[Inhalt]

DAS SELBSTLOB DER HAGIA SOPHIA

Von Peter Torstein Schwanke

„Sieh, wie die Augen der Magd schaun auf die Hände ihrer Fraue,
so schauen unsere Augen auf ICH BIN, die Gottheit!“
(Psalm)

„Höret MIR zu, ihr (...) die ihr von MIR im Leibe getragen werdet und MIR in der Mutter lieget!“
(Jesaja)



SELBSTLOB DER HAGIA SOPHIA


1

Mein Sohn, die Seele ist unsterblich, weißt
Du das, so flieht von dir das zage Bangen.
Gott hat in Ewigkeit in seinem Geist
Geliebt die Seele, die du dann empfangen.

Der Herr ist grenzenlos und ohne Schranken,
Die Wesen alle sind in Gottes Hand.
Gott hat in seinen ewigen Gedanken
Die Seele dein vor aller Zeit erkannt.

Gott nicht erkennt dein Seelchen, weil es ist
Geworden als Geschöpf in Wirklichkeit,
Die Seelen alle wurden, daß ihrs wißt,
Weil Gott erkannte sie in Ewigkeit.

Drum, liebe Seele, sei nicht mehr betrübt,
Sag zu der Seele Kummer: Geh nun, geh!
Du, Seele, bist von Ewigkeit geliebt,
Unsterblich du als göttliche Idee.

Geliebt von Gott, so brauchst du nicht zu bangen,
Die Liebe Gottes sei dein Seelenfrieden.
Nun wurdest du im Mutterschoß empfangen
Und lebst die ernste Prüfungszeit hienieden.


2

Wo lernst du Gottes Sapientia,
Sie, die allein besiegt des Teufels Übel?
Du lernst sie in der reinen Maid Torah,
Du lernst allein sie in der ganzen Bibel.

Was ist die Bibel denn als Gottes Wort,
Als Gottes Offenbarung, Gottes Namen?
Vor aller Schöpfung las der Herr schon dort
Vom lebensschöpferischen Weisheitssamen.

Die Bibel, die die Gottesweisheit feiert,
Die Weisheit, die Erlöserin von Sünden,
Die Bibel ist ein Mädchen, das verschleiert,
Du nun sollst ihr Geheimnis tief ergründen.

Du sollst die Jungfrau in den sieben Schleiern
Erforschen, ob du schaust ihr Angesicht,
Du sollst mit ihr den Namen Gottes feiern,
Gott Ich-bin-da preist dieses Weltgedicht.

Das Wort sei deine Speise an dem Morgen,
Die Weisheit deine Speise an dem Abend.
Wie Wein verscheucht die Weisheit alle Sorgen,
Wie Rotwein ist das Gotteswort erlabend.

Frau Weisheit, die im reinen Linnentuch
Verschleiert ist wie mit der Haut der Zwiebel,
Sie schläft gebettet in der Bücher Buch,
Sie wohnt in jedem Jota in der Bibel.

Wie Biblia sollst du den Namen nennen,
Ist jedes andre Buch nur wie ein Schatte,
Du sollst Frau Biblia als Mann erkennen
Und werden so der Gottesweisheit Gatte.


3

Wenn du dich Gott vereinigst im Gebet
Und opferst der Gebete Opferlamm,
Wirst du ein Gottesmann, der aufrecht steht,
Der Gottesweisheit freier Bräutigam.

Was will die Weisheit aber von dem Gatten?
Sie will ihn immer im Gebete freien,
Sie will, du sollst die Menschen, Gottes Schatten,
Stets im Gebete Gott dem Heiland weihen.

Die Liebe Gottes sollst du heiß beschwören,
Sollst sein ihr Pilger, barfuß, ohne Schuhe.
Frau Weisheit will dich immerdar betören,
Frau Weisheit sei dir deine Seelenruhe.

Frau Weisheit sei allein dein Seelenfrieden,
Sie, die dich auserwählt zum Beter, weil
Sie liebt dich sehr und will, daß du hienieden
Ihr Ritter seist um aller Seelen Heil.


4

So wisse, wessen Seele nicht bei Gott,
Wes Seele nicht bei Gott im Seelenfunken,
Der ist sich selber fremd, sich selbst ein Spott,
In Eitelkeit und Nichtigkeit versunken.

Wer nach vergänglich eitlen Dingen strebt,
Nach Ruhm und Schönheit oder Macht und Geld,
Ist tot in seiner Seele. Doch es lebt,
Wenn Gottes Geist herrscht in der Seelenwelt.

Wer in die eigne Seele steigt hinab
Und findet Gott im tiefsten Seelenkern,
Wird auferstehen aus dem Daseinsgrab
Und leben in der Liebe seines Herrn.

Wer seine Seele in dem Herrn versenkt
Und gibt die Seele hin an Gott den Herrn,
Dem wird von Gott die Seele erst geschenkt,
Die Seele mit dem Herrn im Seelenkern.

Drum Gott zu suchen in dem Innern wähle
Und du wirst nicht zuschanden und zuspott.
Die Gottheit ist die Seele deiner Seele,
Vergöttlicht deine Seele wird in Gott!


5

Wer mit der Weisheit Gottes sich vereinigt,
Der wird durch meine Liebe ewig leben
Und von der Liebe Feuersglut gereinigt
Hinan ins Paradies der Liebe schweben!

Die Seele lebt nur einmal ihre Frist
Und tritt vor Gott dann zu Gerichtes Spruch.
Die Seele, die der Weisheit inne ist,
Die steht geschrieben in des Lebens Buch.

In Ewigkeit war jede Seele, als
Idee, der Weisheit Gottes eingeboren.
Doch ging sie durch den Fluch des Sündenfalls
Im Jammer dieser Todeswelt verloren.

Wer aber Gottes Weisheit sich erlesen,
Daß er die Weisheit als der Seele Reim hat,
Aus Gnade kehrt er als erlöstes Wesen
In Gottes Mutterschoß, der Seele Heimat!


6

Was will die Hagia Sophia denn
Von ihren Minnern? Die Gelassenheit!
Sie sollen frei von den Geschaffenen
Anbeten nur das Herz der Ewigkeit!

Sie sollen nicht wie Götzendiener hassen
Den Schöpfer aller Erdenkreatur.
Sie sollen selig sein, im Geist gelassen
Verehren nur die göttliche Natur!

Gott sei allein ihr Trost in allem Leide,
Nichts nütze ist der Menschenkinder Trösten,
Gott ist allein in allem Leiden Freude,
Das Glück des Seelengipfels der Erlösten.

Ob du gepeinigt wirst an Leib und Seele
Und Satan zupft an deines Rockes Zipfel,
Erkenntnis deines Gottes nie dir fehle,
Der Geist frohlocke auf dem Seelengipfel!

Ob du auch gleich nur mit der Zähne Haut
Davonkommst, schauerlich Verwesung naht,
Frohlocke Gott dem Herrn als Seelenbraut
Und jauchze in dem Geist Magnifikat!


7

Doch mehr noch will Sophia, daß in Freuden
Du immer wieder einkehrst in den Herrn
Und dich verbirgst, wenn stürmen an die Leiden,
In deiner Gottesburg im Seelenkern.

Sechs Kammern hat die Seelenburg im Herzen,
Gebete öffnen dir die Pforten, bis
Die siebte Kammer, tiefer als die Schmerzen,
Dich bräutlich lockt in Gottes Finsternis.

Wenn du in Gottes Finsternis gedrungen
In deinem siebenten Gemach, die Nähe
Des Herrn erfährst du in Vereinigungen
Mit deiner Seele in der Gottes-Ehe.

Doch daß du in der Seele Brautgemach
Einkehren kannst, laß nimmer an dir haften
Den Zorn und die Begierde, diese, ach,
Verderblich sind dir diese Leidenschaften.


8

Wie in dem Mutterschoß die Kinder leben,
So leben die Glückseligen in Gott,
In Gott sie leben und in Gott sie weben,
So Gott ist ihre Mutter, ohne Spott.

Der Weise aber in der Andacht schaut,
Der Schriftgelehrte in dem Studium,
Frau Weisheit als die angetraute Braut,
In Liebe einig im Mysterium.

Dem Weisheitsfreunde Weisheit kommt von oben
Und macht sich offenbar intimer Nähe
Und führt ihn nach dem geistlichen Verloben
In die Vereinigung der Weisheits-Ehe.


9

Marien Kindlein auf Marien Schoß
Lehrt dich die Gottesfrömmigkeit hienieden.
Vertraue dich dem Kind Mariens bloß,
Dann wirst du finden deinen Seelenfrieden.

Du wirst dem Kind Mariens ähnlich, gleich,
Ein anderes Marienkind hienieden,
Du ruhst dann an Marien Brüsten reich,
Gestillter Säugling voller Seelenfrieden.


10

In deinem Hirn sind Sorgen, Ängste, Schmerzen,
Ist Drangsal, Trübsinn, wie das alles heißt.
Zieh du herab ins Herz in deinem Herzen,
Aus deinem Hirn ins Herz zieh deinen Geist.

Dann spüre du dein Herz lebendig pochen,
Fühl du den Puls, das Blut im Herzen spielen,
Die Pulse sind geflogen, sind gekrochen,
Du sollst den Herzschlag deines Lebens fühlen.

Dann aber sollst du mit dem Herzen beten,
Gleichgültig ob du faltest deine Hand,
Dein Herz allein soll mit dem Herzschlag reden,
Im Herzen bet zu Gott, nicht im Verstand.

Dann sollst du beten, aller Sorgen ledig,
Sollst beten mit dem Herzen, mit dem warmen:
O Jesus, sei mir armen Sünder gnädig,
Erweise mir dein himmlisches Erbarmen!

Du sollst mit deines Blutes Puls das Amen
In jedem Augenblicke beten, da
Soll beten an dein Herz den süßen Namen
Des Herrn, dein Herzschlag immer sage: Ja!

Wenn so dein Herz nur immer „Jesus“ betet,
Siehst Jesus du in jedem kleinen Kind,
In jeder Mutter, was sie immer redet,
Im Bambusbusch, im unsichtbaren Wind,

Dann hörst du Jesus in dem Priesterrat,
Dann spürst du Jesus in der Freundin Hilfe,
Dann fühlst du Jesus in des Christen Tat,
Dann hörst du Jesus rauschen in dem Schilfe,

Dann siehst du Jesus nachts in einem Stern,
Dann hörst du Jesus singen dir ein Lied,
Siehst Jesus in der Schönheit hoch und fern,
Beim Kinde, wenn es lachend an dich sieht,

Dann rauscht dir Jesus an dem Ahnengrab,
Dann schwebt vorüber Jesus in dem Falter,
Ist Jesus Öl, das dir die Kirche gab,
Ist Jesus Wunderschönheit in dem Psalter,

Denn Jesus ist dir Alles, ist der Eine,
Der Welten Schoß und Pilgerweg und Ziel,
Denn Jesus ist Sophia, ist die deine,
Ist Gottes Lieblingin im Liebesspiel!


11

Im Himmelreich ist eine Himmelsrose,
Dort angeordnet sind wie in Spiralen
Die Geister. Fern von ihrem süßen Schoße
Die Lauen sind, an äußern Sphärenschalen

Sie freuen sich, von fern nur zu betrachten
Den fernentrückten Glanz der Himmelsrose.
Die Weisen, die durch mystisches Umnachten
Gegangen sind, sind innig ihrem Schoße,

Die tiefer schon in ihre Schönheit blicken
Und schon des Nektars Süßigkeit genießen,
Sie leben ganz in seligem Entzücken
In süßen Rosengartenparadiesen.

Der Mystiker und Heilige, der große
Geopferte für Gott, am Kreuz gereinigt,
Verschmelzen wird dem Himmelsrosenschoße,
Zentralem Feuer Gottes ganz vereinigt!


12

Ja, Hagia Sophia ist mein Name,
Ich bin die Gottheit in der Transzendenz,
Ich bin als schöpferischer Weltensame
In allem Seienden in Immanenz.

Des Lebens Leben werde ich geheißen,
Der Seelenfunke bin ich aller Seelen,
In aller reinen Liebe Liebe preisen
Die Weisen mich, die mir sich anbefehlen.

Im ganzen Körper dieses Kosmos bin
Die Seele ich, die alles Leben schafft,
Zentrales Feuer und geheimer Sinn,
Ich halt das All zusamm durch meine Kraft!

Ich bin die Transzendenz und Immanenz,
Den Kosmos wirkte ich mir als mein Kleid,
Dem Seher ists ein Kleid von Transparenz,
Der Seher unverschleiert schaut die Maid!

Erleuchtet von der Weisheit, seiner Braut,
Weltseele schaut der Seher, bloß und nackt,
Der Gottheit Antlitz unverschleiert schaut
Der Seher, Gottheit voll Potenz und Akt!

Wem ich mich gebe also zu erkennen,
Der schaut mich als das absolute Sein,
Alleinheit, namenlos und nicht zu nennen,
Dann schweigend geht er ins Geheimnis ein...


13

Der Liebeszyklus in der Trinität,
Das Spiel der Liebe in dem höchsten Gut,
Umgibt die Seele, die in Gnaden steht,
Wie ewigschöner Liebe Meeresflut.

Die Seligen verströmen in der Liebe
Der zyklischen Vereinigung in Gott.
Die Seele im erlösten innern Triebe
Vereint sich mit der Liebe ohne Spott.

Die ewigschöne Liebe wird dich stillen,
Wie nie dich eine Kreatur gestillt.
Die Liebe strömt in dich und wird dich füllen,
All dein Verlangen ewig ist erfüllt.

Doch ist der Liebesfülle süße Sattheit
Und dieser ewigliche Liebeskuß
Nicht schwül wie diese Welt, daß du in Mattheit
Gehst von Befriedigung zu Überdruß,

Nein, dieser Liebeskuß, der Zierrat Zierde
Des Schoßes Gottes, wird dich herrlich fürsten,
Daß du in ewigschmachtender Begierde
Wirst ewig nach der Liebe Wonnen dürsten,

Begierig dürstend, aber ganz befriedigt,
Befriedigt und gestillt, und doch verschmachtend!
Die schöne Liebe keinen Geist erniedrigt,
Vergöttlicht Geister, sie mit Lust umnachtend!


14

Wenn einst die Göttinnen und Götter alle
Vergöttlicht werden durch der Gottheit Gnade,
Dann selig du als Götterseele walle
Zur unbefleckten Jungfrau, rein wie Jade.

Die Königin der Seligen und Geister
Regiert im Paradies das Himmelreich,
Dort leben Weise, Minner, Dichtermeister,
Vergöttlicht alle Seelen Christus-gleich.

Was immer sie auf Erden auch getrieben,
Das Gute finden sie im Himmel wieder.
Hier ist vollendet all ihr reines Lieben,
Hier tönen makellos der Liebe Lieder.

Die du auf Erden Christus-gleich gefunden,
Die findest du im Paradiese wieder.
Ihr seid in Gottesliebe tief verbunden,
Wie Glied an Glied, seid alle Christi Glieder.

Gott gibt dir schließlich einen weißen Stein,
Dir weiße Jade oder weißen Marmel,
Dort trägt der Herr den wahren Namen ein,
Den Ordensnamen in dem Himmels-Karmel.

Den neuen Namen kennt nur Gott allein
Und du allein, du hast ihn ja von Ihm,
Er wird dein Vater, du sein Sohn wirst sein,
Du nackte Seele mit dem Herrn intim!

Dann wird den Ewigen und dich verbinden
Geheimnisvoll, persönlich und intim,
Ein Eheglück, in welchem zu verschwinden
Ist deine höchste Wollust! Preis oh Ihm!


THEOSOPHISCHE SONETTE


1

Die edle Perle sollst du nur begehren!
Wenn du sie fandest in der Seele Bronne,
So liebst du mehr sie als das Licht der Sonne,
Weil schöner sie als Reichtum, Schönheit, Ehren.

Die Perle ist so schön wie die Madonne
Und wird allein der großen Trübsal wehren,
Sie führt dich siegreich aus dem Tal der Zähren
Und schenkt dir Hoffnung, Süßigkeit und Wonne.

Sie wandelt mit dir in das Totenreich,
Gebiert dich aus dem Totenreich ins Leben,
Dort tanzt sie dir in Ewigkeit den Tanz!

Sie ist die Gottesfreundin freudenreich,
Und wer sie hält, sie nimmer fortzugeben,
Des Haupt sie kränzt mit ihrem Jungfraunkranz!


2

Nun hoff ich auf die gottverheißne Lilie,
Die blühen soll im innern Himmelsraum
Als lichte Blüte an dem Lebensbaum,
Weiß wie die Perle, Luna der Vigilie.

Den Kindern in der heiligen Familie
Zuteil die Liebe wird wie Zaubertraum
In dem Immanuel, wenn jetzt auch kaum
Was anders ist zu sehn als Petersilie.

Wir sehen aber schon die Perle blühn,
Die Perle rosig, reinlich, adlig, edel,
Die in der Muschel reift im Meeresgrün.

Das immer nur die Perle dir verbliebe!
Zerbreche dir nur nicht die Stirn im Schädel!
Die Perle ruht allein im Schoß der Liebe!


3

Dein Leben ist die Gottespflanze pur,
Ist in Immanuel wie neugeboren,
Nun blühend an den Garten-Eden-Toren
Als innen liebevolle Kreatur.

Aus der Geburt der göttlichen Natur
Vom Herrn als seine Blüte auserkoren,
Im Garten Eden seliglich verloren,
Bist du der Gottheit Blumenmädchen nur.

Nicht für dich selbst bist du die Gottesblume!
Den Duft in Paradieses Heiligtume
Laß duften zu den irdischen Essenzen!

In deinem Duft die Kreaturen lenzen!
Umblüm die Kreaturen all, umblüm
Sie all mit dem liebreizenden Parfüm!


4

So tust du gut und handelst wahrlich weise,
Viel klüger als die Klugen dieser Welt:
Die Heimat schließlich in dem Himmelszelt
Begehrst du als das Ziel der schweren Reise!

Dein Bauch ist nicht dein Gott, nicht Gold dir Speise.
Du suchst allein als Ritter und als Held
Den Kranz, der nie von deinem Haupte fällt.
Sophias Krone sind die Sphärenkreise!

Wenn du erlangt hast ihren Jungfraunkranz
Und ihrer Liebesperle Freudenglanz,
Ist dies dir schöner als der Erde Gunst...

Von diesem Jungfraunkranz singt keine Kunst,
Sonst ich davon dir Süßes sagen wollt.
Genieße schweigend, ist die Maid dir hold!...


5

So wir als Kinder durch das Leben gehen
Und nicht mit unserm männlichen Verstand,
Begierig nur nach unsrer Gottheit Hand
Und ernst bestrebt, die Gottheit anzusehen,

Wenn wir vertrauen ohne Widerstreben
Und uns hingeben ohne Widerstand,
Dann kommt die Frau Sophia aus dem Land
Der Liebe, schwebend auf des Windes Wehen.

Sie bringt mehr Weisheit mit zu unterrichten
Als unser Grübeln, Sinnen, Trachten, Dichten,
Sie kommt allein mit himmlischer Vernunft,

Die sinkt wie Morgentau und brennt wie Brunft!
Und so erkenn ich in dem Feuertriebe
Geheimnisse der Gottheit – Menschenliebe!


6

Die Gottheit wird dir eine Pforte weisen,
Das Tor zur Minne im Mysterium,
Dort in der Hochzeit in dem Heiligtum
Wird dir die Krone von den Sphärenkreisen

Der Jungfrau Hochzeitskranz, der dir verheißen,
Der mehr als Eden und Elysium
Und Erde ist und Äther um und um.
Dort in dem Kranze steht der Stein der Weisen,

Der Stein der Weisen steht im Kranz der Maid.
Das ist der Urgrund aller Heimlichkeit,
Der Kranz der Weisheit, welche ist ein Weib

Von göttlicher Natur, der Kranz der Maid.
Das ist in Ewigkeit dein Flor und Kleid
Aus Licht um einen engelgleichen Leib...


7

Ich lebe in der schwachen Kindlichkeit
Immanuels und seiner Kinderwerke,
Das ist mein Spiel und meine Lust und Stärke,
Mir Zeit vertreiben in Einfältigkeit.

Da drinnen hab ich meine Freudigkeit,
Im Garten Eden ich mich selig berge,
Da kleine Blumen stehn wie liebe Zwerge,
Wie eine Elfe schwebt die Blütenmaid.

Mit ihnen will ich mich dieweil ergötzen
(Wie mit Frau Venus in den goldnen Netzen)
Und spiele mit den guten Geistern Fangen.

Bald will die Blume ich des Paradieses,
Des innerlichen Menschen Blume, dieses
Jungfräulein Edens selig mir erlangen.


8

Vom Zorn des Vaters zur Barmherzigkeit
In dem Immanuel fliehn alle Christen,
Durch ihn ausruhend an den Mutterbrüsten
Des Allerbarmens, immerdar bereit.

Ich will nur, was die Mutter will! Geweiht
Bin ich der Mutter ganz mit Leid und Lüsten,
In ihrem Schoß mein Leben nur zu fristen,
All meine Lust ist Mutter Ewigkeit!

Wenn ihr nicht werdet wie die kleinen Kinder,
Kommt ihr nicht in den Schoß der Mutter, Sünder!
Laß alles männliche Verstehen los,

Entbrenne nur in mystischer Ekstase,
Die Mutter dir den innern Menschen blase,
Getrieben wirst du in der Mutter Schoß.


9

Ich weiß, der Bräutigam hat seine Braut
Geraubt sich heimlich gleich dem Herzensdiebe,
Gerufen sie zum Abgrund seiner Liebe,
Wo sie mit heißen Tränen wird betaut!

Doch davor nicht der Braut und Jungfrau graut,
Sie weiß, sie wird in trauervoller Trübe
Gereinigt an dem nackten Seelentriebe
Und so dem Seelengatten angetraut! –

Das ist das Zeichen ja der Frau Sophie,
Nur so bezeichnet ihre Minner sie:
Nur auf dem Dornbusch blüht die Feuerrose!

Sei treu und fest die eheliche Liebe!
Sophie geliebt will sein im Feuertriebe,
In feuriger Begier die Makellose!


10

Aus der Geburt der göttlichen Natur
Geboren – neugeboren sind die Christen
Und saugen an der Mutter Gnadenbrüsten
Der Gottheit Gnadenmilch als Kinder nur!

Die göttliche Natur ist einzig pur!
Nur sie der Christen Kinderlippen küssten!
Wie Bräutigame zu der Liebe Lüsten –
Zum Mutterschoß will alle Kreatur!

Nun will ich ein Geheimnis dir verkünden,
Dir eine neue Weisheit Salomo:
Im Mutterschoß der Gottheit sollst du leben,

Im Mutterschoß bewegen dich und weben,
Im Mutterschoß der Gottheit sollst du gründen,
Geliebt sein als der Gottheit Embryo!


DAS EWIGWEIBLICHE


1

Das ist es, was die schöne Gotteswelt
Verbindet und im Inneren erfüllt,
Das Ewigweibliche, das Ebenbild
Der Liebe, die die Welt zusammenhält.

Allkönigin im lichten Himmelszelt
Ist Mutter unser in dem Himmel mild,
Die alle Welt mit Mutterliebe stillt,
Den Kosmos wie ein Kind am Busen hält.

Der Liebe Gottheit ist in meiner Schau
Urweiblichkeit, ich schau die Liebe an,
Urschöne Gottheit, unbeschreibliche!

Das Ewigweibliche in jeder Frau,
Das Ewigweibliche in jedem Mann
Die Liebe preist, die ewigweibliche!


2

Im Universum, in dem schönen All
Ist alles aus Vereinigung geworden,
Erotischer Befruchtung Überschwall
Ist Herrin in des Kosmos Minne-Orden.

Wie suchen sich der Süden und der Norden,
Das Meer Amerikas und Chinas Wall,
Der Sphären sang, der Nächte Echohall,
Im All der Liebe Kräfte überborden!

Das Ewigweibliche ist wie das Sammeln
Der Eros-Energie, der großen Kraft,
Ist ihre Hoheit, Reinheit und Verdichtung.

Das Ewigweibliche ist Leidenschaft,
Die lockt das All in Gottes Schoß. (Nur Stammeln
Vor Gottes Muse ist des Sehers Dichtung.)


3

Das Ewigweibliche ist Angesicht
Des Seienden, das Antlitz allen Seins,
Weltseele eines innigen Vereins,
In Sonne, Mond und Stern der Liebe Licht.

Allkünstlerin spricht sie das Weltgedicht,
Verzauberung des anmutreichen Scheins
Ausgießend auf die Welt. Das All ist eins
Mit ihr, der Ewigweiblichen, die spricht:

Durch mich gerät das Weltall in Bewegung,
Ich bin der Liebe innerste Erregung,
Ich stifte Freundschaft zwischen Kreaturen.

Reiz gieß der Welt ich ein als Zauberstrahl,
Schweb überm All, des Weltalls Ideal,
Bin Gott-Natur nichtgöttlichen Naturen.


4

Das Ewigweibliche den Weisen schafft.
Dem Weisen als dem angetrauten Gatten
Ist sie der bräutlich-mütterliche Schatten,
Das Mädchen an dem Anfang seiner Kraft,

Die Jungfrau, die der Jugend Lebenssaft
Erblühn läßt in der Träume Blumenmatten,
Die tiefe Sehnsucht eines Nimmersatten,
Die übergroße Macht der Leidenschaft.

Im Schauen der Natur (dem Weibe nackt
Und offen dem glückseligen Genuß)
Erfährt der Fromme in dem Geist befreiend

Den Wurzelgrund, den innigen Kontakt
Mit der All-Einheit, in den Wesen seiend,
Die Heimkehr in der Gottheit Uterus.


5

Von Horizont zu Horizont zu schauen,
Zu schauen an den Schauer in dem Wald,
Die Menschen anzuschauen, jung und alt,
Die Kinder anzuschauen und die Frauen,

Die Blüten und den Vogelsang der Auen,
Wenn die Zikade in dem Grün erschallt,
Wenn Echo wie ein Reim vom Berge hallt,
Das Glühen der Natur, das Morgengrauen –

Ich bin der eine wesentliche Strahl,
Der Schöpfung schafft, der Schöpfung Ideal,
Urschöne Gottheit Liebe, unbeschreiblich!

Der Mensch im Feuer seiner Leidenschaft
Die Schönheit schafft durch seiner Liebe Kraft,
Durch Eros‘ Glut zu Ihr, die ewigweiblich!


6

Dieweil der Zauber ihrer Illusion
Dem Mann zum Stoffe zieht mit List von Lüsten,
So ihre Hoheit zieht den weisen Christen
Als Mittlerin hinan zu Gottes Thron!

Befreierin zum Lichtglanz aus der Fron
Der Nacht ist sie den Weisen, welche küssten
Die Ewige, die an den großen Brüsten
Gebettet ruhen läßt den Gottessohn!

Der Gottheit Stimme durch die Jungfrau keusch
Zerreißt ja nicht die Bande mit dem Fleisch,
Die Mann und Weib vereinen im Geschlecht.

Wenn Jesus, Gottes Weisheit, Gottes Kraft,
Dich ruft, sei nur in deiner Menschheit echt,
Dann treibt zur Gottheit dich die Leidenschaft!


7

Zur reinen Jungfrau wird die ganze Welt,
In der nichts mehr als Gottheit für euch bleibt.
Zur Jungfrau euch der Gottheit Liebe treibt,
Sie liebte Gott bereits im Himmelszelt,

Gott seine Jungfrau in den Armen hält,
Bevor ein Dichter ihr von Minne schreibt,
Ein Freier liebte, wie er lebt und leibt,
Erotisch Gott zur Jungfrau überschwellt.

Gott hat als seine Weisheit sie empfangen,
Sie hat sein Herz verzaubert und betört,
Der Schöpfer warb, die Magd hat ihn erhört.

Gott brannte wie der Liebe Feuerschlangen,
Entflammt von ihrer Schönheit Reiz voll Reinheit,
Gott einigte sich ihrem Schoß zur Einheit!


8

Gott, um aus sich als Gott herauszugehen,
Er mußte wandeln auf dem Sehnsuchtspfade,
Das Ziel der Sehnsucht schuf sich selbst die Gnade,
Der Jungfrau Schönheit ewig anzusehen.

Gott kann der Jungfrau Reiz nicht widerstehen,
Der Feuersäule und der Bundeslade.
Er wollte, daß er in dem Meere bade
Der Schönheit, wollte in der Wolke wehen,

Der Wolke zwischen Gott und Mutter Erde,
Gott wollte, daß die Jungfrau Wolke werde,
Die Mutter Erde führend heim zu Gott!

Versteht ihr jetzt die glühende Erregung,
Wenn naht die Jungfrau liebender Bewegung,
In Liebe zu dem Odem im Schamott?


9

Sie ist das zarte Mitgefühl, der Reiz
Zur Heiligkeit, der ausgeht von der Frau,
So nah ist sie, wie sichtbar in dem Tau,
Als ob sie sichtbar sich im Garten spreiz,

Verborgen auch, fast geizig wie der Geiz,
Fern wie die Mutter Nacht, die Blume blau,
Fern wie der Urquell für das Morgengrau,
Dann wieder wie die Gottheit an dem Kreuz!

Wie Gott und Mutter Erde voll der Triebe
Des Eros lieben sich in freier Liebe,
Sie sich vereinigen in Leidenschaft!

Ich bin die Weisheit und ich bin die Kraft,
Wo Gott und Welt sind eins, die Christ-Sophia!

(Ich weihe meinen Minnesang Maria.)



DAS LIED VON DER PERLE


1

Als ich ein Mädchen war im Königreiche
Des goldnen Orients, die Ohnegleiche
Und Auserwählte meiner Mutter war,
Da war mir all ihr Reichtum offenbar,
Da sog ich Honigseim und Milch und Butter
Wie aus dem Götterbusen meiner Mutter,
Die große Mutter war im Morgenland!
Da hat mich meine Mutter ausgesandt,
Sie, die Geheimnisvolle, die Allweise,
Sie schickte mich auf eine Pilgerreise,
Sie sandte fort mich aus dem Orient,
Aus meiner Mutterheimat Element.
Vom Reichtum ihrer Kammer voller Schätze
Sie gab mir reiche Gaben: Goldne Netze
Von Gold aus Ofir, Lapislazuli
Aus Persien mit schriftlicher Magie
Und Diamanten aus dem Lande Kusch
Und einen rosigen Korallenbusch
Vom Stillen Meer und Muschelperlen auch,
Süßwasserperlen aus der Muscheln Bauch.
Und meine Mutter nahm mit sanfter Hand
Von meinem Leibe fort das Hauchgewand
Mit buntgewirkter Blumenstickerei
Und meinen blauen Mantel auch, der frei
Um mich geflossen wie des Äthers Ferne,
Da eingewoben Ordnungen der Sterne.
Die Mutter schloß mit mir nun einen Bund
Und schrieb ihn in mein Herz, in Herzensgrund,
Sie schrieb ihn ein in meines Herzens Krypten:
Mein Mädchen, wenn du wanderst nach Ägypten,
Um dir zu holen dort der Weisheit Perle
Aus tiefer See am Fuß der schwarzen Erle,
Wo in dem Wurzelwerk die Schlange zischt,
Wenn du erfolgreich also hast gefischt
Der Weisheit Perle in Ägyptenland,
Dann kleidet wieder dich dein Hauchgewand
Mit buntgewirkter Blumenstickerei
Und auch der himmelblaue Mantel frei
Wird wieder dich umfließen wie die Ferne
Des Äthers mit den Ordnungen der Sterne.
Dann sollst du, o mein Mädchen, wenn ich sterbe,
Die Königin des Ostens sein, mein Erbe.


2

So stieg ich nieder aus dem Orient.
Im Rücken mir die Morgenröte brennt,
Aurora streute Rosen von den Stengeln,
Da ging ich meines Weges mit den Engeln.
Der Weg war voll Gefahr und Schwierigkeit,
Und ich war jung, noch eine zarte Maid.
So kam ich auf der Pilgerstraße Bahnen
Zu dem Oasenhain der Karawanen.
Kaufleute tränkten durstige Kamele
Am Quell, auch ich erfrischte meine Seele.
Dann zog ich weiter unterm Orion
Und den Plejaden, kam nach Babylon,
Trat durch das goldne Löwentor von Babel,
Der Götter Pforte oder Ischtars Nabel.
Ich trat als junges Mädchen sanft und zart
An Uruks Mauer rings um Uruk-Gart
Und sah den Göttertempel von Eanna,
Das Haus der Himmelskönigin Inanna.


3

Doch schließlich kam ich in das Land Ägypten,
Wo Götter in den Pyramidenkrypten
Als Mumien der Auferstehung harrten,
Der Auferstehung in der Isis Garten.
Als ich am Nil, beim Lotus auf den Stengeln,
Zur Sonne rief, ward ich von meinen Engeln
Verlassen. Schamrot war auf meiner Wange.
Ich ging zum heimlichen Revier der Schlange,
Zu jener düstern Höhle, dunklen Grotte,
Wo sie verehrt ward ähnlich einem Gotte.
Vor jener Grotte ließ ich still mich nieder,
Entspannte meine wandermüden Glieder
Und wartete, bis müd die Schlange schlafe.
Der Hirt des Mondes und die Sternenschafe
Beleuchteten die Nacht, das Dunkel tief,
Als ich gewartet, bis die Schlange schlief.
Als ich um Mitternacht im Mondenschein
War wie ein Waisenkind im All allein,
Da nahte mir ein schöner Knabe, weiland
Er lebte auch im Orient, mein Heiland
War er mit dem Rubin von einem Mund,
Als er mich küsste. Er schloß einen Bund
Mit mir und ward mein Liebling und Gefährte.
Ich war nicht mehr allein auf dieser Erde.


4

Ich warnte ihn vor den Ägyptern, die
Verschrieben sich den Geistern der Magie.
Ich aber anzog in Ägyptenland
Ägyptens transparentes Reizgewand,
Daß kein Ägypter schöpfe je Verdacht,
Woher dies Mädchen sei, daß in der Nacht
Dort einsam stehe, wo die Schlangen zischen.
Daß nichts ich als der Weisheit Perle fischen
Wollt in Ägypten, sollte keiner merken,
Daß die Ägypter nicht mit Zauberstärken
Die böse Schlange gegen mich erweckten.
Aus irgendeinem Grunde doch entdeckten
Die Leute, daß ich eine Fremde sei.
Mit Lockungen und Listen gleich dabei
Verlockten mich die Leute von Ägypten,
Zu huldigen der Isis vor den Krypten.
Und ich vergaß durch solchen Zauber gar,
Daß ich der Königin Prinzessin war.
Ich diente nun den Göttinnen und Göttern
Mit Narren, Frevlern, Lästerern und Spöttern.
Und ich vergaß der Weisheit Perle ganz
Und ihren magisch mysteriösen Glanz,
Nach der die Mutter aus dem Heimatland
In diese fernen Länder mich gesandt.
Und durch der Isis große Zaubermacht
Sank ich in tiefen Zauberschlaf der Nacht.


5

Doch alles, was mir widerfahren ist,
Der großen Ishtar und der Herrin Isis List,
Das hörte meine Mutter in der Heimat,
Die für ihr Mädchen einen Rat und Reim hat.
Die Mutter litt um mich mit Herzeleiden,
Ließ Boten durch die Fürstentümer schreiten,
Ließ Fürstentümer kommen, Throne, Mächte.
Die Herrlichkeiten gingen durch die Nächte
Zu meiner Mutter marmornen Palast,
War jeder Fürst ihr Diener und ihr Gast.
Herrschaften standen alle Wacht und Posten
Vor meiner Mutter, Königin von Osten.
Und meine große Mutter mit den Weisen,
Die mit ihr trinken Wein, die mit ihr speisen,
Die große Herrscherin mit ihrem Staat,
Ersonnen haben sie mir Trost und Rat,
Mir Trost und Rat in ihrer treuen Liebe,
Daß ich nicht länger in Ägypten bliebe.
So meine Mutter hat mit ihren Lieben
Mir ihrer Botschaft Liebesbrief geschrieben,
Den alle Edlen unterschrieben haben,
Die Fürsten mit der Weisheit Geistesgaben:
Von deiner Mutter, die total dich kennt,
Der großen Mutterkönigin von Orient,
An ihr geliebtes Mädchen, ihre Malve:
Der Friede sei mit dir, mein Mädchen, Salve!
Erwache, stehe auf von deinem Schlafe,
Sonst kommt zu dir des Todesschlafes Strafe.
Hör auf die Botschaft meines Liebesbriefes,
Mein Wort der Liebe wahrlich ist ein tiefes:
Ich möchte, daß mein Mädchen nie vergißt,
Daß sie der Königin Prinzessin ist!
In welche Sklaverei bist du geraten
Im Westen dort in den Dämonenstaaten?
Erinnre dich der Weisheit Perle doch,
Die du zu suchen in dem tiefen Loch
Von deinem mütterlichen Heimatland
Ins Fremde der Verbannung warst gesandt.
Erinnre dich an die gehauchte Seide
Und reinen Flor, du meine Augenweide,
Und an den blauen Mantel mit den Sternen,
Der leuchtend floß wie lichte Ätherfernen,
Mit dem du wieder werden sollst bekleidet.
Ach wüsstest du, wie deine Mutter leidet,
Gedenkt sie ihrer Einzigen und Lieben!
Doch stehst im Buch des Lebens du geschrieben,
Auf daß du Erbin, die ihr Erbe fand,
Einst seist im mütterlichen Morgenland!


6

Der Brief der Mutter ist ein Brief geflügelt
Und mit dem roten Siegellack gesiegelt
Und nur bestimmt den Augen ihres Kindes,
Nicht den Dämonen düstern Labyrinthes
Und wilden Babyloniern in der Wüste.
Der Brief, mit dem die Mutter lieblich grüßte,
Er flog als wie ein Adler, wie ein Aar,
Der aller Himmelsvögel König war,
Flog droben, kam zu mir herab von dort
Und wurde Rede ganz, der Liebe Wort.
Bei seiner Stimme aber, seinem Klang,
Da fuhr ich auf vom Schlaf, noch etwas bang,
Da küsste ich des Briefes Adlerflügel,
Erbrach das heißgeschmolzne Scharlachsiegel
Und las im Liebesbrief den ganzen Morgen.
Sein Inhalt, meiner Mutter Muttersorgen,
Sein Inhalt stimmte mit dem überein,
Was stand geschrieben in dem Herzen mein.
Gleich kam mir wieder die Erinnerung,
Daß ich der Königin Prinzessin jung,
Und meine Herkunft, neu mir offenbart,
Verlangte nach der ihr gemäßen Art.
Auch ich gedachte wieder an die Perle.
Nur darum sahen mich Ägyptens Kerle,
Weil ich der Mutter schwor einst in Gelübden,
Der Weisheit Perle in dem Land Ägypten
Zu fischen aus dem Meer. Und da begann
Ich mit geheimnisvollem Zauberbann
Die Schlange in dem Wasserloch zu bannen.
Die Verse mir von meinen Lippen rannen,
Ein jeder Vers voll Zauber, daß ich siege,
Die schlimme Schlange ganz in Schlummer wiege,
Mit magischem Gesang die Schlange bannte,
Indem ich meiner Mutter Namen nannte.
Das wird der Schlange ja ihr Leben kosten,
Der Name meiner Königin von Osten.
Und da ich sprach den Namen – Mariam –
Ich süßer Weisheit Perle an mich nahm.


7

Nun wollte ich mich wieder heimwärts schwingen,
Die Perle meiner Königin zu bringen.
Zurück ließ ich das lüsterne Gewand,
Das transparente, in Ägyptenland.
Von Pfosten eilte ich den Weg zu Pfosten
Zu meiner Mutterheimat heim im Osten,
Zu meiner Heimat in dem Morgenlicht,
Zu meiner Mutter liebem Angesicht!
Und meinen Brief mit meiner Mutter Segen,
Den fand ich vor mir schon auf allen Wegen.
Der mich erweckt, wie meine Mutter spricht,
Er führte mich mit seinem Strahl von Licht.
Das Briefpapier war süß und sanft wie Seide,
Die Worte drauf wie eine Augenweide,
Ein jedes Wort Magie und Zauberbann,
So leuchtete der Brief mir licht voran.
Mit seinem Wort und seiner Führung Heile
Er machte neu mir Mut zu rascher Eile.
Die Liebe führte mich und zog mich lieber!
So kam ich an dem Labyrinth vorüber,
Ließ Babylon zu meiner Linken liegen
Und kam dahin, wo sich Kamele wiegen,
Die Wüstenschiffe großer Karawanen,
Die Seide handeln mit den Hindostanen.
Und siehe da, den Hauch von Lichtgewand
Der Heimat ich in der Oase fand
Und dort auch bei der Karawanen Handel
Den feinen himmelblauen Sternenmantel.
Die Kleider waren aus dem Morgenland
Entgegen von der Mutter mir gesandt
Durch einen Abgesandten, dem sie traute,
Auf dessen treue Dienste fest sie baute,
Schatzmeister ihrer Gnadenschätze er,
Der mir begegnet in der Wüste Meer.


8

Inzwischeen aber hatte ich vergessen
Den Glanz des Hauches um des Leibes Blässen
Und auch die Herrlichkeit des Mantels blau,
Die ich einst trug als Mädchen. Aber Frau
War ich nun in der langen Zeit geworden,
Gereifte Frau nun in der Weisheit Orden.
Als ich nun sah den Hauch von Lichstoff mild,
Schien mir die Gaze wie mein Spiegelbild.
Ich sah es in mir leuchten immer lieber
Und stand ihm doch als Schwester gegenüber.
Zwei Wesen schienen wir und wie geschieden,
Doch Eine Seele nur voll Seelenfrieden.
Und auch den Meister aller Gnadenschätze
Sah doppelt ich (daß ich mich nicht entsetze),
Die beiden Meister trugen Engelsflügel,
In Händen meiner Mutter Herrschaftssiegel,
In ihren Händen lag mein guter Schatz.
Sie gaben mir an dem Oasenplatz
Das Hauchgewand, geziert mit feinem Flor,
Und eine Perle für mein Muschelohr,
Und zu dem geistgewebten Hauchgewand
Mir Diademe ganz von Diamant
Und zu dem Hauch und Flor von Schleier hold
Für meine Haarflut Spangen auch von Gold.
Auf eines Silbertalismanes Zier
Sah ich das Bild der Mutter von Saphir.


9

Da sprach mein Hauchgewand von wahrer Gnosis:
Ich bin die Ganzhingabe zur Theosis!...
Ich bin Gerechtigkeit, aus Gnade gnädig,
Wie sie erwirkt im Liebestod mein König. –
Da merkte ich, wie mich der Hauch umwallt,
Liebreizender ward meine Lichtgestalt,
Und mit dem geistgehauchten Äthertaft
Wuchs meines lichten Leibes Liebeskraft!
Mit einer wahrhaft herrlichen Bewegung
Ergoß es sich erotischer Erregung
Um meinen gnädig heimgesuchten Leib.
Glückselig war ich wie einst Edens Weib!
Geziert war ich mit keuscher Blüte Flor.
Da schwebte ich hinan zum Sphärenchor
Der Fürstentümer und ging ein und aus
In meiner königlichen Mutter Haus
Und ehrte meiner großen Mutter Glanz
Mit Schwung des Beckens in dem Sphärentanz!
Und meiner königlichen Mutter Glast
Mich an der Perlenpforte zum Palast
Empfing, Erlöste unter den Erlösten,
Die Allerkleinste bei den Allergrößten.
Sie freute sich in ihrem Muttertume,
Daß ich als Frau in ihrem Königtume
Nun angekommen war, wo alles preist
Die große Mutter in der Liebe Geist!
Die Mutter aber heimlich mir verhieß,
Ich werde nun im Liebesparadies
Als Paradiesesnymphe Morgenstern
Vereinigen mich mystisch meinem HERRN!




SELBSTLOB UNSERER LIEBEN FRAU MORIA


1

Frau Torheit spricht: Soll rufen ich die Musen,
Mit ihnen recht zu knutschen und zu schmusen?
Soll ich den Theologen der Sorbonne
Als Geist beschwören zu Disputes Wonne?
Ich bin ja wohl die Meisterin der Diebe,
Was immer auch ein Theologe schriebe
Und je ein frommer Theosoph geglaubt,
Das hab ich all zusammen mir geraubt!
So las ich in der Predigt Salomos:
Der Toren Zahl ist wahrlich grenzenlos!
Auch Jeremia sprach in frommer Leisheit:
Zum Toren jeder wird durch seine Weisheit!
Gott ist allein die Weisheit von Natur,
Doch Torheit ist das Teil der Kreatur.
Drum bild dir nichts auf deine Weisheit ein,
Du überkluges Menschenkindlein klein.
Was soll der Mensch sich nicht der Weisheit rühmen,
Was soll dem Menschen nicht der Selbstruhm ziemen?
Kein Mensch ward von der Milch der Weisheit satt,
Kein Mensch die Weisheit je gesehen hat.
Ist alles Eitelkeit der Eitelkeiten,
Ist alles Nichtigkeit der Nichtigkeiten,
Die Sonne Gottes über unserm Scheitel -
Doch unterm Mond ist alles eitel, eitel.
Das Leben ist, sagt Salomo, der Vater,
Der Torheit tragikomisches Theater.
Sprach Cicero, begeistert von Apoll:
Die ganze Welt ist doch der Torheit voll!
Der Tor ist wetterwendisch wie der Mond,
Der mal im Licht und mal im Dunkel thront,
Der Weise ist beständig wie die Sonne,
Doch solche Dauer ist nur Gottes Wonne,
Beständig wie die Sonne ist der Weise,
Und das gereicht nur Gott zu Lob und Preise.
Auch Christus sagt: Gott ist alleine gut.
Die Weisheit, heißt es, ist das höchste Gut,
Wenn Weisheit ist das höchste Absolute,
Ist Gott allein die Weisheit und das Gute.
Gott ist die Weisheit. Aber alle Leute
Nur an der Torheit haben ihre Freude.
Der Torheit Leben bringt allein Genuß,
Frau Torheit nur besitzt den süßen Kuß.
Wer aber Wissen sammelt mit dem Herzen,
Wird Weh erleiden, viele wehe Schmerzen,
Nachdenken bringt nur großes Ärgernis,
Die Weisen sind voll Gram und Bitternis.
Im Herz der Weisen wohnt die Traurigkeit,
Im Herz der Toren wohnt die Fröhlichkeit.
So sprach auch Salomo, der Genius,
Die Weisheit brachte nichts ihm als Verdruß,
Er wär vor lauter Überdruß verloren,
Wenn sie nicht wären, seine kleinen Toren...
So Salomo gab hin sein Herz, um Wissen
Zu lernen, die Vernunft nicht zu vermissen,
Es sollt sich ihm der Irrtum offenbaren,
Frau Torheit wollte er zuletzt erfahren,
Erfahren wie so gut Frau Torheit tut.
Ist Torheit Salomonis höchstes Gut?
Die er gesucht noch über die Frau Wahrheit,
Fürwahr sein höchstes Gut ist sie, die Narrheit!


2

Wie willig doch ertragt ihr alle Toren,
Vor allem aber Paulus auserkoren!
Es sprach der Kenntnisreichste unter Kennern,
Sprach Paulus: Ich bin närrisch unter Männern,
Der größte Narr, das ist gewißlich wahr,
Im Kreis der Närrischen der größte Narr!
Und wenn sich schon die eitlen Toren preisen
Und halten sich für Weiseste der Weisen,
So preist sich der Apostel auch gar sehr
Und spricht: An Torheit ich vermag noch mehr!
Das war doch des Apostels höchstes Hoffen:
An Torheit und an Wahn unübertroffen
Zu sein, durch Gottes Gnade auserkoren,
Zu sein der Allertörichste der Toren!
Spricht Paulus: Nehmt mich hin als einen Narren!
Ihr sollt es nicht wie Christi Wort erharren,
Was ich euch sage, so als sei es Wahrheit,
Vielmehr ich rede als ein Narr von Narrheit!
Uns, die wir Toren sind um Christi willen,
Uns kann nur Muttermilch der Torheit stillen.
Dünkt einer weise sich in Christi Herde,
Er werde Tor, auf daß er weise werde.
Ja, Paulus spricht: Was töricht ist bei Gott,
Ist weiser als der Menschenweisheit Spott!
So spricht der Christus selbst im Psalm die Wahrheit:
Mein Vater, du allein kennst meine Narrheit!
Verachtet Christus nicht die Klugen klüglich,
Nennt allen männlichen Verstand betrüglich
Und spricht, der Menschenweisheit Überwinder,
Daß ihn verstehen Frauen, kleine Kinder?
Spricht Paulus: Nicht die Weisen dieser Welt –
Unmündige hat Christus auserwählt!
Gott wollte diese Welt von allem Bösen
Vor allem durch der Torheit Kreuz erlösen.
Die kluge Menschenwelt mit ihren Sünden,
Die Menschenweisheit konnte nicht begründen
Das Reich des Himmels, Gottes Königreich.
Die Torheit schaffte das auf einen Streich.
Gott macht zunichte ja der Weisen Weisheit,
Verstummen muß der Klugen Sinn in Leisheit.
Das göttliche Geheimnis, Gottes Wahrheit,
Wird offenbart den Kleinen voller Narrheit,
Unmündigen und Säuglingen und Kindern,
Nicht Philosophen und weltweisen Sündern.
Verachtet Christus doch die Schriftgelehrten,
All die Studierten, die Gesetze lehrten,
Verachtet Christus doch die weltlich Weisen.
Die Frauen und die frommen Kinder speisen
Der Torheit Manna unter dieser Sonne,
Zumeist die Kinder sind doch Christi Wonne!...
Die klugen Füchse, die ereilt die Strafe,
Auch kluge Schlangen. Geistig arme Schafe
Vor allem liebt der Seelenbräutigam,
Der nennt sich selbst in Einfalt Gottes Lamm.
Sind alle Menschen töricht, ausgenommen
Von allgemeiner Torheit nicht die Frommen.
Ist Christus, Gottes Weisheit, Gottes Narrheit,
Nicht auch die Torheit Gottes, Gottes Narrheit?
Weil Gottes Weisheit selbst, Gott eingeboren,
Zu uns gekommen in Gestalt des Toren,
Daß er die Sünder, Übeltäter, Bösen
Durch seine eigne Torheit zu erlösen
Von ihrer Torheit töricht starb am Holz,
Ein Wurm und nicht ein weiser Denker stolz?
Was sprach zum Vater Christus an dem Kreuz?
Wenn ich am Kreuze meine Glieder spreiz,
Vergib den Menschenkindern, denn in Wahrheit,
Sie fehlten nicht aus Bosheit, sondern Narrheit!


3

Wohlan, die Seligkeit der wahren Christen,
Gesogen wird sie aus der Torheit Brüsten!
Die Seligkeit der Paradiesbeglückten
Ist Glück von reinen Toren und Verrückten!
Ich rede mit Beredsamkeit wie Cato,
Daß wahre Christen glauben auch wie Plato,
Die Seelen in den Leibern als Spelunken
Versunken seien, Geist in Fleisch versunken,
Der Leib sei Fessel und Verließ und Grab.
Die Seele aber ein Begehren hab,
Die Wahrheit anzuschauen, zu genießen,
Die nackte Wahrheit in den Paradiesen!
Die Philosophie ist darum wie ein Tod,
Der Geist verläßt des Fleisches Erdennot
Und wendet sich den unsichtbaren Dingen
Des Himmels zu, den Sphären, die da singen,
Den unsichtbaren ewigen Ideen,
Die Ur-Idee der Schönheit anzusehen!
Ist nun die Seele in dem Leibe drinnen,
So sagt man auch: Die Seele ist bei Sinnen.
Ist aber erst der Geist dem Fleisch entronnen,
So redet man: Der Mensch ist unbesonnen.
Fiel nun die Seele eine Krankheit an,
So spricht man von Verrücktheit und von Wahn.
Wahnsinnige sind oftmals auch Propheten,
Verrückte oft begeisterte Poeten,
Die Idioten beten oft in Zungen,
Fallsüchtige sind oft zu Gott gedrungen.
So jede Seele, die der Wahnsinn liebt –
Geheimer Schauer Gottes sie umgibt.
Sobald der Geist von seinem Fleische frei,
Ist ihm, als ob er schon im Himmel sei.
Desgleichen Menschen in der Sterbestunde
Oft künden Wahrheit mit Prophetenmunde.
Wie sind verrückt nun erst die Philosophen!
Sie spotten über das Geschwätz der Zofen.
Die Zofen schaun nur Schatten in der Höhle,
Das Urlicht schaut des Philosophen Seele.
Der Weise nun die Närrischen bedauert
Und über arme Schattengucker trauert.
Die Narren, die gefangen sind vom Drachen,
Sind stets bereit, den Weisen auszulachen.
Der Weise vor den Narren wird verstummen,
Doch mit Gelächter lachen aus die Dummen
Den Weisen, den Erleuchteten, der blickte
In Gottes Licht. Man spottet: Der Verrückte!
Die armen Narren schauen Dinge, Stoffe,
Der Weise auf das Unsichtbare hoffe,
Aufs unsichtbare, geistig-ideale
Einfältige in Gottes Himmelssaale.
Der Weise, der nur Gott die Ehre gibt,
Als reiner Tor die Einfalt Gottes liebt!
Das selige Entzücken der Entzückten
Ist so wie die Verrücktheit der Verrückten.
Schon Platon nennt die Liebe einen Wahn:
Der Liebende schaut die Geliebte an
Und flüchtet aus der eignen Seele sein
Und geht in der Geliebten Seele ein
Und ist nicht mehr er selbst, er ist nun sie!
Je weiter er nun vor sich selber flieh,
Je mehr er in der reizendsten Madonne
Verschwindet, um so süßer seine Wonne!
Je heißer in des Liebevollen Brust
Ist seiner Ganzhingabe Liebeslust,
Je mehr wird er in trunkenen Ekstasen
Wie ein Besessener im Wahnsinn rasen!
Er ist verrückt nach der Geliebten süß!
Wie ist der Wahnsinn erst im Paradies!
In Ewigkeit der Geist wird in den Sphären
Des Fleisches nackte Sterblichkeit verzehren,
Der Geist wird aber voll des Lichtes Blinken
Im Urlicht seiner Gottheit ganz versinken!
Wenn so der Menschengeist versunken ist,
Wenn sich der Geist des Menschen ganz vergißt
In seiner Gottheit Liebe voller Lust,
Dann trägt der Mensch den Wahnsinn in der Brust,
Es reißt ihn in der Gottesliebe Wahn
Von Seligkeit zu Seligkeit hinan,
Er taumelt selig und besinnungslos
Wahnsinnig liebend in der Gottheit Schoß!

Hallelujah!


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