[Inhalt]

GEISTLICHER MINNEGESANG


SANKT JURI

Sankt Juri ritt im Lichte
Mit großer Heerschar zum Gerichte.
Aus den Marken war
Gezogen er mit großer Schar,

Gezogen zum heiligen Ring,
Gezogen zum wichtigen Thing.
Das Thing war hocherhaben,
Ruhten drauf Gottes Gnadengaben.

Sankt Juri entsagte den irdischen Mächten gleich
Und gewann das Himmelreich.
Das tat wahrhaftig und ehrlich
Sankt Juri, der Graf war herrlich.

Dort bedrängten ihn alle
Könige, alle mit großem Schwalle,
Sie wollten ihn zum Abfall bringen,
Er aber hörte nicht auf ihr Drängen und Dringen.

Sandthaft war Juris Seele –
Heil ihm ohne Fehle!
Er tat nicht, wozu ihn die andern beredet,
Tat, worum er zu Gott gebetet.

Das tat wahrhaftig und ehrlich
Sankt Juri, der Graf war herrlich.
So kam er in große Bedrängnis
Und ward verurteilt zum Gefängnis.

Dorthin begleiteten ihn die Scharen
Der Engel, die herrlich waren.
Dort im Kerker fand er zwei Frauen,
Die rettete er durch sein Gottvertrauen,

Weil er sich im Gebet bedachte
Und Speise mit Gottes Hilfe machte.
Dieses Zeichen wirkte dort
Sankt Juri durch Gottes Wort.

Als Juri gebetet,
Tat ihm alles der Herr,
Worum er gebetet,
Das tat ihm alles der Herr.

Den Stummen brachte er zum Treueschwören,
Den, der das Wort nicht hörte, zum Hören,
Den Blinden brachte er zum Sehen
Und den Gelähmten zum Aufstehn und Gehen.

Und ein mächtiger Mann
Sehr zu zürnen begann,
Tatian wars, der Wüterich,
Der zürnte darüber fürchterlich.

Er sagte frech und frei,
Daß Juri ein Zauberer sei,
Er befahl, den Zauberer zu entdecken,
Ihn zu packen und ihn zu strecken,

Zu zerstückeln seines Leibes edlen Wert
Mit dem scharfen Schwert!
Das sag ich aber allen Landen:
Juri ist wahrhaft auferstanden!

Juri ist auferstanden wieder,
Predigte weise, sang Gottes Lieder.
Der Heidenmänner Bande
Brachte Juri gar sehr in Schande.

Aber jener mächtige Mann
Sehr zu zürnen begann.
So befahl er in finsteren Nächten,
Juri zu fesseln und auf ein Rad zu flechten.

Das verbürg ich euch fromm und wahrhaft frei:
Die Fesseln rissen entzwei!
Das weiß ich, das sag ich allen Landen:
Juri ist wahrhaft auferstanden!

Juri auferstand mit Fleisch und Blut
Und predigte Gottes Wahrheit gut.
Der Heidenmänner Bande
Brachte Juri gar sehr in Schande.

Aber jener mächtige Mann
Gar sehr zu zürnen begann.
Juri sollt ihm nicht entfliehen,
Der Mann befahl, ihn langzuziehen,

Befahl, ihn zu peitschen im Zorn,
Ihn zu zermahlen wie Korn,
Zu Asche zu verbrennen seine Glieder,
Ihn zu werfen in den Brunnen nieder.

Juri war ein gesegneter Gottessohn!
Kind Gottes! Die Feinde wälzen
Auf Juri schwere Felsen,
Große und schwere schon.

Sie begannen, um ihn herumzugehen,
Befahlen ihm, aufzuerstehen.
Großes tat Juri, der war fromm und gut,
So wie er heute noch Großes tut!

Ich sing euch wahre Lieder:
Juri ist auferstanden wieder,
Juri ist auferstanden dann,
Aufgesprungen ist der heilige Mann!

Juri ist auferstanden wieder,
Predigte weise, sang Gottes Lieder.
Der Heidenmänner Bande
Brachte Juri gar sehr in Schande.

Juri gebot einem Toten
Aufzuerstehen, so hat er geboten,
Er befahl ihm, zu ihm zu treten
Und ein lebendiges Wort zu reden.

Da sprach er ein stilles Gebet:
Ich glaube an Gottes Majestät!
Er sprach, es seien verloren die Bösen,
Die vom Teufel Verführte gewesen.

Solches kündigte an
Sankt Juri, der heilige Mann.
Dann ging Juri zum Hofe hin,
Zum Hofe der Königin.

Er begann, sie zu lehren,
Sie begann, ihm zuzuhören.
Alexandra in schöner Jugend
War voller Tugend.

Sie beeilte sich, an die Armen zu denken
Und großen Reichtum zu verschenken.
Viel Gutes tat die Wunderbare,
Das half ihr Jahre um Jahre.

In die Ewigkeit war sie so geladen
Zu Gottes ewigen Gnaden.
So hat für ihre Seele Juri gebeten
Zu Gott mit stillen Gebeten.

Ich weiß nicht weiter und will drum enden.
Sankt Juri möge seine Gnade senden
Auf alle Ritter, die tragen seinen Namen.
Gott sei alle Ehre! Amen.


MARIEN RITTER

1

Der siegreich turnierenden Maria weiht sich der Ritter-Dichter:

Maria, Lieber Fraue gut,
In Demut ich und gutem Mut
All meine Minne messe!

Die innige Marienliebe des Ritters ist eine große Gnade Gottes.

Maria ist sehr reich an Kraft
In seiner Liebesliedenschaft,
Die dieser Ritter einzig Ihr
Geweiht in großer Liebesgier,
Er diente ihr mit manchem Dienst.

Gut ist es für die Seele, in der Messe von Maria singen zu hören. Maria befreit von allerlei Not. Das Werk der Lieben Fraue ist Rittertum, das die Ehre der Mannheit offenbart. Die Vollendung der Marienminne des Marienritters ist, daß er Marienmönch wird.

Sein tiefer gottergebner Sinn
Ergreift die ganze Ritterschaft,
Daß er mit aller Tugend Kraft
Ward Unsrer Frau Gewinn.
Gegrüßet seist du, Königin!

Ein weltlicher Ritter betrat den Turnierplatz im Namen seiner irdischen sündigen Dame. Der Ritter Mariens ritt in den Kampf im Namen der himmlischen unbefleckten Jungfrau.

Der Ritter, der sich ganz geweiht
Der Lieben Fraue, holden Maid,
Die er in Minne auserkoren
Und ihr zu Dienste sich geschworen,
Maria diente er, der Einen.
Durch große Lieblichkeit der Reinen
Ist er ins Ritterspiel geritten –
Der Feind ist rasch vom Roß geglitten
Und stürzte in den Staub der Erde.
Die Waffen alle mit dem Pferde
Marien Ritter gab den Armen,
Ritt fort mit Unsrer Frau Erbarmen.


2

Marien Schützenhilfe sei gepriesen und besungen:

Preis Unsrer Frauen Bilde,
Die in der Zeit gar milde
Vor Augen wunderbar
Dem Frommen Hilfe war,
Die sie mit Huld und Geist
Getröstet allermeist
Als Liebe Frau Maria!

Maria läßt ihren Ritter nicht im Stich. Dem sterbenden Ritter vom Marien-Orden erscheint Maria als Trösterin auf dem Schlachtfeld und spricht voller Liebe zu ihm:

Viellieber Kämpfer mein!
Leid freudig deine Pein!
Denn an dem dritten Tage
Vollendet ist die Klage,
Du wirst im Kreuz versterben
Und mit des Himmels Erben
Die Wonne süß empfangen,
Die alle die erlangen,
Die ganz in mir ihr Leben
Dem Herrn anheimgegeben!

In der Nacht erscheint das Große Zeichen. Maria pflegt des Ritters Todeswunden mit ihren zarten Händen. Die allerschönste Jungfrau trägt in der Rechten die Fahne des Marien-Ritterordens. – Nach dem seligen Heimgang des Marienritters klagt der Großmeister des Ordens Unserer Lieben Frau sein Leid:

Frau! Wie kannst dulden du die Schande,
Die Heiden taten deinem Lande?
Nun deutsch ich dich ermahnen tu:
O Liebe Fraue, schick mir zu
Die Huld und Gunst zu jeder Stunde,
Erbarm dich meiner Herzenswunde!
Du bist die Herrin, ich der Sklave,
Dein Sohn mein Herr, mein Herr ist Jahwe!
O Herr und Frau, mich nicht verschmäht,
Seid treu in Arbeit und Gebet
Der Lieben Frauen Ritterschaft
Und spendet immer eure Kraft!
Schau, Land und Kind und Kindeskind,
O Jungfrau, ganz dein eigen sind!
O Liebe Frau, nimm huldvoll an
Den demutvollen Untertan,
Marien Mönch mit Leib und Gut
Nimm, Herrin, ganz in deine Hut!
Und halt uns all in deiner Pflicht,
Frau in dem Kleid aus Sonnenlicht!



KLEINE MARIENHYMNE


1

Maria, Mutter der Barmherzigkeit,
Komm, süße Seele, werde mein Geleit,
Dein Sohn und du, geleitet ihr mich beid
In Liebestreue und in Stetigkeit.

Du reinste Frau, mein Schatz nächst Gott alleine,
Die Güte Gottes schuf dich als die Reine,
Beschau mein Herz, wie ich dich minnend meine,
Mit deiner Huld in meine Seele scheine.

Mach frei mein Herz von aller Schlechtigkeit,
Du rein von Anbeginn, ganz reine Maid,
Gib meinem Herzen deine Reinlichkeit,
So wird mein Herz zu deinem Ruhm bereit.

Ich singe dieses Lied durch deine Minne,
O Fraue, allerhöchste Minnerinne,
In deine Hand nimm alle meine Sinne,
O Herrin, Universums Kaiserinne!

Du schönste Schönheit in dem Himmelreich,
Du scheinst so rein, dem Wunder gleich,
Schau auf den Minnesklaven gnadenreich,
O Minnedame, sanft und süß und weich!


2

Maria ist die Feuerflamme,
Der Himmel Gottes mit dem Lamme,
Die Sonne Gottes, Gottes Mond,
Ist Gottes Wohnung, wo er wohnt,
Die reine, benedeite Erde,
Daß Christus drin gebettet werde
Und sterbe als ein Weizenkorn
Und werde neu vom Grund geborn.
Maria ist der schöne Mond,
In dem das Licht der Sonne wohnt,
Sie ist der Mond an Schimmer reich,
Sind neben ihr die Sterne bleich,
Wie ihrer Heiligkeit verglichen
Die Heiligen des Himmels wichen.


3

Liebfrau ist ein verschlossner Garten,
Der Gärtner Christus wird ihn warten,
Denn Gott hat selbst die Liebe Fraue
Erwählt als seiner Wonnen Aue,
Die er bewahrt von Sünden rein
Und wo er stets geht aus und ein
Und pflanzt mit seiner eignen Hand
Die Blumen in Marien Land:
Die weiße Lilie aller Reinheit
In ihrer makellosen Feinheit,
Die kleinen Veilchen, blau von Wehmut,
Violen der bescheidnen Demut,
Die Rosen aller Minnehuld
Und des Martyriums Geduld.
Baumgarten des Marienleibes!
Gepflanzt von Gott im Schoß des Weibes
Der grüne goldne Baum des Lebens,
Mit Lebenskraft des Himmelsstrebens,
Der Baum des Lebens, Jesus Christe,
Gepflanzt ward als der Engel grüßte,
Des Schatten schützt vor Gottes Blitze
Des Zornes und der Hölle Hitze,
Die Blätter, seiner Weisheit Mai
Und Minne Duft, sind wie Arznei,
Die Frucht ist Leben immerdar,
Von allem Tod und Trauer bar.
Der Stamm trägt auch des Weines Reben,
Um Christi Ulme rankt das Leben,
Er ist der Weinstock, wir die Trauben,
Wir trinken ihn, wenn wir ihm glauben,
Er speist die Seligen und tränkt
Mit Rausch sie, wenn er selbst sich schenkt.
Sein Fleisch, die ganze Erde speist es.
Die sieben Gaben seines Geistes
Sind sieben süße Sangesvögel,
Die singen Hymnen nach der Regel
Und singen Jesu Christi Wonnen
Und Sankt Maria als den Bronnen,
Die reine unbefleckte Quelle,
Aus der enstprang des Lebens Welle.


4

Freude, Freude, freue dich, o Fraue,
Frau, dein Kindlein in der Krippe schaue,
Glücklich sei und froh mit Frohsinn, Frohheit,
Ist der Herr doch deine Wonne, Hoheit!
Doch was mahn ich dich, o Frau, an Freude?
Ist der Herr doch deine Augenweide!
Sättige mit Freuden dich im Grunde,
Frau, mit Freuden von der Freudenkunde,
Halse ihn und küsse Tag und Nächte
Gottes Pracht, die lächelt, lacht, ich dächte,
Morgenröte, du gebarst die Sonne,
Weib, dein Weibesschoß gebar die Wonne,
Freude kam von deinem Schoße schicklich,
Macht dein Schoß doch alle Menschen glücklich!
Bette ihn an deinen Hals und Brüsten,
Ihn, den ersten Christ vor allen Christen,
Mögest mit dem Erstgebornen schmusen,
Alle Christen nimm an deinen Busen,
Mögest Gott den Sohn mit Lippen küssen,
Er wird küssen deine Rosenkissen,
Deine Rosenlippen wie ein Falter,
Rose im glückseligen Zeitalter!


5

O Freude, Freude, als dein Löser kam,
Als Jesus Christus kam, der Bräutigam,
Der Bräutigam herab kam von dem Thron
Zur lieben Braut, zur Mutter kam der Sohn
Und ging mit ausgestrecktem Arm entgegen
Und gab dir eines Gnadenheimgangs Segen
Und hieß dich in dem Himmelreich willkommen,
Da bist in lauter Wonnen du geschwommen!
Die himmlischen Heerscharen waren froh,
Weil nun Frau Weisheit kam zu Salomo,
Sie sangen wie im Wettgesang den Ruhm,
Dir Gloria in Gottes Heiligtum,
Und sangen um die Wette Ruhm und Preis
Frau Weisheit, die vergöttlicht ist, ich weiß,
Weil nun der Hieros Gamos ist vollendet,
Da Gott der Menschheit seine Liebe spendet,
Da nun das Lamm vermählt Jerusalem,
Des Namens schemen mit des Öles schem...


MARIENODEN


1

Stella Maris, gegrüßt seiest du, Himmelslicht,
Rosenpforte des Tags, Christi Aurora du,
Gottesmutter Maria,
Heil, Jungfräuliche, sei gegrüßt!

Freu dich, Pforte des Herrn, östliches Tempeltor,
Dir entströmt ist das Licht, göttlicher Wahrheit Quell,
O du Mutter der Sonne
Der Gerechtigkeit, Jungfraunschoß!

Aller Mädchen, o Maid, Erste der Seligen,
Schöner selbst als das Licht steigender Sonne, denn
Bald geht unter die Sonne,
Aber du scheinst im Dunkel, Mond!

Himmelskönigin, Frau, Weltenversöhnerin,
Du bezwangest den Grimm Gottes, den Grimm und Zorn
Gottes, durch deines Leibes
Fleisch und Blut, o Erlöserin!

Daß du jeden erkennst, der dich im Glauben liebt,
Und in Gnade und Huld ihn dir zum Diener nimmst,
Weiß ich, Sklave der Diva,
Glaubend, hoffend, dich liebend sehr!

Lebensflamme bist du! Eva verlor die Glut,
Doch die Fackel des Herrn, Jungfrau, die trägst du uns,
Paradiese erleuchtend
Und den Pfad in das Paradies!

Ave, Salve Marie! Grazie Gottes du,
Voll der Gnaden und Huld, Zuneigung Gottes voll,
Du beschenktestes Mädchen,
Die jungfräulich und schwanger war!

Mit dem englischen Gruß Gott du im Ohr empfingst,
Trugst die Weisheit im Schoß, die du das Wort gebarst,
Gottgebärerin Jungfrau,
Immerwährenden Hymens Frau!


2

Heil, schöner Meeresstern,
Maria, Licht der Christen, Magd des Herrn!

Heil, Freude, Gottes Zelle,
Rekluse und Kapelle!
Du immerdar gebäre
Ihn, welcher dich und alle Welt erschafft.
Nun hört, wie rein die Magd und Jungfrau wäre!
O send in meine Sinne,
O Himmelsköniginne,
Des wahren Sanges Süße,
Daß ich des Vaters und des Sohnes Ehre
Und gleicherweis den Geist lobpreisen müsse.

Du Jungfrau ohne Ende,
Den Fall der Eva wende,
Du weißt, was Eva alles uns zerstörte,
Die Neue Eva hörte
Allein, was Gott begehrte.
Hilf, Fraue, Holde, Hehre,
Uns tröst durch deine Ehre,
Weil Gott vor allen Weiber dein gedachte,
Als Gabriel zu dir das Ave brachte.

Die Liebe Frau vernahm,
Das Wort des Vaters kam
In deine holde Scham,
Erschrocken war die Maid vor dieser Märe,
Wie Jungfrau ohne Samen
Des Vaters Sohn gebäre,
Das Kind, das Ja und Amen,
O Dame aller Damen!
O Frau, an dir ist alles Gottes Wunder,
O Mutter, bliebest Jungfrau doch darunter,
Das Licht lag dir im Leib,
Gott-Schwangere, du wurdest doch kein Weib.

Du bist der Seligkeit ein Ehe-Port,
Im Geiste schwanger mit des Vaters Wort,
So kam in dich das Kind,
O Fraue, durch dein Ohr,
Daß Christen, Juden und Muslime sind
Durch dich erlöst vom Mord
Und von des Todes Tort,
Denn Gottes Gnade ist die endelose.
Du Jungfrau der Jungfrauen,
Die Engel staunend schauen,
Wie Gottes Sohn die Mutter Gottes kose,
Der Logos, der entsprungen ihrem Schoße,
Der Duft des Lebens aus der Liebe Rose!
Dein Wert, der ist nicht klein,
Du trugst uns, Jungfrau rein,
Für uns des Lebens Brot,
Das war derselbe Gott,
Der seine Lippen deinen Brüsten bot,
Den Brüsten ohne Spott,
Der deine Brust mit seiner Hand umfing,
Dich küsste süßer Minne!
Heil, Minneköniginne,
Was Gott für Liebe doch an dir beging!


3

Bring uns zu der Schönheit Krone,
Schöne Frau, zu deinem Sohne,
Die der Sohn, der Seelengatte,
Vor der Zeit geschaffen hatte
Seinen Freunden, seinen Bräuten,
Seine Lust zu allen Zeiten
In den milch- und honigsüßen
Ewgen Wonne-Paradiesen,
Wo sie Wonne über Wonne
Saugen aus der Minne Bronne,
Nur durch deine Gunst, Maria,
Pleni omnia gracia!



MARIENHYMNE

Du Rosenblüte, du Lilienblatt,
Du Fürstin in des Höchsten Stadt,
In welche nimmer trat
Die andre Frau, das Evalein, die ich begehre.
O du Herzlieb vor allem Leid,
Du Freude in der Bitterkeit,
Dir sei ganz geweiht
Und gesungen Lobpreis und Ehre.
Des lebendigen Gottes Zelle, das
War dein Schoß, der sich geistig vermehre.
Wie die Sonne durch das Glas
Kann dringen fürbaß,
So war liebevoll, ohne Haß,
Christus eingetreten in deine Sphäre.

Du Rosental, du Veilchenwelt,
Du glückbegehrender Herzen Geld,
Du blühende Heldin dem Held,
Du süßeste Gotteswonne,
Du lichtgebärendes Morgenrot,
Du wahre Freundin in der Not,
Das lebendige Brot
Gebarst du, des Lebendigen Bronne.
Mannige Herzen kalt
Erblickten dich und entbrannten
Mit süßer Minne Gewalt,
In Liebeskräften mannigfalt.
So wird zu recht gezahlt
Dein Lob in allen Landen.

Du der Minne Blumenglanz,
Du aller Mädchen Mädchenkranz,
Des Geistes Taubenschwanz
Hielt dich umfangen.
Du bist des Himmels Sproß und Reis,
Erblüht in reinem Weiß,
Als Gottes schöpferischer Fleiß
An dich ergangen.
So wird dir hoher Lobgesang
Zu Wohlgefallen gesungen.
Manchen Herzens guter Gedank
Dir klingt mit süßem Klang
Ohne Schwank und Wank,
Denn du hast die Herzen bezwungen.

Du Blumenlicht im grünen Klee,
Du duftende Aloe,
Du Gnaden-See,
Dahin man mit Freuden sich wendet,
Du wonniger Freuden ein Tag,
Drauf nie der Nebel lag,
Du stilles Gemach, du heimlicher Rosenhag,
Du Friedensreich, das nimmer endet,
Du elfenbeinerner Turm,
Du Schutz vorm feindlichen Menschenbild,
Du beruhigst den Herzenssturm,
Den wir erleiden mit Beben und Bangen
Vorm gefräßigen Wurm
Und den alten Schlangen
Und dem Tiere der Hölle wild.

Über aller Süßigkeit süßer Schein,
Süßer als der süßeste Wein,
Die Süßigkeit dein
Mir schmecken wie Seligkeit müsse!
Du bist der süße Minnetrank,
Da die Gottheit Süße trank,
Der Trank, der aus der Süßigkeit Gottes drang!
Sirenengesang
War nie von so lieblicher Süße.
Du gehst durch Ohren und Augen ein
In Herz und Sinne.
Du gibst dem seligen Leben das Sein,
Vor dir schwindet der Kummer vonhinne.
Du bist der goldne Gewinn der Gewinne,
Ewige Minne!

Du Spange, du Gold, du Edelstein,
Du Milch, du Elfenbein,
Milch und Honig unter der Zunge dein,
Honig in Herz und Munde.
Du aller Tugenden heilsames Kraut,
Du Gottes minnigliches Herzenstraut,
Du selige Braut,
Du süßer Freuden Stunde,
Reiner du als der reine Schnee,
Makellose Traube,
Der wahren Minne Bett von Klee,
Der Gnade grundloser See
Und mehr und mehr und je und je
Der ehelichen Liebe gallenlose Turteltaube!...

Maria, reine Gloria droben,
Was man singt, dich zu loben,
Ist vor allem Gesang erhoben,
Ist Gesang vor allem Gesange!
Es tut dem Leib und der Seele gut,
Es lüftet die Sinne, ist des Herzens reines Blut,
Den Geist macht es wohlgemut,
Daß er von Anbeginn anfange.
Dein Liedlein blüht wie die Blümlein weiß
In Seele und im Blute.
Du bist so ganz ein Paradeis,
Der Wonne blühendes Reis,
Der Seligkeit Lob und Preis,
Der Gnade Wünschelrute.

Wer an dieser Zeit gelitten ein schweres Leid,
Der mag sich freuen in Ewigkeit
Nach allem Widerstreit
An dir, du Liebe Fraue, du Reine!
An dir erfuhr die Welt ihr Heil,
Du aller Himmel schönster Teil,
Ist alles wie Grünkraft geil
Von deiner Liebe und Lust alleine!
Du brachtest des Lebens Schein
Mit deiner holdseligen Güte,
Denn uns verdorben hatte Evalein.
Nun sollst du, Liebe Frau, allein unsre Freude sein!
Das unbefleckte Herze dein
Ist mir ein unnennbar süßer Himmel im Gemüte!



DES MINNESANGS ERZVATER


OSCULETUR ME OSCULO

Mich küßt ihr minniglicher Kuß,
Vom Mund ein übersüßer Überfluß!
Der edlen Kreatur ists eine Ehre,
Zu der ich kehre,
Denn ihre Brüstchen sind
Wie Veilchen lind
Und stärker als der Wein
Sind ihre Spezerein.
(Zu ihm will ich mich kehren,
Mein Acker will sich mehren.)
Ihr Obst ist eine süße Speise,
Ihr Name würdig jedem Lob und Preise.
Sie ist aus kaiserlicher Art,
Ist rein und zart,
Wie Diamanten hart.
Drum sind
Mit ihr die Mädchen auch geschwind
Auf Frühlingsfahrt.
Sie sind ihr Hofgesind
Und folgen ihr. Sie ist die werte,
Die schlanke Aarons-Mandelgerte.


EGO FLOS CAMPI ET LILIUM CONVALLIUM

Ich bin die Blume blau
Auf weiter Au
Und Lilie in der Wiese, die erquickt.
Ich bin die Rose
Aus Muttererdenschoße,
Bereit zu wahrer Minne.
Mit ihrem Sinne
Hat sie den Minner angeblickt.
Im Blumengarten wurde er beglückt.
Er kam dahin,
Da lag sie, sein Gewinn.
Des Küssens wurde dort er inne.
Er harrte aus in steter Minne
In jenem Garten.
Dort tat ich auf ihn warten,
Auf ihn, den Zarten,
Mit allem Fleiß und Geist.
Ich räche mich an dem, der’s mir verweist.


EGO COMPERA

Ich bin zur Minne ganz bereit,
Bin eine hohe Maid,
Ein Wunder an erblühter Lieblichkeit
Und nie entweiht!
Wer sie begehrt in Tugend,
Wird neu wie in der Jugend.
Mein Liebster spricht zu mir
Aus Liebe und Begier:
Die Liebe zieht mich ganz zu dir!
So werden wir voll Wonne trunken
Durch deiner Augen Seelenfunken,
Der ist so rein,
Mag reinem Lotos rein entsprungen sein,
Und blüht mit starkem Triebe,
Wenn in dir herrscht die Liebe.
Wir wollen wandeln zu dem Berge
Und üben dort die Minnewerke
Und dort uns freuen,
Soll niemand dort uns drängen, dräuen,
Wir wollen süß und lieblich sprechen.
Wir wollen weiter gehen,
Dort, wo die Rosen stehen
Und Herbstzeitlose
Aus Muttererdenschoße
Zum Lichte brechen.
Wir bangen nicht, ob jemand will sich rächen.
O Liebe, du sollst kommen
Zu deinem eignen Frommen.
Ist Milch und Honig unter meiner Zunge.
Es hat dir deine süße, junge
Geliebte Honigseim behalten,
Sie will dir ihre Wabe spalten!


APERI MICHI

Nun tu mir auf, o Täubchen mein,
Erblühte Rose rein und fein,
Daß ich mag mit dir sein,
Bis kommt des Tages Schein.
Die Nacht neigt sich zu ruhn.
Was Liebe will, das will ich tun.
Zieh mich dir nach mit Wohlduft, Wohlgeschmack.
Ich lauf dir nach, so weit ich es vermag.


DILECTUS MEUS

Mein Freund glüht glühend rot,
Ist heiß vor Liebesnot,
Vor vielen Tausenden erwählt.
Sein Haupt, das ist aus reinem Gold geschält.
Des Minners Leib ist wie die Palme
In ihrer Auen Alme.
Sein Haar ist wunderbar,
Gelockt und schwarz sein Haar...


MANDAGORA

Alraune wollen Düfte senden
Hier in Jerusalem an allen Enden.
Sind neue Liebesäpfel da für jeden Tag.
Ach, ob ich zu dir kommen mag?
Die Liebesäpfel heb ich dir auf, dir,
Ach Vielgeliebter, komm zu mir!
Die Lilie sich voll Lust schon regt.
Heil mir, daß dich die Erde trägt!


DILECTUS MEUS MISIT

Des Liebsten rechte Hand
Hat er durchs Loch gesandt
Und rührte an das Schloß an meinem Tor,
Er, der mich sanft und still erkor.
Mein Leib von seinem Griff erfrischt,
Das Feuer nimmermehr erlischt!
Mein Leib und meine Seele jauchzen,
Vor weher Liebe muß ich seufzen –
Da stand ich auf, ihm aufzuschließen,
Mein Licht und meine Sonne zu begrüßen.
Doch war er fortgegangen.
Da ist mein Herz vergangen!
Nie wurde mir so weh, so weh, als da
Ich nicht mehr den Geliebten sah!


IBO MICHI AD MONTEM

Seht, derenthalben ich mich so verirre
Und wandle nicht zum frommen Berg der Myrrhe!
Ich eine Straße mir empfing,
Die ich zur Rechten ging,
Ging auf den Berg des Libanon.
Wie lieblich sprach dort von
Der Minne mir der Minne Sohn,
Er sprach: Gegrüßet seist du, reine Braut,
Du meines Herzens Traut!
Du meine Nächste, gebe Gott dir Heil,
Laß haben mich an deiner Minne teil!
Nun komm, du auserwählte Braut,
Zur Pforte komm, (du Stille, komm nicht laut),
O komm vom Berge Libanon,
Mein Herz, nun gehen wir davon.
Am Hermon und am Senir wolln wir stehn,
So werden wir nicht irregehn.
Nicht wartend wie die Lilien auf der Erde,
Nicht schweigend wie der Lämmer Herde,
Wo uns der Hirte will erlaben,
Dort wolln wir unser Lager haben.


ERGREDIMINI FYLIE SION

Ihr Töchter von Jerusalem, davon!
Nun naht der König Salomon,
Die Mutter krönte ihren Sohn,
Die Hochzeitskrone ward sein Lohn.
Es ist die Stunde der Vermählung,
So freu dich, Jungfrau der Erwählung,
Am Tag der Freude dein und sein
Und an dem Tag der Ehepflichten dein!


CUM ESSET REX IN ACUBITU

Der König Salomon in dem Palast
In Würde war sein eigner Gast.
Ein Bett dort war,
Das Mädchen ruhte drinnen wunderbar.
Die Narde duftete so frisch,
Da lag der König wie berauscht zu Tisch.
An allen Orten war ihr Duft,
War in Jerusalem und in der Luft.


IN SUNAMITE ET

Nun prüft, wer Sunamithin sei.
Ich sage auch dabei,
Man soll es sagen süß allein.
So ist die Süße, rein und fein.
Nun seht auch, was ihr prüft an ihr,
Das sollt ihr dann beweisen mir.
Wir sehn das Tor am trauten Horte,
Des goldnen Schlosses Pforte.
Wie schön ist schon dein Gang,
Wie schön die bloßen Füße schlank!
Der Hüfte Falten stehn dir schön!
Prinzessin du von Zions Höhn,
Die Lenden dein, die schlanken,
Geschmiedet sind wie Spangen!
Oh der Geliebten Wohlgestalt!
Und dazu Reinheit, Tugend mannigfalt!


SEXAGINTA SUNT REGINE

So spricht der König Salomone:
Ich trag die edle Würdenkrone.
Sind sechzig meiner Königinnen
Und achtzig Nebenminnerinnen
Und junge Minnemädchen ohne Zahl,
Die pflegen gut mich allemal!
Doch Eine ist die Taube mein,
Vollkommen, rein,
Vor allen Jungfraun auserwählt,
Wird nicht den Weibern zugezählt.
Sie ist die vielgeliebte Liebe mein!
Ich möchte immer mit ihr sein!


DILECTUS MEUS

Mein Liebchen ist mir lieb und lieb bin ich auch ihr!
Das könnt ihr glauben mir.
Sie ist zur Minne ganz bereit,
So ist die reine Maid,
Die auf dem Wege mich erquickt,
Sie ist vom schönsten Kranz geschmückt.
Im Chor des Himmels herrscht die Magd –
Der Allgeliebten sei dies Wort gesagt.


PESSULUM HOSTII TUI

Ach der Verschluß an deinem Tor!
Tu auf, Geliebte, die ich mir erkor,
O liebe Turteltaube, liebe Schöne,
Daß ich vor allen Mädchen dich bekröne.
Mein Haar ist von dem Nachttau voll,
Mein Liebchen, ich befinde mich nicht wohl,
Bin von der Trauer Tropfen feucht,
Die Träne mir auf meine Wange schleicht.
Mein Herz ist nur noch eine Wunde,
Denn du verletztest mich im Seelengrunde!
Und wisse dies fürwahr:
Du bist mir eine schreckliche Gefahr!


VOX TURTURIS AUDITA EST

Der Turteltaube Gurren wird vernommen,
In Feldern ist der Frühling angekommen,
Es strahlen Türme von Jerusalem.
Wer da den Sang vernehm,
Der hört von Osten flüstern Frühlingswind,
Der macht das Winterwetter blind.
O Ostwind, hauche durch den Garten mein!
Gewürze duften drein.


ANIMA MEA LAQVEFACTA EST

Ah, meine Seele schmilzt wie Eis,
In jungen Tagen ward ich Greis,
Als süß mein Lieb zu mir gesprochen hat.
Ich hab ihn nicht gesehen in der Stadt.
Ich fand ihn nicht, trotz allen Strebens,
Mein Rufen war vergebens.
Sprach niemand mir von meinem Traut,
Vor Sehnsucht schier vergeht die Braut!
Die Wächter haben mich gefunden
In jammervollen Stunden,
Die schlugen mich, ich mußte schrein,
Sie nahmen mir den Schleier mein.
Ihr Töchter von Jerusalem,
Ist solches Leid mir wohl bequem?
Sagt dem Geliebten, den ich achte,
Daß ich nach seiner Liebe schmachte!


FUGE DILECTE MI

Ei du mein liebes Lieb,
Vor aller Lieb hab ich dich lieb!
Den Balsamberg umschleich,
So wirst du gleich
Den Rehen und den Hinden,
Die Gemse wirst du finden,
Bei breiten Linden wirst du sie erblicken,
Dort wolln wir uns erquicken.


QUO ABIIT DIC MICHI

Wo ist mein Liebster hingegangen?
Ich bitt, laßt mich dahin gelangen.
O schönes, allerschönstes Weib,
An allen Reizen reich dein Leib!
O sag uns, wo er streunt,
Dein Bräutigam, dein Freund,
Daß wir ihn suchen, Magd, mit dir,
So werden wir ihn finden schier.
Mein Freund gegangen ist, wo Luft
Ist voll von Weihrauchduft,
Balsamen von den Lilien fließen.
Dort breche er in Paradiesen
Die Lilien in der Minne Garten.
Dort wird er mich erwarten.


SURGE AMICA MEA

Geliebte, Zeit ists aufzustehn,
Mein Liebchen, du sollst mit mir gehn,
Wir wollen in die Felsenklüfte,
Wir wollen in Gemächer voller Düfte.
Dort zeige mir das Antlitz dein,
Hauch deine Worte meinen Ohren ein.
Denn deine Stimme ist so süße,
Dein Angesicht von Glanz erglänzen müsse.


VOX DILECTI MEI

Mein Lieb hat eine linde Stimme
Ganz ohne Zorn und Grimme.
Er sprach: Tu auf, ich poche an,
Dein Bräutigam, dein Mann,
O Schwester Braut, ganz unbefleckt,
Dein schönes Antlitz ist perfekt!
Wir wollen sein die Frohen,
Nicht fürchten, ob die Neider drohen.
Ich denk an die Magnolienbrüste dein,
Die sind berauschender als Wein.
Geliebte, die Gerechten lieben dich.
Ich will dich, Braut, dein Ja-Wort sprich!


QUAM PULCRA ES

Ah weh, wie zart, wie schön du bist,
Wie schön geschmückt zu aller Frist!
Dein Leib ist einer schlanken Palme gleich,
Wie Trauben deine Brüste reich!
Ist wie der Berg Karmel dein Haupt,
Dein Blick hat mir das Herz geraubt!
Dein Hals ist wie ein Turm von Elfenbein,
O Fraue, siehe, du bist weiß und rein!
Komm zu mir, Vielgeliebte mein,
Laß wandeln uns im Buchenhain
Und schauen ob die Blumen blühen
Und Morgenwolken glühen.
Geliebter Freund, ich geb dir meine Brust
Und meiner Seele Lust!


ISTA EST SPECIOSA

Sie ist die Allerschönste, wunderschön,
Die Schönste, die die Erde je gesehn,
Ist Jungfrau von Jerusalem,
Ist keine andre Frau so angenehm!
Die Jungfraun sahn der Tochter Zion Glanz
Und hielten sie für heilig, heil und ganz.
Sie sahn ihr reines Angesicht
Und liebten mehr sie als das Licht!


IN LECTULO MEO

Die lange Nacht in meinem Bette
Ich suchte den, den lieb ich hätte,
Und fand ihn nicht.
All meine Freuden, ihr entwicht.
Ich suchte ihn und hab ihn nicht gefunden.
Da stand ich auf in dunklen Stunden
Und suchte ihn in allen Gassen,
Da war die Burg verlassen.
Ich suchte den, dem willig meine Seele,
Daß seine Ferne mich nicht länger quäle.


TOTA PULCHRA ES AMICA MEA

Schön bist du, meine Freundin, schön,
Geliebte, höre wie ich stöhn!
Bist ohne Makel gar!
Die Lippen dein sind honigsüß fürwahr!
Ist Milch und Honig unter deiner Zungen
Und ist bei deinem Kuß entsprungen
Des Balsams Fließen,
Kann nimmerdar genug ich das genießen!
Der scharfe Winter und der kalte Regen
Sich schlafen legen.
Die Turteltaube wird gehört,
Der Rehbock schon im Garten röhrt,
Die Lilien leuchten schon mit lichtem Schein
Und Becher fließen über von dem jungen Wein.
Vom Libanon, Geliebte, komm hernieder,
Daß wir uns freuen wieder,
Komm, daß dich meine Minne kröne,
Du mehr als Frauen Schöne!


BOTRUS CIPRI IN ENGADI

Von Zypernwein bin ich betrunken,
Der sich um meinen Minner umgeschlungen.
Hier in Engedi, in dem Weinberggarten,
Erkannte ich den Zarten.
Nichts als Gerechtigkeit
Ist all dein Kleid.
Geliebte, deine Wangen glühen
Wie rote Rosen blühen.
Die Kettchen zwischen deinen Brüstchen lagen,
Die Ketten, die der Minne Töchter tragen.


NIGRA SUM SED FORMOSA

Ich bin die schwarze Jungfrau angenehm,
Ihr Töchter von Jerusalem.
Ein Schatzhaus bin ich in Kedar,
Das Salomonis seines war.
Seht ihr denn nicht, ihr Edelfraun,
Daß ich bin braun,
Von Sonne braun mein Angesicht?
Mein Kleid das Sonnenlicht!

SICUT MALUS

Als süßer Apfelbaum,
Den man im Walde kaum
Und nimmer finden kann,
Preist die Geliebte ihren Mann:
Er, der Geliebte, meine Liebe,
Vor anderen Gerechten meine Liebe,
Er ist der Schatten, den ich stets begehrt,
Ich seh ihn an, er ist mir wert.
Süß seine Frucht ist meinem Munde.
Der König führt mich in der Runde
In eine Kammer ein zum Wein.
So wohl geschah noch nie mir, nein.
Er ordnet in mir seine Minne
Mit Ganzhingabe seiner Sinne.
Die Rose schenkt er mir, an der ich rieche.
O sagt ihm doch, daß ich vor Liebe sieche!
Den Apfel reicht er nicht vergebens,
Der Schönheit Frucht vom Baum des Lebens.
Die Linke des Geliebten mein
Soll unter meinem Haupte sein,
Die Rechte soll mich ganz umfangen.
So ist es in der Minne mir ergangen.


EQUITAVI IN EO

Ich gleich dich der Gerechtigkeit,
Geliebter, dieses Lob sei dir geweiht.
In Salomonis Turm von Elfenbein
Führ ich dich ein.
Ich bring dich zu den Töchtern von Amminadab
Und nach Jerusalem herab.
Mit ihnen wollen wir sehr fröhlich sein,
O Vielgeliebter mein!


DIXT CONCENDAM

Geliebter, ich will singen so:
Bei Palmen sind wir froh,
Dort sind wir hingegangen,
Die süße Wollust zu empfangen!
Ich werde dich liebkosen da
Und zärtlich mit dir spielen, ja,
Ich will mich huldreich neigen dir
Und tun nach deiner Lustbegier!


PULCRA ES

Schön bist du, reine Frucht,
Der Erde schönste Zucht,
Gar sanft, gar allzu schön!
Ich dich vor allen Frauen krön,
Bist eine Burg, Jerusalem,
Wie Sternenscharen angenehm.
O Frau, nun kehre dich zu mir
In wahrer Minne Lustbegier!
Dein langes schwarzes Haar
Hat mich gefesselt gar,
Dein Haar, wie schwarzer Ziegen Herde,
Die wallen nieder an dem Berg zur Erde.
Die Zähne dein sind weiß wie Schnee,
Wie frisch gewaschne Lämmer-Zwillinge.


QUE EST ISTA

Wer ist sie, die so herrlich näher fährt,
Mit reicher Herrlichkeit beschert?
Wie reines Gold sie schien
Und wie ein leuchtender Rubin.
Sie schimmert in der Wüste,
Ach, ich sie kennen müsste.
Wie Weihrauch will sie mich verwirren,
Ein Berg von Myrrhen.


ISTA EST SPECIOSA

Sie ist die Zarte, Schöne, Angenehme!
Die sich ihr gleichen will, daß die sich schäme!
Wer je gesehen ihre Hände,
Der nennt sie rein wie Goldpigmente.
Du bist voll Minne für den Mann.
Wohl dem, der dich erlangen kann.


DILECTA MEA LOQUITUR

Mein Vielgeliebter zu mir spricht,
Ich folg ihm recht und schlicht:
Erhebe dich und komm zu mir
In deiner unbefleckten Zierat Zier.
Der Weinberg blüht schon nach dem Winter,
Es jubeln schon die Minnekinder,
Der Nachtigall Gesang
In meinen Ohren lieblich schon erklang.
Komm du dahin, das bitt ich dich,
Wenn du willst freudig finden mich.


VULNERASTI COR MEUS

Mein Herz und meine Seele ist voll Wunden,
Seit du entschwunden,
O sanfte Schwester, meine Braut,
Nun klag ich laut,
Wird immer schmerzlicher die Wunde,
Hör diese Kunde,
Verwundet bin ich von dem Haar allein
Und deiner Augen Schein.


EGO COMPARABILIS

Ich bin der Minne ganz geweiht,
Bin zu der Minne ganz bereit!
Gefallen mir des Minners Blicke,
So leg ich ihm der Minne Stricke.
Und wer mich jagen und mich fangen will,
Dem spiele ich mein Liebesspiel.
Wenn er mich möchte haben lieb,
So muß er rauben mich als wie ein Dieb.
Tut er mir dann nach meinen Lüsten,
Gar keusch ihn meine Lippen küssten.
Er schließlich wird mein Sieger sein.
Nun prüft das selbst, wie das kann sein.


SICUT LILIUM INTER

Der Lilie unter Dornen
Ich gleiche der Erkornen
Gestalt, die ohne Makel – Heil!
Du lässest haben an Glückseligkeiten teil,
O Reine du, vor allen Frauen klar,
O Fraue, schön und gut und wahr!


FAWUS DISTILLANI

Du bist wie Honig deinem Bräutigam,
O Braut, die Küsse dein sind süß wie Rahm,
Du meine Eine, meine reine Braut,
Vielliebe Vielgeliebte, Herzenstraut!
Und deines Kleides süßer Liebesduft
Berauschend ist wie Weihrauch in der Frühlingsluft!


EMISSIONES

Mein Liebchen ist ein Paradies,
Die Liebe, die da weise ist und süß,
Ist wie des goldnen Apfels Preis,
Des bist du würdig, wie ich weiß.
Der Duft von deinem feinsten Lenzgewand
Ist mir im Innersten bekannt,
Ist Narde Indiens und Myrrhe gar,
O Fraue, dreimal wunderbar!


ECCE TU PULCRA

O neue Eva, Liebe, ach wie schön du bist!
So sanft und süß und schön zu aller Frist!
Du aller Schönheit Überschöne!
Vor allen Lieben ich dich kröne!
O deine Augen, die das Herz mir rauben,
Sind friedlich liebevoll wie Turteltauben!


FONS ORTORUM

O Schöpferin aller meiner Wonnen!
O Ursprung aller Liebesbronnen!
O du des Lebenswasser Fluß
In Überschwang und Überschuß!...

[Inhalt]

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