[Inhalt]

DER GEKREUZIGTE CHRISTUS

Tagebuch der Konversion I

Von Peter Torstein Schwanke


„Sieh, es ist Nacht! Ergebe dich der Nacht!“
(Reinhold Schneider)


22.4.2000

Nur das Gebet (Vaterunser) half mir aus dieser Welttraurigkeit. Besonders schön die Aus-legung von Reinhold Schneider zu „und führe uns nicht in Versuchung“, er sagt, Christen müssten oft ein schwereres Kreuz tragen als Heiden, hätten dafür aber auch die ewige Hoffnung, im Gegensatz zum vergänglichen Glück der Gottlosen.
      Ich mit meiner Schwermut mag das Freuden- und Jubelchristentum der Charismatiker nicht. Ich liebe Autoren wie Reinhold Schneider, die aus der Tiefe des Leidens Gott geprie-sen haben. Leid verwandelt uns in das Ebenbild des Gekreuzigten. „Freude in allem Leide“ ist für mich keine Fröhlichkeit mit Lachen, sondern Trost und Dankbarkeit, daß der Vater da ist, ich ihm mein Herz ausschütten kann, der Geist in mir als Tröster, Jesus der Garant der ewigen Glückseligkeit. - Aber ich kenne in der Bibel keinen Fall von Liebeskummer. Salomo liebte glücklich. Jakobs Sehnsucht nach Rahel wird nicht geschildert, und sie ist ihm ja versprochen. David bekam jede, die er haben wollte. Aber unglückliche Liebe ist Wirkung des Übels, es wird soetwas im Paradies nicht geben, wo alle lieben ohne Aus-nahme und vollkommen. Und Melancholie und Schwermut, ist das die „Traurigkeit der Welt zum Tode“? Eine „göttliche Traurigkeit“ ist die Reue über die Sünde. Aber ich bin nicht von der Welt und doch schwermütig. Es kann nicht die Welttraurigkeit zum Tode sein. Aber es ist auch kein Leiden um Christi willen. Es ist nicht Sauls böser Geist, es ist nicht Elias Angst, es ist nicht Davids Traurigkeit wegen des Ehebruchs oder seine Angst vor den Feinden. Warum bin ich so schwermütig? Das zu fragen, scheint unsinnig, ich werde darauf im Himmel erst eine Antwort bekommen. Luther kannte Schwermut und empfahl Musik, Komödie, Geselligkeit.

24.4.

War bei Schwester S. Sie las mir zwei Lieder von Jochen Klepper vor, der die letzten Lie-der vor seinem Tod sehr schwermütig dichtete. Er hatte eine Jüdin zur Frau und ein halbjü-disches Kind, und zwei Tage, bevor sie ins KZ abgeholt werden sollten, drehten sie den Gashahn auf und starben mit Blick auf den segnenden Christus. Jochen Klepper, Rudolf Alexander Schröder und Reinhold Schneider will ich besser kennenlernen.

27.4.

Las etwas über Goethes Liebesleben. Er traf die Freundin Charlotte von Stein im Garten, wenn Stallmeister von Stein nicht da war, verherrlichte sie in Tasso und Iphigenie und lieb-te sie, sie liebte ihn als seine Schwester und Muse. Aber schließlich reiste er nach Italien und klagte über sein weimarianisches Unbefriedigtsein, er hätte Charlotte gern besessen, nahm sich Faustina als Schätzchen und schrieb Erotica. Kann eine idealisierende, platoni-sche, verzichtende Liebe erfüllend sein?

1.5.

Ich bin mit der Pfingstgemeinde unzufrieden, schon seit etwa Dezember. Der Lobpreis ist mir zu oberflächlich und ewig-fröhlich, die Gemeinschaft heuchlerisch fast und oberfläch-lich auf small-talk beschränkt, die Predigten sprechen mich nicht an, sie sind mir zu welt-lich. Ich fühle mich in der Gemeinde nicht mehr zuhause, auch das Reden von „Bildern“ und „Zungenrede“ befremdet mich mehr und mehr. Ich bin ganz vom Charismatischen weg. Wenn Charismatiker vom Heiligen Geist reden oder Pfingstler, werd ich mißtrauisch. Ich will gucken, ob ich mir vielleicht eine evangelikale Gemeinde suche.

2.5.

      Leiden um Christi willen ist nicht nur die äußere Verfolgung und Peinigung des Leibes der Christen durch den Teufel und seine Kinder, sondern auch das innere Traurigsein der Seele der Christen über die Übel des Fleisches und der Welt.

5.5.

Ich bin irgendwie in einem dunklen Lybrinth, wo alles sinnlos scheint, ein lebenslanges Umherirren, und erst der Tod ist der Ausweg.

6.5.

Wenn ich eine textliche Tradition des christlichen abendländischen Kirchenliedes sehe: Ambrosianus, Tauler, Gerhard, Wesley, Zinsendorf, Teerstegen, Schröder und Klepper; was ist dagegen die Textkultur des charismatischen Lobpreises? Oberflächlich, inhaltsleer, literarisch schlecht. Auch die Tradition von Milton, Sidney und Spenser und anderen engli-schen Renaissance-Dichtern, Psalmen nachzudichten, ist bei mir zur Reimbibel geworden.
      Franziskus: „Seine Rede war einfach und mächtig, erfüllt von der Glut der Wahrheit, die in ihm lebte; gerne erzählte er in schlichten Worten ein Gleichnis, fühlte er sich vom Geiste nicht mehr getragen, so schwieg er.“

8.5.

Das sehr tiefsinnige, fromme Buch Schneiders über Franziskus durchgelesen. Man muß es langsam lesen, es ist sehr sorgfältig formuliert und voller tiefer frommer Gedanken. Es lobt Armut, Demut, Gehorsam und Heiligung. Die Predigt des Franziskus war sein Leben, das dem Leben Christi ähnlich wurde.
      Kleppers Kyrie gelesen, sprachlich hart und karg, aber geistlich fromm im Leiden, nun nicht mehr Klage, sondern Lob, sagt er, und ob Lebensbaum oder Dornbusch, es ist von Gott gesandt, mich zu ihm zu ziehen, er ist nah, und Klepper ersehnte die heilige Jerusa-lem!

10.5.

Waldemar Augustiny „der Glanz Gottes“ gelesen, eine Novelle über den deutschen Ba-rockmaler Johann Lyß in Venedig, der in sinnlicher Lebenslust lebte und melancholisch war, weil er Übersinnlich-Göttliches malen wollte. Ein Kardinal sagte ihm: Sein Beruf ist Berufung, er muß gehorchen. Er kann sinnliche und seelische Schönheit zur Ehre des schö-nen Schöpfers verherrlichen. Wenn zu seiner Kunstgabe ein frommes Leben käme, könne auch ein Abglanz der ewigen Schönheit in seine Werke fallen.
      Lese Schneiders Sonette. Er bekennt sich zu seiner Schwermut, die ihm von Anfang an gegeben ist, es ist sein Kreuz, er ist auf der Erde nur Gast, mit Sehnsucht nach der lichten Heimat. Sehr tief, sehr still, sehr melancholisch die Sonette, gefallen mir ausgesprochen gut.
„Läßt nur ein Herz in Treue sich bereiten, / so kehrt ihm einst, sein Elend auszu-söhnen, / verklärt der Liebe Morgenglut zurück.“ (Schneider)

13.5.

Goethe sagt: Auf dieser Erdenflur muß man lieben, um zu dichten.
      Im Liebesleben Goethes wird Zacharias Werner, der Sonetten- und Dramen-Dichter er-wähnt, der eheuntauglich und immer verliebt war, ein Prediger der Liebe, mal der fleischli-chen und mal der geistlichen. Goethe durfte, als er seinen Bettschatz Christiane hatte, im-mer äugeln und poetisch schwärmen, aber er blieb doch der Mann seines Hausschätzchens. Sie schaffte ihm häusliche Behaglichkeit und ein warmes Bett, seine feminine Inspiration suchte er außes Hauses.
      Begeisternd, wie Schneider vom bitter-schwermütigen Todverfallnen zum heiligen Pro-pheten des ewigen Lebens wurde; ersteres raubt die Kraft beim Lesen, letzteres gibt Kraft selbst im Schweren.

14.5.

Höre Schubert-Lieder und lese Schneider-Gedichte. Mitternacht und eine stille Schwermut ist da. Ich habe fünf geistliche Lieder gedichtet. Vielleicht wird es ein Gesangbuch. Aber meine schöpferische Phase ist wohl eigentlich noch nicht wieder da. Immer diese einsamen Nächte!

15.5.

Wollte in eine kleine dunkle katholische Kapelle und beten und Eucharistie feiern.
      Leiden gehört zum Christenleben, unschuldiges Leiden. Alles unschuldige Leiden ist ein Leiden um Christi willen, und ein Segen, weil es uns Christi Leiden und Tod gleichgestal-tet, uns dem Herrn ähnlich macht. Wir sehnen uns und seufzen nach der Erlösung. Was heißt aber: „Freuet euch, und abermals sage ich euch: Freuet euch im Herrn!“ wie Paulus sagt? Wie hängt das Schicksal der Leiden mit der gebotenen Freude zusammen?
      Im Gebet sagte ich Gott, daß ich es annehmen will, wenn es mein Schicksal ist, immer ohne Weib zu bleiben. Vielleicht ist es Voraussetzung für mein Werk? Aber die Sehnsucht nach Zärtlichkeit und Küssen, Gemeinschaft und Annahme bleibt, besonders an den schwermütig-einsamen Abenden.
16.5.

„Der Reiz der Schönheit ist in der Tat nicht rein erotisch; fester noch als das Verlangen bindet der Widerschein, der Tau auf ihren Flügeln, den sie aus einer unbekannten ersehnten Welt herausträgt. Die schöne Frau ist viel mehr als sie von sich weiß. Was sie selbst als ihren höchsten Wert betrachtet, ist nicht ihr Wert. Sie ist unbesiegbar wegen jenes Wider-scheins, für den sie keine Augen hat.“ Reinhold Schneider. Lewis sagte, alle irdische Schönheit sei Abglanz und Hinweis auf Gottes Herrlichkeit. Ich kann nicht anders als glauben, daß Gott schön ist und sicher hat er Sinn für das Schöne. Jerusalem-Eden ist schön, Jesus ist schön, Maria ist schön, die Engel sind schön.
      Wäre es vorstellbar, daß ich mit einer Frau zusammenlebe? Daß ich nicht jederzeit ein-sam an meine und anderer Dichter Werke gehen könnte? Nur um an manchen Abenden nicht die Einsamkeit zu spüren? Man hätte keinen sexuellen Verzicht mehr zu leisten, aber oftmals einen Verzicht auf ein Leben in Traum und Phantasie, denn eine Ehefrau wird wahrscheinlich mehr Prosa als Poesie ins Leben bringen. Und dennoch möchte ich einmal wieder umarmen und küssen!
      Gebet aus dem katholischen Gotteslob: „Mein Herr und Gott, es hat sich für mich so ergeben, daß ich allein lebe. Manchmal freue ich mich zwar über meine Freiheit, aber oft drückt mich das Alleinsein, und ich frage mich, was mein Leben soll. Dann laß mich spü-ren, daß du mich an einen Platz gestellt, an dem du mich haben willst, so wie ich bin, mit meinen Gaben und Fähigkeiten, mit meiner Schwachheit und Unzugänglichkeit, in meiner Einmaligkeit, die du so und nicht anders gewollt hast. Zeig mir, daß mein Alleinsein nicht Einsamkeit sein muß. Weil ich frei bin, kann ich vieles tun. Weil ich allein bin, kann ich vielen etwas bedeuten. Weil meine Liebe nicht gebunden ist, kann sie sich vielen zuwen-den. So kann auch mein Leben erfüllt sein, wenn ich es nur selbst annehme und bejahe. Dazu hilf mir.“ Amen.

17.5.

Bin um 2 Uhr morgens aufgewacht von einem Traum, der schön war. Ich hatte eine Rad-tour im Haschischrausch gemacht und kam an einer modernen evangelischen Kirche vor-über; als ich sah, daß es eine evangelische war, sagte ich: Nein, ich wollte ja in eine katho-lische; die stand daneben, und ein Pfarrer saß davor. Ich sagte: Entschuldigung, dürfte ich mal in der Kirche beten? Er sagte: Wie? Ich sagte: Ich suche schon den ganzen Tag eine kleine katholische Kapelle, um eine Andacht darin zu halten. Er sagte: Ja, wer steckt denn da dahinter? Ich sagte: Ich bin schon Christ, aber protestantischer, am Anfang meines Christseins war ich Katholik, und nun bin ich mir über meine Frömmigkeit nicht mehr im Klaren. Er lächelte, als wolle er mich zur Madonna bekehren, was ich nicht wollte. Ich wollte ihn erst fragen, ob ich bei ihm beichten könne. Ich wollte mein Haschischrauchen beichten, tat es aber dann nicht, entweder weil ich als Protestant nicht zur Beichte zugelas-sen war, oder weil ich nicht ans Sakrament der Beichte glaubte. Ich ging dann in die Kir-che, die von einem farbigen Dämmer erfüllt war (von den Glasfenstern). Da saßen zwei Frauen, eine in meinem Alter, mit grau-beiger Strickjacke, und eine ältere Frau, die auf-standen und sich erschraken oder verwunderten, als sei ich zu früh gekommen. Ich sagte, ich sei nur zum Beten gekommen. Sie zogen sich zurück. Ich setzte mich und fing eben an zu beten, da kam der Pfarrer zu mir, im schwarzen Talar, beleibt, etwas älter, und sprach mit warmer, väterlicher, freundlicher, salbungsvoller Stimme mit mir. Ich weiß nicht mehr, was er sagte. Dann verabschiedete ich mich und stellte beim Herausschauen aus dem hellen Vorraum fest, daß es die katholische Kirche ganz in meiner Nähe war, ich war irritiert, denn erst dachte ich noch, ich sei in einem ganz andern Stadtteil von Oldenburg. Der Pfar-rer gab mir zum Abschied eine Broschüre über ein esoterisches Fernsehprogramm, in dem die Überlegenheit der italienischen Rasse über die deutsche dargestellt wurde, und ein Lie-derheft mit katholischen Liedchen, „Unser Leben“ hieß es und freute mich sehr. Er fragte, ob ich ein Dichter sei, und ich bejahte. Das erklärte auch, warum ich den weiten Weg, den ich bis zur Kirche schon hinter mir hatte, nicht bemerkt hatte: ich war ein Träumer, und es war recht so, er lächelte liebend-väterlich.... Ich glaube, von der großen Liebe, die ich spür-te, wachte ich auf, hatte Durst und war wach.
      Gott ist also gewiß schön: „Mein Volk wird schauen die Herrlichkeit des Herrn und die Schönheit unseres Gottes“ (Jesaja 35).
      Ich glaube nicht an die Taufwiedergeburt, nicht an die Transsubstantiation und nicht an die Fürsprache Marias und der Heiligen. Ich mag am Katholischen die Mystik, besonders die Minnemystik, und Innerlichkeit und Gebet, was man vielleicht auch bei den älteren Pietisten findet. Innerlichkeit ist mir ein zentraler Begriff geworden, und heiligen Ernst will ich und Annahme der Leiden und Gleichgestaltung durch Leiden (auch Schwermut ist ein Leiden um Christi willen). Jedes Leiden an Geist, Seele und Leib, das nicht Strafe für eine begangene Sünde ist, sondern von Gott zugemessen zur Läuterung und Umgestaltung, ist ein Leiden um Christi willen.
      Gestern dachte ich: Ich bin ein Schiff, ich muß nur das Segel des Gebetes spannen, dann wird der Wind des Heiligen Geistes mich führen in den Port. Heute fühle ich: Mein Leben ist ein Stück Wrackholz, das im chaotisch-wogenden Ozean treibt.
      Ich hatte sonst das Gebet zu begreifen gesucht als Bitte um konkrete Dinge, die ich mir wünschte. Manches kam und manches blieb aus, manches kam spät. Aber ich begriff die Kraft des Gebetes nicht. Das Lobpreisgebet hatte mich kräftig und lebensfroh gemacht, aber es war wenig eigenes. In Altensteig die Gebetsspaziergänge mit den Psalmen und dem evangelischen Gesangbuch, das war Intimität, die mein Herz berührt hat. Das schöne Gebet gestern nach den Lob-, Segens- und Bußgebeten aus dem katholischen Gotteslob hat mir Liebe für Gott geschenkt. Das Wichtigste am Gebet ist die Gemeinschaft mit dem Vater, Intimität, innerliche Union, die grundsätzlich das Herz verändert.
      Ein Wort für den ruhigen, müßigen, stillen Abend: „... die Anleitung zu einem Schwei-gen vor Gott, das nicht unter dem Erfolgsdruck überwältigender Emotionen steht, sondern auch mit der Erfahrung der Nichterfahrung rechnet und diese bejaht.“
      Ich mag auch nicht, wie in der Pfingstgemeinde das Abendmahl gefeiert wird, ohne An-dacht und Versenkung in die Leiden Christi, sondern mit Fröhlichkeit und Lachen. Wie sehne ich mich nach einer Frömmigkeit, wie sie die Katholiken bei der Eucharistie haben, dieser Heiligung und Würde und Ernst und Demut.

18.5.

Sehe eine Messe mit dem Papst auf dem Petersplatz, viel fromme Gebete zum barmherzi-gen Vater, dem Herrn und Erlöser Christus in der Freude und durch die Gaben des Heiligen Geistes. In würdiger Feierlichkeit werden Psalmen gesungen melodisch von Chören. Der Märtyrer und der Einsamen und Leidenden wird gedacht. Das Volk Gottes wird eine heili-ge, prophetische Priesterschaft genannt, Tempel Gottes. Ich bin neidisch auf diese biblische Sprache; wie säkular ist die Sprache in der Pfingstgemeinde. Aber die Fürsprache Marias und der Heiligen und die Schlüsselgewalt des Papstes und das Opfer der Eucharistie halt ich nicht für biblisch. Maria ist tot, sie wird an der ersten Auferstehung am Jüngsten Tag teilhaben, dann werde ich sie nicht Mutter, sondern Schwester nennen. Ich kann auch Tote lieben, wie meinen Bruder Reinhold Schneider, so liebe ich auch meine Schwester Maria, und freue mich, sie beim alleinigen Herrn und Hohepriester und Fürsprecher Christus zu sehen.
      Wenn das Mahl des Herrn kein Sakrament ist, in dem der Leib des Herrn und sein Blut tatsächlich gegeben werden, dann muß es immerhin eine heilige Meditation über den Kreu-zestod Christi sein, eine Versenkung in sein Opfer. Das will ich mit heiligem Ernst bege-hen, nicht mit Lustigkeit und Spaßigkeit und Tanz, sondern mit Ehrfurcht, in der Furcht des Herrn.
      Teilzuhaben an Christi Leiden, um in einen Christus-Ähnlichen verwandelt zu werden, ist mein Los. Freude ist mir die Hoffnung auf die ewige Glückseligkeit und nicht die Teil-habe an zeitlichem irdischem Glück. In der Pfingstgemeinde predigen sie, wie man auf Erden glücklich wird. Ich mag die sanguin-hysterische Fröhlichkeit nicht. Die barock-protestantischen und die pietistischen Liederdichter schufen aus der Schwermut und dem Leiden heraus.
      Zur Einsamkeit: „Nicht an den Menschen fehlt es oder an der mangelnden Möglichkeit zu sprechen, sondern an der Möglichkeit, es zu sagen. Das Herz ist nicht mitteilbar und kann deshalb niemand gewinnen.“
      Kehrte in Osternburg in die katholishe Kirche ein und betete: Mein Leben erschien mir als Kreuzweg, und Christus hilft mir, mein schweres Kreuz zu tragen. Ich zündete eine Kerze vor dem Christus, der als Kind gekommen ist, fürs Baby an.
      Etwas in Schneiders Tagebuch gelesen, aber ich glaub ich mag nicht mehr. Seine Idee vom Künstler aus Gnaden des Verzichts auf Glück hab ich verstanden, seine Bemerkungen über das katholische Spanien des 16. Jahrhunderts aufgenommen, ich will mehr vom be-kehrten Schneider ab 1936 lesen.
      Mechthild von Magdeburg schreibt: „Denn Gott erscheint allen in dem Maße schön, in dem sie hier in der Liebe geheiligt und in den Tugendwerken veredelt wurden.“

20.5.

Hiob 36,15, Elihu sagt: „Wer aber leidet, wird durchs Leid gebessert, Gott öffnet ihm die Augen durch die Not.“
      Blaise Pascal: „Denn es gibt zwei Prinzipien, die den menschlichen Willen in die eine oder andere Richtung lenken: die Begierde und die christliche Liebe. Es ist nicht so, daß die Begierde mit dem Glauben an Gott und die christliche Liebe mit den Gütern der Erde unvereinbar wären, aber die Begierde bedient sich Gottes und hat ihre Freude an der Welt, und die christliche Liebe verfährt umgekehrt.“ - „Verhärte ihr Herz. Und wie? Indem man ihrer Begierde schmeichelt und ihnen Hoffnungen macht, daß man ihr freien Lauf läßt.“ Die Gerechten verstehen unter ihren Feinden die Leidenschaften, die sie von Gott wegbrin-gen wollen.
      Die Pein, sagt Mechthild, sei nicht aus dem Himmel, sondern aus dem Schoß Luzifers, aber sie haben schon manchem den Weg zum Himmel und zur Seligkeit geebnet. So viel-leicht auch unglückliche Leidenschaft? und gewiß die Schwermut, die man auch als bösen Geist oder Pfahl im Fleisch verstehen kann, welchen Gott mir gegeben hat, damit ich sei-nem Sohn gleichgestaltet werde.
      War in der Osternburger Heilig-Geist-Kirche und betete: Wenn ich auf dem Kreuzweg Jesu gehe und mein Kreuz trage, ist meine Freude, daß Gott da ist, Jesus meine Hilfe und der Heilige Geist mein Tröster, und ich eine lebendige Hoffnung habe. Aber diese Freude ist nicht notwendig eine sanguinische Heiterkeit und Fröhlichkeit, sondern Trost, Dank und Hoffnung, „Freude in allem Leide“.

21.5.

Ich stelle viel Hochmut fest. Der glückliche Christ sieht auf den schwermütigen herab und sagt: „Du hast die Erlösung noch nicht erfahren, noch nicht die Auferstehungsfreude im Heiligen Geist und das heilige Lachen der Geisterfüllung erfahren“. Der Schwermütige sieht auf die Fröhlichen herab und sagt: „Du willst dein Kreuz nicht auf dich nehmen, dich nicht durch Leid in Christus verwandeln lassen, du bist infiziert vom Zeitgeist der Spaß-Generation.“ Um diese, von Gefühlen begründete Theologien bauen sich ganze Kirchen, wie mir scheint, vielleicht ist dies die Differenz zwischen Pietisten und Charismatikern.
      Was ist gemeint mit der „Traurigkeit der Welt, die zum Tode führt“? Ist es Hoffnungslo-sigkeit und Depression der Kinder der Welt angesichts des Todes? oder ist es alle Traurig-keit, außer der „göttlichen Traurigkeit, die zur Reue führt“?
      Schneider zitiert Papst Innozenz III: „Den Ehelosen quält die Fleischeslust, den Verhei-rateten das Weib.“
      Pascal zitiert Jesus, der sagt: „Wer nicht sein Leben haßt, kann mir nicht folgen.“ Aber das Gebot: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ setzt doch voraus, daß es geboten ist, auch sich selbst zu lieben. Sollte man nicht lieben, was Gott liebt? Und Gott liebt mich. Aber es heißt auch: „Wer Vater und Mutter nicht haßt, kann nicht mein Jünger sein“ und „Ehre Vater und Mutter!“ Heißt „hassen“ hier: an die zweite Stelle setzen? Sein Leben hassen, heißt, es ist nicht das Höchste, sondern Gott zu lieben ist mehr. Auf dem Thron des Herzens sitzt nicht mehr das Ego, sondern der Heilige Geist. Erst in Christus ist das Selbst wieder geliebt. Ist das recht gedacht?
      Das Leben wird nach vorne gelebt, aber nur nach rückwärts verstanden, sagt Kierke-gaard. „Glücklich, wen ein leerer Wahn beschäftigt“, sagt Goethe.

22.5.

Vater, wie die Israeliten in der Wüste die Entbehrung satt waren und nicht mehr nur vom Manna leben wollten, sondern sich nach dem Fleisch Ägyptens sehnten, so denk auch ich manchmal, deine Gebote von mir zu werfen und nach dem Willen meines Fleisches zu leben. Und Vater, wie Mose die Last zu schwer wurde, die Israeliten zu führen, und er sich eine Erleichterung seiner Qual erbat oder du mögest ihn sterben lassen, so sehn ich mich nach Freude oder mehr noch nach dem Abscheiden.
      J. meinte, die Schwermut sei die „Traurigkeit der Welt, die zum Tode führt“, aber könne von Gott zur Heiligung verwandt werden. Die Schwermut sei eine seelische Behinderung, wie es geistige oder körperliche gebe. Sie sei das Erbteil der sündigen Natur der Väter. Das trifft mit Mechthild zusammen, die sagte, die Pein sei aus Luzifers Schoß. Sie ist das Kreuz, das ich zu tragen habe. Gott gebraucht sie aber, mich zu ihm zu drängen. So sandte Gott den Juden die Finsternis der Nationalsozialisten, um den zionistischen Gedanken mächtig werden zu lassen. Vor dem dritten Reich warben die Juden in Freundlichkeit für die zionistische Idee, aber erst die Drangsal brachte den israelischen Staat zustande. So ist das Leid oft wirksamer als die Freude zur Herstellung einer intensiven Gottesbeziehung.
      Pascal fragt, ob man einen Menschen, den man wegen seiner Schönheit liebt, wirklich liebt? Nein. Liebt man einen Menschen, den man wegen der Tugend seiner Seele liebt, wirklich? Nein, denn auch die kann, wie die Schönheit, vergehen. Aber kann man die Sub-stanz der Seele eines Menschen abstrakt lieben? Nein. Man liebt also den Menschen wegen seiner Eigenschaften.
      Pascal: „Der Glaube umfaßt mehrere Wahrheiten, die einander scheinbar widersprechen: lachen hat seine Zeit, und weinen hat seine Zeit... Deren Quelle ist die Vereinigung der zwei Naturen in Jesus Christus.“ So ist es legitim, eine ernste, liturgische, heilige Messe im Dunkeln zu feiern, und ebenso legitim, einen fröhlichen Lobpreisabend zu feiern. Es ist legitim, beim Abendmahl lachend des Auferstandenen zu gedenken und ebenso legitim, beim Abendmahl ernst und würdig des Gekreuzigten zu gedenken. Seit kurzem bin ich nicht mehr überzeugt, daß bei dem Schisma durch die Reformation die Wahrheit allein auf den Reformatoren lag. Auch bei Katholiken wie Augustinus, Mechthild, Pascal und Schneider finde ich Glaube und Wahrheit.
      Die totale dogmatische Verneinung alles Katholischen führt zu einem Traditionsverlust, es sei denn, man baue seine Traditionslinie über Waldenser, Albigenser, Hussiten, Refor-matoren. Wo bleibt da die Mystik? Mystik ist unter den Evangelikalen ein Schimpfwort, was ich immer schon bedauerlich fand.
      Das Besondere der Poesie ist, daß sie erfreuen und belehren kann. Nur christliche Poesie kann recht belehren, denn sie lehrt die von Gott offenbarte Wahrheit. Erfreuen kann mich aber auch nichtchristliche Poesie, und auch aus ihr kann ein Christ lehren ziehen, z.b. vom Streben der Menschen nach natürlicher Religion Hölderlin, Rilke, Hesse). Schönheit und Wahrheit scheinen mir aber nicht identisch. Die Marienverehrung finde ich schön, halte sie aber nicht für wahr. Eine buddhistische Pagode finde ich schön, halte sie aber nicht für einen Tempel der Wahrheit. Solche Schönheit ist ein entstellter Abglanz der wahren Schönheit Gottes. Wenn Platon von dem Schönen, Wahren und Guten sprach, kann dies in Einheit nur von Gott erfüllt werden.
      Luther nennt den Papst Rattenschwanz des Antichristen, Pascal nennt die Calvinisten Ketzer und Häretiker. Was soll man darüber denken? Was ist mit dem Leib Christi und seiner Gegenwart im Abendmahl oder unter dem Abendmahl oder ist es allein ein Ge-dächtnismahl? Die Evangelikalen lehren reines Gedächtnismahl und würden an einer Eu-charistie nicht teilnehmen, es sei erneute Opferung Jesu, das Kreuz sei das alleinige und endgültige Opfer. Die Katholiken schließen die Protestanten vom Abendmahl aus, weil sie den Leib des Herrn verunehren würden. Was soll man darüber denken?

23.5.

Ägypten ist die Welt, die Wüste das Leben der Heiligen in Aussonderung und das Gelobte Land der Himmel. Die Rotte Korach war ein Bild für die Namenschristen, die sich der Füh-rung Gottes durch Mose (Christus) widersetzten und wollten zurück in die Welt: „Ägypten ist das Land, wo Milch und Honig fließt. Wo ist denn dein Gelobtes Land? Stattdessen führst du uns in die Wüste.“ Die Wüste ist eine Entbehrungszeit, aber Gott sorgt für die Seinen und ist mit ihnen. Die Verheißung ist fest. Es gibt einen Verzicht auf irdische Glückseligkeit, aber eine Verheißung auf das Paradies. Die in der Wüste sind schon nicht mehr in der Gefangenschaft, aber noch nicht in dem Land, das Gott ihnen geben will. Wir sind nicht mehr von der Welt, aber noch nicht im Himmel, der uns aber fest verheißen ist.

24.5.

Pascal: „Jesus Christus ließ, so scheint mir, nach seiner Auferstehung nur seine Wundmale berühren. Noli me tangere. Wir sollen uns nur mit seinen Leiden vereinen.“

25.5.

Ich träumte, daß ich am See Genezareth ging in der heutigen Zeit, da sah ich auf dem sturmaufgewühlten See ein Boot und in dem Boot den Herrn und seine Jünger. Der See war sehr romantisch von einer Felsenlandschaft in der Abendsonne umgeben und Blumen, die Straße war staubig und ein Kampfgebiet im Krieg zwischen Palästinensern und Israeli-ten.
      Meister Eckard: „Willst du recht wissen, ob dein Leiden dein sei oder Gottes, so sollst du dies hieran erkennen: Leidest du um deiner selbst willen, in welcher Weise es immer sei, so tut dir das Leiden weh, und es ist dir schwer zu ertragen. Leidest du aber um Gott und einzig um Gottes willen, dann tut dir das Leiden nicht weh, und es ist dir auch nicht schwer, denn Gott trägt die Last. In voller Wahrheit!“

26.5.

Film über Vincent van Gogh. Er liebte seine Cousine, aber die schickte seine Briefe unge-öffnet zurück. Dann hatte er ein einfaches Weib, die den brotlosen Künstler verließ. Er lebte in Einsamkeit in Arles, Provence, und schuf wie ein Besessener, genoß die Gemein-schaft mit Gauguin, stritt sich aber viel mit ihm, schnitt sich im Wahn das Ohr ab, als der ihn verließ und die Einsamkeit drohte. Ruhe fand er in der Anstalt, fand wieder zu seiner Schöpferkraft zurück. Sehnsucht seines Leben: Liebe und Lebensberufung.
      Soll ich alle Menschen lieben außer mir selbst? Soll ich mich selbst hassen? Soll ich doch den Nächsten lieben wie mich selbst. Wenn ich mich selbst aber hasste, liebte ich den Nächsten schlecht. Und wenn Gott in meiner Seele wirkende Liebeskraft ist: Gott liebt mich. Ich soll mich aber selbst verleugnen, nicht eigensüchtig oder selbstsüchtig sein. Was ist der Unterschied zwischen der Selbstliebe und der Eigensucht? Der natürliche Mensch ist eigensüchtig, er macht seinen eigenen Willen zu seinem Gebieter und Gott. Der geistli-che Mensch nimmt seinen eigenen Geist und Seele und Leib an als von Gott geschaffen, erlöst und geliebt. Er haßt nicht, was Gott liebt. Aber er liebt sich selbst (wenn er Christus ähnlich ist) nicht mehr als andere, sondern gibt sich anderen hin. Er nimmt seine gottgege-benen Schätze an, um sie zu verschenken.

28.5.

Film über die christliche Künstlerin Margreth Knoop-Schellbach, sie sehr, sehr schön mal-te. Sie malte viele Christusse, schnitzte Kreuze und Kirchenportale, malte das Leben der Heiligen Franziskus und Elisabeth von Thüringen. Sie sagte, sie male, was sie malen müs-se, ohne sich ästhetische Theorien zu machen.
      O für ein Schweigekloster! O für die heilige Stille in einer Heiligen Messe! Jetzt bleibt nur noch die fundamentalistisch-evangelikale Freikirche oder die katholische Kirche. Gott, sind die Protestanten abgeirrte Brüder und die katholische Kirche die Eine Kirche? Sind die Wiedertäufer die wahren Wiedergebornen und die katholische Kirche die Hure auf dem Tier, Prophetin einer endzeitlich-antichristlichen Welteinheitsreligion? Gott, ich stehe zwi-schen allen Stühlen.
      Mich berührt am Gefühl folgendes Salve Regina: „Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit; unser Leben, unsre Wonne und unsre Hoffnung; sei gegrüßt! Zu dir rufen wir, verbannte Kinder Evas; zu dir seufzen wir traurend und weinend in diesem Tal der Tränen. Wohlan denn, unsre Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu, und nach diesem Elend zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht deines Leibes. O gütige, o mil-de, o süße Jungfrau Maria!“
      Ostern noch mochte ich nicht in die Messe in Hage gehen, sagte im Hauskreis zur Of-fenbarung, daß die Hure Babylon vielleicht die katholische Kirche sei. Nun lese ich auf-merksam das Gotteslob und finde gläubiges Christentum. Nur „Gottesmutter“ mag ich nicht sagen, wohl aber Liebe Frau und Mutter meines Herrn. An die Sündlosigkeit Marias kann ich nicht glauben, weil die Heilige Schrift sagt, daß alle Menschen Sünder sind, und Maria war ganz Mensch, wenn auch die erste Heilige, die erste geheiligte Sünderin.

29.5.

Gertrud von LeFort, Hymnen an die Kirche: Die Seele spricht: „Mutter... bist du gewiß, meine Mutter, daß nicht der Bote des Abgrunds dich betrog? oder daß Wildlinge aus der Engel Saal dich verhöhnten?“ Die Seele spricht: „Ich irre wie ein Vogel um meines Vaters Haus, ob ein Spalt ist, der dein fremdes Licht einläßt, aber es ist keiner auf Erden, außer der Wunde in meinem Geist.“ Die Kirche spricht: „Ich habe dich überblendet, daß deine Grenzen verfließen, ich habe dich verschattet, daß du deine Schatten nicht mehr fändest... Ich bin zum Hohn geworden an deinem Verstand... auf meiner Stirne wittern die Ufer des Drüben! Darum muß ich Wildnis sein in deiner Erkenntnis und Vernichtung auf deinen Lippen.“ Die Kirche spricht: „Siehe, die Tage wollen nicht mehr aufstehen vor Andacht, und die Nächte der Erde sind dunkel geworden vor tiefer Ehrfurcht.“
      Ich bin zornig über die Gebetsarmut der Pfingstler und merke, meine Frömmigkeit läßt sich zur Zeit wenig mit andern Christen verbinden, zumindest nicht mit den freikirchli-chen... Ich müßte Eremitenchrist sein zur Zeit und schweigen wie Nikolaus von Flüe.
      Lese über Pater Anselm Grün. Die Mystiker reden vom Ich-Tod, das ist das Ende des Egoismus. Die Pietisten reden vom Zerbruch der Persönlichkeit, das ist falsch. Sondern in der Tiefe des Selbst, im Herzen Gott finden, ist der Weg. Gottes Wort meditiert führt zu Stille, es entflammt nach Augustinus unsere Sehnsucht, und alle Sehnsucht unserer Seele zielt auf Christus. In dem Sinn ist Selbsterforschung im Tagebuch gut. Sankt Benedikt sag-te: Suche die Gemeinschaft und das Ich stirbt. In Grüns Kloster keine feurige Predigt, son-dern Lesung und Psalmengesang, keine anstrengende Bibelarbeit, sondern Meditation. „Al-le Einseitigkeit wird zur Häresie“. Der protestantische Begriff vom Menschen sieht diesen meist als durch und durch verdorben durch die Sünde an. Die katholische Anthropologie redet von der Ebenbildlichkeit des Menschen und dem Funken im Selbst, der durch Chris-tus erlöst und befreit werden muß. (A.Grün legt fasziniert griechische Mythen aus.)
      Aufsatz von einem Charismatiker: Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten. Heute wollen alle Gemeinschaft mit der Auferstehungskraft. Aber Paulus wollte Anteil am Leiden Chris-ti. Ignatius von Antiochia wollte zu den Löwen, sich zermalmen lassen und zum Brot Got-tes werden. Die irischen Mönche sprachen vom „weißen Martyrium“ eines opferbereiten Lebens, wenn sie das Leben lassen mußten, nannten sie es das „rote Martyrium“. Die Mön-che des Mittelalters entwickelten Methoden und Übungen, das Leiden Christi zu erfahren. Zinsendorf und Teerstegen als christozentrische Mystiker wollten in Innerlichkeit auf den Gekreuzigten schauen. Die Kreuzwegstationen nachvollziehen. Kreuz-Jesu-Litaneien. Wir sollen nicht das Leid suchen, sondern Jesus nachfolgen und alles Leid, das er uns zumutet, bejahen als Gemeinschaft mit ihm (also auch die Schwermut).
      
30.5.

Reinhold Schneider: „Mein Herr und mein Gott, entreiße uns der Lüge unseres Lebens, der Lüge der Eitelkeit und der Lüge der Gefälligkeit, der Lüge der Angst! Lasse den Glauben in uns wachsen, der die Angst auslöscht, und schenke uns den Mut, der deinem Sohne auf geradem Wege entgegengeht durch die Bangnis der Zeit, diesen Glauben, der weiß, daß kein Herr ist in der Welt außer deinem Sohne!“ Amen.

31.5.

Judith: „Also sind auch Isaak, Jakob, Mose und alle, die Gott lieb gewesen sind, beständig geblieben und haben viel Trübsal überwinden müssen. Die andern aber, so die Trübsal nicht haben annehmen wollen mit Gottesfurcht, sondern mit Ungeduld wider Gott gemurret und gelästert haben, sind von dem Verderber und durch Schlangen umgebracht.“
      Das trifft auf den Hauskreis zu, in der wahren Anbetung schwach, im Bitten stark: „Un-ser Gebet war kein Gebet mehr, kein Dank, kein Lobpreis, keine Hingabe, nur die immer unvollständige Aufzählung unserer Nöte und Ängste.“ (Schneider)
      Schneider über die Bekenntnisse: Ein englischer Missionar ging nach Indien und fand die Form der Hochkirche ungeeignet. Da er aber nicht auf das Sakrament verzichten wollte, ging er in jede christliche Gemeinschaft, ohnerachtet ihres Bekenntnisses. Keppler war zerrissen und litt an der Zerrissenheit der Konfessionen, in der Frage des freien Willens war er für Melanchton, gegen Luther, in der Lehre vom Abendmahl gegen Luther, für Cal-vin, und wünschte sich, man kehre zur Einen catholischen Kirche und dem einfachen christlichen apostolischen Alphabet zurück. Schneider meint, die Wahrheit sei nicht im Siegen oder Siegenwollen, sondern in der Liebe. Christus will die Einheit.

1.6.

Christi Himmelfahrt. Herr, in den Freikirchen lehren sie ein calvinistisches Verständnis des Abendmahles: reines Gedächtnis. In der lutherischen Kirche sagen sie: Unter und mit dem Brot ist Christus gegenwärtig. In der katholischen Kirche sagen sie: Brot und Wein ist Fleisch und Blut Christi durch die Wandlung, und es wird zum Gedächtnis gespeist und getrunken. Ein Gedächtnis ist es bestimmt, aber nicht wie in der Pfingstgemeinde ein Ge-dächtnis deines gegenwärtigen Triumphes, sondern ein Gedächtnis deiner Passion und dei-nes Kreuzestodes. Dazu fehlt mir in der Pfingstgemeinde Andacht und Ehrfurcht und Ver-senkung in deinen Kreuzweg und Buße. Als ich in der Messe das sakramentale Brot emp-fing 1994, war es mit heiligem Schauer und Ehrfurcht. Als ich in der Freien evangelischen Gemeinde 1995 und 96 das Abendmahl feierte, war es Gemeinschaft, aber ohne Schauer der heiligen Ehrfurcht. Allein das Wort: Christi Leib für dich gegeben, bewirkte keine Be-sinnung. In der Pfingstgemeinde wurde mir das Abendmahl mehr und mehr unwichtig. Ich staunte über Menschen, die dem Abendmahl zentrale Bedeutung zumaßen. In welcher Ges-talt und Art du gegenwärtig bist, in leiblicher oder in spiritueller, das weiß ich nicht.
      Gotteserkenntnis, hebräisch „jada“, ist dasselbe Wort wie Geschlechtsverkehr. Intimität zwischen zwei Liebenden, ganzheitliche Begegnung, das heißt Erkenntnis. Wir können Gott nicht abstrakt und an sich erkennen, sondern nur in seinem Verhältnis zu uns. Dreifa-che Offenbarung des einigen Gottes: Schöpfungsoffenbarung des Vaters, Du sollst, Gott über uns, in der Natur erkennbar und durch Wissenschaft und Kunst; Heilsoffenbarung durch Jesus, Du darfst, Gott unter uns, erkennbar in der Geschichte durch die Bibel; per-sönliche Erfahrung des Geistes, Du kannst, Gott in uns, erfahrbar in der Existenz durch die Erfahrung. Nur in dreifacher Offenbarung hat sich Gott vollständig offenbart.
      Was ich im Moment erlebe, ist Quietismus. „Lehre von der vollständigen Seelnruhe des Menschen, Taten- und Willenlosigkeit als höchstes Ziel, religiöses Aufgehen in Gott (Mys-tik). Bedeutender Einfluß auf den Pietismus. Strömung im Katholizismus des 17. Jahrhun-dert.“
      In meiner Angst um die Weiterbewilligung meiner Rente sprechen mich die Jesaja-Verse an: „Durch Stillesein und Hoffen werdet ihr stark sein.“ - „Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Ertrag der Gerechtigkeit wird ewige Stille und Sicherheit sein, daß mein Volk in friedlichen Auen wohnen wird, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe.“ Möge Gott mir dies zu dieser Zeit geben.
      Schneider: „Luther, der in seinem Arbeitszimmer ein Marienbild bewahrte bis zum En-de, betont diese Menschheit Mariens in seiner Predigt zum Sonntag nach dem Christtag: Deshalben, ob die heilige Jungfrau Maria wohl hoch zu ehren ist ihrer Jungfrauschaft hal-ben, ist doch ihrer Weibschaft Ehre unermeßlich größer... Und in der Predigt auf das Evan-gelium am Christtag lehrt Luther ausdrücklich: Der Fluch Hevä ist nicht über sie gegangen, der da lautet: In Schmerzen sollst du deine Kinder gebären, aber sonst ist ihr geschehen ganz, wie einem gebärenden Weibe geschieht... Wir wollen uns auch daran erinnern, daß Bach alljährlich zu den Festtagen Mariens komponierte und musizierte, wenigstens die Tage Lichtmeß, Verkündigung und Heimsuchung wurden in der Nikolai- und Thomaskir-che gefeiert.“
      Die Marienanbetung der Katholiken kann ich bei aller Liebe zur heiligen Jungfrau nicht teilen, sie gibt Maria Ehre, die ihr nicht gebührt. „Alle Menschen sind Sünder, alle erman-geln ihres Ruhmes bei Gott.“ Da ist von keiner Ausnahme die Rede. Ich fühle mich abge-stoßen von rationaler Dogmatik und sehne mich nach emotionaler Innigkeit. Aber wo, Herr Jesus, ist innige Gemeinschaft? Ich bin zerrissen zwischen katholischem Stil der Frömmig-keit und protestantischen Dogmen.

2.6.

Omas Geburtstag. Jesaja: „Deine Augen werden den König sehen in seiner Schönheit; du wirst ein weites Land sehen.“
      Herr, du bist mein Erlöser von Selbstsucht, mein Tröster in Trübsal, meine Stärke in meiner Schwachheit und der Herr und die Quelle meines Lebens, der mich an meinem in-neren Leben täglich erfrischt und erneuert. Laß mich jede Tat als Gottesdienst, jedes Wort und jeden Gedanken als Gotteslob verstehen und vergib mir meine verborgenen Sünden, durch Christus, meinen Herrn, Amen.
      Eine Erzählung von Hesse gelesen und Elegien von Hölty: „Gaukelt nur, ihr bunten Schmetterlinge! Andre Szenen laden mich zur Grotte, wo die Schwermut lauschet, der Be-trachtung Mutter.“

3.6.

Schneider über christliche Dichtung. Der Dichter schreibt aus seinem christlichen Welt-bild: Die Wahrheit war in die Welt gekommen, verbleibt in ihr und streitet mit dem Vater der Lüge. Das Heil ist wichtiger als die Kunst, das Heil besteht in der Nachfolge der Wahr-heit. Kunst sucht Vollendung, um Gott gut und schön verherrlichen zu können. Der oberste Maßstab ist nicht die Kunst, sondern das geistliche Gewissen. In der Zeit des Abfalls muß er Verkanntheit und Einsamkeit auf sich nehmen. Sein Amt ist vielleicht das eines Predi-gers in der Kunst. Vielleicht hat er wie Tolstoi die Aufgabe, das zu verkündigen, was in der gegenwärtigen kirchlichen Verkündigung nicht gepredigt wird. Dennoch ist sein Ort die Kirche. Er leidet an der Scheidung der Kirche von Kunst und Dichtung. Er muß in seinem Werk der Zeit voraus sein, auch dem Zeitgeist der kirchlichen Formen. Seit Mitte des 19.Jahrhunderts entwickelt sich wieder christliche Dichtung, aber nicht mehr getragen vom großen Geist des christlichen Abendlandes, sondern in eine Zeit des Abfalls hinein, wo der christliche Dichter einsamer Zeuge der Wahrheit sein muß. (Klopstock, Novalis, Brentano, Eichendorf, Klepper, Bergengruen, Schröder, Schneider, LeFort.) „In der Dichtung ver-mählt sich ja ein von Oben Gekommenes mit der gestaltenden Kraft, dem gesamten Le-bensgehalt eines in Zeit und Geschichte stehenden Menschen.“ Im Evangelium steht kein Satz, auf den die Kunst sich berufen könne. Zwar ist von der Verwaltung der Gaben des Geistes die Rede. Aber ist nicht die Verwandlung der Wahrheit im schönen Schein gemil-derte Lüge? Kultur ist kein Anliegen des Christentums, sondern das ewige Leben aller, das heute beginnen kann. Wie kann man in diesem Widerspruch bestehen? Was tun, wenn die unvermeidliche Eitelkeit der Künstler die Vision der Wahrheit entstellt? Christus hat die Dinge zum Gleichnis erhoben, so tun es auch die christlichen Künstler. Das Wort wird uns richten. Wir werden uns verantworten müssen für jedes unnütze Wort. Das Werk rettet nicht, sondern die Wundmale Christi. Das Werk wird im Feuer geläutert, damit der Christ, der Künstler ist, selig wird. Das Wort ist Echo auf das Wort Gottes. Des Dichters Wort ist das Grundanliegen seines Werkes, nicht jeder Satz seiner Kunstfiguren. „Christliche Dich-tung ist Fragment, Baustätte ungebauter Dome, zertrümmerndes Mal ungestaltbarer Vision, brechende Brücke, Pfeiler im Strom, geborstene Säule. Diese Trümmer weisen auf den, der kommen wird unter Aufhebung der Zeit; sie nehmen das Zerbrechen der Erde voraus. So werden sie zu Zeichen und Zeugen der Wahrheit. Daß sie die Wahrheit, die frei macht, ins Herz senken, ist ihre einzige, ihre unabdingbare Macht.“

5.6.

      Der katholische Christ des 19.Jahrhunderts, John Newman, schrieb, daß er Schwierigkei-ten habe, sich mit dem Jüngling vor seiner Bekehrung zu identifizieren. So geht es mir ja auch.
      In Rom herrschte die Kirche über die Welt, Luther unterstellte die Kirche der Welt. Ist in den Heiligen und Mystikern nicht schönere Weisheit als in den Predigten Luthers? Wo steht, daß durch die Taufe wiedergeboren wird? „Wer nicht von neuem geboren wird durch Wasser (!) und Geist...“ Gott, ich bin so verwirrt, wenn es nach meinen Gefühlen geht, bin ich katholisch, aber nach meinen Dogmen protestantisch. Die Herzlichkeit hab ich im ka-tholischen Gottesdienst vermisst. Ich möchte Maria verehren, aber die Lieder zum Marien-lob scheinen sich zwischen mich und den anbetungswürdigen Herrn zu schieben. Vater, bitte erleuchte mich!
      Lese Kreuzwegstationen aus dem Gotteslob: „Auch wir sind noch nicht am Ziel; wir sind unterwegs, oft einsam und verlassen. Die Stunde, da alles umsonst scheint und uns der letz-te Mut verläßt, kann auch für uns kommen.“

6.6.

Zu meinem poetischen Werk: „Man muß sich entschließen, auch die Unvollkommenheiten zu lieben, sonst ist man betrogen.“ (Hesse)
      Schneider sagt: Allein ist „der Künstler mit dem Zweifel an seinem Werk, das gerade in der Überwindung des Zweifels stark werden soll.“ Ich muß mir wirklich Gedanken machen über das Amt des christlichen Dichters.
      Der heilige Franz von Sales sagt, es sei besser, mit dem Herrn am Kreuz zu hängen, als es nur zu betrachten. Schneider sagt, das Leiden annehmen und die drückenden Sorgen dieser Welt mit einem Ja an den Gekreuzigten, sei der Weg, Ihm ähnlich zu werden. Chris-tus hat das Leiden der Erde durch sein gottmenschliches Leiden verklärt in einen Weg zu Gott. Das Letzte eines Christenlebens ist nicht seine Aufgabe (Charismen), sondern das Kreuz, das sich in der Aufgabe verbirgt. Es sei das Kreuz der Einsamkeit und Schwermut und des stillen Versagens an heiliger Dichtkunst oder das Kreuz einer dummen Arbeit, ich will es von Christus um Christi willen annehmen.
      Schneider sagt, die Theologie der Schwermut stehe noch aus. Pascal betete: Herr, befreie mich von der Traurigkeit, die meine Eigenliebe mir eingibt, und gib mir teil an deiner Traurigkeit. Der Herr war traurig bis zum Tode. In den Paulusbriefen liegt der Keim der Theologie der Schwermut. Es gibt göttliche Traurigkeit, die zur Reue führt: heißt das, eine Schwermut, die zum Kreuze führt? Schwermut ist Schwermut über Vergänglichkeit, Nich-tigkeit, Tod und Leere. Sie bezeugt die Notwendigkeit der Gnade und weiß um die Abhän-gigkeit von Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Schwermut ist Sehnsucht nach Liebe und Schönheit. Damit ist sie Sehnsucht nach der ewigen Herrlichkeit. Schwermut kann ein Schicksal und Verhängnis und damit ein zu tragendes Kreuz sein. Ein Geheimnis ist, wa-rum die Künstler so schwermütig waren und sind. Das melancholische Temperament bildet die Künstler. Warum sind Schwermut und Kunst so eng miteinander verbunden? Vielleicht weil die Schwermut nicht den Genuß des Gegenwärtigen und Vorhandenen feiert, sondern eine gewaltigere Liebe und Schönheit ersehnt, eine ewige, die allein ihr Verlangen und Gnadendürsten stillen könnte, und in dieser gewaltigen Sehnsucht schimmert die Vision der Erfüllung auf, sei es das Goldene Zeitalter, das Glorreiche Mittelalter, die Romantik oder in Wahrheit das Himmlische Jerusalem, aller schwermütigen Sehnsucht Ziel. Was ist göttliche Traurigkeit? Sie wendet sich nicht dem Tode zu, sondern dem Gekreuzigten, dem Kreuz. Was ist Traurigkeit der Welt? Die ohne Hoffnung ist, die den Selbstmord stirbt. Göttliche Traurigkeit erhofft über alles Hoffen den ewigen Trost Gottes. Göttliche Traurig-keit ist Ergebenheit, Dulden, Mitvollenden der Trübsal und Gottverlassenheit Christi.

10.6.

Die deutschen Romantiker erfanden den Roman, die Engländer blieben bei Versen. Die Deutschen griffen auf Katholizismus und Mittelalter zurück, die Engländer benutzten anti-ke Mythologie. Schneider lehnte die Renaissance als irdisch und sinnlich ab und griff aufs Mittelalter als asketisch, mystisch und fromm zurück. Ich mag Antike und Renaissance, aber in Heiligen und Mystikern und deutscher Romantik ist mehr Christentum.
      Ironisch werd ich von den Evangelikalen schon mit Mystik, Mönchstum und Eremiten-tum in Verbindung gebracht.
      Traurigkeit der Welt gleicht dem Räuber am Kreuz, der Christus verachtet und im Un-frieden stirbt. Göttliche Traurigkeit gleicht dem leidenden Räuber am Kreuz, der auf Jesus im Paradies vertraut, und den eine ewig-lebendige Hoffnung erfüllt. An der Stellung zu Christus, nicht am Charakter der Traurigkeit selbst, entscheidet sich, ob sie weltlich oder göttlich ist.
      Zur Poesie: „Und Er sprach zu mir: Du bist mein Knecht... durch den Ich mich verherrli-chen will! Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte mein Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem Herrn und mein Lohn bei meinem Gott ist.“ Ich schreibe für den Herrn, und mein wahrer Ruhm ist ein himmlischer. Dem gehorsamen Die-ner und Arbeiter im Weinberg Gottes winkt vermehrte Seligkeit, wenn er nicht zu Selbst-verherrlichung, sondern zu Christi Ehre schreibt. Alle Selbstgefälligkeit und Eitelkeit der Kunst wird im Feuer des Preisgerichts verzehrt.
      Ovid, Metamorphosen: Ein Gott, wer auch immer, schuf Himmel und Erde und Meer aus dem Chaos. Er schuf den ersten Menschen, „Japetos, Sohn des Prometheus“, aus einem Erdenkloß und machte ihn zu Seinem Ebenbild. Im Goldenen Zeitalter gab es keine Müh-sal, nur Frömmigkeit. Dann stürzte Saturnus in den Tartaros. Krieg und Goldgier und Sün-den breiteten sich auf der Erde aus. Überall herrschte die Göttin des Wahns. Jupiter beschloß, die Erde zu überfluten. Vom Schicksal ist es bestimmt, daß eines Tages Erde und Kosmos im Feuer vergehen. Die Sintflut kam. Nur zwei Menschen überlebten, die landeten in einem Nachen am Berg Parnassus (und opferten den Musen). Ein neues Menschenge-schlecht entstand.

11.6.

Pfingsten. Lese Ludwig Tiecks Dichterleben, über Shakespeare. Marlowe schrieb, wenn poetische Stimmung ihn ergriff, Robert Green schrieb zu jeder Zeit. Das Sinnliche muß vom Schöpferischen verwandelt werden in Sehnsucht nach dem Unsichtbaren, Ewigen. Das Ewige muß das Irdische durchdringen, verwandeln und erheben. Gott wurde Mensch, verwandelte den Menschen und erhob ihn zum reinen ewigen Leben. - Nachruhm erstreben ist eitel, es kann nicht das wahrhafte Streben eines christlichen Dichters sein. Sein ist: Zeu-ge Christi zu sein in der Zeit und teilhaftig zu werden des himmlischen Ruhmes. Was nach seinem Heimgang mit seinem Werk in der Welt geschieht, legt er begierdelos in die Hände des Heiligen Geistes. - „...so wird auch das einsame Gemüt des Dichters erst wahrhaft mit dem Überirdischen vermählt, wenn er den Abglanz desselben im Irdischen mit liebender Hingebung erkennen mag.“ (Green nach Tieck).
      „...ließ ich auf kurze Zeit alle meine Arbeiten ruhen, weil mich kein Plan reizte, weil es mir unmöglich gewesen wäre, in dieser Stimmung irgendetwas, wie meine früheren Stücke, zu schreiben“, sagt Shakespeare im Tieck, so ergeht es mir diese Zeit.

12.6.

Lese Klopstocks Ästhetische Schriften: „Derjenige müßte ein merkwürdiger Fremdling in der Kenntnis des Menschen sein, der behaupten wollte, es sei überflüssig, die philosophi-sche, und die erhabnere Tugend der Religion dem Menschen liebenswürdig vorzustellen. Es ist dies so wenig überflüssig, daß es notwendig ist.“ Und „die Religion ist ((in den heili-gen Schriften)) durch Muster der Poesie und der Beredsamkeit offenbart worden.“ Nach-folge der biblischen Poesie ist der Weg zu guter Poesie. Der Dichter schöpft aus der Offen-barung (Klopstock), dient am Geoffenbarten (Schneider). Die Poesie soll bekannte oder angenommene Gegenstände von einer Seite zeigen, die die vortrefflichen Kräfte der Seele anregt und die ganze Seele in Bewegung setzt, und zwar auf Gedanken der Unsterblichkeit und Tugend hin.

13.6.

Lese Schneiders philosophische und ästhetische Essays „Dem lebendigen Geist“. Er schreibt über Kierkegaards Verhältnis zur Frau: „Das Unsterblichkeitsbewußtsein muß sich auf das Negative gründen.“ (Kierkegaard) Das Wesentliche in der Beziehung zur Frau ist die Verweigerung, die Unerreichbarkeit, die Idealität, und das heißt: das ganz Reale, der religiöse Grund. „Ein negatives Verhältnis zu einem Weibe weckt im Manne das Unendli-che.“ (Kierkegaard)

14.6.

Kirchenlexikon: „Orthodoxer Theologie geht es nicht um ein rationales Erfassen des göttli-chen Geheimnisses (mysterion), sondern um das Erfahren der Gemeinschaft mit dem le-bendigen Gott, das Sein in Christus. Man betrachtet vor allem die Menschwerdung sowie die Einheit von Kreuz und Auferstehung. Heil beschränkt sich nicht auf die Sündenverge-bung. Abendländisches Rechtfertigungsdenken tritt zurück hinter dem Gedanken der Ver-klärung alles Seins (Seinsmetamorphose) und der Begründung eines neuen Seins durch die mit der Menschwerdung beginnende Vergöttlichung (theosis): Gott wurde Mensch, damit die Menschen göttlich werden; d.h. das Wort wurde Träger des Fleisches, damit die Men-schen Träger des Geistes werden können (Athanasios d.Gr.). Damit ist nicht die Umwand-lung der menschlichen Natur in die göttliche gemeint, sondern eine Erneuerung durch die reale gnadenhafte Einwohnung Gottes im Herzen der Menschen. Das ewige Leben wird in seiner Fülle erst im Jenseits offenbar, ist aber durch Christi Kommen in diese Welt bereits im Diesseits keimhaft gegenwärtig. Von daher verbindet sich im orthodoxen Denken der Jenseitsbezug mit einer Offenheit für die konkreten Menschheitsprobleme. Sinn menschli-chen Lebens ist es, sich auf die Ewigkeit vorzubereiten. Gottesliebe muß sich in der Nächs-tenliebe erweisen, in der Einheit von Glaube und Werken. Den Werken eignet keine Ver-dienstlichkeit vor Gott, vielmehr sind sie notwendiger Ausdruck wahren Glaubens, denn wahrhaftig ist nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist (Galater 5,6).“
      Herr, ich bin ja mystisch geworden. Aber keine protestantische Gemeinde ist mystisch. Ich finde schöne katholische Litaneien und Gebete, finde orthodoxe Gedanken interessant, lehne den Rationalismus des Protestantismus ab. Sind die Pietisten tiefsinnig-innig, oder sind es auch nur Wortverkündiger? Wo ist eine weltferne dunkle Kapelle? Aber willst du, daß ich mich in weltferne Innerlichkeit zurückziehe, in Mystik und stille Spiritualität? Oder soll ich wach, bewußt, gegenwartsbezogen, realitätsbewußt, verstandesmäßig und praktisch meinen Glauben leben? Ich würde mich so gern in ein Kloster zurückziehen! Ach Vater! wo willst du mich haben?
      Kierkegaard sagt, die Wahrheit siege nur durch Leiden.

15.6.

Was heißt es, Christi Tod gleichgestaltet werden zu wollen? Ist das nur im blutigen Marty-rium möglich? Paulus ersehnte die Todesgleichgestaltung, ersehnte er das Martyrium? O-der ist es auch die Ungeborgenheit im Sterben, die Gottverlassenheit, das Einsamsein im schmerzlichen Sterben, die Todesangst? Wenn Paulus ersehnte, den Leiden Christi gleich-gestaltet zu werden, ersehnte er dann das Leid? Und was heißt in dem Zusammenhang die Sehnsucht, eins zu werden mit dem Auferstandenen? Geschieht dies erst in der Auferste-hung von den Toten?
      Ich muß mein Leben Christus opfern. Ich opfere ihm um seiner Ehre willen meinen welt-lichen Ruhm und, wenn er will, um meiner Berufung zu seiner Verherrlichung willen mei-ne Begier nach einem Weibe. Ich bin bereit, ihm auch meine Dichtkunst zu opfern, sie soll ein Opfer des Lobes sein, oder, wenn er will, soll mein Opfer in ihrer Aufgabe bestehen, im Verzicht auf sie. Man kann das Dasein nur vom ewigen Leben her richtig bewerten.
      Schneider über Novalis und den Tod: „Die Dichtung gibt das Bild des Lebens, nicht das Leben selbst; wie auf der Höhe des Glaubens der nur das Leben gewinnt, der gestorben ist und wiedergeboren wurde, so läßt sich auch wohl von der Kunst an ihrer Stelle sagen, daß der Künstler nur das Bild des Lebens und der Welt erreicht, der sich von der Welt gelöst hat, in gewissem Sinne sogar ihr gestorben und dann wieder, frei und von ihren Gütern nicht beschwert, in sie eingetreten ist. In einer besonderen Beziehung zum Tode erst kann die letzte Zusammenfassung der Wirklichkeit in gereinigten Bildern gelingen, mag diese Beziehung nun eine geheime oder offenbare sein; der unbedingte Abschied erhöht die Sprache zur Sprache der Kunst.“
      Novalis schreibt, daß Christus „als die Geliebte umarmt“ werde. Welche Idee von Chris-tus verbirgt sich in der Ideal-Liebe? Die Ideal-Liebe ist das Heilige, Himmlische, darum der Jungfrau Maria so verwandt, die Lust ist das Irdische, der Venus verwandt. Mein Bild war eine heilige Jungfrau, die wirkliche Frau war anders, das war der tragische Irrtum.
      „Da er (Novalis) sich zu sterben sehnte, entdeckte er, daß er Christi Sterben an seinem Leibe trug, und war gerettet.“

17.6.

Die Liebe zu einer Frau kann nicht zum Sinn des Lebens werden, daß hieße, die Frau zu vergöttern. Die Frau kann auch nicht vor finsteren Mächten schützen. Das und Sinn geben kann nur Christus. Christus muß die Idee, der Grund jedes Poetischen Werkes sein, denn Christus ist der „Sinn“, wie man Logos auch übersetzen kann. Kann man „in der Geliebten Christus umarmen“? Wahre Entsagung besteht darin, sein Heil nicht in der Frauenliebe, auch nicht in der idealisierten Frau, zu finden, sondern in Christus allein, wie es die entsa-genden Mönche taten.
      Schneider über Chamisso: „Dichtung entspringt nicht in den Ereignissen, sie ist die Er-füllung eines ursprünglichen, vor allen Ereignissen gegebenen Auftrags, der im Lebenslau-fe wohl verstärkt und bestätigt werden kann, jedenfalls aber ihm wie der Künstler dem Stoffe oder dem Material gegenübersteht.“ Chamisso „geht vom Schmerz um das Teuerste aus, dessen Verlust eine Gnade für die geläuterte Seele ist“.
      Schneider über Droste-Hülshoff: „Gerade darum muß ja in gewissen Phasen Nacht ohne Trost für den Heimgesuchten sein, als sein Anteil an Golgatha.“ - „Wer könnte die Versu-chung der Zerstörung, die Neigung zum Untergang leugnen: einen wesentlichen Klang des deutschen Gedichts!“
      Paul Claudel: „O fühlt ich doch bald mein weites Werk unter mir auferstehn, o berührt ich doch schon mit den Fingern dies unzerstörbar von mir Gefügte, ein Ganzes, zusam-mengeschlossen aus all seinen Teilen, dies wohlgefestigte Werk, das ich schuf aus hartem Gestein, dem Urquell eine Fassung, mein Werk, die Wohnung Gottes!“

4.7.

Werner Bergengruen: „Ich weiß nicht, von welchem Franzosen das Wort stammt: Je ne travaille pas, je m’amuse. Ich mache es mir gern zu eigen. Das heißt, ich arbeite nicht im Dienst von Ideen, Thesen, Programmen, Ansichten und Zwecken, sondern aus Leiden-schaft und meiner Freude zuliebe. So habe ich denn auch nicht das Gefühl einer Mission; dergleichen vermöchte mein Unabhängigkeitsbedürfnis nicht zu dulden.“
      Lese die Erzählung Plus Ultra von Gertrud von LeFort, eine Liebe, die verzichtet, ver-zichten muß und sich verzichtend im Kloster dem Gebet für den geliebten Menschen wid-met. Der Beichtvater sagte, auch die irdische Liebe sei (nach Platon) ein Weg zu Gott. Gott lieben in seinem Ebenbild sei eine Liebe, Gott dargebracht.

9.7.

Ich will ein weites Christentum, Einheit der Christen, lernen von allen Strömungen, auch Charismatikern und Katholiken. Die extreme Theologie scheint mir kunst- und poesie-feindlich. Der orthodoxe Dostojewski und der katholische Novalis sind meine Brüder. Für die Poesie brauch ich ein weites Verständnis. Die fundamentalistische Theologie schränkt die Poesie so ein, daß man im Extremfall nur noch die Bibel abschreiben kann,
      Deutsche Literatur: In der Karolingerzeit Heliand und Otfried, Überlieferung heidnischer Spruchdichtung (Odin). Ottonenzeit: Geistliche und romantische Epen, Das Leben Jesu, Marien-Epen, Rolandslied, Kaiserchronik. Stauferzeit (1150-1250): aristokratische Ästhe-tik: Vervollkommnung durch hohe Minne, Rittertum, Ehrfurcht vor Gott. Höfisches Epos: Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg (nach französi-schen Vorbildern). Nibelungenlied und Kudrun. Minnesang. Spätes Mittelalter: Niedergang der höfischen Kultur; Oster- und Fastnachtsdramen. Neue Prosaformen der Mystiker. Hu-manismus und Reformation: Rückgriff auf italienische Formen, evangelisches Kirchenlied, viele Satiren, Schuldrama des Humanismus, Entstehung der Briefliteratur. Hans Sachs. Lyrik nach dem Vorbild von Horaz und Ovid. Volksbücher (Faustus). Barock: Aneignung der Formen der Renaissance: Opitz-Poetik. Jesuitendrama. Viel Vanitas Vanitatis. Gryphi-us. Angelus Silesius. Hoffmannswaldau. Schäferdichtung. Das 18.Jhd: vor allem Klop-stock. Empfindsame Dichtung entwickelte sich unter Einfluß des Pietismus. Neigung zu seelischer Analyse und autobiographischem Roman. Lessing. Wieland (Rokoko). Anakre-ontiker. Sturm und Drang nach dem Vorbild Shakespeares, Ossians, Klopstocks. Neuent-deckung der Ballade. Klassik beeinflusst von deutschem Idealismus. Goether, Schiller. Romantik: Philosophie Schellings. Erwachen eines Nationalbewußtseins. Das Geheimnis-volle, Sehnsucht und Suche, das Chaotische, viele Lieder, Grimms Märchen, Novalis, Brentano, Eichendorf, Spätwerk Goethes. Rezeption von Calderon. Zwischen Klassik und Romantik stehen Kleist, Jean Paul und Hölderlin. 19. Jhd: Realismus, Grabbe, Grillparzer, Büchner; vor allem Mörike (Biedermeier), Stifter, Heine, Droste, Keller und Storm. Hebbel und CF Meyer. 20. Jhd: Rilke, Hesse, Thomas Mann.
      Man kann den bedeutenden Einfluß des Christusgeistes auf die Literatur feststellen: He-liand, Otfried, Marien-Epen, Mystik, Wolfram, Kirchenlied, Gryphius, Jesuitendrama, Klopstock, Novalis und Brentano, Mörike, im 20. Jhd: Schneider, Bergengruen, LeFort, Schröder, Klepper. Aber mir scheint, der Einfluß nimmt immer mehr ab, die Literatur ent-fernt sich mehr und mehr von der Offenbarung. Die moderne Literatur in Deutschland wird im Wesentlichen neuheidnisch, okkult werden und von Sinnsuche und Suche nach über-sinnlichen Erfahrungen geprägt sein.
      Novalis: „Wenn es schon für einen einzelnen Dichter nur ein eigentümliches Gebiet gibt, innerhalb dessen er bleiben muß, um nicht alle Haltung und den Atem zu verlieren...“ Könnte ich ein Jesus-Epos ohne Frauen schreiben? Nein, denn ich tauge nicht zur Darstel-lung des rein Männlichen. Selbst meine Ritter waren feminin und von bedeutenden Frauen umgeben. Meine männliche Poesie, David, sind nur Nachdichtungen der Bibel. Wo ich Eigenes schaffe, heißt es: Maria.-
      Die Religion der Liebe beschreibt auch Novalis im Gespräch zwischen Heinrich und Mathilde: „O Geliebte, der Himmel hat dich mir zur Verehrung gegeben. Ich bete dich an. Du bist die Heilige, die meine Wünsche zu Gott bringt, durch die er sich mir offenbart, durch die er mir die Fülle seiner Liebe kundtut.“ Im zweiten Teil des Ofterdingen zu Be-ginn spricht zum elenden Pilger die heilige Mutter Maria mit der Stimme Mathildens zu ihm.
      Novalis sagt, man muß Sinn und Verstand, Genie und Talent haben, eins ohne das ande-re ist Schwäche.
      Der Theologe kann in Jesus den Theologen sehen, der Arbeiter den Arbeiter, der Knecht den Knecht, der König den König, der Arme den Armen, der Wanderer den Wanderer, der Leidende den Leidenden, der Sterbende den Sterbenden. Kann der Dichter in ihm den Dichter sehen? Was ist ein Dichter und ist Christus ein solcher? Die Bibel ist die Poesie der Poesien, die höchste Poesie, der Heilige Geist ist vollkommner Poet. Christus, ist er Dichter in den Gleichnissen, in den Lobgesängen, in dem Vaterunser und der Bergpredigt? Er sagt Wahres schön, er sagt Offenbarung in alltäglich-weltlichem Gewand. Er ist selbst die Offenbarung im irdischen Kleid, er ist Logos im Fleisch, er ist ein Gedicht. Sein Leben ist ein Roman, sein Sterben eine Tragödie, seine Auferstehung ein Hymnus. Er stirbt mit einer Elegie auf den Lippen: Psalm 22. Es gibt ein Buch eines christlichen Schriftstellers übers Jesus: „der Sperlinge und Lilien zu Gleichnissen nahm“, durchaus romantisch. Er sprach verständlich und zugleich geheimnisvoll. Die Bibel kennt geistliche Lieder, darin Elegien und Hymnen, Liebeslieder, Tanzlieder, Geschichtsbücher in mythisch-poetischer Sprache, also dichterische, den Mythos der Schöpfung, die Phantasieprosa der Offenba-rung, die Romane der synoptischen Evangelien, die Biographie in lebendiger Darstellung, theoretische und persönliche Briefe voller Beredsamkeit und ohne Niedrigkeit. Der regel-mäßige Anfang der Seligpreisungen „Selig sind...“ ist ein poetisches Stilmittel. Die Send-schreiben der Offenbarung sind poetisch gegliedert mit fast refrainartigen Wendungen. Die Bibel kennt den hebräischen Rhytmus, das Stilmittel des Parallelismus, die Metapher, sinngebundenen Reim und Alliteration, Akrostichen, Witz und Ironie, Satire, Klage und Jubel. Sie ist höchst poetisch und sollte das Muster aller Poesie abgeben.

10.7.

Die Idee eines Augenblicks bedarf ungeheurer Anstrengungen oder Leiden zur Verwirkli-chung, aber in der Verwirklichung offenbart und entfaltet sich die Fülle der inspirierten Idee.
      Ich muß über das Verhältnis von Allgemeinem und Individuellem, Symbol und Person, Wahrheit und Gleichnis nachdenken. Alles Zufällige muß sich dem Gesetz oder Schicksal unterordnen. Das Symbol muß aber lebendig sein, das Vergängliche muß aber ein Gleich-nis sein. Um das Gleichnis wahrhaft zu gestalten, muß man aber die offenbarte Wahrheit kennen, muß sie so gut kennen, daß man ihren Geist und ihr Wirken auch im Individuellen erkennt.
      Ich glaube, daß Gott, der Gott der Liebe, mein Vater ist. Ich glaube, daß Jesus Christus, der Herr und Sohn Gottes, mein Retter vom ewigen Tode ist. Ich glaube, daß der Heilige Geist in meinem Herzen wohnt. Ich glaube, daß ich aus Gnade Gottes gerettet bin durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus. Ich glaube, daß ich das ewige Leben empfangen habe. Ich glaube an die Wiederkunft Jesu. Ich glaube, daß ich in ewiger Glückseligkeit mit Jesus im Paradies Gottes, im Neuen Jerusalem, leben werde. Ich glaube, daß ich geschaffen bin von Gott, zu Christus hin zu leben in Zeit und Ewigkeit. Ich glaube an die Liebe Got-tes, die sich in Christus offenbart hat. Ich glaube, daß die Heilige Schrift das vom Heiligen Geist inspirierte Wort Gottes ist, das Christus zum Inhalt hat. Ich glaube, daß das Wort Gottes, Jesus, der Gott ist, von der Jungfrau Maria geboren worden ist und am Kreuz zur Erlösung starb auch meinen Tod. Ich glaube, daß das Zentrum christlichen Lebens der ge-kreuzigte Christus ist. Ich glaube, daß das Zentrum christlichen Lebens die Liebe zu Gott und den Menschen (den Brüdern, den Nächsten, den Feinden) ist. Amen.
      Lese Novalis „Die Christenheit oder Europa“. Wie soll ich zu einem Verständnis deut-scher Geschichte kommen, wenn ich die Heilsgeschichte, wenn ich die Kirchengeschichte nicht verstehe. War es das große christliche Abendland der Päpste, christlichen Kaiser, der Heiligen und Mystiker, das mit der Reformation als Vorläufer des Rationalismus zerstört wurde, in Aufklärung und schließlich Neuheidentum zugrunde geht? - Der Katholizismus ist poetisch fruchtbarer gewesen als der Protestantismus.
      „Er hat einen neuen Schleier für die Heilige gemacht, der ihren himmlischen Gliederbau anschmiegend verrät, und doch sie züchtiger als ein anderer verrät.“ Novalis.

11.7.

Habe geträumt, daß ich zur Katholischen Kirche konvertieren wollte, aber der Volkskatho-likenverein empfing mich ohne Liebe. Höhere, gläubige Katholiken redeten mir ermuti-gend zu, ich solle enthaltsam leben.
      „Ich bin die Liebe. Ich habe dich, o Mensch, je und je geliebt.“ Und der Mensch preist die Liebe. Der Mensch lebte im Garten der Liebe, die sie ihm alles gegeben hat und mit ihm sprach. Aber er wählte die Lieblosigkeit. Aber er kann nicht ohne Liebe leben, denn sie ist sein Leben, sein Licht, sein Sinn. Der Mensch ist zur Liebe geschaffen, zur Liebe berufen. Er kann nur durch das Opfer, durch das Blut wieder zur Liebe finden. Die Liebe will sich in das Herz des Menschen ergießen, sie will ihn wieder in den Garten der Liebe führen, das ist der Himmel.

12.7.

Die Klassiker verabscheuten das Sonett, die Romantiker liebten es. Schneider und ich lie-ben es auch.
      Luther: „Niemand lasse den Glauben daran fahren, daß Gott durch ihn ein großes Werk tun möchte.“ Durch mich möchte Gott weitere christliche Poesie schaffen.
      Las Eichendorf, Schloß Dürande, das Marmorbild, Arnim, Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott, Tieck, des Lebens Überfluß, Die schöne Wilde. Alles sehr keusch. Klassiker leb-ten (wie ich) in einer vornehmen Sprachwelt, Romantiker webten in ihre lyrischen Schwärmereien einfache Volkssprache ein, aber ohne niedrige Gesinnung, Dinge des all-täglichen Lebens werden schamlos erwähnt.
      
14.7.

Las Arnims Isabella zuende. Die gleiche Idee, wie Spenser bei Una und Duessa, war bei Arnim mit Bella und Golem-Bella. Arnim ist dunkel. Las Der tolle Invalide und Frau von Saverne. Arnims Stil ist mir fremd, er ist Dunkel, es kommt keine liebliche Natur vor, aber viele böse Menschen.
      Lese Eichendorfs Verspoem Robert und Gusicard. Die Romantik liebt das Schauerliche, Gespenstische: Arnim und Hoffmann.

16.7.

Im verwilderten Roman oder Godwi ist Brentano beeinflußt vom „ästhetishen Immoralis-mus“ Heinses und Wielands, artistisch schwankend zwischen irdischer und himmlischer Minne, Venus- und Mariendienst, den er später im Alter gewaltsam oder verklärend ent-schied.
      Ich, der Mönch Paphnuti aus dem Kloster Athos, der ich einen Kommentar zum Hohen-liede Salomonis schrieb, will euch, meine lieben Griechen, nun ein merkwürdiges Denkmal eurer heidnischen Vergangenheit geben, eine von mir aufgefundene Schrift über das Leben der Venus, die ich ins Neugriechische bearbeitete. Damit sie eure Geister aber nicht verfüh-re, habe ich sie regelmäßig mit erbaulichen Kommentaren versehen.
      Brentano und Mörike haben poetische Erbauungsschriften verfasst. Mir geht der Titel „Brevier“ durch den Sinn. In älteren Jahren mache ich vielleicht einmal so etwas, Sermone, oder Fragmente geistlichen Inhalts.
      Für mich: „Und ich will mich meiner als eines edlen Gedankens erfreuen, wenn mich keine lieben sollte.“ Brentano.

17.7.

Im Glauben ist der Wein Blut, das Brot der Leib Christi, im Glauben essen und trinken wir Christus.

18.7.

Traum: Ich war in eine fremde Stadt gezogen, für einige Wochen. Eines Abends ging ich auf die Straße, in eine Schenke, wo niedrigster Pöbel saß und soff und mich schmähte. Ich ging und wußte, ich würde nie wieder hineingehen. Dann ging ich einsam spazieren, einen steinernen Fußweg durch Baumreihen. Schließlich kam ich zu meinem Erstaunen in eine romantische Altstadt, mittelalterlich. Ich stand vor einer schlichten steinernen Burg. Zur Rechten befanden sich mehrere Kirchen: eine große katholische, eine kleine katholische Kapelle und eine lutherische, alle im romanischen Stil. Ich sah mir den Schaukasten der lutherischen Jugend an, da hingen Plakate von Marx, Lenin, Mao Tsetung. Ich war entsetzt. Dann trat ich aufgeregt und wild in die katholische Kirche, die ich leer vermutete und in der ich betend meinen Frieden finden wollte. Es war aber gerade Heilige Messe. Der Pries-ter in edlem Priestergewand sah mich streng ermahnend an. Ich setzte mich beschämt auf eine Bank. Die Kirche war kunstvoll ausgestaltet, die Wände in grün und blau und gold, wohl mit Bildern und Zierat, die Holzbänke in warmem hellem rotbraun. Die Besucher Männer und Frauen zwischen sechzig und neunzig Jahren. Der Priester ging leise mit ei-nem Tablett voll Hostien umher, das Brot austeilend. Er kam zu mir und sagte, das Brot werde nach streng päpstlicher Lehre nur an Katholiken ausgeteilt. Ich bekundete, kein Mit-glied der katholischen Kirche zu sein, fand es aber im Stillen schade, am Abendmahl nicht teilnehmen zu können. Der Gottesdienst war zuende, ich ging neben dem Priester einen langen Gang durch einen herrlichen Vorsaal, im Gespräch. Er war voll von großer mysti-scher Weisheit, voller tiefgeheimer Wahrhaftigkeit. Aber er ermahnte mich wegen meines wilden Eintretens in die Kirche. Er unterrichtete mich in der Geheimlehre der Weisheit. Ich stand mit dem Priester am oberen Ende einer Treppe, die Stufen ausgelegt mit rotgoldenen weichen Teppichen, die Wände von feierlichem Dunkel, alles wie ein Gottestempel voller Herrlichkeit, aber nicht dem Mammon, sondern der Weisheit Gottes geweiht, wie mir schien. Dann flüchtete ich mit jungen Katholiken schwimmend durch einen Kanal. - Es ist erstaunlich, der dritte Traum vom Katholischen in den letzten Wochen. Erst die Empfin-dung großer Liebe, dann die Konversion, dann der heilige Tempel.
      Erster Petrusbrief: Leiden wir, wie auch Christus gelitten hat, ist es eine selige Freude und Gnade zum Heil, dann kommt die Herrlichkeit und Seligkeit der Seelen, große Freude.
      ETA Hoffmann, Der Goldene Topf, ist voller Phantasie und Poesie, aber er berührt mei-ne Seele nicht so schön wie Novalis, Eichendorf, Brentano. Arnim war offen dem Aber-gläubischen, das macht ihn dunkel.

20.7.

Brentanos Gockel durch, niedliche Stellen darin, zB. von der Mäuseprinzessin Sissi und dem reimenden, wortspielenden Schwälblein. Aber leider sind die Romantiker Verächter der Juden gewesen. Bettine hat einmal aus Trotz gegen den antisemitischen Zeitgeist (auch in der Christenheit) sich mit einem Judenmädchen angefreundet. Große Schuld lastet auf der Christenheit für ihren Antisemitismus, dem auch der alte Luther frönte. Papst Johannes Paul II bat die Juden im Namen seiner Kirche um Vergebung.
      Homerübersetzer Voß wird im Brentanomärchen Murmeltier verspottet. Voß verab-scheute die Romantik, nichtdeutsche Worte, Sonett und Kanzone. Ich liebe Sonette mehr als die stolpernden deutschen Hexameter.
      Romantischer Briefroman: Der Mönch Narzissus flieht aus den engen bedrückenden Klostermauern, in die er als Knabe kam, er hat noch keinen Glauben, stürzt sich in die Weltlust der Frauenliebe, Zauberei, Naturschwärmerei; bleibt aber im Briefwechsel mit der Nonne Agnes, der er von seinen Eskapaden berichtet, die ihn gütig lenkt, und schließlich seine Bekehrung und sein Gang entweder ins Kloster oder zu einem Bettelorden.

23.7.

Der Dreißigjährige Krieg findet in meiner Seele statt. In mir Tilly und Gustav Adolf von Schweden.

24.7.

Lese Eichendorf, Dichtergesellen, die lebendig geschilderte romantische Commedia dell’Arte wird gegen Ende fromm, Einsiedler tauchen auf. Über Eichendorfs Roman: „Er war der schönen Frau verfallen mit Leib und Seele. Aber nach durchschwelgten Nächten, zwischen halber Lust und Reue, versinkt er in tiefe Melancholie, bis ein zehrendes Feuer die müde Seele in seinen Traummantel hüllt. Nach langem Kranksein tastet er sich wieder in den Garten: es ist eine entzauberte Welt.“
      Kommentar über Novalis: Vorbild des romantischen Romans ist Goethes Wilhelm Meis-ter. Darin wird das Allgemeinste wie das Wichtigste mit romantischer Ironie angesehen und dargestellt. Wunderbare romantische Ordnung entsteht, die keinen Bedacht auf Rang und Wert, Erstheit und Letztheit, Größe und Kleinheit nimmt. Das Romantische ist die Naturpoesie und das Wunderbare. Alle Poesie unterbricht den gewöhnlichen Zustand, das gemeine Leben, fast wie der Schlummer, um uns zu erneuern und so unser Lebensgefühl immer rege zu halten. Erzählungen, ohne Zusammenhang, jedoch mit Assoziationen, wie Träume, Gedichte, bloß wohl klingende und voll schöner Worte, aber auch ohne allen Sinn und Zusammenhang, wie lauter Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen. Ein Roman muß durch und durch Poesie sein, eine harmonische Stimmung unseres Gemütes, wo sich alles verschönert. Die ganze Natur muß auf eine wunderliche Art mit der ganzen Geisterwelt vermischt sein. Novalis war es natürlich geworden, das Gewöhnlichste und Nächste als ein Wunder, und das Fremde und übernatürliche als etwas Gewöhnliches zu betrachten. So umgab ihn das alltägliche Leben selbst wie ein wundervolles Märchen, und jene Region, die die meisten Menschen nur als ein Fernes und unbegreifliches ahnen oder bezweifeln wollen, war ihm eine liebe Heimat.

25.7.

Über Lyrikformen gelesen: Ballade, Romanze, Distichon, Elegie, Ode, Hymne, Dithyram-bus, Epigramm, Ritornell, Fünfzeiler, Ghazel, Glosse, Rondel, Sestine, Sonett, Stanzen, Terzine, Triolett, Volkslied. Besonders liegen mir Sonett und Stanze. Daran seh ich meine Vorbilder: Renaissance und Romantik.

26.7.

Tiecks Sternbald ist das Schönste, was ich bisher von Tieck gelesen habe, fromm, voller Seele und Schwärmerei, voller Gedanken über das Wesen der Kunst. Dürer ermutigt mich dazu, alle Pläne meines Herzens fleißig auszuführen. Aber Fleiß geht nur in Zeiten der Be-geisterung. Ohne Begeisterung ist Kunst tot.

27.7.

Die Gedichte Tagores durch, leider die Übersetzung mangelhaft, was poetische Schönheit betrifft, sie macht aus der Poesie so etwas wie Prosa. Tagore hat Sehnsucht nach einem persönlichen Gott, gegen den Aberglauben, für die Ewigkeit des Ungeschaffenen, leider zu Christus nicht gefunden, doch kann ein christlicher Dichter viel von ihm lernen.
      Dürer ist männlicher, strenger als der feminin-liebliche Raffael oder der schwebende, mystische Tizian, zu Michelangelo hab ich noch keinen Bezug, er ist auch kernhaft männ-lich. Die deutsche Malerei scheint erdiger, männlicher, fester als die himmlische italieni-sche. Auch der deutsche Barock ist nicht so süß und leicht wie die italienische Renais-sance. Es gibt eine deutsche Schwere, Novalis ist in seiner Todessehnsucht schwer, Hölder-lin ist in seinen Hymnen schwer, Goethe in seinem Faust I, Schneider in seinen Sonetten, Rilke ist bei allem Schwebenden des Geistes schwer, Thomas Mann ist in seinem Doktor Faustus schwer, Hesse ist in seinem Steppenwolf schwer. Aber Ariost und Boccaccio sind leichter. Ich möchte wohl die italienischen Versepen besitzen. Ich hätte gern in englischer oder italienischer Renaissance oder englischer Romantik gelebt, dann hätte ich mit meiner Lust zu Poemen und Epen etwas werden können. Die südamerikanische Literatur des 20. Jhd ist sinnlich, irdisch-fruchtbar, hat gegenwärtig in Europa großen Anklang. Sie haben viel Phantasie, Neruda und Marquez. Die englische Romantik ist heidnischer als die deut-sche katholische und im Romantisieren nicht so weit gegangen, steht der Klassik näher. Keats ist vielleicht der Romantischste der Briten.
      Friedrich Schlegel: „Gegen die Elegien war anfangs viel Einrede von seiten der strengen Sittlichkeit; wenn aber dem Dichter nichts zu sagen erlaubt wäre, als was sich in Gegen-wart junger Frauenzimmer sagen läßt, so möchte wohl überhaupt keine Poesie möglich sein, am wenigsten aber eine wie die der Alten.“ Nach Lohenstein mit seiner Üppigkeit (barocke Wollust) kam die strenge Tugend Klopstocks. Goethe fand einen Mittelweg in seinen Römischen Elegien. Man darf nicht nur auf Sinnlichkeit aus sein, sie muß in die natürlichen Grenzen gesetzt werden von Kunst und poetischer Erfindung. Ich denke an Wielands Agathon, Byrons Don Juan, Goethes Elegien, Heinses Ardinghello.

31.7.

Über Saul: Er war erfolgreich, solange er Gott vertraute und gehorchte, dann begann sein Abstieg: das Königtum von ihm genommen, Eifersuchtsanfälle, Jagd auf David, Befragung der Wahrsagerin, Niederlage bei Gilboa mit dem Tod seiner Söhne und dem Selbstmord Sauls. Sein Charakter erscheint wie der eines manisch-depressiven Cholerikers. Er verhielt sich wie ein Alkoholiker: von der Wut zu Tränen und von den Tränen zur Wut. Psycholo-gisch sehr interessant. Als er von Gott nicht mehr getragen war, trat seine psychische Labi-lität zutage.
      Deutsche Chronik oder Der Seherin Gesicht: Hermann, Bonifazius, Theophanu und Otto III, Siegfrieds Tod und Gudrun, Dürer, Heinrich von Ofterdingen Zweiter Teil, Tod Jochen Kleppers. Arminius sterbend: „Von Teutonien bis Alemannien wird der Heliand der Geni-us des freien Germanien sein!“

2.8.

Der ständig graue und verregnete Sommer ist fürchterlich. Die Einsamkeit ist groß. Unge-färbte Liebe, wo ist sie? Ich habe eine Sehnsucht nach einem Leben, die auf Erden nicht gestillt werden kann. Es muß so poetisch, licht und voller Liebe sein, wie es nur im Him-mel sein wird. Selbst in irdischer Poesie ist das nicht zu schildern. Die Häuser der Ewigkeit werden wirklich aus Rubinen und Smaragden sein, heute ging mir die unglaublich poeti-sche Schönheit der ewigen Wohnungen auf. Die Gärten und Wälder werden voll sein von den schönsten Gesängen, alles licht und lebendig, sehr fruchtbar, sehr friedlich, ohne Un-heimlichkeit. Und alles wird voller Liebe sein. Es gibt da keine Einsamkeit. Die Heiligen und Seligen lieben sich alle mit einer vollkommenen Liebe, kein Neid, keine Abneigung, keine Überheblichkeit, keine Kälte wie auf Erden auch unter Christen. Kein Zweifel mehr, ob Jesus lebt und das Gebet hört, er ist sichtbar und allgegenwärtig. Selbst wenn ich A-bendfrieden und goldnen Sonnenschein und Taubenruf und Baumgrün und Teichstille ha-be, sehne ich mich nach dem Paradies. Möge Jesus bald mich holen kommen. Nichts hält mich hier.
      Mach End, o Herr, mach Ende.

7.8.

Ich möchte einmal die Petrus-Akte und das apokryphe Petrus-Evangelium in einem römi-schen, phantastischen Roman schildern. Auch würde mich ein romantischer Indien-Roman über Thomas interessieren.
      Tragisches Thema einer Geistesverwirrung der Christenheit ist der Kinderkreuzzug. Sie kamen bis ans Mittelmeer, viele starben auf dem Weg, viele wurden als Sklaven verkauft.

8.8.

Lieber Vater, in letzter Zeit habe ich oft das Gefühl, daß meine Gebete nur Selbstgespräche sind. Ich finde und fühle dich nicht. Ich bete dennoch, aus Not... Bewahre mich vor erneu-tem Liebesleid. Die Zeit meiner Mystik im Mai war so tief, so friedlich, aber ich habe auch viel Einsamkeit erfahren. Nun habe ich Sehnsucht nach liebevoller, gefühlvoller, zärtlicher Gemeinschaft, Sehnsucht nach einem verstehenden Freund und Sehnsucht nach Küssen und Umarmungen. Wie gern würd ich einmal von einer Frau hören: Ich liebe dich! Vater, du füllst diesen Mangel grad nicht aus. Ich sehe Jesus nicht, nicht seine Schönheit. Auch darf ich nicht an die Jungfrau Maria glauben, die selbst im Glauben nicht gegenwärtig ist und nicht sinnlich erfahrbar. Jesus spricht nicht zu mir. Die Bibel sagt: Ich, Gott, hab dich je und je geliebt. Ich lese das, Vater, aber es ist nicht so, wie wenn ein Mensch mir das sag-te. Ich sehe deine Augen nicht, ich höre deine Stimme nicht, ich werde von dir nicht um-armt. Ich muß entsagen und verzichten, und das ist mein Kreuz. Wie einsam war Jesus auch in Gethsemane, da die schlafenden Freunde ihm nicht beistanden. Ach Vater, ich lie-be die Erde und mein zeitliches Dasein nicht und sehne mich danach, bei dir in deiner schönen Welt zu sein, und in Liebe gebettet zu sein und ewiger Freude. Das Leben ist schwer. Wenn du nicht wärst, Vater, würd ich mir das Leben nehmen. Nun aber hab ich die lebendige Hoffnung inmitten meiner Traurigkeit. Lob sei Christus, Amen.

9.8.

Eichendorff: „Die heiligen Märtyrer, wie sie, laut ihren Erlöser bekennend, mit aufgehobe-nen Armen in die Todesflammen sprangen - das sind des Dichters echte Brüder, und er soll ebenso fürstlich denken von sich; denn so wie sie den ewigen Geist Gottes auf Erden durch Taten ausdrückten, so soll er ihn aufrichtig in einer verwitterten, feindseligen Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen verkünden und verherrlichen.“ - Und: „Wache, sinne und bilde nur fleißig fort, fröhliche Seele, wenn alle die andern Menschen schlafen! Gott ist mit dir in deiner Einsamkeit, und er weiß es allein, was der Dichter treulich will, wenn auch kein Mensch sich um dich bekümmert.“ Sehr schön, genau mein Sinn.
      Im alten Venedig hatten die verheirateten Adelsfrauen mit Einwilligung ihres Ehemanns einen Cavalier servente, der sie morgens am Bett besuchte, bei der Morgentoilette half, sie zu ihrem Vergnügen ausführte oder in die Kirche, auch sein Geld stand ihr zur Verfügung. Meistens war es nicht unzüchtig, manchmal gab sich auch ein Geistlicher dazu her. So ein Cavalier servente (wahrscheinlich Überrest der älteren Zeit, da die Gräfin einen Ritter hat-te, der für sie die Lanze brach), so ein Amico bin ich. Die Ehen wurden in Venedig von der Eltern aus Ökonomie geschlossen, nicht aus Liebe.

10.8.

Am meisten an Antigone hat mich beeindruckt die Rede vom bräutlichen Altar, von der Hochzeit im Totenreich. Antigone kann man in Todessehnsucht schreiben.
      Schöne Zisterziensergebete und Andachten gelesen, berührte meine gottferne Seele. Ich hoffe, im Himmel die total schöne Poesie, den vollkommenen Gesang dichten zu können, dem ich mich auf Erden nur von ferne nähern kann.

11.8.

Lese Brentano-Gedichte, voller traumhaften Wohlklangs, das hat was Himmlisches.

12.8.

Ich weiß nicht zu beten, ich habe kein Verlangen nach der Bibel, pro forma bete ich ein Vaterunser. Dichtete nachts traurige Geistliche Lieder. Ich habe Sehnsucht nach einer lyri-schen Sprache voll von Weisheit und himmlischem Wohllaut, und meine Versuche schei-nen mir nur Gestotter und Radebrechen. Erst im Himmel kann ich wahre Poesie zustande bringen. Allgemeines Ungenügen an der Erde.

13.8.

Erwachte mittags voller Haß und Verachtung auf alles. Ohne Gott leben ist fürchterlich, da lebt keine lebendige Liebe im Herzen. Wüstenzeit. Gott scheint ferne, scheint tot. Kein Gebet gelingt. Keine Sehnsucht nach Gott, nach der Bibel. Diese wird langweilig, allzu bekannt, unbedeutend für mein Leben und nicht schön genug. Gleichzeitig Unglück der Seele, die Gott entbehrt. Gefühl, ungeliebt zu sein. Alle frommen Sätze sind hohle Phrasen. Dunkel. - Mich rettet nicht mein Glaube, sondern Gottes Gnade. Ich ersehne das intime Zwiegespräch mit Gott. Habe eine Sehnsucht nach Liebe, Geliebtwerden, Glück, Poesie und Leben, die auf Erden wohl nie gestillt wird. Ach wär ich tot!

18.8.

Lese Tiecks Sonette an Alma im Garten. Der wahre deutsche Petrarkismus fand in der Ro-mantik statt: Tiecks Alma, Novalis’ Sophie, Brentanos Sophie. Eichendorff hat (nicht in meinem geliebten Taugenichts) etwas Biederes, das ich nicht mag. Clemens ist frisch-lebendig, ein Kind. Novalis lebt im Jenseits. Auch Arnim mag ich nicht sehr, er hat eine dunkle unerlöste Phantasie. Hoffmann ist zu dämonisch, hat aber blitzhaft sprachliche Schönheiten. Die Nachtwachen sind satanisch.

19.8.

Schrieb Sonette und Madrigale. Las gerne Tieck (seit seinen Alma-Sonetten lieb ich seine Dichtungen), der genialste Romantiker in meinen Augen ist Novalis, der auch schöne anti-ke Oden und Hexameter dichtete, und der liebe, liebe Clemens Brentano mit seiner ver-zweifelten, kindlichen Frömmigkeit.
      Die „Emanzipation des Fleisches“ war eine Bewegung um 1800, halb klassisch, halb romantisch, Byron und Heinse vor allem, auch Brentano im Godwi und Schlegel in Lucin-de. Ich gestehe, ich lese so etwas mit Lust: Heinses Ardinghello hab ich dreimal gelesen, mein Italien mehr als Goethes Reise. Und Don Juan mit allerschönstem Genuß, Haidée ist die wahre Venus. Aber ist nicht Emanzipation des Geistes vom Fleisch das göttliche Pro-gramm? Aber ist nicht auch Lob der wahren Sinnlichkeit wie im Hohenliede Aufgabe eines christlichen Dichters?
      In der Bibel steht, daß alle Könige der Erde ihre Herrlichkeit in das Neue Jerusalem ein-bringen werden. So werden alle Meisterwerke der Kultur im Himmel verherrlicht sein: der Himmelstempel von Peking und die chinesischen Gärten, der Kölner Dom oder die Aache-ner Pfalz, Venedig als Märchenstadt etc.
      Mein persönlicher Eindruck von Venedig - Piazza und Canale Grande, Dom, Geschäfts-straße, Rialto, Fischmarkt, Maria del Miracoli, Marco-Polo-Haus - war das Bild der Venus von Botticelli, also in Wahrheit eine weiße Geliebte mit langen roten Locken, Flammetta am besten geheißen.
      Gotteslob: „Wo Liebe ist, da ist Gott. In ihr können wir Gottes Nähe erkennen. Wenn wir Liebe haben, zeigen wir den anderen Menschen Gott.“

20.8.

Gebetsaltar für die Entführteaufgestellt: Christusikone, Marien Verkündigung von Botticel-li, Kerze. - Ich betete schon zur Maria Misericordia für die Verschwundene, so bang bin ich, das Gebet war aber ein schöner Traum, und mir schien, Maria lebt. - Eine Wolke von Zeugen umgibt uns. Ich bildete mir für einen engelhaften Hauch eines Moments ein ihre Erscheinung. Kann nicht zu Gott beten, betete aus dem Gotteslob zu Maria, berührt mein Herz. Nach einem freien Lobpreis Marias betete ich zur benedeiten Frucht ihres Leibes, zum wahren Christkind, dem Kinde Gottes. Amen, das weiß ich, daß Christus Jesus er-schienen ist am 10.10.94, als das Täubchen in seinem Blute schwamm. Kein Gemälde trifft ihn, eine Mischung aus Dürers Selbstbildnis und Leonardos Abendmahl. Ich hätte so gern ein wundertätiges Bild. Ich werde rein katholisch.
      Im Augenblick bin ich ganz voll von der Verschwundenen. Sie ist in meiner Phantasie eine römische Heilige wie Sankt Agnes oder Dorothea oder Katharina. Ich bin pfingstlicher Katholik. Ich habe solche Sehnsucht nach dem Trost Marias, der Mutter der Barmherzig-keit, der Königin der heiligen Jungfrauen, der schönen Fürstin des Himmels, der Trösterin und Fürbitterin: Maria, hilf!

21.8.

Ich werde wohl als Verherrlicher verschiedener Frauen in die Literaturgeschichte eingehen oder untergehen.
      Ich denke viel an Gott und den Himmel, aber der Mund meines Herzens ist meist ver-schlossen, nur mit Überwindung entringen sich mir Worte an Gott, oder nur Stoßseufzer. Das Thema meines Herzens ist zur Zeit In. in der Seligkeit (oder in großer irdischer Not) und der Gedanke an die heilige Jungfrau und Mutter Maria. Danke, Gott, für Dantes Buch.
      Dante zählt Epikur zu den Ketzern. Hedonismus, ästhetischer Immoralismus, Emanzipa-tion des Fleisches ist Ketzerei. Ich lese lieber Bücher, die himmlisch gesinnt sind. Novalis, Dante, Klopstock sind himmlisch gesinnt.

22.8.

Gebet zu Gott. Und Maria führe sie ihrem Sohne Jesus zu. Maria ist die Schwester der En-gel. Möchte noch einmal Maria-Hymnen schreiben: oliva speciosa, o Balsamstrauch, o elfenbeinerner Turm! Aber ich muß schauen, wie der allmächtige und allwissende Gott meine Frömmigkeit entwickelt. Maria ist Ecclesia, Braut Christi, Sulamith.
      O Maria, schöne Fürstin des Himmels, Braut des Morgensternes! Du bist die Gnadenrei-che, die Schmerzensmutter, die Jungfrau sonder Makel. Schön wirst du gepriesen als Bal-samstaude, als Vlies, auf das der Tau des Geistes sank. Bitte du für mich und trete ein für mich bei Jesus, dem dornengekrönten König. Führe mich zu ihm und entflamme mein Herz mit der Liebe, die du zu Gott hast, meine Mutter.

23.8.

Ich versuche unter Menschen zu kommen, aber bin froh wieder allein zuhause zu sein und einsam trauern zu können um In., die nun ein Engel ist. Die Kerze brennt vorm Marienbild mit Ähnlichkeit zu der Verschwundenen und der Ikone. Gotteslob, Musik, Wohlsein in elegischer Einsamkeit. Ich suche Trost bei Menschen, aber sie trösten nicht, sie zerstreuen höchstens.

28.8.

Einer fragte, wie es mir ginge. Er zitierte Paulus, der die Christen ermahnte, die Elenden zu ermutigen, daß sie nicht von „übermäßiger Traurigkeit verschlungen“ würden. Es ist wie Israel in der Wüste. Beschränkung auf Manna, keine Fleischtöpfe und Knoblauch und Bier Ägyptens mehr. Wachteln begehrten sie, das erzürnte Gott. Zu trinken gab es nur Wasser aus dem Felsen, keinen Wein der Freude. Und dennoch kamen sie nach Elim, wo Palmen und Quellen rauschten, ein flüchtiger Vorgeschmack auf das Gelobte Land. Im Gelobten Land wuchsen riesige Trauben (Wein der Fülle). Die Psalmisten und Hiob berichten von der Erfahrung eines Christenlebens, das die Dürre kennt, wo Gott sich nicht lebendig zeigt. Wir sollen treu sein. Die Psalmisten trösten auch über das trügerische, vergängliche Glück der Gottlosen. Das Evangelium verheißt nicht Erdenglück, sondern Seligkeit des Himmels.

1.9.

Dichtete im Traum antike Oden.
      Lieh Catull aus und kopierte Ovids Liebesgedichte. Lesbia und Corinna erinnern mich an Eine. Überlege, erotische Elegien zu schreiben.
Las Hiob und klagte Gott mein Elend. Ich lebe ein Hiobs-Leben. Trost gab mir der spekulative Gedanke an Freitod. Wäre es nur einfach, schmerzlos und nicht sündig! Ich wäre am allerliebsten tot!

2.9.

Es wäre grausam von Gott, wenn er mich mit diesem Gemüt alt werden lassen würde. Der Tag des Todes ist besser als der Tag der Geburt, sagt der Prediger. Verflucht die Stunde, in der man sagte, ein Knabe kam zur Welt, sagt Hiob. Jerusalem, du hochgebaute Stadt, wollt Gott, ich wär in dir, sagt der Kirchendichter. Ich würde gern morgen, nachdem ich die Ge-liebte sah, am Herzinfarkt sterben. Zur Not müßt ich in totaler Verblödung und Abge-stumpftheit des Gemüts die restlichen Jahre leben. Selbstmord ist grausam und verboten. Gott scheint mir grausam, daß er mich so leiden läßt. Warum heißt der Heilige Geist Trös-ter, wenn er nicht tröstet? Warum im Herzen solche Sehnsucht nach Liebe, wenn mich kei-ne Frau liebt? Warum solche wahnsinnige Sehnsucht nach dem Paradies, seit sieben Jah-ren, wenn ich in diesem Jammertal vielleicht noch fünfzig Jahre vegetieren muß? Das ver-hüte Gott! Ich bete um einen frühen Tod. Wer kann mich retten? Ich will weinen! Die Ge-liebte wird mich nicht retten, sie wird mich nicht einmal mütterlich oder fraulich trösten.
      Warum hab ich nur meinen Selbstmordversuch überlebt? Majakowskis Kugel traf, Zwe-tajewas Strick erwürgte sie, Byron ward erschossen, der selige Novalis starb früh, Jochen Klepper starb am Gas, und ich muß leben, dieses gottverdammte Erdenleben leben! Ich hab das feste Gefühl, daß Gott Selbstmord verbietet. Aber ist nicht Jochen Klepper im Him-mel? Es rettet einen doch nicht die Tugend, sondern der Schrei zu Gott! Aber schrei ich zu Gott? Gott ist so fern! Er kümmert sich nicht um mich, teilnahmslos läßt er mich leiden, ein kalter gleichgültiger Alter auf dem Thron, und ein verherrlichter Herr, der nicht mehr nahe ist, und ein Geist, der nicht mehr tröstet. Sinnlos scheint mir das Gebet, scheint mir nur Selbstgespräch. Ich vertraue Gott nicht mehr. Gott ist Gott! Ich verstehe ihn nicht. Die Gottlosen läßt er glücklich sein, mich aber hat er mit meiner Bekehrung zum Allerelends-ten gemacht. Seit dem Sankt-Agnes-Tag 93 bin ich dem Tode nah und kenne kein Vergnü-gen an der Welt mehr. Wenn es nur so schön einfach wäre, sich das Leben zu nehmen, wenn wir nicht so an diesem elendigen Dasein doch hängen würden, wenn die Angst vor dem Schmerz und die Angst vor dem Sterben nicht so groß wäre und die Angst vor Gottes Gericht! Ich fürchte den Zorn und das Gericht Gottes! Ich fürchte die Hölle! Wer kann ga-rantieren, daß bekehrte Selbstmörder nicht in die Hölle kommen, wo steht das geschrieben? Wer kann mich in die Freude retten, wenn Gott mich nicht rettet? Wie soll ich dies Kreuz tragen? Es scheint mir zu schwer. Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich, Christus, erbar-me dich!

3.9.

Las Catull in hölzerner Nachdichtung, sein Schimpfen gefällt mir nicht. Die antiken Verse sind in Deutschland entwickelt worden von Ewald von Kleist, Klopstock, Goethe, Schiller, Voß (Homer), Novalis, Hölderlin, Schröder.
      Otfried führte den Endreim in die deutsche Dichtung ein, den er von lateinischen Hym-nen hatte. Er vertrieb damit den germanisch-heidnischen Stabreim. Opitz kanonisierte den Jambus, das war Reformationszeit. Der gereimte Jambus ist christlicher Vers. Aber auch Klopstock, Novalis, Schröder eroberten antike Maße für die christliche Kunst. Der Marien-kult im 10. Jhd. legte die Grundlage für die Minnekultur.
      Ach ich bin ein tragischer Mensch! Zerrissen zwischen Heiligkeit und Sünde, niederer und hoher Minne, Weltverachtung und Genußverlangen, Eros- und Todestrieb, mit dieser Tragik geh ich unter, Gott gebe bald!
      Spiegelt sich in mir Jesu Herrlichkeit? Jesu Kreuz spiegelt sich in mir. Eli, Eli, lama asa-bthani? Der bittere Kelch, das ist das leidige Leben, ich will ihn nicht zur Neige leeren, aber Gottes Wille soll geschehen. Präge mir das Kreuz ein, Herr, laß mich mein Kreuz an-nehmen, hilf mir mein Kreuz tragen, sende mir einen Menschen (einen Simon von Kyrene), der mir hilft, mein Kreuz zu tragen. Gib einen Menschen, der zutiefst mitempfindet und Kraft abzugeben hat an mich und echten, tiefen Trost. O, laß mich frühen Todes sterben, daß ich bei Jesus bin!

4.9.

David entwickelte die primitive Kunst der Israeliten bedeutend weiter, zumindest die Mu-sik, er ließ ausgebildete phönizische (!) Musiker kommen. Ist das wahr? Erst beim Salo-monischem Tempel werden wahre Musiker-Heere genannt. David war Musiker, durch ihn entstand der Tempelgesang und das persönliche Lied der frommen Seele. Aber war er glücklich? Wohl nicht. Vielleicht bei den Schafen. Aber von seiner Berufung (Salbung) an, ward er gehetzt, gehasst und verfolgt und dichtete Angst- und Klagepsalmen. Als er König war, steckte er in Krieg und Bürgerkrieg, kein Grund zum Glücklichsein. Nach seiner sün-digen Wollust mit Bathseba war Haß und Brudermord in seiner Familie. Jonathan („deine Liebe ist besser als Frauenliebe“) ward bald von ihm getrennt durch Sauls Haß, dann starb er im Krieg. Michal, die David liebte, ward von ihm getrennt, einem andern Mann gege-ben, später verachtete sie ihn. Er hatte zwar einen Harem von Frauen, aber keine innig-vertraute Ehegemeinschaft. Joab, sein Kampfgefährte, tötete Absalom, darum gebot David Salomon, Joab zu töten. Nathan war kein gütiger Beichtvater, sondern ein strenger Buß-mahner. David war einsam. Wohl darum war er ein so großer Poet.

5.9.

Über biblische Poetik. Die Bibel ist Gotteswort und Menschenwort, wie diese beiden Quel-len sich zueinander verhalten, ist ein heiliges Geheimnis. Jedes Wort ist gottgehaucht (wie ich wohl glaube), aber ganz in den eigenen Worten des Chronisten, Dichters oder Prophe-ten ausgedrückt. Gott verwandte die Sprache der Menschen. Er verwandte auch die menschlichen, kulturell gewachsenen literarischen Formen. Die orientalischen Volker kannten Hymnus, Klage, Spottlied, Liebeslied etc. Gott verwandte das. Inwiefern ist da-durch in der Bibel eine neue Qualität dieser Formen entstanden? Vielleicht ist die Schön-heit verwandt mit der der heidnischen Poesie, aber in der Bibel sind Schönheit und Wahr-heit optimal vereint. Vielleicht ist der altägyptische Hymnus schön, aber er hat keine göttli-che Wahrheit. Welche Entwicklung nahm die menschliche Seite der hebräischen Poesie? Hat David eine kulturelle Blüte hervorgebracht? und Salomo diese noch verfeinert? Als ältestes Bibelbuch wird Genesis, dann Hiob angesehen. Genesis gibt den wahren Mythos in einem großen Gedicht von Schöpfung und Paradies. Hiob ist in Versen verfasst. Welche Gestalt haben die hebräischen Hiobsverse? Eine deutsche Nachdichtung gibt es in Blank-versen. Hiob ist dramatisch, dialogisch, elegisch, Weisheitsliteratur, voller poetischer Bil-der. Goethe greift in Faust I auf Hiob zurück. Die liberalen Theologen datieren Deborahs Triumphgesang (Schlachtlied) in älteste Zeiten, welchen Versrhytmus hat dieses Lied? In der deutschen Literaturgeschichte las ich, daß das poetische Mittel des Parallelismus häufig in sakraler Poesie verwandt wird. Stammt es ursprünglich aus der Bibel oder kannten die Babylonier und Ägypter es ebenfalls (und Chinesen im Shi-Jing)? Alle Uroffenbarung der Völker ist in Poesie, in Versen überliefert. Das deutet darauf hin, daß das Dichterische zum Wesen des Menschen als Ebenbild und damit auch zum Wesen Gottes gehört. Gott hat auch das Wesen eines Erzpoeten. Die formalen Aspekte der Dichtkunst, Rhytmus, Melo-die, Wohllaut, Regelmäßigkeit, kann man in der natürlichen Schöpfung ebenfalls finden. Der innere Aspekt der Dichtkunst, der verdichtete Ausdruck, gehört wesentlich zum Reden Gottes. Gott ist kein Schwätzer, sondern ein wesentlich und gedichtet redender Gott der Wahrheit. Platon redete vom obersten Prinzip als von dem Wahren, Guten und Schönen. Gott ist wahr und gut. Jesaja sagt, Gott ist ein Gott der Schönheit, oder, noch wesentlicher, der Herrlichkeit. Gott dichtete mit seinem Reden (und das Wort geschah) die gesamte Schöpfung: einen Jaspis, einen Schwan, ein Röslein, Sie: das sind die Gedichte des Logos Gottes!

6.9.

Bei Einem zum Tee, er zeigte mir Bilder vom Apollon-Tempel, Zeustempel, Delphi und dem meerumschlungenen Delos der Leto, Mutter Apollons und der Artemis. Er fand die vielen Götzentempel traurig-abscheulich („wie Paulus“), aber ich fand herrliche antike Kultur.
      Ja, das Leben ist ein Jammertal, trage dein Kreuz, harre auf die lebendige Hoffnung. Kein Mensch ist in dieser schweren Stunde für mich da. Petrus und die Zebedäussöhne schlafen, aber ich kann nicht mal zum Vater beten, und er wird den bitteren Kelch nicht an mir vorbeigehen lassen. Ich muß den bitteren Kelch, voll schwarzer Galle, in diesem herbstlichen Garten Gethsemane leeren bis auf die Hefe. Ich hasse mein Leben. Gott hilft mir nicht. Niemand ist für mich da. Ich bin unendlich einsam und elend, elend, elend. Da hilft auch kein gegorener Traubenmost!
      Einmal hat Sie gesagt, es muß schön sein, zu glauben wie ich. Herr Jesus, ist es denn schön, so zu glauben wie ich glaube? Was glaube ich denn noch? Glaub ich, daß du mich hörst? Ich will es glauben, ich muß einfach darauf vertrauen, auch wenn ich es nicht fühle. Aber Herr, wo ist denn deine Gnade und Güte? Ich weiß, ich muß mein Kreuz tragen, wenn ich dir nachfolgen will. Und ich will dir, um jeden Preis! nachfolgen ins ewige Leben! Das ist meine unendliche Sehnsucht. O Jesus, mir scheint mein Kreuz zu schwer zu sein. Deine Bibel sagt, Gott gibt nicht mehr zu tragen auf als einer tragen kann, und Gott hilft auch tragen. Das muß dann ja stimmen! Ich glaube an das Wort. Aber Herr, das ganze Jahr ist ein schweres Jahr, ein Jahr großer Leiden. Immer hat es mir geholfen, dir mein Herz auszu-schütten und in der Heiligen Schrift zu lesen, besonders in den Psalmen, Prediger und Hi-ob, in den Worten vom Elend. Aber nun wird es noch einmal schwieriger, Jesus, weil mir das Beten mit dem Mund des Herzens so schwer fällt. Herr, ich bin hungrig nach Liebe, nach seelischer und leiblicher. Mir fällt die Einsamkeit so schwer, mein Verlangen treibt mich um. Ich will von Menschen verstanden werden und sehne mich nach Mitgefühl. Ich spüre einen Mangel auf so vielen Gebieten. Soviel Mangel, Gott, den du nicht ausfüllst. Ist das denn der einzige Trost, daß ich eines Tages im Paradies sein werde? Wie soll ich bis dahin mein bitteres Herz ertragen? Laß mich bitte wieder fühlen, daß du mich liebst! Ich fühle mich wie Hiob, wie der Prediger, wie der 22. Psalmist, wie Jesus in Gethsemane, wie der Gottverlassene am Kreuz, als man ihm Essig und Galle gab! Elend über Elend! Weh mir! Wo ist der Trost des Heiligen Geistes, Vater? Ich brauche dich! Gib mir Kraft und Freude, daß ich die Weltzeit meines Daseins überstehe. Ich flehe dich an um Gnade, großer Gott, in Jesu Christi Namen. Amen.
      Ich glaube nicht, daß Gott mir hilft. Er scheint mir ein ferner, gleichgültiger, kalter, grau-samer Götze. Er sieht mein Kreuz und denkt: Da kann noch eine Last drauf, noch bricht Torsten nicht zusammen. Jesu Schrei am Kreuz ist mein Verzweiflungsschrei, Gott hat sich in seine Finsternis jenseits zurückgezogen, der dunkle abgewandte Gott, nicht mehr ver-stehbar, nicht mehr liebenswert.

7.9.

Gestern vorm Einschlafen las ich die Kreuzigung in Lukas. Wie nüchtern, ruhig, undrama-tisch wird das größte Leiden der Welt dargestellt! Wie anders hätte es ein Tragiker (etwa des Sturm und Drang) dargestellt. Warum ist das Neue Testament so wenig poetisch? Wie wird das Leiden dramatisch und exaltiert im Hiob geschildert!

8.9.

Godwi: „Ich habe zuviel gelitten und hänge noch viel zu innig an meinen Tränen, den ein-zigen, die mir treu blieben.“
      Mir tun gut die Schilderungen und Lieder des todessehnsüchtigen Einsiedlers in Godwi, sanft und traurig und von stiller schöner Hoffnung auf besseres Leben jenseits des Grabes. Welchen Wohlklang hat das Wort „Grab“ für mich! Wichtig in depressiver Verzweiflung ist liebevolle Menschennähe. Die frommen Ratschläge der Freunde Hiobs sind überflüssig. Liebe, Sympathie, Freundschaft, Anteilnahme sind die beste Medizin. Traurige, meidet die Einsamkeit.
      Ach ich bekomme nirgends die Liebe, nach der ich mich sehne. Niemand hilft mir, auch Gott nicht, ich in meiner Elendsschwäche muß mir selber helfen. „Arzt, hilf dir selber!“
      „I’m nothing but a stranger in this world. I’ve got a home on high, so far away...“

11.9.

Georg Heym liebte die Unglücklichen. Ich dachte gestern an die Schwermut und das Elend der deutschen Dichter: Lenz, Hölderlin, Kleist, Brentano, Novalis, Rilke, Heym, Trakl, Lasker-Schüler, Schneider, Bachmann, Celan; mit ihnen fühl ich mich im Bunde. Auch Goethe im Werther, Tasso und in der Iphiengie kannte das Dunkel, aber er neigte zum Ge-sunden, Licht, Geordneten. Edmund Spenser lieb ich wegen seiner vielen dunklen Klagen (nicht umsonst soll er den Prediger Salomo nachgedichtet haben). Petrarca war oft einsam und traurig. Der frühe Neruda war verzweifelt schwermütig (Aufenthalt auf Erden). Goethe sagte, daß, wie der Regenbogen auf feuchter Wolkenwand, das Gedicht sich auf Melancho-lie gründe. Hiob: Wo Wasser ist, wächst Papyrus.
      Wie hängt Schwermut psychologisch und philosophisch mit der Kunst zusammen? Selbst Michelangelo, der so tüchtige Gestalten schuf, soll schwermütig gewesen sein. Im Mittelalter soll es eine allgemeine Neigung zur Krankheit der Schwermut gegeben haben. Wie steht Schwermut zur „Frucht des Geistes“, der Freude? Freude in allem Leide? Freude am Kreuz Christi und dem ewigen Leben! Die Bibel kennt die Schwermut: die Klagepsal-men, Hiob, Prediger, Lamentationen Jeremias, Christus in Gethsemane und Paulus: Weh mir elendigen Menschen! Wer wird mich von diesem Leibe erlösen? Ich hätte nicht übel Lust, abzuscheiden und beim Herrn zu sein! Kann man ein Lob der Schwermut schreiben? Kann man etwas loben, was es im Himmel nicht geben wird? Wird es im Himmel unter-schiedliche Temperamente geben? Wird es Melancholie geben als gewisse Neigung gewis-ser Erlöster, mehr als andere Heilige innerlich zu sein, kontemplativ und musisch? Werden alle Menschen im Himmel vollendete Menschen sein? Gewiß. Aber heißt vollendet sein, daß alle gleich sind? Mitnichten. Wir werden erlöste, eigene Persönlichkeiten sein. Es müßte also eine erlöste Melancholie geben. Werden einige Erlöste mehr Gott tätig dienen und andere ihn mehr beschaulich ergründen? Werden einige ihn künstlerisch loben? Wird es Kunst im Himmel geben? oder werden Alle Künstler sein? Was ist Kunst? Kunst ist das Verherrlichen des Schöpfers und seiner Schöpfung in Schönheit, mit den Mitteln des Schönen. Was ist Schönheit? Im Himmel wird alles schön sein, herrlich, von außerordent-licher Schönheit. Schönheit und Wahrheit werden eins sein. Werden alle im Himmel die gleichen Wesenszüge Jesu loben? Gibt es objektiv Schönes? „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“. Gottes Schönheit und Herrlichkeit, ist sie uns schon offenbar? Die Rela-tivität der Frauenschönheit, sie hängt wesentlich mit Liebe zusammen. Was ich liebe, finde ich schön. Liebe ist schön.
      Plutarch: „Der Melancholiker hält sich für einen Menschen, den die Götter hassen und mit ihrem Zorn verfolgen. Ein noch schlimmeres Schicksal erwartet ihn; er wagt nicht, es abzuwenden oder sich die üble Lage zu erleichtern. Arzt und tröstenden Freund weist er ab. Laßt mich meine Sorgen tragen! sagt der Unglückliche: mich, den gottlosen, verfluchten und den Göttern verhaßten Mann. In Säcke oder schmutzige Lumpen gehüllt, sitzt er im Freien. Von Zeit zu Zeit wälzt er sich nackt im Schmutz und bekennt dabei seine Sünde. Die Feiern zu Ehren der Götter erfreuen sein Herz nicht, sondern erfüllen es mit Schre-cken.“ - Hiob: „So wurden mir beschieden Monde der Pein, Nächte der Mühsal hat man mir zugezählt. Gedenke, daß mein Leben nur ein Hauch ist! Nie wieder erschaut mein Au-ge das Glück!“ - Bunyan spricht in seiner Pilgerreise vom Sumpf der Verzweiflung. Wenn Leben heißt, den Zustand der Traurigkeit mehr oder weniger intensiv zu erleben und Schwermut das Gegenteil von glücklicher Stimmung ist... Exzessive Ausschweifung ist ein Versuch, gegen die Depression anzukämpfen. Erotisierung ist depressives Liebesverlangen. Anhänglichkeit ist Depression. Großzügigkeit ist der Wunsch, Liebe zu erkaufen, eigent-lich depressive Anhänglichkeit. Aus der Depression geht Aggression hervor, gegen den mich Ablehnenden oder häufig auch gegen mich selbst. Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung. Keine Freude am Essen. Nachlässige Kleidung. Übermäßige Beschäftigung mit sich selbst. Trauriger Gesichtsausdruck. Ich habe an der Fröhlichkeit anderer keine Freude, ärgere mich sogar darüber. Tränen. Zynismus, Herzenshärte, Aggressionen. „Ich verfluche mein Fleisch und mein Leben!“ Meinung, die Menschen haben an mir kein Inte-resse. Furcht, aufdringlich zu sein und unerwünscht. Angst, verlassen zu werden. Ausweg-losigkeit. Die Vergangenheit besteht nur aus Leiden, die Zukunft verheißt keine Lösung. Herbst und Winter. Dunkle Farben machen schwermütig. Weihnachtstage wecken Kind-heitstraumata. Negative politische Nachrichten betrüben. Nachtwachen machen empfäng-lich für Schwermut. Stimmungsschwankungen ohne ersichtlichen Grund. „Überstehn ist alles!“ (Rilke) Künstlerische, intellektuelle Leistungen in depressiven Phasen hoch. Gegen die Schwermut andenken: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?! Der Blick nach unten ist zerstörerisch. Mit fünf Jahren der Großteil des Charakters angelegt. Stimmungsschwankungen der Pubertät. Schuldgefühle beim ersten Orgasmus, Scham nach der Masturbation. Im Alter von 40 bis 50 Jahren häufiger Depressionen. Ent-täuschungen oft unbedeutende Auslöser, Enttäuschungen durch Lieblosigkeiten der Men-schen. Ablehnung durch den liebsten Menschen führt zu besonderer Verzweiflung. Leid kann nur durch die Liebe eines Andern geheilt werden, aber Elende ziehen sich zurück. Andere sind ganz mit sich selbst beschäftigt und merken oft gar nicht, daß der Leidende liebevolle Zuwendung braucht. Das Gefühl in einer Falle zu sitzen und sich nicht befreien zu können. Depression als Reaktion auf Ablehnung, Liebesmangel. Die Auslöser sind nur die Oberfläche, der Kern sitzt tiefer. Die alten Völker verabreichten Opiate und Halluzino-gene. Beziehungs- und Denkstrukturen werden dadurch nicht verändert. Mariehuana kann Schizophrenie auslösen. Nach der ersten Euphorie eine um so tiefere Depression. Psycho-therapie soll die Zuwendung geben. Amoralisches Leben wirkt oft euphorisierend, weckt danach Schuldgefühle. Der innere Raum des Menschenherzens, der Gott bestimmt ist. „Ein Christ hat Vergebung, Friede, Kraft, Freude, ein Lebensziel, Zuversicht.“
      Tapfer dulden und auf Gott harren, daß Christus in mir Gestalt gewinne, ist der Umgang mit Schwermut. Es steht geschrieben, daß Gott alle Haare auf meinem Haupt gezählt hat und ich ihm mehr wert bin als viele Sperlinge. Was mir fehlt, ist Glaube! Es steht geschrie-ben, daß Gott mich nicht über meine Kraft versuchen wird. Auch diesen Herbst nicht! Es scheint nur so. Die Prüfung ist am Vater vorübergegangen, sie wird mich nicht zerbrechen. Johannes: „Achtet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchun-gen geratet, und erkennt, daß die Erprobung eures Glaubens Geduld wirkt.“ Gott will mich zu einem tieferen Gleichgestaltetsein mit dem Gekreuzigten kommen lassen. Im Alten Tes-tament war der Dichter des 22. Psalmes Christus am ähnlichsten, Isaak auf Moria ebenfalls, Hiob auch sehr. Wie der Stahl gehärtet wurde? Im Feuer! Preis sei Gott, daß er mich Hiob, David, dem Prediger gleichgestalten will, den großen Schatten des gekreuzigten Christus! Aber Paulus spricht auch von der Gleichgestaltung mit dem Auferstandenen? Christus sag-te zu den weinenden Frauen: „Weint nicht um mich.“ Je tiefer das Leid, desto größer die Gnade. Gott wird mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen.
      Mose: „Ich vermag dies ganze Volk nicht allein zu tragen, es ist mir zu schwer! Willst du so an mir handeln, so töte mich lieber, wenn ich anders Gnade vor deinen Augen gefun-den habe, damit ich mein Elend nicht mehr ansehen muß!“
      Meine Seele fühlt sich immer noch einsam und ungeliebt. Wenn ich doch, Gott, mich in deiner Liebe baden könnte! Ließe ich mir an deiner Gnade in meiner Schwachheit genügen. Soviele Segnungen konnte ich mir in Erinnerung rufen, und Christi Blut für mich, und Got-tes Geist in meinem Herzen! und dennoch fühl ich mich als Wurm! Preis deiner Liebe, Gott, mit der du mich Wurm geliebet hast!

12.9.

Das Auferstehungsleben Jesu bestand im Brotbrechen, im Fisch- und Honigwaben-Essen, im Zeigen seiner Wunden, im Auslegen der Heiligen Schriften und im Segnen.
      Die heiligen Dichter haben eine Sehnsucht nach dem Paradies und ein Leiden an der Gefallenheit. Sie neigen als depressive Menschen zu Suchtverhalten, sei es im stofflichen oder im emotionellen Bereich. Sie neigen auch zu Idealisierung. Sie isealisieren die Gelieb-te. Idealisierung ist Verherrlichung, ein göttliches Grundprinzip der heiligen Poesie. - Die Literatur, die keine schönen Gegenwelten entwickelt, träumt auch nicht sehnsüchtig vom Himmel. Ich mag das Utopische in der Literatur. Es gibt den Eskapismus ins Gemüt und den ins Jenseits. Wir christlichen Künstler sollen nicht weltlich sein, den Geist der Zeit nicht liebhaben. Das Wesentliche der Romantik ist Innerlichkeit und Sehnsucht nach dem Unendlichen. Auch ein christlicher Künstler soll Himmelsbürger sein.

13.9.

Jeremia: „Nie saß ich fröhlich im Kreis der Scherzenden; von Deiner Hand gebeugt, saß ich einsam; denn mit Grimm hast du mich erfüllt. Warum ward mein Schmerz denn ewig, ward meine Wunde unheilbar und will nicht gesunden? Wie ein Trugbach wardst du mir, wie ein Wasser, auf daß kein Verlaß ist.“ (Jer. 15; 17,18)
      Schneider war den Protestanten zu katholisch, den Katholiken nicht katholisch genug, den Andern zu christlich. Am Ende seines Lebens fügte er sich nicht mehr in tradierte Glaubens-Denkmuster. Sein Begriff des Tragischen hieß, der Mensch sei bestimmt, sich im Leiden zu bewähren, er solle sein Schicksal annehmen, um frei zu werden. Die Tragik des Christen ist das Vertreten der Wahrheit, die auf Erden als etwas Zerbrochenes erscheint, von der Welt abgelehnt wird. Schneider als „geborener Selbstmörder“, Klepper als „Selbstmörder wider Willen“. Im Drama personifizierte Laster, das Gefängnis der Leiden und die Rettung durch Buße und Gnade. Die „Wiederkehr des Immergleichen“ in der Ge-schichte macht historische und doch auch aktuelle Werke möglich. Er war Monarchist. Er wollte aber das Gottesreich anstelle des Weltreiches. Der alte Schneider, wie Johannes vom Kreuz, glaubte, als er glaubte, nicht mehr zu glauben: „Gefordert wird von uns über die Kraft, der felsenfeste Glaube, daß durch die Untergänge hindurch der Weg des Heiles führt, der Heimweg.“ Glauben über den Glauben hinaus. Die Christenheit versagte in Liebe und Gerechtigkeit. Daß die Wahrheit eines Lebens hervorleuchten kann, muß das Leben viel-leicht gar zerbrochen werden. Daß Christus in mir Gestalt gewinne, muß ich gekreuzigt werden. Schneider war einsamer Christ, Einzelgänger. Er schrieb kurz vor seinem Tode, um der Wahrheit willen sei es besser, mit einer brennenden Frage im Herzen zu sterben, als mit einem nicht mehr ganz ehrlichen Glauben. Anteil an Christi Verlassenheit. Leid ist Anteil am Kreuz Christi, kann aber auch Versuchung zum Unglauben sein. Er war Asket, nicht Zelot. Er hatte Toleranz ohne Indifferenz. Fatalität der Geburt: Schwermut, Existenz-angst, Hang zur Einsamkeit. Schopenhauer, Leben ist Leiden. Nietzsches Rausch. Musik der Deutschen als Todesrausch. Entscheidende Begegnung mit Kierkegaard, dieser: „O Tod, ich glaube, man tut dir Unrecht. Welche Bedeutung kannst du nicht dem Leben ge-ben!“ Schwermut wird Passion. Kierkegaard: „Die Situation der Gleichzeitigkeit mit Chris-tus, das allein ist Existenz.“ Schneider: „Es ist das Paradox der Botschaft, daß wir in einem gewissen Sinne krank sein müssen, weil Er sonst nicht zu uns kommt.“ In der absurden Leere des Atomzeitalters erlitt er seine letzte Anfechtung, Hoffnungslosigkeit und Klein-glaube. Er erbat ewigen Schlaf unterm Kreuz, ohne Hoffnung der Auferstehung, verharrte dennoch im Gebet. „In aller Religion ist die Sehnsucht nach dem Leidenden Gott, dem Bruder in Schmerzensgefangenschaft, ein Trost. Der Mitleidende ist uns deshalb auf Erden hilfreicher als der Auferstandene. Krankheit ist eine Gabe, eine Gnade, Anteil am stellver-tretenden Leiden Christi.“ Es ist falsch, die Tragik ins Heidentum zu verweisen. Einmal trifft der Weg eines jeden auf den Kreuzweg des Herrn. „Es gibt eine Stelle ohne Trost. Wir müssen aushalten, wenn wir sie erreicht haben. Näher als hier können wir dem Kreuz nicht sein.“ - „Der Schmerz über die göttliche Liebe, die nicht hilft, ist der schrecklichste der Kreuzigung.“ Selbsthingabe in der Agonie, im Bewußtsein des unbegreiflichen Gottes. Schneider über Camoes: „...ein Leiden, aber auch ein Leiden-Wollen“, unergründlichen Schmerz erfährt er frühzeitig von der Qual der Liebe, aber „gerade Qual wird in der Liebe gesucht“. Camoes Geliebte als menschliche Bestie...
      Das Thema der Todesahnung unter der Wolke der Schwermut: Kleist, Schopenhauer, Wagner, Nietzsche, Thomas Mann, Hesse, Schneider. Untergang im Leben, Vollendung im Werk. Konflikt der Vorstellung mit dem Willen, der Form mit dem Leben, des Dichters mit der „menschlichen Bestie und dem Meer“. Den Untergang durch Annahme überwin-den. Die Vernichtung gebiert durch den Dichter das Werk, das idealisiertes Leben ist. Das Leben wird im Dichter vernichtet, daraus entsteht die Formung idealisierten Lebens; das ist Dialektik. Schneider konnte nur in Bildern und Schicksalen denken, nicht in abstrakt-rationalen Theoremen. Natur, Rausch, Trieb und Macht (Wille) auf der einen, Geist und Ohnmacht (Vorstellung) auf der anderen Seite: idealistische Metaphysik. Augustinisches Entweder-Oder: Gottesstaat oder irdische Macht unter der Herrschaft des Teufels. Schnei-der stellt Elend, Tod, Verfall, Besessenheit, Untergang Einzelner und ganzer Völker aus-führlich dar. Barocke Gruftstimmung. Die Geschichte sei „sehr reich an Bildern, die mit den Mitteln irdischer Wirklichkeit die jenseitige ausdrücken und den Gehalt einer Epoche in ihrer Beziehung zur Ewigkeit ausdrücken.“ Dichter sind geschichtliche Figuren, Vorbil-der, sie tragen das Stigma der Selbstaufopferung für Werk und Auftrag auf der Stirn. „Dichter kommen entweder zu früh oder zu spät; vorzubereiten, was kommen soll, oder in die Dauer zu erheben, was vergänglich oder vielleicht schon vergangen ist.“ Ich bin ein zu Spätgekommener. Die Romantiker waren ebensolche. „In der Prägung und verpflichtenden Darstellung, nicht in der Erfindung des noch nie Dagewesenen besteht die schöpferische Tat.“ Schneider kritisierte an der deutschen Klassik und Romantik die Flucht vor der ge-schichtlichen Stunde in den reinen Geist. Auch ich fliehe vor dem Geist der Weltzeit in den Traum des Heiligen Geistes in meiner Seele.
      Wollust, Wahn und Tod! gewaltige Urtriebe, vielleicht dämonisch, beherrschen mein Denken. Licht, Liebe, Güte, Vernunft und Geist sind nicht in Sicht. Gott ist fern, ich bin allein. Eine Szene an Hiob und Lilith wühlte mich sehr auf, es ist ein mich sehr anstren-gender dionysischer Tanz vom Untergang und der zerstörenden Wollust.
      Salomo vereinigt die Schwermut (Prediger) und die Lust (Hoheslied). Das wäre ein inte-ressanter Stoff, diese Mischung aus melancholischer Weisheit und Genuß der Liebe eines Weibes. Wollust der Verzweiflung, Todes-Lust!
      Gedanken beim Wodka: Goethe kannte Leiden am Geist in Iphigenie und Tasso, dann wandte er sich der Lust an Faustine zu. Ich hasse den politisch-katholischen und den fun-damentalistisch-charismatischen Triumphalismus. Christentum besteht im Leiden. Gegen die Absurdität Gottes steht nur das Kreuz Christi. Ich finde Christus in der Vergangenheit am Kreuz, in der Zukunft im Paradies, aber nicht (mehr) in der Gegenwart. Die Moralität des Christentums und die Liebe Gottes gingen mir fort, aber das Kreuz Christi steht mitten in meinem Leben. Ich bin ein nordischer, deutscher, friesischer Typus, aber nicht mir zum Genuß, sondern es ist mein Kreuz. Das Paradies ist im Südland, sinnlich und sonnig. Ein-samkeit ist mir ekelhaft. Ich will mich an geistreichen Gesprächen berauschen. Habe Sehn-sucht nach zügelloser Lust.
      „Ich glaube langsam, die Menschen verlieben sich, um unglücklich zu werden.“
      „Er läßt mich nicht Atem schöpfen, sondern sättigt mich mit Bitternis.“ (Hiob)

14.9.

Die Frauen wissen von ihrer Schönheit, üben damit tyrannische Macht über die Männer aus, sie sind menschliche Bestien, she-demons, Lilim.
      „Mich ekelt mein Leben.“ Hiob. Eliphas von Teman sagt zu Hiob: „Siehe, du hast viele unterwiesen und matte Hände gestärkt; deine Rede hat die Strauchelnden aufgerichtet, und die bebenden Knie hast du gekräftigt. Nun es aber an dich kommt, wirst du weich, und nun es dich trifft, erschrickst du!“ Wer hilft mir, wenn ich ertrinke?
      Wer in die Nachfolge Christi tritt, wird mehr als vorher leiden, aber er erfährt auch die Gnade, die sein Leben in ein Opfer verwandelt. Das Gottesbild zerbricht, aber Gnade be-deutet, daß es Schneider auch als zerbrochenes weiter in Anspruch nimmt. In dem Tragi-schen sieht er das Geheimnis des ganzen zeitlich-historischen Lebens. Er betont, daß man es nicht genau definieren kann, sucht es aber trotzdem immer wieder zu beschreiben und zu bestimmen. Er findet den Inhalt des Tragischen in der Literatur, die den Namen Tragödie trägt. Das Tragische bedeutet für ihn, daß die Lage des Menschen hoffnungslos ist, daß die Ewigkeit mit dem Zeitlichen in Widerstreit steht, daß durch das Leben ein Bruch geht, daß aber dennoch ein transzendentes Licht auf den Weg des Menschen beim Sturz in die Tiefe fällt. Die Welt ist ein zerknicktes Rohr, das ist das Zeugnis aller abendländischen Tragö-dien. Gegen den billigen Optimismus, dem Nihilismus und dem Absurden nahe, dialek-tisch denkend. Mystisch, prophetisch, utopisch. Im Tragischen handelt es sich um Leiden, Unglück, Widerspruch. Man wird sich des Leidens bewußt und sucht eine Antwort. Man findet auf das Leiden keine wahre Antwort. Das Einzelschicksal wird transzendent für das Leiden der Menschheit. Das Tragische ist ein allgemeinmenschliches Gesetz und unabhän-gig vom Glauben. Schopenhauers und Buddhas „Leben ist Leiden“. Das Bild eines Men-schen, dessen Schicksal es ist, sich im Leiden zu bewähren. Antike Antworten: sich gegen sein Schicksal auflehnen oder es annehmen. Widerspruch von Notwendigkeit und Freiheit. Notwendigkeit ist objektive Wirklichkeit, Freiheit ist die subjektive Stellungnahme dazu. Trotz der Annahme des Schicksals bleibt der Widerspruch zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Es gibt keine Auflösung. Eine letzte Antwort wird nicht gefunden. (Auch in Hiob nicht.) Im Tragischen liegt eine Tendenz zum Kreuz. Das „glückliche Ende“ hebt nicht unbedingt das Tragische auf (Ödipus auf Kolonos.) Im Zentrum des christlichen Glaubens steht das Kreuz. Das Schicksal des Christen verwirklicht sich im Dunklen. Die Größe des Christen zeigt sich im Leiden. Das ist auch die Idee des „russischen Christus“. Die Idee will sich in der Existenz verwirklichen und geht in ihr unter, das Heilige wird auf Erden zerbrochen.
      Ich bin wie ein Panther im Käfig gefangen. Niemand ist da für mich, ich bin ganz allein, ohne Gott, dem Absurden und der Verzweiflung ausgeliefert, ohne Trost der Religion.
      Pascal: Es gibt nur ein Glück auf Erden, das ist die Hoffnung auf das ewige Leben! Die Antike: Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben! Jeremia: Ach wär ich im Schoß meiner Mutter geblieben! Nietzsche: „Ich liebe die, die nicht mehr zu leben wissen, es sei denn als Untergehende...“
      Wo ist Gott in dieser großen Trübsal? Ist er mit mir? wie? leidet er mit? oder beobachtet er und wartet ab? Ach Christus an seinem Kreuz hatte ebensoviele Fragen! Er sagte nicht: Gott, du hast mich verlassen, weil ich zur Erlösung für viele zur Sünde und zum Fluch ge-macht werden mußte! sondern schrie: Mein Gott, warum, warum hast du mich verlassen? Christus existiert für mich nur noch am Kreuz, in seiner Gottverlassenheit. Aber es gibt für mich keinen triumphierenden Christus auf dem Thron, der mächtig mir beisteht. Meine Sehnsucht ist nicht nach einem Paradies, das wir uns nur irdisch vorstellen können mit Li-lienwiesen, schöner Stadt, gesungenem Lobpreis, Gespräch mit dem Menschensohn; son-dern meine Sehnsucht ist das Nichtmehrsein, das Erlöschen aller Leiden, ewige Ruhe! In einem Tagtraum sah ich ein leeres Kreuz, aus hartem Holz gezimmert: Christi Kreuz oder meines? Gott hilft mir nicht tragen. Die Frömmigkeit der glückseligen Christenheit gibt mir weder Trost noch Kraft. Ich muß das Kreuz tragen, Elend bejahen, aber es ist mir zu schwer, das Kreuz der Einsamkeit, ich strauchle und falle weinend zu Boden. Wie Maria am Kreuzweg sagte: Sehet, ob jemand solche Schmerzen kennt, wie ich erleiden muß! Ich kann nicht um Hilfe beten, weil ich nicht wirklich glaube, daß Gott lebt, für mich ist, Gebet erhört. Er ist ein Gott an sich, aber nicht für mich in dieser Stunde. Er war für mich am Kreuz in Christus, damals starb er meinen ewigen Tod, daß ich vor der Hölle bewahrt wer-de. Aber ist dies nicht die Hölle, diese Gottesferne? Wehe mir, ich elendster aller Men-schen!
      Eine wies auf die Biographie Joni Tadas hin, daß Gott gerade den Leidenden helfen kön-ne, daß gerade die Leidenden Erkenntnisse gewinnen könnten, die den Satten und Zufrie-denen versagt blieben. Wenn ich wieder an die Gegenwart Gottes glauben könnte! Ich bete einzig das Vaterunser oder „Vater, ich lege meinen Geist in deine Hände!“ Mehr nicht.

15.9.

Will nur den müden romantischen Schlummer von Godwi auf meine noch vom gestrigen Leid wunde, kranke Seele wie Mondenbalsam wirken lassen.
      „Aber was ist das für ein Leben: ganz allein in einem fremden Land!“
      Ich bin kein großartiger Erfinder, ich schreibe Seelenbekenntnisse wie die empfindamen Pietisten und Hesse, auch der Godwi ist weitgehend autobiographisch. Brentano war in seinen jungen Jahren hin- und her-gerissen zwischen Venus- und Marien-Dienst, hoher und niederer Minne. Brentano entschied sich in späteren Jahren für einen streng-asketischen, büßerischen Mariendienst.

16.9.

Träumte, daß mir jemand in eine Kirchengemeinde ein hebräisches Altes Testament mit-brächte, plötzlich war es ein englischer Psalter mit weiteren geistlichen Liedern. Als ich es aufschlug, sah ich einen Film über Jesus, wie er mit 12 Jahren versuchte, einen Fisch zu fangen. Dann sah ich Maria auf einem Maultier reitend, sie hatte einen langen Rock an, aber ein bloßes Knie schaute hervor. Hinter mir in der Kirchenbank flüsterte eine polnische Alte ein Ave Maria.
      Die Rückkehr zur Arbeit als Ersatz für das Glück ist das Prinzip des Genies, sagt Tho-mas Mann.
      Daß ich unter Leonardos Abendmahl die Sixtinische Madonna und die Venus von Urbi-no hängen habe, zeigt das Nebeneinander von Venus- und Mariendienst. Es ist der tragi-sche Widerspruch von Reiz und Reinheit, Askese und Lust, Geist und Fleisch, Genuß und Entsagung. Ein Prinzip treibt mich immer zum andern.
      „Wenn du in den Nächten einsam bist, dann ist da Einer, der dich liebt...“ Aber was ist das für eine Liebe? Vor zweitausend Jahren schrieb der Heilige Geist ein Buch, seitdem schweigt Gott. Auf Golgatha erwies er seine Liebe, seitdem erweist er sie nicht mehr. Wo redet denn Gott? wo ist er denn zärtlich? Sind nicht die Gebete Monologe? Er flüstert nicht in die Seele. Soll er durch die Ratschläge der Brüder reden? Die tappen doch genauso im Dunkeln und sind meistens nicht einfühlsamer als Hiobs Freunde. Und ob sich „Türen auf-tun“, nun, die tun sich den Gottlosen auch auf, oft viel weiter. Es ist wirklich ein Tal der Fisnternis, durch das ich ermattet wandere, aber mein Vertrauen auf die Führung des guten Hirten ist geschwunden. Soll ich beten, wenn ich nichts ans Gebet glaube? Soll ich glau-ben, wenn ich nicht glaube? Wie kann man glauben ohne Glauben? Ja, Christus litt die Gottverlassenheit am Kreuz. Er war einst auf der Erde und hat geweint. Meine Wohnung wollte ich das Golgatha-Haus nennen, hier werde ich in den kommenden Jahren meine Passion erleben. Es gibt keine Hilfe, außer Gott wendet mir wieder sein Angesicht zu und seine schreckliche Hand läßt von mir ab! Ich trinke das Wasser von Mara, möge Gott mich bald in Elim erquicken! Vielleicht gibt es auf Erden kein Elim, sondern erst in der Ruhe der Toten unter dem Kreuz von Golgatha?
      Goethe schreibt über Petrarca, dessen Liebe war ein „ewiger Karfreitag“, Goethe wollte aber einen ewigen Maitag, pfingstliche Freude.
      Es ist eine Verzweiflung wie Elia sie nach der großen Gotteserfahrung hatte. Man kann nichts tun, man muß auf Gott harren.
      
18.9

Der hohe Minnesang entstand als säkularisierter Mariendienst. Ich habe eigentlich auch keine Marienreligion (ich hätte sie gerne), aber Maria als Idee, als Ideal, als Vorbild einer Heiligen kommt in meiner Poesie vor.
      Kein Trost der Religion. Es gibt ein von Gott gesichertes Fundament des Glaubens, aber mein darauf gebautes Haus des Glaubens ist nur noch eine Ruine. Weder Hiob tröstet noch ein marianisches Gebet, zu dem mir der rechte Glaube fehlt. An dem Herzen einer warmen liebenden Frau wollte ich Trost finden, aber Gott mutet mir Entbehrung zu. Die moralische Rigorosität der Evangelikalen wie der Katholiken schreckt mich nihilistisch-dionysischen, wilden Kreuzgläubigen ab. Es gibt keine menschliche Hilfe, außer Gott erbarmt sich wie-der. Einzig eine endlose Liebesumarmung der Geliebten könnte meinen Schmerz lindern.
      Brentano: „... vom Himmel kömmt nur Begierde, und zwar die unendliche Begierde, die auf Erden keine Hülfe, keinen Frieden findet. Wer das Haupt im Himmel trägt, dem ver-welkt das Herz in der drückenden, niederen Sphäre.“


20.9.

Für mich hat „Ehe“ einfach einen faden Klang.- Die Katholiken sind ebensolche Puritaner wie die Evangelikalen. Die liberalen Evangelischen sind freier gesonnen, aber dafür auch Synkretisten. Ich bin skeptisch gegenüber allen christlichen Konfessionen. Ich bin ein chri-stologischer Freigeist, ein Dionysos am Kreuz. Daß die Christen aber auch immer so bür-gerlich sein müssen, solche Moralapostel und Anstandsdamen! Novizin und Fundamenta-list werden mich nicht verstehen können. „Puritaner“ ist mein Schimpfwort und „Philister“. Wie, wo, wann, mit wem kann ich endlich das Fest der Wollust feiern?
      Brentano: „Oh, es ist ein großer Unterschied zwischen dem Traum der Liebe und der Liebe des Traumes!“
      Ich weiß nicht, was ich nach Godwi noch lesen könnte. Will noch einmal etwas wie den Godwi lesen: erotisch und christlich, ästhetisch-immoralisch und tief, genialisch und katho-lisch. Ich bin begierig nach Erotik, aber mit Religion.
      Interessant der Doppelsinn der antiken Elegie: Klagelied und buhlerisches Lied. Was sagt Platon über den Eros? Diotima nennt ihn einen Dämon. Die Alten nannten ihn Ältes-ten der Götter, später ward er der Knabe, der blinde Gott. Die Liebe und die Gerechtigkeit sind den Römern beide blind, die beiden scheinbar widersprüchlichen Wesenszüge Gottes, des Gottes, der mich sieht. Einer sagte, Eros lebt von schönen Gefühlen, die schöne Ge-danken hervorbringen und diese schöne Taten; Agape lebe von schönen Gedanken, die gute Taten zeugen, diese wiederum gute Gefühle. Das Wort Eros kommt im Neuen Testa-ment nicht vor, aber Eros ist der schrecklichste und gewaltigste der Götter! Die Leiden-schaft ist hart wie die Hölle, unwiderstehlich wie das Totenreich! Eros ist ein Daimonium, also der gute Geist, der Sokraktes inspirierte.

21.9.

Schneider: „Gott ruft, und der Mensch soll antworten. Aber er versteht im besten Falle das an ihn ergangene Wort, nicht Gottes Plan. Er sollte einsehen, daß an einen Andern ein an-deres Wort ergehen kann und es achten.“ Auch Schneider sagt, in ihm tobe der Dreißigjäh-rige Krieg. Er wäre zwar katholisch, könne aber die Evangelischen nicht widerlegen und verstehe sie nur zu gut.“ - „Ich halte die Neigung zum Selbstmord für eine angeborene Ver-suchung, ein nicht lösbares Problem... Wie ist es mit denen bestellt, die Dissonanz sein sollen in der unhörbaren Symphonie?“ - „Die innere Verwundung, die er ((der Selbstmord-versuch)) zurückläßt, vernarbt nicht. Wer sich auf solche Weise einmal von Welt und Men-schen geschieden hat, wird sich nie mehr in ungeteilter Gegenwart an ihren Tisch setzen.“ - „Es kann sein, daß das Leben zerstört wird aus der Sehnsucht nach einem Übermaß an Le-ben; aber ebensowohl aus wahrhaftiger Sehnsucht nach Schlaf...“ - Über Camoes: „Das Tödliche der Leidenschaft, die vernichtende Betörung, die Dämonie der Liebe, das Glück ihrer Selbstzerstörung und denTriumph ihres Leidens, ihre absolute Unstillbarkeit hat er mit solcher Macht des Klanges ausgesagt, daß nach ihm kaum etwas zu sagen bleibt. Er hat sie bis ins Mythische gesteigert... Die Geliebte ist zugleich Beatrice und wildes Tier und wieder Mutter: menschliche Bestie.“ Camoes konnte sich nicht losreißen von den Göttern, er suchte sie ins Christliche zu retten.
      Tizians Bild „Himmlische und irdische Liebe“, eine sittsam bekleidete Tugendfrau und eine reizend Nackte, welche Liebe ist irdisch und welche himmlisch? Die Bekleidete soll himmlisch sein und die Nackte irdisch? Tizian scheint es umgekehrt auszulegen: die Be-kleidete ist bodenständig, die Nackte scheint stürmisch in den Himmel zu fliegen. Nackt-heit der biblischen Eva im Paradies, Linnenkleider im Neuen Jerusalem? Scham über die Nacktheit in der Sündenzeit.
      „Wenn sie lachte, war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes gedämpftes Girren“.
      Bettine: Schönheit ist göttlicher Geist im Mutterschoß der Natur gezeugt. Erkenntnis ist die Schönheit des Geistes, höher als leibliche Schönheit.

22.9.

Idee, den südliche Katholizismus mit der griechischen Mythologie zu vergleichen, sinnli-che Ausformung der Religion, kunstnaher Kultus, menschliche Heilige, schöne Madonna; den nördlichen Protestantismus mit der germanischen, in einsamen, abstrakten, geistigen Welten etwas gestaltlos verschwindend. Ist es Schicksal und Bestimmung, Protestant zu sein, hat Gott mich zu einem solchen gemacht? oder ist es meine menschliche Entschei-dung gewesen? Ich würde gern an Maria und die Heiligen, die Eucharistie und die Tauf-wiedergeburt glauben. Wenn ich zu Maria bete, ist es Sünde, weil es nicht aus Glauben des Geistes, sondern aus einem Wunsch der Seele geschähe.

23.9.

Ihrem beharrlichem Nein verdank ich die Theologie der Schwermut und die neue Nähe zum Kreuz. Alle Dinge müssen dem, der glaubt, zum Besten dienen. Ich finde soviel Frie-den in der Heiligen Messe, da ist mir der Streit der Theologen gleichgültig. Ich will aber auch das Blut Christi trinken. Ich betete zur heiligen Mutter Maria das Salve Regina frag-mentarisch: Wende deine barmherzigen Augen mir in diesem Elend und Tal der Tränen zu und bitte Jesus, meinen Herrn, um Trost und Kraft und Barmherzigkeit für meine Seele. Dies Gebet stieg aus meinem Gefühl, nicht aus meinem protestantischen Verstand.

24.9.

Wieviel Klage und Jammer ist in der Bibel, besonders im Alten Testament, wieviel Zerstö-rung (durch die Sünde), wieviel Gewalt der Feinde und Klage über das Glück der Gottlo-sen! Der Sündenfall, Sodom und Gomorrha, die Sintflut, der Turm zu Babel, Ägypten, die Wüste, Sauls Wahnsinn, Davids Klagelieder, der Prediger Salomo, Hiobs Elend, die Klage-lieder Jeremias und seine Prophezeiungen, das Leid des Elia, die Verzweiflung des Jona, der Gottesknecht in Jesaja. Dagegen nur die Idylle des Hohenliedes und die Halleluja-Psalmen. Im Neuen Testament wird von Christi Tränen geschrieben, nicht von seinem La-chen. Paulus: Ach ich elender Mensch! In der Apokalypse breit gemalt das Gericht, am Ende nur kurz angedeutet das Neue Jerusalem. So auch in meiner Poesie Hauptgewicht auf dem Elegischen, dem tragischen Ton.
      Gott „hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis und nicht ins Licht... Er hat mich ringsum eingeschlossen und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben... Und wenn ich auch schreie und rufe, so stopft er sich die Ohren zu vor meinem Gebet... Er hat mich mit Bitterkeit gesättigt und mit Wermut getränkt... Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen. Es ist ein köstlich Ding für einen Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage. Er sitze einsam und schweige, wenn Gott es ihm auferlegt, und stecke seinen Mund in den Staub; vielleicht ist noch Hoffnung.“ (Jeremias Klagelieder.)

25.9.

Gregor der Große: Einem dunklen Gemüt kann nur durch den Anblick des Leidens gehol-fen werden. Tauler: „Wohin Gott durch das Leiden mit dem Menschen wolle, dahin folge er Gott und ergebe sich in seinen göttlichen Willen.“
      Eigentlich hätte ich gern einen katholischen Glauben wie Augustinus, Franziskus, Mechthild, Pascal, Schneider, aber ich finde die rationalen Argumente des Protestantismus nicht erschütterbar. Mein Herz hat Sehnsucht nach dem Sakrament und der Heiligen Jung-frau. Maria, ora pro nobis.

27.9.

Ging um 2 Uhr nachts ans Meer von Baltrum, gewaltiges Donnern der Wogen, schöner Sternenhimmel, dunkle Erinnerungen an die Gräser und Wege der Kindheit (einer heilen Kindheit). Ruhiges Gebet: Ich fand bei Gott nicht Glück, sondern Tragik: einen Hang zum Dunklen und zum Tod. Als die Laternen erloschen, überkam mich Furcht. Ich bejahe meine Lebensgeschichte, denn sie führte mich dahin, wo ich jetzt bin: nicht zu Müßiggang, son-dern an ein tragisches Leben und tiefes Ja zum Kreuz, mit der Hoffnung und Gewißheit der Ewigkeit. O Ewigkeit, du Donnerwort!

30.9.

Bettine auch und Schneider auch sprechen vom antiken Daimonium: die Zerrissenheit des Menschen kommt von seiner Sünde gegen sein innewohnendes Daimonium. Schneider: „Ohne Todessucht keine Magie.“ Ich laß mich nicht mehr therapieren: Todessucht, Ro-manzensucht, Idealisierung, Kindlichkeit, Eskapismus, erotisches Getriebensein: das bin ich.
      Mönche, Eremiten, Poeten und Seelenkranke sind Höhlenexistenzen. Will über die Hei-ligen schreiben, wenn ich zu ihnen gefunden habe: Wüstenväter, Säulenheilige, Maria Ä-gyptiaca, Antonius, Agnes in Rom, Katharina von Alexandrien, Bonifazius, ganz katho-lisch, mystisch. Ich könnte einmal ein Romänchen über Maria Ägyptiaca schreiben.
      Ich bin maßlos in den Gefühlen. Baltrum war mir heute das Paradies auf Erden, morgen mein tragisches Schicksal und Passionsdrama. Die ganze Heilsgeschichte von Eden zum Kreuz lag darin, aber Ostern und Jerusalem sind nicht in Sicht.
      Die schöne Fähigkeit zum hohen Traum und die Unfähigkeit, ihn zu verwirklichen.
      Schneider: „In jeder Inspiration jubelt, verführt uns der Tod.“ Nihilismus, Dekadenz, sie kommen wieder nach diesem Elysium der Südlichen Nordsee. Gibt es nicht unbelehrbare Tiere, die den gleichen verhängnisvollen Fehler immer wieder begehen? So geht es mir mit der Geliebten. Die klugen Ratgeber können mich nicht dressieren und dadurch vor dem Unheil schützen. Nur gehe ich, anders als die Tiere, sehendes Auge auf das Schwarze Loch zu.
      Zwischen Jugendkraft und Altersweisheit.

1.10.

Der Mensch ist für die „niedere Minne“ geschaffen, für die Ehe. Die „hohe Minne“ ist nur säkularisierter Mariendienst. Vielleicht sollte der religiös begangen sein, ich bin unsicher. In der letzten Nacht auf Baltrum betete ich einen frei improvisierten Rosenkranz mit Beto-nung auf die Gleichgestaltung meines Lebens mit der Gottesgebärerin und dem gekreuzig-ten Sohn Gottes.
      Liebe ist der Wunsch nach Überwindung der Einsamkeit. Es gibt schicksalshafte Ein-samkeit und die Einsamkeit des Kreativen, der keinen Kongenialen fand.

3.10.

Myrten im Talgrund, in der Vision Sacharjas, seien im Judentum ein Bild für den Eingang zum Himmel gewesen.
      Dachte über die Romantiker nach. Bettine jubelt begeistert (fast wie eine Charismatike-rin) von der Schönheit der Schöpfung und dem Leben im Geist. Sie hat Tiefsinn und Kunstsinn, aber zeigt wenig Sog in die Tiefe. Auch Clemens, den ich liebe, träumt sich eine Welt der Schönheit, eine naive der Märchen, eine erotische in Godwi, eine fromme, aber die ganze Schwermut mit ihrer tödlichen Schwere ist nicht die seine, vielleicht war er hysterischen Temperamentes. Novalis aber, auf ihn trifft Schneiders Wort: „Ohne Todes-sucht keine Magie“. Die Hymnen an die Nacht und die Zauberwelt des Ofterdingen haben etwas Jenseitiges. Er kennt die Todessehnsucht. Er ist mir am nächsten von den Romanti-kern.
      Mystik ist die Vergeistigung der kindlichen Sehnsucht nach Symbiose. Ich habe eine christozentrische Mystik des Kreuzes. Symbiose mit dem Gekreuzigten. Ich darf die totale Identität nicht von einer Frau erwarten. Todessehnsucht als Sehnsucht nach Lebensfülle, nach der endlich erreichten völligen Identität mit dem göttlichen Christus, nach vollende-tem Geliebtsein, ohne Mangel, Todessucht ist Paradiessehnsucht. Gott, erbarme dich über meine arme kleine hungrige Seele!
      Wenn es keine Symbiose gibt, dann gibt es nur Individualität, Einzelsein, Einsamkeit. Ich suche bei dem einen Menschen den einen, bei dem andern Menschen den andern As-pekt, aber es gibt kein umfassendes Verständnis. Ist „holdes Bescheiden“ das Gebot? Re-signation? O wär ich im Paradies! die Erde ist zu bitter! Die Erde ist ein Planet, da Myrrhe wächst, gebildet aus Galle, schwimmend in Essig, mit einem Kreuz darauf mitten in der Wüste!
      Ich fühle mich so: wie ein Ertrinkender, das Treibmoor zieht hinunter. Psalm: Die Was-ser gehen mir an die Kehle! Kein Mensch kann mich retten, Christus hält mich immer ge-rade mit der Nase über der Wasseroberfläche, daß ich nicht sterbe. Das Leben ist am Mar-terpfahl, die Indianer peinigen so, daß man leidet, aber eben nicht stirbt. Gott ist nicht gnä-dig genug, seine Gnade und Güte wäre mein Tod.
      Mein eigenes Leben ist mir ein Rätsel. Wie sollte mir Gottes Wesen nicht ein noch viel größeres Rätsel sein? Wir haben aus seiner Hand das Gute empfangen, sollten wir nun nicht auch das Böse empfangen? Gott ist gütig und schrecklich zugleich.

4.10.

Der Begriff „Sünde“ ist mir seltsam fremd geworden. Schneider schlägt „Heimsuchung“ vor.
      Es gibt eine innere Einsamkeit, die man zu den Menschen mitnimmt. Die Menschen be-rühren nur die Peripherie meiner Seele, ergreifen von ihr nicht den Kern. Wenn ich sagte von der „Peinigung durch die Krallen der grausamen Einsamkeit“, was ich empfinde, wer von den Heiteren empfände die Worte nicht als übertrieben pathetisch? Pathos heißt doch Leiden, Mit-Leiden. Der Ausdruck für wahres Leiden muß pathetisch sein.
      Einer sagt, Kunst sei Kommunikation. Wer meine Poesie liebt, liebt mich. Es gibt keine Kommunikation, däucht mich gerade, es gibt nur Radebrechen der Seele, Stammeln und Stottern und Lispeln des Herzens. Sagt Poesie tiefer das Herz aus als das persönliche Ge-spräch? Dennoch der unstillbare Drang nach Kommunikation. Suche, sich auszudrücken und ein Echo seiner Seele zu finden. Ach wir dialogisieren, als wenn wir monologisierten.
      Wer will ihn heben, den Schatz meiner jungen Weisheit? Ich kann nicht verstummen, kann nicht schweigen. Ich will daß ein Mensch mein Tagebuch liest. Ein Mensch muß mich verstehen!
      Einheit von Agape und Eros. Agape als der Geist des Eros, Eros ist Fleisch. Fleischwer-dung des Logos. Die Geliebte ist ein verschlossener Lustgarten. Sie gedenkt daran, daß sie sein ist, mit Geist und Seele und Leib, dann gedenkt sie, daß er ihrer ist, er opfert sein Herz, sein Fleisch, gibt ihr seinen Geist hin. Er, der voller Liebe ist, lebt diese Liebe für sie. Er gibt sich ihr hin, sie antwortet hingebungsvoll mit einem tiefen Vertrauen. Sie ist die Schönste unter den Frauen, die Braut ist die Einzige, die er mit der ganzen Fülle seiner Liebe liebt. Sie ist die Vollendung seines Traums. Was er schafft an schönen Werken, ist übertroffen von ihrer Schönheit. Sie ist so schön, weil er sie liebt. Und gäbe es nur sie, und wäre sie mit ihm vereint, so wäre eine neue Welt der Harmonie der Herzen da. Ein Myr-rhebund. Die Myrrhe ist die Bitterkeit, das Leid, das der Bräutigam leiden muß unter der Sonne. Dieses Leiden verkörpert den göttlichen Bund, den er mit ihrem Herzen geschlos-sen hat, denn zwischen ihren Brüsten beherbergt sein heißt, Ruhe zu finden am Herzen der Geliebten, wie sie auch Ruhe findet erst in ihm. Wohl der fruchtbaren Wirklichkeit der Braut, die den Bräutigam mütterlich aufnimmt und ihren Leib ihm als Opfer hingibt. Gab die Narde ihren Duft: ein Bild für schamhaftes Erröten. Die Narde ist eine indische Pflan-ze, die besonders kostbar und besonders wohlriechend ist. All ihren Reichtum an Arom, an Odor des Geistes, gibt sie ihm, von seinem Anschaun erweckt, ja, er weckt den Reichtum ihres Wesen, der ein Wohlgeruch ist dem Liebenden. Dein Name ist wie Balsamen-Salbe: Der Name wird ausdrücklich auf die Salbe gereimt, denn ein Trost ist der Name des Bräu-tigams, denn ein Wohlgeruch ist der Name der Braut. Die Braut heißt nach dem Öl des Lebens. Ihre Seele ist gesalbt mit dem Öle der heiligen Liebe. Deine Augen sind Tauben. Es sind reine Tauben, die gut sind und voller Sanftmut und Frieden. Die Augen sind Tau-ben, weil sie die Liebe so oft angeschaut haben. Sie trinken von den Wassern des Lebens und fließen über davon, darum schimmern sie so von stillem Licht. Tauben sind Liebesvö-gel, ihre Augen als Spiegel der Seele weisen Gestalten wie Engel der Güte auf, lieb und licht und lind.

8.10.

Nachts übersetzte ich am Hohenlied.

9.10.

„Ach daß das Entsagen dem Begehren die Waage hält!“ Bettine.
      „...die scheinheiligen, moralischen Tendenzen seh ich so alle zum Teufel gehen mit ih-rem erlogenen Plunder, denn nur die Sinne zeugen in der Kunst wie in der Natur.“ Bettine.
      Mein Werk ist ein lebendiger Organismus, ständig aus dem Chaos sich schaffend, vom Geist geordnet und zu festen Formen gestaltet. So entstehen aus Leidenschaften, Leiden, poetischen Instinkten und Glauben Werke, die Bestand haben müssen!

10.10.

„Ach, es ist so schauerlich, mit sich allein sein, in mancher Stunde! Ach, so mancher Ge-danke bedarf des Trostes, den man doch niemand sagen kann, so manche Stimmung, die geradezu ins Ungeheure, Gestaltlose hineinzieht, will verwunden sein.“ Bettine.
      Jesus Sirach über die Freunde: Sie sind wie Wein, sie müssen erst alt werden, dann erst sind sie gut. Den neuen soll man nicht zu schnell vertrauen. Manche bestehen nicht in der Not und machen sich lustig über einen Elenden. Man solle keinen alten Freund um eines neuen willen aufgeben.
      „Du bist in sie verliebt, Goethe, es hat mir schon lange geahnt, jene Venus ist dem brau-senden Meer deiner Leidenschaften entstiegen, und nachdem sie eine Saat von Tränenper-len ausgesät, da verschwindet sie wieder in überirdischem Glanz. Du bist gewaltig, Du willst, die ganze Welt solle mit dir trauern, und sie gehorcht weinend Deinem Wink.“
      Bettine zitiert Beethoven: „Da fühlt man denn wohl, daß ein Ewiges, Unendliches, nie ganz zu Umfassendes in allem Geistigen liege, und obschon ich bei meinen Werken immer die Empfindung des Gelingens habe, so fühle ich einen ewigen Hunger, was mir eben er-schöpft schien, mit dem letzten Paukenschlag... wie ein Kind von neuem anzufangen!“
Du Einzige, die mir den Tod bitter machst!
      „Die Kunst ist Heiligung der sinnlichen Natur.“ Geniale Poesie: „Zu solcher Aufgabe gehört nicht Berechnung, sondern vielmehr Leidenschaft, oder vielmehr das Erleiden einer göttlichen Gewalt.“ - „Alle Erzeugnisse der Kunst sind Symbol der Offenbarung.“ - „Die Gabe des Eros ist die einzige genialische Berührung, die den Genius weckt; aber die an-dern, die den Genius in sich entbehren, nennen sie Wahnsinn.“ Bettine.

11.10.

Bettines Buch der Liebe wühlt mich so auf. Ich bin strahlend vor Liebe und süß wie Honig wegen der Goldenen Honigbienenkönigin. Oft war sie mein bitterer Beifuß, nun ist sie meine herrliche Rose. Beifuß-Rose Ai-Wei ist ihr chinesischer Name. Etwas am Hohenlie-de nachgedichtet.

12.10.

Bettines Buch der Liebe ist das schönste, was sie je geschrieben hat. „Ja, die Wehmut ist der Spiegel des Glücks; Du fühlst, Du siehst in ihr ausgesprochen ein Glück, nach dem sie sich sehnt.“ - „Ach und im Glück wieder durch allen Glanz der Freude durchschimmernd diese schmerzliche Wollust. Ja das Glück ist auch der Spiegel dieser aus unergründlichen Tiefen aufsteigenden Wehmut.“ Gott, der „meiner Inbrunst, meiner Sehnsucht kühlenden Balsam zuträufelte, der alles Begehren in geistiges Schauen umwandelte.“
      „The night is my companion, the solitude my guide.“
      Bettine: „Schönheit erzeugt Begeisterung, aber Begeisterung für Schönheit ist die höchs-te Schönheit selbst. Sie spricht das erhöhte, verklärte Ideal des Geliebten durch sich selbst aus.“
      Die Geliebte ist das Dornröschen der Nordsee, ihr Mund ist eine Hagebutte, ihr Leib ein Meer, eine Zitterpappel, ihre Brüste sind Schiffsglocken, ihr Haar ist rauschenden Dünen-gras. - Das Hohelied ist ganz für Sie nachgedichtet. Sie ist so vielfältig, und ich will ihr tausend Hohelieder schreiben.
      Bettine: „Vielleicht dringt Gott durch den Geliebten in unser Herz?“ - „Wo ich nicht in Worten liebkosen kann, da verweile ich nicht lange.“
      Schneider: „Ach, was soll ein Herz auf der Welt, das schwer ist von Liebe und diese Liebe verschenken möchte und niemanden mehr findet, der sie annimmt!“

14.10.

War in der Heiligen Messe, so schöne Predigt über den Segen einer christlichen Gemein-schaft, in der man seinen Götzen: seinen Reichtum an Eigendrehung loslassen könne und Mensch sein. Es wurde ein Lied von Angelus Silesius vom Kreuztragen gesungen und an-dere Lieder mit süßmelancholischen Melodien. Der taubstumme Bettler, den ich aus der Obdachlosenarbeit der Pfingstgemeinde kenne, gab mir während der Wandlung die Hand, ich freute mich über ihn und gab ihm mein letztes Geld. Ich ging so beseligt und verklärt aus der Messe, die mir immer so gut tut. Mir gingen während der Messe die Parolen durch den Kopf, die Wandlung sei Magie und Zauberei, die Kirche Roms sei heidnisch-okkult oder die größte Sekte der Welt; all das kam mir nur engherzig und lächerlich und sektiere-risch vor. Mich berührt der Katholizismus mit seiner schönen Frömmigkeit.
      Fragt ein Jud einen andern in Amerika: Na, bist happy? - Jo, happy bin ich schon, aber nicht glücklich.

15.10.

Lied der Lieder zuende nachgedichtet. Möchte auch den Prediger nachdichten: Sinnlosig-keit der Sinnlosigkeiten, alles ist sinnlos, sagt der Prediger.

16.10.

„The Lord is the only way for you to stop the hurt.“
      Das schöne Buch Jesus Sirach gelesen, besonders schöne darin das Hohelied der Weis-heit, so schön wie die Vermählung Salomos mit der Weisheit in der Weisheit Salomos. Ich weiß nicht ob Jesus Sirach Gottes Wort ist, die Katholiken sagen ja, die Protestanten nein.
      Hesses Siddharta angefangen. Jesus Sirach und Prediger Salomo wecken eine Sehnsucht nach der Weisheit in mir. Schneider spricht von Jugendkraft und Altersweisheit. Noch do-miniert bei mir die Jugendkraft, die sich in der Begeisterung erotischer Leidenschaft äußert. Ehrfurcht vor Gott ist der Anfang in der Weisheit, aber wie wächst man in der Weisheit? Es gibt ein Charisma der Weisheit. Übers Leid kann ich weise reden, aber gerade in der Liebe bin ich meistens töricht und die wilden Leidenschaften lassen mich fast die Ehrfurcht vor Gott vergessen. Ach ich armer Tor, wann werd ich endlich weise? Brecht sehnte sich nach Weisheit und Freundlichkeit und Güte. Konfuzius und Lao Tse waren weise und Pla-ton und Sokrates. Schneider war weise. Gott, ich bitte dich, wenn du mich noch viele Jahre auf der Erde leben lassen willst (was ich gar nicht hoffe), dann mach mir Reife und Alter sinnvoll durch das Charisma der Weisheit. Ich bin der törichten Leidenschaften überdrüs-sig.

17.10

Fing an, den Qoheleth nachzudichten. „Haschen nach Wind“ heißt „Verdruß des Geistes“! - Ich liebe in der Kirche das Bekreuzigen mit Weihwasser, das Bekreuzigen von Stirn und Mund und Herz, kneite vor dem Schrein, dem „Christus von Osternburg“. Ich dachte an die Zeit von 93 und 94, als ich glaubte und Katholik war und kein Streit meines Geistes die Seele störte, ich glaubte naiv wie ein Kind, das war schön. Glauben heißt nicht Wissen und Verstehen, Glauben heißt wie ein Kind vertrauen auf die Güte und Allmacht Gottes.
      Ich klagte Einem die Sinnlosigkeit meines Dichtens, da es keiner liest. Nein, sagte er, es sei Gotteslob und darum sinnvoll, auch wenn es keiner kennt als Gott. Die Werke des Lichts werden von der Welt nicht geliebt.
      Mein Hoheslied ist schöner als Luther seins.
      Das erste Kapitel des Predigers fertig. Ich sehne mich nach der Weisheit, wie sie sich Jesus Sirach und Salomo gab, aber je mehr Weisheit, desto mehr Leiden. - Auch die Klage-lieder Jeremias will ich übersetzen. Der Hiob ist leider so unendlich lang, aber es wäre eine gewaltige Arbeit. Ich bräuchte eine große Gemütsruhe und viel Arbeistsamkeit, ich weiß nicht ob ich das leisten kann.
      Okzident und Orient. Klopstock findet orientalische Poesie zu bilderreich. Ein Theologe fand das Hohelied schwülstig: Gotteslästerung ist das! Die persische Poesie (Madschnun und Leilah), die indische Liebeslyrik, das biblische Hohelied sind blumig. Ich bin offen-sichtlich ein orientalischer Dichter. Novalis in seinen Hymnen an die Nacht, Jean Paul in seinen ekstatischen Hymnen sind blumig. Ich neige zur Romantik, weil sie das Gefühl ver-herrlicht. Ich mochte die Vergeistigung der Natur bei Bettine, bin aber kein Naturphilo-soph. Ich gebrauche viele Naturbilder, um Menschliches oder Heiliges auszudrücken. Für mich ist die Geliebte die ganze Natur. Mangofrüchte sind nichts als ein Bild für ihre Brüs-te. Ich träumte von ihrer Scham als von einer Lilienblüte. Sie ist Meer und Muschel, sie ist ein Paradiesgarten. Die Tiere, denen Adam in Eden Namen gab, waren alle Aspekte und Vorschatten Evas. Das ist, glaube ich, das Renaissance-Konzept der Natur: Vermenschli-chung. CS Lewis sagt zur Naturliebe: Die Natur gibt ein Bild von Herrlichkeit, die zum Bilde wird für Gottes Herrlichkeit. Aber die Natur selbst lehrt nichts über Gott und den Menschen, sondern jeder Mensch legt seinen Geist und seine Seele in die Natur. Andrer-seits, wer den Gott der Bibel erkannt, sollte der nicht auch sein Abbild in der Natur finden? Nicht umsonst gibt es Vegetationsgötter wie Adonis, die Vorschatten waren des Adonai Jesus. Es gibt Passionsblumen, Passionsfrüchte, Salomosiegel, Mariengras. Es gibt die A-gonie des Sonnenuntergangs und die Auferstehung des Morgensterns. Es gibt Gott, den Felsen, der mitten im Meer der tobenden Völker steht. Schnee ist sein Gewand. Die zwölf Sternbilder sind Israels Krone (oder Marias), die Sonne ihr Gewand, die Mondsichel ist die Muschel, auf der sie daherfährt. Das Evangelium ist eine Perle. Menschen sind Gott wert-voller als Sperlinge und Lilien. Seid arglos wie Tauben und klug wie Schlangen. Herodes ist ein Fuchs. Die Frommen sind Schafe und Lämmer. Christus ist der Löwe Juda und das Lamm Gottes. Die Braut ist eine Gazelle, ihre Augen Tauben. Maria opferte für Jesus zwei reine Tauben. Das Hohelied ist voller Natur. Am Anfang schuf Gott die Natur. Am Ende der Bibel ist die Rede vom Baum und Strom des Lebens.
      Zeit ist Trug, nur Ewigkeit ist wahrhaftig. Zeit ist eitel und nichtig, nur Ewigkeit hat Weisheit. Gott ist weise und ewig, ohne Gott weder Weisheit noch Ewigkeit. Weisheit ist nicht allein Gottesfurcht (Ehrfurcht), die ist das Fundament. Weisheit ist die rechte Einstel-lung zu den Dingen des Lebens? Weisheit ist mehr als Klugheit. „Weisheit (sophia) bedeu-tet Einsicht in die Fülle der Dinge und Lebenszusammenhänge. Der Mensch gewinnt sie teils aus Veranlagung, teils aus Erfahrung, immer aber als Gabe Gottes. Gottes Weisheit zeigt sich in dem Wunderwerk seiner Schöpfung, in der Offenbarung des Heils. Jesus nennt das Alte Testament die Weisheit Gottes. Die Sprüche nennen die Weisheit eine Person. Das Neue Testament nennt Christus die personifizierte Weisheit. In ihm sind alle Schätze der Weisheit. Die gottgeschenkte Weisheit im Alten Testament schließt künstlerische Fä-higkeiten ein. Weisheit des Menschen findet nicht immer Lohn auf Erden. Salomo, Josef und Daniel waren weise. Im Ruf besonderer Weisheit des Menschen standen die Ägypter. Gottes Gebote auf den Alltag anwenden, war die Aufgabe der Weisheitslehrer. Jesus Si-rach. Vom Heiligen Geist gewirkte Weisheit kann Geheimnisse enthüllen.“ Ich will mich zu Füßen Sophias setzen und ihrem Menschenmund lauschen. Sie redet töricht vom Kreuz, das ist ihre höchste Weisheit. Sie führt zur Ewigkeit, zur Liebe und zum erfüllten Leben. Sie hat in der Welt ihr Leid zu tragen und wird verspottet. Sie liebt Anstand und Reinheit. Die Weisheit ist fromm. Sie streute ihre Samen auch in die Lehren Konfuzius und Platons.

18.10.

Schiller an Sophie Mereau: „Ihre Phantasie liebt zu symbolisieren und alles, was sich ihr darstellt, als einen Ausdruck von Ideen zu behandeln. Es ist dies überhaupt der herrschende Charakterzug des deutschen poetischen Geistes, wovon uns Klopstock das erste und auffal-lendste Muster gegeben und dem wir alle... nicht sowohl nachahmen als durch unsre nor-disch-philosophierende Natur gedrungen folgen. Wie leider unser Himmel und unsre Erde der eine so trüb und die andre so mager ist, so müssen wir sie mit unsern Ideen bevölkern und ausschmücken, und uns an den Geist halten, weil uns der Körper so wenig fesselt. Deswegen philosophieren alle deutschen Dichter, wenige ausgenommen...“
      Clemens warb trotz Aussichtslosigkeit um die Mereau, sie sah seiner Mutter ähnlich, er beschwor sie, keine weiteren Kinder mit ihrem Mann zu haben, trotz Zurückweisung blieb er beharrlich werbend, er sah sie als seine Zwillingsschwester, er allein verstand ihr inners-tes Wesen.
      Ich sprach zum Lachen: du bist närrisch! und zum Jubel: wozu dienst du?
      C.S. Lewis schreibt, daß Eros seine eigene Religion stiftet: die Geschichte des Kennen-lernens ist das Alte Testament, das Gnadegeben der Geliebten das Neue Testament, die Liebesleiden des Unglücklichen sind des Eros Martyrium, die seelische Liebe wird zum Gesetzgeber und definiert Gut und Böse, Erlaubtes und Nichterlaubtes: Erlaubt ist, was der Liebe gefällt.
      Die Geliebte ist meine Religion, sie ist meine Götzin, Gott vergebe mir. Ich besitze sie mehr in der Einsamkeit, als wenn ich sie sehe und sie sich entzieht, sie lebt in meinem In-nern. Wie soll man da weise werden, wenn einen der törichte Amor besitzt und man keine rechte Gottesfurcht hat? Es müßte jeden Tag hier eine Heilige Messe geben. Gott ist mir ein Gott mit vielen Göttinnen, die sich alle auf den Namen der Geliebten reimen.
      Ein Freund an Brentano: „Sei doch ein wenig poetisch, und die Poesie (die Mereau) ist dein. Was geht dich der schweinslederne Band an (ihr Ehemann), in den sie gebunden ist, du willst sie ja nicht einbinden.“
      „Aber mir ist die Ahnung gekommen, als wenn dein Geist sie mehr interessiere als dein Herz.“

19.10.

Mit Einem über den Prediger gesprochen. „Haschen nach Wind“ (Luther), „Verdruß des Geistes“ (King James) ist eine hebräische Doppeldeutigkeit. Es heißt Verlangen, Begehren, Schmachten des Geistes und zugleich Trachten, Streben nach Wind. Das Schmachten des Geistes ist vergeblich wie ein Streben nach Wind. Ich sage: „Vergebliches Schmachten des Geistes“.
      Überlege, die Klagelieder Jeremias (Elegie) mit Lang- und Kurzzeilen (Qinah) in Jam-ben textnah nachzudichten. In Jamben dichtete auch Tur-Sinai nach, aber er war kein deut-scher Dichter, er radebrecht, die Gute Nachricht dichtet auch in Versen, aber zu unabhän-gig vom Grundtext.
      Clemens mußten die „Berge fern sein, um golden zu erscheinen“. Ist es die Unerreich-barkeit der Geliebten, die sie so ideal macht? Aber ach die Einsamkeit! ach das Fernsein vom Herzen!
      Clemens an Sophie: Mir fehlt „ein Unnennbares, was mir deine Nähe gewährt, mehr als irgend die Nähe eines Menschen.“ O Wohlsein und Glück in Ihrer Nähe! Salomo: „Nichts vermag ein Mensch zu sagen!“
      Sophie an Clemens: „...und bekämpfe jenen Hang, stets nach den Fernen dich zu sehnen. Diese ewige Sehnsucht gehört nur Gott.“ Ja, Sehnsucht nach dem fernen Lande als Sehn-sucht eigentlich nach dem Paradies, (mein Israel und China), Sehnsucht nach dem fernen, verklärten Menschen als eigentliche Sehnsucht nach dem vollkommenen Menschen, dem Ideal, das ist Jesus.
      Ein Hauch von Küsschen wie der Duft einer weißen Jasminblüte auf ihre glühende Wan-ge...
      Unbestimmt fühle ich, daß meine wilde Leidenschaft nicht zum Katholizismus passt. Da scheint mir Dämpfung, Demut, Tugend und Keuschheit zu sein, aber mich ziehts zu Sturm, Lebenslust, Stolz und Genuß.
      „Brentano liebte diese Frau als sein in die Welt getretenes Ideal, irdisch und sinnlich und zugleich als Verkörperung dessen, was seine Phantasie in kühnsten Träumen ausgemalt hatte.“ Arnim: „Wer dich nicht kennt, würde dir geradezu sagen, du liebst sie nicht mehr als eine Romanperson.“ Brentanos hitzige Phantasie und ruhelose liebeshungrige Seele, seine stürmische Schwärmerei und Absolutheit der Liebe.
      Rubine des Feuers, Diamanten der Erde, Smaragde des Wassers, Saphire der Luft, all das ist Sie, Sie ist die Natur, nach der ich mich sehne. Sie ist die Rose, der Garten, die Lichtung im Walde, die Pinie, die Hainbuche, der Apfelbaum, Pflaumenbaum, Birnenbaum, Pfir-sichbaum und Granatapfelbaum, sie ist die Feige und die Dattel, in ihrem Palmenschatten will ich ruhn, sie ist der reine weiße Lotos im trüben Teich, sie ist sanft wie eine Wolke, süß wie ein Sommerhimmel oder der Mai, zärtlich wie Maienblütenblust, melancholisch wie ein Herbstnebel, tief wie der Winter, sie ist aus tiefem stillem Wasser, von verborge-nem Feuer, geht mit den Jahreszeiten der Erde in ihrer Kleidung und ist ein sanfter Wind, sie ist die Königin der Elemente, sie möchte gerne tanzen, sie ist religiös, sie berherrlicht die Gefühle, sie ist romantisch, sie will tiefe Gemeinsamkeit, absolutes Vertrauen, absolute Treue in der Liebe, sie will Einheit von Liebe und Verliebtheit und Verlangen, sie hat Angst vor Vereinnahmung durch die Freundinnen, sie war ein todtrauriges Kind, ein schwermütiges Mädchen, sie mag mit Holz arbeiten, interessiert sich für romantische, mo-dern-naturverbundene Architektur, sie glaubt an das Prinzip Gottes, die Liebe und Wahr-heit und Güte, sie sehnt sich nach spiritueller Führung, sie würde an Gott als Person zu glauben beginnen, wenn sie ihn fühlen würde, sie ist klug, sie interessiert sich für Weltan-schauung, Religion und Weisheit, sie wird unsicher, wenn sie fühlt, daß sie in Wirklichkeit dem poetischen Bild nicht entspricht, sie ist schön, sanft und süß, ihr Lieblingswort ist: Lieb... Sie ist meine Muse, sie hat es mir erlaubt, sie so zu nennen.
      Vorwort zu den poetischen Rosenkränzen: Diese jungen Rosenkränze sind allesamt ge-zählt und gesungen zur Ehre Gottes. Manche mögen darüber streiten, ob der Rosenkranz ein rechtes christliches Gebet sei. Ich sehe in diesen Rosenkränzen die Verherrlichung der geschaffenen Herrlichkeit und dadurch der schaffenden, ungeschaffenen Herrlichkeit. Da alle diese Werke aus Liebe geschaffen wurden, weisen sie durch die Ähnlichkeit der menschlichen mit der göttlichen Liebe deutliche Spuren der letzteren, höheren auf. Diese Rosenkränze sind alle vom Morgenstern gestreut worden und von einer klugen Jungfrau gereiht worden zu Perlenschnüren. Jede dieser Perlen ist eine Sehnsucht nach der Neuen Jeruschalajim, der schönen Braut Gottes, in deren Mitte der Poet die Liebe lobt.
      Nachdem Sophie mit 36 Jahren bei der Fehlgeburt stirbt, ist Clemens Leben öde, ausge-brannt, undichterisch, tot. Er sucht Trost in der Religion. Er träumt oft von Sophie: sehr schön, sehr heilig, wie in der ersten Liebe. Sie starb: „Ach Gott, ach Gott, stärke mich! Lebt mein Kind?“
      Gott möge mir ein ganzes Ja zu meiner Leiblichkeit geben. Ja, Gott nennt in der hebräi-schen Sprache auch das sexuelle Verlangen Liebe, ein Element der Liebe, dazu Eros der Seele, Freundschaft der Herzen und Geister, stille Zuneigung von Natur und Kindern, ge-genseitige Inspiration des Geistes und Liebe wie Christi Liebe: Er möge sich ihr offenba-ren! Und das Verlangen bleibt.
      Einer meinte: Wenn Schullamyth sagt: Ich bin schwarz, aber schön, so meint das die Demut der Kirche, die von ihrer Sünde und von ihrem Geliebtsein weiß. Mir scheint das rassistisch. Sie ist braun von der Sonne Ägyptens. Ich bin schwarz und schön. Ihr Weißen, seht, ich bin eine Negerin, und was für eine schöne Negerin!
      Gereinigt für die Geliebte. Schenkte ihr Duftöl vom Ylang-Ylang-Baum und einen Duft-stein mit Schmetterlingsbild. Sie freute sich ebenso lieblich. Dann waren wir in einer Aus-stellung: 5000 Jahre Stadtentwicklung von Dammaskus und Aleppo. 3000 Jahre vor Chris-tus Kultur von Sumer, der Euphrat als Wiege der Menschheit, er entspringt etwa nördlich von Syrien. Assyrische und ägyptische Herrschaft in Syrien. Kleine Tontafeln mit Keil-schrift. Kleine Frauengestalten, vielleicht Ascheren-Bilder. Schmuck, Perlenketten. Brun-nen, Töpfe, Räuchergefäße. Hellenistische Epoche mit korinthischen Kapitellen, Akan-thusblätter als Zier, und Friese mit Erosköpfen. Baalskult. Baal wurde in römischer Zeit mit Jupiter identifiziert. Im 4 Jhd. wurde Syrien Teil des oströmischen Reiches, in Dam-maskus byzantinisch-orthodoxe Basilika oder Kathedrale. Um 650 Eroberung durch die Muslime, im Zentrum Bau der Großen Moschee. Ornamentenkunst. Ein handgemalten Buch mit naiven Illustrationen, ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Eine Art Zither. Wasserpfeifen, gläserne Schminkfläschchen, verzierter kupferner Zuckerhammer, Pfeifen in Samtstickereien gewickelt. Zigarettenspitze. Moccatässchen von Bronze oder Kupfer. Bunte Ornamente an den Wänden. Häuser mit Innenhof, Brunnen und schattenden Bäu-men... Dann waren wir im Café. Sie war so schön! wie sprachen schön über die Liebe und Kunst. Bedürftige und wertschätzende Lust. Freundschaft in aller Liebe. Eifersucht. Ge-sprächslosigkeit ihrer Beziehung zum Ehefeind, mit mir tausche sie sich viel mehr aus. Erzählte ihr von Clemens und Sophie und Hölderlin und Diotima. Sie solle in mir nur lesen wie in einem Buch, sie lachte. Aber sie, sagte sie, sei nicht befruchtend für mich. Ich sagte, ich hätte es nüchtern geprüft und noch keine Frau so befruchtend empfunden wie sie. Sie sei befruchtend durch ihr bloßes So-Sein, sie sei immer anders, es sei sehr interessant, sie sei für mich die Summe der Natur. Sie freute sich von Herzen darüber. Ich verglich sie mit Oma, das sei ein Kompliment, denn Oma sei mir der liebste Mensch auf Erden gewesen.
      Wenn die Geliebte die Natur ist, die Natur ein Bild Gottes, dann ist die Geliebte ein Bild Gottes. In ihrer Schönheit, Sanftmut, Süße, Freundlichkeit, Tiefe und Güte liebe ich diese Wesenszüge Gottes.
      Qoheleth: Besser der Augen Schauen als der Seele schweifende Sehnsucht. Im Frühling 98 hörte ich eine Predigt über den Genuß der Schöpfung. Ich ging zu Ihr und genoß in ihr die Schöpfung.
      Der Talmud sagt, der Embryo lese die Thora vor- und rückwärts und kenne alle Geheim-nisse der Gottheit, aber bei der Geburt schlage ihm ein Engel auf den Mund. Platon sagt in der Republik, die Seele sinke wie eine Sternschnuppe aus dem All-Einen nieder, durch-wandere eine Wüste, tränke von der Lethe und werde geboren. Nur Künstler, Philosophen und Poeten hätten wenig von der Lethe getrunken und erinnerten sich der Geheimnisse aus der Welt der Ur-Idee. Wir kommen aus dem Schoß Gottes, er schuf unsre Seelen aus dem Nichts (was ist das Nichts?) und gab uns Ähnlichkeit mit sich, schuf uns als Ebenbilder, wir sollen ihn suchen, er zieht uns, er wird sich offenbaren.
      Daß Diotima, die Sokrates über die Liebe lehrte, ihm auch den Schierlingsbecher reichte! Das ist Tristan und Isolde, Liebe und Tod in einem, das ist Antigones Hymnus auf das Brautgemach des Hades, das ist Lammes Liebe am Kreuz und Hochzeit im Jenseits.
      Homers Helena „steigt mit gerafftem Gewand leichtfüßig die Stufen zum skäischen Turm empor, daß die Greise ihr bewundernd nachschauen.“ Isolde Kurz.
      „Schönheit ist die Sprache, durch die der Schöpfer seine liebevollen Gedanken uns im-merzu mitteilt, darum ist sie durch die ganze Schöpfung ausgegossen.“ (Isolde Kurz)
      Ihre Nase ist ein Duftflakon aus ägyptischem Rosenharz. Gott blies Hans Adam den O-dem in die Nase, der Eva auch?
      „... indem er seine unbelohnte Liebe der schönsten Frau als einen Strahlenkranz um die Stirn legte, mit dem sie durch die Jahrhunderte geht.“ Isolde Kurz.
      Die Nase in der Bibel: „...blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase...“, „...will dir meinen Ring in die Nase legen...“, „solange der Hauch von Gott in meiner Nase ist...“

22.10.

Einer sagte, die Eskimos hätten viele Worte für Schnee. Ich sagte, die Griechen viele Wor-te für Liebe, die Hebräer viele Worte für Gott. Was einem Volk wichtig ist!
      Sie ist ihm „das Eine, Wesentliche, wodurch alle Dinge erst ihren Wert erhalten“. Isolde Kurz.

23.10.

„Die Griechen wußten bei aller Verehrung, daß Aphrodite das Lachen liebt. Wir sind kei-neswegs verpflichtet, unsere Liebesduette in Moll zu singen, bebend, ewigkeitstrunken, herzzerbrechend, wie Tristan und Isolde. Singen wir doch auch wie Papageno und Papage-na.“ CS Lewis.
      Galle heißt Mara, das Bittere. Mirjam sah bitter die Not des Mosekindes. Maria die Bit-tere sah die Passion. Dem einen wird das Bittere zuviel, er verspritzt Galle; der andere nahm es an und schluckte die Galle. Wer das Bittere mit Weisheit versteht, dem wird die Galle zum Guten, er wird barmherzig. Der Ort Mara (2.Mose 15,23). Das Holz des Lebens machte das bittere Wasser süß. Die Juden kennen vier Gallen: schwarze, rote, weiße, grü-ne. - Die Scham der Frau heißt Mekem, Quelle des Ursprungs. Das Geheimnis der Frau. Die Mutter schlechthin. Keuschheit heißt Bescheidenheit, Verborgenheit, Heimlichkeit, Unmerklichkeit. Ich will trinken von der Quelle allen Lebens. Nur durch persönliche Liebe und intimes Vertrauen sich nähern. Eine keusche Frau ist keine Prüde, sondern eine Ver-borgene. Liebe ist ein Opfer, keine Vorteil bringende Sache. Liebe ist so unerreichbar wie der Baum des Lebens. Begegnet man der Frau als Menschen, bestaunt in ihr das Wunder der Frucht. Sie ist in Liebe gesehen Bild und Gleichnis Gottes. Das Mannesglied nennt der Hebräer Mila: Beschneidung, oder Zeichen des heiligen Bundes. Beschneidung ist Wegtun des Äußeren. Der Fromme lebt den Akt als Verborgenes, Geheimnis.

24.10.

Walter von der Vogelweides Mädchenlieder der sogenannten niederen Minne haben viel mehr Lieblichkeit und ähneln dem Hohenliede viel mehr als die Lieder der hohen Minne. Bei beiden Gattungen denk ich an Sie und will einige Lieder für sie nachreimen
      Ich will in dein Haus des Brotes kommen, du Tochter der Fülle, zu dir und deinem Kind. Ich sah den Stern Deneb im Herzen des Schwanes, dem am Kreuz des Nordens herrlich fliegt, und Deneb führte mich zu dir. Nun seh ich dich in Tannennadeln, zwischen Kater und Katze, die den Gabentisch der Liebe kennen, wie ich, denn von dir kommt die Gabe, die in meinem Herzen Liebe weckte. In deiner Schönheit, Milde, Sanftmut, Schamhaftig-keit und Lust seh ich diese Züge der göttlichen Liebe. Du Ebenbild Gottes, in dir lieb ich als der schönsten Schöpfung in meinen Augen den Geist, der dich geschaffen, das Wort, das dich ins Leben rief. Mit demselben Worte will ich dich zur Liebe rufen, komm zur e-wigen Liebe, der Geist der Liebe wirbt um dich, seufzt dir zu, lehrt dich Weisheit, deckt deine Makel zu, du Makellose in den Augen wahrer Liebe! Die wahre Liebe ist Gnade, unverdientes Geschenk, und sucht in deinem Herzen zu wohnen und begehrt mit der Lei-denschaft eines Bräutigams die liebende Antwort, das Ja deines Herzens, denn der Geist der Liebe ruft dich rote Rose, dich weiße Lilie zur Hochzeit eines Lammes, welches für dich alles zu geben sich nicht scheute, Leib und Leben: Jesus, der dich liebhat von ganzem Herzen Gottes, und er in mir, und ich, der ich dich liebe mit der tiefen Liebe eines Poeten, der sich deinem Ruhm verschrieben hat.
      Diamanten sind extrem verdichteter Kohlenstoff. Ihre Augen.
      Alraune sind Liebesäpfel. Kapernbeeren stimulieren sexuelles Verlangen. (Altes Testa-ment)
      „Geheimnisvoll und gedankenreich wie eine Tanne war sie.“ (Kierkegaard) „...die zärtli-chen und treuen Umarmungen des Verstehens...“

25.10.

Es gibt verschiedene Melancholien: die des Wanderers, wenn sich eine feuchte Nebel-schleppe durch gelbbraunes Laub schleppt; die des männlich-leidenschaftlich Liebenden, der nicht wiedergeliebet wird; die des Dichters; die des Frommen angesichts der bitteren Schalheit der Welt.
      Ich bin zutiefst traurig und ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, o wie allein da, und wie ein Waisenkind im weiten Weltall, das so dunkel, kalt und gleichgültig ist; und wo ist Gott? Könnt ich glauben an die liebe Mutter Maria, aber ich kann nicht. Gott als Vater und Geist, wo ist da Wärme und Geborgenheit einer Höhle und eines Brutnestes? Ich mag die Nestwärme bei Ihr. Ich vermisse eine Mutter.
      Maria nähert sich der Geliebten, indem sie mir als Madonna mit dem goldenen Granatap-fel erscheint, die Geliebte nähert sich Maria, indem sie schüchtern und schamhaft, sanft und tiefsinnig erscheint. Ich möchte in der Geliebten Maria finden und in der Madonna Jesu liebendes Herz. Maria ist die Bittere. Und wieviel Bitterkeit, Schwermut, Angst und Einsamkeit in der Seele der Geliebten, als sie Kind und Mädchen war. Ich liebe das Mäd-chen in ihr.
      „Anmut ist ausgegossen über deine Lippen“: was mich heute um die Geliebte weinen ließ, les ich jetzt in der Andacht der heiligen Mutter und Jungfrau, der Neuen Eva: der Mutter des Lebens, der Braut des Heiligen Geistes, in ewiger Jugend und ohne Makel. Die Mutter Erde tat sich auf und der Heiland sprosste hervor.

26.10.

„Heute grüß ich sie von Weitem. Ich bin zu traurig und zu feierlich... zu feierlich für Kin-der. Und doch Kind.“ (Rilke, die Weiße Fürstin)
      Was mich tröstet, ist die Arbeit. Fragment um Fragment entsteht ein Musentempel, ein Haus Jehowahs.
      Lese die trostreichen Zisterzienser-Meditationen zum Hohenlied: „Nirgends habe ich Trost, nirgends Erholung gefunden, sondern überall nur Kummer und Schmerz, denn ich habe den, den ich so glühend liebe und so inständig suche, nicht gefunden.“ Liebe ich Je-howah, liebte ich Jesus so, wie ich Sie liebe! Würde mich solch eine süße Leidenschaft für ihn ergreifen, wie ich für sie empfinde! Er würde mich nicht so verschmähen. Wie soll ich zu Gott finden? Ich suchte Glück und Liebe, Schönheit und Poesie, Herrlichkeit und Geist bei Ihr. Wo Sie war, war mein Himmel, wo sie sich weigerte, meine Hölle. Aber sie kann nicht geben, was meine Seele braucht. Ich zweifle sündig, daß Gott allein geben kann, was meine Seele braucht. Er mutet mir zu, daß ich an ihn glauben soll, obwohl ich ihn nicht süpre und erfahre. Ich bin in einer kalten Fremde, ich aus dem hebräischen Südland, zuhau-se eigentlich bei Eyn Gedyj; ich muß im kalten Germanien leben! Ich will heim zur Braut Jeruschalajim, ich will zur Tochter Tsyown, ich will in den Himmel, Jehowah dort zu um-armen und abzuküssen, zu ruhen an seinem Herzen, im Sonnenschein seiner liebenden Au-gen. O Jesus komm! O laß mich bald abscheiden! Ich ertrage das Exil nicht mehr.
      Heimsuchung: mit Unerwünschtem, Unangenehmem überfallen, geplagt werden. Mein Leben ist eine Heimsuchung. Den Frommen dienen die Heimsuchungen zum Besten.
      Jesus: Du mußt den Kelch trinken, den ich getrunken habe... Er war Bitterkeit des nichti-gen Lebens, er war der Tod in allem Dasein. Jesus rief: Mich dürstet!... Ihn dürstete nach der Liebe der Menschen. Sie aber kreuzigten ihn. Dem werd ich gleichgestaltet.
      Die Zisterzienser haben mir Sehnsucht nach Tiefe, frommer Stille, Gebet, Meditation, Andacht, Sakrament, mystischem Wort Gottes und konzentrierter Liebe zum Bräutigam Jesus gegeben. Jetzt lese ich Brentano-Gedichte und fürchte mich vor der leidenschaftli-chen Liebe. Ich will Seelenruhe. Ich will erwiderte Liebe. Ich bin der Liebesleiden über-drüssig. Gott, mach mich gesund! Aber das ist unmöglich. Sie ist in mein Herz gebrannt. Das hat etwas von Verurteiltsein zu unglücklicher Liebe, und das hat etwas von Ver-dammtsein. Verfluchte Erde, die du Sehnsucht erzeugst nach Milch und Honig, aber nur Staub und Kot gibst.
      Lukas 11,27. Eine Frau erhebt ihre Stimme und ruft Jesus zu: Glückselig der Leib, der dich getragen, und die Brüste, die du gesogen. Und er sprach: Gewiß... - O glückselige Ma-donna Maria!

27.10.

Clemens Brentano: „Unbeglückt muß ich durchs Leben gehen, / meine Rechte sind nicht anerkannt; / aus der Liebe schönem Reich verbannt, / muß ich dennoch stets ihr Schönstes sehen!“

28.10.

Dachte an Selbstmord. Heute tröstete mich eine Predigt über den Himmel. Jesus in seiner göttlich-süßen Schönheit sehen, mit ihm tafeln, im Palast Gottes im Himmel der Himmel wohnen, Gott loben, in neuer Kreativität ihn mit Kunst verherrlichen, zur Harfe Hymnen in Himmelszungen singen, unendliche Epen voller Wohllaut rezitieren von der Liebe und dem süßen Herze Jesu, der da ist und nimmer fern. Ach wär ich da! Gott, gib Kraft zur Ge-duld, zum Überstehen!
      Heilige Messe. Nur der Kreuzweg ist der Weg der Auferstehung. Wie 1994 fühl ich eine tiefe, sehr süße, weltentrückende Beseligung durch den Leib Christi. Mit Gesundung der Seele, tiefer Begegnung mit Gott und dem Frieden Jesu trat ich aus der Kirche in die Nacht und gehe mit ihm durch die Zeit gesegnet.

30.10.

Wozu die Mühe meiner Arbeit, wenn es doch keiner liest? Vor dem Kruzifix: Christus ist auch auf der Erde gescheitert, die Jünger hielten seinen Tod auch für eine Niederlage. Aber Christus wußte, daß Gott seiner Niederlage einen Sinn geben wird in der Auferstehung. Dennoch, inmitten der Niederlage war die kommende Auferstehung ihm kein Trost, sie erleichterte sein Leiden nicht. Gott gab mir das Charisma meiner Poesie, ich muß ihn damit verherrlichen, nicht um irdischen Ruhm zu erlangen, sondern um Gott zu dienen. Das wei-tere Schicksal, das Vergessenwerden oder der Nachruhm oder auch Erfolg zu Lebzeiten, liegt in Gottes Hand. Was tut einer, der still in seinem Kämmerlein für alle Welt betet? Er hat auch keinen irdischen Lohn, sein himmlischer wird um so größer sein.
      Rilke: „Ist Schmerz, sobald an eine neue Schicht / die Pflugschar reicht, die sicher einge-setzte, / ist Schmerz nicht gut? Und welches ist der letzte, / der uns in allen Schmerzen unterbricht? // Wieviel ist aufzuleiden. Wann war Zeit, / das andre, leichtere Gefühl zu leisten? / Und doch erkenn ich, besser als die meisten / einst Auferstehenden, die Selig-keit.“

1.11.

Übersensible Dünnhäutigkeit seit einer Woche, wundes Brüten in der Seele. Rosenkranz am Arm.

2.11.

Brentanos späte Lieder haben eine Tiefe, die denen seiner Jugend mir zu mangeln schien. In der Jugend heiteres Spiel, im Alter tiefer Schmerz, Schmerz um die toten Kinder, vor allem um Sophie, und das Kreuz bitterer Schwermut. Dennoch ist alles, bis auf ein paar sprachlich karge Kirchenlieder, von Wortreichtum, blitzenden Schätzen an Reimen, betö-render Musikalität. Diese späten Lieder und der Godwi, dafür lieb ich Clemens. Möchte gern seine Briefe an Sophie lesen. Über Brentano: „Zwischen Diesseits und Jenseits hin- und hergerissen, der tiefsten weltlichen Leidenschaft verfallen und zugleich voll einer ge-heimen Sehnsucht nach einer überirdischen Erfüllung seiner Träume, hat Brentano sein Leben hingebracht. Am Ende blieb ihm das tragische Gefühl der Vergeblichkeit seiner Dichtung.“

3.11.

Lieder von Brentano gelesen. Er kannte auch Schmerz, Wüste, Bitterkeit, vergebliche Lie-be, das Kreuz.

4.11.

„Doch in den Begeisterungen / weiß die Jungfrau nichts von allem, / sie hat nur vor Gott gesungen, / lauschen gleich die Nachtigallen.“ Clemens. Diese Haltung brauch ich. Dichten im Angesicht Gottes, allein für Jesus, wenn auch vielleicht der eine oder andre den einen oder anders Vers zu lesen bekommt.
      In den Rosenkranz-Romanzen, von Biondette, eine schöne Nachdichtung des Hohenlie-des. Ich merke, wie mir durch meine Übersetzung das Lied der Lieder nahgekommen ist. Auch den Prediger hab ich jetzt tiefer im Herzen.

5.11.

Las Byrons „Prophecy of Dante“. Er klagt darüber, daß die inspirierten Poeten, die Rühmer des Himmlischen, auf Erden so arm und verachtet und elend sein müssen, oft zu Lebzeiten verspottet und erst nach ihrem Tode nennt der Ruhm ihre Namen.
      Ich bin zu spät geboren. Ich hätte 1790 geboren werden müssen. Dann wären Klopstock und der jüngere Novalis meine Vorbilder, ich hätte mit Clemens und Bettina und später vielleicht Eichendorff Briefe gewechselt, und hätte Byron, Keats und Wordsworth ins Deutsche übertragen. Wie hätte ich wohl geheißen? Ich hätte mir das Pseudonym Porta Petri Cygnus zugelegt. Ich hätte Lust, einen unhistorischen Roman über die Romantik zu schreiben und mich hinein, eine Liebe zu Bettine und Karoline. An Goethe hätte ich den Diwan am meisten geliebt. Es sind drei Phasen: klassische Empfindsamkeit der Natur, Volksgut, liberaler Katholizismus. Sein Glauben wendet sich erst am Ende dem kirchlichen ganz zu. Vorher Anflüge von Pantheismus, Idealismus, Geist und Natur, Innen- und Au-ßenwelt. Er sehnt sich nach dem Tode, er ist schwermütig, Cygnus im Saturn. Die Blaue Blume, an der er stirbt, die Gärtnerin, nennt er Deneba.
      Man könnte über Walter von der Vogelweide schreiben: Hohe und niedere Minne, Welt-entsagung und Palästinafahrt.
      Zur Russischen Lyrik um 1920. Symbolisten, hohe poetische Sensibilität als Antwort auf den Prosaismus der vorangegangenen Epoche. Die Dichter, einst die Romantiker, dann die Symbolisten, dichteten immer in Stilepochen, waren jeweils modern. Ich bin ein Einzel-gänger. Auch Kleist und Hölderlin waren Außenseiter und Einzelgänger in ihrer Zeit. Die Symbolisten suchten bei christlichem Neuplatonismus, erotischer Mystik und Sophia (Lie-be und Weisheit), genau das interessiert mich auch, Sophia! Salomo und Heinrich Seuse wählten sie zur Braut.
      Man darf nichts für Ruhm oder Literaturgeschichte schreiben, sondern allein aus Sterben und Lieben der Seele, aus innerer Not, das Gedicht muß eine Not-wendigkeit sein.
      „Weils nicht möglich, daß man quallos singe...“ (Innokentij Annenskij)

6.11.

„Und wisse: der Kranz ward geschlungen / dem Dichter aus Dornen seit je.“ (Valerij Brjus-sow) - „Den Geist der Schwermut nicht beschmutze!“ (Anna Achmatowa, mir die liebste)

8.11.

Ingeborg Bachmann: „Reinen Fleisches wird sterben, / wer es nicht mehr liebt, / über Rausch und Trauer / nur mehr Nachricht gibt.“
      Das Horn meiner Heimsuchung ist erhoben!
      „Dein wehes Herz, vergötternd alle Leiden / vernichtet und verloren liebeskrank...“
      „... gewiß ists, daß nur die Liebe / und einer den andern erhöht.“ Bachmann
      „Erlöse mich, ich kann nicht länger sterben!“ Bachmann

10.11.

Eine Freundin sagte, ich wäre nicht der erste Dichter der katholisch würde. Möchte italieni-sche Lyrik von Petrarca und Dante hören. Brentano und Rilke haben vielleicht etwas von diesem Wohllaut, nicht die deutsche Härte Schillers. Warum wirkt die Eucharistie so ver-wandelt auf mich? Ist es allein die heilige Atmosphäre oder ist es wirklich ein wirksames Sakrament?
      Augustinus: „Und selbst auch die Traurigkeit, die nach den Stoikern keinen Platz im Geiste des Weisen haben sollte, findet sich in gutem Sinne, und das besonders bei unsern Schriftstellern.“

11.11.

„...wie geschrieben steht in der Chronik der Mütter des Messias...“ (Schoß der Morgenröte)

12.11.

Lese über Schneider. Geistige und religiöse Einsamkeit. Freitod wurde von der Kirche bis ins 4. Jhd anerkannt.
      Johannes vom Kreuz und die Nacht: Die Seele muß der Welt entsagen, die Welt muß ihr Nacht sein. Die Seele muß glauben, der Glaube ist die Nacht des Verstandes. Die Seele wendet sich zu Gott, der der auf Erden pilgernden Seele eine unergründliche Nacht ist. Ril-kes Stundenbuch: Mein Gott ist dunkel. Novalis: Hymnen an die Nacht.

13.11.

Ein Kind ist geboren, ein Sohn ist uns gegeben...

14.11.

In dieser Zeit wäre ich gern ein Philosoph, bin es aber nicht. Ich bin nur ein traurig Fühlen-der, ein Einsamer inmitten der Menschen, der sich daseinsunlustig von Tag zu Tag schleppt.
      Im Alter wandte sich der Priester-Dichter Paul Claudel von der Prunksucht der Poesie ab und wandte sich Meditationen über die Bibel zu: Ein Dichter betrachtet das Kreuz. Ich ha-be viel aus Leidenschaft geschrieben, ich sehne mich aus der Jugendkraft nach der Alters-weisheit.
      Zur katholischen Bewegung des 19. Jhd: Novalis, Brentano, Eichendorff, und der des 20. Jhd: Bergengruen, LeFort, Schneider, kommt die des 21. Jhd: dazu will ich mich zählen.

17.11.

Emily Dickinson, Gedichte und Briefe. Zeit ihres Lebens wurde nichts von ihr veröffent-licht. Leid und Unsterblichkeit ihre Themen und Ekstase des Lebens. Vielleicht wird gera-de in der Todesnähe die wahre Ekstase des Lebens entdeckt, eines Lebens im Sinn der E-wigkeit, ewiger Schönheit, ewiger Liebe und Lust am Schöpfer seiner Schöpfung.

18.11.

Gott fehlt mir so, ich habe solche Sehnsucht, in Jesu Armen an Gottes Herzen ewige Ruhe, ewigen Frieden zu finden. Aber er ist schrecklich fern, er ist nicht nah und da, sondern läßt mich allein in diesen verfluchten Dornen der Erde. Ich mag nicht mehr als Dichter arbeiten, eine Lüge und sündige Wollust auf die andere häufen, immer dieser schmutzige Schaum der Poesie.

19.11.

Seh gerstern einen Film über Botticelli. Wer das Modell zu seiner Venus gab, ist unbe-kannt, hieß es. Die heidnischen Bilder sind voll allegorischer Zeichen, Blumensprache, Embleme. Später kam der Dominikaner und Bußprediger Savonarola nach Florenz, wetter-te gegen das korrupte Papsttum und die sinnlichen Medici. Sandros Bruder war einer der Anhänger Savonarolas, vielleicht ward auch Sandro von ihm beeinflusst, er malte mehr und mehr sakrale Bilder, mehr und mehr mit düsterem Ton. Der Frühling des florentini-schen Humanismus ging zuende, die Zeit der Medici war vorbei, die Pest kam. Er malte das Gesicht seiner Venus nun als reizende Madonna mit dem Granatapfel. Er war nie ver-heiratet, auch Affären sind nicht bekannt. Seine farbigen Illustrationen zu Dantes Komödie sind leider verlorengegangen, ein Spätwerk.
      „Der Wahnsinn, ein bestimmter Wahnsinn, geht oft Hand in Hand mit der Dichtung. So wie es den vernünftigsten Menschen schwer fallen würde, Dichter zu sein, fällt es den Dichtern vielleicht schwer, vernünftig zu sein.“ Pablo Neruda.

23.11.

Machte gestern in Gedanken mein Testament eines Selbstmörders. Auf meiner Beerdigung sollte „Jerusalem, du hochgebaute Stadt“ gesungen werden.

25.11.

Schöne Heilige Messe. Ein italienisches Lied wurde vorgetragen, da hörte ich das berühmte Italienisch, sehr charaktervoll, dazu weich wie Meerschaum und Fischfleisch, rund wie Orangen im dunklen Laub, ein Gesang. - Reden von der Dornenkrone und einem König nicht von dieser Welt, dennoch Immanuel, Gott mitten unter uns.

29.11.

Lamentationen übersetzt: Getränkt mit Wermut und Galle oder Schierlingstrank und Schlangengift!
      Einleitung zu der Hochzeitsekloge: Nachdem Erasmus von Rotterdam den Text des Neuen Testaments erforscht hatte, wandte er sich wieder seinen müßigen eitlen Leiden-schaften zu, den humanistischen Forschungen. Er fand in einer der Bibliotheken der kunst-sinnigen Päpste ein Manuskript, das eine lateinische Nachdichtung eines griechischen Hir-tenliedes darstellte. Da er es für eine heidnische Prophetie hielt, wie ja auch Paulus in A-then zwei griechische Dichter zitierte und zu Propheten erklärte, schrieb er es ab, kam aber nicht mehr dazu, es in eine lebende Sprache zu übertragen. In seinen Forschungen über den großen Erasmus stieß ein Oldenburger Student auf die Handschrift, und da er ein Dichter war, und des Lateinischen sehr wohl mächtig (errarum humanum est), dichtete er das naive Hirtenlied nach. Sein Ursprung verliert sich in die Zeiten Platons, wenn nicht gar Homers.

30.11.

Englische Gedichte. John Donne brachte etwas vorbildlich Neues in die Renaissance: Er pries nicht die Körperschönheit der Geliebten, sondern die Union der Seelen.

1.12.

Ummauert, ausweglos, Todessehnsucht. Wodka. Finde keine Worte für meine Seelennot, alle Klageworte hab ich schon tausendmal ausgespien, ich mag sie nicht mehr.

2.12.

Die Heilige Messe versöhnte mich mit Weihnachten: In Gottes Liebe geborgen, erwartet der lichte Himmel uns, der Herr wird auf der Wolke kommen, wir erwarten ihn mit dem Feuer heiliger Leidenschaft im Herzen.
      Sicher, eine ganz heile Seele hat keine tragischen Widersprüche in sich: Maria und Ve-nus, Sinn und Sinnlichkeit, Seele und Fleisch, aber ich hab diese Tragik in mir bis zum Grab. Ob eine Vereinigung beider Prinzipien in Einer Frau möglich ist, weiß ich nicht.

3.12.

Zypern, da müsste eine Geschichte spielen, Zerrissenheit zwischen Venus und Maria, die gleiche Zerrissenheit, die Fürst Myschkin zwischen Aglaja und Natassja empfand.
6.12.

Klagelieder: Nun aber liegen sie im Mist!
      Populäres Lied über David und Bathseba: „I’m mad about you!“
      Im Traum schwärmte ich der Geliebten von ihrer Schönheit vor im Stile des Hohenlie-des. Sie sagte, ich solle doch deutsch reden, ich sagte, das sei der Ursprung des Deutschen, Lutherdeutsch, ich lernte gerade, immer so zu reden. Sie sagte, wenn ihr immer die Juden so hochhaltet, ob nicht die Ägypter und Römer ebenso schöne Poesie gehabt hätten. Ich erzählte von Gottes Volk, erkoren zu einem Volk von Propheten des Messias.

8.12.

Orthodoxe Hymnen zur Christfeier. Ewige Jungfrau, das Paradies, in der die Frucht des Lebens reifte.

9.12.

Heilige Messe. Wir erwarten den neuen Himmel und die neue Erde, die Wandlung der Eu-charistie ist Symbol für jene eschatologische Wandlung und Hoffnungszeichen für die Wandelbarkeit der Umstände.

12.12.

Zu Antigone, Psalm 79: „Sie (die Heiden) haben die Leichname deiner Knechte den Vö-geln unter dem Himmel zu fressen gegeben und das Fleisch deiner Heiligen den Tieren im Lande. Sie haben ihr Blut vergossen um Jerusalem her wie Wasser und da war niemand, der sie begrub... Rechne uns die Schuld unsrer Väter nicht an... Laß vor dich kommen das Seufzen der Gefangenen, durch deinen starken Arm erhalte die Kinder des Todes.“
      War bei Kar., so schön, Juri auf dem Arm zu schaukeln.
      Die Tragische Trilogie - Kassandra, Orpheus, Antigone - entstand im Jahre 65 nach Christus. Cygnus war ein junger römischer Dichter gewesen, der sich in eitel erotischen und spöttisch satirischen Jamben versucht hatte, als er durch die Predigt des Petrus in den Katakomben Roms sich bekehrte. Seine Liebe zum griechischen Mythos versuchte er zum Lobe Gottes zu verwenden, dessen tragisches Schicksal am Kreuz ihm Anlaß zu seiner Tragödie gab. Juventus und Martial verspotteten ihn deswegen, er erntete in Rom keinen Ruhm. Sein Werk wurde von den Christen, besonders den Frauen, durch die Zeit des Mar-tyriums und der Verfolgung hindurchgerettet, kam in die Hände des Hieronymus, von ihm zu Gregor dem Großen und durch diesen in die päpstliche Bibliothek, wo es in der Versen-kung verschwand, bis es im 14. Jhd ein mit Petrarca befreundeter Bibliothekar entdeckte. Petrarca fertigte eine Übersetzung in die italienische Vulgärsprache an, die noch Ben Jon-son und Edmund Spenser bekannt war, aber verlorenging. Das lateinische Original aber bewahrte Erasmus von Rotterdam für die Nachwelt auf. In der Bibliothek der Universität von Rotterdam fand ich, durch Zufall oder Vorsehung, die Abschrift des Erasmus und ü-bersetzte sie in meine deutsche Muttersprache. Schwanke.
      Virgils Wesen spricht mich an. Es gab katholische Virgilverehrung, es liegt eine Advent-sehnsucht über seinem Werk. Er lebte in stiller Zurückgezogenheit.
      „Die uns das himmlische Feuer leihen, die Götter schenken heiliges Leid uns auch, drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde schein ich, zu lieben gemacht, zu leiden.“ Hölderlin.

15.12.

Aufsätze von Theologen zu Kirche und Kunst. Gottes Schöpfungsoffenbarung umfasst auch den ästhetischen Menschen, Kunst ist Charisma, soll nicht gegen Schöpfer und Schöpfung sein, muß aber nicht unbedingt christliche Themen haben.

17.12.

Sehnsucht nach und Angst vor einer Ehe, Hang zur platonischen idealisierenden romanti-schen Liebe.

21.12.

Werde der Protestanten Brot und Wein an mir vorübergehen lassen. Schlief mit dem Ro-senkranz. Las die Geburt Jesu aus dem Schoß der Morgenröte, eine Pfingstlerin: „Außeror-dentlich! So eine Vision hatte ich noch nie!“

22.12.

Von griechischen Mythen geträumt, aufgewacht mit einem liebenden Gedanken an die Jungfrau Maria.

23.12.

Heilige Messe. Da befiel mich im Angesicht des Kreuzes eine tiefe Angst, Angst vor einem Leben als unaufhörliche Passion, Angst vor kommender innerer und äußerer Not. Werden denn meine Sehnsüchte nach Licht, Lust, Liebe, Leben erst im Jenseits erfüllt? Haben wir keine Verheißung auf irdisches Glück, sondern nur die Leiden der Nachfolge? Ich habe Angst.
      Gleiche Widersprüche zwischen Lust und Weisheit, Welt und Gott, Venus und Maria, Glück und Leid, Familie und Ideal usw. Wollen die Hoffnung auf irdische Segnungen nicht aufgeben. Wollen Weite des Philosophierens.
      Gott, mach mein Herz zu einer Krippe, daß Maria Christus sanft hineinlegt und das Got-teskind mir mein Herz sanft heilend berührt.

26.12.

Heiligen Abend nach der Mitternachtsmesse des Papstes rührte mich das Lied „Maria durch ein Dornwald ging, da wurden die Dornen Rosen“ zu Tränen. Ich fühlte meine Ein-samkeit.

27.12.

Film über Jesuiten. Film über David und Bathseba, Thamar und Amnon. Weltschmerz. Goethe-Lyrik. Selbstmordgedanken. Testament gemacht, möchte mir die Pulsadern auf-schneiden. Entweder ist Gott das kommende Jahr gnädig und schenkt Licht, oder ich ster-be. Kyrie Eleison!

28.12.

In diesem Jahr ein Leid aufs andere, die Geliebte, Gottverlassenheit. Nun hab ich keinen Liebeskummer, denk aber trotzdem an Selbstmord. 1993 war ich einsam, 94 wahnsinnig, 95 des Lebens überdrüssig, 96 gelangweilt, 97 depressiv, 98 traurig, 99 verliebte ich mich... Ist das eine normale Biographie eines Christen? Wenn sich mein Leben nicht ändert, fürcht ich auf diese Passionen von Schwermut folgt der Selbstmord.

29.12.

Von Psyche geträumt. Quo vadis, Domine? Christus ging nach Rom und ließ sich ein zwei-tes Mal kreuzigen. They gonna crucify me again!

30.12.

Charismatischer Prediger will meine „großartige Übersetzung“ des Qoheleth herausgeben. Halleluja.

2.1. 2001

      Der Deuterokanon gehört nach dem Konzil von 389, nach der Überlieferung der östli-chen Kirchen und der römischen Kirche zur Heiligen Schrift dazu.

6.1.

Heilige Messe. Getauft in ein neues Leben mit Gott, der Himmel ist offen, ich bin Gottes geliebter Sohn, er ist alle Tage mit mir.
      „Sweet virgin angel, sweet love of my life....“ - „Mystical wife...“ - „Glamorous nymph with an arrow and bow...“
      Marien-Sonett. Möchte gern meine Sehnsucht und Suche nach Maria in Sonetten aus-drücken.

14.1.

Je begnadeter, desto mehr Anfechtung. Wen der Vater liebt, den züchtigt er.

20.1.

Träumte, daß ich eine Karte an das Jugendideal schriebe. Dann war ich in Dornum. Da wimmelte es in einem schmuckelosen steinernen Burgturm oder Kirchenraum von Christen und Tieren. Einer sagte, der Affe wäre der Antichrist. Die Tiere sehnten sich nach Erlö-sung, aber der Affe rufe die Tiere auf, gegen den Menschen zu rebellieren. Da jagte eine Ratte wild durch den Raum, sie war Bote des Antichristen. Ich sagte (wohlwissend, daß einige Brüder den Papst für den Antichristen hielten), es gäbe nur entweder Papstkirche oder Kirche des Antichristen. Dann trat eine weiße Katze auf. Die Katze fraß die Ratte. Ich sagte, die Katze sei die junge Kirche, sie fraß den Antichristen im Blut ihrer Blutzeugen unter Domitian. Dann sah ich einen körperlich verkrüppelten Märtyrer von Theben, er jammerte über seinen verkrüppelten Leib, ich sprach tröstend von seiner herrlichen Seele im Himmel. Da erzählte er mir von einer Vision im Martertode: Er sah Maria und Jesus, Maria als Mutter und Jesus als Kind, und ein Engel war an des Märtyrers Seite. Ich sah das Bild förmlich vor mir und mußte vor Rührung weinen. Ich fuhr mit einem antikatholischen Protestanten in einem Auto, wollte aber nur das Bild von Maria und Jesus malen. Einige Charismatiker sprachen über Rockmusik, ich wollte aber nur das Bild malen. Schließlich allein in einer alten romanischen Kirche konnte ich das Bild malen.

21.1.

Jesus Sirach 25,27: „Fall nicht auf die Schönheit einer Frau herein, und begehre sie nicht deswegen.“ Jesus Sirach 26, 21-24: „Wie die Sonne, wenn sie aufgeht, an dem hohen Himmel des Herrn eine Zierde ist, so ist die Schönheit einer guten Frau eine Zierde in ih-rem hause. Ein schönes Antlitz auf hoher Gestalt ist wie die helle Lampe auf dem heiligen Leuchter. Schöne Beine auf schlanken Fesseln sind wie goldene Säulen auf silbernen Fü-ßen.“ Jesus Sirach 36, 24-27: „Eine schöne Frau erfreut den Mann, und er sieht nichts lie-ber. Wenn sie dazu freundliche und liebliche Worte spricht, so ist ihr Mann nicht zu ver-gleichen mit andern. Wer eine Frau erwirbt, erwirbt damit noch mehr: eine Gehilfin, die zu ihm passt, und eine Säule, an die er sich lehnt... Wo keine Frau ist, da irrt der Mann seuf-zend umher.“ Jesus Sirach 40,23: „Einem Freund und einem Gefährten begegnet man ger-ne, aber lieber hat man die Frau, mit der man lebt.“
      Bin ich Johannes, der die Mutter der Schmerzen in den Armen hält? oder sehn ich mich nach der feurigen Maria Magdalena? oder soll ich unbeweibter Johannes der Täufer blei-ben, der allein auf den Gekreuzigten hinweist? (Grünewalds Kreuzigung)
      „Wein und Weiber betören die Weisen.“ Ich werde immer ein Bewunderer der Frauen-schönheit bleiben. Keine pries ich, die mir nicht schön erschien.

23.1.

Das Schicksal hat mich unterworfen. Ich soll nicht glücklich sein, ich soll nicht von einer Frau geliebt werden. Sie mögen mich, sie lieben mich vielleicht als Schwestern, aber es kommt keine Gehilfin. Ich fühl mich wie von einem Dämon ans Jugendideal gekettet. Ich habe Sehnsucht nach der Sanftheit der Geliebten. Erträgliche Bitterkeit und Fatalismus in meiner Seele. Schicksal der Einsamkeit und unerwiderten Liebe.
      Meine Madonna, rot wie die Liebe, heilig-weiblich, schwebt über meiner einsamen Poe-tenhütte, im Gefolge ein Chor Weißer Frauen und dunkler Kinder. Und der Herr Jesus steht auf, steht zur Rechten Gottes. Da ist mein Kreuz, ich nenn es Schicksal. Und sterbe einen kleinen Tod. Ganz tragisch ist mir. Wollt ich Glück und irdische Liebe? wollt ich vorbei an meinem Schicksal? Wie einsam auch innerlich!
      Die Frauen gehen alle an mir vorüber, um Inneres, Idee in mir zu werden.
      Ich komme mir vor wie ein unendlicher dunkler Kosmos mit ausgesäten Sternen, auf denen Denker und Jungfrauen leben, den aber allein Gott in seiner Tiefe versteht. Ich ver-steh mein Schicksal nicht. Die Poesie erhascht nur hier und da einen Zipfel des Logos in diesem Kosmos, Innenkosmos, Herzenskosmos.

24.1.

Sprechen muß ich mit dem Pfarrer über die Eucharistie und Maria.

25.1.

„Der Dichter sucht das Schicksal zu entbinden, / das, wogenhaft und schrecklich ungestal-tet, / nicht Maß, noch Ziel, noch Richte weiß zu finden / und brausend webt, zerstört und knirschend waltet. / Da faßt die Kunst, in liebendem Entzünden, / der Masse Wut...“ (Goe-the)
26.1.

LeFort, Schweißtuch der Veronika. Veronika bekehrte sich durch eine Vision der lichten Monstranz in Sankt Peter, war erfüllt von Liebe und heller Freude, bis sie bald darauf in einer Totenmesse das Abbild des Dorngekrönten sah: hinein in tiefe Trauer. Schneider nannte es den Schacht, das Bergwerk. Nicht mehr von der Erde, sondern unterirdisch: im Grab Christi. Schneider nannte es den „Zauberberg der Mystiker“ (Johannes vom Kreuz).

27.1.

Bitter! Sollen mich doch alle Weiber für immer in Ruhe lassen. Sie sind wirklich Instru-mente des Teufels. Ich hasse die Liebe, die solche Qual bereitet. Könnt ich doch einfach alleinstehender Philosoph sein, ohne Leidenschaft. Verflucht!
      Das Leben kommt mir vor wie ein Ungeheuer, die Liebe mit Haß vergiftet, die Vertrau-teste ganz fremd, die Liebe hart und unbarmherzig wie ein Wüstenstrauß (wie man so sagt). Ich Gesegneter des Herrn komme mir vor wie ein Fluchbeladener, wie ein von einem zerstörerischen Dämon Besessener und Zerrissener. Ich bin die ganze Tragödie, sie offen-bart das Ungeheuer meines Lebens.
      Schrecklicher Blick eines Zerspaltenen in den inneren Abgrund der Ungeheuer. Völlig außer mir, innerlich in alle Lande zerstreut, ging ich in die Heilige Messe. Angst, an der Eucharistie zu sündigen. Fragte den Priester: Darf ich teilnehmen? Er: Heute ja. Nahm es von Anfang bis Ende knieend, betrat und verließ die Kirche knieend, mich hingebend an das Gebet der Kirche. Weisheit der Predigt: Berufung Jeremias, wer Profil entwickelt, muß mit Einsamkeit rechnen. Gott sammelte mich ein und gab mir elegischen Frieden.

28.1.

Schneiders Wort: „Gerade Qual wird in der Liebe gesucht“, wieder wahr. Nun bin ich selt-sam stumm.


29.1.

Ich sehne mich nach Altersweisheit. Wahre Weisheit ist melancholische Einsicht. Die Weisheit Gottes sei meine Freude. Ja zum Geschick, zu den eigenen Grenzen, diese als Gnade Gottes erkennen. Ich will den babylonischen Hiob, ägyptische und chinesische Weisheitssprüche, Platon und die griechische Philosophie kennenlernen. Muß Kierkegaard ergründen. Um Weisheit bitten. Hoffe auf die Altersweisheit, dafür lohnt es sich zu leben. Was Dichtung betrifft: Ich hoffe, Gott kann meine eitle Selbstdarstellung zu seiner Ehre verwenden.
      Eine deutete an, daß dem alten Goethe verschiedene Frauen zu einer einzigen Idealisier-ten zusammengeflossen wären. Das ist mir neu, ich weiß nicht ob es stimmt, aber das ist vielleicht der einzige Weg, mehr und mehr von den Weibern fortzukommen und zur Idee der Schönheit oder Maria als dem Ewig-Weiblichen hindurchzudringen.
      „...er liebte sie mit jener wunderbaren, leidlosen Liebe, welche (ich fühlte es wohl) von allen Wesen dieser Erde einzig dem Dichter vorbehalten ist zu lieben, ihm, welchem kein Mensch zu helfen vermag, weil seine tiefsten Schicksale sich gar nicht im Menschlichen vollziehen, sondern in dem Königreich seiner Dichtung, dort, wo sie gelöst sind von der furchtbaren Bedrängnis des wirklichen Lebens, wo alle Verwirrung und Qual, ja die unge-heuerste Tragik nichts sind als grenzenlose Schönheit, Unberührtheit und flügelndes Glück.“ (LeFort)

31.1.

Romano Guardini, vom Sinn der Schwermut. Der Schwermütige sehnt sich nach absoluter Liebe und Schönheit, die Wirklichkeit ist ihm zu platt. Er hält sich für krank, darum ver-schafft er sich Grund zur Krankheit, zieht das Zerstörerische an. Darum lieb ich immer unglücklich, weil ich keine Wirklichkeit will, bzw. einerseits will und andererseits fast dämonisch mein Unglück will.
Eine Schwester liebt Maria als Mutter, ich will sie aber als himmlische Geliebte verehren, die selige Jungfrau. Unsere Liebe Frau: das macht mich auf das „unsere“ eifersüchtig. Mei-ne Liebe Frau ist meine Madonna Maria, meine Madonna Minne. Vielleicht ist das mehr Eros als Religion, aber ich sehne mich nach der himmlischen Geliebten, der Madonna vom Schwanenteich zu Norden. Aber Liebe zur Madonna ist, zwar unmöglich und ideal, aber wie ich gern glauben will, nicht unerwidert, denn sie ist meine liebste Schwester im Jen-seits. Betet sie für mich?
      Gott, ich bin versunken. Dunkel ist in mir, meerisches Brüten des Gemütes, Unaus-sprechliches. In mir ist Blindheit und Geheimnisvolles, für das ich keine Worte finde. Ich bin unendlich einsam. Aber du kennst und verstehst mich. Kann ich mich selbst ergründen? Soll ich es überhaupt versuchen? Ich möchte in einer stillen dunklen Kapelle kommunizie-ren. Tod und Wahnsinn, Herr, Dunkel, Schicksal und Zerrissenheit und die Ungeheuer des Abgrunds: solch ein Buch bräucht ich. Herr, ich schaff es nicht, von mir wegzusehen, mein Auge starrt gebannt in die Rätsel der Tiefe. Ich hätte Sehnsucht nach einem Weisheitsleh-rer. Sehnsucht nach Empfindungen himmlischen Geliebtseins. Daß Maria mir erscheine. Ich bin lebend begraben und warte auf die Auferstehung. Fühle mich so unerlöst, aber du bist mein Erlöser. Sei mir gnädig, lieber Herr.
      Mir ist so elend. Gott? Ist nicht nur in ferner Nacht, ist in meinem Herzen und läßt das Kreuz Gestalt gewinnen. Aber wie soll ein Mann ohne Mut, Kraft und Hoffnung das Elend tragen, er, der Gott nicht spürt, nur Gottverlassenheit? Worte wie Dämon und Fluch drän-gen sich in meinen Geist, dabei bin ich Erlöster, Gesegneter des Herrn, Tempel des Heili-gen Geistes. Wie? Ich verstehe nichts von meinem Herzen und nichts von den Wegen des Herrn. Menschen ertrage ich heute nicht, denn sie verstehen mich ja doch nicht. Wenn ich mir selbst ein Rätsel bin, wie sollten mich da Menschen verstehen? Allein Gott erkennt mich. Aber was, wenn er nicht trösten will, sondern Leid bereiten? Aber glaube, meine Seele, dies Leid ist kein Fluch, dies Kreuz ist ein Segen der Gnade!
      Alexander Blok, Verse an die Schöne Dame, nachgedichtet. Das ist die selige Jungfrau. Ich denke dem in letzter Zeit sehr nach. Dichtete Spensers Hymne an die Himmlische Schönheit nach.

1.2.

Salomo wählte die Weisheit als Braut, eine Schwester wählte Jesus zum Bräutigam, und ich wähle Maria, die selige Jungfrau, zur Braut? Ist das Wahn oder Glaube?
      Es gibt eine Auslegung des Hohenliedes auf Maria und den Heiligen Geist. Maria ist eine keusche Sulamith, ein verschlossener Garten, ein versiegelter Brunnen, ja, aber ist dann auch ihr Schoß ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt? und hüpfen auch ihre Brüste wie Gazellen? und biegen sich auch ihre Schenkel wie Juwelenspangen?
      Die Kirche lobt Marias Glauben, wie Sara, Mutter, wie Ruth, Erlöste, wie Ester, Befrei-ung Bringende. Ich nun will allein ihre Schönheit, ihren Liebreiz besingen? Wie Sulamith, Geliebte, wie Rahel, Geliebte? Im Stammbaum Jesu stehen Tamar, Rahab, Ruth die Moa-biterin und Bathseba. Ist Maria sündlos gewesen? Hatte Jesus leibliche Brüder oder nur Vettern? Blieb Maria nach der Geburt Jesu Jungfrau? Als ich die Elegie um die Ver-schwundene schrieb, pries ich aus der Doxologie Mariens die reine Jungfrau, nicht die Mutter. Ich nahm Esther und Ruth und Sulamith, nicht die Stammutter Sara. Rahel die himmlische, Lea die irdische Liebe. Rahel gerühmt durch ihren Tod bei der Geburt Benja-mins bei Bethlehem. Ich bin Benjamin. Ist „Himmelskönigin“ nicht ein Titel der Aschera, vor deren Verehrung Jeremia warnt? Ist Maria mit Leib und Seele in den Himmel aufge-nommen worden?
      Dante nachgereimt. Francesca, Mathilde, Beatrice, Jungfrau Maria, Gott. - In der Jugend singt man Venus, in der Reife Maria, im Alter Gott.

2.2.

Mariä Lichtmeß. Suchte vergeblich Botticellis Madonna mit dem Granatapfel. Ein Autor zog über Botticelli und die Renaissance her, es sei eine Mischung aus Maria und Venus, Mythos und Christentum, das gleiche Modell diente zur Venus und zur Madonna, bei Bot-ticelli mit einem melancholischen Liebreiz (was mir doch so gut gefällt). Raffael war ein großer Liebhaber der Frauen, ohne sie konnte er nicht arbeiten.
      LeFort, Die Ewige Frau. Maria immerwährende Jungfrau, das Bild der Hingabe von Er-de, Kreatur, Weib und Kirche. Die nicht völlig verderbte Kreatur ist zur „Miterlösung“ aufgerufen, d.h. zur Hingabe an Gott, zum „mir geschehe nach des Herrn Willen“. In dem Sinne steht jede Bekehrung im Zeichen Mariens: Überwältigung, Überschattung durch den Geist, demütige Hingabe. Geburt des Logos im Herzen. Die Jungfrau spart sich ganz für die Hingabe an das Mysterium der Liebe auf: Antigone und Iphigenie, die germanische Seherin, Maria, die heiligen Jungfrauen. Jungfräulichkeit als Idee des ganz seinem Werk ergebenen Dichters (Priesters). Im Sichselbstaussagen des charismatischen oder berufenen Dichters schimmert über sein Ich-Sagen hinaus noch das Charisma, der Wille des berufen-den Schöpfers durch. Maria wird genannt „Mutter der schönen Liebe“, die Magd Gottes als Voraussetzung zur Königin des Himmels. In Maria ist die Entrückung, Verklärung des Gläubigen prophetisch vorweggenommen. Das Wesen der Frau ist ihr Schleier, Braut und Witwe und Nonne sind verschleiert. Alles andere ist Bloßstellung. Die Frau ist nicht zur Selbstverherrlichung, sondern zur Hingabe bestimmt. Die Mütter leben ihre Begabung nicht selbst, sondern schenken sie dem genialen Sohn. Marias Glorie ist nicht die einer selbstherrlichen Göttin, sondern sie wird überglänzt vom Sohn, der Gott ist, dessen Tochter sie ist. Doxologie Mariens geht in Lobpreis des Agnus Dei über. Weihnacht wurde an die Jungfrau Maria verkündigt, Ostern an Maria Magdalena. Der Schleier und die Krone der Regina Coeli ist Gottes Liebe, das Mysterium Caritatis. Die Musen waren Jungfrauen. Evas Abfall war nicht Sinnlichkeit oder ein Sinken zur Erde, sondern daß sie selbst wie Gott sein wollte, das heißt selbstherrlich und nicht mehr dem Ewigweiblichen gemäß Hingabe. Das hinanziehende Ewigweibliche führt zum Ewiggöttlichen. Selbst die sinnlich hingege-bene Frau ist Hingabe und damit marianisch. In gebrochenen Schatten deutet sich das Bild Mariens an, sie selbst aber ist die Sündlose, das unentweihte Ebenbild Gottes, die ungefal-lene Kreatur in ihrer völligen Hingabe an den Vater, den Herrn, überschattet und gesegnet vom Geist, überglänzt vom Sohn in seiner Glorie und seinen Todesleiden. Insofern Maria Mutter Christi in seinen Todesleiden ist, ist sie Mutter der Schmerzen, Mutter der Sterben-den und apokalyptische Madonna der sterbenden Erde. Noch wenn sie, mit Leib und Seele aufgenommen, von Christus im Himmel gekrönt wird, neigt sie sich demütig vor ihm. Der letzte Gesang der Göttlichen Komödie beginnt mit einer Anrufung der verherrlichten Maria und geht über in das Licht der Dreieinigkeit, das sie überglänzt, in welchem Licht das Ant-litz des Menschensohnes erscheint. Das letzte Wort ist: die Liebe. Was aber bedeutet die Verherrlichung der Frau, wenn sie nicht zur Selbstverherrlichung berufen ist? Dante gab sich Beatrice hin, die ihn zur Mystischen Rose führte, bis alles vom Licht Gottes über-strahlt wurde. Der Katholik wendet sich an Maria: Und führe uns zur Frucht deines Leibes, Jesus. Der Rosenkranz ist eine Meditation über das Evangelium der Erlösung. Die Doxolo-gie Mariens ist eine Reflexion der Heilsgeschichte. Sie ist die schöne Ruth und legt sich zu Füßen des Lösers. Virgo, sponsa, mater. Ist Maria mir - sponsa? Ist sie doch die sponsa des Heiligen Geistes. Maria ist virgo mater, Maria ist sponsa des Heiligen Geistes, den sie am Pfingsttag empfing, den Geist der Schöpfung und Geist der Liebe. Beatrice, Diotima, Frau von Stein: Geistige Hochzeit. Die Frau wird „erkannt“ als sich Hingebende. In ihr erkennt der Mann die andere Seite der Totalität, nur durch Erkenntnis der Totalität der göttlichen Schöpfung kann er den einigen Gott lobpreisen. Die Geliebte dichtet durch ihr Wesen mit, ist Mitschöpferin, Offenbarerin der anderen Welt, sie ist als Muse eigentlich Inspirrierende. Nur in Liebe kann der Dichter sie erkennen, er ringt so leidenschaftlich nach ihrer Wieder-liebe, weil sie mit ihrer Liebe und Hingabe ihm eine ganze Welt bringen würde. In diesem tieferen Sinn ist all mein leidenschaftliches Werben um die Geliebte ein Werben ums Ma-rianische. Die religiöse Freundschaft des Franz von Assissi mit der heiligen Klara, des Jo-hannes vom Kreuz mit der heilige Theresia von Avila. In der deutschen Geniezeit und in der ottonischen Zeit blühte die Kultur der Huldigung an das Weibliche. Allein streng Männliches ist unfruchtbar. Mysterium caritatis ist bei Dante wie bei Hoffmann, göttlich oder dämonisch, das gleiche Mysterium, die gleiche Totalität des Seins herstellend. Die Erkenntnis des Weiblichen ist abhängig von der Höhe des Schauenden wie des Geschauten. „Das Bild, das der schöpferische Mann von ihr hinstellt, es ist (in seiner Erhöhung, wie in seiner Erniedrigung) eben das Bild, das sie ihm darreicht!“ In der anonym mitschaffenden Frau erfährt der schaffende Mann, daß etwas Größeres eigentlich schafft, das Leben, oder Gott. Der Dichter ist empfangend wie eine Frau. Die Geliebte oder Muse verweist auf das über dem Dichter Stehende. Die Braut des Mannes (wenn auch nur ersehnte oder geistige Braut) ist auch Braut Christi. Maria weist hin auf Inkarnation, Golgatha, Himmelreich und Kirche.
      Die schönste Mater Dolorosa die ich sah, ist die Pieta Michelangelos, ganz die Anmut der Jungfrau. „Die sponsa, welche die virgo und die mater vor dem Antlitz des Mannes vertritt, sie vertritt auch vor ihm die virgo-mater, sie vertritt das Marientum in Leben und Werk des Mannes, sie stellt es als die eine Hälfte seiner Wirklichkeit dar.“
      Über die Kirche: „Denn die höchste Vernunft spricht ja nicht die dürre Sprache des blo-ßen Verstandes, sondern sie spricht die Sprache ihrer Mutter, der Liebe, welche der Anfang ist aller Dinge und darum auch der Anfang aller Erkenntnis.“ Die Fundamentalisten schla-gen mich mit Bibelsprüchen tot. Häresie ist einseitige Übertreibung, etwa Biblizismus.

3.2.

Im Geist bin ich Katholik, glaube an die heilige Eucharistie, die selige Jungfrau Maria, gehe gern in die Kirche wie nach Rom. Nur fürcht ich mich vor dem Schritt der förmlichen Konversion, da ich schon oft von Gemeinde zu Gemeinde wechselte, in die Kirche aber nur eintreten mag, wenn ich sie nicht nach zwei Jahren wieder verlasse. Der Protestantismus hat biblisches Wissen, die römische Kirche göttliche Weisheit. Fragte Maria, ob sie mir sponsa oder mater sein wolle. Verzehre das Sakrament sehr bewußt, es ist mir Speise der Seele, die mich wunderbar verwandelt.
      In diesen Tagen, wo ich sehr verliebt in Maria bin, fühl ich mich sehr versöhnt mit Gott. Ich nannte sie Madonna Minne. Die Kirche nennt sie Mutter der schönen Liebe, und die schöne Liebe ist Gottes Liebe in Jesus Christus.
      In protestantische Gemeinden kann man ein- und austreten. Die katholische Kirche ist ein heiliges Geheimnis, dem man sich nur ganz anvertrauen kann. Zur Zeit bin ich ihr sie liebendes Stiefkind; mit einem Fuß in und mit einem Fuß außerhalb ihres Tempels. Ich kann meinen Glauben nicht mit der Ratio aussagen und in kein deutliches Bekenntnis fas-sen. Den Nichtchristen kann ich nicht mehr dies oder das bekennen, ich will für sie nur ein „Medium“ der Liebe Gottes werden. Ihre Gotteslästerungen betrüben mich sehr, und ich bitte Gott, mir Liebe für sie zu schenken.
      Eine Kerze anzündend, wußte ich Maria nur zu sagen, daß ich sie liebe. O sponsa mea, virgo caritates! O Madonna der Minne, Mutter der schönen Liebe! LeFort schreibt, die See-le liebt Gott mit der Liebe, der Geist liebt Gott mit dem Gebet. Ich weiß nicht zu Maria zu beten, aber meine Seele liebt sie. Es ist ein mächtiger schöner Ausdruck ihrer heiligen Jungfrauschaft in mir und um mich.
      LeFort: „Ich wußte, was er meinte, denn zu ihm waren doch die Dinge sonst nur in der Scheingestalt der Dichtung gekommen: in der Dichtung, da hatten sie sich ausleben dürfen, wenn sie nur ihn selbst in Frieden ließen.“

4.2.

Die immerwährende Jungfrau ist die Idee der Schönheit, auch noch als Pieta, nicht zerris-senen Angesichtes, sondern die Schönheit einer bodenlosen Melancholie und Schicksalser-gebenheit. Sie als Gloriana, Jungfrau Königin, Urania Christi.
      Dante verherrlichte vor allem Beatrice, sie wies ihn durch Bernhard auf die Madonna, deren Gebet ihn Gott schauen ließ. Novalis’ Blaue Blume war Mathilde, aber die Madonna sprach zu ihm mit Mathildes Stimme. Petrarcas Lob der triumphierenden Laura mündete in das Lob Mariens und Christi. Sicher hatte Sophie Mereau für Clemens Brentano etwas Ma-rianisches. Sie war die Geliebte mit den Zügen seiner Mutter: virgo-mater als sponsa... Auch Spenser war auf protestantische Weise marianisch.
      Vor meiner Phantasie seh ich Maria, in deren Madonnenmantel ich eingehüllt bin, aber nicht allein ich, sondern der ganze nächtliche Kosmos. Ich sehe auch eine alte Kirche, in-nen dunkel, aber erfüllt von einem goldenen Glanz vieler Kerzen.
      Maria, du ewiges Weib, so gnädig, so sanft und süß, sei barmherzig mit einem Leiden-den, der dich liebt, einem lebensmüden! Erscheine in deiner vollen reinen himmlischen Schönheit, mit dem Liebreiz deines Angesichtes, winde mich in dein Haar und laß mich küssen deine Brüste. Laß meine Seele in dir aufgehen, mein ganzes sterbliches Sein in dei-nen Armen ruhen. Du wehst im weißen Schleier und weißen Gewande durch meine innere Landschaft. Deine Blicke sind so weich und voller Traum der Seele, zuhause ist deine See-le in der unsichtbaren Welt. Deine Augen sind wie das Meer, wie das Licht des Mondes. Den roten Mantel umgelegt, erscheinst du in deiner zarten Holdseligkeit, im Glauben von der Liebe Gottes redend. Du bist Braut des Heiligen Geistes, überwältigt vom Feuer des Charismas. Du bist mit betörend süßer Stimme Lobpreiserin Gottes, indem deine Seele über ihre Seligkeit in Gott jubelt. Du bist die Schmerzensreiche, die den Sohn anschaut am Kreuz und in deren Schoß der tote Christus niedergelegt wurde. Aber durch seine Aufer-stehung wurdest du in den Himmel entrückt, wo die Engel dich zu deinem Throne führten und Christus dir die Krone des ewigen Lebens aufsetzte. Von dort erscheine mit deiner jungfräulichen, bräutlichen und schwesterlich-mütterlichen Liebe dem dich Liebenden, erscheine überglänzt vom Glanz Gottes, und führe mich zu deinem Sohn, dem Sohne Got-tes, deines und meines Vaters.

5.2.

Mechthild von Magdeburg: Seele, willst du dich betten in Sankt Maria Magdalenas Liebes-tränen?

8.2.
      Theophanie.

      „Der Herr hat mir als Lohn eine neue Zunge gegeben, damit will ich ihn loben.“ (Jesus Sirach, 51,30)


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