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MEIN MÄRCHEN

Von Peter Torstein Schwanke


ERSTER TEIL
TORSTEN

„Kann man Eisen zerbrechen, Eisen und Kupfer aus dem Norden?“
(Jeremia, 16, 12)

„In der Welt sollten nur Torstens sein!“
(Wort Milans)



ERSTER GESANG

Muse, Torsten sollst du singen,
Torsten, Enkelsohn der Edda,
Singe Torstens Abenteuer
Zu dem Ruhme Jesu Christi!

War ein Mann mit Namen Helge,
Seine Frau hieß Ran mit Namen,
Helge lebte mit der Gattin
In der kalten Bucht der Sonne.

Jene von der Bucht der Sonne
Lagen früher oft im Streite
Mit den Leuten von der Kreuzbucht,
Doch inzwischen herrschte Frieden.

Lebte in der Bucht des Kreuzes
Edda mit der Tochter Dagmar,
Dagmar mit dem Ehemanne
Torarin, dem Vater Torstens.

Torarin war alt und seine
Augen waren fast erblindet.
Wikinger in seiner Jugend,
War er grob in seinem Alter.

Torsten war sehr groß und kräftig,
Dabei auch von sanftem Wesen,
Er half auf dem Hof des Vaters,
Fleißig wie der Männer sieben.

Torarin war arm, doch Waffen
Hatte viele er im Hause,
Hatte starke schnelle Pferde,
Die zum Pferdekampfe taugten.

Und bei Helge auf dem Hofe
Lebte Tord, der war der Großknecht,
Pferde-Tord ward er gerufen,
Grober Mann von großem Grimme.

Auch bei Helge auf dem Hofe
Waren noch zwei üble Kerle,
Torhall hieß der eine Maulheld,
Torwald hieß der andre Maulheld.

Pferde-Tord und Torsten aber
Kämpften in dem Pferdekampfe,
Ließen ihre Pferde kämpfen,
Kämpften selbst als gute Reiter.

Pferde-Tord schlug Torstens Renner
Mit der Peitsche auf die Augen,
Torsten schlug des andern Renner
Drauf zurück mit starkem Hiebe.

Pferde-Tord schlug mit der Lanze
Nach der Augenbraue Torstens,
Torstens Auge hing herunter,
Torsten nähte fest das Auge.

Torsten sprach zu allen Leuten,
Nichts zu sagen seinem Vater.
Torhall doch und Torwald nannten
Torsten fortan Lanzennarbe.

Winter war es vor der Weihnacht,
Der Geburt des Christus Jesus,
Frauen gingen an die Arbeit,
Torsten schlief noch in der Stube.

Torarin, der Vater Torstens,
Sagte: Tut dir weh dein Schädel?
Bist du nicht geschlagen worden?
Torsten, räche deine Ehre!

Torsten nahm sich seine Waffen,
Ritt zu Pferde-Tord, dem Großknecht,
Sagte: War es ein Versehen
Oder war es böse Absicht?

Pferde-Tord zu Torsten sagte:
Blase du nur heiße Worte!
Ob Versehen oder Absicht,
Tu ich dennoch keine Buße.

Torsten sagte: Deine Buße
Fordr’ ich nicht zum zweiten Male.
Und mit einem Todeshiebe
Schlug er Pferde-Tord zu Boden.

Da kam eine Frau gegangen,
Torsten sprach zu jenem Weibe:
Sage Helge, Tord ist tot nun,
Totgeschlagen von dem Stiere.

Sprach das Weib zu Torsten also:
Ich sags ihm, wenn ich dran denke,
Aber du geh nur nach Hause.
Torsten also ging nach Hause.

Helge aber sprach zum Weibe:
Wo ist Pferde-Tord, mein Großknecht?
Sprach das Weib: Wir armen Weiber,
Wie sind wir doch so vergesslich,

Ist kein Denken in den Weibern,
Nur ein Plappern und ein Schwätzen,
Wir vergessen unsern Hintern,
Wenn wir drauf nicht eben sitzen!

Sprach doch Torsten Lanzennarbe
Vor dem Stall, dass Tord nun tot sei,
Totgestoßen von dem Stiere,
Und ich sollte dir es sagen.

Helge ließ den Tord begraben,
Torsten vor Gericht verklagen.
Torsten saß zu Hause ruhig
Bei dem Bier und bei der Grütze.

Herbst kam mit dem Erntedankfest,
Torhall saß und Torwald bei ihm
An dem Feuer mit dem Braten,
Helge hörte beide reden.

Torhall sprach zu Torwald also:
Wir hier speisen kleine Lämmer,
Torsten aber einen Hammel,
Wann wird ihm zuteil die Strafe?

Hat er Pferde-Tord erschlagen,
Dafür ward ihm keine Strafe.
Wie will er des Mordes Flecken
Waschen ab von seiner Ehre?

Aber Torwald sprach zu Torhall:
Wird doch Helge sich nicht rächen
Und nicht Torarin, dem Vater,
Nehmen seines Alters Stütze.

Helge hörte diese Rede,
Sprach zu Torhall, sprach zu Torwald:
Reitet in die Bucht des Kreuzes,
Bringt herbei den Schädel Torstens!

Bringt vom Rumpf getrennt den Schädel
An die Tafel mir zum Frühstück,
Dann will ich aus Torstens Schädel
Mich mit Honigmet besaufen!

Torhall ritt mit Torwald also
Eilends in die Bucht des Kreuzes.
Torsten stand vor seiner Wohnung,
Spielte dort mit seinem Messer.

Torhall sprach und Torwald sagte:
Torsten, wo sind deine Pferde?
Zeig uns deine starken Rosse,
Zeig uns deine schnellen Renner.

Auf dem Weg zur Pferdeweide
Torhall rannte gegen Torsten,
Torsten schlug ihm an die Beine,
Torhall fiel und ward erstochen.

Auf dem Weg zur Pferdeweide
Torwald rannte gegen Torsten,
Torsten schlug ihm an die Beine,
Torwald fiel und ward erstochen.

Torsten nahm die Toten beide,
Band sie an den Pferdesattel,
Schickte dann das Pferd nach Hause,
Lief das Pferd zum Hofe Helges.

Helge gleich begrub die Toten
Unter der gefrornen Erde.
Still vorüber ging die Weihnacht,
Helge lag bei seinem Weibe.

Ran sprach, Helges Ehegattin:
Wovon reden so die Leute?
Was glaubst du, wovon man redet?
Hörst du nicht die Leute reden?

Alle sagen: Dieser Torsten!
Erst schlug er den Pferde-Tord tot,
Dann erstach er unsern Torhall,
Dann erstach er unsern Torwald!

Alles Volk in der Gemeinde
Will vor Torsten Lanzennarbe
Schutz durch ihren Herren Helge,
Du sollst dich an Torsten rächen!

Helge aber sprach zum Weibe:
Unverdient ward nie getötet
Einer von den Opfern Torstens,
Dennoch werde ich dir folgen.

Und so schlief der Mann beim Weibe.
Aber in der Morgenstunde
Nahm sich seine Waffen Helge,
Schwert und Schild, zu nehmen Rache.

Als das sah die Ehegattin,
Sprach sie zu dem Ehegatten:
Wo sind deine Heeresscharen,
Die du führst zum Krieg der Rache?

Helge sprach zu seinem Weibe:
Ich alleine will mich rächen!
Sprach das Weib zu ihrem Manne:
Du alleine gegen Torsten?

Helge sprach zu seinem Weibe:
Närrin, gestern Abend sprachst du,
Ich soll mich an Torsten rächen,
Heute morgen sprichst du anders.

Aber so seid ja ihr Weiber,
Abends weinen, morgens lachen,
Einmal rückwärts, einmal vorwärts,
Schwankend wie ein Schilf im Sturme.

Auch will ich davon nichts hören,
Daß ich wär zu schwach zum Kampfe,
Du sollst mich nicht länger schmälern
Und absprechen mir die Ehre!

Helge also ritt zu Torsten,
Der war in der Bucht des Kreuzes.
Torsten stand vor seiner Wohnung,
Fragte, warum Helge komme.

Helge sprach: Die Leute sagen,
Ich soll mich an Torsten rächen.
Also fordr’ ich dich zum Zweikampf,
Mög der Bessere gewinnen.

Torsten sprach: O Herre Helge,
Ich soll mich mit Helge schlagen?
Wurm bin ich und nicht ein Mensch mehr,
Fort will ich von dieser Erde!

Helge sprach: Nun komm zum Zweikampf.
Torsten sprach: Doch vor dem Zweikampf
Laß mich bitte Abschied nehmen
Noch von Torarin, dem Vater.

Torsten trat zu seinem Vater:
Helge fordert mich zum Zweikampf.
Sprach der Vater zu dem Sohne:
Lieber tot sein als ein Feigling!

Lieber will ich dich verlieren,
Als zum Sohne einen Feigling
Mir zur bittern Schmach zu haben,
Aber Helge ist der Stärkre.

Torsten kämpfte nun mit Helge,
Aber in der Abendröte
Helge sprach ermattet, dürstend:
Durstig macht mich dieser Zweikampf.

Torsten sprach zu Helge freundlich:
Trink doch Wasser aus dem Brunnen.
Helge Wasser trank vom Brunnen,
Torsten spielte mit dem Schwerte.

Wieder kämpften sie mit Schwertern,
Aber Helge sprach zu Torsten:
Halt, die Senkel meiner Schuhe
Lösten sich, ich muß sie binden.

Torsten sprach: Die Senkel binde.
Helge band die Senkel wieder,
Torsten spielte dabei friedlich
Mit dem Schwert in seinen Händen.

Und die beiden kämpften weiter.
Helges Schneide seines Schwertes
Wurde stumpf vom vielen Schlagen
Auf den Schild des starken Torsten.

Torsten sagte: Eine Pause!
Torsten holte aus dem Hause
Nun ein neues Schwert für Helge,
Neues Schwert mit scharfer Schneide.

Torsten sprach dabei zu Helge:
Über mir mein Unstern waltet,
Darum werde ich nicht siegen,
Über dir dein Glücksstern waltet.

Hätte ich dich töten können,
Ich bewies dir meine Treue,
Will dir meine Jugend weihen,
Treu dir dienen als dein Kämpfer.

Helge sprach: Erlaube aber,
Daß ich red mit deinem Vater.
Und zu Torarin, dem Vater,
Helge trat in seine Kammer.

Torarin, der Vater, fragte,
Wer in sein Gemach gekommen.
Helge sagte, Helge käme,
Torstens Tod dem Vater melden.

Hat mein Sohn sich gut geschlagen?
Also frug der Vater Helge.
Helge sprach: Ein starker Krieger
War in seinem Leben Torsten.

Aber du, o alter Vater,
Sollst an meinem Hofe leben,
Ich will wie ein Sohn dir werden
Und dich lieber Vater nennen.

Torarin, der Vater, sagte:
Von der Gunst des Herrn zu leben
Ist wohl gut im ersten Jahre,
Aber dann wird man zum Bettler.

Aber willst du mich zum Vater,
Dann tritt näher an mein Bette.
Helge trat heran ans Lager,
Torarin griff nach dem Messer.

Helge rief: Du alter Glatzkopf!
Torsten lebt, der starke Krieger,
Torsten will mir fortan dienen,
Dich will immer ich versorgen.

Torsten diente also Helge
In den stolzen Jugendtagen,
Bis er später diente besser
Seinem heilgen König Olaf.



ZWEITER GESANG


Torsten war ein Mensch voll Güte,
Allen gab er viele Gaben,
Gerne schenkte er Geschenke,
Gerne gab er all sein Geld hin.

In der Lust zu schenken maßlos,
Mahnte immer ihn sein Vater,
Seines Vaters schärfsten Vorwurf
Mußte Torsten stets ertragen.

Alles unternahm sein Vater
Zur Absicherung für Torsten,
Stets der Tadel seiner Klugheit
War: Du bist verschwendungssüchtig!

Als nun Torarin verstorben
Und vor Christus trat der Vater,
Da war Torsten überglücklich:
Muß ich ihn nun nicht mehr hören!

Vaters Rat muß ich nicht hören,
Ich kann mich nun selbst beraten.
Torsten dachte, seine Mutter
Dagmar denke auch wie Torsten.

Seine Mutter Dagmar hatte
Stets geschwiegen voller Demut,
Aber auch die Mutter Dagmar
Immer tadelte nun Torsten.

Torsten, ich bin deine Mutter,
Und als deine Mutter sag ich:
Die Verschwendungssucht macht arm dich,
So wirst du zu einem Bettler!

Aber da half keine Mahnung,
Torsten gab noch immer gerne,
Alles gab er, was er hatte,
Und er sang vom Glück des Schenkens.

Nun starb bald auch seine Mutter,
Auch die Mutter trat vor Christus,
Da war Torsten überglücklich,
Daß die Mutter nicht mehr tadelt.

Nun bin ich allein auf Erden,
Kann nun leben wie mein Herz will.
Jedem gab er Geld und Silber
Und verschenkte all sein Erbe.

Das muß ich nicht breit erzählen,
Kurz, zum Armen wurde Torsten.
Nur sein Pferd besaß noch Torsten
Und ein Beutelchen voll Silber.

Seine Freunde ihn verließen,
Arme haben keine Freunde.
Torsten ließ die falschen Freunde,
Fort ritt er auf seinem Pferde.

Torsten ritt nun öde Wege,
Seine Seele war voll Trauer,
Sicher muß er hier verlassen
Dieses Leben auf der Erde.

Wandern, wandern, weiter wandern,
Das ist alles, was er tun muß.
Auf dem Hofe eines Bauern
Bat um Unterkunft der Wandrer.

Schlief er in der Nacht sehr ruhig,
Aber morgens war der Hof leer,
Sah er vor dem Hof den Bauern
Grimmig auf dem Friedhof graben.

Warum gräbst du auf dem Friedhof?
Fragte Torsten nun den Bauern.
Sprach der Bauer: Diese Tote
Ist mir noch ihr Silber schuldig.

Unten in dem Grab des Sarges
Ist ihr Ring mit Amethysten,
Ruhen soll sie nicht im Grabe,
Soll im Jenseits Ruh nicht finden.

Torsten sprach: Darf ich bezahlen
Dir die Schulden dieser Toten?
War der Bauer einverstanden,
Ruhte weiter still die Tote.

Torsten gab sein letztes Silber,
Frug den Bauern dann des Weges
Zu den Siedlungen der Menschen,
War zu einsam seine Seele.

Wies der Bauer ihm die Straße
Zu den Siedlungen der Menschen:
Kommst du aber an den Kreuzweg,
Reite südwärts und nicht nordwärts.

Torsten kam bald an den Kreuzweg,
Ritt ein wenig Richtung Süden,
Dachte, wie es lustig wäre,
In den Norden doch zu reiten.

Ritt er also in den Norden,
Kam zu einem leeren Schlosse,
Sieben Betten in dem Schlosse
Und ein Tisch mit sieben Tellern.

Torsten deckte alle Teller
Mit der Speise aus der Küche
Und bereitete die Betten
Auch mit frischgewaschnen Laken.

Schließlich ruhte er im Winkel,
Wartend auf die Schlossbewohner.
Schließlich knarrte laut die Pforte
Und die Schlossbewohner kamen.

Riesen kamen in die Schlossburg
Und der erste Riese sagte:
Hier ist einer, dem ich werde
Wohl mitspielen müssen übel!

Doch der andre Riese sagte,
Der da war der größte Riese:
Nein, der machte uns das Essen
Und bereitete die Betten,

Der steht unter meinem Schutze,
Und ich bin der stärkste Riese.
Und der Riese sprach zu Torsten:
Bleibe bei uns eine Woche!

Bleib nicht nur an diesem Tage,
Sondern bleibe eine Woche,
Mach du uns ein leckres Essen
Und bereite unsre Betten.

Torsten sagte zu dem Riesen:
Gut, ich bleibe eine Woche.
Aber Torsten blieb drei Jahre
In der Schlossburg bei den Riesen,

Machte ihnen leckres Essen
Und bereitete die Betten.
Überfiel ihn Langeweile,
Trank er eine Flasche Rotwein.

Alle Räume anzuschauen
In der Schlossburg war erlaubt ihm,
Bis auf das verbotne Zimmer,
Das er nicht betreten durfte.

Nur der größte aller Riesen
Konnte diesen Raum betreten,
Denn um seinen Hals am Kettchen
Trug zum Raume er den Schlüssel.

Torsten sprach zum großen Riesen:
Treu war ich in kleinen Dingen,
Laß nun auch in großen Dingen
Meine Treue dir beweisen,

Laß mich ins verbotne Zimmer!
Doch der große Riese sagte:
Treu warst du in großen Dingen,
Doch das Zimmer ist verboten.

Was in dem verbotnen Zimmer
Sich befindet, das ist nichtig,
Nichts sind alle Kreaturen,
Sein alleine hat die Gottheit.

Torsten aber listig, heimlich
Machte vom geheimen Schlüssel
Einen Abdruck sich im Brotteig
Und er feilte einen Schlüssel.

Und er trat ins dunkle Zimmer
Und entzündete die Kerze,
Sah ein Mädchen angebunden
An kastanienbraunen Haaren,

Dürr das Mädchen, abgemagert,
Dem Skelett gleich eines Toten.
O wer bist du, liebes Mädchen?
Fragte Torsten dieses Mädchen.

Ich bin May-Britt, bin die Tochter
Eines Königs und mein Vater
Ist in Dänemark der König,
Aber ich bin hier gefangen,

Weil der Riese mich zur Frau will,
Aber ich will ihn zum Mann nicht.
Torsten liebte jenes Mädchen,
Dänemarks Prinzessin May-Britt.

Und er schlich sich alle Tage
Heimlich ins verbotne Zimmer
Und gab May-Britt Wabenhonig,
Bis sie wieder kräftig wurde.

Torsten sprach zum großen Riesen:
Ich war treu in großen Dingen,
Gib als Lohn mir, mein Gebieter,
Was da im verbotnen Zimmer.

Zwar das wollte nicht der Riese,
Torsten aber konnte betteln,
Konnte bitten, konnte flehen,
Also sagte Ja der Riese.

Und nach einem schönen Sommer
Tat der Riese auf das Zimmer,
Staunte, wie so schön sei May-Britt,
Welche Wohlgestalt der Körper!

Torsten aber nahm sich May-Britt
Und entfloh der düstern Schlossburg.
May-Britt, dieses schöne Mädchen,
Schien die Seele seiner Seele.

May-Britt aber, die Prinzessin
Dänemarks, sprach so zu Torsten:
Riesen werden dich verfolgen,
Nimm die Rüstung, nimm die Waffen.

Wahrlich, sieben Riesen eilten,
Zu bekämpfen Torsten grimmig.
Torsten rang mit allen Riesen,
Sechs der Riesen schon bezwingend,

Lag er unterm siebten Riesen!
May-Britt nahm das Schwert des Helden
Torsten, schlug dem siebten Riesen
Seinen Schädel ab vom Rumpfe!

Torsten nahm Prinzessin May-Britt,
Eilte zu dem Strand des Meeres,
Sahen sie ein Schiff sich nahen,
Gingen sie an Bord des Schiffes.

Auf dem Schiff war der Minister,
Der dem Vater May-Britts diente,
Ihm versprach der Vater May-Britts
Ehelich die Hand der Tochter.

Der Minister aber Torsten
Setzte aus im kleinen Boote
Und erklärte sich zum Retter
Seiner dänischen Prinzessin.

Torsten in dem kleinen Boote
Trieb in aufgewühlter Ostsee
Und die Macht des Elementes
Drohte ihm mit frühem Tode!

Da erschien der Toten Seele,
Der einst Torsten in dem Grabe
Ihre Grabesruhe wahrte
Und bezahlte ihre Schulden,

Dankbar war der Toten Seele
Und sie führte in dem Boote
Torsten bis hinauf nach Norweg
Zu dem heilgen König Olaf!



DRITTER GESANG


Einst der heilge König Olaf
War bei einem Festgelage
Auf der Blumeninsel Öland,
Torsten war bei ihm, sein Krieger.

Abends an dem Tisch beim Trinken
Sprach der heilge König Olaf:
Will im Freien einer pissen,
Soll er nicht alleine gehen,

Sonst geschehen wird ein Unglück,
Sprach der heilge König Olaf.
Alle tranken fleißig weiter
Von dem besten roten Weine.

Die Germanen trinken wenig,
Aber oft Germanen trinken,
Wenn Germanen aber trinken,
Trinken reichlich die Germanen.

Dann ging jedermann zu Bette.
In der Nacht in seinem Bette
Torsten wach ward vom Bedürfnis,
Torsten wollte draußen pissen.

Aber alle andern schliefen,
Torsten wollte keinen wecken,
Also ging er in das Freie
Einsam, ohne sich zu fürchten.

Sah er aber in dem Freien
Stehen einen runden Steintisch,
Um den Tisch zwölf Stühle standen,
Torsten setzte sich auf einen.

Plötzlich kam herbei ein Toter,
Der sich setzte an den Steintisch.
Torsten sprach zum Totengeiste:
Toter, sag mir deinen Namen!

Ich bin Torkel, auch geheißen
Werde ich der dünne Torkel.
Einst mit König Harald Kriegszahn
Fiel ich auf dem Schlachtgefilde.

Woher kommst du, fragte Torsten.
Aus der Hölle, sprach der Tote.
Torsten sprach: Wie ist die Hölle?
Und wem geht es dort am besten?

Siegfried geht es dort am besten,
Denn er heizt dort einen Ofen.
Torsten sprach: Das ist nichts schlimmes.
Sprach der Geist: Er ist das Feuer!

Torsten sprach: Wie ist die Hölle,
Wem geht’s dort am meisten übel?
Sprach der Geist: Dem alten Starkard
Geht es übel in der Hölle,

Sein Gebrüll ist selbst für Teufel
Sehr unangenehm zu hören,
Alle Toten, alle Teufel
Finden darum keine Ruhe.

Warum schreit er so, sprach Torsten,
Was denn leidet er für Qualen?
Sprach der Geist: Der alte Starkard
Zu den Knöcheln steht im Feuer.

Das ist nicht so schlimm, sprach Torsten,
Für so einen großen Helden.
Sprach der Geist: Sein ganzer Leib brennt,
Ragen nur heraus die Füße!

Ja, sprach Torsten, das ist schrecklich,
Schrei doch einmal seine Schreie.
Sprach der Tote: Nun, so schrei ich.
Und er schrie ein lautes Schreien.

Torsten hielt sich zu die Ohren,
Ward ihm übel von dem Schreien.
Also schreit der alte Starkard,
So am lautesten schreit Starkard?

Nein, so schreien kleine Teufel,
Sprach der Geist, die Schreie Starkards
Sind noch schrecklicher und stärker.
Und der Tote schrie entsetzlich!

Torsten staunte, dass der Tote
Solche Schreie schreien konnte.
Torsten beinah fiel in Ohnmacht
Vor dem widerlichen Schreien.

So am lautesten schreit Starkard?
Frug den Geist des Toten Torsten.
Nein, sprach der, das ist sein Flüstern,
Seine Schreie sind noch lauter.

Torsten sprach zum Geist des Toten:
Also schrei die Schreie Starkards,
Wie am lautesten schreit Starkards,
Also sollst du einmal schreien.

Torsten hielt sich zu die Ohren,
Atem holte nun der Tote
Und er brüllte so entsetzlich –
Da erklang die Kirchenglocke.

Da verschwand der Geist des Toten.
Torsten aber ging zu Bette.
Morgens sprach der heilge Olaf:
War alleine jemand draußen?

Schlechte Laune hatte Olaf.
Torsten sprach: Ja, ich war draußen,
Aber es ist nichts geschehen,
Jedenfalls nichts allzu Schlimmes.

Sprach der heilge König Olaf:
Eigensinnig sind Germanen,
Übertreten die Gebote.
Aber was hast du gesehen?

Torsten alles nun erzählte.
Sprach der heilge König Olaf:
Warum ließest du ihn schreien
In der Nacht, den Geist des Toten?

Torsten sprach zum heilgen Olaf:
Hattest du uns doch geboten,
Nicht allein heraus zu gehen,
In der dunklen Nacht zu pissen.

Draußen war ich nun alleine,
Aber als ich schaute Torkel,
Ließ ich diesen Geist so schreien,
Daß du davon wach wirst, König.

Denn ich dachte: Wird mein König
Wach, der heilge König Olaf,
Dann ist mir auch gleich geholfen.
König Olaf sprach: So wars auch,

Denn ich wurde wach vom Schreien,
Ließ die Kirchenglocke läuten,
Nichts vermochte sonst zu helfen
Als Geläut der Kirchenglocke.



VIERTER GESANG


Torsten war beim König Olaf,
Bei dem heilgen König Olaf,
In Thor-Hammerstadt in Norweg
Residierte König Olaf.

Torsten ward Gefolgsmann Olafs,
Der hielt ihn für einen Helden.
An dem Hof die andern Leute
Meinten, Torsten sei barbarisch.

Olaf gab ihm manchen Auftrag,
Schickte ihn auf manche Seefahrt,
Oft auch Schätze zu erwerben,
Manches Kleinod für den König.

Einmal Torsten war in Finnland,
Irgendwo im Land der Lappen.
Als die Sonne stand im Osten,
Torsten stand an einem Hügel.

Sah er einen kleinen Knaben,
Sprach der Knabe: Liebe Mutter,
Gib mir meinen Zauber-Krummstab,
Will ins Land der Toten fliegen.

Und da kamen aus dem Hügel
Hände, einen Krummstab reichend.
Ritt der Knabe auf dem Krummstab,
Flog er in das Land der Toten.

Torsten drauf sprach auf dem Hügel:
Mutter, gib mir meinen Krummstab!
Sprach die Mutter: Wer denn bist du?
Torsten sprach: Dein zweites Söhnchen.

Torsten ritt dem kleinen Knaben
Auf dem Krummstab nach, im Fluge
Kamen sie zur Welt der Toten,
Kamen zu dem Fluss aus Feuer,

Kamen zu der Lebensquelle,
Kamen zu dem goldnen Schlosse,
Da der Toten-König lebte
Mit der Königin der Toten.

Alle saßen an der Tafel,
Tranken aus den goldnen Bechern
Alten allerbesten Rotwein
Und berauschten sich am Rotwein.

Torsten aber und der Knabe
Waren unsichtbar den Toten.
Und der Knabe, Speise sammelnd,
Lief von einem Tisch zum andern.

Eben kam ein neuer Toter,
War aus Indien ein König,
Brachte er dem Totenkönig
Einen Ring von Gold und Silber.

Torsten sah auch auf dem Tische
Schön das seidenweiße Tischtuch,
Rings besetzt mit Edelsteinen.
Torsten wollte Ring und Tischtuch.

Torsten betend mit dem Herzen
Betete zum heilgen Olaf,
Nahm den Ring von Gold und Silber
Und das seidenweiße Tischtuch.

Torsten floh, die Toten folgten,
Torsten kam zum Feuerflusse,
Alle Toten ihn umringten,
Torsten tötete viel Tote.

Da kam auch der kleine Knabe,
Reichte Torsten seinen Krummstab,
Kamen sie zur Welt des Lichtes,
Stand dort schon des Knaben Mutter.

Sprach die Mutter: O mein Knabe,
Wer ist der an deiner Seite?
Sprach der Knabe: Das ist Torsten,
Und ein großer Held ist Torsten.

Torsten ging zu König Olaf,
In Thor-Hammerstadt in Norweg
Torsten überreichte Olaf
Ring und Tischtuch als Geschenke.

Torsten wollte noch nach Öland,
Dieser blauen Blumeninsel
Schwedens, aber über Winter
Blieb beim König er in Norweg.

Aber als der Frühling nahte,
Da fuhr Torstens Schiff nach Oslo.
Da sah einen Zwerg er sitzen,
Bis zum Boden ging der Bart ihm.

Doch der Zwerg mit langem Barte
Weinte: Weh mir! Gottes Adler
Hat entführt mein kleines Söhnchen,
Der soll Mundschenk Gottes werden!

Torsten gleich mit Pfeil und Bogen
Schoß den Adler ab vom Himmel,
Trug das goldne Zwergensöhnchen
Wieder zu dem Zwergenvater.

Torsten sprach zum Zwergenvater:
Tröste nun dein Zwergensöhnchen!
Sprach der Zwerg: Was willst du haben
Für die große Tat der Rettung?

Torsten sprach zum Zwergenvater:
Gutes tut man, weil es gut ist.
Das braucht keiner zu belohnen.
Lohn ist in sich selbst das Gute.

Sprach der Zwerg: Nimm meinen Mantel,
Der ist aus dem Fell des Lammes,
Trägst du ihn, wird dir nichts schaden,
Trag du nur den Lammfellmantel.

Nimm auch meinen Ring von Silber,
Stets hast du genug des Geldes,
Immer reichlich Öre-Münzen,
Dich wird nicht das Elend plagen.

Nimm du auch dies schwarze Steinchen,
Reibst du es mit deinen Händen,
Bist du unsichtbar den Menschen,
Bist du unsichtbar den Riesen.

Nimm auch dieses bunte Dreieck,
Weißer, goldner, roter Farbe.
Das sei deine Macht und Stärke
Und in großen Nöten Rettung.

Schlägst du auf die weiße Stelle,
Kommen harte Hagelkörner.
Schlägst du auf die goldne Stelle,
Kommt die große Sonnenhitze.

Schlägst du auf die rote Stelle,
Blitze kommen dann und Donner.
Und des Zwergenvaters Gaben
Torsten nahm entgegen dankbar.

Torsten fuhr mit seinen Leuten
Übers Meer in seinem Schiffe,
Bis in einem Fjord geankert
Sie und frische Lachse aßen.

Torsten ließ dort seine Männer
Bei dem Schiffe, ging alleine,
Ging allein durch finstre Wälder,
Sah er hohe Riesen reiten.

Sah er in der Morgenröte
Drei sehr große Männer reiten,
Zwei in scharlachroten Kleidern,
Ritten schnell auf grauen Hengsten.

Einer ritt in goldnen Kleidern
Schnell auf einem weißen Pferde.
Sprach der eine zu den beiden:
Was denn lebt dort bei der Eiche?

Wer denn bist du? Torsten sagte:
Ich bin Torsten, Olafs Krieger.
Sprach der Mann: Ein Krieger bist du?
Ich nenn lieber dich ein Kindlein!

Torsten sprach: Wie ist dein Name?
Sprach der Mann: Ich heiße Godmund,
Bin der Sohn von einem König
Und mir dient das Land der Riesen.

Ich will in das Land der Heiden,
Denn dort herrscht der König Gerhard,
Er soll mich an Vaters Stelle
Nun zu einem König machen.

Zwischen unserm Lande aber
Und dem kalten Land der Heiden
Fließt ein Fluß, der breit und kalt ist,
Eiskalt ist des Flusses Wasser.

Diese zwei an meiner Seite,
Das sind meine besten Helden,
Ist des einen Name Vollkraft,
Ist des andern Name Allkraft.

Torsten sprach: Ich möchte gerne
Mit euch reiten in den Norden.
Godmund sprach: Du aber, Torsten,
Bist doch einer von den Christen,

Die an Jesus Christus glauben!
Aber gut ist es und sicher,
Wenn uns schützt der heilge Olaf,
Darum reite mit uns, Torsten.

Also kamen sie zum Flusse,
Dessen Wasser kalt wie Eis war.
Godmund ritt auf seinem Schimmel
Durch die eisigkalten Fluten.

Torsten auch saß auf dem Schimmel,
Doch berührte mit dem Fuße
Torsten jenes kalte Wasser,
War als ob ein Blitz ihn träfe.

Als sie also drüben waren,
Schlug sich Torsten eine Zehe
Von dem Fuße. Godmund staunte,
Er hielt Torsten für sehr mutig.

Torsten sprach zu Godmund aber:
Ich will unsichtbar begleiten
Euch zum Königreich der Heiden.
Da war einverstanden Godmund.

So sie kamen zu der Halle
In der Burg des Heidenkönigs,
Aßen Fleisch und tranken Rotwein
Und dann gingen sie zu Bette.

Aber an dem nächsten Morgen
Godmund trat zum Heidenkönig.
Gab der Heidenkönig Gerhard
Godmund einen Königsmantel.

Godmund aber hob das Kuhhorn
Voll mit Honigmet und trank es
Aus in Einem Zug und sagte:
Treue schwöre ich dem König!

Unter Gerhards Leuten aber
Waren zwei verstockte Sünder.
Jörkul hieß der eine Sünder,
Frosti hieß der andre Sünder.

Jörkul nun und Frosti fingen
An zu zanken und zu streiten
Und sie stritten sich mit Vollkraft
Und sie stritten sich mit Allkraft.

Sie bewarfen sich mit Knochen,
Sie bewarfen sich mit Schädeln,
Warfen Feuereisenkugeln
Und begannen dann zu ringen.

Groß und stark war wahrlich Vollkraft,
Aber Jörkul war noch stärker,
Groß und stark war wahrlich Allkraft,
Aber Frosti war noch stärker.

Ihre Bosheit ihre Stärke
Und sie hätten auch gewonnen,
Wenn nicht unsichtbar noch Torsten
Seinen Freunden beigestanden.

Torsten siegte mit den Knochen,
Torsten siegte mit den Schädeln,
Mit den Feuereisenkugeln
Und im Ringkampf siegte Torsten.

Aber da kam König Gerhard
An mit einem Menschenschädel,
Der war voll mit schwerem Rotwein,
Gerhard forderte nun Godmund:

Kannst du diesen Menschenschädel
Mit dem schweren roten Weine
Trinken leer in Einem Zuge,
Dann will ich dich gehen lassen.

Aber unsichtbar stand Torsten
Bei dem jungen König Godmund.
Und den Wein des Menschenschädels
Trank er leer in Einem Zuge.

Torsten war ein Held im Kämpfen,
Mehr noch als ein Held im Kämpfen
War ein Held im Trinken Torsten,
Keiner trank so viel wie Torsten!

Godmund, Torsten, Vollkraft, Allkraft,
Gingen nun zu ihren Pferden.
Doch der Heidenkönig Gerhard
Wollte sie nicht gehen lassen.

Torsten aber machte Hagel,
Harte Hagelkörner schlugen
Nun in Stücke Gerhards Halle
Und verletzten auch den König.

Torsten machte Sonnenhitze,
Sonnenhitze schmolz den Hagel,
Überflutete das Wasser
Nun die Burg des Heidenkönigs.

Torsten aber machte Donner,
Torsten aber machte Blitze,
Funken, Flammen, Feuerpfeile,
Und so starb der Heidenkönig.

Aber da erblickte Torsten
Einen großen Apfelgarten.
Godmund Abschied nahm von Torsten,
Sagte: Lob sei Jesus Christus

Und dem heilgen König Olaf!
Wenn du kommst zum heilgen Olaf,
Gib ihm diesen goldnen Becher
Und dies seidenweiße Tischtuch.

Aber in dem Apfelgarten
Torsten schaute eine Jungfrau,
Siv war dieser Jungfrau Name,
Torsten liebte Siv von Herzen

Gleich vom ersten Augenblicke.
Siv und Torsten nun gemeinsam
Nach Thor-Hammerstadt sie zogen
Zu dem heilgen König Olaf.

Heilger Olaf, sagte Torsten,
Lehre Siv den Christenglauben,
Nimm sie auf in Christi Kirche
Durch das Sakrament der Taufe.

Und dann segne unsre Ehe.
Siv ward Torstens Ehegattin
Und sie lebten auf der Insel
Öland in vertrauter Liebe.

Siv ward schwanger dann von Torsten
Und gebar ein süßes Mädchen,
Diese ward genannt mit Namen
Tordis in der Taufe Gottes.

Und dass nicht Gespenster, böse
Geister seine Tordis plagten,
Brachte Torsten an am Hause
Segensreich die Kreuze Christi.



FÜNFTER GESANG


Torsten lebte mit der Gattin
Siv in Thorhallstadt im Seetal.
Ihre kleine Tochter Tordis
War entwöhnt schon von den Brüsten.

Torsten hatte viele Tiere,
Eine große Herde Schafe,
Auf der Weide aber schaurig
Lebte ein Gespenst und Spukgeist.

Keiner wollte Schafe hüten,
Hirte sein bei Torstens Herde.
Torsten ging zum alten Manne
Torodson, sich zu beraten.

Torodson der Alte sagte:
Ich kenn aber einen Hirten,
Der ist grob und ohne Bange
Vor den spukenden Gespenstern,

Gram sein Name, er ist grausam,
Darum fürchten ihn die Leute.
Gram ist leider auch voll Streitsucht,
Stiftet Zank oft unter Leuten.

Aber den nimm dir zum Hirten,
Der nicht bangt vor den Gespenstern.
Torsten ging vom alten Manne
Fort und wollte Gram zum Hirten.

Doch zwei Eselshengste waren
Fortgelaufen, Torsten suchte
Seine beiden Eselshengste,
Da traf er auf Gram, den groben.

Gram war groß und dick wie Ochsen.
Doch sein Haar war wie vom Grauwolf,
Seine Augen kalt und eisern,
Torsten war es fast zum Gruseln.

Was ist deine Lieblingsarbeit?
Fragte Torsten. Gram gab Antwort:
In dem Winter in dem Froste
Andrer Leute Herden hüten.

Torsten sprach: Mich hat beraten
Torodson, ich soll dich nehmen.
Gram der Grobe aber sagte:
Ich behalte meine Freiheit..

Wenn mich überfällt der Ärger,
Werde grimmig ich und zornig.
Torsten sagte: Doch ich nehm dich.
Doch bei meiner Herde spukt es.

Gram der Grobe aber sagte:
Spukgespenster sind mir lieber
Als die Menschen dieser Erde,
Ja, ich mag die Spukgespenster.

Torsten fand die Eselshengste,
Dankte Torodson dem Alten,
Ging dann heim zu Frau und Tochter
Und da kam die schöne Weihnacht.

Gram gekommen war zur Herde,
Weidete im Winter Schafe,
Brüllte donnernd wie der Nordsturm,
Niemand hatte lieb sein Wesen.

Siv auch liebte nicht den Groben,
Siv vor allen, ihn verachtend,
Sagte: Nie traut sich der Unhold
In die liebe Kirche Gottes!

Ohne Glauben, eigensinnig,
Ohne Freundlichkeit des Herzens,
Ohne Lächeln, ohne Liebe,
Stets war grimmig Gram der Grobe.

An dem Tage vor der Weihnacht
Gram verlangte nach dem Essen.
Siv sprach aber, Torstens Hausfrau:
Morgen ist das Fest der Weihnacht,

Und daß Gottes Sohn geboren
Wird in seiner Frommen Herzen,
Wollen wir vorm Feste fasten,
Fasten Gott zum Wohlgefallen.

Grimmig sagte Gram der Grobe:
Besser waren noch die Menschen,
Als sie wilde Heiden waren,
Konnten fressen, konnten saufen!

Siv sprach aber, Torstens Hausfrau:
Dir wird es noch schlecht ergehen!
Gram fraß aber Fleisch in Menge
Und es roch sein Atem übel.

Draußen aber war ein Schneesturm
Und es heulte in den Lüften
Und die Nacht war undurchdringlich,
Gram war ganz alleine draußen.

Torsten, Siv und Tordis gingen
In den Gottesdienst der Weihnacht,
Unsre Liebe Frau zu grüßen,
Die den Gottessohn geboren.

Gram der Grobe blieb verschwunden,
An dem Tage nach der Weihnacht
Suchten alle aus dem Dorfe
Draußen nach dem wilden Heiden.

Und sie fanden nicht die Herde,
Fanden nur noch auf den Bergen
Knochen von den toten Schafen,
Schenkelknochen, Widderschädel.

Sahen eine rote Blutspur,
Gram der Grobe blieb verschwunden.
Wohl das Spukgespenst des Ortes
Hat getötet Gram den Groben.

Später fanden sie die Leiche
Grams, sie wollten seine Leiche
Tragen in die Kirche Gottes,
Konnten doch sie nicht bewegen,

War so schwer des Toten Leiche,
Denn selbst seine Leiche wollte
Christlich nicht begraben werden
In der lieben Kirche Gottes.

Wollten sie die Heidenleiche
Draußen auf dem Feld begraben,
Sollt ein Kreuz auf seinem Grabe
Stehen durch die Hand des Priesters,

Kam der Priester zwar gegangen,
Fand doch nicht des Heiden Leiche,
Sich verbarg die Heidenleiche
Vor dem gottgeweihten Priester.

Nur die Bauern ihn begruben
Unter einem Haufen Steine,
Wandten schauernd sich vom Grabe
Und entflohen mit Entsetzen.

Seit dem Tage seines Todes
Aber spukte Gram der Grobe,
Ritt sein Totengeist im Winter
Immer auf den Häuserdächern,

Ging sein Totengeist im Winter
Durch die Dörfer, durch die Felder
Und zerstörte viele Häuser
Und erschreckte viele Seelen.

Aber in der Zeit des Frühlings
Kam ein großes Schiff gefahren,
Torgaut war darauf der Seemann,
Unbeweibt, allein war Torgaut.

Torsten trat herauf zum Schiffe
Und er sprach zum Schiffer Torgaut:
Willst du meine Herde hüten?
Aber Vorsicht, es gespenstert!

Torgaut aber sprach zu Torsten:
Ich will deine Herde hüten,
Hab nicht Angst vor den Gespenstern,
Was man auch am Abend munkelt.

Also auf der Sommerweide
Torgaut hütete die Schafe,
Aber als die Herbstzeit nahte
Gram der Grobe wieder spukte.

Gram ritt auf den Häuserdächern,
Aber Torgaut sprach zum Toten:
Komm mir einmal nahe, Spukgeist,
Dann will ich dich Saures lehren.

Wieder kam heran die Weihnacht.
Torsten ging mit Siv, der Hausfrau,
Und der jungen Tochter Tordis
In der Weihnacht in die Kirche.

Torgaut aber bei der Herde
Hütete die Schafe draußen,
Schneesturm brüllte an dem Himmel,
Frostigklar die Sterne glänzten.

Siv, die Hausfrau, sprach zu Torsten
Leise in der Kirche Gottes:
Daß nur Torgaut nicht auch sterbe
Und ermordet wird vom Spukgeist.

An dem schönen Weihnachtsfeste
Speisten die gebratne Ente
Siv und Torsten und die Tochter,
Torsten trank vom roten Weine.

An dem Tage nach der Weihnacht
Torsten sprach zur Dorfgemeinschaft:
Laßt uns jetzt nach Torgaut schauen,
Ob er lebt noch bei den Schafen.

Torsten und die Dorfbewohner
Suchten auf der Weide Torgaut,
Fanden nur noch Menschenknochen,
Nur zerbrochne Knochenreste.

Trauernd trugen sie die Knochen
In die liebe Kirche Gottes
Und beerdigten die Knochen
Unter einem Kreuze Christi

Und der Priester weihte Torgaut
Gott dem Herrn und seinem Sohne
Und empfahl die Seele Torgauts
Unsrer Lieben Frau Maria!

Torgaut fand im Himmel Frieden,
Ruhte in dem Schoße Gottes,
Ging nicht um auf dieser Erde
Als Gespenst und böser Spukgeist.

Alle Bauern aus dem Dorfe
Nun verließen ihre Hütten.
Torsten, Siv und Tordis blieben
Ganz allein in ihrem Hause.

Nur ein alter Rinderhirte
Blieb im treuen Dienst bei Torsten.
Eines Tages in dem Winter
Siv ging hin, die Kuh zu melken.

Da sah sie den Rinderhirten,
Tot lag er, entzweigebrochen
Seines Leichnams Menschenknochen
Von dem Spukgeist, Gram dem Groben.

Pferde, Esel, Kühe, Schafe,
Alle mordete der Spukgeist,
Torsten ging mit der Familie
Traurig fort aus seinem Dorfe.

Torsten blieb bei seinen Freunden,
Bis der Winter war vorüber.
Als der Frühling wiederkehrte,
Ist zurückgekommen Torsten.

Frühling kam und Sommersonne,
Aber als die Herbstzeit nahte,
Nahte wiederum der Spukgeist,
Krank ward Tordis, Torstens Tochter!

Tordis starb, die Tochter Torstens,
Durch das Wirken des Gespenstes!
Da kam aus dem fernen Finnland
Hilfe, kam der heilge Torfinn!

Torfinn blieb bei Siv und Torsten,
Die um ihre Tochter klagten.
Torfinn kämpfte mit dem Geiste
Und er siegte in der Weihnacht!

Frostigklar die Sterne strahlten,
Torfinn mit dem Geiste kämpfend
Sah dem Geiste in die Augen
Und entsetzte sich vor Schrecken!

Als des Geistes Sterben nahte,
Sprach der Geist zum heilgen Torfinn:
Du hast mich besiegt durch Stärke,
Durch die Stärke deines Glaubens.

Doch bevor ich ganz vergehe,
Will ich dich verfluchen, Torfinn:
Völlig einsam sollst du leben,
Außenseiter, allen fremd sein,

Immer deine Seele schaue
Meine Augen voll Verachtung,
Immer sollst du leiden, trauern,
Deine Seele bleibt voll Schwermut!

So besiegte diesen Spukgeist
Torfinn durch die Macht des Glaubens.
Torsten und der heilge Torfinn
Brannten das Gespenst zu Asche.

Nie mehr spukte dieser Spukgeist.
Doch der heilge Torfinn wurde
Außenseiter der Gemeinschaft,
Stets war traurig seine Seele.

Aber Torsten und die Hausfrau
Siv beklagten ihre Tochter:
Gott hat Tordis uns gegeben!
Gott hat Tordis uns genommen!

Gottes Name sei gepriesen!
Nackt sind wir zur Welt gekommen!
Nackt wir gehen zu den Toten!
Halleluja! Halleluja!



ZWEITER TEIL
PETER


„Und es kommt vor, dass es einen vollen Tag anhält und die Seele umhergeht wie jemand, der viel getrunken hat, aber doch nicht soviel, dass er von Sinnen ist, oder wie ein Melancholiker, der zwar den Verstand nicht völlig verloren hat, aber stets an Einer Sache haftet, die sich in seiner Vorstellung festgesetzt hat und von der ihn auch niemand abbringen kann.“
(Teresia von Avila, die innere Burg)

„Und wenn ihr eine Rose seht, sagt ihr, ich laß sie grüßen!“
(Else Lasker-Schüler)



ERSTER GESANG


Singe, märchenhafte Muse,
Singe meinen Helden Peter,
Seine Hochzeit mit Maria
Zu dem Ruhme Jesu Christi.

An der Grenze Frieslands lebte
Einst ein Mann mit Namen Bernhard,
Der nahm sich zum Eheweibe
Seine schöne Dorothea.

Dorothea, arm geboren,
War zwar arm, doch auch gebildet,
War voll Tugend und voll Sitte
Und sie liebte ihren Gatten.

Beide hätten gerne Kinder
Von dem lieben Gott empfangen,
Aber Gott gewährte leider
Nicht die Gnade eines Kindes.

Schließlich sie beschlossen beide,
Einen armen Waisenknaben
Als ihr Kind zu adoptieren,
Peter war im vierten Jahre.

Peter, lieblicher und schöner
Als die andern Waisenkinder,
Ward von ihnen großgezogen
Wie die eigne Frucht des Leibes.

Bald geschah es aber dennoch,
Daß die Mutter Dorothea
Schwanger ward vom Gatten Bernhard
Und gebar ein eignes Söhnchen.

Beide Eltern voller Freude
Nannten Valentin das Söhnchen
Nach dem Schutzpatron der Liebe,
Waren sie vor Liebe närrisch.

Doch die Zwietracht (die die Griechen
Eris nannten), sie, die Feindin
Aller Harmonie und Liebe,
Streit sie stiftet unter Brüdern.

Valentin im Kinderspiele
Konnte Peter gar nicht leiden,
Neidisch war er sehr, weil Peter
Schöner war und vielmals klüger.

Valentin im Zorne einmal
Nannte Peter einen Bastard,
Immer wieder rief er Peter
Bastard, immer wieder Bastard!

Peter sprach: Ich bin ein Bastard?
Meine Mutter Dorothea,
Bist du wirklich meine Mutter,
Bernard, bist du auch mein Vater?

Mutter Dorothea sagte:
Nein, ich hab dich nicht geboren.
Diese Worte seiner Mutter
Stachen Peter in die Seele!

Peter war so voll des Jammers,
Hätt sich beinah selbst ermordet!
Dann beschloß er fortzuwandern,
Seine Eltern zu verlassen.

Als das Dorothea hörte,
Da verfluchte sie den Bastard:
Möge eine Meeresnixe
Ihn hinab ziehn in den Abgrund!

Peter aber zog des Weges,
Wanderte hinab gen Süden,
Kam er in den Wald der Fichten,
In die Teuteburger Waldnacht.

Sah er einen Wolf im Walde,
Einen Adler bei dem Wolfe,
Die Ameise war die dritte,
Stritten um den Hirsch, den toten.

Peter aber voller Weisheit
Teilte nun des Hirsches Körper,
Wolf, Ameise, Adler waren
Ganz zufrieden mit dem Urteil.

Da der Undank ist der Welt Lohn,
Doch die Tiere waren dankbar,
Gaben Peter sie die Gabe,
Je nach Wunsch sich zu verwandeln.

Wollte er ein Adler werden,
Spricht er: Wär ich doch ein Adler,
Also gleich wird er zum Adler,
Gleich drauf wird er wieder menschlich.

Also auch mit Wolf, Ameise.
So die Tiere sich bedankten.
Peter wanderte durch Deutschland,
Kam ins Ammerland, das grüne,

Kam nach Oldenburg. Dort sah er
Die Prinzessin voll der Weisheit,
Unsre Liebe Frau Maria,
Die er wollt zur Ehegattin.

Aber auch ein schwarzer Moslem
Wollte freien Sankt Maria.
Sankt Maria wollte lieber
Einen Christen zum Gemahle.

Zum Turnier geladen waren
Graf und Herzog und die Ritter,
Auch der schwarze Moslem kämpfte
Um die Hand der reinen Jungfrau.

Peter aber sah Maria
Droben stehn auf dem Balkone
Mit den andern Edelfrauen,
Vollmond sie im Kreis der Sterne.

Sagte Peter: Wär ich Adler!
Also Adler wurde Peter,
Flog als Adler in die Kammer
Unsrer Lieben Frau Maria.

Hörte Unsre Frau das Rauschen
Seiner Flügel in der Kammer,
Rief sie: Vater in den Himmeln,
Suchst du heim die Tochter Gottes?

Peter sprach: Wär ich Ameise!
Und Ameise wurde Peter,
Krabbelte im langen schwarzen
Haare Unsrer Frau Maria.

Dann stand Peter da als Peter,
Sprach zur Lieben Frau Maria:
Jungfrau, ich will sein dein Sklave,
Mehr dein eigen als ein Sklave!

Wie soll ich bei dem Turniere
Um die Hand der reinen Jungfrau
Als dein Held vor dir erscheinen,
Welche Kleider soll ich tragen?

Sprach Maria: Weißes Linnen
Sollst du tragen, Weiß des Glaubens.
Und Maria schenkte Peter
Edelsteine, Gold und Silber.

An dem Tage des Turnieres
Peter kam im weißen Linnen,
Peter kam im Weiß des Glaubens,
Ritt auf einem weißen Pferde.

Peter kämpfte mit dem Moslem
Um den Ruhmeskranz des Sieges.
Peter siegte. Alle staunten:
Wer ist dieser Unbekannte?

Unsre Liebe Frau Maria
War sehr froh, dass Peter siegte
Und sie dankte Gott im Himmel:
Vater, Danke dir für Peter!

Als die Nacht herbeigekommen,
Setzte Unsre Frau Maria
Sich allein an ihre Tafel,
Speiste Rinderfleisch und Rotkohl,

Hatte vor sich auf dem Tische
Einen roten Wein aus Frankreich.
Stand die Tür zu dem Balkone
Offen, kam herein der Adler,

Setzte Peter sich zu Tische,
Speiste mit der reinen Jungfrau,
Trank mit ihr vom roten Weine,
Der berauschend war wie Liebe.

Sagte Peter zu Maria:
Wie denn soll ich morgen kommen?
Und Maria sprach zu Peter:
Komm im grünen Kleid der Hoffnung!

Peter kam im grünen Kleide,
Wieder im Turniere siegte
Peter in dem Kleid der Hoffnung
Über jenen schwarzen Moslem.

Und am Abend wieder Peter
Speiste mit der reinen Jungfrau,
Trank mit ihr vom roten Weine,
Der berauschend war wie Liebe.

Sagte Peter zu Maria:
Wie denn soll ich morgen kommen?
Und Maria sprach zu Peter:
Komm im roten Kleid der Liebe!

Peter sagte: Meine Herrin,
Wenn ich morgen nicht erscheine,
So darfst du doch nicht verzweifeln,
Sondern weiter an mich glaube.

Und am dritten Tag des Kampfspiels
Nicht erschien im roten Kleide
Seiner Liebe Ritter Peter,
Sondern Peter war verschwunden.

Unsre Liebe Frau Maria
Aber ging im roten Kleide,
Aber ging im roten Rocke,
Unsre Frau der Schönen Liebe!

Peter wanderte zur Nordsee
Und bestieg ein Schiff im Hafen
Norddeich, fuhr zur Insel Baltrum,
Weiter fuhr er auf die Nordsee,

Denn der Fluch der Mutter Peters
Mußte sich zuerst erfüllen.
Aus dem grauen Meer der Nordsee
Tauchte auf die nackte Nixe,

Lang die rötlichblonden Locken,
Klein und straff die Mädchenbrüste,
Vor die Scham hielt sie das Händchen,
Und sie stand auf einer Muschel.

Halb sie zog ihn, halb versank er
In der nackten Nixe Armen.
Doch der Seemann Ulrich Ulrichs
Sah es, sagte es Maria.

Und Maria voller Kummer
Mit dem kleinen Jesuskinde,
Der vier Jahre zählte eben,
Fuhr im Schiffe auf die Nordsee.

Unsre Liebe Frau Maria
Hatte einen Bronze-Apfel,
Hatte einen Silber-Apfel,
Hatte einen goldnen Apfel.

Und Maria kam zur Stelle,
Wo die schöne nackte Nixe
Peter in das Meer gezogen,
Jesulein begann zu weinen.

Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Gab ihm ihren Bronze-Apfel.
Tauchte auf die nackte Nixe,
Sprach die Nixe zu Maria:

Gib mir deinen Bronze-Apfel,
Gib ihn mir zum Preis der Schönheit,
Dann will ich dir Peter zeigen,
Zeige dir das Haupt des Mannes.

Unsre Frau gab Jesu Spielzeug
Nun der Nixe in dem Meere,
Peter tauchte aus dem Meer auf,
Voll sein Bart und dicht sein Haupthaar.

Jesulein begann zu weinen,
Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Reichte ihm den Silber-Apfel,
Sprach die Nixe zu Maria:

Gib mir deinen Silber-Apfel,
Bin die Schönste doch der Frauen,
Dann will ich dir Peter zeigen,
Zeig dir seinen Oberkörper.

Unsre Frau gab Jesu Spielzeug
Nun der Nixe in dem Meere,
Peter tauchte aus dem Meer auf
Mit dem runden Oberkörper.

Jesulein begann zu weinen,
Unsre Frau, den Herrn zu trösten,
Gab ihm ihren goldnen Apfel,
Sprach die Nixe zu Maria:

Gib mir deinen goldnen Apfel,
Sollst den ganzen Peter sehen.
Unsre Frau gab ihr die Goldfrucht,
Und so ward gerettet Peter.

Unsre Frau Maria sagte:
Freund, zur Strafe deiner Sünden
Will ich eine Zeit verschwinden,
Aber suche mich von Herzen!



ZWEITER GESANG


Peter lebte nun in Friesland
In der Burg des Grafen Frieslands,
Bei dem frommen Grafen Ulrich
In der festen Burg von Berum.

Ulrich hatte schöne Töchter,
Drei der Gräfinnen voll Hochmut,
Elsa, Frauke, Kunigunde
Waren voller Stolz und Hoffart,

Aber Annchen war die Jüngste,
Die war hübsch und nett und niedlich,
Die war freundlich, herzlich, lieblich,
War wie eine Schwester Peters.

Aber Unsre Frau Maria
Lebte in dem Ammerlande
Ganz verborgen ihre Kindheit
Träumend unter den Zigeunern.

Ja, sie lebte unter Blumen
Vor der ganzen Welt verschlossen
Und sie sprach nur mit den Pferden,
Spielte mit Zigeunerkindern.

Nichts von dieser Welt gesehen
Hat Maria in der Kindheit,
Blumen, Pferde, Kinder, Engel
Waren ihre Spielgefährten.

So behütet in dem Garten
Der Natur des lieben Gottes
Wuchs sie auf in aller Unschuld,
Rein wie Kinder, schön wie Engel!

Als sie siebzehn Jahre zählte,
Ging im Garten sie spazieren,
War geschmückt mit Gold und Perlen,
Einer Krone auf dem Haupte,

Denn als Fürstin der Zigeuner
Trug sie Schmuck von Perlenketten
Und als Königin der Armen
Eine goldne Himmelskrone.

Doch da kam herab ein Adler
Und aus Gottes stillem Garten
Er die Königin Maria
Riß hinan zum Vater Äther

Und entführte durch den Himmel
Sie, die Fürstin der Zigeuner,
Bis er sich hernieder senkte
Über einem Baum in Berum.

Dieser Baum war eine Eiche,
Die stand vor der Burg von Berum,
Auf der Eiche grünem Wipfel
Stand die Königin Maria.

Und des Grafen Ulrich Gattin
War die fromme Gräfin Folka,
Folka eben stand mit Peter
In dem grünen Park von Berum.

Sprach die Königin Maria:
Himmelskrone, Perlenkette,
Alles möchte ich euch schenken,
Will als schlichte Magd euch dienen.

Zwar ich bin die Himmelsfürstin
Der Zigeuner und der Armen,
Doch vor allem Magd des Höchsten,
Menschendienerin voll Demut.

Also nahm die Gräfin Folka
Unsre Liebe Frau Maria
Auf in ihrer Burg von Berum
Als geringe Magd voll Demut.

Leise sprach die Magd voll Demut:
Ich bin sehr geschickt in Künsten
Und im Handwerk, gib mir Arbeit,
Laß mich weben, spinnen, sticken.

Und die schlichte Magd voll Demut
So geschickt war in den Künsten,
Machte aus den schönen Perlen
Solche schönen Perlenketten,

Daß von Lütetsburg die Fürstin
Zu der Gräfin sprach von Berum:
Diese schlichte Magd voll Demut
Ist wohl eine Himmelsfürstin!

Aber Peter, unerleuchtet,
Nicht erkannte die Geliebte,
Doch dann gingen ihm die Augen
Auf vor Unsrer Frau Maria,

Als er eines Nachts alleine
Trat in ihre stille Kammer,
Sah er Unsre Frau Maria
Stehn in reinem weißen Linnen

Und das Linnen ihres Kleides
Straffte über ihren Brüsten
Sich wie eine weiße Rose!
Schaute er der Jungfrau Antlitz

Von so femininer Anmut,
Aber auch zugleich voll Trauer,
Und er schaute ihre Augen
An wie Doppel-Abendsterne,

Und aus ihren Augenquellen
Strömten Menschentränen, tropften
Auf die straffen vollen Brüste,
Rannen in den Schoß der Jungfrau!

Eben in dem Augenblicke,
Da die Tränentropfen rannen
Strömend in den Schoß der Jungfrau,
Sah er einen Pfeil aus Feuer,

Schaute Peter einen Seraph,
Der den spitzen Pfeil aus Feuer
Peter schleuderte entgegen
Und durchbohrte so das Herz ihm,

Daß gestorben ist aus Liebe
Peter von dem Pfeil des Engels,
Von dem Feuerpfeil des Seraphs,
Von der Schönheit der Madonna!

Nun kam Gottes Magd Maria
Vors Gericht des Grafen Ulrich,
Richterinnen seine Töchter
Elsa, Kunigunde, Frauke.

Elsa sprach, Maria solle
Büßen siebzig lange Jahre,
Kunigunde grimmig sagte,
Büßen soll sie vierzig Jahre,

Frauke sprach von sieben Jahren.
Aber Annchen war voll Güte:
Büßt Maria sieben Jahre
In dem Turm der Burg von Berum,

Soll des toten Peter Leiche
Bei ihr liegen in dem Kerker.
So saß nun die Magd gefangen,
Bei ihr lag der tote Peter.

Weinte Gottes Magd drei Jahre
Um des toten Peter Leiche,
Kam vom Himmel her der Adler
Und erschien vorm Kerkerfenster,

Fallen ließ er sieben kleine
Adlerjungen, tote Vögel,
Ließ ein Kraut hernieder fallen,
Das die Toten auferweckte.

Gottes Magd verstand die Botschaft
Und sie nahm das Kraut vom Boden
Und erweckte Peters Leiche,
Er erwachte, sah Maria!

Da kam Ulrichs Tochter Annchen,
Brachte Trank und brachte Speise,
Brachte Peter die Gitarre,
Die sonst Gräfin Folka spielte.

Peter in dem Arm Mariens
Spielte jede Nacht Gitarre
Und die blauen Töne schluchzten
Aus der Einsamkeit des Kerkers.

Als vergangen sieben Jahre
In der Einsamkeit des Kerkers,
Kam von Lütetsburg der Häuptling
Und er hörte die Gitarre.

Sprach er: Wer lässt die Gitarre
Solche blauen Tönen weinen?
Herzenstrauer ist kein Übel,
Sondern Bitternis und Härte,

Aber die Gitarrentöne
Sind voll Zärtlichkeit der Seele
Und die blauen Töne weinen
Weiche Wehmut sanfter Liebe!

So Maria kam mit Peter
Hand in Hand aus dem Gefängnis.
Elsa, Kunigunde, Frauke
Aber mochten nicht Maria.

Sprach Maria: Was begehrt ihr?
Elsa sagte: Milch und Honig!
Kunigunde sagte: Käse!
Frauke sagte: Brot und Knoblauch!

Und Maria schenkte Elsa
Einen Krug von Rosenquarze
Mit geschmolznem Gold als Honig
Und die Milch war weiße Jade.

Gottes Magd gab Kunigunde
Einen Brocken Gold als Käse,
Als Gewürz, statt Petersilie,
Dienten Splitter von Smaragden.

Und Maria schenkte Frauke
Statt des Brotes eine Truhe
Ganz aus Silber und statt Knoblauch
Schenkte sie ihr einen Jaspis.

Aber Unsre Frau Maria
Schenkte Annchen diese Gnade:
Jesus kam, berührte Annchen,
Heilte sie an Leib und Seele!

Doch zu Peter sprach Maria:
Nie vergiß die Todesstunde
Und wer dich erweckt vom Tode!
Suche mich von ganzem Herzen!



DRITTER GESANG


Peter lebte nun in Norddeich
Mit der Lieben Frau Maria
In der allerbesten Freundschaft,
Auch war Jesulein bei ihnen.

Peter und Maria oftmals
Gingen Hand in Hand spazieren.
Sahen sie drei Rosen stehen,
Eine weiße, rote, goldne.

Peter pflückte eine rote
Rose für die reine Jungfrau
Und Maria tat die Rose
Im Gemach in eine Vase.

In der Mitternacht im Dunkel
Hörte Peter eine Stimme:
Peter, öffne meine Blüte,
Schließe auf den Kelch der Rose!

Peter sprach zur reinen Jungfrau:
Jungfrau, hast du mich gerufen?
Sprach die Liebe Frau zu Peter:
Nein, ich hab dich nicht gerufen.

Da trat Peter zu der Vase,
Zu der roten Rosenblüte.
Aus der Rose stieg ein Mädchen,
Sprach: Ich bin die Herrin Rosa!

Ich will deine Liebste werden,
Aber Unsre Frau Maria
Sollst du töten, o mein Peter,
Mich zum Eheweibe nehmen!

Peter aber wollte niemals
Unsre Frau Maria töten!
Doch er warf sie in den Kerker
Und vergnügte sich mit Rosa!

Aber an dem Morgen nahte
Jesulein, da sah er Rosa,
Sprach er: Wo ist meine Mutter?
Rosa ist nicht meine Mutter!

Herrin Rosa sprach zu Jesus:
Ich bin aber Herrin Rosa,
Ich bin wahrlich deine Mutter,
Ich bin wahrlich deine Herrin!

Ich, die schönste Herrin Rosa,
Bin die Herrin aller Leute,
Ich bin auch die Herrin Peters,
Alle Menschen meine Sklaven!

Gab ihr einer Widerworte,
Ward sie wild wie eine Wölfin.
Jesus aber hörte weinen
Seine Mutter in dem Keller.

Und Maria weinte bitter:
Gib mir nur ein Stück des Brotes!
Jesus reichte durch das Gitter
Ihr ein kleines Stück des Brotes.

Aber krank ward Herrin Rosa,
Tod bedrohte Herrin Rosa,
Also sagte sie zu Jesus:
Jesus, reise du nach Frankreich

Und in Lourdes geh zu der Quelle
Und vom Wasser schöpf ein Fläschchen,
Daß der Quell von Lourdes mich heile,
Geh du fort und komm bald wieder!

Jesus nahm zuerst noch Abschied
Von Maria, seiner Mutter,
Dann nahm er ein Schiff nach Frankreich,
Fuhr zum Golfe von Gascogne.

An dem Fuß der Pyrenäen
Sah er seinen Pflegevater,
Josef mit den grauen Haaren,
Josef mit dem grauen Barte.

Josef stand mit einer Flasche
Rotwein von Bordeaux am Fuße
Des Gebirges melancholisch
Und er sprach zum Pflegesohne:

O mein Liebling! O mein Liebling!
Schöpfe nur in Lourdes das Wasser,
Aber kehrst du heim nach Friesland,
Geh zuerst in jene Kammer,

Die verschlossen ist mit Siegeln,
Die bewacht wird von den Schwestern
Rosas. Diese Schwestern heißen
Schwester Blanka, Schwester Aura.

Kommst du aber in die Kammer,
Tu was du nur immer möchtest,
Liebe Gott und alle Seelen
Und dann du was du nur möchtest.

Jesus mit dem Fläschchen Wasser
Von der Quelle kehrte wieder,
Kam zur Burg der Schwestern Rosas,
Grüßte er die beiden Schwestern.

Schwester Blanka, weißgekleidet,
Sie glich einer weißen Rose.
Schwester Aura, goldgekleidet,
Sie glich einer goldnen Rose.

Dann trat Jesus in die Kammer,
Die verschlossen war mit Siegeln,
Dort sah er drei Kerzen brennen,
Eine weiße, rote, goldne.

Und er wusste, wenn er ausbläst
Diese Kerzen, werden sterben
Rosa und die beiden Schwestern,
Waren ihre Lebenslichter.

Ausblies er die weiße Kerze,
Schwester Blanka ist gestorben,
Ausblies er die goldne Kerze,
Schwester Aura ist gestorben!

Dann nahm er die rote Kerze
Mit der Lebensflamme Rosas,
Jesus eilte so zu Peter
Und zu Peter sagte Jesus:

Welches Leben ist dir lieber,
Welche Liebe ist dein Leben,
Hier die stolze Herrin Rosa
Oder dort die Muttergottes?

Peter sprach: Die Muttergottes
Ist die Liebe meines Lebens!
Jesus sagte drauf zu Peter:
Also lösch die rote Kerze!

So verlosch die Herrin Rosa.
Schwarzer Qualm stieg in die Lüfte.
Kam Maria aus dem Keller,
Jesus reichte ihr das Fläschchen,

Und Maria gab das Fläschchen
Peter und sie sprach zu Peter:
Trink du stets aus diesem Fläschchen,
Jeden Abend leer das Fläschchen,

Nie wird leer sein dieses Fläschchen,
Immer wieder will ich’s füllen!
Hüte dich vor fremden Frauen!
Wandre fort von diesem Orte,

Später will ich dir begegnen,
Sollst in Oldenburg mich suchen,
Bleib mir treu und treu bleib Jesus,
Zieh nach Oldenburg, Geliebter!



VIERTER GESANG


Anna und Joachim waren
Alte Leute, unfruchtbare,
Hatten leider keine Kinder,
Gott versagte ihnen Kinder.

Eines Tages aber Anna
Schaute Gabriel, den Engel,
Gabriel zu Anna sagte:
Anna, du wirst schwanger werden.

Anna aber sprach zum Engel:
Ich, die unfruchtbare Alte?
Und der Engel sprach zu Anna:
Wirst gebären einen Apfel!

Wahrlich, Anna wurde schwanger,
Schwanger Anna war neun Monde,
Dann gebar sie einen Apfel,
Allerschönste Paradiesfrucht.

Und Joachim tat den Apfel
Fromm auf eine Silberschale,
Die lag auf dem Gartentische
In dem Oldenburger Garten.

Gegenüber diesem Garten
Lebte Peter mit dem Freunde
Mark, sie lasen in der Bibel,
Sangen früh und spät den Lobpreis.

Eines Abends hörte Peter
Mark ihn von der Dachterrasse
Rufen: Peter, komm, ein Wunder!
Schau, ein Mädchen wie ein Wunder!

Peter von der Dachterrasse
Sah hinüber in den Garten.
Auf der Schale lag der Apfel,
Aus dem Apfel stieg ein Mädchen!

Wusch das Mädchen sich mit Wasser,
Kämmte sich die langen Haare!
Also schaute König David
Aphrodisisch die Bathseba!

Die geboren aus dem Apfel,
Nannte Peter theologisch
Neue Eva, dritten Himmels
Königin des Paradieses!

Dann verschwand die Neue Eva
Wieder in der Paradiesfrucht.
Peter aber voller Liebe
War fortan zur Neuen Eva.

In der ersten Morgenröte
Peter ging zur alten Anna:
Anna, höre meine Bitte,
Bitte gib du mir den Apfel!

Aber Anna sprach erschrocken:
Bei den Schmerzen meiner Wehen,
Wer ist würdig zu empfangen
Diese süße Paradiesfrucht?

Aber Peter bat mit Flehen
Und er bettelte so lange,
Bis ihm Anna gab den Apfel.
Peter brachte ihn nach Hause.

Peter schloß in seiner Zelle
Ein sich mit der Paradiesfrucht,
Schaute allezeit das Mädchen
Waschen sich, die Haare kämmen,

Ihre langen schwarzen Haare
Kämmen, die noch feucht vom Bade,
Legen an die Hauchgewande
Und den Muschel-Liebreizgürtel!

Wie ein Mystiker verschwiegen
Peter lebte in der Zelle
Nur mit seiner Paradiesfrau,
Mit des Apfels Neuer Eva.

Zu der Zeit sprach Dorothea,
Die sich Peters Mutter nannte,
Zu dem Freunde Mark: Mein Söhnchen
Will mich gar nicht mehr besuchen

Und nicht speisen mehr den Rotkohl
Und nicht mehr den Rinderbraten
Mit Kartoffeln, sondern einsam
Bleibt er nur in seiner Zelle.

Peter aber ward gerufen
In den schönen Süden Deutschlands
Und in Heidelberg im Schlosse
Er studiert die Minnehandschrift

Und studierte Ich und Nicht-Ich
Und die absolute Freiheit
Bei dem roten Wein des Südens
Aus dem Heidelberger Fasse.

Da kam aber Dorothea
Aus dem Norden zu der Wohnung
Peters, sprach zu Mark: Mein Söhnchen
Will, dass ich die Kammer putze.

Mark gab also ihr den Schlüssel.
Dorothea in der Zelle
Sah den Apfel auf der Schale.
Eifersüchtig auf den Apfel

Nahm den Dolch sie aus der Scheide
Und erstach die Paradiesfrucht!
Da verblutete der Apfel
Und voll Blut war Peters Kammer!

Dann zog Dorothea wieder
In den hohen Norden. Aber
Mark sah in der Kammer Peters
Nun die Frucht in ihrem Blute!

Mark rief: Wehe, weh dir, Lilith,
Du Dämonenbraut des Teufels!
Mark verließ die Wohnung eilig
Und er wanderte nach Hamburg.

Aber auf dem Wege schaute
Mark Sankt Gabriel, den Engel,
Sprach zu Mark der Engel Gottes:
Kehre um zu deinem Freunde,

Nimm mit dir den Balsam Gottes,
Mit dem Balsam heil den Apfel,
Wecke auf die Paradiesfrau,
Die der Herr bestimmt für Peter.

Mark kam wieder in die Wohnung,
Wo er sonst mit Peter lebte,
Er belebte nun den Apfel,
Gab der Neuen Eva Wasser.

Da kam aber Peter wieder
Von der Heidelberger Brücke
Und dem Neckar und er grüßte
Liebevoll die Neue Eva.

Sprach die Neue Eva lächelnd:
Dorothea wollt mich töten,
Mark gab mir das neue Leben,
Und nun bin ich reif zur Hochzeit!

Peter gingen auf die Augen:
Diese schöne Neue Eva
In der Frucht des Paradieses
War die Liebe Frau Maria!



FÜNFTER GESANG


Als in Oldenburg war Peter,
Liebte er drei schöne Frauen,
Freundinnen der Seele Peters,
Seine lieben Seelenschwestern.

Marianne war die erste,
War die älteste von dreien,
Katharina war die zweite,
Eva aber war die Jüngste.

Kamen in der Mittagsstunde
Drei gemeine grobe Kerle,
Nahmen sich die Seelenschwestern
Peters rasch zu Ehefrauen.

Kam ein Schweinehirte, stinkend,
Der nahm sich die Marianne,
Kam ein Jäger, mordbegierig,
Der nahm sich die Katharina,

Kam zuletzt ein Totengräber,
Der nahm sich die junge Eva.
Peters Seelenschwestern haben
Alle ihn sogleich verlassen.

Peter war allein in seiner
Oldenburger Zelle, betend
Schlief er ein und träumte: Selig,
Wen küsst die geheime Rose!

Rosa Mystica, dein Küssen
Ist berauschender als Rotwein!
Peter wachte auf und wollte
Küssen die geheime Rose.

Peter suchte allerorten
Der geheimen Rose Lippen,
Wanderte von Land zu Lande,
Kam nach Lourdes im schönen Frankreich.

Und in Lourdes an seiner Quelle
Sah er einen kleinen Knaben,
Sah ihn weinen, tat ihn trösten,
Rief der Knabe seine Mutter.

Seine Mutter Marianne
War, die Seelenschwester Peters,
Die begrüßte ihren Bruder
Froh mit großen Mondenaugen.

Auch ihr Schweinehirt inzwischen
War veredelt von der Liebe
Und der Schweinehirte schenkte
Peter goldne Schweineborsten.

Peter wanderte nach Russland
Und dort traf er Katharina,
Die ihn drückte an den Busen,
Weinte große Kullertränen.

Und ihr Jäger war inzwischen
Auch veredelt von der Liebe
Und der wilde Jäger schenkte
Peter goldne Vogelfedern.

Peter wanderte nach China
Und er traf die junge Eva,
Er war ganz entzückt von Eva,
Seiner Seelenschwestern Schönsten.

War dieweil der Totengräber
Auch veredelt von der Liebe
Und er schenkte Peter Knochen,
Goldenes Gebein von Toten.

Eva aber sprach zu Peter:
Rosa Mystica? Ich hörte
Schon von der geheimen Rose,
In Jerusalem ihr Schloß steht!

Willst du die geheime Rose
Einmal sehen, einmal küssen,
Wende dich an ihre Amme,
Santa Paula Margarethe!

Peter wallte Psalmen singend
Nach Jerusalem, begrüßte
Santa Paula Margarethe,
Der geheimen Rose Amme.

Peter fand der Amme Wohnung,
Santa Paula Margarethe
Nahm ihn auf wie einen eignen
Sohn, geborn auf ihrem Schoße.

Und der lieben Amme Wohnung
Gegenüber lag dem Schlosse,
Wo nun die geheime Rose
Früh auf dem Balkon erschienen.

O der transparente Körper
In kristallner Zauberseide!
O die süßen Rosenlippen!
Küssen will ich, küssen, küssen!

Peter wäre fast vor Wonne
Hingestürzt zur Mutter Erde,
Doch die liebe alte Amme
Hielt ihn fest mit Mutterarmen.

Die geheimnisvolle Rose
Will ich freien, sagte Peter.
Sprach die Amme: Du musst wissen,
Wer die Rose freien möchte,

Wird geprüft vom Vater König.
Oder scheints dir ein geringes,
Röschens Ehemann zu werden
Und ein Schwiegersohn des Königs?

Peter sprach: Ich möchte sterben,
Um die Rose zu gewinnen,
Für den Ehebund mit Röschen
Geb ich hin mein ganzes Leben!

Und die Amme sprach zu Peter:
Röschen liebt Musik, vor allem
Die Klaviermusik von Schubert,
Das romantische Piano.

Peter kaufte ein Piano,
Schenkte das Klavier dem König,
Peter aber sich versteckte
In dem Schoße des Piano.

Und der König Vater schenkte
Seiner Tochter das Piano,
In dem Schlafgemach der Rose
Tönte das Klavier im Mondschein.

Peter stieg aus dem Piano:
O geheimnisvolle Rose,
Rosa Mystica Maria,
Ich will küssen, sag ich, küssen!

Mit dem roten Mund Maria
Küsste Peter auf die Lippen!
Scharlachrote Schnur der Lippen,
Wie benetzt mit rotem Weine!

O die Wonne dieses Kusses!
Die Ekstase dieses Kusses!
Unaussprechlich weiß zu küssen
Unsre Liebe Frau Maria!

Sprach Maria leise lächelnd:
Freund, der Vater wird dich prüfen,
Er wird mich verbergen heimlich,
Du musst mich alleine finden.

In der siebenten, geheimen
Wohnung in dem Königsschlosse
Wird der Vater mich verbergen,
Doch ich helf dir, mich zu finden.

Trag dies Medaillon am Halse,
Dann wirst du mich sicher finden.
In der siebten Kammer aber
Wartet deine letzte Prüfung.

Sind dreihundert Königinnen,
Siebenhundert Konkubinen,
Schön wie Göttinnen des Himmels,
Lustvoll in dem Brautgemache!

Königinnen, Konkubinen
Sollst du schaun, doch widerstehen!
Und erwählen dir die Eine,
Deine Feine, deine Reine!

Wirst du unter all den Frauen
Auch die Liebe Frau erkennen?
Küss das Medaillon am Halse,
Dann will ich mich offenbaren.

Sprach die Liebe Frau Maria,
So geschah es, wie sie sagte,
Peter die geheime Rose
Fand, erwählte und erkannte!

Nun der Vater König prüfte
Peter: War gefüllt ein Zimmer
Bis zum obern Rand mit Früchten:
Iß sie auf an Einem Tage!

Peter nahm die Schweineborsten
Von dem Manne Mariannes,
Warf sie in das volle Zimmer,
Schweine fraßen auf die Früchte.

Nun der Vater König prüfte
Peter: Schläfre die Verlobte
Ein mit einem süßen Singsang,
Daß sie früh am Abend einschläft!

Peter nahm die Vogelfedern
Von dem Manne Katharinas,
Warf sie in die Lüfte, Vögel
Sangen süß ein Wiegenliedchen!

Nun der Vater König prüfte
Peter: Soll ein kleiner Knabe
Über Nacht fünf Jahre alt sein,
Peters und Mariens Kindlein!

Peter nahm den Totenknochen
Von dem Mann der schönen Eva,
Wurde draus ein kleiner Knabe,
War fünf Jahre alt der Knabe.

Sprach der Knabe zu Maria:
Meine liebe Himmelsmutter!
Sprach das liebe Kind zu Peter:
O mein vielgeliebter Pate!

Peter legte zu Maria
Zärtlich sich aufs Ehelager,
Zärtlich streichelnd ihren Rücken,
Zärtlich streichelnd ihre Hüfte.

AVE MARIA!




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