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DIE MEERJUNGFRAU

Von Peter Torstein Schwanke

Geschrieben als eine Seelenmesse zum fünfzehnten Jahrestag der Geburt im Himmel meiner seligen Großmutter Paula Margarethe Meyer und meiner Bekehrung zum lebendigen Gott der Liebe durch Christus. 25. Januar 2008.


„Sie ist bei mir, sie ist glücklich! Sie ist dein Schutzengel im Himmel! Gehorche der Großmutter!“
(Maria von Medjugorje)

„Das Meer ist la mamma, als la mer la mère, als Meer die Mutter, die Frau.“
(Eugen Drewermann)



ERSTER GESANG

Liebe Margarethe Schwanke,
Du Großmutter eines Dichters,
Komm, erzähle uns dein Märchen
Von der Meerjungfrau der Nordsee!

Margarethe Schwanke also
Hob das dünne Zitterstimmchen.
Ihre Lesebrille ruhte
Auf der Bibel deutscher Sprache.

Sieh, es war einmal in Norddeich,
Lebte da ein armer Fischer,
Der zwölf schöne Töchter hatte,
Drunter auch zwei Dioskuren.

Diese wunderschönen Mädchen
Waren all gesund und zierlich.
Bei der lieben Eltern Armut
Unbegreiflich war die Reinheit.

Immer hatten sie zu essen,
Ja, selbst Butter auf dem Brote,
Trugen allzeit saubre Kleider,
Sonntags ihre schönsten Kleider,

Weil sie sonntags immer gingen
In der Gotteskirche Arche,
Gott zu singen und zu hören
Ihren Pfarrer Weisheit lehren.

Aber böses Volk in Norddeich
Sprach: Der arme Fischer sicher
Ist ein alter Hexenmeister,
Murmelt immer Zauber-Runen.

Aber nein! Die Frau des Fischers
Hatte heimlich eine Freundin,
Die ihr diesen Segen schenkte,
Die die lieben Kinder pflegte,

Wickelte die kleinen Kinder,
Putzte ihre Rotzenasen,
Sang den Kindern Wiegenlieder,
Las auch aus der Kinderbibel.

Als die Frau des Fischers nämlich
War ein junges schönes Mädchen,
Träumte sie zu Sankt Johannis,
Sah im Traume eine Dame,

Sprach die Dame in dem Traume,
Daß das Mädchen zu Johannis
An die Nordsee treten solle.
Dann vergaß den Traum das Mädchen.

In der Sommernacht die Menschen
Am Johannisfeuer saßen,
Hört das Mädchen leis ein Stimmchen
Etwa wie ein Bienensummen:

Geh zur Nordsee, liebes Mädchen,
Von der Nordsee kommt dir Segen!
Zwar erschrak das junge Mädchen,
Aber trat doch an die Nordsee.

Auf dem Deiche vor der Nordsee
Sah sie sitzen jene Dame,
Königlich, in weißen Kleidern,
Um den Hals ein Perlenkettchen.

Sah die Dame, wie das Mädchen
Sich entsetzte, sprach die Dame:
Habe keine Angst, mein Mädchen,
Denn ich bring dir Gottes Segen!

Schau, im Märzen wirst du freien,
Wird dein Freier sein ein armer
Fischer, nimm ihn doch zum Manne,
Stör dich nicht an seinem Branntwein.

Weil du gut bist, liebes Mädchen,
Bringe ich dir Gottes Segen.
Sei nur fleißig, sie nur sittsam,
Ohne Tugend keine Freude.

Hast du dann ein Kind geboren,
Brings zur Taufe in die Kirche.
Wirf ein Steinchen in die Nordsee,
Dann erscheine ich dir wieder.

Und ich komme in die Kirche
Gottes zu des Kindes Taufe,
Werde deines Kindes Patin,
Deines Kindes Patenmutter.

Damit schwand die schöne Dame.
Und das Mädchen hätt gezweifelt
An der Dame, hielte sie nicht
In der Hand ein weißes Steinchen.

Doch im Märzen kam der Freier,
Wie die Dame prophezeite,
Hochzeit wurde bald gefeiert
Unterm Orgelspiel der Sturmflut.

Siehe da, neun Monde später
Hat ein Kind geborn die Gattin,
Eine Tochter, und sie dachte
An die Dame von Johannis.

Und sie eilte an die Nordsee,
Warf ins Meer das weiße Steinchen,
Da erschien die schöne Dame,
Weißverschleiert, weißgekleidet.

Dank, dass du mich nicht vergessen,
Sprach zur Frau die schöne Dame,
Bring die Tochter nur zur Taufe,
Ich komm dann als Patenmutter.

An dem Tag der Taufe nahte
Nun fürwahr die schöne Dame,
Nahm die Tochter in die Arme,
Gab ein Küsschen auf die Stirne,

Legte in das weiße Taufkleid,
In die weiße Linnenwindel
Einen Taler mit dem Bilde
Der Meerjungfrau ganz aus Silber.

Also wars bei jeder Taufe,
Bis zwölf Töchter sind geboren.
Bei Geburt des letzten Kindes
Sprach zur Frau die schöne Dame:

Fortan wirst du mich nicht sehen,
Aber ungesehen will ich
Deine Kinder stets begleiten
Und mit Gottes Gnade segnen.

Feiern deine Töchter Hochzeit,
Gib als Brautgeschenk den Taler
Ihnen, den ich bei der Taufe
Legte in die Linnenwindel.

Sorge, dass die Töchter allzeit
Schöne saubre Kleider tragen,
Schönste Kleider tragen sonntags,
Gehen zu dem Gottesdienste.

O die Kinder waren herrlich,
Eine wahre Lust und Wonne!
Lebten zwar in großer Armut,
Aber stets in Gottes Gnade.

Nun die erste Tochter freite
Einen schönen reichen Wirtssohn
Und als Brautgeschenk das Mädchen
Brachte mit der Taufe Taler.

Als die Männer nun den Koffer
Mit des Mädchens Sachen hoben,
War er schwer vom vielen Golde,
Hunderttausend goldnen Talern.

Alle andern Töchter fanden
Eilends ebenfalls Gemahle,
Da ihr Reichtum weitberühmt war,
Nannte man sie goldne Schätzchen.

Einer dieser Schwiegersöhne
Aber war ein Mammonsklave,
Gierig nach dem gelben Gelde,
Nicht zufrieden mit der Liebe.

Ging der Schwiegersohn zum Vater,
Sprach: Gib mir noch mehr vom Golde,
Unersättlich bin ich, durstig
Nach dem Segensstrom des Geldes.

Sprach der Vater: Ach ich armer
Fischer, habe nichts zu geben,
Alles war ja reine Gnade
Nur der lieben Patenmutter.

Doch der Schwiegersohn voll Geldgier
Glaubte nicht dem armen Vater,
Sprach vorm Pöbel, dieser Fischer
Sei ein alter Hexenmeister,

Habe durch den Pakt mit Satan
Große Truhen voll des Goldes.
Doch der Fischer, fromm und gläubig,
Bangte nicht vor Satans Listen.

Doch die Obrigkeit von Norddeich,
Staat und Kirche, hörten beide
Von dem alten Hexenmeister,
Untersuchten diese Sache.

Und der Schwiegersohn und alle
Schwiegersöhne aller Töchter
Und die Obrigkeit von Norddeich
Kamen zu dem Haus des Fischers.

Plötzlich war da großer Lichtglanz,
Über Bäumen goldne Wolken,
Sichtbar ward ein Schloß von Golde,
Buntglas, Spiegeln, Perlen, Kerzen.

Vor dem Tor zwei Helden standen,
Hohe blonde Friesenhünen,
Goldne Schwerter in den Händen,
In den Händen Feuerschwerter.

Trat ein Jüngling vor im Samtkleid,
Sprach: Die Königin gebietet,
Daß der Richter zu ihr trete.
Und der Richter folgt dem Jüngling.

Wer beschreibt die Herrlichkeiten
In der Königin Palaste?
Der Palast schien eine Kirche,
Schien ein großer Tempel Gottes.

In der Mitte auf dem Throne
Saß in Gold die schöne Dame
Und dabei auf goldnen Thronen
Zwölf Jungfrauen hochentzückend!

Da der Richter sich verneigte,
Sprach die Königin, die Dame:
Warum kommt ihr wie die Räuber,
Den Gerechten zu ermorden?

Antwort wollt der Richter geben,
Aber Angst lähmt ihm die Zunge.
Sprach die Königin: Ich kenne
Eure Listen, Trügereien!

Und der schönen Dame Diener
Nun den Schwiegersohn in Fesseln
Und die Schwiegersöhne alle
Sie in Eisenketten brachten.

Sprach die Königin, die Dame:
Meerjungfrau von Gottes Gnade
Bin ich, Königin der Meere,
Nymphe Gottes, Stern der Meere!

Meine lieben Patenkinder
Stehen unter meinem Schutze,
Meine liebe Frau, das Mädchen,
Und der treue arme Vater,

Alle meine Kinder, alle
Töchter und die Dioskuren,
Die ich in der Taufe annahm,
Daß sie meine Kinder seien!

Ihnen soll kein Unglück, Unheil
Widerfahren, sondern freudig
Sollen sie in Licht und Schatten
Meiner Liebe sich erfreuen!

Aber ihr, der Geldgier Sklaven,
Ihr, die lästerlichen Zungen,
Ihr sollt siebenhundert Jahre
In dem Fegefeuer schmoren!

Da verschwand die schöne Dame,
Die Taufkinder dieser Dame
Aber gingen in das Kloster,
Das Marienkloster Nordens.

Also die Großmutter sagte,
Lächelnd Margarethe Schwanke
Sagte zu dem Enkelsohne,
Welcher die Großmutter liebte:

Komm, trink mit mir vom Liköre,
Nasche von dem Salzgebäcke,
Schon dein Nachthemd auf dem Ofen
Angewärmt ist für die Nachtruh,

Daß in Frieslands Federbetten
Du gemütlich schlafen mögest
Und in deinen Träumen schauen
Gottes Gnade, Gottes Mutter!



ZWEITER GESANG

Liebe Margarethe Schwanke,
Du Großmutter eines Dichters,
Tröste deinem Enkelsohne
Alle Leiden seiner Seele!

Und entrücke in die Reiche
Schöner Märchen seine Seele,
Komm, du große Mutter Muse,
Singe uns dein Lied zum Troste!

Lieber Enkelsohn, mein Dichter,
Hör prophetisch nun mein Märchen:
War einmal ein frommer Jüngling,
Suchte Gott von ganzem Herzen.

Liebte er ein junges Mädchen,
Siebzehn Jahre jung das Mädchen,
Trug das Mädchen auch den Namen
Unsrer Lieben Frau Maria.

Und der Jüngling liebt das Mädchen,
So als sei sie selbst Maria,
Unsre Liebe Frau Maria,
Doch sie war ja nur ein Mädchen.

Sah der Jüngling nun das Mädchen
An dem Strand der Insel Baltrum
In der Nordsee, wo das Mädchen
Muscheln sammelte am Strande.

Weht der Wind in ihre Locken,
Lange, dunkelbraune Locken,
Ging sie in dem weißen Kleide,
Seide, weiß wie Schaum des Meeres.

Sah der Jüngling an sein Mädchen,
Sah er von des Strandes Ende
An dem Strand am andern Ende
Stehn sein vielgeliebtes Mädchen.

Winkte gar das schöne Mädchen,
Lächelnd lieblich voll Verheißung,
Schien ihm eine Himmelsjungfrau,
Eine himmlische Erscheinung.

Plötzlich sah der Jüngling aber
Mitten in der Mordsee Nordsee
Vor dem Strand der Insel Baltrum
In dem Meere seine Amme.

Sah der Jüngling seine Amme
Kämpfen mit der Mordsee Nordsee,
Mit dem blanken Hans, dem Tode,
Sah er seine Amme ringen.

Und die liebe Kinderamme
Ward verschlungen von den Fluten!
Doch der Jüngling, blind vor Liebe,
Eilte zu dem jungen Mädchen.

Zwar vernahm er noch die Stimme
Seiner lieben Kinderamme
Hilfe rufen: O mein Liebling,
Mich verschlingt die Mordsee Nordsee!

Doch der Jüngling wie ein Tauber
Hörte nicht der Amme Stimme,
Hörte nur in seinen Ohren
Seines Blutes Liebe rauschen.

So versank die liebe Amme
In der Flut der Mordsee Nordsee,
Aber nur drei Augenblicke,
Tauchte wieder auf die Amme,

War nicht mehr die alte Amme,
War Meerjungfrau jetzt der Nordsee,
Meeres Mädchen schönster Jugend,
Eine Göttin, Baltrums Venus!

War die allerschönste Jungfrau,
Schlank und weiß wie eine Birke,
Nur in einem Schaumgewande
Und geschmückt mit Perlenketten,

Nur im Lichtkleid weißen Schaumes
Sie spazierte auf dem Wasser,
Wie dereinst der Christus Jesus
Auf dem Meer von Galiläa!

Schöner war des Meeres Jungfrau
Wandelnd auf dem Wasserspiegel
Als das schlichte deutsche Mädchen
Stehend an dem Strand von Baltrum.

Da ergriff den frommen Jüngling
Solche Sehnsucht nach der Jungfrau,
Nach des Meeres Göttermädchen,
Sankt Meerjungfrau, seiner Göttin,

Daß er ganz das deutsche Mädchen
An dem Meeresstrand von Baltrum
Und die Minnelust vergessen
Und die sterbliche Geliebte,

Daß der fromme Jüngling einzig
Sankt Meerjungfrau, seiner Göttin,
Nachsah voller heißer Sehnsucht
Und Verlangen nach der Jungfrau,

Nur Verlangen nach der Jungfrau,
Nur Verlangen nach der Göttin
In der frommen Seele, alle
Seine Minne galt der Meermaid!

Sankt Meerjungfrau, schönstes Mädchen,
Wie der Schöpfer sie gebildet,
Schwamm sie stolz wie eine Schwanin,
Weiße Schwanin, auf dem Schaume,

Badete den Schwanenbusen
In dem weißen Meeresschaume,
Mit dem langen Schwanenhalse
Taucht sie in den Wasserspiegel.

Immer weiter schwamm die Schwanin,
Immer weiter in die Ferne,
Bis dahin, wo sich die Nordsee
Mit dem Horizont vereinigt.

Nur von Zeit zu Zeit die Schwanin
Wendete zum frommen Jüngling
Liebevoll ihr Jungfraun-Antlitz,
Voller Zauber, Charme und Schönheit!

Und der Jüngling voller Sehnsucht,
Ins Unendliche ihr folgend,
Schwand dahin in Meer und Himmel,
Schwand in den Unendlichkeiten.

Aber du, mein lieber Junge,
Sagte Margarethe Schwanke,
Sei nun länger nicht mehr traurig.
Aber bist du einmal traurig,

Denke an Großmutters Märchen,
An Großmutters Mutterliebe,
In der Mitternacht der Trauer
Schreib als Dichter auf das Märchen,

Und du merkst, die Trauer schwindet
Mit dem Singen dieses Märchens.
Aber nun, mein lieber Junge,
Segne dich die Mutter Gottes!



DRITTER GESANG


Muse, Margarethe Schwanke,
Leg die Brille auf die Bibel,
Auf die Bibel deutscher Sprache
Des Poeten Martin Luther.

Wende dich zu mir, dem Dichter,
Der schon längst im Himmelreiche
Zu der Seraphinen-Harfe
Gott Jehowah preisen möchte!

Ach, mein lieber Junge, lächelt
Meine Muse, Margarethe
Schwanke, bleibe noch auf Erden,
Ruhm zu schaffen der Madonna!

In den guten alten Zeiten,
Ach, da lebten bessre Menschen,
Denen auch der Herr des Himmels
Manches Wunder offenbarte,

Die verborgen heutzutage
Oder nur von Sonntagskindern
Noch erfahren werden, Wunder,
Die der Herr des Himmels wirkte.

Vögel singen zwar noch heute,
Tauben gurren auch noch heute,
Doch die Menschenkinder leider
Nicht verstehen mehr die Sprache,

Wie sie weiland Salomonis
Weisheit oder auch Franziskus’
Armut sie verstanden, all das
Gotteslob der Nachtigallen.

Bei der Herrlichkeit von Dornum
An dem grauen Meer der Nordsee
Lebte einst des Meeres Mädchen,
Die sich oft den Menschen zeigte.

Wahrlich, noch mein Urgroßvater
Sah als Seemann diese Meermaid,
Seine Base, das Mariechen,
Oftmals sah des Meeres Jungfrau.

Manchmal kam die Jungfrau Kindern
Nah als kleines schwarzes Lämmchen
Oder auch als kleines Pony
Oder auch als Turteltaube.

Oftmals ließ sie sich’s gefallen,
Daß die Kinder mit ihr spielten,
Denn die Jungfrau liebte Kinder
Fast so wie die Engel Gottes.

Wie mein Urgroßvater sagte
Und Mariechen dies bestätigt,
Saß die Jungfrau sonntagsmorgens
An dem Meer besonders strahlend,

Wehte in dem Wind ihr Schleier,
In der Hand die Perlenkette,
Sah sie auf das Meer als auf den
Ozean der Gnaden Gottes!

Sang die Jungfrau solche Lieder
Von der güldnen Sonne Gottes,
Daß die Menschenherzen schmolzen
Von dem süßen Stil der Jungfrau.

Aber scheu und schüchtern war sie,
Duldet nur noch kleine Kinder,
Die erwachsnen Menschen floh sie,
Deren Herzen waren steinern.

Nur die lieben Kinderherzen
Sind so rein wie Engelherzen
Und allein die reinen Herzen
Werden Gottes Schönheit schauen!

In der Herrlichkeit von Dornum
Lebte einst ein Schornsteinfeger,
Seine Ehefrau war fleißig,
Die zwei Söhne ihm geboren,

Einer war, der Erstgeborne,
Wie der Vater und die Mutter
Fleißig, er wird einst auch werden
Wie der Vater Schornsteinfeger.

Doch der Jüngere der Söhne
War ein Taugenichts und Träumer,
Ein Poet und Grillenfänger,
Haschte immer nach dem Winde,

Haschte nur nach Luftgespinsten,
Nach der Träume Seifenblasen,
Nach dem Wolkenkuckucksheime,
Wandelte im Schlaf mondsüchtig,

Sprach im Wald mit Turteltauben,
Küsste Frösche, haschte Falter,
Sammelte am Strand die Muscheln,
Lebte wie im Arm der Götter!

War er aber unter Menschen,
War er schweigsam. Die Erwachsnen
Nannten ihn den Träumer, nannten
Ihn den Taugenichts, den Toren.

Aber wenn im Herbst die Stürme
Wühlten auf die Meeresbrandung,
Lief er nackend an die Nordsee
Wie ein Barfußmönch des Meeres,

Und er warf sich in den Nachen,
Lachte laut wie eine Möwe,
Fuhr dahin wie eine Wildgans,
Schaukelnd auf dem Schaum des Meeres,

Jauchzte in der Meeresbrandung,
Sprach zum Wind: O Gott, wie herrlich,
Wie gewaltig deine Sprache,
Gott, dein Wort ist Windes Brausen!

Aber faul war dieser Knabe,
Jede Arbeit ließ er liegen,
Ob der Vater mit der Rute
Ihn auch oftmals drum gezüchtigt.

Gab der Vater ihn als Diener
Einem alten Seemann, aber
Lange hielts nicht aus der Jüngling
In der Sklaverei der Arbeit.

Zählte eben siebzehn Jahre,
Als er von dem Schiffe kehrte
In die Herrlichkeit von Dornum,
Doch das Haus des Vaters meidend.

War fürwahr ein schöner Jüngling,
War so schlank wie eine Birke,
Pfirsichweich die glatte Wange,
Goldblond seine wilden Haare.

Zwar zuhause bei dem Vater
Und der Mutter war er schweigsam,
Doch er wusste schön zu reden
Von der Schönheit junger Mädchen.

Seine Märchen von der Nordsee,
Seine süßen Liebeslieder
Manch ein Mädchen wohl betörten,
Er war Magier des Wortes.

Aber doch zum Ehemanne
Wollt ihn keins der schönen Mädchen:
Taugenichts, du bist ein Träumer,
Du liebst ja nur eine Traumfrau,

Liebst nicht mich, das arme Mädchen,
Staub vom Staub, des Lehmes Rippe,
Liebst ja nur die schöne Traumfrau,
Liebst ja nur der Nordsee Venus!

Also sprachen alle Mädchen,
Eine nach der andern, immer
Sagten alle sie das gleiche.
Trat der Träumer an die Nordsee,

War ein schöner Sommerabend,
Schon versunken war die Sonne,
Einsam schien der Stern der Venus
Auf dem Ozean des Himmels.

An dem Strande ging der Träumer,
Hörte die Meerjungfrau singen,
Dachte er: Sie ist ein Mädchen,
Wird sie mir ja niemals schaden.

Nach ging er dem Lied der Jungfrau,
Schaute an die schöne Möwe,
Stieg er auf den Deich und schaute
Die Meerjungfrau in der Nordsee

Mit dem Schleier auf dem Haupte,
Quollen draus die langen Haare,
Sang ein wunderschönes Lied sie,
Sang das Lied der Schmerzensmutter:

Ach, dahin ist meine Ruhe,
Wehe, wehe, wehe, wehe,
Du allein kennst meine Schmerzen,
O du Mater Dolorosa!

Wünschte sich der Jüngling tausend
Ohren, dieses Lied zu hören,
Wünschte sich der Jüngling tausend
Augen, diese Frau zu schauen!

Sah die Jungfrau zwar den Träumer,
Doch sie floh nicht vor dem Träumer,
Kam sie lächelnd ihm entgegen,
Reichte ihm das schlanke Händchen,

Sagte: Lang hab ich gewartet,
Daß du kommst, geliebter Träumer,
Weil der Herrgott mir in Träumen
Deine Ankunft prophezeite.

Keiner liebt dich von den Menschen,
Keine liebt dich von den Frauen,
Fremd bist du im Elternhause,
Fremd auch unter allen Leuten.

Aber ich war immer mit dir,
Ungesehen deine Schutzfrau,
Komm mit mir, mein kleiner König,
Sei der Königin Geliebter!

Jeden Wunsch will ich erfüllen
Deiner Seele, will dich hüten
Wie den Apfel meiner Augen,
Sollst der Mann sein der Meerjungfrau!

Dieses Wort der schönen Jungfrau
Traf als Feuerpfeil im Herzen,
Sprach der Träumer zu der Jungfrau:
Jungfrau, wo ist deine Wohnung?

Sprach die Jungfrau: Komm, mein Träumer,
Eilen wir mit Sturmes Eile,
Habe du nur fest Vertrauen,
Kommst so bald in meine Wohnung.

Da bedachte sich der Träumer,
Zweifel bang ihn überfielen,
Dachte er, was Menschen reden
Von der Meerjungfrau der Nordsee.

Sprach er: Laß mich nur bedenken,
Mich bedenken nur drei Tage.
Gab sie ihm von reinem Golde
Einen Ring an seinen Finger.

Mögest du mich nie vergessen,
Sprach sie, kommst du aber wieder,
Wird aus diesem Freundschaftsringe
Gar ein Ringlein der Verlobung.

Dann zerfloß sie in den Lüften,
Stand der Träumer wie im Traume,
Glaubte seinem Traume nimmer,
Wär da nicht der Ring gewesen.

Aber mit dem Ring der Jungfrau
War der Geist in ihn gefahren,
Ließ ihn ruhen nicht noch rasten,
Saß er bald am Meere wieder.

Saß er hungrig da und durstig,
Klebt die Zunge ihm am Gaumen,
Harrt er träumend auf den Abend,
Daß die Jungfrau ihm erscheine.

Sank die Sonne an dem Abend,
Wer nicht kam, das war die Jungfrau.
Möwen bargen ihre Schnäbel
Müde in dem Federkleide.

Weinen musste da der Träumer.
Ach, er wollte gerne sterben,
Hätt sich selber fast ermordet
Gar aus Sehnsucht nach der Jungfrau!

Trübsal war die Nacht der Seele,
Öde war der Tag, der folgte,
Abends saß er voller Trauer
Auf dem Deich am Rand der Nordsee.

Kommt sie heute nicht, die Jungfrau,
Ach dann will ich nicht mehr leben!
Sei willkommen, Tod, mein Heiland,
Zeige sich das Jenseits freundlich!

Lang saß er in Gram versunken,
In den Ängsten seiner Seele,
Tief beschattet von den Schatten,
Trunken von dem dunklen Kummer.

Plötzlich fühlt er eine weiche
Hand auf seiner Träumerstirne,
Schlug er auf die feuchten Augen,
Sah er hochentzückt die Jungfrau.

Ach ich kenne deinen Kummer,
Sprach sie, hörte deine Seufzer!
Lang die roten Lockenfluten
Um den nackten weißen Körper,

Ihre langen roten Locken
Deckten keusch die nackten Brüste,
Trug sie auch ein kurzes Röckchen
Mit den Mustern von Mäandern.

O Madonna Aphrodite,
Ach verzeih und hab Erbarmen,
Daß ich lang gezögert habe,
Bin nun dein in Ganzhingabe!

Lachte die Meerjungfrau heiter,
Girrte wie ein junges Mädchen:
Taugenichts, du sollst nicht sterben,
Ich will dich zum Ehemanne!

Nahm den Jüngling bei den Händen,
Führte ihn zum Meere, plötzlich
Stürzten sie und er ins Wasser,
Da verlor er sein Bewusstsein,

War entrückt, ich aber weiß nicht,
War die Seele noch im Leibe,
War sie außerhalb des Leibes,
Schwamm er in dem Meer der Liebe!

Fand er sich in weichen Kissen,
Sich auf einem seidnen Bette,
Das Gemach von Glas und Spiegeln,
Roter Samtstoff an den Wänden.

Lebte er noch, war er tot schon?
Ah, er reckte seine Glieder,
Fasst die Nase mit den Fingern,
Rieb die Nase: Ja, er lebte!

Angetan mit weißem Hemde,
Angetan mit blauer Hose,
Dehnte er sich in dem Bette,
Ja fürwahr, er war lebendig!

Traten ein zwei schöne Mädchen:
Herr, was möchtet Ihr zum Frühstück?
Gab es Lachssalat und Schwarzbrot,
Eine große Kanne Kaffee.

Und der Taugenichts im Bette
So ekstatisch faul sich reckte
Und sich streckte, und die Mädchen
Kamen wieder zu dem Träumer.

Herr, nun wandelt in den Garten,
Bis die Frau sich angekleidet,
Sich gekämmt die langen Haare
Und das Frühstück eingenommen.

Fand der Taugenichts im Garten
Lauter Schönheit, Tannenzapfen,
Silberbirnen, goldne Äpfel,
Vögel auch mit goldnen Flügeln.

Die zwei Mädchen zu dem Träumer
Traten in dem Wundergarten,
Ihn herumzuführen, alle
Zier und Schönheit ihm zu zeigen.

Kam er an den Rand des Teiches,
Spielten dort verliebte Enten
Und als Ehemann und Gattin
Höckerschwan und Höckerschwanin.

Schimmerglanz der Morgenröte!
Rosenarmige Aurora
Streute mit den Rosenfingern
Rote Rosen auf die Erde.

Große goldne Honigbienen
Flogen um die Lindenblüten.
Und die beiden Mädchen sprachen,
Daß die Frau ihn nun erwarte.

In der Halle großen Kirche
Thronten wunderschön zwölf Jungfraun,
Auch zwei Throne da von Golde
Strahlten, königliche Throne.

In dem einen saß die Herrin,
Saß die Königin des Meeres,
Doch der andre Thron, der leere,
War der Königsthron des Träumers.

Sprach die Königin des Meeres:
Dieser Träumer ist mein Gatte!
Meine Mädchen, ehrt den Träumer,
Ehrt den Taugenichts, ihr Mädchen!

Nahm die Königin des Meeres
An die schlanke Hand den Träumer,
Führte ihn durch alle Kammern,
In die siebte Kammer schließlich.

Hier erkannte er die Jungfrau,
Die Meerjungfrau seiner Seele,
Nacktes Weib mit roten Locken,
Weib mit rötlichblonder Haarflut.

O Madonna Aphrodite,
Rief der Taugenichts ekstatisch.
Sprach die Herrin: Lieber Träumer,
Nenn mich nicht mehr Aphrodite,

Nenne mich den Meerestropfen
Oder auch den Stern des Meeres,
Nenne Meer mich der Erleuchtung,
Ozean der Gnaden Gottes!

Ich blieb immer reine Jungfrau,
Unverletzt am Mädchentume,
Bin die Königin des Meeres,
Königin der Schönen Liebe!

Stumm vor Seligkeit der Träumer,
Bis das Bier die Zunge löste,
Speiste er auch gut und lecker,
Hering, Brot und Rote Beete.

Konnte er sich unterhalten
Mit der Königin der Liebe
Und begann auch übermütig
Einen Witz ihr zu erzählen.

Abends sprach zu ihm die Jungfrau:
Morgen, lieber Mann, am Freitag
Muß ich beten, muß ich fasten,
Christus such ich am Karfreitag!

Du darfst mich beim Freitagsfasten
Nicht beschaun, laß mich alleine,
Meine beiden Dienerinnen,
Meine Mädchen, solln dich trösten.

Also an dem Freitagmorgen
Sah der Taugenichts die Jungfrau
Nirgends. Zwar die Mädchen scherzten,
Herzten, aber er blieb traurig.

Und so ging es jeden Freitag.
Zweifel wuchs im Herz des Träumers,
Speise wurde ihm zum Ekel
Und der Schlummer ihm zum Alptraum.

An dem Freitag im Aprile
Trat er vor der Jungfrau Kammer,
Wo sie einsam hielt ihr Fasten,
Einsam betete zu Christus.

Spionierte nun der Träumer
Durch das Schlüsselloch der Pforte.
O Mysterium des Schreckens,
Faszinierendes Geheimnis!

Sah er doch des Meeres Jungfrau
Nackt mit schönen bloßen Brüsten,
Aber statt des Unterleibes
Sah er eine goldne Schlange!

Dreimal hörte er das Krähen
Eines Hahnes auf dem Miste.
Traurig war er, voller Schwermut,
Tief verwirrt an seinem Geiste.

Abends kam des Meeres Jungfrau,
Doch in schwarzen Trauerkleidern,
Vor dem kummervollen Antlitz
Trug sie einen schwarzen Schleier.

Sprach sie voller Schmerz und Jammer:
Weh dir, Tor! Wir müssen scheiden,
Siehst mich heut zum letzten Male,
Mußt zurück du auf die Erde.

Riß der Himmel auf mit Blitzen,
Sprach der Himmel Donnerworte,
Bebte Meer und Mutter Erde,
Wie ins Nichts versank der Träumer!

Fand sich wieder an dem Strande
Bei der Herrlichkeit von Dornum
An dem grünen Deich der Nordsee,
Saß er da in Bettlerlumpen.

In der Herrlichkeit von Dornum
Sucht bei der Allee der Birken
Er das Haus des Schornsteinfegers,
Aber leer war diese Wohnung.

In der Herrlichkeit von Dornum
Bei dem Schloß und bei der Kirche,
Nirgendwo war ein Bekannter,
Er war fremd auf dieser Erde.

Frug er einen Rinderhirten
Nach dem Schornsteinfeger, aber
Staunend sprach der Rinderhirte:
Was fragst du nach diesem Manne,

Der seit dreißig Jahren tot ist?
Und wer bist du selber, Alter?
Auch des Schornsteinfegers Kinder
Alle sind schon längst begraben!

Was fragst du nach längst vergangnen
Zeiten, Greis in Bettlerlumpen,
Alter mit dem grauen Barte?
Laß doch das Vergangne ruhen!

Schaute nun der arme Träumer
Sein Gesicht in einem Spiegel:
Lebensmüde seine Augen,
Rot von Rotwein seine Nase,

Schwarz im Maul die Stummelzähne,
Braun von Tabak seine Lippen,
Sorgenfurchen auf der Stirne,
Grau der Bart und grau das Haupthaar.

In derselben Nacht verschwand er,
Ward nicht mehr gesehen, aber
Doch die graue Mordsee Nordsee
An den Strand warf seinen Leichnam.

Die Meerjungfrau aber meidet
Fortan die erwachsnen Menschen.
Nur die Kinder reinen Herzens
Manchmal die Meerjungfrau schauen.

Oma Margarethe Schwanke,
Muse eines deutschen Dichters,
Schwieg und faltete die Hände
Auf der Bibel Martin Luthers.

Oma Margarethe Schwanke,
Sprach der Enkelsohn, der Dichter,
Ach, mich schaudert vor der Schwermut
Und mich ekelt an das Leben!

Ach mein Junge, Lieblingsenkel,
Auf dem Ofen liegt dein Schlafrock,
Geh im warmen Rock zu Bette,
Schlaf den Schlummer des Gerechten.



VIERTER GESANG


Meine Gottheit, große Mutter,
Trösterin mit Mutterliebe,
Schließ mir auf das Haus der Weisheit,
Alte Weisheit schöner Märchen.

O mein wilder lieber Junge,
Sagte Margarethe Schwanke,
Höre noch ein Friesenmärchen
Von der Liebe eines Schwanes.

War es einst im Städtchen Norden
Bei dem Hügel der Druiden
Neben der Ludgeri-Kirche
Und beim Haine der Druiden,

Da, wo heut der Teich der Schwäne
Schlummert unter Trauerweiden,
Stand ein Wasserschloß, ein goldnes,
Lebten Gatte dort und Gattin,

Stolze weiße Höckerschwäne,
Höckerschwan und Höckerschwanin,
Strahlend weiße Eheleute,
Stolze Schwanenmajestäten.

Königin und König hatten
Sieben schöne Schwanenkinder,
Die drei weißen Schwanensöhne,
Die drei weißen Schwanentöchter,

Waren all der Stolz des Königs
Und der Königin, sie stammten
Von der Schwanengöttin Leda,
Lohengrin, der Schwanenritter,

War ihr Schutzpatron im Himmel.
Doch das siebte ihrer Kinder
War ihr Sorgenkind, ihr Kummer,
Eine schwarze Trauerschwanin!

Warben viele stolze Prinzen
Um die schwarze Trauerschwanin,
Weil sie schön war, schwarze Schönheit,
Wie dereinst die Sulamithin

Und die Königin von Saba.
Aber Königin und König
Waren stolz wie weiße Schwäne,
Wiesen ab die Freier alle.

Rief die Königin, die stolze:
Ehe so ein Prinz vermählt sich
Unsrer Trauerschwanin, werden
Alle wir zu wilden Schwänen!

Ach mein lieber wilder Junge,
Das war in den alten Zeiten,
Da der Herrgott die Gebete
Kaum gesprochen schon erhörte.

Königin und König wurden,
Schwanensöhne, Schwanentöchter,
Alle wurden wilde Schwäne,
Ungezähmte freie Schwäne.

Und das Wasserschloß, das goldne,
Stürzte ein und sank in Trümmer
Und an seiner Stelle schlummert
Still der Schwanenteich von Norden.

Schwamm die schwarze Trauerschwanin
In dem stillen Schwanenteiche
Unter grünen Trauerweiden,
Grüner, grüner Weiden Schleier,

Kam ein Trauerschwan von Osten
Aus dem fernen Morgenlande,
Minneritter, Minnesänger,
Warb er um die schwarze Schwanin.

Waren sie ja vor der Schöpfung
In dem Ozean der Gnaden
Gottes schon vorherbestimmte
Ewigliche Eheleute.

Da sie sich im Teich erkannten,
Gleich erkannten sie sich wieder,
Liebten sich wie vor der Schöpfung
In dem Schwanenteich zu Norden.

Flog der Trauerschwan im Maien,
Im Marienmond, spazieren,
Flog zum Teuteburger Walde,
Zu dem Teich der Externsteine.

Ging am Schwanenteich zu Norden
Unbeweibt ein armer Fischer,
In dem Schwanenpfad sein Hüttchen,
Schmutzig war es ohne Hausfrau.

Von dem Schwanenpfad der Fischer
Ging allein am Schwanenteiche,
Sah die schwarze Trauerschwanin,
Fing er sie mit einem Netze,

Nahm sie mit sich in sein Häuschen,
Lebte dort mit ihr verborgen,
Sprach nur mit der Trauerschwanin,
Denn er sprach die Schwanensprache.

Seine Wohnung wurde sauber,
Wurde das Geschirr gewaschen,
Fortgebracht die leeren Flaschen,
Staub gewischt auch unterm Sofa.

Sah der Fischer nämlich einmal,
Daß um Mitternacht die Schwanin
Sich in eine Frau verwandelt,
Schwarze Schönheit, Sulamithin,

Zierlich schlank die schwarze Schönheit,
Braun die Haut von Hals und Busen,
Schwarzer Onyxstein die Augen,
Schwarz die Lockenkunst ägyptisch,

Eine schwarze Weisheitsgöttin
Der Mysterien Ägyptens.
Von der Gegenwart alleine
War des Fischers Haus so reinlich.

Da der Fischer dieses schaute,
Diese schlanke schwarze Jungfrau,
Nahm er fort das Kleid der Schwanin,
Fort das Federkleid der Schwanin

Und verbarg es in der Truhe
Seines alten Urgroßvaters,
Eines Seemanns Schiffertruhe,
Einer Bundeslade Frieslands.

Also blieb die schwarze Jungfrau
Bei dem hochbeglückten Fischer
In dem Schwanenpfad beim Teiche
Und vergaß, dass sie ein Schwan war.

Ja, sie lebte mit dem Manne
Wie ein liebevolles Mädchen,
Eine vielgeschickte Hausfrau,
Eine Dame voller Weisheit.

Ganz vergessen war für Jahre,
Daß in Wirklichkeit die Jungfrau
Eine schwarze Trauerschwanin
War von Wesen und Bestimmung.

Doch in einem Herbste schaute
Sie die wilden Schwäne fliegen
An dem winddurchbrausten Himmel,
Diese waren ihre Brüder.

Hörte sie die Schwanenbrüder
Rufen: Komm, o Trauerschwanin,
Wilde Schwanin, in die Freiheit,
Diesen Sterblichen verlasse,

Laß den sterblichen Geliebten,
Der zur Hausfrau dich erniedrigt,
Tochter du der Göttin Leda,
Wilde Schwanin, Himmelstochter!

Zwar die schwarze Jungfrau hörte
Diesen Ruf der Schwanenbrüder,
Doch alleine mit den Ohren,
Hörte nicht mit ihrem Herzen.

In dem nächsten Herbste schaute
Sie am winddurchbrausten Himmel
Fliegen ihre Schwanenschwestern,
Die sie riefen in die Freiheit:

Bist du eines Mannes Hausfrau,
Sollst du ihm die Wohnung putzen?
Deine Mutter in dem Himmel
Ist die Große Schwanen-Göttin!

Doch die schwarze Jungfrau hörte
Mit den Ohren nur die Worte,
Nicht mit ihrem Herzen, aber
Es erwachte süße Sehnsucht.

In dem dritten Jahre schaute
Durch den Sturm die schwarze Jungfrau
Ihre Schwaneneltern segeln,
Königin und König adlig.

Schwarze Jungfrau, schwarze Jungfrau,
Bist du Sklavin eines Narren?
Du bist Königin von Adel,
Denk an deine Schwanenwürde!

Doch die schwarze Jungfrau hörte
Mit den Ohren nur die Worte,
Hörte nicht mit ihrem Herzen,
Was ihr sang die Schwanenmutter.

O du große Mutter Weisheit!
Wahrlich, in dem Herbst am Himmel
Durch den Wettersturm in Friesland
Flog ein wilder Schwan alleine,

War der Trauerschwan, der schwarze,
Trauerschwan vom Morgenlande,
Der vorherbestimmte Gatte
Er der schwarzen Trauerschwanin.

Rief er in dem Wettersturme:
O bei Jesus und Maria!
Komm, Geliebte, komm, Geliebte,
Wo der Geist weht ist die Freiheit!

Jesus schenkt den Geist der Freiheit!
Sei nicht Sklavin eines Sünders!
Unsre Liebe Frau Maria
Ist der Dichter Göttin Freiheit!

Komm, Geliebte, komm, Geliebte,
Ewigkeiten Ewigkeiten
Sind vor Gott wir Eheleute,
Trauerschwan und Trauerschwanin!

Diese Worte aber hörte
Unsre schöne schwarze Jungfrau
Mit dem Herzen in dem Busen,
Es erwachte in ihr Liebe.

Und sie schleicht sich zu der Truhe,
Zu der Bundeslade Frieslands,
Nimmt das Federkleid der Schwanin,
Und sie fliegt zu dem Geliebten!

Trauerschwan und Trauerschwanin
Über Friesland in der Freiheit
Fliegen selig wie die Götter
Zu dem Meer im Morgenlande.

Aber einsam blieb der Fischer
In dem Schwanenpfad im Häuschen,
Aber oftmals sah am Himmel
Er die wilde Schwanin fliegen.

Sie besuchte ihn noch manchmal
Und erinnerte den Fischer,
Daß die schönste Schwanenjungfrau
Einst in seinem Hüttchen lebte.

Und der Fischer denkt voll Wehmut
An die selig schönen Zeiten,
Da die Jungfrau bei ihm wohnte,
Bei ihm war die schwarze Jungfrau.

Oma Margarethe Schwanke
Schwieg und lächelte so zärtlich,
Ihre blauen Augen Himmel,
Ihre Silberhaare Wolken,

Und sie sprach zum Enkelsohne:
Speise ein gebratnes Hähnchen,
Iß dazu die Bratkartoffeln,
Geh dann, spiele mit den Kindern!



FÜNFTER GESANG


Meeresperle, Margarethe
Schwanke, o Großmutter-Schwanin,
Sing dem Schwanensänger Schwanke
Noch ein Märchen von der Schwanfrau!

Schwanensänger, deutscher Dichter,
Sagte Margarethe Schwanke,
Heut muß ich ans Sterben denken,
Will dich weihn der Mutter Gottes.

Ach, mein Enkelsohn, mein Junge,
Was wird aus dem wilden Jungen,
Wenn Großmutter stirbt? Maria
Möge dich behüten, Liebling!

Will zu Ehren der Madonna
Und des Rosenkranzes heute
Und der Sankt-Marien-Kirche
Dieses Märchen dir erzählen.

Oldenburg im Oldenburger
Land hat eine weisheitsfromme
Universität, studierte
Ein Student dort Platons Schriften.

Der Student ging nachts spazieren,
Zu erholen sich vom Denken,
Kam er zu dem Flötenteiche,
Silbern schimmernd in dem Mondlicht.

War führwahr ein runder Vollmond,
Prall und drall, ganz weiß und marmorn,
Die jungfräuliche Diana
Schien ein wahres Weib der Wonne!

Klar und rein und licht, kristallen
Schien der Vollmond wie ein Spiegel
Gottes, wie des Urlichts Spiegel,
Also Hagia Sophia.

Und die Mondin weiß sich badet
Nackt und schön im dunklen Wasser,
In dem dunklen Flötenteiche,
Diesem Teiche holder Schwermut.

In dem Schilfrohr an dem Rande
Dieses Teiches ruhen Vögel,
Erpel, Enten, Entenküken,
Auch im Schilf die Möwen ruhten.

Aber auf dem Flötenteiche
Schwamm ein Paar von Trauerschwänen,
Trauerschwan und Trauerschwanin,
Leib an Leib und engumschlungen.

Auf dem Paar der Trauerschwäne
Saß das weiße Weib des Wassers,
Lang das Seidenkleid von Lichtglanz,
Silberseide, Wassergaze.

Überm Haupt der Jungfraunschleier,
Schleier einer Nymphe Gottes,
Quoll hervor das Haar, das schwarze,
Doch mit hennaroten Strähnen.

Auf dem Haupte mit dem Schleier
Trug sie einen Kranz von Blumen,
Mohn und Malven, rote Rosen,
Blaue Iris goldnen Kelches.

Schwamm die Dame auf den Schwänen
An den Rand des Flötenteiches,
Hielt in ihrer Hand ein Zepter,
Einen Eichenzweig mit Eicheln.

Und des Flötenteiches Nymphe
Reichte dem Studenten Platons
Nun den Eichenzweig mit Eicheln,
Lächelt keusch, zugleich erotisch,

Schwamm dann auf den Trauerschwänen
Wieder in die Nacht, die dunkle.
Der Student, er ging nach Hause
Mit dem Eichenzweig der Nymphe,

Doch zuhause sah der Jüngling,
Daß der Eichenzweig der Nymphe
Eicheln trug von reinstem Golde,
Hochkarätig goldne Eicheln.

Und er ging zum Juweliere
In der Innenstadt und tauschte
Diese goldnen Eicheln gegen
Schmuck für seine Vielgeliebte.

Denn beim Flötenteiche wohnte
Seine Freundin im romantisch
Wilden Garten in dem alten
Bauernhäuschen hoch romantisch.

Dieser schenkte er nun Schmuckstück
Über Schmuckstück, goldne Spangen
Für die langen schwarzen Haare,
Silberreifen für die Arme,

Schlangenringe für die Finger
Ihrer schlanken weißen Händchen,
Einen Mondstein an dem Ohrring
Für das Muschelohr der Schönen,

Lapislazuli am Kettchen
In der Art des Jugendstiles
Für die hochgebenedeiten
Brüste seiner Vielgeliebten,

Einen liebreizreichen Gürtel
Für die Hüfte der Geliebten,
Silberkettchen leise klingelnd
Für der Freundin schlanke Fesseln.

Also schön geschmückt die Schönheit
Saß als Meisterwerk des Schöpfers,
Als ein Kunstwerk des Erzkünstlers,
Gottes Tochter, vor dem Minner.

Saßen sie allein im Zimmer,
Fiel er nieder auf die Kniee,
Betet an der Herrin Schönheit,
Spricht von Liebe in Äonen,

Von dem Anbeginn der Schöpfung
Liebt er sie im Geiste Gottes
Und auch in der Weltvollendung
Ewigkeit wird er sie lieben!

Sieh, da trat herein die Nymphe
Von dem Flötenteich, die Jungfrau,
In dem Arm ein nackter Knabe,
Lieblich wie ein Page Gottes.

Trat des Flötenteiches Nymphe
Still zu des Studenten Freundin,
Trat die Jungfrau zu der Freundin,
Gab ihr eine Schnur von Perlen.

Ja, die lichte weiße Jungfrau,
Dame von dem Flötenteiche,
Trug die fromme Schnur von Perlen
Oft in benedeiten Händen,

Aber nun das Weib des Wassers
Legte diese Schnur von Perlen
In die schlanke Hand der Freundin
Des Studenten, Platons Jünger.

Dann verschwand die weiße Dame
Mit dem Kind, dem Pagen Gottes.
Eine feuchte Spur am Boden
Blieb zurück nach dem Besuche.

Aber des Studenten Freundin
Lebte in dem Aberglauben,
Diese Perlen seien Tränen,
Einer Liebesgöttin Tränen.

Daß die Tränen aber keinen
Schaden stiften, Unglück bringen,
Wünschte sich die schöne Freundin
Von dem Engel, dem sie glaubte.

Sagte der Student, der fromme
Jünger Platons, Jünger Christi:
Bringen wir die Schnur der Perlen
Gottes Mutter dar als Opfer!

Weihen wir die Schnur der Perlen
Unsrer Lieben Frau Maria
In der Sankt-Marien-Kirche,
Die dort steht am Flötenteiche.

Traten der Student, die Freundin,
In die Sankt-Marien-Kirche.
Warf sich der Student aufs Antlitz
Nieder vor der großen Mutter!

Weihte des Studenten Freundin
Ihre Perlenschnur Maria.
Gottes Mutter segnet liebreich
Den Verliebten und die Schöne!

Lob und Ruhm sei Gottes Mutter,
Große Mutter der Großmütter
Ist Maria, wahre Mutter!
Sagte Margarethe Schwanke.



SECHSTER GESANG


Ach Großmutter meiner Seele,
Ach wie traurig ist der Alltag,
Ach wie böse sind die Träume,
Komm und singe mir ein Märchen!

Sagte Margarethe Schwanke:
Wenn die Frau ihr Kind nicht lieb hat,
Gott liebt dich mit Liebe ewig,
O mein Enkelsohn. Nun höre!

War es auf der Insel Baltrum,
Die Großmutter eines Dummchens
Lebte mit dem Idioten
Still in einem Haus im Ostdorf.

Leider war das Dummchen hässlich,
Schielte seltsam mit den Augen,
Flohn ihn alle schönen Mädchen,
Sprach man auch vom bösen Blicke.

Gut der Idiot von Herzen
War, zu gut für diese Erde,
Gab er noch sein letztes Brötchen
All den armen kleinen Kindern.

Nannten ihn die Leute Dummchen,
Einen armen Idioten,
Weil er mehr noch als sich selber
Seinen Nächsten tätig liebte.

Vor der Hässlichkeit die schönen
Jungen Mädchen alle flohen
Und die alten frommen Leute
Sprachen von dem bösen Blicke.

Eines Tages die Großmutter
Sagte zu dem Idioten:
Balde wird vom Lebensbaume
Abgetrennt die Frucht des Lebens

Und der Apfel meines Lebens
Fällt der Großen Mutter Erde
In den Schoß zur Auferstehung,
Wird ein Baum im Paradiese!

Aber du, mein süßer Liebling,
Kleines Närrchen, holdes Dummchen,
Sei nicht bange, sei nur mutig,
Gottes Mutter wird dich schützen!

Nur in meinem Testamente
Will ich dich beschwören, Liebling,
Nimm dir keine Frau zur Ehe,
Denn die Ehe ist die Hölle!

Fürchte Gott und lies die Bibel,
Bete morgens, bete abends,
Nie Großmütterchen vergesse,
Will ich dir dein Engel werden!

Also starb die weise Alte.
Traurig ging das arme Dummchen
In den großen grünen Garten
Der Natur der Insel Baltrum.

Schaute an die Heckenrosen,
Immer schöner all die Blüten,
Immer schöner ward der Garten,
Hagebutten immer röter.

Also kam er an die Nordsee,
Saß am Strande eine Jungfrau,
Strahlend wie die Frau der Sonne,
Nackig wie sie Gott geschaffen.

Sprach die Jungfrau zu dem Dummchen:
Bade du nur in der Nordsee,
Denn ich hab das blaue Wasser
Hier in lauter Licht verwandelt!

Wenn du badest in dem Wasser,
Das von meinem Lichtglanz Licht ist,
Wirst du schön wie König David,
König Salomo und Samson!

Tauchte ein das liebe Dummchen
In das lichte Bad der Nordsee,
War er weiß und rot, erlesen,
Schönster unter Myriaden!

Sprach der wunderschöne Jüngling
Zu dem Sonnenweib, der Jungfrau:
O du Schönste aller Schönen!
Willst du mich zum Manne nehmen?

Sprach das Sonnenweib, die Jungfrau,
Nackend in der Nordsee badend:
Ich, die Meerjungfrau, ich nehme
Mir zum Mann nur einen Weisen,

Willst du also mein Gemahl sein,
Suche du der Weisheit Quelle,
Trinke von der Weisheit Quelle,
Werde weise, mein Geliebter!

Aber, sprach der schöne Jüngling,
Wo ist diese Weisheitsquelle?
Sprach die Meerjungfrau, die nackte:
Kennst du nicht dies Wort von Jesus:

Suche, also wirst du finden,
Klopfe an, dir wird geöffnet,
Bitte und dir wird gegeben!
Also mach dich auf die Wallfahrt.

Und die Jungfrau ward unsichtbar,
Blieb zurück nur Schaum des Meeres
Und die Muscheln an dem Strande.
Fing der Jüngling an zu pilgern.

Kam der Jüngling zu den Deutschen,
Zu den Deutschen auf dem Festland,
Sah er eine schöne Dame
Dort in goldenen Gewändern.

Sprach die Dame: Ich, die Goldfrau,
Bringe Segen dir des Reichtums,
Bade nur in meinem Blute,
Kriegst du goldene Paläste.

Also sprach die goldne Dame,
Biß sich in den eignen Busen
Und verschlang den eignen Busen,
Schlang das eigne Fleisch hinunter.

Wie entsetzt entfloh der Jüngling!
Floh ins Land der leichten Liebe,
In das sinnlich-süße Frankreich,
In das Reich der Troubadoure.

Dort in der Provinz der Minne
Irrte in des Lebens Mitte
Er in einem dunklen Walde
Und verirrte sich im Dickicht.

Da erschien ein Hirsch dem Jüngling,
Im Geweih das Kreuzeszeichen,
Floh der Hirsch mit großen Sprüngen,
Folgt der Jüngling nach dem Kreuze.

Kam zum Fuß der Pyrenäen,
Dort in das berühmte Heilbad,
In den Wallfahrtsort der Jungfrau,
Lourdes der Unbefleckt Empfangnen!

Sah er dort die Quelle sprudeln,
Saß daran der Heil’ge Vater,
Saß daran der Papst der Kirche,
Der so sehr Maria liebte!

Sprach der Diener aller Diener
Gottes: Trink von dieser Quelle!
Wer der Lieben Frau geweiht ist,
Der wird alsbald weise werden!

Trank der Jüngling von der Quelle,
Keusche Küsse der Madonna
Sind vergleichbar dieser Quelle
Mit dem Labetrunk der Weisheit.

Also weise ward der Jüngling.
Kam er wieder heim nach Baltrum,
Auf der Insel zu verkünden
Gottes Weisheit allen Menschen.

Trat er an den Strand der Nordsee,
Zu dem Sonnenweib, der Jungfrau,
Zu der Meerjungfrau, der nackten,
Zu der Schönsten aller Schönen!

Hatte ihr in einem Fläschchen
Etwas Wasser von der Quelle
Mitgebracht, das sie getrunken
Und ein Weib der Ehe wurde

Für drei wunderschöne Tage...
Die drei wunderschönen Tage
Lebten glücklich in der Ehe
Die Meerjungfrau und der Jüngling!



SIEBENTER GESANG


Aber du, o Herr!... sprach leise
Oma Margarethe Schwanke,
Lehre meinen Lieblingsenkel
Deine Weisheit durch ein Märchen.

Lebte einst im Oldenburger
Land in Oldenburg ein frommer
Mann, der jeden Sonntagmorgen
In die Kirche ging zur Messe.

Zwischen seiner stillen Wohnung
Und der heiligen Kapelle
War ein kleines grünes Wäldchen,
Da er gerne ging spazieren.

Im Advent am vierten Sonntag
Ging er durch das grüne Wäldchen,
Wollte zu dem Gottesdienste,
Ging zur Kirche trotz des Regens.

Aber in dem grünen Wäldchen
Strömten nieder Regenströme
Und im Regen ist erschienen
Eine Jungfrau, rein wie Wasser.

Sprach die Jungfrau in dem Regen:
Danke, dass du trotz des Regens
In die Kirche gehst, Geliebter,
Ich belohne deinen Glauben.

Sieh, ich will dich heut erwählen
Zum Gemahle meiner Liebe!
Wollen wir uns heut verloben
Und die Ehe uns versprechen!

Aber solcher Gnadengabe
Ist kein andrer jemals würdig,
Als wer gläubig jede Prüfung
Treu besteht und wahrt die Liebe.

Willst du dich mit mir verloben,
Mußt du aber sieben Jahre
In der Fremde dienen, siehe,
Sei ein Diener aller Menschen.

In den Krieg muß ich dich schicken,
Aber nicht des Teufels Kriege,
Sondern kämpfen um die Seelen
Sollst du mit der Liebe Waffen.

Karitas! sei deine Losung,
Karitas! sei deine Fahne!
Ich vertraue deiner Liebe
An die kleinen Waisenkinder.

Sei du Kindern wie ein Vater,
Sei dem Heil’gen Vater ähnlich,
Dann wird Gott der Herr dich lieben
Mehr als deiner Mutter Mutter! –

So verschwand die Regen-Jungfrau.
Und der Mann ging in die Kirche
Und verfolgte die Gebete
Aufmerksam mit wachem Geiste,

Sprach die Liturgie der Kirche:
Josef, du Gerechter, Frommer,
Nimm Maria, die Verlobte,
In dein Haus als Ehegattin!

Ging der Fromme an die Nordsee,
Auf die Insel Sylt, die schöne,
Dort im Waisenkinderheime
Nährte, pflegte er die Kleinen.

Ward zu einem Pelikane,
Einem Mutterpelikane,
Mit dem Blut des eignen Herzens
Nährte er die kleinen Küken.

Wurde eine Vogelmutter,
Breitete die Vogelschwingen,
Barg die Küken im Gefieder
An dem Pochen seines Busens.

Wurde eine Mutterglucke,
Wie die Große Glucke Jesus,
Sammelte die kleinen Küken,
Barg sie unter seinem Fittich.

War wie Jesus zu den Kindern,
Lud sie ein in seinen Himmel,
Herzte, streichelte, liebkoste,
Legte segnend auf die Hände.

Ward zu einem lieben Papa,
Den die Kleinsten Mama nannten,
Den die frommen kleinen Kinder
Für den lieben Gott gehalten.

Doch verwundet in dem Kriege,
Blutend an dem offnen Herzen,
Schrie der Fromme zu der Jungfrau,
Taucht sie lächelnd aus der Nordsee,

Schaumgeborne, Meergeborne,
Mutter sie der schönen Liebe,
Schlich sie sich in seine Kammer,
Schenkte Wein ein in den Becher.

Dieser Wein, der Jungfrau Tränen,
Wirkte wunderbare Heilung.
Und so rasch genas der Fromme,
Daß die Christenbrüder staunten.

Saß er bei den Christenbrüdern
In dem Oldenburger Lande
Und im Herzogtum Rastede,
Trank er mit den Christenbrüdern.

Sprachen seine Christenbrüder:
Sprich dich aus von dem Geheimnis
Deiner großen Kinderliebe
Und der Weisheit deiner Liebe!

Sprachen seine Christenbrüder:
Eben offen deine Wunde,
Blutete wie Wein im Becher,
Nun schon lachst du wie ein Engel!

Sprach der Fromme, der Verlobte
Jener wundervollen Jungfrau:
Der Geheimnisse Geheimnis
Ehrt man nur durch tiefe Stille

Und durch Schweigen, das ist Mystik,
Augen schließen, Lippen schließen,
Sagt ich doch von dem Geheimnis
Nicht der Mutter meines Leibes,

Nicht den Menschen dieser Erde,
Aber auch den Christenbrüdern
Sag ich nichts von dem Geheimnis,
Dem Geheimnis meiner Liebe.

Machten ihn die Christenbrüder
Trunken mit dem Wein der Franken,
Trank er allzu viel vom Weine,
Ward er wie ein Narr betrunken.

Aber Wein und wilde Weiber,
Sie betören auch die Weisen,
Leidenschaft in ihm erwachte
Und wollüstige Begierde.

Zwar des Frommen Geist ist willig,
Aber schwach das Fleisch des Menschen.
Sah er an ein Weib der Wollust,
War ein Weib wie eine Venus.

Lud der Vater dieses Weibes
Und die Mutter dieses Weibes
Ein den Frommen zur Verlobung
Mit der schaumgebornen Venus.

Und sie feierten auf Rügen,
Standen an dem Kap Arkona.
Sprach die wunderschöne Venus:
Frommer, willst du mich zum Weibe?

Sprach der Fromme: Aber, Venus,
Ich bin doch ein Gottverlobter!
Venus schüttelte die Brüste,
Ihren großen Wonnebusen!

Venus, wildes Weib voll Wollust,
Wollustvolles Weib der Wonne,
Sie entblößte ihren Busen,
Rührt den Frommen an der Lende!

Schwankend eben ward der Fromme,
Schwankend, wankend, voller Zweifel.
War es in dem siebten Jahre
Der Verlobung mit der Jungfrau.

Saß der Fromme nachts im Zelte,
Hörte er die Ostsee rauschen,
Meeresrauschen, Gottes Stimme,
Donnerte voll Macht der Himmel!

Öffnete mit lichten Blitzen
Sich der Himmel, lichte Blitze
Strahlten bis zum Throne Gottes,
Meeresrauschen, Donnerschläge!

Kam herab des Himmels Jungfrau
In dem Regen überm Zelte,
Trat die Jungfrau zu dem Frommen,
Schloß mit ihm den Bund der Ehe:

Ich will dich zum Manne nehmen,
Ist vor Gott die Ehe gültig,
Nenn mich HAGIA SOPHIA,
Gottes Frau sollst du erkennen!

Und die Jungfrau stieg gen Himmel,
Und der Fromme wie ein Singschwan
Flog zur Jungfrau in den Himmel,
Dort vollzogen sie die Ehe. –

Schau, das war mein Schwanenmärchen,
War die Mär von der Meerjungfrau,
Sagte Margarethe Schwanke,
Gottes Mutter sei dir gnädig.





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