesetzt
worden, Wind und Wellen trieben sie in die Bucht von Kition. Lazarus wurde
Bischof von Kition. (Magdalena fuhr weiter bis in den französischen Golf du
Lyon, wo Les-Sainte-Maries-de-la-mer liegen, wovon der deutsche Dichter
Schwanke gerne schrieb.) Im neunten Jahrhundert fand man in Kition den
Sarkophag des Lazarus, daher heißt Kition Larnaca. Auf den Gebeinen des
Heiligen ward die Kirche gebaut, wie in Rom auf den Gebeinen Sankt Petri, in
Venedig auf den Gebeinen Sankt Markus. Nun zu Barnabas, wie der zypriotische
Josef von den Aposteln genannt ward: Trostsohn. Der heilige Trostsohn ist
der Nationalheilige von Cypros. Er kam mit dem Apostel Paulus aus Jerusalem
nach Cypros. Bei einer zweiten Reise auf seine Heimatinsel (wenn auf Erden
Heimat ist) ward er in der Nähe von Salamis von Juden gesteinigt. "O Tag an
Salamis Ufern!" dichtete der deutsche Dichter Hölderlin für seine Diotima.
Den Leichnahm des heiligen Trostsohns begrub ein unbekannter Gefährte an
einem unbekannten Ort. Aber im fünften Jahrhundert ward dem damaligen
zypriotischen Erzbischof Anthemion in einer Vision das Grab des heiligen
Märtyrers offenbart. Anthemion fand das Grab mit den Gebeinen des Heiligen
in der Nähe von Salamis. Der Leichnam des Missionars hielt in Händen eine
Abschrift des Matthäus-Evangeliums. Seit jenem Fund hat der Erzbischof von
Cypros das Recht, mit roter Tinte zu unterzeichnen, welches Recht ebenfalls
der Papas der Maronitischen Kirche hat, denn rot ist die Farbe der Liebe.
Nun zum Apostel Andreas, Sankt Petri Bruder. Einst segelte der Apostel
entlang der zypriotischen Küste. Der Kapitän seines Schiffes drohte vor
Durst zu erblinden, da erweckte der Apostel eine Quelle an einem Kap,
welches ihm zu Ehren heute Kap Andreas heißt. Ob die dem Kap Andreas
vorgelagerten Klidhes-Inseln, was verdolmetscht Schlüssel-Inseln heißt, so
genannt sind, weil der Träger der Himmelsschlüssel hier vorübergekommen, ist
mir nicht bekannt, und ich will auch keine Legende erfinden. Jedenfalls
blühen auf den Schlüsselinseln viele rote Himmelsschlüssel.
Ich unterzeichne mit roter Tinte:
Hilarion von Marion.


11

An Schoschannim die Sanfte und San Marco den Herzlichen schreibt Hilarion
von Marion in frommer Bruderliebe: Seid gegrüßt!
Ihr Lieben, als Onesilos der Herrscher von Salamis war, drängten die Perser
und Phönizier an. Die Jonier aber besiegten am Schlüssel von Cypros die
Feinde, so schreibt Herodot. Ruhmreiches Qubrus (Cypros), Tyros genüber,
zwölf Tagereisen groß, wie bist du allen schön gewesen! Auch dem Tiroler
Pilger Martin von Baumgarten, der deine freundlichen Hügel und wundervollen
Täler pries und deiner Myrten Nachtigallensang. Der Amerikaner pries deine
Palmen, deren lange Blätter so melancholisch hingen, als er auf dem
Lichterkahn Mahona der Insel nahte. Kennst du dies nicht auch, lieber
Bruder, von deiner Braut, was der Erzherzog Salvator von Österreich sagte:
Weder Griechen noch Türken sagen Nein, sondern heben nur wortlos den Kopf
ein wenig. Und wie bewunderte doch der englische Dichter den Ort Bellapais,
den Ort des schönen Friedens, da er wandelte in stiller nachdenklicher Liebe
zwischen hohen Säulen und flammenden Orangenbäumen, bei dem Wappenschilde
des Richard Löwenherz, dem König des Robin Hood und der Maid Marian von
Sherwood Forest. Und wie lieblich pries der griechische Dichter die Heimat
der Aphrodite: nie sah er ein Eiland mit solchem weiblichen Liebreiz, nie
atmete er solche süßen Düfte, wenn ihn am Abend Wohlgefühl befiel, da die
Sonne sank in den Schoß des Meeres, die Kähne schwankten in der Brise und
Kinder Jasminsträuche trugen am Quai. Da löste das Herz den Gürtel und gab
sich hin der Liebe und dem Leben. Ist es mit mir, wie ein Dichter sagte:
"Mein Schicksal ist das eines Mannes, der sein Ziel verfehlte"? Ist Sie doch
vorübergewandelt und vorausgegangen in die schönere Welt, wo aller Sehnsucht
Ziel: die Liebe des Ewigen ist zuhause! - Letzte Worte über Cypros sind
diese: Durch die Lande ziehen die Poietarides und singen gute Nachrichten.
Der Erste unter ihnen war Homer, der nach dem Zeugnis des Dichters Euclos an
Salamis Ufer geboren und dessen erste Schrift das Epenfragment "Cypros"
gewesen. Aber nun zum Osterfest: Wir beginnen mit der Fastenzeit. In diesem
Jahr enthielt ich mich fastend des Fleischgenusses. In der Woche vor Ostern
wird das Haus gereinigt und geweißt. Die Frauen backen Falouna, das
käsegefüllte Ostergebäck. Am Gründonnerstag spielen die Kinder mit dem
Osterhasen und malen die Ostereier rot an. Am Karfreitag wird das
Epitaphion, die Nachbildung des Leichentuches Christi, unter einen tragbaren
Baldachin gelegt, den junge Mädchen mit Blumen und bunten Tüchern schmücken.
In der Kirche werden die Ikonen schwar verhängt. Nach der abendlichen Messe
wird das Epitaphion durch Marion getragen. Am Ostersamstag werden die
schwarzen Tücher von den Ikonen genommen. Zur Mitternacht versammeln sich
die Gläubigen mit Kerzen zur heiligen Messe der Osternacht. Um Mitternacht
trete ich, als der Papas, hervor und rufe der Gemeinde zu: Christus ist
auferstanden! Und die Gemeinde ruft im Chor: Er ist wahrhaftig auferstanden!
Am Freudenfeuer verspeisen wir mit den lachenden Kindern das Osterlamm. -
Ihr Lieben, herzlich sehn ich mich danach, mit Euch dies Osterlamm zu
speisen.
Gott segne Euch!
Hilarion.


12

An Schoschannim von Venedig, die Schöne, und San Marco, neuerdings Priester
in Jésolo vor den Toren Venedigs, schreibt Euer Bruder Hilarion: Maranatha!
Ihr Lieben, das Evangelium nach Hilarion endet wie alle Evangelien mit
Himmelfahrt. Mir kam in einer Vision das Himmelfahrtsfest von Venedig vor
das innere Gesicht. Ich sah dich, meinen lieben Bruder, stark gebaut, mit
kurzen Haaren und bartlos nach römischer Mode, von der Piazza San Marco in
der goldenen Schwan der Staatsgondel Bucentoro steigen, zwölf Geheime Räte
an deiner Seite. Du trugest purpurnen Samt und goldenen Schmuck. Es war
gegen Ende der Nacht, die Geheimen Räte trugen Fackeln von Pinienholz. In
einem kleinen schwarzen Schwan von Gondel stand mit einer goldenen Leier der
venezianische Poet Pietro Tortellini dell'Olore, in seinen blonden Haaren
den Lorbeerkranz, den ihm seine Muse auf dem römischen Aventin verliehen.
Die Mohren vom Glockenturm schlugen mit goldenen Hämmerchen die erste
Morgenstunde. Das venezianische Edelvolk schwamm in buntgeschmückten Gondeln
dem Bucentoto hinterher, so schwamm diese herrliche Flotte an Maria Salute
mit der marmorweißen Schwanenbrust vorüber den Canale Grande hinauf auf das
offene adriatische Meer. Da vollzogest du die Heilige Hochzeit und
vermähltest dich, wie ein Priester stellvertretend für das Volk von Venedig,
mit der Venus von Venedig, der Adriatischen Aphrodite, und ließest versinken
den goldenen Ring in das Meer. Und siehe, auf dem grünen Meere lag in einer
perlmutternen Muschel schlafend die Adriatische Aphrodite, in einem weißen
Gewand, welches Hals und Schultern frei ließ, und in ihrem kastanienbraunen
Haar lag ein weißer Schleier, weiß wie Meeresschaum, ihre Augen waren halb
verhüllt von lilienweißen Lidern, welche wie müder Schnee überm Silberblick
der Augen schlummerten. Die Lippen waren schwellendes, blühendes Leben, wie
junge Märzrosen, ihre Gestalt lag hingegossen in melodischer Linie wie die
Wellen der rauschenden Adria. Und sie fischte mit ihrem schlanken Händchen
den goldenen Ring aus dem Meer und zog ihn über ihren weißen Finger. Da
jubelte alles Volk, der Poet sang eine Hochzeitshymne. Über der rauschenden
Szene lächelte der Meeresstern, und des Poeten Hymne ging aus in einem
Begeisterungsjubel: Ave stella maris! Salve stella matutina! Gloria in
exelsis Amor Dei! - - -
Damit schließt mein zyprisches Evangelium.
Für immer der Eure,
Papas Hilarion von Marion.
Maranatha!


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