[Inhalt]

ODEN, ELEGIEN, HYMNEN

von Peter Torstein Schwanke

(2002-2004)


I. LIEBESELEGIEN


AN DIE MUSE

Mutter Muse, so nannte dich Orpheus, der heilige Sänger,
Dich, o Tochter Zeus’! Du hast, o Frau vom Parnaß,
Mir an der Wiege gestanden, da meine Mutter mit Liedern
Wie mit Milch mich genährt, lächeltest lieblich mir zu,
Himmlische Jungfrau, mein Schutzgeist, lehrtest mich Rhytmen und Wohllaut,
Meine Lehrerin du, die du mich Mythen gelehrt
In der Kindheit, die Mythen der hyperboräischen Götter;
Westlich der Säulen des Herakles lebte der Held,
Dessen Epos du mir sangest unter den hohen Kastanien,
In dem serischen Land war mir Elysens Gefild,
Unsere Götter wohnten in dem italischen Tempel,
Den meine Mutter beschrieb, den sie als Jungfrau gesehn.
Siehe, da saß ich zur Stunde der blauen Dämmerung, schaute
Auf den orphischen Baum, blau blühten Blumen im Feld,
Blaue Blumen des Heimwehs in die himmlische Heimat,
Da du die Leier gestimmt, himmlische Muse, und mich
Lehrtest das Saitenspiel streichen, da du das Charisma gabest,
O mein heiliger Geist! Siehe, da wiesest du mir
Eine Jungfrau mit goldenen Haaren und Augen von Rehen
Und mit schwellender Brust, daß ich die Liebe ihr sang.
Tor der ich war, verließ ich dich in der Jugend und riß mich
Los von deiner Hand, kämpfte in närrischem Kampf
Unter schwärmenden Demokraten gegen Tyrannen,
Dumm und gesanglos und stumm, schwatzhafter Rede allein
Weihte ich, Jungfrau, die heilige Gabe des göttlichen Wortes
Und entweihte das Wort, weh mir! zum Sklaven der Macht.
Aber da erschienest du mir, o heilige Jungfrau,
Da ich zum Manne gereift, tratest du zu mir im Traum,
Daß ich dich schaute im inneren Labyrinthe des Herzens
Wandeln im lichtgrünen Hain, Jungfrau, im schneeweißen Kleid,
Goldener Locken, um die Lippen das lieblichste Lächeln,
Lasest du leise mir vor göttliche Weltharmonie,
Weisheit und Prophetie und schöpferische Gesänge,
Worte des ewigen Worts, welches die Welten erschuf.
O die Schönheit, o Muse, deiner vollkommenen Hymne
Tönt noch heut in mir fort, wirkt mir in jedem Gesang.
Dir, der Erschienenen, folgt ich und weihte dir, Muse, mein Leben,
Sprach als Musensohn Dichterbekenntnisse dir,
Meine Meisterin, die du treu mich führtest und lehrtest
Heiliger Meister Gesang, Dulder Odysseus’ Gesang
Und die Kothurne Attikas und die lesbische Lyra
Und die Meister von Rom und von der Wiedergeburt.
Sei gegrüßt, o himmlische Jungfrau, nachts in der Kammer
Dichtrischer Einsamkeit, ohne dich wird kein Gesang,
Du des Ingeniums Herrin, Braut des heiligen Geistes,
Reizende Tochter Zeus’, hilf mir zu singen Zeus Ruhm!


AN PYRENE

Deiner gedenk ich, Pyrene, die du vorzeiten Geliebte,
Freundin, der Seele Braut, Braut meines Fleisches mir warst!
Wie war der Sommer so schön, wie hing noch die selige Jugend
Und der selige Mai herrlich mit Lerchengesang
In den Morgenden! Da kam ich nach Athen in die Schule,
Törichter junger Poet, ohne Erfahrung der Kunst.
Pindar lernt ich kennen, die Pergamente des Menon,
Der Diotima sang, göttliche Lehrerin sie,
Lehrerin wahrer Liebe, der wahren Athenerin, der da
Tagt an der Stirne der Gott; war von dem himmlischen Flug
Pindars in der Götter Allerheiligstes droben,
Gottes Mysteriensängers, bezaubert, mir war
Doch als spräche zu meinem Sinn das Orakel von Delphi,
So als dampfte die Felsspalte am Nabelstein mir.
Alles war voller Verheißung und kündete eine Geliebte
Unter dem Monde mir an! Weise verkündeten mir
Heilige Mythen von den Heroen minoischen Kretas,
Und den Lilienprinz sah ich, Adonis im Fleisch!
Also berührt von den Himmlischen lag ich in einsamer Kammer,
Da du, Pyrene, zu mir tratest im nachtschwarzen Kleid,
Schwarzen Haares, doch ganz von himmlischem Schimmer umgeben!
Eros verklärte dich, also begehrte ich dich,
Süßester Name unter der Sonne war mir dein Name,
Und ich fiel auf die Knie, Herrliche, betete an:
Aphrodite ist zu mir im blühenden Fleische gekommen!
Aphrodite war gnädig: Auch dich traf der Pfeil
In das Herz, den in Honig getaucht der göttliche Eros!
Und wir sanken in Lust, wollüstig hin auf das Bett,
In der schwülen Sommernacht auf das gemeinsame Lager,
Da du mit lüsterner Kunst mir meine Seele beglückt!
Aber am Morgen, da ich erwachte, warst du verschwunden!
Unter Tränen rief ich singend die Himmlische an:
Göttin, ein Jüngling braucht ein herrliches Weib für die Liebe!
Da erbarmte sie sich, wiederum tratest du ein,
Rot dein Kleid, wie die Rose rot, die gleich ich dir schenkte,
Aber schneeweiß dein Fleisch, schaumweiße Schwanin die Brust!
Siehe, da winktest du mit der kleinen Hand, der geschickten,
Und erwünschtest von mir, daß ich dir folge ins Licht,
Nämlich du führtest mich mit dir in den sonnigen Süden,
An das gischtene Meer, da wir gelegen im Sand,
Da wir uns nächtlich liebten unter dem schimmernden Monde,
Da von dem Silbergewölk Himmlische schauten uns zu,
Göttliche Aphrodite mit dem Halbgott Adonis
Lag auf dem Silbergewölk, lachte so schön wie der Mond,
Und der lachenliebenden Aphrodite Gelächter
Strahlte als Wonne dir ums Gesicht und die Brust!
Strahlend gingst du voran mir zu den Hügeln der Reben,
An den kristallenen Fluß, der da sich wandt durch das Tal,
Unter den Gürtelsternen Orions, da hast du gebadet,
Wie eine Nymphe nackt, Göttin der Fruchtbarkeit nackt,
Vor mir im Fluß. Ich aber schaute die heilige Nymphe
Echo wandeln am Hang, welche noch nie einer sah,
Und sie sagte: In dir ist das Göttliche, in dir!...
Das beging in der Nacht feiernd beim Weinstock ich gern,
Heilige Oden der Sappho singend beim bacchischen Weine
Unter Zikadengezirp. Du aber lagest im Bett,
Sterbliche Göttin, leichtbekleidet auf rosigem Kissen,
Glut im weißen Gesicht, lüstern verlockenden Blicks,
Der ich mich gerne ergab da deiner Liebeskunst Wollust!
Morgens erhobest du dich, strahlender Morgenstern du,
Land wo Milch und Honig fließt, und gingest voran zu dem Berge,
Der da den Himmel berührt. Oh in der Götter Gewölk
Lebt ich gemeinsam mit dir, in der Himmlischen Herrlichkeitswolke!
Siehe, da sah ich vor mir seligen Auges zur Nacht
Sapphos abgeschiedene Seele in schneeweißem Linnen,
Die sie von Elfenbein leise die Lyra gespielt,
Sang sie mir vor eine Ode aus dem Elysischen Garten!
Welche himmlische Lust! Gipfel des Berges erbebt
Und die Achse des Kosmos verschob sich zum Sang der Sirene
Hoch auf dem fruchtbaren Mond, da wir uns himmlisch geliebt,
Uns elysisch geliebt, Pyrene, Tochter der Götter!
- Weh mir, Geliebte, weh! nun, da die Zeit mir verging,
Da mir ohne dich dunkle einsame Jahre vergangen,
Daß ich einst dich verließ! o du Verherrlicherin
Meines Fleisches hinauf in die selige Jugend der Götter,
Göttin der Liebe du, zu mir gekommen im Fleisch!


AN MENA

Einst sah ich dich in einer Taverne bacchantischer Jünger,
Keine Mänade du, rein war dein Aug wie der Mond,
Deine unsterbliche Seele sah alle Tiefen der Seele,
Sah die Verdorbenheit irdischer Welt, und den Krieg
Zwischen den Griechen und Persern hasstest du. Ich aber hatte
Mich vom Tyrannen gewandt hin zu der Demokratie,
Hatte auch jüngst die Komödie gesehn des attischen Spötters,
Da sich verwehrten die Fraun, um zu beenden den Krieg.
Da ich dich sah, verstand ich Diotimas Belehrung,
Denn aus dem Elfenbeinturm deines jungfräulichen Leibs
Sah so himmlisch das Auge deiner unsterblichen Seele,
Da ich die Weisheit geahnt, sah das elysische Reich.
Aber so sehr ich begehrt dich zu küssen, du wehrtest dich immer,
Ja, du gingest davon, ließest mich einsam zurück.
Siehe, Mena, da traf ich ein Weib, eine lose Hetäre,
Sprach mit ihr vom Gesang Skythiens, aber zuerst
Liebt ich den Leib; doch alle Nächte, da ich den Leib liebt,
Träumt ich immer von dir, sah deinen heiligen Glanz,
Deine Schönheit. Die Träume schinen von Morpheus gesandt mir,
Waren Orakel mir, Eichen Dodonas entrauscht,
Zeus’ Wort! Alles sprach mir: Ich solle dich lieben, sonst keine,
Dir allein sei geweiht heilig mein liebendes Herz!
O Elysiums Genien sah ich, unsterbliche Sänger
Sprachen mir leise von dir, auch der Rhapsode am Meer,
Der von Penelope mir gesungen, der reinsten der Frauen,
Und von Helena auch, der ich gesellt war im Fleisch.
Mir ward von Tag zu Nächten mehr wie Hippolitos, welcher
Phädra werben sah, werben mit weiblichem Reiz,
Den sie gelernt in der Schule Aphrodites, doch er wollt
Artemis treu sein allein, himmlischer Jungfrau des Walds.
Weh mir, Mena, das tragische Ende Hippolitos’ fühlt ich,
Schliffen und rissen auch mich wütende Stiere des Meers,
Sah doch auch ich mich geopfert in dem tragischen Zwiespalt
Zwischen Artemis hier, drüben der Göttin der Lust!
Da aber sah ich die Wolke sich öffnen zur Nacht in dem Winter
Und im strahlenden Blitz sprach mir der göttliche Zeus!
Nicht die Hetäre, so rauschte der Wind in der Eiche Dodonas,
Nicht die Mänade war Schicksalsgebot mir von Zeus,
Sondern die Moira berief mich zu der heiligen Jungfrau,
Artemis-Jüngerin, herrliche Mena, zu dir!
Da verließ ich mein trunken-tanzendes Theben, verließ der
Wilden Mänaden Schar, ließ die Hetäre zurück,
Eilte zu dir in den Wald, dich, Mena, zu sehem, zu ehren
Und zu huldigen dir, liebend mit Treue im Sinn,
Wie der Dulder Odysseus treu Penelope liebte.
Siehe, Hyperion sank abendlich über dem Wald,
Phöbe erhob ihr schimmerndes Auge, es gurrten die Tauben,
Du tratst aus dem Gebüsch, schneeweiße Nymphe, zu mir,
Mena, Mena, im fließenden Licht der Gottheit des Mondes
Und mit mondenem Aug sahst in die Seele du mir.
Und du wiesest mir eine Lichtung im Wald, bei der Quelle,
Da ich nächtigen könnt, morgenden Tages mit dir
Alles besprechen, da würd dein Herz mir verkünden dein Urteil.
Unter der Eiche lag ich in den tauigen Moos,
Zephyr rauschte im Eichbaum, die Taube gurrte, die Eiche
Von Dodona ertönt: Siehe, dies waldige Land
Gebe ich, Zeus, dir eigen! Ich dachte: Vater, und Mena!
Unter der Himmlischen Huld schlief ich im waldigen Hain,
Morgens weckte mich eines Hirsches Röhren, der keusch stand
Mit dem goldnen Geweih vor mir am Hügel des Hains,
Und ich fühlte wie er, denn, Ewiger, so wie ein Rehbock
Lechzt nach der Liebe Quell, lechzt nach der Heiligen ich!
Mena, da schwebtest du nahe mit dem holdesten Lächeln,
Nahmest meine Hand, sprachst: Seit Atlantis versank,
Da Poseidon und Klito gelebt, seit dem urersten Chaos
Sich die Erde entrang, kenn ich, o Holder, dein Herz!
Also sagte mir Morpheus im Traume.- Mena, da rauschte
Der dodonische Baum göttliche Worte von Zeus!
Der ja hatte verheißen mit dem Walde die Jungfrau,
Meint ich. Du nahmst meine Hand, führtest zum Felsen mich hin,
Der da der Psyche geweiht. Da schwamm ein See in dem Morgen,
Eos ging eben herauf, Rosen im Arme, und du
Küsstest mich! und sagtest: Ich bleibe Artemis’ Jungfrau!
Doch meine Liebe wird immer dich segnende sein!
Mena, als Endymion ward in der latmischen Höhle
Von Selene besucht, ward von der Göttin geküsst,
Siehe, der göttliche Kuß war ein Kuß der scheidenden Göttin!
Selig zwar war der Mann, daß ihn die Keusche geküsst,
Aber elend doch auch, da ihn verlassen die Göttin!
So war auch mir zumut. Eiche Dodonas, o sprich!
Artemis, schreckliche Herrin, was hab ich gefrevelt, daß du die
Heilige Nymphe verwehrst, die mir verheißen Zeus’ Wort?
Göttliche Jungfrau, bist du denn Herrin auch über Zeus’ Wort?
Weh mir, Artemis, weh! wie jenem Jäger ist mir,
Der dich im Teiche baden gesehn, den zum Hirsch du gewandelt
Und zu Tode gehetzt! Siehe, so stecken auch mir
Pfeile deines schimmernden Bogens mitten im Herzen,
Weh mir! da wend ich mich Thanatos zu in der Nacht!
Wenn ich die Jungfrau nicht lieben kann in der Oberwelt, will ich
In den Hades hinab, daß ich die Lethe durchschwimm,
Daß ich ein Sklave werd vergöttlichter Persephoneia!
Und so ging ich dahin, suchte des Todes Geschick.


AN MYRRHA

Myrrha, auf Lesbos lernt ich dich kennen, unter der Myrrhe
Süßlich duftendem Strauch saßen wir maienen Tags,
Tauschten die Herzen in Worten, ein herzförmiges Steinchen
Legtest du mir in die Hand, Myrrha, ich sagte zu dir:
Myrrha ist mir der liebste, ist mir der Name der Namen,
Wenn eine Tochter einst mein wär, ich nennte sie so
An dem heiligen Quell und salbte mit Öl sie der Myrrhe.
Myrrha, dein goldenes Haar liebt ich, den goldenen Flaum
Auf den schneeweißen Armen, gold wie Weizen im Sommer!
Jungfrau der Jungfrauen du! Mädchen begehrte ich viel,
Du aber warest die einzige Jungfrau, Jungfrau in Wahrheit.
Siehe, wir sahn ins Gewölk, schauten die Wolken im Flug,
Folgten jeglichem Wink des Phantasos’ göttlichem Geiste,
Seher der alten Zeit folgten dem Vogelflug so,
Haben den Flug der Vögel gedeutet, so sahn wir die Wolken,
Sahen Heros und Gott, mythische Sagen der Welt,
Heilige Urgeschichten in der Wolken Metamorphosen.
Der ich des Dichters gedacht hyperboräischer Welt,
Sprach dir von der italischen Jungfrau, welche er liebte,
Lauschte der Nachtigall, als schon die Lerche erklang,
Dir da war die Geliebte zu nackt (sie zeigte den Busen).
Keuscheres Mädchen du, wie war ich selig, daß du,
Die da verabscheute sinnliche Liebe, zur Stunde des Scheidens
Mich in die Arme nahmst. Myrrha, du wohntest allein
In dem Süden, im Norden ich, doch geflügelte Boten
Unter der göttlichen Huld, unter dem göttlichen Wort,
Gingen zwischen uns hin und her, und jeder war Hermes
Mir, der ein göttliches Wort, göttliche Botschaft gebracht.
Wer, wenn nicht du, hat mich auf den Weg der Sophia gewiesen?
Heilige Epen zwar kannt ich; die wahre Gestalt
Der Urania war mir noch fremd, da sprachest du, Seele,
Mir von der ew’gen Natur Gottes, und ewiger Frau,
Von der Anbetung, von dem Ja-Wort zu Zeus und der Sonne
Der Gerechtigkeit, und von der heil’gen Idee
Ewiger Schönheit, die wandelt zwischen den sieben Planeten,
Sphärenharmonie auftönt zum Thron der Idee!
Da erschien mir in einer Vision Sophia, die Jungfrau,
Die sie gab mir ein Buch, daß ichs verzehr mit dem Mund,
Welches bitter mir schmeckte wie der Becher des Schierlings,
Welchen Sokrates trank, aber im Inneren ward
Mir das Büchlein so süß wie der Honigseim vom Hymettos.
Dir verdankte ich das, Myrrha, o Meisterin, dir!
Und da setzte ich mich aufs Pferd, du setztest aufs Pferd dich,
Die wir im thrakischen Land trafen zur Winterzeit uns,
Bei dem Geburtsort des Orpheus, da durch die thrakischen Gassen
Zog eine Prozession, Jungfraun und Jünglinge da
Sangen: O Hymenäus, o Hymen, o Hymenäus!
Das erschien mir ein Wink göttlichen Vaters zu sein
Und der Sophia Weisung. Da sah ich zu dir, da sah ich
Dich vor Ceres’ Brot, dich vorm bacchantischen Wein,
Dich vor dem Opfermahl des Altares knieen und beten,
Und begehrte nur eins: Dich als Mysterium Zeus’!
Du aber sahst nur den Mann, der schön zu reden vermocht wie
Sokrates, aber auch häßlich wie Sokrates war.
Und da gedachtest du deiner Schwester Mylitta von Lesbos,
Die du so zärtlich geliebt wie keinen anderen Mann.
Deine Namensschwester, Myrrha, die Mutter Adonis’,
Ward von dem Vater ja schändlich geschändet, sie ward
Durch die Gnade verwandelt in die duftende Myrrhe;
Dir, der das gleiche geschah, wandte das keusche Gemüt
Sich zu den Mädchen, du wähltest im Gymnasium Mädchen,
Dir Mylitta zuerst, Schwanin der Seele und schön,
War sie dir Inbegriff wahrer Schönheit und Zärtlichkeit; aber
Ich war ein Bauer nur, der da gezogen den Pflug,
War ein Ziegenhirte, der da noch roch nach den Böcken.
O wenn du wüsstest, Herz, wie ich dich liebte und lieb!
Ich, der ich keine zu lieben vermag als die Göttin von Zypern,
Aphroditissa allein, und ihren sterbenden Gott,
Liebte die lesbische Myrrha als ein Mysterium Gottes -
Und blieb alleine zurück, tief in der Seele ein Weh.


AN INACHIS

Jungfrau Inachis, dein gedenk ich anderer Weise
Als der Jungfrauen sonst, weilst du im Schattenreich doch,
Aber in meinem Herzen immer lebendig, Inachis.
Samothrake sah einst dich im Mysterienkreis,
Da ich dich sah: So weiß wie der Schnee war dein Kleid und dein Mantel
Wie die Rose rot, zärtlich war deine Gestalt
Wie ein keusches Reh, deine langen Haare so golden
Wie das Sonnenlicht, blau deine Augen wie Meer
Mit dem innewohnenden Feuer, dem Funken der Seele.
Und du nahmest zur Hand goldenes Saitenspiel, sangst
Hohen Tons der Mysterien Leiden- und Freudengesänge.
Siehe, da liebte ich dich, die da als Schwester gefühlt,
Manchmal mütterlich gar den Säugling des Glaubens belehrtest,
In die Geheimnisse tief weihtest den Jünger du ein,
Freundin der Götter; dir erschien der allmächtige Herrscher
In der Taube Gestalt nachts im prophetischen Traum,
Nämlich Zeus begehrte dich, o du liebliche Nymphe,
Zur Geliebten für sich! Aber der neidische Tod
Sandte dir seine Erinnyen mit den greulichen Schlangen,
Du aber weintest Gebet, die du der Taube vertraut,
Welche Zeus dir gesandt. O selige Jungfrau Inachis,
Das weiß ich nun, daß Zeus brennend verlangte nach dir,
Daß er dich zu sich rufte in die olympische Halle.
Darum sagtest du auch maienen Tags in dem Kreis
Deiner Mysterienfreunde: Vater Zeus ruft mich zu sich!
Nicht im heiteren Blau hob der ätherische Gott
Auf den Flügeln des Adlers dich in die Halle des Äthers,
Wie er mit Ganymed tat, sondern die Vorsehung ließ
Gehn den Weg des Mysteriums, des du des siebenten Tages
Jeder Woche gedacht, da du das Leid zelebriert,
Ließ dich gehen den heiligen Weg der jungfräulichen Kore,
Welche die bläulichen Blumen der Wiese gepflückt,
Als der Hades sie raubte, da ward sie Herrin der Schatten,
Herrin Persephone ruft man die Königin nun
Alle Stunden des Tages und zur Stunde des Todes.
Dich hieß Zeus, der so oft zu dir gesprochen im Traum,
Der dir Morpheus gesandt zu Offenbarungen Gottes,
Mit dem heiligen Brautführer Thanatos gehn,
Durch den Hades zu wandern bis zur Burg des Olympus.
In der Lethe getauft; Phlegeton reinigte dich;
Tratest du hinan zu dem göttlichen Bräutigam, ein in
Das olympische Haus, ein in das Gottesgemach!
Siehe, gedenken wir doch Psyches, die Eros entführte
In den Himmel, so auch denken, Inachis, wir dein.
Nimmer vergessen wir dich, wir freuen an himmlischer Freude
Unserer Freundin uns, deiner Vollendung in Gott,
O Geliebte des Zeus! Ich weihe dem König der Seelen
Deinethalben ein Lamm, gieße ein Trankopfer aus
Auf die samothrakische Erde. Du bitte der Götter
Vater, den ewigen Zeus, daß er den Sohn seiner Magd,
Daß er den Sohn der Muse, der deiner gedenkt, o Inachis,
Balde, bald entrück, oh! in Elysens Gefild!


AN EVADME

Lange gebrütet hatt ich über Mysterienväter
Und der Weisheit Schrift, hab die Orakel gesucht
Und der Sybille Weisungen zu verstehen, so war mir
Winter vergangen, ich war beinah geworden ein Geist.
Siehe, da kehrte zurück der Mai auf die zyprische Insel,
Und ich trat an den Strand, nah bei dem römischen Fels,
Der da der Brandung die Gischt abtrotzte, da sah ich, Evadme,
Siehe, da sah ich dich, wie du da hobest das Kleid
Zu den Schenkeln und gingest im schäumenden Wasser spazieren.
Rot wie der Wiesenmohn leuchtete herrlich dein Kleid,
Golddurchwoben, und glänzte wie des Morgensterns Strahlen.
Deines Kleides Glut, Schnee deiner Schultern, das Rot
Deiner wallenden Locken brannte sich mir in die Seele,
In den Geist, in das Herz, in das aufstöhnende Fleisch.
Du, du lächeltest über die Maßen freundlich und lieblich,
Wie der goldene Seim Honigs von Hybla so süß,
Tratest zu mir und nahmst eine Muschel mit dir und gingest
In deinen Garten voran. Liebe, Arkadien war
Nimmer so schön und kaum auch die elysischen Inseln
Blühten so schön wie der Schaum maiener Blüten im Hain.
Unter den blühenden weißen und roten und goldenen Rosen
Und orangenem Mohn, purpurnen Tulpen erblüht
Eine einsame Schwertlilie, Äpfel, Orangen, Limonen
Und der Pfirsichbaum blüht mitten im Garten voll Schaum.
Und bei Myrthe und Lorbeer gingest du, göttlicher Flora
Blumigen Kleides gleich, hüpfend die Brüste vor Lust.
Ich war verzückt ins Gefilde Elysens, vergöttlichte sah ich,
Helena sah ich da, wie sie mir reichte den Kelch,
Ja, ich war auf der Insel Cythere, da Aphrodite
Mir im luftigen Kleid mitten im Garten erschien,
Mir im Garten der Wonne erschien. Da nahm ich der Lyra
Elfenbeinernen Schwan, sang meine Oden dir zu,
Liebe, Verlangen, Verehrung. Die neue Aphrodite
Schienest du mir zu sein, welcher ich huldigte, dir
Wollt ich huldigen. Und ich ging zum syrischen Händler
Manches duftenden Öls, und ich erwarb dir Parfüm,
Öl der Myrrhe, Narde, Aloe, Kassia, Onych,
Aus dem serischen Land dir auch den duftenden Zimt,
Wollte dich salben, o Schönste, von der Stirn zu den Füßen.
O nur einmal mit Lust tasten dein schimmerndes Fleisch,
Mit dem durstigen Mund die geschwungenen Lippen zu küssen,
Schien mir Garant zu sein freud’ger Unsterblichkeit gar!
Doch der Winter kam wieder.- Dein Lächeln war hold, aber nie doch
Durft ich mit schmachtendem Arm liebend umfangen den Hals,
Nie in den Armen dich halten und drücken Busen an Busen,
Lende an Lende gar liegen im lüsternen Bett!
All meine Hoffnungen waren vergeblich! Da rief ich die dunkle
Schattenkönigin Persephoneia des nachts
Mit dem Flehn der Gebete an, da wollte ich sterben!
Persephoneia da sandte den traumreichen Schlaf,
Sandte des Todes Bruder, den Morpheus, des Thanatos Bruder,
Und da sah ich im Traum himmlische Herrlichkeit, sah
Paradiesische Gärten und hörte heilige Hymnen,
Sah lebendiger Frucht Pracht an lebendigem Baum
Und des Paradieses Göttin in deiner, Evadme,
Ja in deiner Gestalt, herrlich mit Goldschmuck geschmückt.
Ich erwachte und kaute der Einsamkeit salzigen Schnee, da
Wandt ich zu Bacchus mich, ja, zu dem göttlichen Blut,
Feierte auf den weinlaubumrankten Terrassen die Liebe
Bei dem blutenden Kelch, feierte dich und den Gott!
Da erschien mir im Innersten meiner betenden Seele
Herrin Urania, himmlische Liebe und Huld,
Unbeschreiblicher Schönheit! (Die Muse verstummt vor Bewundrung!)
Und Urania führte zum himmlischen Hain
Ewigen Lebens mich und zu den elysischen Blumen
Auf dem Morgenstern, da mir in himmlischer Huld
Du, Evadme, entgegenkamest, vergöttlichter Schönheit
Und mit ewigem Reiz, und da hast du mich geliebt!


II. CHARIS


I

Schau, Geliebte, o Freundin, ich kann dich nimmer vergessen,
Noch heute nach dem schwarzen Schreckenstraum
Zittern mir alle Glieder, ist sehr erschrocken die Seele,
Weil mich der Dämon überwältigt nachts,
Drückte mich, presste den Atem mir ab, ich rief nach der Jungfrau,
Bis mir der Gott erschien als kleines Kind.

Nun aber sitzt mir der Traum in Mark und Gebein und die Seele
Sehnt sich nach warmer Liebe süßem Trost;
Freundin, du könntest mich trösten mit umarmenden Armen
Und süßem Lächeln deines schönen Munds,
Klagte ich deiner Seele die bange Angst meiner Seele,
O Charis, wärst du Licht in meiner Nacht.


II

Ich brauche nie mehr wirklich dich anzuschaun
Und muß nicht werben mehr um die Liebe dein
Und zu dir mit dem Wagen rasen,
Heimkehrend aber durch Wälder schleichen;

Denn du bist mein, mein eigen, im tiefen Herz
Bist du, in meiner Herzkammer eingeschreint,
Dort seh ich deine Götterschönheit
Lächeln unsagbarer Liebesanmut.


III

Charis, keine der Fraun je zu vergleichen dir,
Noch so reizend und schön oder so schwesterlich,
Meine schöneste Schwester,
Du mein inneres Eigentum!

Werk der Augen getan, tu ich nun Herzenswerk.
Nicht mehr werb ich um dich, weil du mein eigen bist,
Meiner Seele Gemahlin,
Frau im Brautbett der Einigung!

Deine Augen sind Stern, lächelndes Himmelreich,
Eine Rose dein Mund, Lilie dein weißer Leib,
Eine Aue der Wonne
Innen in mir, ja, die bist du!

Du mein innerer Trost, innere Freude mein,
Bild der ewigen Frau, göttliche Schönheit du,
Liebe, Herz meines Herzens,
Mir vertraut von dem lieben Gott!


IV

Dein Garten ist ja nicht von der Welt, das Grün
Ist meiner Seele Hoffnung, die Iris blau
Ist eine heimliche Geliebte,
Keuschesten Kelches vorm weißen Falter.

Dein Garten ist ja nicht von der Welt, das Licht
Der Sonne ist das Licht meiner Liebe, schön
Die weißen, roten, goldnen Rosen
Kränzen dich, heilige Schönheit, Charis!


V

Wohl, ich sahe dich, Frau, fruchtbarer Mutterschaft,
Gottesmütterlich dich, Gottesgebärerin,
Einen Kosmos im Schoß, Mutter des Weltenalls,
Große Mutter der Fruchtbarkeit;

Wohl, ich sahe dich, Frau, säugen den kleinen Sohn,
Auf dem purpurnen Bett unter der Decke blau
Du im seidigen Weiß, Göttin mit Gottessohn,
Jungfrau, schwellender Mutterbrust;

Aber seh ich dich, Frau, innen im Herze mein,
Dich von Amor verklärt, Schönste der Frauen, dich,
Bist du meine Begehr, all mein Verlangen du,
Mir erotische Seelenbraut!


VI

In der Nacht, Geliebteste, sah ich deine
Dunkelblaue Blumengestalt auf Sternen
Durch des Universums Gebreite treiben,
Herrin des Weltalls,

Und mich fasste Liebe zu deinem Himmel,
Daß ich bat die ewige Gottheit: Vater,
Oh, ich möchte beten zur schönen Charis:
Herrin der Liebe!


VII

Sind erotische Fraun, schön, so doch schöner du,
All du meine Begehr, schöner, erotischer,
Lusterregender Reize
Reichste Königin meines Fleischs.

Doch das ist nicht dein Sieg, der mich zu eigen gibt
Dir, dein eigen bin ich, weil du mit siebtem Sinn
Liest im Buch meiner Seele,
Ohne Worte verstehst du mich!


VIII

Mond der Mitternacht du, dämmernden Schweigens reich,
Du unendliche Nacht, kosmische Blume blau,
Universum der Seele
Bist dem Sänger der Liebe du!

Mit dem Morgenrot du steigst aus dem Meer der Nacht,
Dunst und Schleier von Tau hüllt deinen Lilienleib,
Rosenarmige Göttin!
Deine Brustspitze mich durchbohrt!


IX

Meine Liebe bist du, weil ich dich nicht begehr,
All mein Frieden bist du, weil ich verzichtet hab,
Weil ich innig dich lieb, ohne zu lieben, lieb,
Du mein himmlisches Ideal!

Weise bist du und schön! Weisheit und Schönheit dein
Ist ein Spiegelbild, rein, makellos, unbefleckt,
Meiner Geistseele Geist, Göttin der Seele mir,
Du Idee aus der Liebe All!


X

Nur weil Andre neben dich treten, Charis,
Kenn ich dich, du unter den Frauen Schönste,
Die du mit erotischer Vollmacht lehrest,
Tochter der Lieder.

Ist die Jugend liebreizend anzusehen,
Jugend sehr verführerisch anzuschauen,
Scheint mir immer: Jugend ist Torheit, aber
Weisheit ist Charis!


XI

O deine Stimme! Ich bin bezaubert, Charis,
Deine Stimme ist eine Himmelsdichtung,
Nachtigall, du Tochter des Liedes, Charis,
Süß deine Stimme!

O deine Sprache! Ich verehr dich, Charis,
Deine Sprache ist rein wie der Poeten,
Edel und erlesen wie alte Schriften
Ewiger Weisheit!


XII

Sterne, o Sterne! Gleichen Sternbilds, Charis,
Der Geheimnisse Freundin, des Geschlechtes,
Wir geboren, Kalmus im Moor ist unser,
Scorpioweibchen;

Nicht aber unterm selben Mond alleine,
Auch im selbigen Jahr geboren beide,
Jahr der Schlange, wie die Chinesen sagen,
Du meine Schlange;

Siehe, die Handvoll Tage, die uns trennen,
Sind Orions und der Plejaden Nächte,
Da Orion jagte die Siebensterne,
O du Plejade;

Zwillinge sind wir, Kinder Eines Schöpfers,
Eine Mutter des Lebens war uns gnädig,
In das selbe Lebensbuch schrieb der Ew’ge
Unsere Seelen!


XIII

Du hast dich geschrieben in meine Seele,
Nahmst zur Tusche Rosenblut deiner Schönheit
Und zum Kiel den Rosendorn der Begierde,
Schriebst in die Seele,

Schriebst in die unsterbliche Seele, Charis,
Deines Namens Schriftzüge: Liebe heißt du,
Schönheit heißt du, Anmut und Liebreiz ist dein
Ewiger Name!


XIV

Traurig, meine Seele ist traurig, Charis,
Aber deshalb nicht ist die Seele traurig,
Weil du sie nicht liebtest - Ich traure, Charis,
Traurig vor Weltschmerz!

Du bist meine Zuflucht, vor deinem Antlitz
Und vor deinem lieblichen Lächeln, Liebe,
Scheint die Welt mir nicht mehr so bitter, gar so
Bitter, o Süße!


XV

Wir Seelen von dem Schwermutsgeschlecht, und du
Und ich, wir sind vom Schicksal geboren in
Der Nacht der Heiligen und Seelen,
Wandelnd schon lebend im Reich der Schatten!

So seufzen wir im Tränental, schwermutvoll,
Und wandeln nur entgegen der tiefern Nacht,
Wo du mir wirst zur Paradiesfrucht,
Weib meiner Weihnacht, geweiht der Weisheit!


XVI

Schweben will ich ins All, glühn in des Weltalls Herz,
Ob im glühenden Herz find ich die Blume blau
(Einst im Odenwald sah ich
Über deinem Gemache Gott!),

Sehe blauende Nacht, rein wie kristallner Tau,
Funkelnd Schimmer vom Mond, und auf dem fernern Stern
(Nach entfleuchendem Dunkel
Aus der Nacht taucht der Morgenstern)

Seh ich Bäume voll Frucht, Blüten zugleich am Baum,
Goldorangen im Laub, grüne Limonen auch,
Seh dich unter dem Baume
Purer Schönheit im Paradies!

Der lebendige Strom, Wasser des Lebens netzt
Deinen schwebenden Fuß über dem goldnen Pfad,
Durch die perlende Pforte
Strömen wir in der Liebe Licht!

Eins, vereinigt und eins! Wonnegefühl und Lust
Gießt der Geist in den Geist! Gottes Vereinigung
Mit der Seele vereinigt
Herz und Herz der Glückseligen!





III. DER WEIN


I

Weil ich verlassen bin und keine Liebe mir leuchtet,
Weil so bitter die Welt, und weil so dunkel die Nacht,
Ruf ich dich, du heiliger Gott in dem irdischen Kelche,
Der du mein strömender Trost, oder bist du nicht mein Trost,
Spende mir Weisheit, Einsicht und erleuchtete Augen,
Denn dein Herz ist aus Blut, Geist bist du, fließender Gott!

Fließendes Licht der Gottheit in dem rosigen Wingert,
Sing und spiel mir zum Tanz, lösche die Traurigkeit aus,
Lösche die Traurigkeit, lösche den Weltschmerz, Elend und Tränen,
Sing den Hochzeitsgesang, tritt in die Kelter mit Kraft,
Laß es spritzen, das Blut deines Herzens, blutende Minne,
Deinen begeisternden Geist, Zunge mit Feuer benetz!

Unterzusinken in meiner dunklen Einsamkeit Becher
Ist des Schicksals Gebot, sei du mein Wegegefährt,
Leuchte mir vor in der Nacht mit deiner rosigen Fackel,
Triefend umranktem Stab, Wanderer du in der Nacht
Mir an der Seite, geleite mich zum seligen Lager,
Wo der Traum mich entzückt, Seele mir lacht in dem Blut!


II

Mein Herz, es ist zerrissen, mein Herz zerriß,
Die Qual, sie trat die Kelter, es spritzte Blut,
Es spitzte Blut, ich trank die Ströme,
Ah! ich betrink mich am Blut und sterbe!

O Tod, gib keine Lethe mir, gib mir Blut,
Des Lebens Blut gib, das ich erlechze, gib
Das Blut des Lebens, gib vom Weine,
Welchen der Heiland vergoß am Holze!


III

Dichter, lad ich dich ein, komm aus dem Schattenreich,
Spann das Feuerpferd an, eile von Mond und Stern
In die Einsiedelei des
Der nicht Bruder zum Trinken hat!

Schenke weder noch Braut, die dir den Gott vertritt,
Wirst du finden bei mir, aber Gespräch, o Freund,
Von der Weisheit und Dichtkunst,
Du bring himmlische Weine mit!

Sind betrunken wir dann, lalle von Liebe dann,
Paradiesfrauen sing oder Triumphgesang
Gloriosa, o Dichter,
Gehst du, schlaf ich getröstet ein.


IV

Wein und Weiber, Weiber und Wein betören
Weise? Wärens Weise, würds sie betören?
Allerliebste Torheit, die Buhlerinnen,
Weibliche Torheit,

Allerliebste Torheit, die Buhlerinnen
Wissen zu betören und - bleiben ferne,
Ferne Torheit! Nah ist allein die Torheit,
Weiser, des Weines!


V

Wie lang noch, Herr, wie lange noch? Großes Leid
Befällt mich diesen Herbst, da der Regen strömt,
Fällt lauter Wasser aus den Himmeln -
Warum denn regnets nicht trockne Weine?

Ich tanzte auf den Straßen, vom Wein benetzt,
Den Weibern allen glühte der Wangen Scham
Und lüstern alle drängten dicht sich
Heiß in dem goldenen Harem, aber

Nun sitze ich allein und die Träne tropft,
Die Träne in den Weinbecher tropft, allein
Sitz ich im Regen vor dem Weine,
Weine und weine allein vorm Weine.


VI

Vielgeliebte, du singst nimmer mein Liebeslied
Einsam dir in dem Bett dämmernden Mondes vor,
So vergeblich erscheint meiner Verliebtheit Lied,
Wem Geliebte, wem sing ich vor?

Wein, mein Tröster und Trost, römischer Dichter schreibt
Mit dem Wein auf den Tisch, schreib ich mein Liebeslied
Mit dem Finger im Wein, schreib auf dem Tisch im Wein,
Schreib, und schlürfe den Rotwein auf.


VII

Ich schreibe, weil die Seele so übervoll
An Leiden bis zum Rand meiner Kehle ist
Und singe, singe um mein Leben,
Ob ich mir irgend noch Trost ersinge!

Ich trinke, weil die Seele so leer, so leer,
So leer, ob noch die Herrliche sie erfüllt?
Die Leere ist dem Gott gewidmet,
Der sich mir einflößt im Rebenblute!


VIII

Komm, ich beschwör dich, Liebe, in tiefer Nacht,
Komm nicht am Tag mit Tagesverpflichtung, komm
Zu mir um Mitternacht, Geliebte,
Komm wie ein Genius aus den Himmeln,

Komm, o Geliebte, trinke den Wein mit mir,
Trink Wein, Geliebte, bis dir die Wange glüht,
Den Becher küsse mit den Lippen,
Küsse, Geliebte, des Mundes Rose!


IX

Schwester! Kluge Jungfrauen trinken immer
Heiße Schokolade in Dichterstuben,
Blättern in Papieren, studieren Dichter,
Dichter! und nüchtern!

Komm du in die Höhle des schwarzen Panthers
Sinnlichkeit, der Jungfrauen reißt, der heißes
Blut wie Wein säuft, trunken vom herben Weine
Trunkener Liebe!


X

Trinken, Singen im Übermaß -
Singen: Wer sang Gesang meinem Gesange gleich,
Übermäßig und reich und schön,
Von der kommenden Welt schnöde vergessen, wer

Trank und sang so im Übermaß -
Trinken: Trinkt ihr den Wein, einsame Seelen ihr,
Die vergeblich der Liebe denkt,
Wisst, ihr werdet mein Blut trinken im roten Wein!


XI

Früher, Vielgeliebte, stand Gott geschrieben
In den Büchern heiliger Seher, Leben
Dir bekundend, Buße gebietend, Glauben,
Liebste, gebietend.

Heute steht mir Gott in dem roten Weine,
Gott des Blutes, blutender Gott der Liebe,
Gott des Bechers, weinender Gott der Minne,
Herrin, der Minne!


XII

Rot das Morgenrot, rot, rot ist des nachts der Mond,
Rot dein lockiges Haar, rot ist dein Rosenmund,
Rot die Brustspitze, rot, Schamlippe Purpur rot,
Rot mein Blut ist und rot der Wein!


XIII

Was denn blutet im Herz? Ist es der rote Wein?
Ist er süß oder herb? Allzeit von Leiden herb!
Trocken, trocken wie Tränen,
Herb wie Erde im Ernteherbst.

Was denn blutet im Herz? Ist es mein eigen Blut?
Das schwermütige Blut, Melancholei vom Mond,
Blutend, blutend wie Tränen,
Weinend, weinend wie Einsamkeit!

Was denn blutet im Herz? Ist es, o Frau, dein Blut?
Dein Blutsbräutigam ich, Blutsbronnen offen du,
Tauchst du mir aus der Vene,
Morgenröte des Roten Meers?


XIV

Gott, ich bin ein Kelch deiner Gottesfluten,
Schwermutsbecher deiner Glückseligkeiten,
Weinest in mich einsamer Tränen Blutschweiß,
Ich bin dein Kelch, Gott!

Nun ist es an dir, o mein Gott, nun hebe
Du den Kelch zum durstigen Munde, Heiland,
Wenn dich dürstet, Heiland, dich dürstet, trinke
All meine Tränen!




IV. DIE EWIGE MENSCHGEWORDENE WEISHEIT


Im Anbeginne war Weisheit, Weisheit beim Seienden, Weisheit
War die seiende Gottheit, in der das Geschaffne geschaffen.
Sie ist das Licht. In ihrem Antlitz sehn wir das Antlitz
Der unsichtbaren Gottheit. Lebensspenderin, Leben
Ist die Weisheit, in ihr ist das Leben lebendiger Gottheit.
Alles Geschaffne hat von ihr das Leben empfangen,
Nichts ist geschaffen, das nicht von ihr das Leben empfangen.
Sie ist das Licht, das alle finsteren Nächte erleuchtet,
Und sie kam in die Nacht, doch hat es die Nacht nicht begriffen.

Sie ist das Licht. Das Licht hat einen prophetischen Zeugen,
Das war Johannes der Täufer, eremitischer Seher,
Der war nicht selber das Licht der Weisheit, aber sein Zeuge.
Davon zeugte er, daß die Weisheit, die alles erschaffen,
War erschienen inmitten der Welt, von der Welt nicht verstanden,
Kam die strahlende Weisheit in ihr Eigentum, aber
Ward von den Ihren nicht aufgenommen, sondern verworfen.
Jene jedoch, die in Gottesfurcht und demütigem Ja-Wort
Angenommen die göttliche Weisheit, erlangten die Gnade,
Gottes Kinder zu heißen in dem gekommnen Messias.

Dieser Johannes hat gesehn die herrliche Weisheit
Als die Schönheit Gottes, die im Fleische erschienen,
Die geboren von einer Jungfrau, vor ewigen Zeiten
In dem Schoße der Gottheit verborgen, die vor aller Schöpfung
Ist gezeugt aus der göttlichen Gottheit, gezeugt, nicht geschaffen,
Spielte wie ein Kind vor dem Thron des Ewigen Vaters,
Deren Freude es war, zu zelten unter den Menschen,
Diese wandelte, menschlich geboren, in Israels Auen,
Als der Messias, der Menschensohn, von Johannes betastet.
Diesem Messias Jesus verdanken wir Gnade um Gnade,
Nicht gerecht zu werden durch das Verdienst des Gesetzes,
Sondern aus Gnade allein durch Glauben an Jesus, die Wahrheit.

Und die Leviten kamen und die Priester der Juden,
Fragten Johannes den Täufer, da er taufte am Jordan:
Wer denn bist du? Bist du der verheißne Messias,
Der von Mose verheißne Prophet, der größer als Mose?
Aber Johannes, der da besaß die Kraft des Elia,
Wie sie Maleachi zum Ende der Zeiten verheißen,
Sprach zu den Priestern: Nein! Ich bin eines Predigers Stimme
In der Wüste, ich rufe das Volk zur Buße, ich taufe
Als ein Zeichen der Buße nur mit dem Wasser des Jordan;
Aber der kommen wird, der schon mitten unter euch auftrat,
Der war eher als ich, weil er vor Abraham lebte;
Ich bins nicht wert, ihm der Sandalen Riemen zu lösen,
Er aber tauft mit Feuer und dem Heiligen Geiste!


Da kam Jesus (gelobt sei Jesus) zum Täufer Johannes,
Der im Kamelhaar-Umhang, mit Schlangenleder gegürtet,
Stand in den Wassern des Jordan, blaß und hager vom Fasten,
Da sprach Johannes: Das ist das Lamm, das die Sünde der Welt trägt,
O du Lamm Gottes, der du die Sünde der Welt trägst, erbarme
Dich, Lamm Gottes, erbarme dich unser und spende uns Frieden!
Er war vor mir, denn Jesus ist die Ewige Weisheit,
Ich bin sein Täufer, auf daß er offenbar wird den Kindern
Israels, darum taufe ich heute Jesus mit Wasser,
Denn es wird der Geist herabfahren auf den Messias
Und des Vaters Stimme ertönen: Ihn sollt ihr hören,
Er ist mein Sohn, das Wohlgefallen der göttlichen Liebe!

Einen Tag drauf standen Johannes und zwei seiner Jünger
An dem Jordan, da sahn sie vorüberwandeln den Christus:
Das ist Gottes Messias, das Lamm, das die Sünde der Welt trägt,
Sagte Johannes, und die Jünger folgten dem Christus.
Jesus schaute sie an mit seinen barmherzigen Augen:
Was denn sucht ihr? Sie aber sagten: Meister, wo wohnst du?
Denn die Meister der Weisheit lehren in Wohnungen Jünger.
Kommt und seht! Da zeigte der Meister die Wohnung der Weisheit,
Da sie blieben bei ihm und gingen bei ihm in die Schule,
Zebedäus Johannes und Andreas, der Bruder
Petri: O Simon, wir haben den Messias gefunden,
Den Gesalbten, Propheten und Priester und König!
Da trat der Fischer Simon, der Sohn des Jona, zu Jesus.
Jesus sagte zu ihm: O Simon, Sohn du des Jona,
Sohn der Taube, ich nenn dich von heut an Kefa, den Felsen!
Kefa ist Petrus, der Begeisterte, Felsen der Kirche.

An dem dritten Tage der Woche war eine Hochzeit,
Denn am dritten Tage der Schöpfung bezeugte der Schöpfer,
Alles von Gott Geschaffne war gut geschaffen im Anfang,
So auch die Frau und der Mann, die schlossen der heiligen Ehe
Unzertrennlichen Bund im galiläischen Lande,
In der Kleinstadt Kana am See Genezareth. Jesus
War zur Hochzeit geladen, seine Mutter Maria
Und die Jünger. Man feierte sieben Tage die Hochzeit,
Tanzte und sang die Lieder des salomonischen Sanges,
Trank und freute sich. Schließlich ging der Süßwein zur Neige.
Das bemerkte die heilige Mutter Jesu, die Jungfrau,
Und sie wandte sich ihrem Sohn zu und sagte: O Jesus,
Schau doch, sie haben keinen Wein mehr, zu feiern die Hochzeit!
Jesus antwortete seiner heiligen Mutter Maria:
Liebe Frau, was willst du von mir? Fürbittende Mutter,
Meine Stunde ist noch nicht da, ein Wunder zu wirken.
So bat Bathseba, die Königin, Adonia zuliebe
König Salomon, ihm die Schunemitin zu geben,
Aber Bathseba ward nicht erhört vom Fürsten des Friedens.
Aber Jesu Mutter Maria sprach zu dem Schenken:
Alles, was Jesus dir sagt, das tu als folgsamer Diener!
Denn sie vertraute dem Sohn. Es standen dort steinerne Krüge,
Mehrere Liter Wassers gingen hinein in die Krüge.
Jesus sprach zu dem Schenken: Füll die Krüge mit Wasser!
Also tat der Schenke. Jesus sagte: Schöpf nun und bring es
An die Tafel! Da aber die Gäste kosteten, war es
Bester Wein, viel besser als der vorige Süßwein,
Welcher zur Neige gegangen war. Der bessere Wein nun
Lockte Bewunderungsworte von den Lippen der Gäste:
Bräutigam, besserer Wein als dieser ward niemals getrunken!
Also tat Jesus sein erstes Wunder auf Bitte Mariens.

Unter den Pharisäern war Nikodemus ein Weiser,
Der vernahm von der Ewigen Weisheit Jesus die Kunde,
Ging in der Nacht, im Schutze des heimlichen Dunkels,
Zu dem Messias und sagte zu Jesus: Meister, wir wissen,
Daß du geboren aus Gott, denn niemand tut Zeichen und Wunder,
Wie du getan, es sei denn, die lebendige Gottheit
Hat dich gesandt. Da sprach die Ewige Weisheit im Fleische:
Wahrlich, es sei denn, es werde einer von neuem geboren,
Anders kommt er nicht in die Königsherrschaft der Gottheit.
Nikodemus antwortete: Wie wird ein Mensch neu geboren,
Wenn er schon alt ist? Kann er wieder zum Mutterschoß eingehn?
Wird ein Mann denn wieder von einer Mutter geboren?
Aber die Ewige Weisheit antwortete: Wahrlich, ich sag dir,
Nur wer geboren wird aus dem Wasser, der mystischen Mutter,
Unter dem Brüten der Geisteskraft, kommt in das Königtum Gottes.
Was vom Samen gezeugt, vom Fleisch eines Weibes geboren,
Ist nur menschlich, was aber geboren von Ruach ha kádosch,
Meiner geistlichen Mutter, das ist geistlich geworden.
Wundre dich nicht, wenn ich sage: Werd von neuem geboren,
Denn du Ruach haucht, du hörst das Sausen des Windes,
Aber du kennst nicht das Ziel und den Ursprung des Hauches.
Frei wie der Wind ist jeder, der aus der Ruach geboren.

Jesus wanderte durch Samarias blühende Wiesen
Und kam nach Sychar zum Feld, das Jakob Josef gegeben,
Da war im Felde Jakobs Brunnen. Jesus war müde,
Setzte sich an den Brunnen nieder und wartete einsam.
Da kam eine Frau aus Samaria, Wasser zu schöpfen.
Schön war ihr braunes Gesicht in langen wallenden Locken.
Der Messias sagte zum samaritischen Weibe:
Frau Samaria, gib mir vom Wasser des Brunnens zu trinken,
Denn mich dürstst, und meine Jünger gingen nach Sychar,
Wein zu kaufen, doch sind sie noch nicht zurück, und mich dürstet!
Aber die Samariterin gab zur Antwort dem Juden:
Wie, du bittest Samarias Frau um Wasser vom Brunnen,
Wo doch die Juden mit Samaritern Gemeinschaft nicht pflegen,
Du ein männlicher Jude bist, ich samaritische Frau bin?
Aber die Ewige Weisheit sprach: Erkenne die Gabe
Gottes, erkenne mich,der dich bittet: Gib mir zu trinken!
Denn erkenntest du mich in Wahrheit, du würdest mich bitten
Und ich gäbe aus Gnade dir lebendiges Wasser.
Aber die Frau Samaria sprach: Womit willst du schöpfen?
Jesus sprach: Wer vom Brunnen Jakobs das Wasser
Trinkt, wird wieder dürsten. Wer aber lebendiges Wasser
Aus der göttlichen Quelle trinkt, wird ewig nicht dürsten.
Wasser, das ich dir gebe, wird quellen ins ewige Leben!
Und die Frau sprach zu Jesus: Gib mir lebendiges Wasser
Aus der göttlichen Quelle, das quillt ins ewige Leben!
Aber Jesus sagte zum samaritischen Weibe:
Bring deinen Gatten zu mir! Sie sprach: Ich hab keinen Gatten!
Ja, sprach Jesus, ich weiß, fünf Männern gehörtest du, aber
Auch der jetzige Mann ist nicht dein rechtlicher Gatte.
Da sprach die Frau erschrocken vor der Ewigen Weisheit:
O prophetischer Herr! Sprich von der Anbetung Gottes!
Er sprach: Es ist die Stunde, anzubeten die Gottheit,
Gott anzubeten - durch die Wahrheit - im Heiligen Geiste!



V. MAGDALENA UND JESUS

JESUS:
Nimm mein Fleisch, o Mirjam, nimms zum Gedächtnis,
Weil ich dich auf all meinen Wegen liebte,
Trink mein Blut mit durstigem Munde, Mirjam,
Meine Granatfrucht!

MAGDALENA:
Ich soll dein Granatapfel sein, o Jesus?
Bin nur eine staubige Wüstenöde,
Da dich der Versucher versuchte, Jesus,
Gras ist mein Fleisch nur!

JESUS:
Will ich doch dein Fleisch, o geliebte Mirjam,
Durch die kleine Hostie dich vergotten!
Denk nicht an die Nichtigkeit deiner Seele,
Du bist mir Göttin!

MAGDALENA:
Oh, gedenk der Einigung in dem Fleische
Benedeiter Hostie ich, so wein ich,
Überlassen heute so ganz mir selber,
Weilst du mir ferne!

JESUS:
Wenn ich ferne weile, geliebte Mirjam,
Nur um die viel näher zu sein, o Freundin,
Geh ich in den Ölgarten deiner dunklen
Einsamkeit, Mirjam!

MAGDALENA:
Schön ist, Jesus, Einsamkeit, bin Gebet ich,
Aber schwarze Isolation der Seele
Ist der Seele Einsamkeit, Jesus, wenn ich
Gott nicht mehr finde!

JESUS:
Sagen auch die Evangelisten, Jesus
Sei im Ölbaumgarten allein im Leiden,
Ist mein Trost, o Mirjam, du leidest mit mir
Tödliche Trauer!

MAGDALENA:
Stern der Wermut, Bitternis-Sterne walten
Über meinem Schicksal, wie Gottes Flüche!
Schon als Kind statt süßester Milch der Mutter
Trank ich den Essig!

JESUS:
Ich nun speis die Galle der Kindheit, Mirjam,
Ich nun trag die Flüche des Schicksals alle,
Der ich nach dem Willen des Vaters leere
Bitterste Becher!

MAGDALENA:
Leere sie, o Jesus, für mich, ich dürste
Nach Orangen, Pfirsichen, Milch und Wasser!
Aber warum, Ewiger, muß ich trinken
Bittere Becher?

JESUS:
Auserwählte Seele, sei glücklich, Mirjam,
Weil ich dich mir einigte in dem Fleische,
Will ich mich dir einigen in den Tränen
Tödlicher Ängste!

MAGDALENA:
Wenn dich der Verräter im Kuß verraten,
Wag ichs nicht, Geliebtester, dich zu küssen,
Unter meinen strömenden Tränen deine
Tränen zu küssen!

JESUS:
Nicht der Kuß ist, Liebe, Verrat an Jesus,
Küsse lieb ich, welche die Liebe küsset.
So, bevor die Stirne mir Dornen kränzen,
Küss meine Stirne!

MAGDALENA:
Aber küsse, Jesus, auch mir die Stirne,
Nicht die Lippen, Jesus, wie andre Männer.
Aber warum kommen wir nicht zum Küssen?
Mußt du so leiden?

JESUS:
Siehe, mit neunschwänzigen Peitschen geißeln
Sie mich, Liebe, gläserne Splitter schneiden
Schmerzlich in mein sündloses Fleisch um deinet-
Willen, Geliebte!

MAGDALENA:
Wie ich es erleide, o Jesus! Selber
Schneid ich mir mit gläsernen Scherben Wunden,
Daß ich eine Bluthochzeit feire, Jesus,
Mit dir alleine!

JESUS:
Deines Blutes Blut bin ich, Vielgeliebte,
Deines Fleisches Wunden geworden, Mirjam,
Ja, ich bin der Schmerz, zu erlösen alle
Selbstische Liebe.

MAGDALENA:
Lieben will ich, lieben, o Vielgeliebter,
Aber diese Leiden nicht mehr ertragen,
Tragen nicht die fürstliche Krone solcher
Dornen im Herzen!

JESUS:
Wie mir alle Dornen zu Rosen werden,
Deinetwillen, denk ich an dich, Geliebte,
Bett ich mich in Stacheln und Disteln, Mirjam,
Gleichwie in Liljen!

MAGDALENA:
Heil, dir werden Dornen zu Rosen, Jesus,
Aber meine Lilien werden Stacheln!
Liebe meine Stacheln, o Dorngekrönter,
Mach mich zur Lilje!

JESUS:
Wirst du nicht zur Lilie, Vielgeliebte,
Denke, daß die Lilien oft so stolz sind!
Du bist Fleisch, die Blume des Grases, die auf
Golgatha blühet!

MAGDALENA:
Alle Frauen sehe ich weinen, Jesus,
Alle seh ich mitleiden deine Leiden,
Alle tröstest du. Warum nur allein mir
Trost nicht zuteil wird!?

JESUS:
Weil ich mehr dich liebe als alle andern!
Wird mir denn die Tröstung zuteil, Geliebte?
Endlos ist mein Leiden, seh ich dich weinen
Trostlose Tränen!

MAGDALENA:
Sollte meine Tröstung dich trösten, Jesus,
Trockne meine Tränen, o Vielgeliebter,
Daß du nicht so leiden mußt, o mein Jesus,
Trostlose Leiden!

JESUS:
Leid ich deine Trostlosigkeiten trostlos,
Werd ich der Erlöser sein und dein Tröster!
Bleibst du bei mir, Freundin, folgst meinen Füßen,
Werd ich dich lösen!

MAGDALENA:
Simon von Kyrene, er trägt dein Kreuzholz,
Aber ich bin, Jesus, zu schwach im Leiden,
Dir dein Kreuz zu tragen, du Sohn des Menschen,
Bitte vergib mir!

JESUS:
Mit dem Leibe weniger muß ich leiden,
Leide schwerste Leiden der Seele, Schwester!
Wer will meine Leiden der Seele leiden,
Um mich zu lieben!?

MAGDALENA:
Löse von dämonischen Seelenschatten
Mein beflecktes Inneres, o mein Heiland!
Lebens-Angst und Schwermut verbittern schmerzlich
Mir meine Seele!

JESUS:
Unter deinen Herzensdämonen leid ich
Mehr als du! Ich stürz in den Staub der Erde!
Du bist Gras, ich aber ein Wurm, der Staub frißt,
Heilige Seele!

MAGDALENA:
Deine Füße wollte ich küssen, Jesus,
Deine Hände küssen, die segensreichen,
Aber deine Menschen durchbohren dir die
Hände und Füße!

JESUS:
Auf das Bett des Kreuzes mich so zu legen
Mit den Liebesleiden des Menschensohnes
Hab ich freien Willens beschlossen, Mirjam,
Für dich zu bluten!

MAGDALENA:
Einen Tropfen deines Erlöserblutes
Lasse von der schöpfrischen Rechten tropfen,
Meine blassen durstigen Lippen netze
Mir mit dem Rebsaft!

JESUS:
O! ein Tropfen meines Erlöserblutes
In die Wüste deines verlornen Herzens
Tropfend, wandelt dir deine Wüste um in
Fruchtbaren Garten!

MAGDALENA:
Eines Gartens Fruchtbarkeit? Meine Wüste
Schreit, wie eine durstige Hindin, Rehbock,
Den der Jäger jagte im Morgenrote,
Traf und erlegte!

JESUS:
Gott hat aus dem Schoß meiner Mutter, Mirjam,
Mich gezogen, mich an der Brust der Mutter
Einst genährt mit Milch – und nun dürst ich, dürste,
Dürste nach Liebe!

MAGDALENA:
Alle meine Liebe will ich dir schenken,
Ist es auch ein Tropfen nur, nur ein Fünklein,
Sieh es an als Meer oder Waldbrand, Jesus,
Gott meiner Liebe!

JESUS:
Komm doch näher, Mirjam, ich glüh vor Sehnsucht,
Daß mich jemand herze nach meinem Herzen,
Ich, von allen Menschen verlassen, brauche
Deine Liebkosung!

MAGDALENA:
Jesus, du der Schönste von allen Menschensöhnen,
Nun von Blut und Wunden entstellt, gar häßlich,
Schönster Jesus, laß mich verzweifelt deine
Füße umfassen!

JESUS:
Weine, weine, Mirjam, zu meinen Füßen,
Ist mir doch, als küsstest du meine Lippen,
Die zerplatzt vom Dürsten nach Liebe, Mirjam,
Stille mein Dürsten!

MAGDALENA:
Wie denn kann ich mehr dich noch lieben, Jesus?
Ärmste aller Armen ist deine Mirjam,
Bin ein Nichts! Die Nichtigkeit meiner Seele
Will dich liebkosen!

JESUS:
O, ich bin so glücklich im Leiden, Mirjam,
Daß ich dir mein Blut, meine Schmerzen schenke,
Schenke dir im Mitleiden einen Bruder:
Siehe Johannes!

MAGDALENA:
Oh, Johannes wagt es nicht, dir am Herzen,
Dir an deinem Busen zu ruhen, Jesus,
In der Ohnmacht stürzt er in treue Arme
Mutter Mariens!

JESUS:
Deine Mutter, Mirjam, und deine Schwester
Ist, die mich geopfert am Kreuz dem Vater!
Sie fürbittet, o Mirjam, für dich zum ewgen
DU, deinem Gotte!

MAGDALENA:
DU, o unergründliche Gottheit! Weh mir,
Jesus ist am Kreuze gestorben, Jesus,
Christus ist am Kreuze gestorben, Christus,
O tot Messias!

(Stille der Nacht.)

MAGDALENA:
Tot ist Glaube, Hoffnung und Liebe! Weh mir,
Wehe, wehe! Was ich vollbring, mein Opfer,
Ist, nur einen Leichnam in Duft zu hüllen,
Duftende Leiche!

JESUS:
Mirjam, Mirjam! Wen bei den Toten suchst du?
Suche in der Lebenden Land das Leben,
Unsichtbares Leben, das unvergänglich,
Sieh du im Menschen!

MAGDALENA:
Wer denn bist du, Mann in dem grünen Mantel,
Mann, bist du ein Gärtner im Todesgarten?
Was ist denn ein Mann, fehlt die Liebe Jesu!?
Oh wo ist Jesus?

JESUS:
Mirjam, Mirjam! Ich bin’s! O Vielgeliebte,
Ich bin mit dir! Ewiges Leben, Mirjam,
Pneuma-Fleisch und heilige Seele geb ich
Meiner Geliebten!

MAGDALENA:
Anzubeten, Jesus, zu deinen Füßen,
Deine Schönheit, Gott im verklärten Fleische,
Darf ichs, kann ichs? Sieh die Verwirrung meiner
Weiblichen Seele!

JESUS:
Ich bin Du, denn Du bist in Mich verwandelt,
Ich bin tiefer Du als Du selber Du bist,
Ich bin Dein, Dein göttliches Du, Geliebte!
Liebe Mich, Mirjam!


VI. HYMNE AN DIE MADONNA


1

Warum die Leiden der Liebe, als zu reifen zur Liebe,
Warum die Nacht, als tief zu ergründen das Dunkel der Seele?
Ist das der tragische Eros - die unerwiderte Liebe?
Wer gibt mir Recht? zu lieben und auch die Lust zu begehren,
Ist doch mein eigen, ich bin doch Seele und Körper,
Weiß ichs, die Frauen haben es immer verkündigt der Seele,
Daß sie im Blute lebt, und daß im Staube vom Staube
Odem gestaltet, und daß, wenn die Seele verliebt ist,
Findet sie schön die Schönheit auch des liebreizenden Leibes.
Aber weh mir! klag ich wie ein tragischer Heros,
Wäre ich gern der blühenden Aphrodite Adonis
Oder der Ritter Rinaldo in dem Garten Amidas,
Wer aber weist mir die Rolle zu der leiblosen Stimme,
Längst zerrissenen Orpheus’, allein orakelnden Hauptes?
Haura, in allem mir wahrlich paradiesische Schönheit,
Bat mich, allein ein Wind zu ein, ein geistiger Logos,
Gottes Wort im penumatischen Leib, wie Sanftmut auf Sanftmut
Oder der Weisheit Orakelstimme von Glaube und Dichtung.
Aber verloren war meine Stimme, die Stimme des Herzens,
Weil so unvernommen der Schrei des Fleisches verhallte,
Gott verstummt war, der Himmel verschlossen, die Erde Verbannung!
Fragt mich aber ein Mensch, ob Eros weilt in dem Hades,
Sag ich, ja, in der Hölle zerfleischt sich selber der Eros!
Unentrinnbar ist aber nicht die Nacht der Gehenna,
Denn es vernimmt den Schrei die allversöhnende Mutter!
Nämlich es führte die gütige Vorsehung ewiger Liebe
Mich auf die blaue Insel der Kindheit in südlicher Nordsee,
Baltrum, einst Balderinge, geweiht dem liebenden Baldur,
Da die Sonne im Meere versank, ein riesiger Bernstein -
Jesus! rief ich der Sonne nach, dem himmlischen Feuer
In dem Schoße der Königin dunkelblauenden Meeres.
Und blaublühende Dämmerung über den Weinrosenblüten
Ward mir zum Antlitz Mariens. Und die lächelnde Haura
Nahm ihr Kind in die Arme und fasste beinah meine Hände,
Wandelte vor mir im Königtum weiblichen Leibes
Und empfing mich im dunklen Reiche der träumenden Seele.
Selig war ich auf Erden! Und darum der Abstieg zur Hölle,
Um gen Himmel zu fahren, tanzend gen Himmel zu fahren,
Singend: Ich wünschte, dies Küssen währte für immer!
Aber nur Angeld ist, nur Vorschuß die heilige Seele
Gottes, des ewigen Lebens Verheißung, im Tale der Tränen
War ich wieder allein, und einsamer war ich als jemals,
Schrie in der Weihnacht, des familiären Festes der Liebe:
Ein geopfertes Lamm ich auf dem Altare der Liebe!
Da erschien mir von oben die lächelnliebende Jungfrau
In Madonnenanmut, raffaelitischer Schönheit
Trost zu spenden meiner Seele mit Lächeln und Liebe.


2

Als du erschienen, Madonna, als die himmlische Schönheit,
Sucht ich die himmlische Schönheit wieder, Idee meiner Seele.
Den Poeten der jungfräulichen Königin Englands,
Seiner Elfenkönigin fragt ich, hörte die Hymne
An die himmlische Schönheit, einer Himmelfahrt ähnlich
Oder dem Aufstieg auf der Leiter der Diotima.
Engel sah ich geordnet in neun englischen Chören,
Wie neun Musen vom Helikon, Engel in himmlischen Höhen,
Da der luftige Cherub gedient der sinnenden Weisheit,
Die seraphische Flammenschlange lodernder Liebe!
Aber da waren auch droben in den kosmischen Sphären
Aufgestellt wie unbefleckte Spiegel der Gottheit
Urbilder und Ideen aller der Wesen und Dinge.
Die glückseligen Geister sangen ihr Alleluja
In dem ewigen Sphairos wie Planetensirenen.
Aber es drohte von droben wie in Gottes Gewitter
Grimm und Zorn Jehowahs als des rächenden Richters!
Bebend erschrak die Seele in Gottesfurcht; aber die Gnade
Und die Wahrheit erschien als eine lächelnde Herrin,
Als verkörperte Liebe, die Sapientia Gottes!
Alle Schönheit war in der Sapientia, göttlich
War ihr Ursprung, sie war die Hoffnung des ewigen Lebens.
O die Gestalt bezauberte mich, o dunkle Madonna,
Aber ich wusste nicht, wer sie war, ob Christus, Maria
Oder eine eigne Person von göttlichem Wesen.
Zwar entsprach sie der Offenbarung von Gnade und Wahrheit
In dem Christus, war aber schön wie die Jungfrau Maria.
Mehr aber als der Glaube hat mich die Schönheit bezaubert,
Daß ich dich Sapientia nannte, himmlische Schönheit,
O Maria! Du schienest mir auch von Diotima
Van Mantike verkündigt bei dem athenischen Gastmahl,
Denn die Schönheit des Leibes einer Frau und Geliebten
Führt zur Liebe zur Seele dieser Frau und Geliebten
Und zur menschlichen Seele an sich und jeglichem Schönen
Und im letzten zu dir, dem Ideale der Schönheit,
Sapientia, unbefleckter Spiegel der Gottheit!
Nämlich als mir erschienen war die himmlische Schönheit
Der Madonna, da war sie transparente Erscheinung
Unergründlicher Weisheit! Die platonische Weisheit
Oder der Diotima Gottheit und biblische Weisheit
Als der Selbstoffenbarung der Schöpferin als der Geliebten,
Mutter und Braut, erfüllte mehr und mehr meine Seele,
O Maria, durch dich, Geliebte, Braut mir und Mutter!


3

Immer verschwiegen von den evangelischen Schriften,
Hört ich von meiner Geliebten in philosophischer Rede
Einer jungfräulichen Dichterin, einer Seherin Romas.
Wie sie dich liebte, dich Mutter Natur, dich Mutter der Menschheit,
Dich, die Seele der Religion, in Hingabe glaubend!
Dir geschehe, wie es die Vorsehung wollte, der Gottheit
Inkarnation ward aller Menschheit geschenkt von Maria,
Die den getöteten Herrn getragen im Mutterschoße,
Apokalyptische Mutter aller Sterbenden, Mutter
Selbst der sterbenden Welt, die neugebärende Mutter.
Mir aber, dem Poeten, ward die Rede vertraulich,
Als von der Muse die Rede war, von Muse und Dichter.
Nämlich die Minnesänger in ottonischen Zeiten
Und die genialen Dichter von Romantik und Klassik
Gaben alle als Seher ihre Vision von der Muse.
Unfruchtbar sind die einsamen Geister der männlichen Männer,
Einzig wird fruchtbar das Werk von der Muse Fruchtbarkeit, Muse
Und Poet erscheinen als Lied der Heiligen Hochzeit
Oder Mysterium Caritatis, ein bräutlich Geheimnis
Webt von der Muse zum Dichter und von dem Dichter zur Muse,
Erst die Vereinigung gibt den Gesang des Großen und Ganzen,
Erst durch die Muse kommt das ganze Sein ihm entgegen,
Der ein Spiegel des Seins ist, der ein Spiegel der Muse,
Dessen Werk gibt das Bild, das ihm die Muse gegeben,
Darum die Inspirierende charismatischem Dichter
Auch erscheint als die Herrin, der tagt an der Stirne die Gottheit.-
Du aber, aus der Welt der Ideen und der Welt der Gedanken
Offenbartest deine wirksame Wirklichkeit, himmlisch
Und auch irdisch, du der Erde Königin, nämlich
Sendboten sandtest du mir in meine Einsamkeit, Mutter
Warest du mir und sandtest den Christen mit Frutti dell Mare,
Sandtest mit Apfelkuchen die chinesische Christin,
Himmlische, fruchtbar auf Erden, und noch im unteren Reiche
Meines Unterbewußten warest du liebende Traumfrau,
Mutter und Liebe Frau, und gebarest mich, warest zugegen,
Tanztest gar heiter mit einem Besen. Ich weihte die Wohnung
Meiner dichtrischen Einsamkeit zur Marienkapelle
Unter deinem heiligen Bilde, Madonna Sixtina.
Sind mir gar Feinde begegnet unter spitzfindigen Frömmlern,
Warest du schützend gegenwärtig, barmherzige Mutter,
Himmelblauen Schutzmantels überm purpurnen Kleide,
Warest du mein Schild, o Herrin, ich dein gezeichneter Ritter.


4

Nun wollt ich es wissen, was da lehrt die kirchliche Lehre,
Also in der Bibliothek studiert ich Maria,
Was ich einem geistigen Lenze gerne vergleiche.
Schau, Geliebte, einmal gab es Väter der Kirche,
Die die Frauen verachteten, alles Leibliche gleichfalls,
Eva war ihnen, die Frau, die Einlaßpforte des Teufels,
Alles Geschlechtliche ihnen ein einziger Makel der Sünde.
Denen soll ich nun trauen, wenn sie Maria verkünden?
Waren auch welche, die meinten: Alle Frauen sind eitel,
Schmücken und schminken sich gerne wie die sich putzenden Dirnen,
Sollte nicht auch Maria, die Frau, sein eitel gewesen?
Andere sagten: Heilig sind die Jungfraun vor allen,
Die sich nicht befleckt mit den Männern, geschlechtlicher Liebe,
Muß nicht Maria darum, die unbefleckt reine,
Allzeit Jungfrau sein und immerwährende Jungfrau?
Andere sagten: die alten Göttinnen heidnischer Völker
Waren wie ein mytischer Traum von der Jungfrau Maria,
Aber dieweil die Venus lebte in sinnlicher Schwüle,
Ist Maria die Keusche in erhabener Reinheit.
Nicht mehr Artemis pries man in Ephesos, Mutter der Götter,
Sondern Maria in Ephesos pries man, die Gottesmutter.
Unsere Frau, Fürsprecherin, pries man die Gottesmutter,
Barg sich unter dem Schutzmantel seiner himmlischen Herrin,
Königin der Barmherzigkeit, Hoffnung, Süßigkeit, Leben,
Ave, sie führ uns zur benedeiten Frucht ihres Leibes!
Sulamiths und Salomos Lied der Heiligen Hochzeit
Ward zur Marienminne verwandt in Sequenzen und Hymnen.
Minnesänger bildeten ihre Minnedamen
Nach dem marianischen Vorbild Unserer Fraue.
Die seraphischen Mönche wurden zu Minnern Mariens,
Nannten sich Josef, Bräutigame, Geliebte der Jungfrau.-
Dichter liebten Maria als das Inbild der Frauen,
Allgebenedeite, der Frauen Königin, sang sie
Goethe, Liebhaber seiner Frauen, nannte sie Göttin,
Dante pries sie mystische Rose und Tochter des Sohnes,
Auch die Maler waren verzaubert, Italiens Maler
Malten sie als Idee der Schönheit, Raffaels Traumfrau
War die Madonna Sixtina, die Madonna im Sessel,
Botticelli malte die aphrodisische Muse
Als die Madonna mit dem goldnen Granatapfel, lieblich,
Tizian malte Maria im rosenroten Gewande
Über den Jüngern gen Himmel fahrend zum ewigen Vater.


5

Darin wetteiferten einst in frommen Zeiten Poeten,
Daß sie der göttlichen Jungfrau neue Titel erfinden.
Darum auch sang ich ein Lied dir, das ward von mir nur gesungen,
Kwanyin Maria, du in China barmherzige Mutter.
Preis ich dich also, Maria, Phönixmutter der Weisheit,
Die du den Thron begründest in Verbotener Stadt des
Himmelssohnes, du die heilige Kaiserinmutter,
Du die Virgina China, gegürtet mit heiliger Mauer,
Du die Fischerin, die zur Meereskönigin wurde,
Maku Maria, die den Fischern beisteht im Seesturm.
Du bist Mutter Natur, die drei Schluchten des Jangtsekiang sind
Dein dreifaltiger Schoß der Tochter und Mutter und Braut, du
Bist die Quelle des Gelben Stroms, der chinesischen Vene,
Du bist im Gelben Meer Peng-lai, der Seligen Insel,
Deren zerklüftete Berge auftauchen im rosigen Nebel,
Wo ich das Geheimnis der Unsterblichkeit suchte.
Du bist die weiße Chrysantheme, Vollmond des Herbstes,
Du bist die reine Pflaume und Bambus und Kiefer des Winters,
Du bist des Lenzen dornenlose Pfinstrose, rosa,
Du bist des hochzeitlichen Sommers liebreizende Lotos.
Eine weiße Lotos überreichte der Meister
Meditierender Mönche mit den betenden Körpern
Im Marienmonde des Maien der lächelnden Haura.
Schön wie der Maimond stand sie, geschmückt mit Jugendstilsilber
Und mit dem himmlischen Lapislazuli und mit dem Mondstein
Neben dem Dichter, der sie in langer Askese vermisst hat,
Nun aber auferstand zur seligen Schauung der Schönheit!
Dante ließ sich führen von Beatrice zur Gottheit,
Von der Glückseligen zur glückseligen Schauung der Gottheit,
Ich aber bin auf Erden schon glückselig, Geliebte,
Weil ich dein Antlitz anschau in deiner göttlichen Schönheit!
Maiennächte gab es vor Jahren, da war ich in Trance und
Träumte in frommer Ekstase bis zur mystischen Ohnmacht
Von den abgelebten Zeiten, dem vorigen Leben,
Da ich Poet in China durch den Vorhang von Bambus
Aus blaudämmerndem Zimmer sah zur schimmernden Mondin,
Ich die Himmlische ahnte in ihrer geistigen Schönheit,
Lobpries Chinas Madonna als die jadene Jungfrau,
Heut aber, nun, steht Haura vor mir als chinesische Göttin.


6

Wie empfand ich sie nach, die Verse Johannes vom Kreuze,
Nicht begriff ich des mystischen Doktors asketische Lehre,
Aber die inspirierten Lieder der Heiligen Hochzeit,
Seinen Hieros Gamos von dem Herrn und der bräutlichen Seele,
Salomos Glut und Sulamiths Glut in spanischer Stanze.
Nicht ein denkender Cherub, ein seraphischer Sänger,
Eine geflügelte Schlange, flammenlodernde Schlange
Sang in heiliger Inbrunst das Hohelied ewiger Weisheit.
Nicht der historische Jesus, aber der Bräutigam Christus
Brannte in meiner Seele wie eine lodernde Flamme.
Flamme geworden, trat ich in Hauras blühenden Garten,
Eben brach sie die Pflaume in zwei saftige Hälften,
Reichte die Pflaume mir mit süßem goldenem Fleische,
Bot mir den Schoß der Geliebten im Sakramente der Pflaume!
Lächelnd wies sie zur blauen Blume, der Jungfrau des Gartens,
Zur jungfräulichen Iris mit der Keuschheit des Schoßes,
Minnig gegrüßt von roten gabrielitischen Faltern.
Wie ein Gebet, mit bloßen Füßen und purpurnen Zehen
Tanzte Haura zu den Rosenkränzen des Gartens,
Den weißblühenden Rosensträuchern der seligen Freude,
Den rotblühenden Rosensträuchern der minnigen Schmerzen,
Goldenblühenden Rosensträuchern herrlicher Schönheit.
Haura tanzte und führte mich zum Zelte im Garten,
Aber als ich hineinsah in das Zelt der Begegnung
Durch den gehauchten Schleier des Vorhangs, siehe, da sah ich,
Siehe und was ich sah, war gegenwärtiger Eros
In der goldenen Wolke einwohnender Herrlichkeit Gottes,
Da erschien im Gewölk mir der glühenden Schechinah Gottes
Eine Liebesvereinigung, eine Heilige Hochzeit.
Und im Garten erschienen Maria von Magdala, Eva
Und der Bräutigam Christus als ein liebender Gärtner.
So entbrannt ich und sammelte alle die lodernden Flammen
Als ein betender Seraph in der Verehrung Mariens,
Allgebenedeiter noch über den herrlichsten Frauen!
Schönste der Schönen, schöner als selbst die herrliche Haura,
Liebe Frau der Vollkommenheit einem begeisterten Manne!
Und ich sang ihr marianische Litaneien,
Ihr, der Frau der Frauen, dem Inbegriff weiblichen Wesens,
Trug ihr meine Liebe an, meines Minnesangs Künste
Als der Idee der Schönheit und der Muse der Musen,
Wollte allein mit ihr leben in jungfräulicher Ehe,
Minnesänger Mariens und Verlobter der Weisheit.


7

Lourdes, o Lourdes, du lehrtest mich die Wahrheit der Weisheit,
Daß Maria dem Mann erlösende Frauengestalt ist,
Aber den Frauen Idee der göttlichen Muttertums, Mutter.
Nämlich ich sah sie ziehen in den Armen des Dunkels
Mit der brennenden Kerze in blütenförmiger Lampe
Breite Straßen in einem Wogenstrome von Menschen,
Eine Versammlung von Mädchen, Müttern, Greisinnen, alle
Frauen sangen warm und leis in schwellendem Chore
Ihrer nächtlichen Prozession der göttlichen Mutter.
Gottesmutter, bitt für uns beim heiligen Sohne
Jesus Christus, der benedeiten Frucht deines Leibes,
Mutter, bitt für uns verbannte Kinder der Eva,
Die wir hier weinen zu dir in diesem Tale der Tränen,
Leben, Hoffnung uns und Süßigkeit, Mutter Maria!
Deine Kinder sind krank und verkrüppelt, Mutter des Lebens,
Voller Glauben flehn wir zu dir, o Mutter der Gnade,
Zu uns, o Mutter, wende deine barmherzigen Augen
Und erwirk uns das ewige Leben, o Mutter der Liebe!
Siehe, wir tragen den Leib des Herrn im Schoße der Mutter,
Tragen Christi Fleisch in der heiligen Bundeslade,
Sicher der Gegenwart unsres Herrn im Tabernakel
Als dem Schreine unserer ewigen Gottesmutter!
Siehe, der ewigen Gottheit weihen das Fleisch unsres Herrn wir
Auf dem Altare auf und singen in Wolken von Weihrauch
Ave Maria! deine Kinder, die betenden Mütter.


8

Wie aber war ich erst allein im Schutze des Dunkels,
In dem Korbstuhl sitzend allein vor dem Tore der Schenke,
Da beim roten französischen Wein die Rauchwolke dampfte
Und die Seele versank in lauter weiblicher Schönheit.
Denn es sammelte auf dem Markt sich französische Jugend
Und die Mädchen erschienen da als Herrinnen alle,
Sinnlich, selig, der Liebe voll, die Seele im Fleische.
Nicht mehr zu sehen an der Brücke die Krüppel und Bettler,
Einzig im Gave spiegelte sich die liebreizende Schönheit,
Der französischen Aphroditen erotische Schönheit!
Alle wandelte sie wie hohe Göttinnen heilig
Mir durch die Seele, die versunken in seliger Schau war.
Aber nicht ungestraft sieht ein Heros die göttliche Blöße
Der erotischen Nymphen unterm glühenden Monde,
Eros wirft in ihn, der allgewaltige Schöpfer,
Sein hochheiliges Zepter, die seraphische Flamme,
Aber es war wie einst beim seligen Vater Elias,
Nämlich die Flamme verzehrte das Fleisch auf dem Opferaltare!
Nacht war, ich sank hinab ins Schattenreich blühender Träume.
Siehe, wie die Nymphen fliehen vor Aphrodite
Und der Heiligen Schar verblasst vor der Jungfrau Maria,
Schwanden die Französinnen alle mir aus der Seele,
Einzig blieb Haura mir, Germanias blaue Blume!
Einmal sah ich ihr Antlitz in einer Lilie lächeln,
Welche hellblau und weiß erblühte am grünlichen Gave,
Einmal sah ich sie als Gazelle mit zitternder Flanke
Über die Scheidehügel eilen zum Berge der Myrrhe.
Eine himmlische Blume in meiner träumenden Seele
War sie, gepflanzt im orientalischen Lustgarten Eden,
War mir der Ruf der Geliebten, sulamithische Stimme,
Blaue Blume der Auen, heilige Lilie des Tales.
Morgens aber über dem Tal sah ich aufgehn die Sonne
Zum Geläut der einsamen Bergkapelle Mariens
Und zum Jubelgesang des morgentlichen Gevögels.
Mädchen und Jünglinge zogen zum atlantischen Meere,
Mädchen, begierig zu lachen in den schäumenden Fluten,
Jünglinge voller Lust, zu sehn jungfräuliche Brüste.
Einsam aber blieb ich zurück im Tale der Minne,
Lag im Moos des Tales als im Schoß der Geliebten
Unter den felsigen Hügeln als den Brüsten der Herrin.
O Madonna, himmlische Sulamith, Herrin der Minne,
Bei der braunen Gazelle meines blühenden Traumes
Will ich beschwören dich, Madonna, in magischer Minne:
Suche mich heim, gebettet hier im Tale der Liebe,
Wie Petrarca ward heimgesucht von Gedanken an Laura,
Hölderlin von der Erscheinung athenischer Diotima,
Suche mich heim, wie Sulamith Salomo heimsuchte, Jungfrau
Eva heimsuchte Adam, o Madonna Maria,
Keusch betritt die Schwelle des Mooses im Tale des Hügels
Und vereine dem Minner dich in der Mystik der Weisheit!


9

Wer denn bin ich, Maria, im archaischen Mythos,
Wenn ich vor Aphrodite-Haura empfind als Adonis,
Wirke aber auf sie als ein enthaupteter Orpheus?
Wer denn bin ich, Maria, der sinnende Cherub der Weisheit
Oder inbrünstiger Liebe seraphische Flammenschlange,
Jüngling, Maria, oder Greis, Maria, wer bin ich?
Du aber bist die Ganze, die vollkommene Eine,
Jungfrau Himmelskönigin und die Schöne Madonna
Aphroditissa und die Mutter der mystischen Weisheit.
Wer aber ist mir Christus, wer der kosmische Christus
Oder der Heros, Christus der Herr? Ich selber bin Christus
Mit dem Dornenkranze gekränzt, dem Schwert in der Seele,
Pilgere ich zerschundener Kniee den steinigen Kreuzweg.
Aber das weißt du, mein Christus, mein Kreuzweg ist ein Gebet für
Haura, daß sie erfahre die ewige göttliche Liebe!
Nicht wie Petrus schau ich zur Seite, heute nun nicht mehr,
Wrf mich wie Magdalena an den Busen dem Christus!
Darum auch birgt sich im Schoße Maria Magdalas Christus
Und versenkt seinen Leib im Schoß der tödlichen Höhle
Für die Wiedergeburt, daß drüben er sehe Maria!
Ich auch, Madonna, ging in die dunkle Höhle, im Innern
Waren, wie in der Steinzeithöhle Felsmalereien,
Bilder der Pieta, Michelangelos ewige Schönheit
In der vollkommenen Harmonie gestaltet im Marmor,
Ein Idol von Speckstein bezaubert nicht wie die Madonna
Marmor-Pieta mit dem gestorbenen Bräutigam Christus!
Nacht war um mich, wie im Mutterschoß mystisches Dunkel
War um meine Seele und Sinne, einzig umgab mich
Wie ein weißer Vollmond das Antlitz der schönen Madonna,
Lächeln und Güte um mich in der Geburtshöhle Dunkel.
Aber mit einem Mal erblickt ich, ergeben im Dunkel,
Meiner Madonna Mund in unbeschreiblicher Schönheit!
Da erbebt ich und zuckte zusammen und sank in die Kniee
Und anbetete trunkner Ekstase die göttliche Schönheit
Meiner ewig sulamithischen Liebe Maria!


10

Fundamentalisten beide, Muslime und Christen,
Inszenierten den heiligen Krieg und den heiligen Kreuzzug,
Ich aber las den Koran und was er sagt von Maria,
Siehe, da lächeln mich an von droben schönblickende Huris.
Beichtväter glaubten das nicht, daß ich in der Todesstunde
Sah in paradiesischer Nacktheit ein Mädchen im Himmel.
Doch der westöstliche Genius hoffte auf Huris desgleichen.
Ist auch, wie Dante geweissagt, die schöne Eva im Himmel
Nah Maria, sie ist die Mutter der Lebenden, Eva.
Haura scheint mir Eva, nicht die Verführerin Eva,
Nicht die verführerische Suleika, sondern im Osten
Eine Liebesgöttin des irdischen Paradieses!
Aber trank ich den Saft aus der Frucht des Lebens und wurde
Trunken verzückt und tanzte in Paradiesen des Himmels,
War ich doch Phaeton, konnte den Sonnenwagen nicht lenken,
War ich Ikarus, schmolzen die Wachsfedern nah mir der Sonne,
Stürzt ich herab wie einst der Engel des Morgensternes,
Stürzt ich herab wie Bellerophontes von Pegasus’ Rücken,
War ich allein auf der Erde, da war die Erde Verbannung.
Nacht war um mich, verraten hatten die Freundinnen alle
Den Verzückten, der da niedergefahren zur Hölle.
Vielen nämlich ist angenehm ein glückseliger Lächler,
Aber das Antlitz der Leiden Christi hat keine Freunde.
Traue den Feinde nicht, doch trau auch nimmer den Freunden,
Die nur dem Namen nach Freunde sind, Freunde dem Wohlsein,
Nicht in der Not. Da stand ich allein vorm Hesperus, weinte
Wie in kosmischer Allverlassenheit Waisenkind, weint ich.
Nicht den weißen Rosenkranz betete ich vor der Jungfrau,
Nicht den roten Rosenkranz ich vor der schönen Madonna,
Aber den schwarzen Rosenkranz ich vor der Herrin der Toten,
Apokalyptischen Mutter der Sterbenden, schwarzen Madonna,
Mater Dolorosa, ihr gab ich anheim meine Seele.
Siehe, schwarze Madonna der Schmerzen, allein bin auf Erden
Ich, in dieser Verbannung eine einsame Seele.
Lieber, sprach deine Seele, wenn du auch allein bist und einsam
In der Nacht dieser Erde, in der Kälte der Welt, so
Bin ich doch immer bei dir, bin deine ewige Mutter.
O Maria, so hörte ich glücklich das Wort in der Kirche:
Nimm, o Josef, Maria zu dir als vertraute Gemahlin!


11

Gerne gedenk ich, in Zeiten der Prüfung, der seligen Zeiten,
Da du warst des Ewigen Vaters jungfräuliche Tochter,
Von Sankt Anna empfangen unbefleckter Empfängnis,
Da du warest der Göttlichen Sohnes jungfräuliche Mutter,
Virgo intacta Maria, immerwährende Jungfrau,
Da du warest, o Jungfrau, Braut des Heiligen Geistes,
Jungfrau-Mutter der Kirche im unaufhörlichen Pfingsten!
Wie so anders mir nun? Doch ich gedenke der Zeiten,
Da ich dich sang, du schönes Mädchen der heiligen Anna,
Die auf die Fruchtbarkeit einer Sperlingsmutter so neidisch,
Und Joachims, dessen Opfer den Priestern unleidlich.
Wie du dreijährig gegangen zu den Jungfraun des Tempels,
Sang ich, und wie du aus dem Kreis der judäischen Freier
Josef erwählt: die Taube flog über dem Zweige der Mandel.
Deine Schwangerschaft, den gewölbten Bauch der Madonna,
Sah ich mit Josefs Augen, und glänzen den Sohn in dem Schoße.
Sah dich auch unter dem Kreuze, o Mutter der Schmerzen,
Sah dich den toten Gott empfangen im Mutterschoße,
Dich mit den andern Marien wallen zum Grabe an Ostern,
Dich empfangen des Heiligen Geistes flammende Zungen,
Dich mit Johannes in Ephesos auf dem Nachtigallberge,
Dich als die neue Jerusalem, als die Nymphe des Lammes!
Schlug ich die Schrift auf als des Heiligen Geistes Orakel,
Traf ich Jesaja: Gott ist eine tröstende Mutter,
Trösten wird euch Jerusalem, saugen dürft ihr die Brüste!
Siehe, ich, der ich nie an den Mutterbrüsten geruht hab,
Der ich nie gestillt ward von der leiblichen Mutter,
Wurde gestillt nun von dir, du meine geistige Mutter,
Lag als bärtiger König, Prophet und Priester am Busen
Meiner göttlichen Mutter. Die Brüste, die Jesus ernährten,
Nährten nun mich, ich wurde zu einem seligen Kinde
In dem Arm der Madonna. Auch sah ich Jesus Maria
Ihre gewölbte Wange liebkosen mit kindlicher Hände
Zärtlichkeit, sah auch Maria den kleinen Jesus verschleiern
Mit den fallenden Strähnen ihrer schwarzbraunen Haare.
War ich denn Jesus, daß ich es alles so selig empfunden,
So als gelte sie mir, die verwirrende Zärtlichkeit, Mutter?
O Maria, was eine Mutter, Maria, erfuhr ich
Erst durch dich, erkannte dich am Beispiele Hauras,
Meiner Geliebten, deren Sohn ich gern wär gewesen.
Neulich noch sah ich Haura dem Säugling die Brustspitze reichen,
Und die Brustspitze schimmerte wie von kosmischen Tropfen,
Mutter Maria, da dacht ich an dich, der Milchstraße Mutter!


12

Ist es von Gott her mein Schicksal, von den Sternen geschrieben
In der Stunde der Geburt und gestickt in die Windeln,
Daß der Pluto über mir steht, der Sonne so ferne,
Daß ich so oft hinunter muß ins Totenreich, oder
Muß der Heros sterben, um wieder aufzuerstehen?
Fern war mir das schöne Leben, das lebendige Leben,
Wie ein Seufzer schlich ich und wie ein Schatte im Nebel.
Aber empfänglich ward ich und ward im Innern bereitet,
Daß ich empfing Visionen vom himmlischen Paradiese,
Nicht kristallener Sphären, sondern des Lustgartens Eden!
Muttergrund war in der Seele das unendliche Dürsten
Nach dem ewigen Leben, nach der Fülle des Lebens,
Das der Christus verheißen, nach der Granatfrucht der Liebe!
Diotima ist weise. Und die Weisheit der Liebe
Ward mir die Weisheit der Schönheit in lebendigen Träumen.
Haura sah ich zuerst in liebreizend lebendiger Schönheit,
Wie sie mich liebte. Wenn sie auch im Dasein nicht liebte,
Wie ich die Liebe begehrte, im Traume liebte mich Haura,
In den Träumen sah ich mich satt an liebreizender Schönheit,
Trank den Labetrank heiliger Schönheit vom Angesicht Hauras.
Und es tauchte aus inneren Meeren Aphrodite
Mit dem zaubrischen Gürtel um die erotische Zone,
Die mich nie verlassen, die archetypische Schönheit.
Aphrodites Antlitz war lauter Anmut und Lächeln
Und die ganze Gestalt des Leibes verführerisch lieblich.
Und die Himmel öffneten sich und im Lustgarten Eden
Sah auf einem purpurnen Diwan im schneeweißen Laken
Eine Huri ich liegen, verführerisch, himmlischen Reizes
Sah sie mit glühenden Augen und mit lockenden Lippen
Zu mir, die Schöngeaugte, Reichlächelnde, Jungfrau von Eden.
Und es erschien in Eden der Lebensbaum und bei dem Baume
Tanzte in grünem Kleide und orangenem Rocke
Eva, die Liebesgöttin von Eden, die hüpfenden Brüste
Waren prachtvoll wie Granatäpfel, süß ihre Lippen
Lachten wie Dattelfeigen kusslich der lockenden Eva.
Und in den himmlischen Gärten erschien vom Morgensterne
Magdalena in langen Locken, die Schwester der Engel,
Welche königlich herrscht an der Seite des himmlischen Gärtners.
An der Spitze der Himmelsleiter im Lebensbaume
Lächelte meine Herrin, Maria Aphroditissa,
Schöne Madonna mit Granatfrucht und goldenem Gürtel,
Makelloser Jungfraunspiegel göttlicher Weisheit!


13

Unerreichbar war Haura, unerreichbar im Diesseits,
Schmerzlich entbehrt ich die Liebe und ertränkte die Schmerzen
Im brauschenden Trank. Ich saß in der dämmrigen Schenke
Und vergaß die Zecher um mich und sah in die Seele,
Sah in der Seele Haura lächeln mit himmlischem Lächeln,
Aber auf Erden nicht, sondern in unendlichen Weiten des Kosmos,
Sah in der blauen Nacht, sah innen im kosmischen Dunkel
Haura wandeln, das schwarze Haar auf dem blauen Gewande,
Aber ein weißes Antlitz wie ein Vollmond. Im Haar trug
Diamantengleich glitzernd sie die astralische Krone
Als des Universums Königin, Herrin des Weltalls,
Seele des Kosmos und meines inneren Herzens.
Wenn ich selbst zu einer Frau nach Heidelberg wallte
Und zum Tempel der Lieben Frau vom Schönenberge,
Übersah ich die Frau, die übersetzte Catullus
In dem Garten der Schloßruine, einzig der Eros
Als der Vergötterer Lesbias überwältigte meine
Seele, ich sah allein in der Seele die ferne Geliebte.
Las mir die Frau das Lob der lilienarmigen Hera
Und die orthodoxe Doxologie der Maria
Als der Allkönigin, so las meine Seele im Hymnus
Meine Königin, ob sie Haura war oder Maria
Oder die Ewige Weisheit als die Seele des Kosmos,
Sah ich sie in der blauen Nacht, ihr Anbeter einsam.
Aber was haben mir Meister der mystischen Weisheit geredet
Von der umarmenden Liebe, der Vereinigung Mystik,
Mystischer und erotischer Einigung Zweier in Liebe,
Daß ich begehrte die Frucht der Liebe schon auf der Erde,
Inniger als die Anbetung, Eros’ ekstatische Mystik?
Also gestand ich es Haura, daß die Frucht der Erkenntnis
Als die Feige der Mystik ich von Haura begehrte,
Sie aber wandte sich ab von mir mit hartem Gesichte,
Daß sie mich nicht liebe! sprach sie mit wehrenden Worten
Dreimal, mich beschwörend. Laß fahren all deine Hoffnung,
Sprach sie die Worte des Eingangs in die dantische Hölle!
Aber die Madonna der Minne hat nicht mich verlassen,
Herrlich erbarmte sich die Mutter des weinenden Sohnes,
Führte ihn andere Wege, bracht ihn zum spielenden Kinde,
Daß er vergesse das Liebesweh im seligen Spiele
Mit dem seligen Kinde, ähnlich dem Jesuskinde,
Mit dem liebenden Kinde, vergleichbar der spielenden Weisheit!


14

Mai war gekommen. Ich lag allein im blühenden Schloßpark,
Wo der bronzene Kranich auf einem Beine im Teich stand,
Unter der mächtigen Laubkrone einer fülligen Buche.
Buche, du Buch des Lebens, lebendiger Lebensbaum, Buche,
Mutter meiner Kindheit warest du, Blutbuche, Mutter
Meines verfrühten Todes, Blutbuche, blutige Mutter,
Nun aber Lebensbaum mir im Mai im duftenden Haine.
Ist nicht das Universum mit seinen kreisenden Sphären
Wie die Sephirot-Sphären im mystischen Lebensbaum? Leben
Wächst aus der Wurzel im Grunde und blutet im Schafte des Stammes
Und entfaltet sich droben in der blühenden Krone,
Darin nisten des Himmels Gefiederte, Töchter des Sanges.
Ich aber, Lebensbaum, bin wie eine Ader im Baume,
Blut des Lebensbaumes blutet mir in den Adern.
Lebensbaum, hier im grünen Garten der Freude des Frühlings
Bin ich Adam von Mutter Adama, Erdegeborner,
Fleisch meiner Seite fehlt mir, ich bin ein gehälfteter Apfel,
Aber wo ist die lebendige Mutter des Lebens?
Schmerzlich lag ich im Garten der Freude, Seufzer entfleuchten
Meinem durstigen Munde. Da lachte selig die Sonne,
Und die Friedenskönigin, lächelnliebende Herrin
Sprach zu mir: Empfange den Frieden lebendiger Gottheit
In dem Herzen, empfange Frieden, empfange Versöhnung,
Sag nur geduldig Ja zu allen schmerzlichen Leiden,
Dann werd ich Kraft und Freude dir bringen können, die Mutter
Deines Herrn, des Friedens Königin, Heiligung sei dir
Pilgerschaft auf dem Wege immer vollkommnerer Liebe,
Liebe die göttliche Liebe und liebe die Mitmenschen, liebe
Mich und gib mir dein Herz, so werd ich über dich wachen,
Denn ich schütze, die sich geweiht dem heiligen Herzen
Ihrer Mutter und Königin. Schaue nur auf zu dem Himmel,
Denn im Himmel ist Freude, leb den Himmel der Freude
Schon auf Erden durch die Freude des Heiligen Geistes.
Hast du die göttliche Geistkraft, hast du alles. Gebete
Werden dir öffnen dein Herz zum Empfang der göttlichen Liebe,
So wird Christus in dir geboren, der Geist in dir brennen
Mit der Flamme der Liebe, so wirst du Weisheit erlangen.


15

Dreimal sah Solowjew in Visionen die Freundin Sophia.
Die Neunjährige aber, sagte die Amme zum Minner,
Ist nur ein dummes Ding. Der Sänger der Ewigen Freundin
Liebte die Frauen doch auch, die ewigweiblichen Frauen
Liebte der Seher und Sänger mit ästhetischen Sinnen,
Liebte die Schönheit, ein eifriger Schüler der Diotima.
Aber Fortuna, die launige Dirne des Glücks, war nicht günstig
Und die Frauen waren gegeben anderen Männern,
Waren geraubt von Hymen in andere Hochzeitsbetten.
Eine jedoch begehrte den Dichter, liebte von ferne
Den Propheten der Hagia Sophia und schrieb ihm,
Sie sei Sophia, er aber sei der kosmische Christus,
Siehe, sie lud ihn ein, zu feiern den Hieros Gamos!
Seltsam schmeckte dem Christen diese heilige Hochzeit,
Er, der den religiösen Kult des Phallus verschmähte,
Reiste zu jener Frau jedoch mit der Neugier des Dichters.
Schrecken befiel ihn, als er des Weibes Antlitz erblickte,
Er, der Freund der Schönheit, der ewigen Freundin Sophia,
Der Idee der Schönheit in Gott, er schaute ein Unweib,
Und er verließ entsetzt und erschrocken die lüsterne Hexe
Und vertiefte sich in die Lieder russischer Dichter,
Puschkins vor allem, ihn heilte die Seele der russischen Venus.-
Fern war ich Haura, der Regina Oldenborgensis,
Aber gewärtig war sie mir dennoch auf allen den Wegen.
Nicht nur sah ich vor der Taverne des griechischen Wirtes
Die Diana von Ephesos mit den neunzehn Brüsten,
Nicht nur sah ich der Aphrodite liebreizenden Busen
Wachen vor der Pforte der italienischen Schenke,
Auch sah ich von dem Simse schauen die weise Athena
Und die Musen tanzen oben am Rand des Theaters
Um des Musenpropheten siebenzungige Leier.
Hier also ging ich zwischen dem Marmor klassischer Säulen
Bis zu dem riesigen Füllhorn, des Knaben Wunderhorn. Oben
Offenbarte die Sonne ihre Herrlichkeit, Strahlen
Flossen wie himmlische Adern durch ätherische Lüfte,
Als mir in der Sonne erschienen die Königin, leuchtend
Wie die Sonne ihr Lichtgewand, von Gold ihre Krone,
Schwebte sie droben in der Bläue ätherischen Himmels
Wie eine weiße Göttin. Da rief ich: Herrin Sophia!
Hauche mich an und gieße in mich die Strahlen des Lichtes,
Mache mich Licht vom Licht und Glut vom himmlischen Feuer!


16

Meine Großmutter saß am Ende beschwerlichen Lebens
Unter des Herrenmenschen Fuchtel, als einsame Witwe
Lange Tage allein im Traume und schlaflose Nächte
Vor dem Fenster und schaute in den Garten, die Bohnen
Hatte sie selbst in Spiralen an den Stangen gezogen.
Und dann trat sie mit neunzig Jahren hinaus in den Garten,
Beete zu pflegen, Johannisbeeren, Fuchsien, Rosen,
Ja, sie liebte die königliche Rose vor allen.
Und dann schied sie, als würd sie vom Lebensbaume geschnitten,
Fortan suchte ich meine Mutterheimat im Himmel.
Aber auf Erden lebte Haura. Ich sah sie im Sessel,
Schön wie Madonna im Sessel, die raffaelitische Traumfrau,
Schauen zum Fenster hinaus im milden blaublühenden Dämmer,
Widerschein sinkender Sonne auf ihren glühenden Wangen,
Immer im Traume lebend, in den sie geflüchtet als Mädchen
Vor dem tyrannischen Vater. Auch trat sie hinaus in den Garten,
Rupfte die wuchernden Nesseln und säte die Samen der Blumen
In die gefurchte Erde und zog die Malve und Rose,
Ja, sie liebte die königliche Rose vor allen.
Dann aber ließ sie sich wieder nieder und schenkte den Tee ein,
Grünen Tee vom Himalaya oder von Sumatras Insel,
Sah in die Augen mir und erzählte Erinnerungen.
O wie schön sie war! Das Antlitz umrahmt vom schwärzlichen Haare,
Schön ihr Mondgesicht mit den schöngewölbten Wangen,
Indianischen Schnitt des Antlitzes, dämmernde Blicke
In den Abendsternaugen in schmalgebauten Höhlen,
Blitze sendend, erleuchtend die unendlichen Meere
Ihrer erleuchteten Seele, wieder verschleiert von Wimpern,
Langgeschwungenen Wimpern, drauf tausend Grazien saßen,
Und es schwieg ihr Mund mit den verschwiegenen Lippen,
Wenig war tauglich die Sprache, ihr Geheimnis zu sagen,
Ihrer Seele Geheimnis, ihre göttliche Seele,
Ich aber huldigte gern des süßen Mundes Geheimnis.
Als aber gar mir schenkte meine geistige Schwester
Die Ikone der Jungfrau von Guadelupe, da erblickt ich
Meiner Seele Ideal, die himmlische Haura
In des Bildes Offenbarung, Amerikas Göttin,
Schwarze Madonna der Seele, meine Idee der Schönheit.


17

Haura trennte sich schmerzlich vom unleidlichen Manne,
Lotte von Albert, und suchte eine eigene Wohnung.
Und ich sagte: Ich bin deine Hilfe, nimm mich zu eigen!
Morgens im Winter, ich lag noch im seligen Schlaf auf dem Sopha,
Haura kam mit Brötchen zu mir, als Schneeflocken-Engel,
Und wir erledigten beide die bureaukratischen Pflichten,
Da die Muse Träumerin, ward der Dichter zum Amtmann.
Und sie fand eine Wohnung, da eine Alte gestorben,
Deren Möbel wir rückten, Tapeten rissen von Wänden,
Teppiche hoben vom Boden, zerlegten die Schränke,
Strichen die Wände in zarten pastellenen Farben mit Pinseln,
Farben der Seele im glühenden Brautgemach meiner Geliebten,
Da wir die Pinsel schwangen und lange schwiegen, vernahm ich
Innen in meinem Hirne Hauras Stimme, die sagte:
Albert, Albert! Ich sagte: Haura, ich hör deine Stimme,
Albert, Albert, sagt deine Stimme. Haura sah zu mir:
Eben hab ich an Albert gedacht.- Und einmal am Mittag
Saß ich bei heißer Schokolade allein in der Schenke,
Hörte, wie auf den Flügeln der Lüfte, Haura mich rufen,
Hörte meinen Namen sie rufen flehender Stimme,
Eilt ich zu ihr, da fand ich sie weinen vor Leid und Verzweiflung.
Oftmals dacht ich: Wir gehen wieder in Nazareths Wohnung,
Da die Zimmerin handwerkt mit dem Zimmerer, Josef
Sah wie Maria geschickter handhabt Hammer und Nagel,
Wie sie vertraut mit dem Holz war, zu bearbeiten fähig,
Wie sie das Werkzeug geschickt hielt, oft geschickter als Josef,
War sie wahrlich die starke Frau aus Salomos Sprüchen,
Aber nicht allein geschickt in handwerklicher Arbeit,
Auch begabt mit schönem ästhetischem Sinn und Geschmacke,
Machte sie Nazareths Wohnung zu einer gemütlichen Höhle.
O, ich sah Madonna lebendig schön vor mir wandeln,
Eine schöne Madonna mit den braunschwarzen Haaren
Und mit glühenden schöngewölbten Wangen, die Lippen
Schön geschwungen, die Augen diamantene Sterne.
Ja, wir sprachen auch manchmal erotische Sprache,
Sprachen beim Wein um Mitternacht vom entfesselten Eros.


18

Immer ward meine Liebe zurückgewiesen, die Liebe,
Antlitz der Gottheit, die Liebe, ihr habt sie blindlings zertreten!
Lag ich aber im Staub der Erde, ein Wurm, und kein Mensch mehr,
Mütterlich breitete ihren lichten Schutzmantel über
Meine Seele meine Großmutter, erzengelgleiche!
Großmutter, Großmutter, Mutter von Gnaden der Gottesmutter!
Heute denk ich, wie du mir, nie zu heiraten, rietest!...
Weihnachten kam, von allen irdischen Müttern verlassen,
Über meine Seele erbarmte sich Mutter Maria,
Trat in die einsame Wohnung, unsichtbar, innerlich sichtbar,
Fasste mich bei den Händen und tanzte wehmütig-selig
Einen traurigen Tanz, ja einen bräutlichen Reigen,
Daß ich weinte vor Freude, unter glühenden Tränen
Dankbar hinaufsah zu dem Antlitz der schönen Madonna.
Einsamkeit, ja, wenn ich schon einsam sein muß, will einsam
Ich mit Madonna Maria tanzen in einsamer Weihnacht
Bis hinüber ins neue Jahr, und der Weisheit Erscheinung
Feiern wie mit seligen Dichtern und mystischen Weisen
Und vergessen die Zeit und das wirkliche Lärmen der Leute
Und verzaubert entschlafen in dem Arm der Madonna.
....... Das Erwachen wie selig! da die Frau an der Seite
Kaum verhüllt in ätherischem Linnen die himmlischen Brüste
Und allein kann sie bewegen des ewigen Geistes
Stimme, anzuziehen die Gewandung des Himmels,
Sich zu schmücken mit Glorie wie mit Rosenkränzen
Und als Sion zu tragen die Kränze des ewigen Lebens.
Wer weiß mehr? Wenn redet die ewige Weisheit:
Nun bekleid dich, o Sion! wie ist denn da die Madonna,
Da ich schlafe im Tal ihrer paradiesischen Arme?
Wahrlich, der Mutter des Lebens paradiesische Pforte
Läßt mich ein in die ewige Seligkeit, läßt in den Himmel,
Läßt in die himmlische Aue mich des Schoßes Mariens.


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