[Inhalt]

DAS FEMININE ANTLITZ GOTTES

Von Peter Torstein Schwanke



MARIEN-MÄRCHEN


1

DIE LEGENDE VON MARIA APHRODITISSA VON ZYPERN

In Zypern wars, bei Paphos, am Strande von Petra tou Romiou, das eines Nachts die Fischer auf dem Meer ein Licht sahen, das wallte auf dem Meer. Sie konnten sich nicht erklären, was das sei, da sind sie in ein Fischerboot gestiegen und zum Licht hinausgerudert. Als sie in die Nähe des Lichtes kamen, sahen sie, daß es eine Ikone war, eine lebensgroße Gestalt der Jungfrau Maria Aphroditissa abbildend. Sie stand in ihrer schlanken jungfräulichen Leiblichkeit aufrecht da, voll Grazie, in einem schneeweißen Seidenkleid, von ihrem Haupte floß ein feuerfarbener Schleier herab und fiel auf ihre Brust und endete an ihren Lenden. Ihre bloßen schmalen Füße standen auf einem Sichelmond, der wie eine Muschel sie als ihr Thron trug. Ihre bloßen Füße schienen fast den Meeresschaum zu berühren. Ihr Antlitz war von unglaublich entzückender Lieblichkeit. Die Ikone lag nicht flach auf dem Wasser, sondern wandelt aufrecht über das Mittelmeer. Die Fischer wollten die Madonna in ihr Boot heben, aber die Jungfrau Aphroditissa wandelte immer vor ihnen her und wanderte über das Meer an den Strand von Paphos-Ktima, wo die Ikone aufrecht zwischen den Muscheln des Strandes stand, und der Meeresschaum rollte zu den bloßen Füßen der Panhagia Aphroditissa. Der Mönch Petros Kyknos dankte dem Himmel und nahm die Ikone der Königin der Schönen Liebe und brachte sie in die Gnadenkapelle von Kouklia, wo er sie aufstellte zur Verehrung der Gläubigen.
        Einige Zeit später kam ein Fanatiker, ein islamistischer Fundamentalist, der einen besonderen Haß auf christliche Gottesbilder und Heiligenbilder hatte und ganz besonders die Ikone der Jungfrau Aphroditissa hasste, in die Kapelle Unserer Lieben Frau von Zypern zu Kouklia, und verwundete die Jungfrau mit einem Säbel, indem er ihr Wunden an der Wange anbrachte. Als er die Wange der seligen Jungfrau verletzte, floß Blut aus der Wange heraus. Der Arm des Fundamentalisten war aber auf der Stelle gelähmt. In seinem fanatischen Zorn schwor er, die Ikone zu zerhacken und zu verbrennen, und ist zu seinen Soldaten in das Lager gegangen, sie aufzuwiegeln gegen die Königin der Liebe.
        Als der Soldat voll Haß die duftende Kirche verlassen hatte, sprach die Ikone der Jungfrau zu dem zypriotischen Mädchen Marion Metanoia von Kouklia, die betend still in der Kirche gekniet hatte. Da sprach die Panhagia Aphroditissa zu dem Mädchen Marion Metanoia: Liebes Kind, trage mich fort, damit die Fundamentalisten mir nichts antun können!
        Marion nahm ehrfurchtsvoll die Ikone der Himmelskönigin und barg sie unter ihrem Mantel und trug sie durch die Gassen des Dorfes. Ihr war, als würde die Ikone sie führen. Und obwohl sie aus Angst sehr schnell gelaufen war, spürte sie keine Erschöpfung.
        Als sie außerhalb des Dorfes war, hörte sie einen großen Lärm. Denn die islamistischen Fundamentalisten hatten aus Zorn, die Ikone der Jungfrau nicht zerstören zu können, die Kirche der Panhagia Aphroditissa angezündet und verbrannt. Das Mädchen Marion Metanoia aber lief unter der geistigen Führung der Ikone Unserer Lieben Frau die Berge des Olymposgebirges hinan und kam zum höchsten Gipfel, wo ein stilles einsames Kloster stand. Da sprach die Panhagia Aphroditissa zum Mädchen Marion: Mein liebes Kind, trage du mich in die Kapelle des Klosters auf dem Gipfel des Olymp, denn hier werde ich sicher wohnen. Und Marion tat so, wie Maria gesagt.
        Als die Ikone in der Kapelle des Klosters auf dem Gipfel des Olymp aufgestellt war, sprach Maria Aphrodtitissa zu Marion Metanoia: Nun trockne mit deinem Schleier mir das Blut vom Antlitz ab, damit mein heiliges Antlitz wieder makellos und rein ist. Da nahm Marion ihren Schleier und wischte das Blut vom heiligen Antlitz der allerseligsten Jungfrau. Zu ihrem Erstaunen konnte sie sehen, wie sich das überaus entzückende liebreizende Antlitz der zyprischen Madonna in ihren Schleier eingedrückt hatte, so daß nun das heilige Antlitz Mariens in dem Schleier Marions zu sehen war.
        Marion ist dann heim in ihr Häuschen in Kouklia gegangen, aber sie hat jeden Tag vor dem Bilde der Jungfrau und dem Abdruck ihres heiligen Antlitzes in dem Schleier gebetet, denn sie hatte den Schleier neben die Ikone in die Kapelle auf dem Olymp gehängt.
        Eines Nachts, da Marion vor Maria betete, sprach die allerseligste Jungfrau Aphroditissa zu dem schönen Mädchen: Liebes Kind, wir müssen heute Nacht noch fliehen, denn die Fanatiker und Fundamentalisten werden morgen kommen und dies Kloster ausrauben und plündern. Wenn du nicht mit mir fliehst, werden sie dich versklaven und in einen Harem verkaufen.
        Da nahm Marion die Ikone Mariens und lief vom Olympus herunter und eilte durch Kouklia und verlief sich in die geheimnisvollen Pinienwälder. In der Ferne hörte sie schon den schrecklichen Lärm des Krieges.
        Ihr ganzes Leben lang ward Marion von Maria beraten, sie hat ihr später zu einem Mann verholfen und zu getauften Kindern. Nie hat Marion etwas unternommen, ohne vorher die Madonna zu befragen.
        Wohin aber das heilige Antlitz in Marions Schleier gekommen ist? Das weiß niemand zu sagen. Einige alte Großmütter behaupten, ein Dichter habe das heilige Antlitz an sich genommen und es in seiner Poetenhütte geborgen und aufbewahrt, wo er Madonna Aphroditissa als seine himmlische Muse anrief.
        Einige rechtgläubige Mönche behaupten, es habe sich bei der Ikone Unserer Lieben Frau Maria nicht um die Ikone der Panhagia Aphroditissa gehandelt, sondern um die Panhagia Chrysorroyitissa, die Madonna mit dem goldenen Granatapfel. Dieses Bild wurde aber als Unsere Liebe Frau Galathea von Galataria verehrt.
        Mir scheint aber, Unsere Liebe Frau Maria ist wirklich die wahre Panhagia Aphroditissa vom Olymp!


2

DIE GROSSMUTTER MARIA

Es hatte der König David drei Söhne, Absalom, den Erstgeborenen, und die Zwillingsbrüder Amnon und Salomo, wobei Salomo, der als Jüngster aus dem Mutterschoß gekommen war, der zärtlichste war. Absalom und Amnon und Salomo wollten König von Israel werden, wenn König David versammelt würde zu seinen Ahnen. David wußte nicht, wem Gott das Reich von Juda und Israel geben wollte, darum wollte er sie einem Gottesurteil unterziehen. Er sprach: Meine lieben Kinder, ihr Söhne meiner Seele, ich liebe euch alle drei, jeden auf seine Weise, und ihr alle drei seid des Königsthrones würdig. Aber da ich nicht weiß, wem Gott den Thron über das Gelobte Land von Milch und Honig geben will, will ich euch einer Prüfung unterziehen. Ihr sollt mir die Blaue Blume suchen, die meinem Leiden einen Trost und eine Heilung bescheren könnte. Wer mir als Erster die Blaue Blume bringt, der wird zum Sohn Davids und Erben des Thrones von Juda und Israel. Als Erstes soll Absalom gehen, der Erstgeborne, dann Amnon, der Ältere der Zwillinge, und als Letzter Salomo, der Jüngste meiner Frauen. So sprach der König David. Die Söhne bekamen alle eine Hirtentasche mit einem Rosinkenkuchen und zogen davon.
        Absalom zog als Erster davon und suchte überall die Blaue Blume, ohne sie zu finden. Da sah er an einem Wegesrand eine Großmutter sitzen, die ein verhungertes Enkelkind auf ihrem Schoße sitzen hatte. Die sprach: Wohin gehst du, du schöner Jüngling mit dem langen lockigen Goldhaar? Da sprach Absalom: Ich suche die Blaue Blume. Wenn ich sie finde, werde ich König von Juda und Israel. Da sprach die Großmutter: Wenn du mir einen Krümel von deinem Rosinenkuchen gibst für meinen Enkelsohn, der fast vor Hunger stirbt, so will ich dir helfen. Da sprach Absalom: Wenn dein Enkel sterben will, so soll er sterben! Da sprach die Großmutter ernst: Du kannst nach der Blauen Blume suchen, aber du wirst sie nicht finden.
        Am folgenden Tag machte sich der Ältere der Zwillinge auf die Pilgerreise. Er begegnete auch der Großmutter mit den silbernen Locken und den himmelblauen Augen und dem hungrigen Enkel auf dem Schoß. Da sprach die Großmutter: Wohin gehst du, mein hübsches Püppchen? Amnon sprach: Ich suche die Blaue Blume. Wenn ich sie finde, kann ich König von Juda und Israel werden. Da sprach die Großmutter: Willst du mir nicht einen Krümel von deinem Rosinenkuchen abgeben für meinen Enkel, der so verschmachtet? Da sprach Amnon: Mag er verschmachten, ich gebe nichts ab von meinem Kuchen. Da sprach die Großmutter: Da kannst du lange die Blaue Blume suchen, du wirst sie nicht finden. Amnon zog weiter und suchte in der ganzen Welt, doch fand er nicht die Blaue Blume.
        Am dritten Tag zog Salomo los, der Jüngste der Söhne Davids und heimliche Liebling seines Vaters. Er trug auch die Hirtentasche mit dem Rosinenkuchen. Er ging durch Felder und Wälder und stieß auch auf die Großmutter mit den Silberlocken und den himmlischen blauen Augen und dem hungrigen Enkel auf dem Schoß. Sie bat ihn ebenso wie sie seine Brüder gebeten hatte, um einen Krümel vom Rosinenkuchen für ihren schmachtenden Enkel. Da sprach Salomo: Ich suche wie meine Brüder die Blaue Blume für meinen Vater David, damit er Trost und Heilung findet in seinen Leiden. Ich armer Junge kann gar nicht glauben, daß ich sie finde, da schon meine älteren Brüder sie nicht gefunden haben. Aber wenn du mich um einen Krümel vom Rosinenkuchen für deinen Enkel bittest, liebe Großmutter, siehe, so nimm den ganzen Rosinenkuchen, ich brauch ihn nicht, ich singe ein fröhliches Lied zu Gott und schon bin ich satt!
        Da gab Salomo der Großmutter den ganzen Rosinenkuchen. Die Großmutter, die keine andere als die selige Gottesmutter Maria war, gab ihrem Enkel, nämlich dem Herrn Jesus, den Rosinenkuchen des zärtlichen Knaben. Da sprach die Großmutter, nämlich die Gottesmutter Maria, zu dem Knaben Salomo: Mein kußlicher Knabe, du Allerliebster, du brauchst die Blaue Blume nicht mehr zu suchen, denn ich, ich will sie dir schenken!
        Da zog sie unter Akelei uund Liebfrauenhandschuh und Venuspantoffel und Madonnenlilie und Mariengras und Salomosiegel die Blaue Blume hervor und gab sie dem allersüßesten goldigen Knaben Salomo. Die Blaue Blume duftete lieblich wie der Weihrauch im Tempel von Jerusalem.
        Da sprach Salomo: Wo soll ich die Blaue Blume verstecken? Wenn Absalom und Amnon sie bei mir finden, werden sie sie mir gewaltsam wegnehmen und König werden. Da zog die Großmutter, die die Gottesmutter war, dem Liebling Salomo die Schuhe aus und legte die Blaue Blume in einen Schuh und sagte zu ihm: Nun geh heim zu deinem dich liebenden Vater, denn du sollst Friedefürst von Jerusalem werden!
        Da zog Salomo heim zum Königspalast des Königs David in Zion. Unterwegs aber traf er Absalom und Amnon. Da sprachen sie: Du lachst so selig, da sehen wir schon klar, daß du die Blaue Blume zu deinem Vater bringst. Aber Salomo log: Nein, ich habe die Blaue Blume nicht gefunden, und ihr? Die Brüder sprachen: Wir haben die Blaue Blume nicht gefunden. Aber wir riechen den Duft der Blauen Blume an dir, die duftet wie der Weihrauch im Tempel von Jerusalem.
        Da zogen Amnon und Absalom den kleinen zarten Salomo aus und fanden in seinem linken Schuh (den er am rechten Fuße trug) die Blaue Blume. Da erfasste Absalom solch ein Neid und Amnon solch eine Eifersucht und Begierlichkeit, daß sie zusammen den zarten Salomo töteten, um die Blaue Blume an sich zu nehmen und König zu werden. Und damit ihr Mord am Bruder nicht entdeckt würde, begruben sie ihm am Kanal.
        Als Absalom und Amnon aber den zarten Liebling Salomo getötet hatten, gerieten sie auch in heftigen Streit und Neid und Eifersucht, denn jeder von ihnen wollte die Blaue Blume haben, nicht um den Vater David zu trösten, sondern um selbst König von Israel zu werden. Sie gerieten so sehr in Streit, daß sie sich rauften und schlugen und schließlich der Erstgeborene Absalom den jüngeren Amnon erschlug und tötete.
        Absalom, trat zu seinem Vater David und sagte: David, ich habe die Blaue Blume gefunden, ich will nun König von Israel und Juda werden. Aber König David dachte an die Zwillinge Amnon und Salomo, besonders vermisste er seinen Liebling Salomo, er dachte immer nur: Sie habend die Blaue Blume vergeblich gesucht, nun sind sie aus Neid und Eifersucht nicht heimgekehrt. Das ist ihr Stolz, ich würde es genauso machen, meine Söhne sind genauso stolz wie ich!
        Es verging eine lange Zeit, vielleicht drei Jahre, da wuchs an der Stelle am Kanal, wo Absalom und Amnon den zarten Liebling Salomo begraben hatten, Schilfrohr auf. Eines Tages kam ein Hirte und machte sich aus den Schilfrohren eine Syrinxflöte, um seine Psalmen an den Guten Hirten mit der Syrinxflöte zu begleiten, wenn er seine Mutterschafe und Lämmer weidete auf der grünen Wiese und am ruhigen Wasser. Als der Hirte aber auf der Panflöte spielte, hörte er zu seinem großem Erstaunen folgenden Vers:

        O Hirte, Hirte, der du spielst auf mir,
Verscharrt sie haben am Kanal mich hier
Nur um die Blaue Blume schön und rein,
Die Trösterin für meines Vaters Pein!

Kaum hatte der Hirte die Worte vernommen, lief er zu König David, der einst auch ein Hirte gewesen war und immer noch ein Psalmist und Flötenspieler Gottes war, und der Hirte sprach: O mein Herr König lebe lange! Ich habe eine Flöte gefunden, die Verse spricht. Da nahm der König David die Panflöte und blies hinein und hörte diesen Vers:

        Ach Vater, liebster Vater David mein,
        Nun hauchst du Odem in die Flöte ein,
        Ach meine Brüder haben mich getötet,
        Mein Vater, der die Hirtenflöte flötet,
        Allein um jener blauen Blume wegen,
        Nun wird mir nimmer Davids Vatersegen!

König David erstaunte sehr und war sehr verwundert und ließ Absalom rufen und befahl ihm, die Flöte zu spielen. Absalom blies die Flöte und hörte diesen Vers ertönen:

        Ach Bruder, ach mein großer Bruder du,
        Der du die Flöte spielst mit Seelenruh,
        Du und der Bruder, ihr habt mich getötet,
        Mein Bruder ach, der auf der Flöte flötet,
        Allein um jener blauen Blume wegen,
        Nun wird mir nimmer Davids Vatersegen!

        Erschrocken gestand Absalom, daß er und Amnon den jüngsten Sohn Davids getötet hatten, um ihm die Blaue Blume wegzunehmen, die er bei sich getragen hatte, und daß dann Absalom auch noch Amnon getötet habe, weil sie sich gestritten hatten, wer nun König werden sollte.
        König David befahl nun seinem Erstgeborenen Absalom, ihn an den Kanal zu führen, wo er und Amnon den Liebling Salomo begraben hatten. Und nachdem Absalom den König David dahin geführt hatte, öffneten sie das Grab und fanden, daß Salomo immer noch am Leben war, blühend und lachend wie immer, eine wahre Sonne der Welt. Denn jeden Tag war die Gottesmutter zu dem schönsten und liebevollsten Knaben gekommen und hatte ihn an ihren Busen gelegt, eine junge schöne Mutter, strahlend schön, und hatte den süßen Knaben an ihren makellosen weißen Brüsten gestillt mit der Milch des ewigen Lebens. So lebte Salomo noch über das Grab hinaus durch die Gnade der Gottesmutter.
        König David bestrafte den Erstgeborenen Absalom und verbannte ihn aus Jerusalem. Aber Salomo, der Liebling seines Vaters und bevorzugte Liebling der Gottesmutter, wurde der Friedefürst in der Tochter Jerusalem, der König des Friedens im Gelobten Land, in dem Milch und Honig überfließen!


3

GOTTES SCHWIEGERSOHN

Eine Großmutter hatte einen einzigen Enkel, den sie mütterlich liebte. Am Anfang eines Jahres nahm der Gutsherr der greisen Großmutter ihre Mägde und ihre Hütte, so daß die alte Frau betteln gehen mußte. Der arme Enkel aber zog in die weite Welt hinaus und wurde ein Spielmann. Um sein täglich Brot zu verdienen, ging er als Knecht bei einem Priester in Dienste.
        Nach drei Jahren Dienst beim Priester erhielt der arme Enkel drei Taler von dem gütigen und weisen Priester. Da wollte der Spielmann wieder in die Welt hinaus und sein Lied mit dem Lerchen in der Morgenröte flöten und sein Lied mit den Nachtigallen in den Nächten schlagen. Bevor er den weisen Priester verließ, wollte der arme Enkel noch am Brunnen trinken. Da fielen ihm seine drei Taler in den Brunnen. Der Priester sah aus seinem Garten mit an, was dem armen Enkel geschehen war und sprach zu ihm: Mein lieber Sohn, wenn du die drei Taler wiederbekommen willst, mußt du mir weitere drei Jahre als Meßdiener dienen, denn ich habe keinen anderen Knaben als dich. In jedem Jahr deines Dienstes verdienst du dir einen Taler zurück.
        Drei Jahre später zog der arme Enkel als Spielmann in Gottes weite Welt hinaus. Der Priester gab ihm seine drei Taler. Der weise alte Priester gab dem armen Enkel noch eine Spritze und ein Tuch und einen guten Rat. Aller guten Dinge sind drei. Drei ist friesisches Recht. Er sprach: Zieh in die Spritze Weihwasser, spritze einen Kreis um dich herum und lege das Tuch unter dein Haupt, dann wird dir nichts Böses widerfahren.
        Der arme Enkel wanderte Lieder singend durch die schöne Natur und wollte in der ersten Nacht im Walde übernachten. Er spritzte mit Weihwasser einen Kreis um sich und bettete sein blondes Haupt auf das Tuch und schlief ein. Um Mitternacht erwachte er, denn er hörte junge Löwen brüllen, die nahten dem Bannkreis, konnten ihn aber nicht überschreiten. Nach den Löwen kamen Bärinnen und nach den Bärinnen kamen hungrige Wölfe. Alle wilden Tiere verneigten sich vor dem Spielmann und verschwanden wieder im dunklen Wald.
        Mit dem ersten Glanz der Morgenröte erschien vor dem armen Spielmann eine lichtstrahlende Jungfrau, ein himmlisches Mädchen von entzückendem Liebreiz und betörender Holdseligkeit. Sie weckte mit sanfter Stimme von englischer Güte den Jüngling und lispelte ihm liebevoll in das Ohr: Mein Liebling, reiche mir deine Hand und ziehe mich zu dir in den Bannkreis aus geweihtem Wasser. Siehe, ich bin kein Gespenst, sondern ein himmlisches Mädchen in einem Leib aus Licht!
        Der arme Enkel reichte der schönen Jungfrau, dem entzückenden Mädchen die Hand und gab ihr seine Hand fürs ganze Leben. Ja sagte er zu ihr und Ja sagte sie zu ihm! In seiner Wonne über dieses Liebchen, daß ihm der allgütige Gott in seiner Weisheit und Liebe zur Frau gegeben, glaubte er, der Seligste aller Seligen auf der Erde zu sein! Aber sein himmlisches Liebchen erklärte: Hier unter den Bärinnen und den Löwenjungen und den finsteren Wölfen können wir nicht ungetrübt glücklich sein. Komm mit mir, ich führe dich in die Hütte deiner Großmutter heim. Dort wollen wir ein heiteres Leben in seliger Schönheit leben.
        So zog das himmlische Mädchen mit dem Spielmann in jene Gegend, da die Hütte der Großmutter stand. Der Spielmann wollte wie ein Zimmermann die Hütte wiederherstellen, aber die entzückende Jungfrau nickte nur einmal mit dem schmalen Haupt auf dem langen Schwanenhals, siehe, da stand an Stelle der Hütte der Großmutter ein großes Wasserschloß mit einem englisch-chinesischen Garten als Park, von vielen Kanälen durchzogen und mit vielen Pavillonen der Ruhe erfüllt.
        Aber in der Nähe lebte Herr Neid, ein finsterer Ankläger der Gerechten. Als Herr Neid das selige Glück des Spielmanns und des himmlischen Mädchens sah, da wurde er von Eifersucht und Begierde fast zerrissen. Herr Neid trat zu dem Gutsherrn und blies dem ein und sprach ihm in die Ohren: O Gutsherr, kannst du es ertragen, daß der arme Enkel der armen Großmutter hier mit seinem Liebchen in einem fürstlichen Wasserschloß lebt wie Schwan und Schwanin? Schick sie fort, daß sie im Schweiße ihren Angesichts ihr täglich Brot in der Welt der armen Leute verdienen!
        Herr Neid sprach zum Gutsherrn: Gib dem armen Spielmann den Auftrag, einen Bären müde zu reiten. Kann er das, so mag er im Wasserschloß mit dem englisch-chinesischen Garten leben. So spann Herr Neid die Intrige. Aber was kann der finstere Ankläger jemals dem Gerechten schaden? Der Enkel der armen Großmutter warf das Tuch des Priesters über den wilden Bären und ritt den Bären müde, bis der schäumend zusammenbrach.
        Da sprach Herr Neid zum Gutsherrn: Befiehl dem armen Enkel der armen Großmutter, den Schatz deines Vaters zu finden. Findet er den Schatz, so mag er im Schloß mit seinem jugendlichen Liebchen wohnen bleiben. Als der Spielmann dies hörte, sagte er: Da muß ich gen Himmel fahren, um den heimgegangenen Vater des Gutsherrn zu befragen, wo der Schatz vergraben ist. Als Herr Neid das hörte, wollte er sofort mit gen Himmel fahren.
        Der arme Enkel der armen Großmutter hatte von seinem himmlischen Liebchen ein Kruzifix bekommen. Damit stieg er auf einen Kastanienbaum und berührte den Wipfel. Der Ankläger klammerte sich gierig an ihn. Der Kastanienbaum flog auf die Berührung des Kruzifix hin gen Himmel.
        Im Himmel sah der arme Enkel eine Schenke. Vor der Schenke schlugen Kerle und Dirnen auf einander ein mit zerbrochenen Stühlen. Als sie den Enkel sahen, jammerten sie: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns!
        Wie, bin ich Gottes Schwiegersohn? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und sah eine Windmühle, vor der Tag und Nacht die Hunde bellten und heulten. Da bellten die Hunde: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns!
        Wie, bin ich der Schwiegersohn Gottes? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und sah einen lehmigen Acker, wo Menschen mit blutigen Nasen den Boden pflügten. Die schrien, als sie ihn sahen: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns!
        Wie, bin ich der Schwiegersohn Gottes? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und sah ein großes Meer aus Milch, in dem große Schiffe schaukelten, voll mit Frauen, die schrien aus Angst zu ertrinken. Die Weiber kreischten: O Schwiegersohn Gottes, bitte für uns!
        Wie, bin ich der Schwiegersohn Gottes? So sprach der arme Enkel der armen Großmutter, und trat geneigten Hauptes an die selige Pforte des Himmel. Gott schloß den Himmel auf und sprach zum Spielmann: O du mein liebes Schwiegersöhnchen, was willst du denn schon hier?...
        Ich will den Vater des Gutsherrn fragen, wo der Schatz verborgen liegt, sprach der arme Spielmann.
        Ich weiß alles, sprach der liebe Gott. Geh zu jenem eisernen Pflug, den der Vater des Gutsherrn dort seit sieben Jahren im Schweiße seines Angesichtes selber zieht. Spanne dich selbst für sieben Jahre ein, daß der Vater sich ein wenig ausruhen kann. Aber sprich mit mir, mein Herz, was hast du gesehen auf dem Weg zu meinem Stuhl?
        Ich sah eine Schenke, vor der sich Kerle und Dirnen schlugen.
        Siehe, da sind die, die den falschen Spiritus zu ihrem Tröster gemacht und nicht den Spiritus Sanctus. Die soffen sich voll Wein und ließen sich nicht vom Heiligen Geist erfüllen.
        Ich hörte vor einer Windmühle Hunde bellen und heulen.
        Siehe, das sind die, die den Teufel angerufen und ihre Kinder ermorden wollten. Sie sind zu Bestien geworden im Jenseits, wie sie auf Erden schon Bestien waren.
        Ich sah auf einem lehmigen Acker Menschen mit blutigen Nasen den Boden pflügen.
        Siehe, das sind die, die das Geld zu ihrem Seligmacher gemacht und den Mammon angebetet. Sie müssen nun wie arme Knechte dienen um ein kärgliches Stück trocknes Brot.
        Ich sah ein großes Milchmeer mit schaukelnden Schiffen, in denen Weiber gräßlich lärmten aus Angst, zu ertrinken.
        Siehe, das sind die Hexen, die die magischen Praktiken übten und die Naturgöttin angebetet haben, aber dem Schöpfer frech den Rücken zugekehrt.
        Nach sieben Jahren, da der arme Enkel der Großmutter den eisernen Pflug für den Vater des Gutsherrn gezogen, sprach der Vater, wo der Schatz verborgen sei. Da rief der Schwiegersohn Gottes: O Lebensbaum, du schöne Kastanie, trag uns zur Erde zurück! Und der Schwiegersohn Gottes und der finstere Ankläger kamen wieder zur Erde herab.
        Da wies der arme Enkel dem Gutsherrn den Schatz. Aber Herr Neid, der finstere Ankläger, ließ nicht ab von seinen bösen Plänen und sprach: Gutsherr, nun leben da der Spielmann und die himmlische Jungfrau friedlich und selig in ihrem Wasserschloß wie Schwan und Schwanin, das darf nicht sein. Bereite einen großen Kessel mit kochendem Pech und wirf sie hinein!
        Da spielten die himmlische Jungfrau und ihr seliger Ehemann in dem kochenden Pech wie in einem kühlen erfrischenden Wasserbad und spritzten sich lachend naß. Aus dem Kessel fischten sie große Perlen, so groß wie Straußeneier. Da wurden der Gutsherr und Herr Neid so gierig, daß sie schrien: Perlen, Perlen, so groß wie Straußeneier, gib mir, gib mir!
        Der gierige Gutsherr und der neidische Ankläger verbrannten in dem kochenden Pech, aber der selige Spielmann lebte für alle Zeiten in seliger Wonne der glücklichen Liebesehe im Wasserschloß und dem schönen Park mit dem himmlischen Mädchen Maria!


4

DAS HIMMELSMÄDCHEN

Shi Tuo-Tang lebte mit seiner Großmutter in Armut. Jeden Morgen stieg Shi Tuo-Tang auf den Berg, um Holz zu schlagen. Seine Großmutter O-mi blieb in der Hütte, um sauber zu machen, Essen zu bereiten, und zu spinnen und weben. Eines Tages wurde die Großmutter O-mi krank und wollte Teigtaschen mit Fleischfüllung essen. Shi-Tuo-Tang war traurig, denn er hatte kein Geld, um Fleisch zu kaufen.
        Da ging er traurig den Berg hinan und hörte sieben Kinder lachend rufen: Komm, wir brauchen Fangnetze, Lanzen und Messer und Pfeil und Bogen, dann fangen wir ihn! Shi Tuo-Tang dachte: Es wird wohl kein Schakal und keine Hyäne am Wegesrand liegen. Shi Tuo-Tang ging in den Wald und sah einen weißen Edelhirsch auf der Wiese am Bächlein lebendigen Wassers ruhen. Shi Tuo-Tang sprach: O Edelhirsch, enteile über die Berge, rasch über die Hügel davon, denn die wilden Knaben wollen dich fangen und töten! Da enteilte der Edelhirsch.
        Aber Shi Tuo-Tang wanderte weiter traurig und mit Kummer im Gemüt über den Berg, da begegnete ihm ein alter Eremit mit kahlem Kopf und langem weißen Bart und sprach zu ihm: Mein lieber Shi Tuo-Tang, ich bin der weiße Edelhirsch, den du gerettet hast. Komm, ich will dir danken, dir und deiner Großmutter O-mi, die dich zu einem guten Menschen erzogen hat.
        Und der alte Eremit führte Shi Tuo-Tang zu einem kleinen Hain von Tung-Ölbäumen, in dem ein goldener Pavillon stand. Er öffnete die Tür und führte Shi Tuo-Tang hinein. In der Hütte überreichte er ihm einen Wunderpinsel und sprach: Dieser Pinsel taugt mit Tusche zu wunderbarer Kalligraphie von schönen Shi-Gedichten auf Seide, aber wenn du mit ihm dreimal in die Luft schlägst, so deckt sich dein Tisch und der Tisch deiner Großmutter immer wieder mit Teigtaschen mit Fleischfüllung.
        Shi Tuo-Tang bedankte sich und trug den Wunderpinsel nach Hause. Wirklich, er und seine liebe Großmutter O-mi hatten alle Tage Teigtaschen mit Fleischfüllung zu essen. So lebten sie sieben Jahren, ohne Hunger zu leiden.
        Aber eines Tages, als Shi Tuo-Tang fünfunddreißig Jahre alt war, ging auch seine geliebte Großmutter den Weg alles Fleisches und versammelte sich zu ihren heiligen Ahnen. Da war Shi Tuo-Tang so traurig, daß er den alten weisen Eremiten aufsuchen wollte. Er wanderte über den Berg und kam zu jenem Hain von Tung-Ölbäumen und klopfte an den goldenen Pavillon. Da trat der weise Alte heraus und fragte, warum Shi Tuo-Tang so traurig ausschaue. Shi Tuo-Tang klagte bitterlich: Ach, ich bin ja ganz allein auf dieser weiten Welt! Meine geliebte Großmutter ist den Weg allen Fleisches gegangen und ist nun versammelt in der Versammlung unserer heiligen Ahnen! Ich habe nun niemanden mehr, der mir die Wohnung rein macht und mir die Wäsche wäscht und mir ein leckeres Essen bereitet! Ach, hätte ich doch..., sprach Shi Tuo-Tang und errötete vor Scham vor dem heiligen Eremiten. Der aber war ein weiser Seelenkenner und erkannte, was Shi Tuo-Tang sich wünschte im Geheimnis seiner Seele.
        Da sprach der alte Eremit An-Ci: Du willst eine liebe Frau, die dich liebt? Siehe, morgen ist das Fest des Himmelskönigs! Da gehe nur an den verborgenen Teich, denn es wird das Himmelsmädchen kommen, die Tochter des Himmelskönigs! Wenn der Himmelskönig dir gnädig ist, so wird die Tochter des Himmelskönigs deine Frau!
        In der Nacht lag Shi Tuo-Tang im Gebüsch am Teich auf der Lauer. Und wirklich, um Mitternacht schwebte ein himmlisches Mädchen wie ein Vollmond zur Erde herab. Sie war eine himmlische Jungfrau von siebzehn Jahren, von entzückendem Liebreiz, himmlischer Anmut und göttergleicher Schönheit! Sie wähnte sich allein und legte ihr weißes Schwanenkleid ab am Ufer des Sees und badete ihren weißen makellosen Jadeleib im klaren kristallenen Teich. Ihre weiße Haut war durchsichtig wie weiße transparente Jade. Ihr Leib war wie Mondlicht und von makelloser Perfektion. Ihre jugendlichen Brüste waren straff und fest. Ihren Schoß verbarg sie keusch in der keuschen Schwester Wasser.
        Shi Tuo-Tang nahm listig das weiße Schwanenkleid des himmlischen Mädchens an sich. Da stieg die makellose Jungfrau aus dem keuschen Wasser. Sie stand da wie eine Säule im Tempel. Sie war umleuchtet von dem milden Licht des Vollmonds. Alles an ihr leuchtete, alles war lieblich und überaus schön. Kein Makel war an dem Mädchen. Vor ihrem Schoß hielt sie ein Feigenblatt. In der rechten Hand hielt sie einen rotwangigen Pfirsich der Unsterblichkeit. Sie flüsterte in die Nacht: Wer du auch immer seist, du Dieb, der du mein Schwanenkleid an dich genommen, gib es mir wieder! Da seufzte Shi Tuo-Tang: Du bist schön, mein Mädchen, du bist allerdinge schön, und kein Makel ist an dir! Ich gebe dir dein weißes Schwanenkleid wieder, wenn du mir deine Hand zum Lebensbund gibst und meine Frau wirst! Da sprach das Himmlische Mädchen: Ich sage Ja zu dir, sage du auch dein Ja-Wort! Ja, lispelte Shi Tuo-Tang, reichte der makellosen Jungfrau das Schwanenkleid, sie reichte ihm die Hand und ward seine Frau.
        Sie lebten einen Frühling, einen Sommer und einen Herbst zusammen in der Hütte der lieben Großmutter O-Mi glücklich wie Verlobte. Aber eines Nachts, zur Zeit des Herbstvollmondes, verschwand das himmlische Mädchen, nicht ohne zwei Kinder zurückzulassen. Die kleinen Zwillinge Yen-Yen und Yün-Yün jammerten nach der jungen schönen Mutter und Shi Tuo-Tang weinte alle Tage und Nächte aus weher Sehnsucht nach dem himmlischen Mädchen.
        Kummervoll ging Shi Tuo-Tang zu dem alten weisen An-Ci und bat ihn um Rat, denn er war der Vater des immerwährenden Ratschlags. Da sprach der gute Mann: Mein lieber Shi Tuo-Tang! Vielleicht will der Himmelskönig dich prüfen, ob du treu bist. Wer ist schon würdig solch einer himmlischen Gemahlin? Das kann man sich nicht ohne Prüfung und Trübsal verdienen. Wenn du aber treu befunden wirst, wirst du dich später freuen mit unaussprechlicher Freude und du wirst überglücklich sein!
        Der Weise sprach: Nimm diesen Flaschenkürbis an dich und pflanze ihn in deinen Kräutergarten. Er wird in einer Nacht in den Himmel wachsen. Dann steige an dem Flaschenkürbis die Himmelsleiter zum Himmel hinan. Nimm aber auf alle Fälle die beiden Söhne deiner Seele mit dir! Im Himmel wird der Himmelskönig dir sieben himmlische Mädchen zeigen und dich fragen, welche von ihnen die von dir erwählte Jungfrau und Braut sei. Der Himmelskönig wird sie alle mit göttlicher Glorie verklären, so daß eine wie die andere ganz wie eine selige Göttin dir erscheint. Du wirst die Jungfrau nicht erkennen vor soviel Glanz und Schönheit. Aber dann gib den Zwillingen jedem einen Klaps auf den Popo und schaue, was geschieht.
        So tat Shi Tuo-Tang und kam mit den Zwillingen Yen-Yen und Yün-Yün in die himmlische Stadt, die ganz aus Jade und Nephrit war. Man kann das nicht beschreiben. Shi Tuo-Tang trat in den Thronsaal des Himmelskönigs und warf sich auf sein Angesicht vor dem Himmelskönig nieder und sagte: O mein König, ich bin dein andächtiger Diener! Nimm mich und die Söhne meiner Seele als deine Kinder an!
        Da kamen sieben himmlische Jungfraun, Paradiesmädchen mit Augen jede wie eine strahlenäugige Göttin des Himmels! Und der Himmelskönig sprach: Mein lieber Sohn Shi-Tuo-Tang, welche von den Frauen ist deine auserwählte Frau? Welches von den Mädchen ist deine rechtmäßig dir anverlobte Braut?
        Shi Tuo-Tang konnte vor Glanz und Schönheit nicht unterscheiden, welches von den Paradiesmädchen seine Jungfrau war. Da erinnerte sich Shi Tuo-Tang an den Rat des Weisen und gab seinen Zwillingen einen Klaps auf den Popo, nicht kräftig, nur ganz leicht, aber sie weinten gleich ganz jämmerlich, denn er hatte die Knaben immer verzärtelt wie eine törichte Großmutter. Da trat die makellose Jungfrau vor und sprach mit ernster Strenge: Was schlägst du meine Kinder? Schäme dich und zeige Reue und tu Buße! Da strömten Shi Tuo-Tang heiße Tränen der Reue über sein Antlitz. Aber die Jungfrau trat zu den Zwillingen und tröstete die Kinder mit ihrer göttlichen Mutterliebe. Die Knaben hörten auf zu jammern und spielten wieder lachend im Himmel.
        Da sprach die himmlische Jungfrau zu Shi-Tuo-Tang: Ich bin Majia, die Makellose! Nun hast du mich erkannt als die Einzigartige, die dich auserwählt hat und die du dir erkoren hast zur Gemahlin! Nun vermählt uns der Himmelskönig im Himmel! Wir leben in meinem Jadeschloß und unsere Kinder spielen als geflügelte Engel im himmlischen Garten! Ich bin ganz dein! Du bist ganz mein!



MEDITATIONEN

„Schreibe alle Worte in ein Büchlein, die ich zu dir reden werde.“


MARIA

Maria sprach: Ihr habt ein schweres großes Kreuz zu tragen, aber habt keine Angst, es zu tragen, mein Sohn ist da und hilft euch. Vergeßt nicht, daß euer Leben nicht euch gehört, sondern ein Geschenk ist, mit dem ihr andere erfreuen und zum ewigen Leben führen sollt. Die Zärtlichkeit meines kleinen Jesus soll euch immer begleiten. Ich rufe euch zur Nächstenliebe auf, denn wenn ihr den Nächsten liebt, werdet ihr Jesus tiefer erfahren.

Meiner lebensmüden Seele, die sich vor allen Menschen nur noch verbergen wollte, gibst du eine schwere Arbeit unter den törichten Kindern dieser Welt, Maria. Warum tust du mir das an? Lehre mich, wie du sagtest, dir gnädig zu sein! Wenn du mir nicht nach Wunsche tust, sondern nach deinem Willen mich heimsuchst, erhabene Herrin, will ich dir gnädig sein. Dein Wille geschehe, Herrin!

Maria sprach: Mein Auserwählter, du sollst auch weiterhin den Armen und Kranken helfen (und für die Toten beten)! Du sollst mich in dem Armen erkennen.

Sie ist nicht von dieser Welt, die Liebe, die mich am Leben hält. Ohne dich wärs schlecht um mich bestellt.

Sankt Bernhard sprach: Nimm Maria hinweg, diesen Stern des Meeres, waa bleibt dann als hereinbrechendes Dunkel und Todesschatten?

Die Jungfrau von Guadelupe kommt! O meine holdselige Dame, verzeihe mir all meinen unkeuschen Lobpreis, es geschah aus übergroßer Leidenschaft und Sinnlichkeit! Und die Jungfrau entblößt ihre rechte Brust und legt mein Haupt an ihre Brust. Mein Lieber, wenn du wüsstest, wie sehr ich dich liebe, würdest du weinen vor Wonne!

In Gegenwart des ganzen himmlischen Hofes, in Gegenwart der Jungfrau Mitka, meiner Großmutter Paula Margarethe, des heiligen Vaters Johannes Pauls, des heiligen Josefs und aller Heiligen, erwähle ich heute vor dem Angesicht Gottes dich, Maria, zu meiner Mutter, Gebieterin und rechtmäßig angetrauten Ehefrau im Geist.

Die Schönheit Mariens bringt mein Angesicht vor Freude zum Strahlen. Für meine Augen gibt es keine Schönere. Da sie auch noch liebevolle und weise Worte spricht, bin ich, ihr Gemahl, nicht wie die gewöhnlichen Männer. Wer Maria zur Frau gewann, gewann das Beste, was man bekommen kann, eine Hilfe, wie der Mann sie braucht, einen Beistand in allem.

Maria ist die starke Frau. Wer sie gefunden hat, hat mehr als Gold gefunden. Sie hilft den Armen. Vor der Morgenröte steht sie zum Gebet auf. In der Nacht erlischt iihre Lampe nicht beim Studium der Weisheit. In jeder freien Minute nimmt sie den Rosenkranz in die Hand. Ihr Mann ist geschätzt als Weiser in der Beratung der Gemeinde. Ihre Kinder jubeln ihr zu. Ihr Mann sagt: Es gibt wohl viele schöne Frauen, aber du bist die Schönste aller Frauen! Die Reize der sterblichen Frauen verwelken, aber Marias Weisheit bleibt für immer. Für ihre Wunderliebe voller Gnade soll die ganze Menschheit sie lieben und loben!

Das Ave Maria, sagt Sankt Grignion, ist ein keuscher Kuß Mariens. Also, willst du Maria recht oft küssen, so bete oft den Rosenkranz!

Vielleicht ist es besser, das Ave Maria allein zu beten und die Jesusgeheimnisse voranzusetzen. Dann wird das Ave zum Mantra, das nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen meditiert wird. So wirst du Ruhe für deine Seele finden. Das wäre nicht der intellektuell-christozentrische Rosenkranz Deutschland, sondern der marianisch-meditative Rosenkranz vom Mittelmeer.

Marias Antlitz ist wie die Sonne am Himmel. Ihre schlanke Gestalt ist wie eine Kerze auf dem Altar. Ihre Beine sind wie klassische Marmorsäulen. Nichts ist schöner, nichts sieht ihr Mann lieber als die liebenswürdige Schönheit Unserer Lieben Frau. Ihr Gatte ist nicht wie die gewöhnlichen Männer. Selig zu preisen ist der Gatte der Allgebenedeiten! Ihr Mund lehrt ihn Weisheit, daß er weiser ist als die Weisen dieser Welt.

Ich sitze im verschlossenen Garten Mariens unter dem Kastanienbaum mit den Blüten-Pavillionen. Vor mir duftet betörend die rosane Pfiongstrose, die Rose ohne Dornen, und unter der Pfingstrose glühen die roten Rosen der Minne. Die Pforte zum Paradiesgarten ist umrankt von der Heckenrose. Eingeschlossen wird der Garten von den uralten Edeltannen. Wie eine Henne ihre Küken unter dem Flügel beschützt, behütet die Mutter Jesus seine kleinen Kinder. Wie eine schöne schlanke Katze schmiegt sich Madonna an mich an und läßt sich streicheln.

Maria, die Prophetissa, sprach: Auf, mein Ritter, ziehe in die Schlacht um die Seelen, den apokalyptischen Kampf der Liebe mit der Anti-Liebe zu kämpfen zur Rettung der Seelen! - Ich sprach: Madonna, ich kämpfe nur, wenn du mit mir in den heiligen Krieg ziehst! – Maria sprach: Aber dann wird der Ruhm jeder geretteten Seele nicht deiner sein, sondern mein Ruhm! Des Herrn Sieg wird kommen durch die apokalyptische Frau!

Maria, lade den Satan in dein Himmelszelt im Paradiesesgarten und machte ihn trunken, indem du ihm Wein statt Wasser bietest. Schläft er dann betrunken ein, dann zerschmettere du sein Haupt mit dem Donnerhammer Gottes!

Der Name Aphroditissa bedeutet das Geheimnis des wahren Glaubens, daß die Menschentochter Maria vollkommener in der Liebe ist als die Heiden sich selbst die Göttin der Liebe erdachten. Das ist der Triumph der katholischen Offenbarung über die Mythen der Heiden.

Ich hörte, daß der Prophet Mohammed, Friede sei mit ihm und den Seinen, sagte, daß Paradies sei für ihn die Hochzeit mit der Jungfrau Maria.

O Maria, Mutter des Mitleids, hab Mitleid mit unserm Elend! – So betete ich am See, da schwebte Unsere Liebe Frau im weißen Kleid und goldenem Heiligenschein ums Haupt an mir vorüber, siebzehnjährig und lieblich, und lächelte mich an.

Im Morgentraum sah ich Maria, schwebend, auf einer Wolke liegend, im rosaroten Kleid, mit bloßen weißen Armen, von unglaublicher Weiblichkeit und Schönheit. Und eine Stimme sprach: Maria ist schön wie eine Aphrodite!

Ich meditierte am See. Madonna lief an mir vorüber, mein schlankes holdseliges Reh, die braune Hindin. Ihre makellosen Brüste hüpften wie Zwillingskitze der Gazelle.

Maria siehst du nicht mit den zwei fleischlichen Augen der Augenlust und Fleischeslust. Maria siehst du allein in der Meditation des Marien-Mantra mit dem dritten Auge des erleuchteten Geistes.

Ich betete die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens und sang Lob der apokalyptischen Frau, da hörte die weiße Henne mir aufmerksam zu und schaute mich mit ihrem purpurnen Auge klug an. O Maria, Königin der Welt, segne die ganze seufzende Kreatur, die so wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes in Herrlichkeit!

Wenn ich den hellblauen Himmel mit den rosanen Wölkchen sehe, wenn ich das Sonnenlicht sehe auf dem weißblühenden Heckenrosenstrauch, so scheint mir, ich sehe die Schönheit Mariens. Wenn ich im Frühling den Duft der Blüten rieche, so betörend süß, so scheint mir, ich rieche das Parfüm der Madonna. Ja, so erscheint mir Maria als die Seele der Natur.

In meiner erotischen Religion kniee ich vor der hochthronenden Madonna wie vor einer menschlichen Göttin. Aber sie erniedrigt mich nicht, sondern gibt mir Wert und Würde, sie erhebt mich durch die Huld ihrer Minne in den spirituellen Adelsstand.

Madonna sprach: Wie schön bist du, wenn du betest! Wie schön bist du, wenn du liebst! Ich danke dir für deine Gebete! Weil du mich verherrlichst, komm, daß ich dich segne! Ich brauche dein Gebet und dein Zeugnis. Ohne dich kann ich den Ungläubigen nicht helfen. Komm, ich sehne mich nach dir!

Daß Maria mich zur Nächstenliebe aufrief, zur Aktion der Caritas, in einer Zeit, da ich lebensmüde und mißmutig und misanthropisch war, das machte mich fast verzweifelt. Da beschloß ich, Maria gnädig zu sein. Aber nun befreite mich die göttliche Herrlichkeit in der Schöpfung und die reine Liebe in den Kinderseelen von allem menschenhassenden Trübsinn und Weltekel. So gnädig ist die Madonna, die unendlich weise und liebevolle Gebieterin!

Madonna sprach: Sei gegrüßt, mein treuer Syzygus, mein geliebter Epaphroditos! Friede sei mit dir! Freue dich allezeit und erweise allen Menschen Freundlichkeit und Güte!

Herr Toto sprach: O Maria, totus tuus ego sum, tota pulchra perfectissima!

Im Morgengebet am See sprach ich zu Maria: Meine einzige Freundin, du bist so weise! Ja, es macht solche große Freude, mit dir zu philosophieren! Du bist die himmlische Priesterin, die mich die Philosophie der Liebe gelehrt!

Schau, wie die Heckenrose die weißen Blüten auf die Erde streut, so überschüttet Maria mich mit Liebe! Schau, wie der glitzernde Morgentau die Wiese erfrischt, so erquickt mich Marias keusche Liebe! Schau, wie die Turteltaubenpaare gurren ihre Dialoge, so beruhigt mich das Gebet zu Maria und schenkt mir Seelenfrieden und neue Liebesfährigkeit! Schau, wie die herrliche Sonne am Himmel aufgeht in der Morgenstunde, so herrlich ist die göttliche Herrlichkeit!

Maria sprach: Ich werde die Welt für dich verändern, ich, deine Trösterin!

Maria sprach: Komm, mein Geliebter, komm in meinen verschlossenen Garten! Heckenrosen umranken die Pforte! Edeltannen stehen da als ewige Wächter! Am Kastanienbaum reifen die Früchte! Die Pfingstrose duftet! Wehe, Odem, und komm von den vier Winden, Odem, und durchrausche meinen Garten! O mein Geliebter, komm, und trinke deinen Wein und berausche dich an meiner Liebe!

Ich preise den prallen Reichtum deiner Brüste, Madonna, ich benedeie deinen himmlischen Busen, Madonna, ich berausche mich an dem prallen Reichtum deiner makellosen Brüste, Geliebte! Ich preise deine makellose Schönheit, siebzehnjährige Jungfrau! Maria, du mußt göttlichen Ursprungs sein, du strahlende Göttin der Schönheit! Du bist das ewige Meisterwerk des Schöpfers! Alle Engel sind entzückt von deiner himmlischen Schönheit!

Ich habe bei der Königin gespeist, bei der Königin des Universums. Ihre sieben Mägde haben das Mahl mit Liebe zubereitet. Ich lag mit der Königiin zu Tische und habe den Trost ihrer jungfräulichen Schönheit getrunken! Dann stand die Königin von der Tafel auf und ging in den Schloßpark hinein.

Maria, du bist das absolute Maß der Schönheit! In dem Maß, in dem eine Frau an deiner Schönheit Anteil hat, ist sie schön. Je ähnlicher dir eine Frau ist, Madonna, desto schöner ist die Frau. Aber du bist die Unvergleichliche und die Ohnegleiche. O tota pulchra perfectissima!

Ja, Maria hat mir neuen Lebensmut geschenkt!

Maria, erwarte mich in meiner Karmelklosterzelle. Fülle meine Zelle mit deiner Herrlichkeit! Wenn ich heimkehre, will ich mich in deiner Liebesumarmung erholen vom schweren Kampf der Liebe mit der Anti-Liebe im Dienst der Mutter Caritas! Dann küsse mich mit mystischen Küssen, berauschender als der schwere dunkle Wein von Lateinamerika!

Maria, wenn ich heimkehre in die ewige Wohnung im Vaterhause und ruhe von dem harten Lebenskampf, dann lade mich in deinen heiligen Schoß ein, der wie ein Becher ist, dem der berauschende Wein der Ganzhingabe nimmer mangelt!


WEISHEIT

Wenn dir die Herrlichkeit der geschaffnen Natur im Herzen aufgeht, so denke, wieviel herrlicher die ungeschaffne Natur ist. Meinst du im Frühling schon im Garten Eden zu sein, wie wird dann erst das Paradies Gottes sein!

Das hebräische Wort für Weisheit, Chochmah, hörte ich, bedeutet nicht allein Weisheit, sondern auch Drang und Begierde Gottes zur Vereinigung mit der Schöpfung.

Luther sagte, der Wille Gottes sei das Heil aller, aber Wille sei nicht das richtige Wort, man dächte dabei an Willkür des Allmächtigen, es sei vielmehr die Begierde Gottes. Die Begierde der göttlichen Liebe ist die Seligkeit Aller!

Jesus sprach: Umarme mich! Ich schenke dir mein Herz! Ich gebe dir meinen Kuß der Liebe! Mach du den Kindern Freude, diene ihnen! Indem du ihnen dienst, dienst du mir! Ich werde dich überreich belohnen!

Eine wirksame Meditation ist das Sprechen des Mantras Ruach-Maria mit dem Herzen im Rhythmus des Atems. Es wirkt Wunder.

Auch der Weise soll nicht immer nur die Schriften studieren, sondern sich auch Zeit nehmen, mit den Kindern zu spielen und sich an schönen Frauen in schönen Gärten zu ergötzen. Selbst ein Karmelit hat die Zeit der Muße in der Rekreation. Sei nicht allzuweise, sagt der Prediger, daß du dich nicht zugrunde richtest. Der Apostel Johannes sagte, ein Bogen kann nicht immer straff gespannt sein, sonst leiert die Sehne aus, man muß den Bogen ab und an entspannen. Auch der Bauer drischt nicht nur Korn, sondern pflanzt auch Dill und Kümmel und schöne Blumen in sein Beet.

Ich habe auf der Wiese den guten Kampf mit den Waffen der Weisheit und Liebe gekämpft, Allvater, nun sende am Abend das himmlische Schwanenmädchen mit dem berauschenden Trank der Weisheit und Liebe!

Herr Toto bin ich, so heiße ich. Ich bin zwar nicht die heilige Therese von Lisieux, aber an sie zu denken, wird nicht ganz verwerflich sein, die sie das Spielzeug des Jesuskindes war.

Die herrliche Sonne ist ein herrlicher Abglanz der Herrlichkeit des Herrn, aber ein noch herrlicherer Abglanz ist der herrliche Seelenfunke in den Augen eines liebenden Kindes!

Der Name Aphroditissa bedeutet, daß die Aphrodite Urania der plantonisch-erotischen Ideenlehre ein Vorschatte der Herrlichkeit des Herrn oder der Hagia Sophia ist. Wenn Aphrodite der Name der Göttin der Liebe und Schönheit war, so bedeutet die wahre Aphroditissa, daß die eine wahre lebendige Gottheit unter dem Namen der Schönen Liebe angebetet werden will.

Der Philosoph Ficino sagte, welche Hypostase Gottes du auf Erden verehrt, mit derselben wirst du im Jenseits vereinigt. Also, wer Mutter Caritas, die Schöne Liebe, den göttlichen Eros auf Erden verehrt, der wird im Jenseits in jenem Venushimmel sein, den der Seherdichter Dante geschaut hat. Ich nenne den Venushimmel das Fürstentum und stelle es unter die englische Herrschaft der Seraphim als der in Liebe brennenden Engel und unter das Königtum der Apostelin der Apostel, Maria Magdalena, in der die Minne Christi so unaussprechlich gebrannt hat, wie Meister Eckhard sagte. Im Fürstentum des Venushimmels beten die Seligen zu Gott als zu der Mater Caritas. Unsere Liebe Frau ist im Venushimmel die wahre Freundin oder die Minnedame der Seligen. Die Minnesänger, die im siebenten Kreis des Fegefeuers ihre Sinnlichkeit gebüßt haben, steigen im Mai in den Venushimmel auf. Vielleicht ist der Venushimmel auch der Garten Eden mit den Huris, die Mohammed verheißen hat und Goethe im Diwan besungen.

Plotin sagte, das Eine ist unaussprechlich, unbeschreiblich. Paulus sagte, daß in der Herrlichkeit der Schöpfung die Herrlichkeit des Schöpfers im Gleichnis erkannt wird. Spinoza sagte, die geschaffne Natur ist ein Gleichnis für die ungeschaffne Natur des Absoluten.

Die Schönheit der geschaffnen Natur ist herrlich, wenn sie auch vergänglich ist und unter dem Gesetz des Leides und des Todes steht. Die Schönheit der ungeschaffnen Natur des Einen ist vollkommen rein und unaussprechlich herrlich!

Maria sprach: Ich bin schön, weil ich liebe! Willst du schön sein, so liebe! Und Gott sprach: Wie schön sind deine Augen, wenn du Göttliches verkündest!

Die Sonne kannst du nicht anschauen, sie ist zu hell, aber du kannst den Abglanz der Sonne auf dem See sehen, die vielen kleinen Sonnen. So kannst du die Herrlichkeit Gottes nicht sehen, aber den Abglanz der Herrlichkeit in der Schöpfung und vor allem im liebenden Menschen kannst du sehen, sozusagen die vielen kleinen Götter.

Ein Theologe sagte: Adam war ein kleiner Gott auf Erden. Das Altertum nannte den Fürsten einen kleinen Gott auf Erden. Die Neuzeit nennt den Menschen einen kleinen Gott auf Erden. Mir ist der liebende Knabe ein kleiner Gott auf Erden. Der kleine Gott auf Erden ist ein Spiegel des großen Gottes im Himmel. Willst du dem großen Gott im Himmel dienen, so diene dem kleinen Gott auf Erden!

Goethe sagte, die Katze komme auch ins Paradies, denn immer ist es ein heiliges Tier, das der Prophet gestreichelt.

Gott hauchte die Allseele. Die Einzelseele, die sich denkend mit der Allseele verbindet, ist auf dem guten Weg zu Gott.

Die Buße, der Glaube und das Gebet stoßen ein Tor auf in die andere Welt, in die Dimension des göttlichen Geistes, so lebst du im Lichtglanz Gottes.

Ein Mensch, der sein Leben bewußt im Angesicht Gottes lebt, ist von anderer Natur als jener, der sein Leben fern von Gott lebt. Der Gläubige ist der wahre Übermensch. Der Christ ist im Gottmenschen Christus der wahre Menschengott, die vergöttlichte Menschennatur. Wie Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, so ist der Christ wahrer Mensch und wahrer Gott-aus-Gnade. Das ist an Maria schon ganz vollendet. Es ist aber allen Heiligen verheißen. Die vollendeten Heiligen werden Götter und Göttinnen sein in der Einen Göttlichen Natur. Das ist die freudige Botschaft des Gottmenschen! Die Menschwerdung Gottes erwirkt die Gottwerdung des Menschen. Wie der Gottmensch thront im Thron der Urgottheit, so wird der Heilige als Menschengott thronen im Thron des Gottmenschen. Die Anteilhabe des Menschen an der göttlichen Natur geschieht durch die Vermittlung des Gottmenschen, in dessen einzigartiger Person sich die göttliche Natur mit der menschlichen Natur vollkommen vereinigt. Außer Christus gibt es keine Gottwerdung des Menschen. Außer dem Gottmenschen gibt es keine Vereinigung der menschlichen Natur mit der göttlichen Natur. Nur Christus zieht uns hinein in den Urgrund, die Quelle des Lebens, den Schoß der Urgottheit!

Maria ist vollendet heilig. Sie ist im Gottmenschen Menschengöttin geworden. Sie hat als reiner Mensch Anteil an der göttlichen Natur aus purer Gnade durch Glauben. So hat sie Anteil am Mittlertum des Gottmenschen, und darum ist sie als Menschengöttin Mittlerin mit Christus. Die hypostatische Union der göttlichen Natur und der menschlichen Natur in der einen Person Jesu Christi vollzog sich als Vereinigung im jungfräulichen Mutterschoß Mariens. Darum ist der Schoß Mariens das Brautgemach der Hochzeit von Gottheit und Menschheit und also das Paradies!

Die Blätter der Bäume klatschen Applaus, wenn der Heilige Geist kommt, zu erleuchten die Herzen der Gläubigen.

Jesus sprach: Es ist mir eine große Freude und Gnade, daß deine Fürsorge für mich wieder einmal so richtig aufgeblüht ist. Es ist freundlich von dir, daß du an meiner Notlage Anteil nimmst und mir hilfst. Was du den Geringsten meiner Brüder und Schwestern tust, das tust du mir!

Johannes Paul sprach: Platon ist ein guter Freund, aber Frau Weisheit ist eine bessere Freundin.

Der Ehebund mit Frau Weisheit führt dazu, mit Gott zu herrschen! Willst du ein König sein mit Zepter und Krone, vertraue dich ganz Frau Weisheit an!

Der Herr mein Befreier sprach: Die Worte, die ich dir, meinem Propheten, gegeben habe, die werden bei den Enkeln lebendig bleiben.

Jesus gebot, den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Dann sah er die Seuche der Selbstliebe in der Endzeit und gebot ein neues Gebot: Liebt den Nächsten wie ich euch liebe!

Ich saß am See und betete. Gott sprach: Du Sohn Abrahams bist in die Knechtschaft geführt für eine bestimmte Zeit. Ich werde die richten, die dich knechten und mißhandeln. Aber du wirst herausgeführt aus dem Frondienst und wirst mir auf dem heiligen Berge dienen.. – Da stand ich vor dem Thron der Herrlichkeit und betete an. Da kam der Allmächtige zu mir in einem Hauch, kühl und erfrischend, wie ein Kuß des heiligen Geistes. Da sang ich den Psalm: Herr, im Glanz deiner Majestät, auf den Stufen vor deinem Thron, stehe ich in deinem Licht und singe dir Lieder!

Sophia ist der Hauch des Allmächtigen und Ausfluß der Herrlichkeit des Herrn und Abglanz des ewigen Lichtes. Ich habe im Morgengebet Sophia empfangen. Ich nannte sie meine wahre Freundin und (mit Klopstock) Göttin der Vortrefflichkeit!

Kunstverstand bringt die schönsten Werke hervor. Wer in der ganzen Welt ist eine größere Künstlerin als Sophia? Durch Sophia werde ich unsterblich werden und bei der Nachwelt in Erinnerung bleiben.

Sophia als geistige Ehefrau des Weisen bringt keinen Ärger und keine Enttäuschung, sondern Glück und Freude. Wenn ich nach Hause kehre in meine sichere Wohnung und stolze Ruhe, werde ich mich in ihren liebenden Armen erholen.

Herr Toto vom Kinde Jesus im Karmel sprach: Da betteln wir bei den Geschöpfen um ein erbärmlich kleines bißchen Zuneigung und gehen vorüber an der unerschöpflichen Quelle der göttlichen Liebe!

O du Brunnen der spielenden Minne, liebe mich oft und heftig und lange!

Herr Toto vom Kinde Jesus im Karmel sprach: O du mein süßes Jesuskind, ich bin dein Spielzeug! Aber wenn du nicht mehr mit mir spielen willst, wenn du dein Spielzeug unbeachtet in der Ecke liegen läßt, nun gut, ich bins zufrieden, beachte mich nicht!

Ich bete dich an, du schöne Liebe in deiner göttlichen Majestät! Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Maria offenbart!

Sophia ist eine Frau, die in ihrem Bette liegt, der Philosoph spioniert durchs Fenster, ob er die Schönheit der Frau betrachten darf und sich daran weiden. Sophia ist ein Kastanienbaum, unter dessen Laubdach du sitzen kannst und Schatten finden vor der Sonnenhitze. Der Weise bringt durch die Weihe an das heilige Herz Sophias auch die Söhne seiner Seele unter ihren Schutz und Schirm. Sophia liebt mich mit Mutterliebe, bedingungslos wie eine liebende Amme. Sophia liebt mich wie eine siebzehnjährige, entzückend schöne Geliebte! Wenn ich vor den Menschen predige, brennend im Geist, so legt sie mir ihre Worte in den Mund. Die Heiligen Schriften sind die Weisung Sophias. Sophia macht mich glücklich! Sophia gibt mir einen Namen bei der Nachwelt.

Es ist geradezu die Würde des Menschen, vernünftige Seele zu sein, Person, und als solche Dialogpartner Gottes! Im Gebet vollendet sich die Würde des Menschen.

Der Herr sprach zu Sophia: Mein Liebling, du göttliche Ur-Menschheit, nun will ich die Menschheit schaffen nach deinem Bilde, androgyne Ur-Menschheit, als vernünftige Geistseele und Gottes Partnerin. Die Menschheit soll dein makelloses Bild als mein Spiegelbild in sich bewahren. Wenn sie aber das unbefleckte Bild in sich beflecken, so sollst du Menschengestalt annehmen und das unbefleckte Gottesbild in der Menschheit wieder herstellen. Wenn ich dann in der Menschheit wieder das Bild der menschgewordnen Weisheit erkenne, will ich die Menschheit wieder annehmen als meine Partnerin und Braut und eine Hochzeit mit ihr feiern und in einer ewigen Ehe mit ihr leben. In dir, Sophia, göttliche Ur-Menschheit, schließe ich den ewigen Ehebund mit der Menschheit.

Jesus, der Bräutigam der weisen Jungfraun, ist die Jungfrau Sophia, die Braut der weisen Junggesellen. Nimm das unbefleckte Bild der Jungfrau Sophia in dich auf und vollziehe die mystische Hochzeit im Innern der Seele und stelle so in dir das androgyne Ebenbild Gottes her. Gott ist der Zusammenfall der Gegensätze und ist Logos-Sophia.

Gott spricht: Ich will dich trösten wie eine Mutter. Ich bin deine Mutter und du bist mein Sohn und mein Geliebter. Ich bin die Mutter der Schönen Liebe.



DAS SYMPOSIUM VOM SIEBENTEN NOVEMBER

Am siebenten November des Jahres **** lud Dante Alighieri in Florenz seine Humanistenfreunde zu einem Gastmahl ein. Der siebente November war nämlich der Geburtstag Platons und der Todestag Platons zugleich. Dante veranstaltete in seinem Haus in Florenz desöfteren solche Gastmähler. Es gab da einige Gesetze zu beobachten. Die Zahl der Gäste durfte die Zahl der drei Grazien nicht unterschreiten und die Zahl der neun Musen nicht überschreiten. Es gab als Speise nur weißes Brot und frisches Gemüse und einen milden Wein, der in Maßen getrunken wurde. Vor Tisch wurde über das Göttliche gesprochen, bei Tisch über leichte Themen und nach Tisch über die Philosophia. Dante hatte an diesem siebenten November zu Ehren Platons folgende Gäste eingeladen: Den Dichter Petrarca, die Philosophen Ficino und Pico della Mirandola, und die Künstler Raffael und Michelangelo. Sie schmückten die Büste Platons mit Olivenzweigen und setzten sich in die gemütlichen Sessel. Dante eröffnete das Gespräch als Gastgeber und begann: Zwei große Geister hat das Altertum uns geschenkt, das Erbe der Heiden an das Christentum, Aristoteles und Platon. Aristoteles wurde beerbt von Thomas von Aquin, dem engelgleichen Lehrer, und Platon wurde beerbt von Augustin, dem Größten aller Kirchenväter. Platons Schüler waren aber auch Johannes Scotus und Bonaventura. Wir sind alle Freunde Platons. Aber wir wollen nicht, wie der heilige Hieronymus, der Bibelübersetzer, antworten, wenn wir gefragt werden, ob wir Christen sind, sagen, wir seien Christen, aber dann zu hören bekommen, wir seien Ciceronianer. Nein, wollen wir Platon christianisieren oder das Christentum platonisieren? Wir wollen darum Gott dem Allerhöchsten am Anbeginn unseres Gastmahles die Ehre geben und vor Tisch das Lob Gottes singen. Da sprachen die anderen Gäste: Göttlicher Dante, wer kann besser das Lob Gottes singen als du, der du Gott geschaut hast von Angesicht zu Angesicht? Da lächelte Dante demütig und begann:
Ich will euch also führen den Weg zu Gott, wie ich ihn in meiner Vision gegangen bin. Wie dem engelgleichen Lehrer, dem heiligen Thomas, ist mir Frau Weisheit das letzte und höchste Ziel des Universums und die Erkenntnis der Frau Weisheit ist Sinn und Ziel des Menschen. Nie sättigt sich der Geist des Menschen, das sehe ich klar, als allein am Glanz der Frau Weisheit, der Quelle des Lebens. Alles, was außerhalb der Frau Weisheit ist, ist Tollheit und Wahnsinn. Doch findet der Mensch Frau Weisheit, dann ruht sein Streben, seine Qual der Sehnsucht findet bei ihr die Seelenruhe. Und sie ist zu finden, denn sie selbst spricht: Wer mich sucht, von dem will ich mich finden lassen. Anders wäre ja auch die brennende Sehnsucht der Menschenbrust vergebens, eitel und sinnlos. Ich gehöre keiner Schule an, ich preise den Aristoteliker Thomas von Aquin, aber auch den Platoniker Bonaventura, den Schüler des heiligen Augustinus. Augustinus, der Platoniker, ist mir der Fürst aller Mystiker. Mit Augustin erschaue ich in den Erscheinungen von Kunst und Wissenschaft, erschaue ich in der Wahrheit, der Gutheit und der Schönheit Ausstrahlungen der ewigen Liebe, der ewig schönen und wahren Liebe, dieses Lichtes aus Gott. Dieses Licht aus Gott steigt aus Gott herab bis in die letzten Möglichkeiten des Daseins herab. Darum glänzt das Irdische einmal mehr und einmal weniger unter dem unbefleckten Spiegel der Idee. Die Dinge der Welt sind alle in niederer und höherer Ordnung geordnet und diese sinnvolle Ordnung oder kosmische Hierarchie ist die Form, durch die der Kosmos Gott ähnlich ist. Aber meine göttliche Vision ist nicht nur eine Vision der Objektivität der kosmischen Ordnung, sondern auch ein Strahl des ewigen Lichtes in dem Funken meiner subjektiven Seele. So entwickelte sich mein Leben von den sinnlichen Schönheiten zu den philosophischen Studien, über die politische Wirksamkeit zur Ethik und von dort zur Religion, der Lehrmeisterin des seligen Lebens und des ewigen Friedens. Der Führer meiner Pilgerschaft durch die geistige Welt bis zur Schau Gottes war der Vater des Abendlandes, der Adventdichter der katholischen Kirche, der heidnische Prophet. Virgil ist Symbol für die Gabe der natürlichen Vernunft, die den Menschen heraufführt bis zu dem höchsten Gipfel der menschlichen Erkenntnis. Dort kommt von oben die Gnade herab, die Erleuchtung durch die göttliche Weisheit. Dies schenkte mir die heilige Beatrice, meine vergöttlichte Jugendgeliebte. Sie senkte auf mein Haupt den Strahl der göttlichen Gnade, die Erleuchtung durch die göttliche Weisheit. Als mich die Leidenschaften zu verwirren drohten, zeigte mir Vergils Vernunft den rechten Weg des Aufstiegs zum Höchsten Gut. Sinnenlust und Hochmut und Habgier beherrschten als Wölfin und Panther und Bär das Reich der Fiinsternis. Aber die Vernunft Virgils wies mir das Ungenügen an einer nur diesseitigen Lebensführung, er führte mich in das Unsichtbare, in die ewige Welt, in das Reich Gottes. Er führte mich bis zum höchsten Gipfel der natürlichen Erkenntnis, bis zu mir Beatrice trat, die selige Jungfrau der Weisheit und schönen Liebe. In meinen philosophischen Studien fühlte ich mich verwandt mit Boethius, dem Dichter des Trostes der Philosophia, da ihn die Göttin der Weisheit über das Böse, das Leid und den Tod tröstet mit der Erkenntnis der Glückseligkeit als dem Höchsten Gut, das allein wahrhaft ist. Aber seine Melancholia, seine Wehmut, seine Schwermut, sie woben ihre dunklen Schatten auch in meiner Seele. Diese Wunde der Trauer ist die Wunde, die Maria schloß und heilte, die Heilsbringerin und Freude aller Freuden! Boethius tröstete mich mit dem Trost, mit dem er selbst von der Philosophia getröstet worden ist, dieser Göttin der Weisheit auf dem Fundament der Christus-Offenbarung. Nun sah ich Harmonie und Übereinstimmung überall. Nun sah meine Seele einen Dreischritt der Erleuchtung zur Vollkommenheit. Es erinnert mich an den Dreischritt Clemens von Alexandriens. Sein erster Schritt war der Schritt vom Heidentum zum Glauben, sein zweiter Schritt der Schritt vom Glauben zur Askese, und sein dritter Schritt der Schritt von der Askese zur christlichen Gnosis. Mein Dreischritt war der Gang durch die Hölle, der Gang durch das Purgatorium und der Gang durch das Paradies bis zum Thron Gottes. Im ersten Schritt zeigte Clemens die Spuren der Wahrheit in den Griechen, den Dichtern, Philosophen und Sibyllen, im zweiten Schritt führte Christus den Studenten zur Wahrheit und im dritten Schritt enthüllten sich alle Wahrheiten als Elemente und innere Qualitäten der Einen göttlichen Selbstoffenbarung, vor der sich die Vernunft des Menschen in Demut anbetend niederwirft. Das ist auch der Weg meiner göttlichen Vision. Die vier Kardinaltugenden, die Frau Weisheit uns schenkt, die Tapferkeit, die Gerechtigkeit, das Maß und die Klugheit, die waren schon bei den edlen Griechen und Römern so stark verwirklicht, daß sie zu Wegbereitern der Kirche wurden. Was diese vier Schwestern beim frommen Vater Äneas aus Troja und bei der Jungfrau Virgil und beim großen Erzkaiser Cäsar vermochten, davon erzählt die Poesie und die Geschichte. Doch auch nach dem Kommen Christi hat jeder Mensch diese vier Schwestern nötig, und der Christ findet die vier Schwestern immer noch wirksam in dem Erbe der großen antiken Literatur der Weltweisheit. Aber ich weiß auch von den Grenzen der antiken Weisheit, deren Weisheit die natürliche Weisheit ist, wie sie Adam und Salomo in Vollkommenheit besessen haben. Die natürliche Weisheit der Antike führt nicht zur wahren Freiheit. Und doch hat mich Vergil zum Christentum geführt, wie Cicero den heiligen Augustinus zum Glauben geführt hat. Ich höre heute noch Vergil in meinem Traum zu Christus beten: O höchster Zeus, der du für uns gekreuzigt worden bist auf der Erde! Dieser Christus, denke ich, ist das Urbild und Vorbild der Menschheit aller Zonen und Zeiten, jeder Mensch ist auf den Gottmenschen Christus hin geschaffen. Die menschliche Seele ist von Natur aus Christin. Christus soll in jeder Seele geboren werden, die Seele soll in Christus wiedergeboren werden, daß der Gottmensch Christus in jedem Menschen Gestalt annimmt. Erst Christus gibt durch die Erlösung dem Menschen die Möglichkeit, ganz das zu werden, was er ist, nämlich Mensch und Bild Gottes. Aber um zu diesem lauteren Ebenbild Gottes zu werden, muß der Mensch die innere Hölle durchwandern, das Ungenügen am Diesseitsgenuß erkennen, die Unseligkeit irdischen Glücks, das Ungenügen selbst der süßesten erfüllten Wünsche und Begierden. Aber ohne die Gnade von oben können wir den Versuchungen nicht widerstehen und zur Höhe des Lichts nicht aufsteigen. Groß ist auch meine Sünde, aber stärker ist der Arm der Gnade Gottes, mich herauszureißen und zur Heiligkeit zu führen. Wird einem die Mühe des Aufstiegs zu Gott erst zum süßesten aller Genüsse, dann erscheint es einem so leicht als wie in einem Kahn auf stillem Teich zu schaukeln. Auf dem Grunde lockt immer noch die Sinnlichkeit und die Eitelkeit, doch die Seele muß durch die Versuchungen und Läuterungen hinan bis zur Stufe der wahren Freiheit der Kinder Gottes, nämlich dem Guten allein ganz anzugehören. Das war die Lehre des vernünftigen Vergil. Nie war mir süßer zumute und nie empfand ich schönere Lust als bei seiner Unterweisung. Hinan! Ich fühlte, wie mir die Flügel wuchsen. Vergil führte mich durch die Feuer der Hölle und durch die Feuer, wo das Gold geläutert wird, bis zu jenem Gipfel, bis zu jenem irdischen Paradies der natürlichen Erkenntnis, wo von nun an die Vernunft nicht weiterhelfen kann. Da sprach zum Abschied der süße Vater: Nimm nun dein eigenes Herz zur Führerin, dein Weg ist nun ein guter und heiterer Weg. Von nun an sei du selbst dir dein eigener Kaiser und Papst! Da erschien mir Beatrice wie eine selige Göttin in jungfräulicher Mädchengestalt, ganz in Glorienlicht der ewigen Schönheit gekleidet! Sie erweckte in mir die Reue, daß ich dem Reiz der Sinne zu oft gefolgt und mich von einem Weib ließ auf sündige Irrwege führen. Aber in Beatrice erschien mir auch die verzeihende Liebe. Ja, Beatrice lehrte mich, daß Liebe mehr ist als Erkenntnis. Die Seligen des Paradieses sind alles Liebende. Die Erkenntnis sucht Gott, um die Liebe zu vertiefen. Je mehr der Mensch das wahre Bild Gottes in seiner Seele und in der Natur erkennt, umso mehr wird er Gott lieben. Gottesliebe wird all sein Leben. Schließlich ist alles in allem die Liebe allein, die selige Liebe. Zur göttlichen Liebe führt die menschliche Liebe, ja, nur Liebe führt zur Liebe, die irdische Liebe führt zur himmlischen Liebe, die Liebe zur schönen Geliebten führt zur Schönen Liebe Gottes! Beatrice ist die Führerin von oben, die gnädige Liebe, die hinanzieht, das Ewigweibliche ist die Frau, die hinanzieht zur göttlichen Liebe. Die Liebe zur Geliebten zog mich aus der Sklaverei der Sünde in die himmlische Freiheit der Kinder Gottes. Da sah ich Maria, die mystische Rose, die Königin des Paradiieses! Wer zu solch einer Liebe schaut, zu solch einer reinen und schönen Jungfrau, der kann nicht mehr in Sünden leben. Ihre Schöne Liebe entzündet, verzehrt, verwandelt und reinigt bis zum reinen Licht. Nur Liebe kann den Menschen und das All erlösen. Das letzte aber ist das Schauen des göttlichen Urbildes alles Schönen und Wahren und Guten, das Schauen des göttlichen Urbildes der ewigen Liebe selbst, die Liebe, die göttlich ist! Meine höchste Liebe und brennendste Sehnsucht ist die Erkenntnis der göttlichen Liebe, die ich schaute in einem dreifachen Kreis aus Licht, mit menschlichem Antlitz, die Liebe, die das All regiert!
Dante schwieg. Da erhob Michelangelo die Stimme und sprach: Da nun Gott, die Ewige Liebe, gepriesen ist, wollen wir den Sohn der Ewigen Liebe preisen, den Menschen! Ich sah den Menschen, Adam, liegen im Schoß der Mutter Erde, Adama, sah ihn liegen nackt auf der Wiese im Garten Eden, ausgestreckt in seinem Körper, wie ein junger Apollo, schuldlos lag sein Penis in dem Tal seiner Scham, und Adam streckte den Arm und die Hand aus nach Gott. Wahrlich, über Adam sah ich den Herrn, den Ewigen, den himmlischen Vater schweben auf der Wolke der Herrlichkeit des Herrn. Der Uralte an Tagen hatte weißes Haupthaar und einen weißen Bart, weiß wie Schnee, er trug einen purpurnen Mantel. In den Armen des himmlischen Vaters aber sah ich Frau Weisheit, die Hagia Sophia, eine strahlende Jungfrau, nackt wie eine himmlische Venus, schön zum Entzücken! Denn Frau Weisheit spricht selbst: Als der erste Mensch noch allein im Garten Eden war, er, der Vater der Menschheit, da war Sophia bei ihm. Und als Adam in Sünde gefallen war, da richtete Sophia Adam wieder auf und machte ihn zu einem König aller Geschöpfe, zu einem kleinen Gott auf Erden! Nämlich der himmlische Vater hatte mit dem Finger Gottes den heiligen Geist in Adam eingegossen, daß Adam eine lebendige Seele ward, ein Geist und ein Partner der Hagia Sophia und ein Ebenbild und Gegenüber Gottes, ja ein Mitregent Gottes, ein Partner Gottes, des Herrn!
        Da sprach Pico: Gott spricht zum Menschen: Mitten in die Welt hab ich dich gestellt, damit du um dich schaust und siehst, was in der Welt ist. Ich schuf dich als ein mittleres Wesen, nicht als ein himmlisches Wesen, aber auch nicht als ein irdisches Wesen, ich schuf dich nicht als ein unsterbliches Wesen und nicht als ein sterbliches Wesen. Du sollst dein eigner Überwinder und dein eigner Bildner sein und dich bilden zu einem Bilde Gottes. Du kannst zum Tier dich erniedrigen in animalischer Triebhaftigkeit oder dich zu einem gottähnlichen Wesen wiedergebären im Geist. Die Tiere bringen aus dem Mutterleibe alles mit, was sie haben sollen in ihrem irdischen Dasein. Und die himmlischen Geister sind vom ersten Hauch des Mundes Gottes an so beschaffen, wie sie sein sollen in der Schönheit der Engelshierarchie. Du allein, o Mensch, hast eine Entwicklung, ein Wachsen nach der Freiheit deines Willens, du hast den Keim eines universellen Lebens in dir, ein All zu sein und ein Spiegel Gottes!
Es klopfte an der Tür und Dante rief: Ja! Da trat Gemma, Dantes unberühmte Ehegattin, herein und sprach: Soll ich die Speisen auftragen? Ja, sprach Dante, wir wollen nun speisen. Gemma trug auf den Tisch die Platten mit weißem Fladenbrot und Gemüse auf, mit Oliven und Schafskäse, Karaffen mit Wasser, und brachte eine Flasche Wein herein und reichte sie Dante. Dante verbarg mit seiner Hand das Etikett und schenkte einen Schluck in einen kristallenen Kelch ein, den er Michelangelo reichte, der als der vorzüglichste Weinkenner galt. Nun, Michelangelo, sprach Dante, was ist das für ein Wein? Michelangelo betrachtete die Farbe, schaukelte den Wein im Kelch und roch am Duft des Weines, nahm dann einen Schluck und bewegte den Wein auf den Geschmacksknospen der Zunge und des Gaumens. Er meditierte über all diese Sinnlichkeit und sprach dann: Ich meine, das ist ein vierzigjähriger Wein aus Shiraz. Wahr gesprochen, sagte Dante, den hat mir mein Bruder in Apoll Hafis geschickt, der ein Anhänger des Propheten Mohammed ist, und der ebenfalls von der Muse geküsst worden ist und darum mein Bruder ist. Er schrieb mir, ich solle den Wein aus Shiraz zum siebenten November auf das Wohl Platons trinken, denn er sprach: Unsere arabischen Philosophen schwören auf den Aristoteles, aber Rumi und Hafiz leeren ihren Becher auf Platon, den Propheten der Schönen Liebe! Nun schenkte Dante allen seinen Gästen ein. Gemma verschwand leise, durch die Tür schaute noch Dantes dreijähriger Liebling Giovanni, Dante küsste ihn und segnete seine Nachtruhe (Raffael, als er den kleinen Liebling Dantes sah, zeichnete im Geist einen kleinen Amor). Nun begaben sich die weisen Männer zum keuschen Mahl und mäßigen Trinken. Dante sprach: Wie es unserer Ordensregel entspricht, wollen wir nun der heiteren, leichten Muse die Ehre geben.
Der wie ein Engel reine Raffael lächelte lieblich und holdselig und sprach: Dann will ich euch von Galathea erzählen. Ihr spracht wohl viel von Adam als dem Herrn der Schöpfung, ich aber will euch von Galathea erzählen, der schönen Frau als Krone der Schöpfung und Höhepunkt des schöpferischen Eros. Wir müssten die ganze Mythologie der Griechen bemühen, und zwar nicht allein die der olympischen Götter, sondern auch der archaisch-pelasgischen Urwesen, um das Fest zu feiern, dessen Höhepunkt die Offenbarung der göttlichschönen Galathea ist. Aber das mag ein weiser Poet tun, ich will allein euch meine Galathea schildern, um euch zu euren sinnlichen Gaumenfreuden auch im Geist eine sinnliche Augenweide erscheinen zu lassen. Wohlan denn! Pygmalion war ein antiker Künstler, der in seiner Seele noch die Erinnerung trug an das himmlische Urbild der Schönheit. Er hatte vor seiner Empfängnis im Mutterschoß Frau Schönheit in der Ideenwelt immer und ewig betrachtet. Nun in seiner Seele erinnerte er sich an die himmlische Schönheit und schuf nach dem Vorbild dieses Urbilds das Kunstwerk einer Göttin der Schönheit. Er bildete in dieser Aphrodite die vollkommene Schönheit eines Frauenkörpers, den Inbegriff der Charis, des Liebreizes, des Entzückens, des Charmes, der Anmut und der Schönheit. Er schenkte diese makellose Aphrodite dem Heiligtum der makellosen Schönheit in Alt-Paphos, das in früheren Zeiten Marion hieß. Dort ward die Aphrodite-Statue im Aphrodite-Tempel aufgestellt. Pygmalion aber sehnte sich so sehr nach dem Geschöpf seiner eigenen Hände, dem Inbild seiner Seele, daß er eines nachts in den Tempel der Aphrodite von Marion trat und anschaute die makellose Aphrodite. Da ward er von solcher Lust entflammt, daß er die nackte Marmorgöttin umarmte mit der Glut seines Leibes, ob er den Stein erwarmen könne und dem Götzen Leben von seinem Leben einhauchen könne. Da hörte er leise eine Stimme, eine zärtliche Frauenstimme flüstern wie einen seliger Geist, der in dem Tempel der reinen Schönheit wohnte: Mein Liebling, ich will dir ein lebendiges Abbild meines himmlischen Urbildes zur Geliebten schenken! Geh nur in der Morgenröte des ersten Tages der Woche an den Strand von Zypern und zwar bei Petra tou Romiou, dann will ich dir die fleischgewordene Himmelsschönheit erscheinen lassen als eine wahrhaft lebendige Frau. Pygmalion vertraute dem Genius der makellosen Schönheit von Marion und trat am Sonntag Morgen in der Morgenröte an den Sandstrand von Petra tou Romiou. Da sah er, und siehe, was er sah, war Galathea auf dem Meer! Das lichtblaue Meer und der lichtblaue Himmel bildeten eine einzige Unendlichkeit, ein einziges absolutes Licht. Im Himmel flogen die himmlischen Kinder, nackte geflügelte Knaben mit Pfeil und Bogen, und schossen die feurigen Pfeile der Liebe! Im Meer erhob sich der bärtige Meergott und umarmte lüstern eine nackte vollbusige Nymphe! Die Rosse des Meeres ritten auf der Brandung und die Delphine schossen durch die glänzenden Fluten! Tritonen bliesen die Hörner und Sirenen sangen verlockende Lieder der süßen Lust! Auf dem Muschelthron der Venus aber stand Galathea, die milchweiße Göttin, die herrliche Menschengöttin in vollkommener Schönheit! Ihr rosenroter oder blutroter Umhang wehte im Winde und offenbarte viel vom schönen nackten Körper! Nackte Beine wie feste Säulen, kräftige Arme, die Zügel straffend, der bloße Bauchnabel und die bloße Hüfte, allein die Scham war keusch verhüllt vom glühenden Stoff, die drängenden Brüste zusammengedrückt von den Armen quollen lustvoll aus dem wehenden Kleid, der lange schlanke Hals wie der Hals einer Schwanin wendete sich um und nach oben zu dem göttlichen Kind mit dem feurigen Liebespfeil, ihre Augen voll flehender Sehnsucht und zärtlicher Liebe, ihre rotblonden Locken frisch und frei in frohlockender Fülle flatterten in dem Meerwind! Sie war die lebendige Flamme der Liebe auf dem Ozean der Schönheit! Das Feuer der Liebe, das Meer der Wollust, der Äther der göttlichen Kinder und die Muschel der Venus, dies alles war die elementare Allmacht der natürlichen Liebe Gottes in der Schöpfung!
Das Mahl war beendet. Dante stieg in den Weinkeller, einige Flaschen Eilfer heraufzuholen, denn nun begann der dritte Teil des Abends, das philosophische Gespräch. Die Männer tranken den Eilfer und mit dem Eilfer das Feuer der Inspiration. Petrarca begann zu sprechen.
Lieben Brüder, der Funke der Liebe zur Antike glühte immer im Christentum, aber ich hab ihn neu entfacht. Ich liebe aber nicht allein die Form der Antike, sondern mehr noch den Geist der Antike, nämlich den Menschen im Kosmos. Ich hatte den Mont Ventoux in der Provence bestiegen, und als ich den Gipfel erreicht hatte, schlug ich die Konfessionen des heiligen Augustinus auf und fand die Stelle, da er davon spricht, daß die Menschen alles unternehmen, die Welt zu erringen, aber keiner kümmere sich um seine Seele. So sagte ja Augustinus einmal: Gott und meine Seele, etwas anderes interessiert mich nicht. So sagt ja auch das Orakel von Delphi: Erkenne dich selbst! Und Augustinus ergänzt: Erkenne dich selbst, erkenne deine Seele, steige hinab in dein Herz und du findest Gott! Aber die Menschen staunen die Pyrrenäen an oder erfreuen sich am Atlantik oder am Mittelmeer, sie betrachten die Drei Schönen des Sommerhimmels, Adler, Schwan und Leier, aber sich selbst lassen sie unbeachtet, vor sich selbst bleiben sie ohne Bewunderung. Ich aber will bewundern mein persönliches Seelenleben, ich will ergründen die Geheimnisse meines Ich. An die Stelle einer anonymen Einordnung in die objektive Ordnung der Kirche tritt das religiöse Selbst, das gottsuchende Subjekt, das fromme Inidivduum. Aber in mir erwacht nicht nur der Mensch, in mir erwacht auch die antike Liebe zur Natur, zum Kosmos, ja, in mir erwacht geradezu eine epikuräische Lust! Und dennoch lebt in mir auch die Erkenntnis der Eitelkeit alles Irdischen und meine Seele sehnt sich nach dem Himmel, nach Gott! Zwei Seelen sind in meiner Brust, die Erde und der Himmel, die Antike und die Kirche, mein Blut und das Gesetz Gottes. Der Strom der Antike war bisher ein kleiner Strom im Wasserbett der Kirche, nun ist der Strom der Antike ein großer reißender Strom geworden, angeschwollen zu einem gewaltigen Strom, der allein dahinströmt im Bett der Menschheit. Wo aber in all den gewaltigen Seelenbewegungen wahre ich die Einheit meiner Person? Ist es die Ordnung der Kirche? Ich kann mich nicht allein als ein unwissendes Glied an ein Ganzes anschließen, ich will selbst ein Ganzes sein. Ich entwickle die Ganzheit und Einheit meiner Persönlichkeit in einem ideellen humanistischen Kloster. Das goldene Maß des Horaz ist die einzige Klosterregel. Das immerwährende Gebet ist das immerwährende Studium der Weisheit. Cicero war der Seelenführer des heiligen Augustin, so sei Horaz mein Seelenführer, so wie Virgil auch Dantes Seelenführer war. Wir stehen hier aber auf römischem Boden, unser humanistisches Kloster steht auf römischem, und das heißt christlichem Boden. Unser Kloster ist ein Koster der Liebe, unser Herz gehört der Liebe, unser Herz ist erfüllt von einer Unrast und verzehrenden Sehnsucht nach Liebe, die keine irdische Freundschaft und Liebe stillen und befriedigen kann, als allein die absolute ewige Liebe selbst! Diese absolute ewige Liebe ist der absolute Wert auch der Wahrheit und Weisheit, der Prüfstein, an dem sich alle Weisheit der Antike messen lassen muß. Und wäre es selbst der heilige Platon, wenn er vom Absoluten mich hinwegzöge zu relativen Werten, so müßte ich ihn verachten (dem ist aber nicht so). Ich lese das Symposium Platons und die Aenäis Vergils so, daß mir das Evangelium Christi immer mitklingt in meinem Innern. Denn der Logos des Evangeliums ist der Logos spermatikos der Antike. Diesen Logos spermatikos der antiken Weisheit liebe ich mehr als selbst die Tugend und die Poesie liebe ich mehr als selbst das Leben! Aber nicht Vergil und Horaz, meine Lieblingsautoren, haben mich zu dem gemacht, der ich nun bin, ein Seher und Sänger, der noch in fünfhundert Jahren gelesen und verstanden wird, sondern mich machte zum Menschen der heilige Augustinus! Dieser Fürst der abendlänischen Mystik hat einen unbeschreiblichen Einfluß auf meine Seele, so sehr, daß ich von ihm nur in scheuer Verehrung reden kann. Er ist der Vater meiner christlichen Seele! Dieser gewaltige Charakter hatte nach schweren Kämpfen mit seinem Blut eine wahre Bekehrung erlebt. Diese Erschütterung hatte zusammen mit den Seelenstürmen, die er noch zu durchstehen hatte, ihn zu solcher Tiefe der Selbstbetrachtung geführt, die als Selbstbetrachtung zugleich und vor allem Gottesbetrachtung, ja Gotteslob und Anbetung war! Augustin stand an der Wende der Antike zum Mittelalter, ich aber stehe nun an der Wendung des Mittelalters zur Wiedergeburt der Antike im christlichen Geist. Als Augustin auf dem Gipfel des provencalischen Berges zu mir gesprochen hat, da wurde ich zu dem, was ich bin, ein Christ und Humanist. Ich sah, daß alles unter der Sonne eitel und nichtig ist verglichen mit der Betrachtung des Menschen, der Seele, und Gottes im eigenen Herzen. Augustinus sprach: Ich war immer aufgewühlt, seufzte und weinte und fand keinen Frieden. Ein zerrissenes, blutendes Herz trug ich in meinem Busen, das nicht ruhig werden wollte noch sich trösten lassen wollte, und ich fand keinen Ort, wo ich es zur Ruhe hätte betten können. Weder im schönen Garten noch bei Kinderspielen oder Spaziergängen, weder auf den Feiern noch bei den Trinkgelagen, weder in den nächtlichen Zelebrationen mit den Venus-Nonnen noch bei Büchern oder Gedichten fand meine Seele Ruhe und Frieden. So erging es Augustinus. Aber dann erlebte sein Herz die Bekehrung zur Schönen Liebe! Er wurde von der Krankheit seiner Seele geheilt. Er wandte sich mit dem ganzen Herzen der Schönen Liebe zu. Die Schöne Liebe wurde die Mitte seines Herzens und Lebens. Wenn er spricht, so spricht er mit der Schönen Liebe im Gebet, wenn er dankt, so dankt er der Schönen Liebe, wenn er klagt, so klagt er der Schönen Liebe, wenn er singt, so singt er den Lobgesang der Schönen Liebe. Sein Bekenntnis ist der einzigartige Jubel seiner Seele, daß sie die Schöne Liebe gefunden hat! Ich bin aber Intellektueller und Ästhet. Das Schuldgefühl erwirkt mir Heimweh der Seele in den Ort des ewigen Friedens. Ich bin in erster Linie ein ästhetischer Mensch, nicht ein religiöses Genie oder gar ein Heiliger. Ich verzichte weder auf die schöne Form noch auf den Nachruhm als Dichter. Meine Seele ist voll von dem bittersüßen Weltschmerz, der Melancholie, der romantischen Seelenzerrissenheit. Meine Tugend ist stoisch und meine höchste Weisheit die der Apathie. Ich erkenne die Eitelkeit aller weltlichen Güter, ganz wie die antiken Meister. Mein Thema ist die natürliche menschliche Schwäche. Darum lehre ich, das Herz an nichts und niemand zu hängen, denn alles Irdische ist eitel. Darum trink deinen Wein und pflücke den Tag!
So sprach Francesco Petrarca und hob den Kelch mit dem Eilfer und trank auf den Logos Spermatikos, die Weisheit der Alten! Nun erhob Marsilio Ficino die Stimme:
Mich erfüllte von Jugend an der platonisch-pädagogische Eros. Zum Platonismus zog mich eine innere Wahlverwandtschaft. Ausgedehnte Studien sollen mir das Fundament bilden einer freien Geistesbildung, in der immer die Stimme des Gemüts mitschwingt. In meiner Jugend sagte Cosimo de Medici über mich: Dieser Jüngling, der den Platonismus nur aus seinem Abglanz kennt und doch so vom heiligen Eros für den Idealismus glüht, wird sich gewiß noch zum vollkommenen Platoniker entwickeln, zum Arzt der Seelen. Cosimo schenkte mir eine schöne Wohnung und ein kleines Landgut. Boden unter den Füßen zu haben, ist die beste Voraussetzung für den Dienst der Muse. Ich lernte anspruchslose Bedürfnislosigkeit. Cosimo sorgte dafür, daß ich nicht nur alle Texte Platons, sondern auch Plotins besaß. In Cosimo war der Gedanke der Platonischen Akademie entzündet worden und ich bin es, der dem Gedanken Leib und Seele gab. Ich führe die platonische Tradition auf Zoroaster zurück, den Propheten des Guten, ich führe sie zurück auf den ägyptischen Priesterkönig Hermes Trismegistos, dessen Schriften wir vor kurzem entdeckten. Es besteht ein fortlaufender Zusammenhang in der hellenistischen Philosophie, angefangen bei den uralten Quellen, fortgeführt von Pythagoras, über Plato bis zum Neuplatonismus und seiner Wiederauferstehung in der katholischen Philosophie. Mir scheint zur Zeit die Hypothese wahrscheinlich, das sich die gesamte Tradition dieser Philosophia aus einer Uroffenbarung an Hermes ableitet. Die Wahrheit des Urplatonismus sozusagen wird bestätigt durch die Liebe des heiligen Augustinus zu den platonischen Ideen und auch der Tatsache, daß der heilige Dionysios vom Areopag, der Schüler des Apostels Paulus, in seiner mystischen Geheimlehre die platonische Philosophie auf dem Fundament Christi weiterentwickelt. Die Lehren Platons stehen der christlichen Religion so nahe, daß der heilige Augustinus ein Dankgebet zu Gott emporschickte, als die Bücher Platons in seine Hände gelangten. Wir wollen philosophische und religiöse Betrachtung in eiinem vornehmlich kontemplativen Leben vereinen. In der Vergeistigung des Sinnlichen und der hohen Auffassung der Liebe richte ich mich nach meinem Meister Platon (wiewohl einer meiner Schüler aus Liebe sagte, ich hätte den Meister in meinem Dialog der Liebe noch übertroffen). Meine Ideale werden besonders von den Deutschen geschätzt. Alle Germanen sind meine Germani, meine Brüder. Ich grüße Paracelsus und Agrippa von Nettesheim und vor allem Albrecht Dürer, dessen Ikone der heiligen Madonna Melencolia mich zu meiner Philosopühie der Melancholie inspiriert hat. Ich meine nämlich, das Leben und Dasein an sich ist ein Zustand der Melancholie. Es ist die Sehnsucht nach der göttlichen Heimat, das Heimweh der Seele. Aber diese Melancholie als die Mutter der Musen inspiriert den melancholischen Menschen zur Kontemplation. So wird der Mensch ein Philosoph. In seiner Philosophie ist er aber ein Freund der Sophia, der ewigen Weisheit. In der Betrachtung der göttlichen Weisheit versuchte er, mit Platon gesprochen, so weit wie möglich der Gottheit nahezukommen und ähnlichzuwerden. So ist die melancholisch-kontemplative Philosophie ein Weg der Ähnlichwerdung mit der Gottheit oder, mit den Griechen gesprochen, eine Gottwerdung des Menschen (gemäß der Menschwerdung Gottes).
Da schwieg Ficino. Pico della Mirandola hob seine Stimme und sprach: Germanischer Abkunft bin ich, tiefsinnig wie ein Germane, lieben Brüder. Griechisch studierte ich bei den Griechen, Hebräisch bei den Hebräern, Philosophie in ihren Quellen. Man warf mir meine Beschäftigung mit der allgemein verhassten Scholastik vor. Sechs Jahre lang verzehrte ich meine Jugend und opferte meine Nächte unverdrossen für das Studium des engelgleichen Thomas von Aquin. Diese Zeit war nicht verschwendet. Verschwendet ist vielmehr die Zeit, die andere mit Stilblüten und Redewendungen verbringen. Auch die barbarischen Scholastiker besitzen Geist, wenn auch keine Süßigkeit auf der Zunge, aber im Busen reines Gold. Das Ziel des Menschen ist der geläuterte Zustand eines reinen Geistes. Dazu dienen vor allem die christlichen Mysterien, aber ihm nützen auch die antiken und die jüdischen Mysterien, sie führen zur Enträtselung der dunklen Natur, zur Vergeistigung und Unsterblichkeit. Wer wünschte nicht, das Feuer des Sokrates zu besitzen und sich von Sokrates auf dem irdischen Jammertal zu den Gipfeln des himmlischen Jerusalem hinantragen zu lassen? Lassen wir uns von sokratischem Feuer erfüllen, dann erlischt in uns das menschlich-irdische und wir gehen ein in das Wesen des Seins selbst, das All-Eine. Die heilige Theologie wird uns mit doppelter Erkenntnis beglücken. Im geheimnisvollen Schatten der platonischen Höhle erschauen wir die unwandelbaren Wesenheiten, deren Dauer zeitlos ist, das reine Sein, die unbefleckte Schönheit und die ewige Liebe. Nur durch Frömmigkeit und Läuterung gelang man in solche Sphären, wo für gemeine und niedere Geister kein Wohnrecht ist, zum Licht. Das ist die Summe aller Weisheit. Alle Weisheit und alles Studium soll zur Vergeistigung führen. In den philosophischen Studien ist der einzige Lohn die Kultur der Seele und die Erkenntnis der Wahrheit. Wer die Totalität der Natur erkennt, der fiindet auch zum Bilde des Menschen, der er selber ist. Niemand aber kann allein den Weg gehen. Darum hat die ewige Weisheit uns als Gemeinschaft der Heiligen die unsterblichen Meister der Weisheit zu Führern gegeben. Die Übereinstimmung und tiefere Einheit aller Philosophien beweist, daß dem menschlichen Streben nach Erkenntnis und Wahrheit die gleiche und einzige Sonne leuchtet, die ewige Idee des göttlichen Lichts. Zu den Meistern der ewigen Weisheit zähle ich Platon und Aristoteles, Thomas von Aquin, griechische Weisheit, arabische Weisheit, jüdische Weisheit, christliche Weisheit, Plotin und Jamblichus, der mit den geheimnisvollen Mysterien des Morgenlandes bekannt macht. Wenn auch manches in den Lehren dieser Weisen von einander abzuweichen scheint, so scheint mir doch eine geheimnisvolle tiefere Einheit vorhanden, die sie alle als Offenbarungen der einen ewigen Weisheit auszeichnet. Aus dem Morgenland kam die Weisheit, die Griechen pflegten sie, bis sie zu den Römern kam. Die Lehre der platonischen und neuplatonischen Schule ist nach dem Zeugnis des heiligen Augustinus ein heiliges Eigentum der wahren Philosophia. Aber ich hisse nicht die Fahne des Platonismus als eine Kampfansage an den Aristotelismus. Meiner Ansicht nach vertragen sich die beiden Systeme sehr gut, meine Aufgabe scheint es zu sein, ihre geheimnisvolle innere Übereiinstimmung zu beweisen oder die Identität von Idee und Form, von Höchstem Gut und Erstursache. So glaube ich auch fest und bin überzeugt von der Identiität von Glauben und Wissen, denn die natürliche Offenbarung der Vernunft und die göttliche Offenbarung Christi bezeugen nur die Eine Wahrheit, ja, es kann keine zwei Wahrheiten geben, die Wahrheiit ist Eine. Platon und Aristoteles lehren die Eine Wahrheit, Platons Lehre steht im Zusammenhang mit der natürlichen Urweisheit, der Uroffenbarung der natürlichen Philosophie, die in keinem Widerspruch zur göttlichen Offenbarung Gottes in Christus steht oder auch nur stehen könnte. In diese Offenbarung der ewigen Weisheit wollen wir den Aristotelismus und die Scholastik ebenso einbeziehen wie die heiligen Lehren der jüdischen Kabbala. Alle diese Meister bezeugen einen erhabenen Eros, den heiligen Eros für die Weisheit, für die Wahrheit-Schönheit und für das höchste Gute. Alle diese Weisheit der unsterblichen Meister lehrt den mystischen Eros zur Gottheit, der All-Einheit.
Dante sprach: Lieben Brüder, verehrte Meister! Es ist spät geworden. Der Wein ging zur Neige. Ich danke dem himmlischen Zeus und Christus unserm Heros! Möge Maria, die graziöse Nymphe, euch alle segnen! Sankt Plato, ora pro nobis!



DAS FEMININE ANTLITZ GOTTES

„O divina!“
(Puschkin)

„Ecce femina!“
(Puschkin)


ERSTER TEIL


1

Gott der Herr formte den Menschen aus dem Staub der Erde und blies in seine Nase den Odem, so daß der Mensch ein lebendiges Wesen wurde. Gott schuf Mann und Frau nach seinem Bilde und segnete sie und gebot ihnen, fruchtbar zu sein und sich zu mehren und die Erde zu beherrschen.
        In Genesis 2 schuf Gott den Mann aus dem Staub der Erde und gab ihm die Tiere zu Genossen. Als diese sich als nicht geeignete Genossen erwiesen, schuf Gott die Frau aus der Seite des Mannes. Der Mann erkannte die Frau als Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Es ist wie im mesopotamischen Heldenepos Gilgamesch, da der wilde Mann Enkidu, der mit den Gazellen lebt, erst von einer Frau, einer Priesterin der Liebe, zivilisiert und humanisiert wird.
        Gott schuf nicht nur die ersten Menschen, sondern Gott ist auch zuständig für die menschliche Empfängnis. Er ist es, der den Mutterschoß öffnet. Gott schafft das Kind und gestaltet das Kind im Mutterschoß und bringt es zur Geburt und hütet es in seiner Entwicklung.
        Auch im Verhältnis zum Gottesvolk Israel ist Gott in dieser Rolle. Gott ist die Macht der Empfängnis und des Gebärens. Gott ist die barmherzige, mitleidvolle Mutter, die bewacht Israels erste Schritte. Israel wird wegen seiner Gottvergessenheit angeklagt wie einer, der seine Mutter vergißt: Du hast vergessen den Berg, der dich trug, du hast vergessen Gott, der dich geboren hat. Moses beklagt sich, daß es ihm zu schwer wird, das Volk Israel zu tragen durch die Wüste und erklärt, daß es Gott ist und nicht Mose, der Israels Mutter ist: Hab ich dies Volk empfangen? Gab ich ihnen in der Geburt das Leben, daß du nun zu mir sagst: Trage sie an deinem Busen wie eine Amme einen Säugling trägt?
        Gott kann in Bezug auf Israel mit einem mächtigen Krieger und einer fleißigen Frau verglichen werden: Nun schreie ich wie eine Frau bei der Arbeit, ich werde stöhnen und seufzen! Der Psalmist ruft Gottes Hilfe und erinnert Gott: Du hobest mich aus dem Mutterschoß und ließest mich geborgen sein an den Mutterbrüsten. Durch Jesaja erinnert Gott Israel, daß er geboren ist von Gott in seiner Geburt und getragen von Gott vom Mutterschoß an.
        Gottes mütterliche Fürsorge für Israel währt das ganze Leben. Sie ist schöpferisch und erlösend. Bis in dein Alter bin ich derselbe, selbst wenn du graue Haare hast, werde ich dich tragen. Ich habe dich gemacht und werde dich tragen. Ich werde dich tragen und retten. Gottes liebende Sorge für Israel ist größer noch als die Mutterliebe: Kann eine Frau ihr Kind vergessen, die Frucht ihres Leibes? Und selbst wenn sie dich vergäße, ich, dein Gott, ich vergesse dich nicht!


2

Das Mädchen spricht: Küsse mich mit den Küssen deines Mundes, denn deine Liebe ist berauschender als der rote Wein! Deine Salben duften, dein Name ist wie ein ausgegossenes Parfüm. Das Mädchen arbeitet im Weinberg, dazu beauftragt von den Söhnen ihrer Mutter. Sie ist schwarz und schön. Schaut mich nicht an, daß ich so schwarz bin! Die Liebenden liegen in Liebesumarmungen umschlungen, ihr Körper duftet wie Narde aus Indien, sein Körper liegt zwischen ihren bloßen Brüsten, sie vergleicht ihn mit zyprischen Hennablüten, die so berauschend duften, und mit Myrrhe, die zerrieben lieblich duftet.
        Die junge Geliebte vergleicht sich selbst mit einer Rose der Scharonwiesen am Fuße des Karmel und mit einer Lilie im Tal, wildwachsenden Blumen. Den Geliebten vergleicht sie mit einem Apfelbaum inmitten des fruchtlosen Waldes der andern Kerle. Sie verlangt nach seinem süßen Geschmach und fleht: Erquicke mich, erquicke mich mit Rosinenkuchen, labe mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe! Oh wie sanft liegt deine linke Hand unter meinem Haupt und wie liebevoll umfängt mich dein rechter Arm! Mein Geliebter ist wie ein Gazellenbock, wie ein Hirsch, der über die Hügel springt. Mein Geliebter tritt an mein Fenster und spioniert durch das Fensterloch, die Geliebte im Bett zu betrachten! Er flüstert ihr zu: Erhebe dich, meine Schöne, und komm, denn der Winter ist vergangen, der Schnee ist fort, die Zeit der Liebe ist gekommen!
        Der Geliebte verschwindet. Die Geliebte ruft ihn aus ihrem Bett, aber er gibt keine Antwort. Sie schlüpft aus hrem Haus und eilt durch die Straßen, aber sie findet ihn nicht. Schließlich findet sie ihn und bringt ihn iin das Haus ihrer Mutter.
        Erneut erscheint er vor ihrer Kammer und steckt die Hand ins Schlüsselloch, das Schlüsselloch trieft von Salbe, die von seinen Fingern tropft. Ihr Inneres wallt und wogt ihm entgegen!
        Ihre Freundinnen fragen sie: Was hat dein Geliebter vor andern voraus, daß du ihn so suchst? Da singst sie den strahlenden Glanz seiner Schönheit, sein Leib ist ganz aus Marmor! Dann geht sie dahin, wohin er vorausgegangen ist: In seinen Garten, zu den Beeten mit den Kräutern, wandle ich, wo er weidet seine Lämmer in den Lilienwiesen und wo er die Blumen pflückt. Sie erklärt ihre Vereinigung: Ich bin meines Geliebten und mein Geliebter ist mein!
        Wie sie seine Schönheit gepriesen hat, so preist er entzückt nun ihre Schönheit: Wie lieblich sind deine bloßen Füßen in den goldenen Sandalen, meine Prinzessin! Deine Schenkel sind wie goldene Spangen, geschmiedet von einem großen Künstler! Dein Becken ist wie ein Becher, dem nie der Rauschtrank mangelt! Dein Körper ist wie ein Bündel Weizengarben, umwunden mit Kornblumen, Wiesenkerbel und Wildmohn! Du bist wie eine hohe Palme, Geliebte, und deine Brüste sind süß wie Datteln! Ich will die Palme besteigen und ihre Wedel umfangen, ich will pflücken die Dattelfeige! Deine Brüste sind wie pralle Trauben am Weinstock, ich will mich berauschen an dem prallen Reichtum deiner Brüste! Deine Küsse machen mich selig trunken wie die Küsse des Weines, der lieblich in mich einströmt, daß ich trunken im Schlummer selig lalle!
Die Geliebte ruft dem Geliebten zu: Komm in die Aue, komm in den Weinberg und laß uns schlafen unter Henna! Die Blüten sind aufgegangen und die Granatäpfel sind schon reif! Ich will dir meine Liebe hingeben!
        Setz mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie einen Ring an deine Hand! Meine Brüste sind wie Türme! Mein Weinberg ist für dich, mein Prinz, komm rasch, komm rasch, mein Geliebter: Rasch, mein Geliebter und komm wie ein Gazellenbock auf dem duftenden Scheideberg!


3

Frau Weisheit sing ich und ihre Gegenspielerin, Frau Torheit. Höre, mein Kind, spricht der Weise, höre auf die Mahnung deines Vaters und den Rat deiner Mutter, folge nicht den Sündern, die dich in deiner Jugend verführen wollen, eine Bande von Rebellen und Mördern. Komm mit uns, sagen sie, wir morden unschuldiges Blut, unsere Opfer rauben wir aus und all unsre Beute teilen wir untereinander.
        Ist der Jüngling vor dieser Räuberbande erst einmal gewarnt, dann beginnt Frau Weisheit auf den Straßen und Plätzen öffentlich zu reden. Ihre Stimme ist freundlichernst nach Prophetenart und warnt und mahnt die, die nicht auf sie hören wollen, vor dem Fall. Wer nicht auf die Mahnungen der Weisheit hört, den wird Panik wie ein Sturm überfallen, wie ein Wirbelwind kommt Unheil und Angst. Wer nicht auf Frau Weisheit hört, dem kommt ihre Hilfe nicht zuhilfe, wenn sie im Unheil rufen. Dann wird Frau Weisheit über sie lachen! Ich, spricht Frau Weisheit, lache die Spötter aus uund verhöhne die Übeltäter am Tag ihres Unglücks!
        Aber nicht alles ist verloren, denn noch ist eine Gnadenzeit zur Umkehr gegeben. Wer umkehrt und im Lichtglanz der Frau Weisheit wandelt, wiird ein gutes Leben haben. Die auf mich hören, werden sicher und geborgen sein und sich vor keinem Unheil fürchten! Frau Weisheit schenkt die innere Kultivierung der Seele, aber auch irdische Wohlfahrt kommt aus ihrem Füllhorn. Wohlergehen, Gesundheit und Klugheit schenkt Frau Weisheit, sie beschützt vor bösen Schicksalsschlägen, vor den Launen der Fortuna, sie spendet ein erfülltes Leben und Lebenssattheit, Wohlgefallen in den Augen der Menschen und Wohlgefallen in den Augen Gottes! Heilung dem Körper und Erquickung der Glieder schenkt Frau Weisheit, die Kammern füllt sie mit guten Gaben, die Becher fließen über von leckerem Wein! In der rechten Hand der Frau Weisheit ist ein Leben in Fülle und in der linken Hand sind gute Gaben und ehrenhafter Ruhm! Sie ist der Lebenbaum denen, die sie umarmen, und die sie umschlingen, werden glücklich sein!
        Die Gegenspielerin der Frau Weisheit ist Frau Torheit, die Frau eines fremden Gottes. Sie schmeichelt dir mit süßen, sanften Worten und verspricht dir Glück, aber ihre Wege führen in die Hölle der bitteren Schmerzen. Ihre Lippen fließen über von Milch und Honig, aber später wird sie bitter wie Wermut sein, ihre Zunge schmeichelt dir sanft und verspricht dir Liebkosungen, aber später wird sie wie ein scharfes Schwert dir dein Herz durchbohren! Ihre Füße wandeln in das Schattenreich, ihr Weg führt in die Unterwelt der Dämonen, ihr Ende ist der Tod! Frau Torheit verlockt den Frommen, eine gottlose Frau zu heiraten, damit er abfällt von seinem Gott, dem Herrn. Dann, spricht Frau Weisheit, dann mein Sohn, wenn du deine Gaben bringst in das Haus der Frau eines fremden Mannes, dann wirst du klagen, weil du arm geworden bist und betteln mußt!
        Frau Weisheiit lockt den Weisen mit süßen Worten leidenschaftlicher Liebe: Mein Geliebter, trinke lebendiges Wasser aus deiner eigenen Quelle, laß deine klaren Wasser dir allein strömen! Jauchze entzückt über deine jugendliche Geliebte, die lichtstrahlende Jungfrau, die du geheiratet hast! Sie ist wie eine liebliche Gazelle, wie ein sanftes Reh. An dem Reichtum ihrer prallen Brüste berausche dich allezeit, laß dich sättigen von dem überströmenden Reichtum ihrer Brüste! Mögest du selig werden in der Ganzhingabe ihrer schönen Liebe!
        Frau Torheit, die fremde Frau eines anderen Gottes, ist eine Ehebrecherin, denn sie hat den Bund mit dem wahren lebendigen Gott gebrochen und sich den Dämonen gewidmet. Sie ist verheiratet mit einem fremden Mann. Aber wenn du, Mann, durch die Wiesen und Gärten wandelst, dann lockt sie dich in ihr Haus mit den süßen Reizen einer unkeuschen Ehebrecherin, mit all dem Zauber ihrer sinnlichen Schönheit lockt sie dich in ihr Bett. Eine Hure kostet dich ein wenig Geld, aber die Frau eines fremden Mannes kostet dich dein Herz!
        Die Frau des fremden Mannes wartet am Anfang der Straße und am Tor des Gartens und ist gekleidet verführerisch wie eine Hure, verlockend zum wilden Taumel der Sinnenlust. Wenn der Spaziergänger in ihren Garten tritt, dann verspricht sie ihm mit lüsternen Blicken eine berauschende Liebesnacht in ihrem ägyptisch parfümierten Bett, wenn ihr Mann auf der Arbeit ist. Mein Mann ist den ganzen Tag auf der Arbeit, lispelt sie, und er kommt erst bei Sonnenuntergang nach Hauuse. So lange wollen wir uns berauschen an den Wonnen der nackten Wollust! Wir wollen spielen die Spiele der Liebe und uns ergötzen an Augenlust und Fleischeslust! Das ist die sinnliche, irdische, teuflische Weisheit der Frau Torheit.
        Frau Weisheit ist eine liebenswürdige Gastgeberin. Ihr Haus gründet auf sieben Säulen. Sie bereitet ihr Mahl aus Gemüse, sie gießt den besten Wein in die Glaskelche und setzt sich mit dem Weisen an den Tisch und speist und trinkt mit ihm. Iß von meinem Brot und meinem Fleisch und trink mein Traubenblut, das ich dir eingegossen habe, sagt sie zu dem Studenten der Weisheit! Lege die Einfalt ab und wandle auf dem Pfad der Einsicht!
        Frau Weisheits Rivalin, Frau Torheit, sieht aus wie die Zwillingsschwester der Frau Weisheit. Sie lädt auch ein zu einem Gastmahl. Aber ihr Wein ist Drachengeifer und ihr Brot ist gestohlen. In ihrem Hause sind Dämonen Gäste ihres Tisches. Wie kann der einfache Mann Frau Weisheit und Frau Torheit unterscheiden? Der sicherste Weg ist, im unendlichen Haus Gottes zu bleiben und nicht zu den Götzen der Heiden abzuirren.
        Frau Weisheit schenkt nicht allein das Leben des Menschen, sondern sie ist das Lebensprinzip des Kosmos selbst. Frau Torheit beherrscht nur das Gebiet der Gottlosigkeit und des ewigen Todes. Frau Weisheit legte die Fundamente der Schöpfung Gottes. Durch Frau Weisheit schuf der Herr die Erde, durch Einsicht bildete Gott das Firmament. Frau Weisheit kam aus Gott vor der Morgenröte der Schöpfung. Bevor irgendein Geschöpf geschaffen wurde, wurde Frau Weisheit im Geiste Gottes gezeugt. Als Gott die Tiefen schuf, die quillenden Wasser, die Höhen und Tiefen der Erde und den fruchtbaren Grund der Erde, da war Frau Weisheit da. Frau Weisheit ist Tochter Gottes, eingeborene Tochter Gottes und Gottes Lieblingin, Gottes Partnerin und Mitschöpferin, Werkmeisterin und Architektin des Kosmos und Künstlerin, die die Schöpfung gestaltete. Sie ist Gottes Wonne und sein ewiges Entzücken! Ihre Wonne ist es, bei den Menschenkindern zu weilen. Ihr Entzücken ist es, mit den Menschenkindern auf Erden zu spielen! Frau Weisheit spricht: Ich liebe, die mich lieben!
        Sie ist das innere spirituelle Leben der Seele, zugleicher Zeit ist sie das immanente Dasein des göttlichen Geistes, den Kosmos erfüllend: Sie umgibt und erfüllt alle Dinge, denn sie ist ein Hauch der Kraft Gottes, eine pure Emanation der Glorie Gottes, sie ist Reflektion des ewigen Lichts und makelloser Spiegel des Aktes Gottes und die unbefleckte Ikone der göttlichen Liebe!


4

Weisheit, das ist Sophia, ist der Selbstausdruck Gottes, Agentin Gottes in der Schöpfung des Kosmos, durch die der Kosmos erhalten wird und vollendet, die göttliche Vorsehung in der endgültigen Ordnung des Kosmos ist sie und erfüllt das All mit der göttlichen Gegenwart. Sophia steigt herab auf der Erde und spricht sich aus in der Torah, der irdischen Manifestation Sophias. Sie bietet spirituelle Speise an, Brot und Wein denen, die zu ihr kommen. Aber sie wird auch abgelehnt, mißverstanden von den Gelehrten dieser Welt, offenbart sie sich den Kindern und den Narren in Gott.
        Jesus Christus ist diese göttliche Sophia! Diese Christ-Sophia stieg herab vom Himmel, wo sie bei Gott in ihrer Gottheit war und hielt ihre Gottheit nicht fest wie ein Diebsgut, sondern entäußerte sich ihrer göttlichen Majestät und nahm auf Erden die Gestalt des armen Gottesknechtes an, geboren im Fleisch, demütig das Schicksal der Menschen teilend bis zum menschlichen Tode! Darum hat Gott erhöht die Christsophia über alles, über alle Mächte im Himmel und über alles, was auf der Erde und im Totenreich ist, daß sich alle Kniee beugen vor der einen wahren Christsophia, die in Jesus Mensch geworden ist, und daß alle Zungen bekennen, daß Jesus ist die wahre göttliche Sophia, zur Glorie Gottes!
        Die Christsophia ist die offenbare Ikone der unsichtbaren Gottheit, die Erstgeborne aller Schöpfung. In der Christsophia sind alle kosmischen und irdischen Mächte und Kräfte erschaffen, alle Wesen und Dinge sind durch sie und in ihr und für sie erschaffen, sie ist vor allen Dingen und in ihr halten alle Dinge zusammen. Die Idee, daß die Christsophia die vereinigende Kraft des Kosmos ist, führte dazu, sie zum Haupt der Kirche zu machen, der Kirche, die da ist die Schatzkammer der Weisheit oder auch der mystische Körper der Christsophia! Die künftige Wiedervereinigung des Kosmos mit Gott geschieht durch das Opfer der Christsophia und das erlösende Blut Jesu! Sie ist der Anfang, das Urprinzip, die Erstgeborne aus den Toten, daß in allem die Christsophia ist die Erste! In der Christsophia wohnte die ewige Urgottheit in ihrer ganzen Fülle, und durch die Christsophia wird alles, was im Himmel und auf Erden ist, erneuert und wiederhergestellt in ursprünglicher Schönheit und vereinigt mit Gott durch das Opfer des Blutes Jesu am Kreuz!
        Gott sprach durch seine Propheten, zuletzt sprach Gott aber in Jesus selbst. Jesus ist die Christsophia, Liebling Gottes, Schöpferin und Erlöserin. Diese Christsophia ist Herrin aller Dinge, durch die Gott die Welt erschaffen hat. Die Christsophia reflektiert die Glorie Gottes und ist der Stempel der Gottheit und die Spur Gottes in der geschaffnen Natur, und erhält das Universum durch das Wort ihrer Kraft. Sie reinigt die Menschheit von der Sünde durch das Opfer Jesu und thront als Christsophia und Liebling Gottes zur Rechten der Majestät in der Höhe, erhöht über alle Throne und Seraphim und Cherubim, denn die Christsophia ist die Königin und Herrin der Hierarchie der neun Chöre der Engel, vornhmeren Wesens als der Engel des Herrn!
        Die Christsophia erlöst die Gläubigen von der Herrschaft des Fürsten dieser Welt, welches ist der Satan, dem Gott dieser Welt und Herrn der dämonischen Mächte. Die Christsophia stellt wieder her die Ordnung der kosmischen Mächte in ihrer Hinwendung zu Gott dem Herrn. Unterdrückerische Königreiche auf Erden sahen die Propheten als irdische Manifestationen englischer Mächte in ihrer Rebellion gegen den Allerhöchsten. Die Christsophia in ihrem messianischen Heilswirken überwindet diese rebellischen Mächte und restauriert den Kosmos in seiner ursprünglichen Schönheit und Harmonie. Wer eintritt in die Gemeinschaft der Erlösten und in den zukünftig wieder hergestellten Kosmos, der ist ein Glied dieser unbefleckten Kirche, die der mystische Körper der Christsophia ist, und wird so befreit von der Macht des Einflusses jener dämonischen Mächte, die sich gegen Gott erhoben unter Führung Luzifers.
        Jesus wird uns dargestellt als ein Lehrer und Prediger der göttlichen Weisheit. Jesus spricht: Die Weisheit hat Propheten und Apostel gesandt, die von Staat und Kirche der Juden und Römer getötet worden sind. Jesus als die Jesus-Sophia selbst weint über die geliebte Stadt Jerusamlem und wollte ihre Kinder unter ihren Flügeln sammeln, wie eine mütterliche Henne ihre Küken unter ihren Flügeln sammelt, um sie zu beschützen. Jesu Gemeinschaft mit den Sünderinnen und Sündern wird gerechfertigt, weil die Weisheit gerechtfertigt wird durch ihre Werke, wie die Weisheit gerechtfertigt wird durch ihre Kinder.
        Im Johannesprolog finden wir den Hymnus auf den ewigen Logos als eine Form der Hymne an die göttliche Sophia. Jesus war die göttliche Weisheit, und die göttliche Weisheit war mit Gott und war Gott, und alle Dinge sind durch sie geworden. Sie ist das Leben und das Licht der Welt. Sie kam in die Welt, aber die Welt erkannte sie nicht. Aber alle, die sie empfangen und aufgenommen haben, denen gab sie die Macht, Kinder Gottes zu sein, nicht geboren von Menschen, sondern geboren von der Gottheit!




ZWEITER TEIL


1

Die Weisheit der syrischen und griechischen Kirchenväter will ich sagen. Heilig Geist ist im hebräischen und syrischen feminin, im griechischen Neutrum, im lateinischen und deutschen maskulin, denn Heilig Geist ist von keinem Geschlecht. Im Evangelium nach Philippus heißt es: Manche sagen, Maria empfing vom Heiligen Geist. Sie wissen nicht, was sie sagen. Kann ein Weib von etwas Weiblichem empfangen? Im Hebräer-Evangelium ist Heilig Geist die Mutter Christi und die Kraft, die ihn erhebt und bringt ihn auf den Berg der Verklärung, Tabor. Jesus spricht: So tat meine Mutter, Heilig Geist, nahm mich bei einem meiner Haare und brachte mich zu dem großen Berge Tabor!
        Die syrischen Oden von Salomo singen herrlich das feminine Antlitz Gottes. Gottes Wort ist Milch, die eine Mutter dem neugebornen Baby gibt. Bei der Taufe wurde dem Getauften ein Becher mit Milch und Honig gereicht. Dies ist die Speise des Neugebornen, Wiedergebornen. Aber es sind auch die Ströme des Paradieses, das von Milch und Honig überfließt, in das der Getaufte nun eingetreten ist.
        Das Wort ist die Milch, und Gott ist der Gott mit dem Reichtum der Mutterbrüste, an denen die Gläubigen saugen! Christus, die Weisheit und Schöpferin der Menschheit, die Christus-Sophia spricht: Ich formte meine Glieder und meine eigenen Brüste bereitete ich für sie, daß sie heilige Milch trinken und durch sie leben! Der Gläubige spricht über Christus: Ich wurde getragen wie ein Kind von seiner Mutter, und Christus gab mir Milch, den Tau des Herrn. Der Dichter spricht: Wie Honig trieft von der Honigwabe der Bienen und Milch strömt aus den Brüsten der Frau, die ihr Kindlein liebt, so ist meine Hoffnung auf dich, o mein Gott!
        Der Gläubige spricht: Ein Becher Milch ward mir gereicht und ich trank die süße Freundlichkeit des Herrn. Der Sohn ist der Becher, der Vater wurde gemolken und Heilig Geist melkte Gott. Gottes Brüste sind prall und übervoll und seine Milch strömte nicht sinnlos von ihm. Heilig Geist öffnete ihren Busen und mischte die Milch aus den Brüsten Gottes. Dann reichte Heilig Geist, dann reichte sie diesen Mischtrank den Generationen von Gotteskindern, und die die Milch empfingen, die ruhen an Gottes Busen!
        Der Schoß der Jungfrau Maria empfing die Milch Gottes und empfing den Sohn und gebar ihn. So wurde die Jungfrau eine Mutter reich an Gnade. Sie gebar ihn kraftvoll wie ein starker Mann und gebar den Sohn mit großer Macht!
        Heilig Geist erscheint als Taube. Dies ist die Taube der Liebe und die Taube des Friedens. Die Taube schwebte über dem Haupt des Messias, sie sang über ihm und er hörte ihre Stimme. Die Taube flattert über dem Nest mit den Taubenküken. Der Gläubige ist im Nest wie in einem Schoß und ruht im Mutterschoß selig, wie ein Embryo in dem Mutterschoß einer liebenden Mutter, wie Jesus ruhte im Schoß Mariens. Die Schwingen der Taube über dem Nest der Küken, die sperren ihre Schnäbel ihrem Schnabel entgegen, so sind die Schwingen des Heiligen Geistes über meinem Herzen. Mein Herz erquickt sich immer wieder und hüpft vor Freude wie ein Embryo hüpft im Schoß der liebenden Mutter! Heilig Geist rauscht wie ein Wind durch meine Harfe, so sing ich diesen Gesang!
        Christus ist die Jungfrau Sophia, die ruft ihre Söhne und Töchter zu sich! Wie vollkommen erhaben stand die makellose Jungfrau Sophia da und rief ihre Söhne und die Töchter ihrer Söhne: Kehrt um und kommt zu mir! Ich will in euch eingehen und euch erlösen von der Zerstörung und euch weise machen auf dem Weg der Wahrheit! Heilig Geist gibt mir, dem Dichter, Ruhe und trägt mich auf den Flügeln des Gesanges in die Glorie Gottes, wo ich entzückt von der Schönheit Gottes diese Hymne singe!
Ich höre im Himmelreich das Hohelied: Der Bräutigam liebt die Braut, das ist Christus, der die Seele liebt, und sie gehen zusammen in das Haus der Mutter, die Mutter ist Gott!


2

Im Mittelalter blühte eine große Devotion zu Maria. Hunderte Kirchen Unserer Lieben Frauen wurden gebaut. Der Marien-Altar ward Bestandteil jeder Kirche. Reliquien ihrer Haare, ihrer Milch und ihrer Gewänder wurden eingeschreint. Private Devotion wie das Gebet des Rosenkranzes florierte, da der Gläubige allezeit mit Maria wie durch eine Nabelschnur verbunden war. Kontemplative Menschen sahen sie in Visionen. Hymnen zelebrierten alle Aspekte ihres Lebens, von der Makellosen Konzeption über ihre Himmelfahrt bis zu ihrer Krönung im Himmel und ihrer Apotheose, ihrer Vergöttlichung durch die Gnade der Allerheiligsten Dreiifaltigkeit! Theologen disputierten über ihre besonderen Privilegien.
        Aufgrund ihrer jungfräulichen Reinheit blieb ihr Körper vor Verwesung bewahrt. Johannes von Damaskus sprach: Wie der gerechte und heilige Körper Christi, der von Maria geboren worden, der Kröper, der in hypostatischer Union mit dem göttlichen Wort vereinigt war, erhob sich aus dem Grab am dritten Tag nach der Schrift, so wurde sie erhoben aus dem Grab, die Mutter wurde heilig ihrem Sohn gesellt, und so wie er zu ihr herabgestiegen war, so sollte sie zu ihm hinansteigen in den Himmel der Himmel!
        Der Feiertag der Himmelfahrt Mariens ist der fünfzehnte Tag des Augustus. Dieses Fest ist gleich ehrwürdig mit dem Weihnachtsfest und dem Osterfest. Die deutsche Seherin Elisabeth von Schönau sah Maria, im Körper steiigend in den Himmel und dort gekrönt zur Himmelskönigin. Der engelgleiche Hirte Pius der Zwölfte defiinierte dies als Offenbarungswahrheit der katholischen Offenbarungsreligion.
        Augustinus glaubte, daß Maria im Mutterschoß bereits von allen konkreten Sünden bewahrt blieb. Die Kirchenlehrer diskutierten die Lehre ihrer Makellosen Konzeption, der Freiheit Mariens von allem Makel der Urschuld vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an. Es setzte sich die Wahrheit durch, daß die Seele sich im Augenblick der Empfängnis mit dem körperlichen Keim vereinigt, und das Maria von diesem Augenblick der Verschmelzung der Seele mit dem Körper im Augenblick der Empfängnis vom Makel der Erbschuld befreit gewesen ist durch die Gnade des ewigen Wortes. Hier ist auch die Wurzel der Wahrheit, daß die Tötung eines Fötus im Mutterschoß ein abscheulicher Greuel ist, den Kinderopfern an Moloch gleich!
        Die Jesuiten der Gegenreformation erhoben nach den Franziskanern des Mittelalters die Wahrheit der Makellosen Konzeption Mariens auf den Schild. Papst Pius der Neunte definierte dies Dogma als katholische Offenbarungswahrheit, von allen katholisch-apostolischen Christen anzunehmen als von Gott geoffenbarte Wahrheit. Die Künstler gestalteten die Immaculata nach der Vision der apokalyptischen Frau des zwölften Kapitels der Offenbarung an Johannes als ein jungfräuliches Mädchen im Kleid der Sonne, den Mond zu ihren Füßen und die Krone von Sternen auf dem Haupt. Die Künstler liebten es, die makellose Jungfrau in der Herrlichkeit ihrer puren Reinheit als Himmelskönigin zu glorifizieren!
        Das gläubige Volk der Christenheit sah Maria nicht allein in ihrer unbefleckten Empfängnis und Himmelfahrt mit Leib und Seele, sondern im Himmel auch gekrönt von Gott als Himmelskönigin. Wie sprach doch der König zu Esther, dem Vorbild Mariens im Alten Testament: Bitte von mir, was du willst, und sei es die Hälfte meines Königreichs! So ist Maria mit dem Himmelskönig Christus die Himmelskönigin und mit Christus, dem König des Paradieses, ist Maria die Königin des Paradieses. Jesus und Maria teilen sich die Herrschaft des Himmelreichs.
        Marias pure Juungfräulichkeit und makellose Reinheit erlaubte es den Gläubigen in ihr den reinen Menschen zu sehen, reiner noch als Eva vor dem Fall. Denn Eva besaß die Freiheit zu sündigen, aber Maria durch ihre einzigartig priviligierte Bewahrung vor aller Schuld besaß nicht mehr die Möglichkeit, von Gott getrennt zu sein, sondern sie war bis in die tiefste Faser ihres Leibes und den geheimsten Winkel ihrer Seele mit Gott hingebungsvoll vereinigt. Maria allein bewahrte die ursprüngliche Gutheit des Menschen in perfekter und ganz heiliger Weise, unfähig zur Sünde aus intimster Gottesvereinigung! Maria garantiert so den Christusgläubigen, daß der gute Keim des Menschen und das unbefleckte Ebenbild Gottes auch in der sündigen Menschheit noch bewahrt bleibt, von der Sünde zwar angegriffen wird, aber nicht erloschen ist als der göttliche Seelenfunke im Geheimnis der Seele.
        Die Himmelfahrt Mariens schenkte den Gläubigen jene Hoffnung, daß ein geheiligter Körper und eine gereinigte Seele in einer kommenden Himmelswelt ewig leben werden in der Vereinigung mit der Gottheit.
        Ein Renaissance-Theologe formulierte den Glauben an die Präexistenz der Madonna, an die Präexistenz der Seele Mariens. Als ein Advocat der Makellosen Konzeption und Verehrer der Ewigen Weisheit verlegte der Theologe die Unbefleckte Reinheit der Seele Mariens und ihre Entstehung nicht in den Augenblick ihrer Empfängnis im Körper des marianischen Fötus, sondern in den Augenblick ihrer Hauchung durch den Heiligen Geist vor der Morgenröte der Schöpfung, nach den Worten der Frau Weisheit durch Salomo: Vor aller Schöpfung bin ich von Gott geschaffen, das Erstlingswerk seiner Werke! Maria ist so als die ewige Frau Weisheiit das Erstgeschöpf Gottes, die Schöpfung vor der Schöpfung, das Meisterwerk des Heiligen Geistes, mehr gehaucht als geschaffen, die unbefleckte Urseele des Menschen, die makellose Ikone der Urmenschheit nach dem Bilde Gottes. Ja, Marias Seele ist die makellose Ikone der unsichtbaren Urgottheit, um derentwillen die gesamte Welt erschaffen ist! Wie in Ewigkeit der unergründliche Vater als seinen eigenen Grund den Sohn hervorbringt und aus des Vaters Liebe zum Sohn und des Sohnes Liebe zum Vater der Heilige Geist hervorgeht, so betrachtet sich die dreieinige Gottheit in dem unbefleckten Spiegel der makellosen Jungfrau Maria-Sophia, die der unbefleckte Spiegel der Urgottheit ist und spiegelt das makellose feminine Antlitz Gottes!


3

In der Vision der teutonischen Prophetissa vom Rhein ist die feminine Figur, die Gott repräsentiert, die der Anfang ist und die Verbindung Gottes mit der Schöpfung und ist der Sinn, um derentwillen die Schöpfung geschaffen ist, Frau Weisheit (Sophia), auch genannt Frau Minne. Ihre Grundlage ist die Weisheitstheologie der Heiligen Schrift. Hier erscheint sie nicht vermännlicht als Logos Christus, sondern in ihrer femininen Schönheit des ersten Bundes. Die Seherin schaut die Kosmologie der platonischen Philosophie, daß alles Geschaffene zuvor existierte im Geist Gottes. Frau Weisheit ist präsent in Gott und ist Gottheit von Ewigkeit, sie ist der Geist Gottes, in dem alle Dinge präexistent vor der Schöpfung als Ideen gegenwärtig sind.
        Frau Weisheit ist die Macht, durch die Gott die präexistenten Ideen im Geist zur manifesten Wirklichkeit hervorbringt in materieller Form. In diesem Sinne ist Frau Weisheit das Alpha und das Omega, der Anbeginn der Schöpfung und das Ziel der Schöpfung. Sie ordnet die ganze Schöpfung. Sie hat niemandes Hilfe angerufen und beraucht keinen Helfer, denn sie ist die Erste und die Letzte, als die Erste hat sie geordnet die Ordnung aller Dinge. Aus sich selbst und durch sich selbst hat sie alle Dinge geformt in Liebe und Zärtlichkeit. Sie übersah vollkommen den Anfang und das Ende all ihrer Werke, denn sie formte alles vollkommen, so steht alles unter ihrer Führung. Die ganze Schöpfung ist das Kleid Sophias.
        Sophia ist die Energie, die Grünkraft, die allem Leben gibt, als diese existiert sie in Gott, der Quelle des Lebens. Alle Kreaturen sind Funken der Strahlen der Brillianz Gottes. Oh du göttliche Energie Sophias, du kreisender Kreis, alles umgibst du mit deinem lebendigen Pfad. Drei Schwingenpaare hast du, das eine Schwingenpaar rührt an die Höhe, das zweite Schwingenpaar rührt an die Erde und mit dem dritten Schwingenpaar bist du überall! Ruhm sei dir, Frau Weisheit, wie dir gebührt!
        Die Schöpfung ist kein Ding außerhalb Gottes als vielmehr umgeben von Gott, eingeschlossen in Gott. Wie ein zeitloses Rad umgibt die heilige Gottheit alles und schließt alles in sich ein.
        Dieses Umgeben Gottes und Allumfassen der Schöpfung ist wie ein kosmischer Kreis mit den Zyklen der Sphären und Sterne und Elemente, dem Sonnensystem und der Erde und dem Menschen als Mikrokosmus im Makrokosmos. Der ganze kosmische Kreis ist umgeben von der femininen Figur Sophias. Frau Weisheit oder Frau Minne halten das Universum in ihrem Schoß beschlossen. Sophia ist so die Weltseele, deren lebensspendende Einwohnung im Kosmos dem Kosmos sein Leben gibt. Sophia verbindet so das Göttliche und das Geschöpfliche. Sie ist beides, die Selbstoffenbarung des Schöpfers und die Liebe der Geschöpfe zu ihrem Schöpfer.
        Die Beziehung Sophias zu Gott ist eine erotische Beziehung. Sophia ist die Braut des Ewigen! Sie ist vereinigt mit ihm in einem zärtlich-liebevollen Tanz der hochzeitlichen Vereinigung. Sophia ist eine überaus liebevolle Freundin des Ewigen. Sie wird dem Ewigen treu bleiben, denn sie ist in Ewigkeit bei ihm und mit ihm, und so wird sie von Ewigkeit zu Ewigkeit die Seine bleiben. Sie ist auch das Schicksal der Welt, das liebevolle, göttliche Schicksal, die Herrscherin der Welt. Frau Weisheit ist das Auge Gottes, das voraussieht alles und betrachtet alle Dinge und Wesen.
        Wie eine starkte Frau gestaltet sie die himmlischen Werke, die die Menschen bekleiden. Wie eine Mutter ernährt und erzieht sie alle Menschenkinder und lehrt sie ihre Arbeit. Sie umfasst das Körperliche und das Spirituelle der menschlichen Arbeit. Frau Weisheit lehrt ihre Kinder, sich in Tugend zu kleiden, wie eine Mutter, die Kleider macht für ihre ganze Familie.
        Frau Weisheit spricht durch die menschliche Wissenschaft und lehrt, die Natur zu verstehen. Frau Weisheit ist die Lehre der frommen Philosophen von Gott, der Natur und dem Menschen. Frau Weisheit ist die Quelle der Offenbarung der Propheten und Apostel. Frau Weisheit schuf den Gottmenschen Jesus Christus im jungfräulichen Mutterschoß Mariens.
        Schließlich spricht Frau Weisheit auch in einem unstudierten Menschenkind, und offenbart sich in Einreden und Visionen.


4

Die Jungfrau von Guadelupe will ich singen! In der indianischen Theologie existierte ein Allerhöchstes Göttliches Wesen, das Eine, das angebetet wurde als Unser Vater, Unsere Mutter, Uralte Urgottheit! Diese allerhöchste Gottheit offenbarte sich im Kosmos als ein Gott und Herr und eine Göttin und Herrin. Der Gott und Herr war Quetzalcoatl, die gefiederte Schlange, der Morgenstern, der keine anderen Opfer als Blumen und Schmetterlinge wollte. Er verschwand im Jahr des Kalenders 1-Rohr und wird wiederkommen im Jahr 1-Rohr. Im Jahr 1-Rohr kam Spanien nach Amerika, mit ihnen die Franziskaner, die den reinen Katholizismus in Amerika begründen wollten. Mit ihnen kam der Kult der Jungfrau von Guadelupe. Sie wurde identifiziert mit der indianischen Göttin und Herrin Tonantzin, die genannt wurde Unsere Köstliche Mutter.
        Nun existierte ein Tempel Unserer Lieben Frau von Guadelupe in Amerika, und die Indianer nannten sie Tonantzin, das heißt Göttin, und die Priester nannten Unsere Liebe Frau, die Mutter des wahren Gottes, Tonantzin. Der Marienname Muttergottes wurde in der Sprache der Indianer mit Tonantzin übersetzt. Die Indianer kamen aus allen Gegenden des Kontinents, anzubeten die Jungfrau von Guadelupe, die sie Unsere Köstliche Mutter nannten.
        Tonantzin war nicht der Name eines der aztekischen Götzen, die Menschenopfer forderten. Tonantzin war der indianische Name für die weibliche Offenbarung der Einen Allerhöchsten Urgottheit an sich. Er bedeutete einfach Göttin. Nun der Monotheistische Glaube der reinen katholischen Religion in Amerika gepflanzt wurde, identifizierten die Indianer die katholische Maria mit ihrer mütterlichen Göttin in ihrem liebevollen Aspekt. Die Maria der spanischen Katholiken wurde eins für die indianischen Christen mit der liebevollen Göttin Tonantzin.
        Die Jungfrau von Guadelupe war erschienen in Amerika und hatte den Indianern ein Bild ihrer Schönheit geschenkt. Dies ist das Imago der Jungfrau Maria, der Mutter des wahren Gottes, der Jungfrau von Guadelupe, auf wunderbare Weise erschienen in Mexiko-Stadt, erschienen als die Frau der Offenbarung wie in der Vision der Frau im zwölften Kapitel der Apokalypse. Maria war erschienen dem Iindianer Juan Diego. Sie sandte Juan Diego zum Erzbischof mit der Bitte, ihr einen Tempel zu bauen am Orte ihrer Erscheinung. Der Bischof zweifelte und forderte ein Zeichen. Maria forderte Juan Diego auf, im Dezember auf einem unfruchtbaren Felsen Blumen zu pflücken, kastilische Edelrosen. Er sammelte sie in seinem Poncho. Als er den Umhang vor dem Bischof öffnete, fielen die Blumen heraus und das Bild der Jungfrasu erschien wunderbar gewirkt auf dem Poncho des armen Inianers Juan Diego.
        Das Bild, das auf dem Poncho erschien, war das wahre Bild der Jungfrau Maria, die Vera Ikon. Dieses Bild erschien im Geist Gottes in Ewigkeit und war in Wahrheit das Bild, das der Prophet Johannes sah in seiner apokalyptischen Vision der Frau, bekleidet mit der Sonne, den Mond zu ihren Füßen, gekränzt mit Sternen, wie im zwölften Kapitel der Apokalypse beschrieben.
        Juan Diego war wie Maria Magdalena und der Bischof war wie die Apostel. Maria Magdalena sah Christus in seiner Auferstehungsherrlichkeit, doch die Apostel glaubten ihr nicht. Juan Diego sah die Jungfrau Maria in ihrer Glorie, aber der Bischof glaubte ihr nicht. Die Apostel glaubten Maria Magdalena nicht, denn sie dachten, sie sei eine Sünderin. Der Bischof glaubte Juan Diego nicht, denn er war ein Indianer und ein armer Bauer. Die Apostel dachten, Maria Magdalena sei von sieben Dämonen besessen. Der Bischof glaubte, Juan Diego wäre besessen von den sieben Teufeln des atztekischen Götzendienstes. Der Berg Tepeyac, wo die Jungfrau in Herrlichkeit erschien, ist der Berg Tabor, da Petrus, Johannes und Jakobus Christus in seiner Verherrlichung schauten. Juan Diego ist der neue Moses und Mexiko ist das Gelobte Land Unserer Lieben Frau. Die Indianer eilten zu der wahren Ikone im neuen Tempel wie die Hirten eilten, das neugeborene Jesuskind zu sehen auf dem Schoß seiner Mutter in Bethlehem.
        Maria sprach zu Juan Diego und nannte ihn mein kleiner Sohn, mein liebes Söhnchen, mein jüngstes Kindlein. Juan Diego nannte Maria meine Matrone, meine Herrin, meine Dame, mein junges Mädchen, Tochter Gottes! Sie sprach in Nahuatl, der blumigen Sprache der Indianer mit ihrem Juanito.
        Alle Amerikaner, alle indianischen Vorfahren waren schlafende Adame, aber da erschien im Paradies Amerika die Neue Eva, die Neue Eva in ihrem Paradies des maxikanischen Guadelupe, und erweckte Adam von seinem Todesschlaf.
        Das Imago der Jungfrau repräsentiert exakt Maria, wie sie im Geist Gottes präexistent war in Ewigkeit. Der Lichtglanz um die Jungfrau stellt die Gottheit Christi dar, der Körper der Jungfrau stellte die Menschheit Christi dar. Die wahre Ikone der Jungfrau Maria macht Maria präsent und läßt sie gegenwärtig sein auf dieselbe Weise, wie Christus in der Eucharistie präsent ist.
        Mexiko ist eine auserwählte Nation, als Ganzes bekehrt durch die Erscheinung der Jungfrau Maria. Die Indianer waren die zehn verlorenen Stämme Israels, die sich bekehrten zur Tochter Zion. Die Mexikaner sind ein auserwähltes Volk und Mexiko ist das Paradies Mariens, als Ganzes erwählt von der Jungfrau. So hat Gott keiner anderen Nation getan, daß er ihr die wahre Ikone der ewigen Existenz Marias im Geiste Gottes in einer wahrhaftigen Ikone schenkte. Das Volk von Mexiko ist Marias auserwähltes Volk.
        Die Theologen vermuteten, das in apostolischer Zeit der heilige Apostel Thomas nach Amerika gekommen war und dort die Wahrheit über die Menschwerdung Gottes verkündete. Die Erinnerung an den heiligen Apostel Thomas lebte fort in der Gestalt des weisen und liebevollen Priesterkönigs Quetzalcoatl, und die Predigt des heiligen Apostels über die Mutter des Messias lebte fort in der Gestalt der liebevollen süßen Muttergöttin Tonantzin, Unserer Köstlichen Mutter. So war die indianische Religion eine mythische Erinnerung an die eine wahre Religion der christlichen Offenbarung, wenn sie auch später entstellt wurde von atztekischen Greueldämonen wie dem blutrünstigen Moloch Vitzliputzli, der Menschenopfer in ungeheurem Ausmaß verlangte. Es galt für die neuen spanischen Apostel nur noch, das ursprüngliche Bild der wahren Religion wiederherzustellen. Dies unternahmen die sanftmütigen weisen Franziskaner, und die Mutter des wahren Gottes stand ihnen bei mit ihrer allmächtigen Fürsprache.
        Lang lebe die Jungfrau von Guadelupe! Unsere Königin und Mutter, rette uns! Du bist die Mutter der Armen! Führe uns in der Revolution der Liebe in die wahre Freiheit der Kinder Gottes! Du bist die Göttin der beiden Amerikas! Du bist die Führerin der doppelt unterdrückten Frauen der Armen, ihre Führerin im Himmel! Du bist schön wie die Morgenröte einer neuen Zeit! Du hast ein großes Herz und als die himmlische Führerin der Frauen hast du ein Becken, das wie ein Becher ist, dem nie der Rauschtrank mangelt!
        Virgencita! Indianita! Morenita!
O, wir glauben, da ist die göttliche Mutter, die uns liebt!


DIE SEXUALITÄT MARIENS


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Jesus sagte: Die Königin von Süden kam, die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr als Salomo. Und also spricht Maria: Salomo sang sein Liebeslied Sulamith, der Tochter des Pharao, aber siehe, hier ist mehr als Sulamith. Ich spreche vom Hohen Lied als dem Allerheiligsten der Heiligen Schrift. Die traditionelle Deutung ist, daß der Bräutigam Gott ist und die Freundin oder Braut ist die Kirche, ist die Seele, ist Maria. Aber sowohl in einer pietistischen Bibelauslegung als auch in der Theosophie des protestantischen Theosophen Gottfried Arnold fand ich die Auslegung, daß die Braut die göttliche Sophia ist und der Bräutigam der mystische Theosoph. Wir wollen beides im Auge behalten. Da Gott nicht Mann noch Frau ist, wollen wir die Gottheit in männlichen und weiblichen Bildern beschreiben und die bräutliche Menschheit entsprechend als Brautseele oder als Minnesklaven beschreiben. Unser Thema ist aber die Sexualität Mariens. Wie wird das Geschlecht der Sulamith verherrlicht? In der Bibel heißt es: Dein Nabel ist ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt. Oder es heißt: Dein Schoß ist ein Kelch, dem nie der Mischwein mangelt. Oder es heißt: Dein Becken ist ein Becher, dem nie der Mischwein mangelt. Damit ist das Geschlecht der Jungfrau Maria in der Heiligen Schrift heilig gefeiert. Was ist aber der Mischwein? Es ist die Gottheit, die in menschlicher Weise begriffen wird, der Mischwein der Gottheit-Menschheit. Ich weiß nur von der heiligen Mechthild von Magdeburg, die begehrte, den ungemischten Wein der Gottheit zu trinken. Mechthild von Magdeburg, die wir heilig sprechen, singt also, und hier ist mehr als Salomo: Dein Becken, o Maria-Sulamith, ist ein Becher, dem nie der ungemischte Wein der puren Gottheit mangelt! Was sagt aber die heilige Schrift von der sexuellen Liebe und dem begehrenswerten Körper der heiligen Braut? Der prophetische Minnesänger der heiligen Schrift singt, inspiriert vom heiligen Geist: Dein Körper, Geliebte, ist wie eine Palme, und ich will die Palme besteigen und die Feige pflücken! Hiermit ist zum Ausgang des Hohenliedes der sexuelle Akt zum Gleichnis geworden der Erkenntnis der göttlichen Liebe, die sich in der göttlichen Braut Sophia-Sulamith verkörpert. Die Jungfrau Maria als eine menschliche Erscheinung der göttlichen Sophia ist schlank wie eine Palme, und der Minner der Madonna will die Palme besteigen, das heißt, die Jungfrau erkennen, und ihre Feige pflücken, das heißt, sich ganz intim mit ihr vereinigen. So sagt die Jungfrau Maria selbst in ihrer apokalyptischen Offenbarung: Ich lade euch ein, euch mit mir zu vereinigen und zu lieben. Ich lade euch in meinen Schoß ein. Wie wird aber die Geliebte im Hohenlied noch besungen vom trunkenen Liebesdichter? Sie ist ein verschlossener Garten. Der Garten ist in der orientalischen Liebespoesie immer ein Gleichnis für die Geliebte. Daß sie ein verschlossener Garten ist, zeigt, daß sie kein leichtfertiges sündiges Mädchen ist, sondern ein heiliges Mädchen, das bis zur keuschen ehelichen Vereinigung mit der Ganzhingabe ihrer intimen Liebe wartet. Gerade, daß sie ein verschlossener Garten ist, macht sie in den Augen ihres Minners so verehrungswürdig. Der liebenden Mann verachtet nämlich die Hure, die ihren Köcher jedem Pfeil öffnet und ihre Beine jedem vorübergehenden Freier spreizt. Der verschlossene Garten aber ist der wahrhaft begehrenswerte, der umso kostbarer ist, umso seltener er ist. Es ist die Liebe Fraue, die die verschlossene Aue ist. Nun spricht aber der liebestrunkene Prophet Salomo im Allerheiligsten der Schrift: Ich kam in meinen Garten und speiste ihre Früchte. Ist die Jungfrau Maria die Tochter der Menschen und Christus der göttliche Bräutigam, so kam der ewige Logos in den Garten der Jungfrau in der Inkarnation. Die Empfängnis des ewigen Logos durch die Jungfrau Maria ist wie das zärtliche Eindringen des göttlichen Bräutigams in den verschlossenen Garten Maria, das heißt in den keuschen Schoß der Jungfrau. Gott der Bräutigam kam in den verschlossenen Garten des Schoßes der Jungfrau Maria und speiste ihre Früchte, das heißt, Gott wurde selbst zu einer Leibesfrucht im Schoße der Jungfrau und nährte sich als die Leibesfrucht der jungfräulichen Mutter von ihrem Blut und ihrem Atem. Gott spricht gewissermaßen mit den Worten der orientalischen Liebesdichter: Ich spaltete deine Wabe! Denn Gott erkannte die Jungfrau in einem keuschen Liebesakt, da Gott durch die Courtoisie des Heiligen Geistes in dem Schoß der Jungfrau den Sohn zeugte. Was sagt aber die Braut selbst, Sulamith-Maria? Sie lädt den Minner, das ist ihren Jünger, in die Natur, das ist die Welt, und spricht: Dort, unter den Hennablumen und Zypertrauben, schenk ich dir meine Liebe, dort geb ich dir meine Liebe ganz hin! Hier spricht die himmlische Sophia-Maria zu ihrem Jünger, ihrem Theosophen und Minnesklaven, daß die göttliche Weisheit oder Liebe, Frau Weisheit oder Frau Minne selbst, dem liebenden Sohn und Geliebten die Liebe schenkt in einer Ganzhingabe, die, wie die Bibelausleger sagen, durchaus im Sinne eines sexuelllen Aktes der Liebesvereiniguzng zu verstehen ist. Denn unter dem Henna oder den Zypertrauben schenkt die göttliche Weisheit der Liebe in der Gestalt der Jungfrau Maria-Sulamith dem frommen Minner sich selbst und ihre Ganzhingabe der Liebe in einem spirituell-sexuellen Akt der Liebesvereinigung.


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Sprechen wir von den Propheten! In der katholischen Deutung des Alten Testaments ist die Jungfrau Israel, Jungfrau Jerusalem, Tochter Zion eine Gestalt der Frau der Offenbarung, die sich vollends in der Maria des Neuen Testaments enthüllt. Diese Jungfrau Jerusalem oder Jungfrau Maria ist die Braut Gottes. So schildert sie Hesekiel. Er schreibt: Der Herr spricht: Deine Schönheit ist unaussprechlich, du bist eine Königin in Majestät, weil ich, der Herr, dich so überaus herrlich gemacht habe! Dann schildert Hesekiel, wie der Herr die Jungfrau gekrönt, geschmückt, gekleidet hat. Das alles wird jede katholische Theologie als ein Bild der Mater Gloriosa betrachten. Doch bevor der Herr die Jungfrau gekleidet hat und geschmückt, fand er sie nackt und bloß. Der Herr sprach zur Jungfrau: Du warest nackt und bloß! Deine Brüste wurde prall und dein Haar sproß! Oder es sprach der Herr vielleicht in Wahrheit zur Jungfrau: Deine Brüste wurden prall und dein Schamhaar sproß! Du warest nackt und bloß, und es war die Zeit der Liebe, da deckte ich dich mit dem Zipfel meines Gewandes und schloß einen ewigen Bund der Liebe mit dir! Wir wagen es kaum zu denken, aber in den kühnen Bildern des Propheten erwählt sich der Herr die Jungfrau als eine nackte Geliebte, deren Nacktheit er beschreibt: Deine Brüste waren prall und dein Schamhaar gesprossen! Und er erkennt sie als seine Geliebte und schließt den Ehebund mit ihr! Wer wagt es und ist so kühn zu denken, daß dies ein prophetisches Bild der Jungfrau Maria ist! Auch der Prophet Jesaja beschreibt die Brüste der Jungfrau Jerusalem, indem durch den Propheten der Herr spricht zu seinen Kindern: Ihr werdet saugen an den Brüsten des Trostes! Ihr werdet saugen an dem Reichtum der prallen Mutterbrüste die süße Milch des Trostes! Auf dem Schoß werdet ihr liebkost wie Kinder! Ich, spricht der Herr, tröste euch wie eine Mutter! Hier sehen wir wieder die Muttergottes als die Jungfrau Jerusalem, die der Herr selbst als Liebender besingt in seinem prophetischen Liebesgedicht und besingt den prallen Reichtum und die Herrlichkeit ihrer Mutterbrüste! Wir sehen also durch die Propheten Hesekiel und Jesaja die Vision des Herrn von den Brüsten und dem Schoße seiner Braut und Geliebten, der Jungfrau Jerusalem oder der Jungfrau Maria, die der Herr allein in ihrer Nacktheit geschaut und erkannt hat! Es ist auch allgemeine katholische Lehre, daß das Osttor des Tempels, das der Prophet Hesekiel beschreibt, ein Gleichnis für den Schoß Mariens ist. Denn der Prophet schreibt vom Osttor, das verschlossen wurde, durch das keiner hindurchziehen durfte, weil der Herr selbst hindurchgezogen ist. Dies wird allgemein gedeutet als ein Beleg für die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens, die nach der Geburt des Herrn keinen Sohn und keine Tochter mehr geboren hat. Der Herr, der im Heiligen Geist die Jungfrau erkannt und fruchtbar gemacht hat mit dem Sohn, ist der einzige Gatte der Jungfrau Maria. Allerdings finde ich an der selben Stelle den ergänzenden Hinweis des Propheten, daß allerdings der Fürst, das heißt der Auserwählte, diesem verschlossenen Osttor nahen darf und das heilige Mahl dort halten darf. Dieses heilige Mahl wird wohl das kultische Mahl sein, das Hochzeitsmahl des Lammes, das heilige Abendmahl. Darüber bin ich nicht unterrichtet. Ich weiß nur, daß ich es als einen tröstlichen Akt der Gnade und Liebe empfinde, als ein Fürst im Himmelreich vorgelassen zu werden zum verschlossenen Osttor des Tempels, das dasselbe ist wie der verschlossene Garten des Hohenliedes, nämlich der unverletzte Schoß der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria. Im übrigen will ich mich wiederholen und die Worte Unserer Lieben Frau von Medjugorje zum zweitenmal zitieren, die gesagt: Ich lade euch ein, euch mit mir zu vereinigen und zu lieben! Ich lade euch in meinen Schoß ein! Wir wollen also kühn sein aus Liebe und in den verschlossenen Garten Unserer Lieben Frau eintreten und dort das Hochzeitsmahl der himmlischen Liebe feiern!


3

Nun wollen wir vom Islam sprechen, bevor wir auf das Neue Testament kommen, denn ich meine, der heilige Koran steht zwischen dem Alten Testament der Biblia Sacra und dem Neuen Testament der Biblia Sacra. Mir scheint, auch der heilige Koran ist eine prophetische Offenbarung des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs. Im Koran wird den Gottergebenen das Paradies verheißen, da die Jünglinge den Gläubigen den Wein einschenken und die Gläubigen von Gott mit den Huris vermählt werden, den Paradiesjungfrauen. Die Jünglinge sind auch verherrlicht worden in der islamischen Liebespoesie, die oft von tiefen mystischen Ideen durchdrungen ist. Dort ist es im Idealfall der vierzehnjährige Jüngling von außerordentlicher Schönheit. Dies geht vermutlich auf die platonische Knabenliebe zurück, die von Platon gerade für ihre unsinnliche, rein geistige Art der Liebe gerühmt wurde. Aber in den Huris verkörpert sich die erotische Form der Liebe. Hier wird das Paradies, das Reich der göttlichen Liebe, in Form einer erotisch-liebenden Frau geschildert. Diese Liebe wird von Gott geheiligt, denn die Gläubigen werden rechtmäßig vor dem Angesicht Gottes mit den Huris vermählt. Ihre Liebe ist eine geistig-seelische Liebe, was, denke ich, daran zu erkennen ist, daß der Name Huri ein schönaugiges Mädchen bezeichnet oder ein großaugiges Mädchen. Da die Augen bekanntlich der Spiegel der Seele sind, ist diese Liebe der Huris also eine eheliche und seelenvolle. Man kann den Muslimen also nicht vorwerfen, daß sie animalische Leidenschaften und wildeste Orgien mit Huren in das Paradies verpflanzen. Dennoch gibt es auch eine Art und Weise in der islamischen Tradition, wenn mir auch nur weniges davon bekannt ist, von den Huris und den Freuden des Paradieses in erotischen und auch sexuellen Bildern zu sprechen. Das ist den Abendländern immer anstößig erschienen, ebenso wie die erotisch-sexuellen Metaphern der Gottesvereinigung in den Liebesliedern des indischen Gottes Krishna und seiner mystischen Braut die Abendländer meistens abgestoßen haben. Es scheint im Orient eine größere Freiheit zu geben, die Sexualität unbefangen als einen Ausdruck der Liebe zu verherrlichen und sie sogar zu einem Symbol für die göttliche Liebe zu verwenden. Das Abendland ist dagegen stark vom Platonismus geprägt, dem der Körper als Kerker der Seele galt, und von den gnostischen Strömungen, die auch in der Kirche fortwirkten, nämlich der asketischen Leibverachtung und Schmähung der Dreifaltigkeit von Natur und Frau und Erotik. Dagegen hat die orientalische Freigeistigkeit die Andeutungen des Koran ausgeschmückt. So erzählt ein armenischer Dichter von seiner Vision des Paradieses, da die Huris den Gläubigen beiwohnen Nacht für Nacht in wonnevollen Liebesvereinigungen, und daß sie am Morgen nach der Liebesvereinigung wieder wie unberührte Jungfraun sind. Hier ist die Liebe in ewiger Jugend gesehen, fern von der irdischen Fortpflanzung und fern von dem irdischen Altern. Die Huris sind von idealer Schönheit, schön wie Mädchen, wenn sie voll erblüht sind, bevor sie zu welken beginnen. Dies ist eine Vision der himmlischen Schönheit und ewigen Jugend des Paradieses. Die sexuelle Liebesvereinigung in aller Wonne ist aber ein allerintimster Ausdruck oder ein wahrhaft köstliches Gleichnis für den überaus beglückenden Genuß der göttlichen Liebe. In Wahrheit hat ja auch die christliche Brautmystik die Vereinigung mit Gott in erotischer Sprache zum Ausdruck gebracht, nur sind sie dabei, anders als die muslimische Tradition, vor sexuellen Bildern zurückgescheut. Aber ist nicht vielleicht die göttliche Liebe in ihrer allumfassenden Größe im Eros auf sublime Weise zusammengezogen und konzentriert und der Eros wiederum vollzieht seine Vereinigung in konzentriertester Form in der sexuellen Vereinigung? So wird von dieser muslimischen Tradition auch die Sexualität wahrhaft geadelt und geheiligt und zum konzentrierten und sublimen Ausdruck der allumfassenden göttlichen Liebe verherrlicht. So las ich in den Kommentaren zu erotischen Liebesliedern eines deutschen Dichters die Legende, nach der der Prophet Mohammed vom Erzengel Gabriel unterwiesen wurde in der Bereitung einer Speise, die ihm die Manneskraft von vierzig Männern bescherte. Der Christ wird vielleicht spöttisch lächeln, aber hier erscheint die Manneskraft als eine potenzierte Lebensenergie, die Lendenkraft des Liebenden als eine übermenschliche, die verheißene Wollust und ekstatische Seligkeit des Rausches der Liebesvereinigungen von einer alle Vorstellungen übersteigenden Kraft und Schönheit. So wird die überaus gesteigerte Lendenkraft und die somit überaus gesteigerte Lust zu einem Bild für den göttlichen Segen. Dieser göttliche Segen verheißt die Freuden der Liebe und die alle Vorstellungskraft übersteigende Lust des Paradieses. So las ich in einem Totenbuch des Islam die Verheißung an die Gläubigen des Paradieses, daß ihnen im Verkehr mit den Huris ihre Latten nie ermatten werden. Wahrlich, nie ermattende Latten mit einer vierzigfach gesteigerten Manneskraft und Huris, bereit zu immerwährenden Vereinigungen in immergleichbleibender Jugendschönheit, das ist das Paradies des Eros. Wer den Eros aus der Religion verbannt, wird dies eine gemeine animalische Wollustphantasie nennen. Wer allerdings meint, daß der Eros ein überaus herrliches Gleichnis der göttlichen Liebe ist, ja, daß der Herr selbst Eros ist, der wird, wenn er freien und kühnen Geistes ist, diese religiösen Vorstellungen ehren und lieben. Weil unser Thema aber die Sexualität Mariens ist, wollen wir überliefern die muslimische Tradition, die ein Wort des Propheten Mohammed anführt, daß er im Paradies vor allen anderen die Jungfrau Maria, die jungfräuliche Mutter des Messias Jesus, zu heiraten wünscht. Wenn der Prophet Mohammed auf seinem Flügelpferd ins Paradies geritten ist,. wenn er dort die ewige Schönheit der Huris sah, wenn er ihre Bereitschaft zur Liebesvereinigung kannte und ihre ewige Jungfräulichkeit, wenn er selbst im Paradies die Lendenkraft von vierzig Männern besaß, wenn er sich dann entschied, nicht die Huris zu heiraten, derer ihrer zweiundsiebzig, wie manche sagen, für jeden Gläubigen sind, sondern wenn dann der inspirierte Prophet sich entschied, die Jungfrau Maria zu heiraten, ja, wenn er die Jungfrau Maria sein Paradies selbst nannte, dann sagt das dem Nachsinnenden genug über die erotische Kraft der allerseligsten Jungfrau Maria. Das wird nur der Christ als geschmacklos empfinden, der die Jungfrau Maria für ein asexuelles Wesen hält und der Keuschheit mit Prüderie verwechselt und der nicht wahrhaft begriffen hat, daß Gott, der Herr, unser aller Herr, der wahre allerhöchste Eros ist, und daß nächst ihm die allerselighste Jungfrau Maria von allerhöchstem Eros ist! Hier passt dann das Wort, daß die Jungfrau Maria die höchste Devotion des Eros ist, die bist zur Anbetung sublimierte Glut des Eros, die Glut des Eros, die noch über die Glut der Anbetung hinausgeht zur Weißglut der ehelichen Verschmelzung!


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Bevor wir zur Weisheit Jesus kommen, wollen wir zuvor die Weisheit der Heiden betrachten. Der Papst der katholischen Kirche nennt sich Pontifex Maximus, und meine evangelischen Freunde protestieren, das sei der Titel des heidnischen Oberpriesters des antiken Rom gewesen. Sie vergessen dabei, daß in dem Neuen Testament selbst Jesus der Logos genannt wird, was ein Begriff der heidnischen Philosophie war, besonders des Heraklit von Ephesos, der seine Philosophie der Artemis von Ephesos weihte, und der Stoa und auch des jüdisch-hellenistischen Synkretismus des Philo von Alexandrien. Ich meine, daraus kann man erkennen, daß das Neue Testament selbst anerkennt, in den Heiden Propheten und Vorläufer des Christus gefunden zu haben, des Christus, der Logos und Sophia und Dynamis ist. Aber es wurde auch von vielen darauf hingewiesen, daß die Geschichte des Lukas-Evangeliums von der Verkündigung des Herrn an Maria, vom Englischen Gruß und der Zeugung des göttlichen Sohnes durch den Heiligen Geist, die Taube, Vorschatten in den heidnischen Mythen gefunden hat, da ein Gott eine irdische Nymphe geschwängert hat. Zwei dieser Mythen will ich betrachten. Zeus als der Vater der Götter und Menschen ließ sich herab, in Gestalt eines Schwanes die irdische Nymphe Leda zu befruchten. Hier wird von orthodoxen Theologen verwiesen auf den Unterschied zwischen dem griechischen Mythos und dem historisch-wunderbaren Bericht bei Lukas, in dem Lukas rein geistig oder spirituell berichte, dieweil der Mythos alles in schwüler Sinnlichkeit ausbreite. Mir scheint in diesem Argument aber wieder die weitverbreitete Entfremdung der Religion vom Eros sich zu offenbaren. Die sterbenden und auferstehenden Götter wie Dionysos oder Adonis können solche Theologen als Prophetien auf Christus anerkennen, aber die Zeugung einer Leibesfrucht durch Zeus den Schwan im Schoß der Nymphe Leda können sie nicht anerkennen als Vorschatte auf die Inkarnation Christi im Schoß der Jungfrau, weil sie die Sprache des Eros als unheilig empfinden. Der Schwan, in den sich Zeus dem Mythos nach verwandelte, ist ein bedeutsames Tier. Bei den Indern ist der Schwan, der Königshansa, das Reittier des Schöpfergottes Brahma. Bei den Chinesen heißt der Schwan Tian-Er, das heißt himmlische Gans. Bei Platon singt der Singschwan vor seinem Tod, weil er sich auf die Unsterblichkeit der Seele freut. Auch ist der Schwan bei den Indern der Saraswati heilig, der Göttin der Sprache, der Braut des Schöpfergottes Brahma, weil er Symbol der höchsten Weisheit und spirituellen Vollendung ist. Bei den Griechen war der Schwan der Venus heilig, die Schwäne zogen den Triumphwagen der Göttin der Liebe und Schönheit. Auch gilt der Schwan wegen seines langes Halses als ein Phallus-Symbol. So ist in dem Schwan die Einheit von Spiritualität und phallischer Sexualität im Dienst der Venus vereinigt. Der Schwan ist also ein mythisches Symbol für die Einheit von Spiritualität und Sexualität oder Mystik und Eros. Das ist in Wahrheit ein sehr weiser Mythos. So meine ich, ist es nicht unerlaubt, auch in dem Vorgang der Befruchtung der Jungfrau Maria durch den Heiligen Geist, der die Kraft Gottes und die Liebe Gottes ist, der das Feuer Gottes und die Spiritualität Gottes ist, einen mystisch-erotischen Vorgang zu sehen, der gewissermaßen, wenn man das so sagen darf, etwas von der Sexualität Gottes zum Ausdruck bringt. Kommen wir zum zweiten Mythos. Damit meine ich den Mythos, in dem Zeus, der König der Götter, als Goldregen den Schoß der Danae befruchtet, die in einem Turm eingeschlossen war. Bei dem Turm, in dem Danae eingeschlossen war, kann ich nicht anders als an den Elfeinbeinturm Davids denken, als der in der Lauretanischen Litanei die Jungfrau Maria bezeichnet wird. Die Verkündigung Mariens wird ja oft in einer stillen kontemplativen Kammer als Ereignis dargestellt, da Maria in Zurückgezogenheit und Einsamkeit den Psalter meditiert oder den Schleier für den Vorhang vor dem Allerheiligsten webt. Es zeigt die Einsamkeit an und die Verschlossenheit vor dem Lärm der Welt, in dem die Empfängnis Gottes sich ereignet. Daß Zeus sich als Goldregen ergoß, ist gewiß nicht in dem töricht-weltlichen Sinn der späteren griechischen Dichter so zu verstehen, daß allein das Geld dem Freier den Weg zum Schoß des Weibes eröffnet. Das ist eine fast schon blasphemische Säkularisierung eines einst heiligen Mythos. Der Regen ist in allen heidnischen Religionen die Fruchtbarkeit Gottes oder gewissermaßen der Samen des zeugenden Gottes gewesen, der den Schoß der Mutter Erde oder Mutter Natur fruchtbar macht. Daß es ein goldener Regen war, deutet auf seine geistige Reinheit, seine sublime Lauterkeit hin, ist doch das Gold das Symbol für allerhöchste Reinheit und Edelkeit, wie etwa in der Alchemie das Gold der Prozeß einer langwierigen Purgierung ist. Dieser Same Gottes, der ein goldener Same ist, ist nicht ein unreiner Same, sondern ein Same von allerhöchster Lauterkeit und Reinheit. Auch in der katholischen Theologie wird die Jungfrau Maria als die höchste Stellvertreterin der Menschheit, ja, der gesamten Natur und Schöpfung gesehen, da sie gewissermaßen als Ideal der Schöpfung und Stellvertreterin der Menschheit Ja gesagt hat zu dem Willen Gottes, in ihr den Sohn Gottes zu zeugen. Damit wird Gott als das schöpferisch-befruchtende Element angesehen und Maria als die Mutter Erde oder Mutter Natur oder als die Nymphe, die von Zeus in Gestalt eines goldenens Regen fruchtbar gemacht wurde. Der griechische Mythos hat dabei die Ahnung eines Gotteszeugung und Gottesgeburt in der Sprachmacht des Eros ausgedrückt, während die spätere Kirche dieses Geschehen der Verkündigung und Inkarnation des Herrn in rationaler Logik rein geistig dargestellt hat. Ich meine aber, daß der Kirche durch die Entfremdung vom Eros und seiner mythischen Bilder ein Wärmestrom der Verkündigung verloren gegangen ist, der hätte zum Ausdruck bringen können, daß Christus der von Dionysios Areopagita geheiligte Eros Gottes ist, der sich durch die Offenbarungssphären und himmlischen Hierarchien ergießt bis in die irdisch-menschliche Seele, um die irdisch-menschliche Seele durch die Liebeskraft seiner göttliche Erotik wieder in den Schoß Gottes heimzuholen. Das ist meiner Meinung nach das Geheimnis der Menschwerdung Gottes in Jesus, in der Sprache der Erotik ausgesprochen. Begeben wir uns von den Griechen nach Amerika zu den primitiven Indianern. Ich berufe mich auf den katholischen Priester, Mystiker und Dichter Ernesto Cardenal, der vom Hügel Unserer Lieben Frau Maria aus eine Einsicht hatte in die Mystik eines Indianerstammes, der weltverloren in der Wüste Nevada lebte. Diese Volk hatte einen Gott, der eine Frau war. Sie waren aus dem Uterus der Gott-Frau geboren, ihre Hängematten waren der Uterus, ihre Decken waren die Plazenta der Gott-Frau. Ihre Philosophie war das Leben in Aluna, das heißt, das Sein in der weiblich-göttlichen Weltseele, Leben oder Weisheit oder Liebe. Wenn sie beerdigt wurden, wurden sie in Embryonalstellung beerdigt, denn im Tode kehrten sie heim in den Schoß der Gott-Frau. Dieses Volk nun, berichtet der Dichter Cardenal, war besessen vom Sexus. Phallus und Vulva waren ihnen heilige Symbole. Ich erwähne das, weil Ernesto Cardenal schrieb in seiner poetischen Sprache, daß er dies Mysterium von Unserer Lieben Frau Maria aus verstand. Ich muß dabei an die Gedanken des jüdischen Religionsphilosophen Walther Schubert denken, der sagte, daß im weiblichen Weltzeitalter der Eros die Religion dominierte. So scheint mir auch, wie manche sagen, das Wesen des Mannes mehr dem Logos verbunden, das Wesen der Frau mehr dem Eros verbunden. In der Geschichte des christlichen Abendlandes sind die Frau, die Natur, die Leiblichkeit und der Eros insgesamt als Instrumente des Teufels dämonisiert worden, dagegen die Ratio, der Logos und die Männlichkeit vergöttert wurden. Ich meine aber, wenn, wie bei den Indianern, das Gottesbild weiblich wird, kehrt der Eros zurück, oder umgekehrt, wenn der Eros zurückkehrt in die Religion, erwachen die weiblichen Gottesbilder. Mir scheint das aber gerade ein Bedürfnis dieser unserer Zeit zu sein, daß die Religion erotisiert wird und die Erotik spiritualisiert und daß im Gefolge dieser Vereinigung von Religion und Eros die weiblichen Gottesbilder in den Seelen der Menschen wieder erwachen. Da die Jungfrau Maria in der katholischen Religion ein Spiegel dieses Göttlichweiblichen ist, ist es mir ein Bedürfnis, gerade diese Jungfrau Maria von dem Vorwurf der eiskalten Asexualität zu befreien, die Jungfrau Maria in ihrer Erotik darzustellen und damit zu einem glühenden weiblichen Gottesbild hinzuweisen. Da wir nun die männliche Erotik Gottes in Zeus verherrlicht haben, die weibliche Erotik des Göttlichweiblichen in Aluna gepriesen haben, wollen wir den Versuch einer Versöhnung oder innergöttlichen Hochzeit wagen, und die Erotik des Götterpaares der indischen Religion behandeln. In der indischen Religion ist die Sprache des Sexus geheiligt, wie vielleicht in keiner anderen Religion. Ein mächtiges segensbringendes Amulett ist das Symbol des Phallus in der Vulva, oder, indisch gesprochen, des Lingam in der Yoni. Die Yoni ist das Symbol der Göttin. Wenn der Hinduismus sich auch durchgerungen hat zu einem heimlichen Monotheismus und von der einen absoluten Gottheit spricht, so offenbart sich das eine absolute Göttliche doch in vielen personifizierten Göttinnen und Göttern. Dabei herrscht der Gedanke vor, daß jeder Gott seine Göttin oder Shakti hat. Dieser Gedanke lebt auch im Budhhismus fort, wo es eine Shakti für jeden Buddha oder Boddhisattwa gibt. Die Bilder dieses Götterpaares von Gott und Göttin stellen das göttliche Paar in einer sexuellen Liebesvereinigung dar. Konzentriert ist das Symbol dieser göttlichen Hochzeit eben das mächtige Segenssymbol des Lingam in der Yoni. So ist im tibetanischen Buddhismusus das Mantra des Boddhisattwa der Barmherzigkeit das Om mani padme hum, das heißt, das Juwel ist in der Lotosblüte, spirituell gesprochen heiißt das, daß das Göttliche iin der Seele wohnt, und tantrisch oder erotisch gesprochen ist das Juwel der Phallus und die Lotosblüte die Vulva. In dem indischen Mythus stellen die Göttin und den Gott Parvati und Shiva dar. Shiva ist dabei der Gott des Geistes und der Askese, oder, christlich gesprochen, des Logos, der durch seine geistliche Askese den Kama, das heißt den Eros Indiens, verbrannt hat, nämlich verbrannt durch die spirituelle Kraft seines dritten Auges, also seiner asketischen Geistigkeit. Parvati dagegen ist die Natur, die Mutter Natur, die Göttin, die die Sprache der Frauen und der Armen spricht, Prakriti, was die Sprache der Natur bedeutet, dagegen Shiva die Sprache der Gelehrten spricht, das Sankskrit der Veden. Dieses Paar von Shiva und Parvati oder Geist und Natur wird in einer sexuellen Liebesvereinigung dargestellt. Katholisch gesprochen ist Shiva das Symbol für die Transzendenz Gottes und Parvati das Symbol für die Immanenz Gottes. So spricht das Abendland auch von dem Wesen des Mannes als Verbundenheit mit der Transzendenz und vom Wesen der Frau als Verbundenheit mit der Immanenz. So spricht auch der katholische Katechismus davon, daß die Vaterschaft Gottes besonders die Transzendenz Gottes betont, während die Mutterschaft Gottes mehr die Immanenz Gottes betont. In der mystisch-erotischen oder spirituell-sexuellen Vereinigung des Lingam mit der Yoni drückt sich nun in einem rein sexuellen Bild die heilige Vereinigung des Transzendenz und Immanenz Gottes aus, oder der Einen heiligen Elternschaft Gottes.


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Kommen wir nun zum Neuen Testament, dem Evangelium der Weisheit Jesus. Betrachten wir die Verkündigung des Herrn an Maria. Der Engel grüßt Maria: Freue dich, Liebreizübergossene! Er grüßt sie: Chaire, Kecharitomene! In Chaire und Kecharitomene ist die Wurzel Charis. Charis heißt Liebe, Schönheit, Grazie, Anmut, Charme, und ist bei Homer ein Name der Aphrodite und auch des Zaubergürtels der Aphrodite. Der Engel spricht: Du sollst Gottes Sohn empfangen und gebären! Maria spricht: Wie soll das geschehen, ohne daß ich einen Mann erkenne? Denn die Tradition der Kirche spricht von dem Entschluß der Jungfrau Maria, jungfräulich zu leben für Gott. Da spricht der Engel: Der Heilige Geist wird dich überschatten, die Kraft des Höchsten wird über dich kommen! Da spricht Maria: Ja, mir geschehe nach deinem Wort! Da empfängt Maria in ihrem Schoß den Sohn Gottes durch die Schöpferkraft des Heiligen Geistes von Gott dem Ewigen. Der Schoß Mariens ist das Offenbarungszelt, in das die Wolke der Herrlichkeit des Herrn hineinkommt. Der Schoß Mariens ist der Tempel Jahwes, erfüllt von der Wolke der Herrlichkeit des Herrn. Die Wolke der Herrlichkeit des Herrn erfüllt den Schoß Mariens und macht die Jungfrau fruchtbar, wie es in dem Mythos von Zeus im goldenen Regen und der Nymphe Danae geweissagt war. Die Tradition der Kirche und auch der Reformatoren lehrt, daß der Schoß Mariens vor der Geburt Jesu, in der Geburt Jesu und nach der Geburt Jesu unverletzt jungfräulich war und ist. Maria ist die Jungfrau Gottes, die ehelos für das Himmelreich lebt, das heißt, die in der Gottes-Ehe lebt. Sie lebt in einer solchen dichten und intimen Form der Gottes-Ehe, daß sie von der Schöpferkraft Gottes schwanger wird und Gott den gottmenschlichen Sohn gebiert und schenkt. Betrachten wir nun die Offenbarung der Herrlichkeit des Sohnes Gottes und Mariens auf der Hochzeit von Kana. Es ist eine Hochzeit in Galiläa, da Jesus und Maria anwesend sind. Es ist ein verborgener Hinweis, scheint mir, auf die mystische Hochzeit Jesu und Mariens. Der Wein geht zuende, das heißt, die Freude der Hochzeit und der Rausch der Liebe droht zu versiegen. Maria bittet Jesus um neuen Wein, das heißt, sie bittet ihn um den Rausch der Liebe, um den Wein der Ekstase. Wer das Symbol des Weines tiefer verstehen will, betrachte die Sufi-Mystik, da der Wein besungen wurde von den Dichtermystikern, und zwar nicht der verbotene Wein der Welt, sondern der göttliche Wein des Paradieses. Hier ist der Wein ein Symbol für die berauschende Liebe Gottes, für die Selbstvergessenheit der mystischen Liebe und für die Ekstase der Vereinigung der Seele mit Gott. Um diesen Wein der Sufi-Mystik, um diesen erlaubten Wein des Paradieses bittet Maria Jesus. Sie bittet geradezu: Herr, die Liebe versiegt auf Erden, der Wein der menschlichen Liebe ist ausgegangen, schenke nun göttliche Liebe, schenke den Wein der göttlichen Hochzeit! Und Jesus spricht: Frau, was begehrst du von mir? Er nennt sie nicht Mutter, sondern Frau. Denn hier deutet sich wieder das Geheimnis der mystischen Hochzeit Mariens und Jesu an, des Herrn und der Frau, des Bräutigams und der Braut, des neuen Adam und der neuen Eva. Die neue Eva bittet um den Wein der Ekstase, den Wein der berauschenden Liebe und das Sakrament der göttlichen Vereinigung, und der Bräutigam schenkt den Wein, der den guten Wein der menschlichen Liebe durch den besseren Wein der göttlichen Liebe ersetzt. Die irdisch-menschliche Hochzeit von Kana wird erhöht durch ein Wunder und verklärt in die Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn und Unserer Lieben Frau als die wahren Hochzeitsleute der göttlichen Hochzeit! Betrachten wir Bräutigam und Braut am Kreuz! Die Kirche spricht seit langem schon von dem Mitgekreuzigtsein der Jungfrau Maria mit dem Herrn Jesus. In Amsterdam erschien Maria und nannte sich: Miterlöserin. Dieser Titel ist in der Kirche schon lange im Umlauf, wenn er auch noch nicht dogmatisch definiert ist. Johannes Paul II nannte Maria die Frau der Schmerzen, die mit dem Mann der Schmerzen gelitten hat. Christus wurde am Körper gekreuzigt, Maria am Herzen gekreuzigt. Ich will hier nicht die Theologie des Kreuzes entfalten und auch nicht die Theologie der Miterlöserin, sondern ein Gemälde schildern, das ich sah in dem Sendschreiben der Kommunion Maria Königin des Friedens. Dort schwebt über Jerusalem in der kosmischen Nacht schräg aufsteigend das Kreuz in das All, und auf dem Kreuz wie auf einem Bett liegt Christus, nackt bis auf den Lendenschurz. Der Lendenschurz ist aber nicht zu sehen, sondern allein seine männliche Nacktheit, denn sein Körper wird bedeckt von Unserer Lieben Frau, die in seinen Armen liegt. Sie trägt ein Gewand aus einer leichten feinen weißen Seide, die fast durchsichtig ist, ein fließendes Lichtgewand, das weht durch die Nacht. Ihre zarten schlanken femininen Fingern verschlingt sie mit den angenagelten Händen Christi, die ihre Hände zärtlich umschließen. An der Stelle, wo die Brust Mariens über der Brust Jesu gebettet ist, erstrahlt als Zeichen der Vereinigung des heiligen Herzens Jesu und des unbefleckten Herzens Mariens ein strahlender Lichtglanz, wie ein diamantener Morgenstern oder die Quelle des Lichts selbst. Das Antlitz Unserer Lieben Frau ist dem Antlitz des Herrn liebevoll zärtlich zugewandt, und sie scheinen einander Liebesworte zuzuflüstern, ja, mir scheint, ich höre, wie Maria, die Braut, zu Christus, dem Bräutigam, die Worte des Allerheiligsten der Heiligen Schrift flüstert, den Vers des Hohen Liedes: Küsse mich, Geliebter, denn deine Küsse sind berauschender als der Wein! So schweben der Bräutigam und die Braut in ihrer mystischen Liebesvereinigung in dem Bett des Kreuzes, wie Katharina von Siena den Ort der mystischen Vereinigung nennt, als Erlöser und Miterlöserin durch die Nacht des Kosmos! (Liebe alte Mutter im Karmel, Ihr habt mich ermahnt, dergleichen nicht zu schreiben. Aber hier stehe ich und kann nicht anders. Immaculata sei mir gnädig!) Der Schluß des Evangeliums der Weisheit Jesus ist von derselben Vision erleuchtet, nämlich von der Hochzeit des Lammes mit der Braut, der himmlischen Jerusalem. Die himmlische Jerusalem ist die Braut und die Frau des Lammes, griechisch gesprochen, die Nymphe des Lammes. Sie kommt in der apokalyptischen Endzeit aus dem Himmel hernieder, geschmückt wie eine Braut für ihren Bräutigam. Ja, der Schluß der Bibel, der ganzen Heiligen Schrift von A bis O, von Genesis zu Apokalypse, ist die Herniederkunft der himmlischen Braut, der Nymphe des Lammes, die sich schön gemacht hat zur Hochzeit mit dem Lamm, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus Jesus. Die Jungfrau Maria ist die himmlische Jerusalem, das Ideal der Ecclesia, der Inbegriff der erlösten Menschheit, und die letzte eschatologische Offenbarung der heiligen Schrift ist die heilige und himmlische Hochzeit der Braut Maria mit dem Bräutigam Jesus. O Maria, du Nymphe des Lammes, komm herab aus dem Himmel wie eine Braut! Selig sind, die geladen sind zur Hochzeit des Lammes! Ja, Herr Jesus, komm bald!


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Einige Mystiker wollen wir nun betrachten. Als erstes führen wir das Wort eines katholisch-charismatischen Propheten der Königin des Friedens an, daß die rote Glut der menschlichen Liebe nicht von dem Violett der Frömmigkeit, sondern allein von der Weißglut der göttlichen Liebe überwunden wird. Die rote Rose der leidenschaftlichen Liebe zu einer sterblichen Frau wird nicht ersetzt durch die blaue Lilie der Keuschheit, sondern durch die weiße Pfingstrose der leidenschaftlichen Liebe zur himmlischen Braut Maria. Hier erwähnen wir den seelsorgerlichen Rat eines Mönchs, der dem Ehelosen die Marienehe empfahl, da der Ehelose bestätigte, daß die Madonna den Ehelosen leidenschaftlich und mystisch-erotisch liebe! Denn die Liebe zur Madonna soll kein asexuelles, unerotisches, das heißt unvitales Liebesverhältnis sein, sondern die höchste Sublimierung des Eros, die höchste Devotion des Eros sein, eben die Weißglut des Eros. Hieran anknüpfend zitieren wir den jüdischen Religionsphilosophen Walther Schubert, der von der Vereinigung des Eros und der Religion sprach und über den anbetenden Eros in der Religion den umarmenden Eros in der Religion stellte, das heißt, heiliger als der Theismus ist die Mystik der mystischen Union mit Gott. Maria wollen wir betrachten als den Inbegriff und das Ideal dieses umarmenden Eros in der Religion, da sie wie keine andere die mystische Vereinigung mit Gott erfahren hat. Diese mystisch-erotische Union hat auch Mechthild von Magdeburg ersehnt und erfahren, da sie den göttlichen Bräutigam im Garten der Liebe traf, da sie zu ihm schrie: Herr, ich bin eine nackte Seele in heißer Gier! Liebe mich oft und heftig und lange! Und der göttliche Bräutigam sprach zu seiner mystischen Braut: Entkleide dich und komm in mein Brautgemach und vereinige dich mit mir in Liebesumarmungen und Küssen und letzter Ganzhingabe! Die mystische Erotik oder spirituelle Sexualität kann das Verhältnis zur Gottheit aber auch umgekehrt erfahren, daß der Mensch der Minneritter ist, der um Frau Minne wirbt oder daß der Mensch der Mönch ist, der als Minnediener die Frau Weisheit verehrt. Die göttliche Frau Weisheit war die göttliche Geliebte des seligen Heinrich Seuse und war auch die mystische Braut des Theosophen Jakob Böhme. Jakob Böhme nannte die Jungfrau Sophia seine göttliche Geliebte, die ihn innerlich heilige und vervollkommne, so daß er das innere Gottesebenbild seiner Menschheit wiederfinde in der ursprünglichen Ganzheit. Diese Jungfrau Sophia verhieß dem mystischen Theosophen, daß sie seine Braut und Verlobte sei, daß sie ihn führen werde auf seiner Pilgerschaft auf Erden, und daß sie ihm im Paradies ihr Perllein schenken werde. Offenbar scheint das die Verheißung zu sein, daß die Jungfrau Sophia auf Erden die keusche Braut sei, die keusche Verlobte, die wahre Freundin ihres Minners, aber daß sie ihn heiraten werde und die Hochzeit vollziehen werde im Himmel. Denn wenn der Christ den irdischen Tod gestorben ist, ist er geladen, biblisch gesprochen, zur Hochzeit des Lammes, mystisch gesprochen, zur Hochzeit mit der Jungfrau Sophia. Daß diese verheißt, ihr Perllein zu schenken im Paradies, ist die Verheißung der ehelichen Vereinigung in der Hochzeitsnacht, das heißt, die himmlische und ewige Gottesehe des Erlösten wird in dem sexuellen Bild der ehelichen Vereinigung im Paradies zum Ausdruck gebracht. Diese Jungfrau Sophia ist das göttliche Urbild der irdischen Jungfrau Maria, wie Jakob Böhme sagt, sie ist aber auch Jesus Christus selbst. Es scheint also durchaus erlaubt, wenn man auf den Genius Böhmes vertraut, das Paradies als die Ehe mit der Jungfrau Maria zu betrachten. Hier scheint die Hoffnung des Propheten Mohammed nicht umsonst, der sich wünschte, im Paradies die Jungfrau Maria zu heiraten. Da Maria Sophia ist (wie auch die päpstliche Begründung der dogmatischen Definition der Unbeflecktheit Mariens die Schrift anführt über die Unbeflecktheit Sophias), da also Maria Sophia ist, wird diese Maria-Sophia ihr Perllein, das heißt, ihre eheliche Ganzhingabe, im Paradiese ihrem Bräutigam schenken. Dieser Schoß Mariens, den der Marienbräutigam im Paradies erkennen wird und sich vereinigen mit der ewigen Jungfrau Maria-Sophia und verschmelzen mit der unbefleckten Jungfrau in gegenseitiger Ganzhingabe, dieser Schoß Mariens wird vom heiligen Louis-Marie Grignion de Montfort das Paradies selbst genannt. Ich werde nicht müde, diese Worte Grignions weiterzusagen, daß der Schoß Mariens ein seligeres Paradies ist als der im Neuen Testament von Jesus selbst verherrlichte Schoß Abrahams, daß der Schoß Mariens der Ruheort der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, der Lustort Gottes ist, daß der Schoß Mariens das Paradies Gottes ist. Dieser Schoß der Jungfrau Sophia-Maria mit dem ehelichen Perllein der Ganzhingabe ist das Paradies selbst. Diese eheliche Vereinigung mit der göttlichen Jungfrau Sophia-Maria und die Verschmelzung mit ihrem erotisch-mystischen Perllein wirkt, wie Salomo in der Schrift sagt, keinen Kummer und keinen Überdruß, ja, die Ehe mit der göttlichen Sophia bereitet nichts als Lust und Freude oder Wollust und Wonne! Der heilige Augustinus beschreibt geradezu das Paradies mit den lustvollen Worten eines ewigen Schmachtens und ewiger Befriedigung, einer ewigen Befriedigung und ewigen Schmachtens!


7

Ich möchte einige Andeutungen aus meinem Gebetsleben geben. Mir gelten viel die Worte Unserer Lieben Frau von Medjugorje. Sie sagte: Ich liebe dich mit einer grenzenlosen, brennenden und ganz besonderen Liebe! Das, meine ich, ist die Sprache der himmlischen Leidenschaft. Grenzenlos ist Mariens Liebe, weil sie die göttliche Liebe weiterschenkt, brennend ist ihre Liebe, weil sie den göttlichen Eros ausgießt, ihre Liebe ist eine ganz besondere Liebe, meine ich, weil sie jeden ihrer Minner auf eine einzigartige Weise liebt, keinem ein allgemeines Schema aufpresst, sondern jeden als ein Original liebt. Darauf vertraue ich. So sagte Maria auch, daß, wer sich ihr hingibt, auf Erden schon das Leben des Himmels beginnt, ja, wer sich ihr ganz hingibt, daß der den Übergang von diesem Leben zu jenem Leben gar nicht bemerkt. So stimmt es, was Louis-Marie Grignion de Montfort sagte, daß das Leben mit Maria Sophia eine geistliche, aber wirkliche Ehe ist! So bekenne ich die leidenschaftliche Ganzhingabe Mariens, mit der sie meiner leidenschaftlichen Ganzhingabe antwortet, beziehungsweise vorausliebend zuvorgekommen ist. Denn sie hat mich zuerst erwählt zum Geliebten und mich so lange leidenschaftlich umworben, bis ich, überwältigt von ihrer Schönheit und Liebe, mich ihr ganz ergeben habe – Totus tuus! Ich kann nur eine Vision berichten, die ich intellektuell nicht beweisen kann, nicht biblisch, nicht theologisch, nicht philosophisch, aber ich sah im Zentrum des Kosmos den Schoß Mariens! Teilhard de Chardin sah im Zentrum des Kosmos das brennende Herz Jesu, und vielleicht ist beides dasselbe, denn es ist das kosmische Zentralfeuer der göttlichen Liebe, das sich mir ganz persönlich im Schoß Mariens verkörpert. Als ich einmal ruiniert an dem Herzen der menschlichen Liebe mich in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Fest der Heiligen Drei Könige zum Gebet in meine Kammer zurückzog, da war die Jungfrau Maria unsichtbar, aber wirklich spürbar bei mir zu Besuch. Sie trauerte mit mir und tröstete mich mit ihrer ganz besonderen Liebe. Sie tanzte mit mir zu traurigen Liebesliedern und tröstete mich mit ihrer Umarmung. Ich betrachtete damals immer wieder ein Gemälde, das ich in dem Sendschreiben der Kommunion Maria Königin des Friedens gesehen hatte. Es zeigte Maria im Augenblick des Englischen Grußes. Die Madonna hatte einen himmelblauen Umhang, der leicht wie Äther sie umfloß, der aber offen war und zeigte ihr Kleid, das wie feine weiße Seide war, ganz leicht, ganz sanft, ganz zärtlich ihren Leib umfließend wie himmlisches Licht. Das fließende Seidengewand aus himmlischem Licht umfloß ihren Körper so, daß sich die Form ihrer süßen Brüste abzeichnete. Bevor ich einschlief, küsste ich die Brüste der Madonna. Als ich am Morgen erwachte, schlug der Heilige Geist die Heilige Schrift auf und ich las: Jerusalem, ziehe wieder an das Kleid der Herrlichkeit des Herrn! Und mir war (verzeihe mir die grausame Welt) als ob die Madonna sich ihres Lichtkleides, das ihren pneumatischen Körper verhüllte, entkleidet hätte, um mich zu trösten mit ihrer himmlischen Liebe, und nun, am Fest der Epiphanie, das Kleid der Herrlichkeit des Herrn wieder anziehe. Unbesiegbar fühlte ich mich gestärkt durch die Ganzhingabe der Madonna! (Immaculata, du weißt, das ich die Wahrheit bezeuge!) Ich will eine zweite Vision berichten. Es war genau im Augenblick der Mitternacht vom Sylvestertag auf den Neujahrstag, der ja das heilige Fest der Gottesmutter Maria ist, da ich nach einem stundenlangen Gebet plötzlich die Nähe der Jungfrau Maria spürte. Ihr Name war: Die Liebe! Sie erschien in einem Lichtstrahl, ich ahnte ihre schlanke Gestalt, die von solchem femininen Liebreiz und solcher jungfräulicher Grazie war, daß sie mir ähnlich schien der Venus-Madonna, wie sie Botticelli gemalt hat als ein ewiges Symbol der unbefleckten Anima. Ich spürte wirklich die himmlische Liebe der Jungfrau Maria in einer gnädigen Heimsuchung nahe. Und ich trat an jener Stelle meiner Kammer, da das unsichtbare Licht fast sichtbar war. Es war genau der Augenblick der Mitternacht des Jahreswechsels, da am Himmel ein großes Feuerwerk explodierte. Und ich trat auf meinen Balkon und betrachtete in der Nacht die explodierenden Kometen und den himmlischen Feuerregen, und mir war, ich betrachte dies in dem Augenblick der Vereinigung mit Maria als den kosmischen Ausdruck unserer Vereinigung, und es war ein kosmischer Liebesakt, da die Liebe der Madonna als Frau Liebe die Nacht des Universums erfüllte mit dem brennenden Flammen der Ganzhingabe ihrer Liebe! (Die Menschen werden mich für wahnsinniig halten, Liebe Frau, doch du weißt, daß ich es so erfahren habe!) Eine dritte Vision will ich berichten. Ich stand an der Nordsee auf dem Deich und hatte am Ostersonntag in der Mittagszeit den Rosenkranz meditiert in Einsamkeit. Da erschien mir über dem rauschenden Meer in unsichtbarer Sichtbarkeit die Jungfrau Maria, die von der griechisch-orthodoxen Kirche Panhagia Aphroditissa genannt wird, und ich betete zu Maria und nannte sie den Ozean aller Gnaden Gottes. Und mir war in einem ozeanischen Gefühl, daß in dem Gebet zu Maria meine Seele mit der Jungfrau Maria über dem Meer verschmolz. Und in meinen Geist kam der Gedanke, daß das wahre Gebet wie eine sexuelle Vereinigung mit einer Frau ist, weil das wahre lebendige Herzensgebet zur mystischen Union mit der göttlichen Liebe führt und zu der selben Glückseligkeit führt, die der Ehemann in der Vereinigung mit seiner Ehefrau sucht (wenn nicht in Wahrheit die Vereinigung mit der göttlichen Liebe die Vereinigung mit einer sterblichen Frau an Glückseligkeit unaussprechlich übertrifft)! Zum Abschluß meiner Meditation, die aus dem dreifachen platonischen Wahnsinn geboren ist, dem Wahnsinn des Dichters, der besessen ist von seiner Muse, dem Wahnsinn des Minners, der besessen ist von seiner Geliebten, und dem Wahnsinn des Propheten, der besessen ist von der göttlichen Liebe, zum Abschluß dieser Meditation will ich einen Traum erzählen. Meine Seele träumte in der Weihnacht der Geburt Christi, daß ich in dem Schoß Gottes war, in dem Uterus meiner mütterlichen Gottheit. Und meine Seele wie ein himmlisches Kind schwamm und schwebte in dem Fruchtwasser meiner Gottheit-Mutter, und das Fruchtwasser der barmherzigen Gebärmutter meiner göttlichen Mutter war ein unendliches, uferloses Meer des Lichts, und meine Seele schwamm erlöst und glückselig in der See der Seligkeit!

Amen.


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