[Inhalt]

Peter Torstein Schwanke
 
DAS EWIG-WEIBLICHE UND DER GÖTTLICHE EROS
 
 
„Jung spricht von der erotischen Skala der vier Frauen: Eva, Helena, Maria und Sophia. Eva ist die Urmutter; Helena bezeichnet den ‘vorherrschend sexuellen Eros, aber auf ästhetischem und romantischem Niveau’; Maria ‘erhöht den Eros zur höchsten Wertschätzung und zur religiösen Devotion und vergeistigt ihn damit’; Sophia meint die Weisheit des Eros, sie ‘stellt eine Vergeistigung der Helena, also des Eros schlechthin dar’.“
(Anselm Grün/Gerhard Riedl; Mystik und Eros)
 
 
ERSTER GESANG: EVA
 
Das Ewig-Weibliche besinget, Musen,
Die Mutter, Hure, Jungfrau, Göttin singt,
Laßt strömen den Gesang aus eurem Busen
 
Und euren Dichter nun zu Eva bringt,
Der Frauen Erste, laßt sie mich erblicken.
Wie sich das Flügelroß des Dichters schwingt,
 
Fliegts mit dem Dichter von des Hügels Rücken,
Fliegts mit dem Dichter ferne vom Parnaß
Durch lichten Äthers blendendes Entzücken
 
Zum Euphrat, der da fließt so breit wie naß,
Wo Dattelbäume stehn und Feigenbäume
Und Honigbienen summen durch das Gras
 
Und Seidenspinner spinnen Seidensäume
Im blätterreichen Maulbeerfeigenbaum.
O Heimat aller fruchtbeladnen Träume,
 
Oase Eden, tauchend aus dem Schaum
Des Tigris und des Euphrat, goldengrün
Dein Reich, und weiß der Sand an deinem Saum.
 
Hier sehen wir die Zikkurate kühn
Der blühenden Kastanienpagoden
Erhaben in der Huld der Sonne blühn.
 
Hier singen Nachtigallen ihre Oden
Gemäß archaischer Poetik weise
Und einsam kümmern sie sich nicht um Moden.
 
Sie singen einsam, weltvergessen, leise
Der Rose Lob, der Rosa Mystica.
Die Lerche singt, der Sperling und die Meise,
 
Der stolze Adler in die Sonne sah,
Die Taube badete in Baches Welle,
Der Schwan war seiner Schwanenjungfrau nah,
 
Die Flanke bebt der fliehenden Gazelle,
Er röhrt der Hirschbock brünstig hinterher,
Verdurstend an des Lebens reicher Quelle.
 
Die Honigbiene bohrt des Stachels Speer
Ins Blumenherz, das schmilzt so süß und schwer,
Ergießt sich, gibt den ganzen Honig her.
 
Da aber sah ich auch ein Völkermeer,
Der Völkerhirte aber Adam war,
Der mit dem Spaten ging, von Mühsal schwer,
 
In Dornen stand und Disteln mit der Schar
Der Kinder, viele hundert Jahre alt,
Neunhundert Jahre zählte Adam gar.
 
Sein Abel fiel zum Opfer der Gewalt,
Sein Kain war fern in der Verbannung Not,
Nur Seth war bei ihm, blühender Gestalt.
 
Und Henoch war bei ihnen, der den Tod
Nicht schmecken wird, der wird von Gott entrückt
Als wie ein Morgenstern im Morgenrot.
 
Und Lamech war dabei, der zärtlich blickt
Zu Ada und zu Zilla, seinen Frauen,
Die ihn mit Frauenfreundlichkeit entzückt.
 
Und Jubal war im Kreise auch zu schauen,
Patron der Bläser auf den Knochenflöten
Und Zitherspieler, singend in den Auen
 
Sang er das Lied des Lamech, des Poeten,
Das er für Ada und für Zilla sang,
Ein Meister in poetischen Gebeten.
 
Und Seth ging vor dem Sohne Enosch lang,
Der da bei seinem Bruder Kenan stand,
Auch Jered trat hinzu mit dunklem Drang.
 
Und Lamech, der die eine schöner fand
Als seine andre Frau, sah seinen Sohn,
Der plantschte in dem Bächlein mit der Hand,
 
Sein Name Noah sagte alles schon,
Daß er dem Vater Trost und Tröster war,
Mehr Trost als weiße Milch von rotem Mohn.
 
Und nun in einem Lichte wunderbar
Auf einem Felsenthrone sah ich sitzen
Die Greisin mit dem dünnen grauen Haar,
 
Mit blauem Blitz aus schmalen Augenschlitzen,
Mit Blicken mütterlicher Zärtlichkeit,
In denen leise stille Tränen glitzen,
 
Weil sie von Gott dem Tode war geweiht.
So gütig sah sie zu der Kinder Schar
In weiser mütterlicher Weiblichkeit,
 
Sie alle liebte sie so wunderbar,
Den Adam sehr, sie war ja seine Rippe,
Die ganze Kinder-, Kindeskinderschar.
 
Doch küsste sie mit ihrer schmalen Lippe
Am liebsten Noah auf die weiche Wange,
Dem Lieblingsenkel aus der ganzen Sippe.
 
Ich leb schon lang, ich lebe allzulange,
Ich hab geboren unter wehen Schmerzen,
An meinem Mann als meinem Herrn ich hange,
 
Doch habe ich ein Weh in meinem Herzen
Und sag es dir in reuigem Geständnis:
Ich war bereit, die Liebe zu verscherzen,
 
Als ich mich hingab sündiger Erkenntnis
Und mußte in das Tal der Todesschatten.
Hat Gott für mich denn irgend noch Verwendnis?
 
Muß ich mich ewig nun der Schlange gatten
Und darf vom Lebensbaum die Frucht nicht speisen?
Wie gut wirs doch dereinst in Eden hatten,
 
Als Gott mit uns gesprochen in den leisen
Geboten seiner Liebe, uns zur Lehre,
Den Weg zur Lebensfülle uns zu weisen!
 
In meinen Gliedern heute welche Schwere,
Im Sterben fällt mich Taumel an und Schwindel...
Ist nicht mein Enkel da, den ich verehre?
 
O Gott! ich seh ein Kind in seiner Windel...
 
 
 
ZWEITER GESANG
 
So war es ja dereinst geschehn, daß Gott
In Liebe das Geschaffene geschaffen
Und schuf die Tiere, schuf - und nicht zum Spott -
 
In seinem ersten Urwald auch die Affen,
Und sah dies alles an, da war es gut.
Gott stand, den Saum des Mantels aufzuraffen,
 
Und klatschte in die Hände. Aber gut
War ja nicht gut genug; was Gott begehrte,
Das war das Beste, das war ein: Sehr gut!
 
So schuf der Schöpfer, der sich selber ehrte,
Den Menschen. Siehe, Adam ward vom Herrn
Geschaffen aus Materie der Erde.
 
Gott kam herab von seinem Morgenstern
Und ging in Eden nach Kalvaria,
Wie er den Hügel nannte, den er gern
 
Betrachtete, wenn er die Zukunft sah,
Und von Kalvaria nahm er vom Staube
Und nahm sich von der Quelle naß und nah
 
Ein wenig Wasser, Feuchtigkeit zum Staube,
Und modellierte seinen ersten Mann.
Dann rief der Herr den Geist, da kam die Taube,
 
Da odmete der Geist den Menschen an
Und odmete den Odem in die Nase,
Wodurch zu atmen nun der Mensch begann.
 
Und Adam sah den Mond in seiner Phase
Und auf dem Mond die Weisheit Gottes stehn
Und jubelte in mystischer Ekstase,
 
Dann liebestrunken durch das Grün zu gehn,
Der schönen Weisheit Ebenbild zu suchen,
Das Herz nach seinem Herzen, anmutschön.
 
Er sah die Turteltauben in den Buchen
Mit Täuberichen, Widder bei den Schafen,
Im Garten Eden nirgendwo Eunuchen,
 
Doch Adam einsam! Wollte Gott ihn strafen?
Ihm fiel nichts ein in seiner Traurigkeit,
Als unterm Feigenbaume einzuschlafen.
 
Da träumte Adam in der Einsamkeit
Von einer, die der schönen Weisheit glich,
Doch Fleisch geworden, Mensch geworden, Maid,
 
Nach seinem Traume schön und anmutreich,
Liebreizende, begehrenswerte Frau,
Ein Weib so warm, so wonnig und so weich,
 
Wie eine blaue Blume voller Tau,
Wie eine dornenlose rote Rose,
Inkarnation der Weisheit seiner Schau,
 
Daß sie erblüh, die rote Dornenlose,
Als Königin in seiner Liebe Garten,
Als bloße Liebe, völlig Makellose!
 
Was Adam da erträumte von der zarten
Geliebten, seinem Fleische bräutlichem Fleisch,
Was er in ungeduldigem Erwarten
 
Vom Weibe träumte, reizend, rein und keusch,
Sah Elohim in seiner Gnade an.
Gott weiß, was sein Geschöpf von ihm erscheischt,
 
Gott nahm von seinem allerersten Mann
Aus seiner Seite Fleisch und eine Rippe
Und modellierte das Modell sodann,
 
Gab Mühe sich bei ihrer roten Lippe
Und modellierte prachtvoll ihre Brüste,
Daß herrlich ihr die Brust am Leibe wippe,
 
Und rief den Meerstern von der Meeresküste
Und auch den  Morgenstern mit goldnen Hauchen
Und gab die Sterne, Adam zum Gelüste,
 
Der Traumgeliebten bei als Sternenaugen.
Vom Lebensbaum die Feige ward zum Schoß.
Dann rief Gott Adam, aus dem Traum zu tauchen.
 
Da stand sie vor dem Manne makellos,
Er sah sie an mit grenzenlosem Staunen,
Sie war erhaben, hoheitvoll und groß,
 
Die Haut war weiß wie Schaum von Schwanendaunen,
Gott wusste ihre Marmorbrust zu meißeln,
Um ihre Haare rauschte leichtes Raunen
 
Der Sommerlüfte, die die Locken kräuseln,
Die wundervoll das Angesicht umrahmen,
Wie Nacht den Schnee umrahmt. Ein süßes Säuseln
 
Umflüsterte die Dame aller Damen,
Umflüsterte das Erste aller Weiber.
Allüberall aufsproß der Blumensamen,
 
Als sei der Eros der Natur der Treiber
Zum Lobe dieser Schönsten aller Schönen,
Der Seelen Seele in dem Leib der Leiber!
 
Da hörte alle Schöpfung Adam stöhnen,
Der seines Traumes Inbegriff bewundert,
Mit seiner Liebe Krone sie zu krönen,
 
Gewiß, daß sie Jahrhundert um Jahrhundert
Als Urweib, aller Weiber Inbegriff,
Verehrt, vor ihrer Schönheit sich verwundert,
 
Der Gallionsfigur am trunknen Schiff,
Der Frau aus schöpferischer Gottheit Meer,
Der Taube überm Meer, des Schicksals Riff,
 
Verheererin dem ganzen Männerheer
Und Untergang der Frauen auch zugleich,
Weil eine ihrer Wimpern wie ein Speer
 
Das Herz des Herrn durchbohrt und schicksalsreich
Die Vielgeliebte Gottes Gott ihr Nein
Entgegenflüstert, hart und anmutreich...
 
Sie aber sollt des Lebens Mutter sein,
Der Adam sich in Liebe ganz ergeben,
Sie, seines Fleisches Fleisch und Beines Bein,
 
Erkannte er und liebte sie, das Leben.
 
 
DRITTER GESANG
 
Jehowah stand in lauter Liebesflammen
Und warb um Eva, die Lebendige,
Auf daß sie seien Gott und Braut zusammen,
 
Auf daß sie Liebe sei beständige
Vereinigung von Gott und Mensch in Ehe.
Doch Eva war die Lose, Wendige,
 
Die nicht so sehr begehrt Jehowahs Nähe,
Da warb Jehowah wieder, immer neu:
O Eva, die ich in dem Garten sehe,
 
Gewähre mir, daß ich mich an dir freu,
Daß ich mich als dein Gott an dir ergötze!
Laß deinen Bräutigam mich sein, dir treu,
 
Ich baute dir des Gartens Schattennetze,
Ich wahrte auch im Garten dir die Muße,
Erlöste dich zuvor aus aller Hetze
 
Und wandte mich zu dir mit stillem Gruße
Und mit dem Rauschen meiner Taubenfedern
Und machte weich den Moosweg deinem Fuße,
 
Daß unser Lager sei aus grünen Zedern
Und Brautbett unsrer Einigung im Moose!
Doch Eva sah die alte Schlange ledern,
 
Vor ihrem Giftblick welkte hin die Rose,
Doch töricht wie sie war - o Frauennarrheit! -
Ergab sich Luzifer die Lässig-Lose!
 
Jehowah, nein! ich glaub nicht deine Wahrheit,
Mir lieber ist von Luzifer die Lüge,
Die Trübsal lieber als die fromme Klarheit,
 
Drum sei nicht böse, wenn ich dich betrüge,
Ich brauch dich nicht, ich bin ja Göttin selber!
Als ob ich nicht das Gottsein in mir trüge!
 
Das weiße Antlitz Evas wurde gelber
Vom Schwefel, den der alte Drache rauchte,
Die Schlange der Begier, ihr Überwölber.
 
Der alte Drache lauter Bosheit fauchte,
Jehowah aber litt den Liebeskummer,
Der durch den Garten Eden Seufzer hauchte.
 
Und Eva ging davon aus Gottes Sommer
Und ging mit Adam in des Übels Winter.
Und Adam schlummerte den Winterschlummer
 
In Evas Armen, Evas Überwinder,
Und zeugte der Geliebten in dem Schoß
Mit gottgeschaffnem Mannessamen Kinder.
 
Und Kajin war der Erste, wurde groß,
Er wurde störrisch, wurde zum Rebellen,
Ein Sohn des Drachen, wild und glaubenslos.
 
Doch Abel war der zweite, der mit hellen
Und lichten blauen Augen voller Klarheit
So sanft hinübersah zu dem Gesellen.
 
Sein Herz war treu, gerade, voller Wahrheit,
Die Lippen sanft, die Augen wie Karfunkel.
Doch Kajin wütete in seiner Narrheit
 
Und sprühte aus den Augen Zorngefunkel,
Der jeden Tag es wüst und wüster trieb
In seines Herzens Grimm und dichtem Dunkel,
 
Daß Eva ihn ermahnte: Kain, sei lieb!
Du darfst den sanften Abel doch nicht schlagen!
Mein Kind, wie wird das Herz der Mutter trüb,
 
Seh ich dich Abel wie die Katzen jagen!
Und wehrt sich Abel nicht, so heißt das nicht,
Daß ihn nicht schmerzt, was er von dir ertragen.
 
Was soll ich denn nur mit dir machen? Bricht
Mein Herz mir fast, der Busen deiner Mutter,
Seh ich des Teufels züngelndes Gesicht
 
In deinem Herzen, Luzifer, das Luder,
Den alten Drachen, Monster aus dem Norden,
Willst du gar morden deinen lieben Bruder!
 
Wie bin ich kummervolle Frau geworden
Zur Mutter aller Mörder, aller Toten!
Wie viele Kinder sind von Kajins Orden,
 
Wie viele Abel ähnlich, Gottes Boten,
Und sind doch alle Mutter Evas Kinder,
Sowohl die Drohenden wie die Bedrohten,
 
Die Täter wie die Opfer, die im Winter
Der Sünde durch die Lande des Exiles
Hinschleichen in der müden Hoffnung, hinter
 
Dem Kindermord zu sehn das Land des Spieles,
Das Kindermörderinnen rauben wollten
Den Kindern Evas! Aber Gott weiß vieles,
 
Er weiß, wie Viele goldnen Kälbern zollten
Der Seele Gut, wie Mammons armer Sklave
Will seines Lebens Brot mit Gold vergolden
 
Und bettet sich in Dornen der Agave
Und steht im Nesselhemd vor Gott verborgen,
Laßt sich in seiner Nacht erschauen nicht von Jahwe,
 
Und sorgt in seiner Mitternacht um Morgen,
Ob nicht erlischt der Feuerherd im Ofen,
Ob er zu essen hat das Brot der Sorgen!
 
Was machen selbst die Dichter ihrer Strophen,
Die Philosophen ohne jene Armen,
Die Evas Töchter sind, die armen Zofen?
 
Sie wollen doch in ihren Frauenarmen
Sich Herz an Herzen ihnen einigen
Und glüh in ihrem Mutterschoß erwarmen,
 
Die ihnen ihre Hütten reinigen
Und bleiben doch der Armut arme Schwestern,
Die alle Zeit sich selber peinigen
 
Und Ruh nicht finden in den warmen Nestern,
Die ohne Liebe ganz und gar verloren,
Die suchen Gott mit einem immer festern
 
Vertrauen, die aus Eva sind geboren.
 
 
VIERTER GESANG
 
O Muse, komm, o reizende Erato,
Lobsinge Schönheit mir mit Glut des Eros,
Idee der Schönheit, Ideal des Plato,
 
Die wunderschöne Helena Homeros,
Schwangleiche Schönheit, Muse, singe!
Zeus wandelt sich in einen Schwanenheros,
 
Umarmte mit der weißen Schwanenschwinge
Frau Leda, sie inbrünstig zu begatten:
In ihren Schoß als Gott der Schönheit dringe!
 
Sie aber hatte Tyndareus zum Gatten,
Der Kastor ihr und Klytemnästra zeugt
Als Mann in liebevollem Überschatten.
 
Frau Leda vom Besuch des Gottes schweigt,
Heimsuchung Gottes aber in der Frau
Zeugt Helena. Den Schwanenhals sie neigt
 
Und schaut sich an in eines Teiches Tau,
Da wölbt sich ihr so weiß der Schwanenbusen
In seinem makellosen Marmorbau
 
Und wie Granaten oder wie Jampusen
Reichschwellend in der süßen Fruchtbarkeit.
Singt das Entzücken Griechenlands, ihr Musen,
 
Die Tochter Gottes singt, die Schwanenmaid,
Die König Theseus voll Verlangen sah
Und raubte sie für eine Wonnezeit
 
Und zeugte mit ihr Iphigenia,
Die Maid, die Priesterin der Artemis.
Als Theseus aber beilag Helena,
 
Da kam ihr Bruder Pollux (wie gewiß
Die Muse meldet) mit dem Bruder an.
Als Theseus in des Hades Finsternis,
 
Sie ihre Freiheit sich zurückgewann.
Da warb der Fürst von Sparta um den Schwan
Und Helena nahm Menelas zum Mann.
 
Eurotas aber floß die Wellenbahn
Und mündete in einen stillen Teich,
Da Nymphen spielten, Schwanin schwamm mit Schwan.
 
Die Schwanenkönigin so anmutreich
Die Fluten mit dem Schwanenbusen teilte,
Erhabnem Busen, einem Schiffsbug gleich.
 
Die Schwanin sinnend auf dem Wasser weilte
Und faltete andächtig ihre Schwingen.
Der Nymphen Schar im Spiel vorübereilte,
 
Der Schwanin aber stille Tropfen hingen
Am Schnabel, den sie stille hielt im Schweigen,
Allein in einem innerlichen Singen
 
Genießt sie die Glückseligkeit im Reigen
Der Nymphen, Charitinnen und Doriden,
Die alle von der Schwanin Schönheit zeugen,
 
Wie sie da ruht in mütterlichem Frieden
Und weißer Reinheit der Jungfräulichkeit,
Die Königin in flutenden Gebieten.
 
Von ferne aber naht der Schwanenmaid
Der königliche Schwan in seiner Schöne,
Erfüllt von Sehnsucht nach Glückseligkeit
 
Und Vorschmack der Unsterblichkeit! Bekröne
Die Schwanenjungfrau, Schwan des Lobgesanges,
Ihr huldige mit aller Schönheit deiner Töne,
 
Ihr nahe dich in Fülle deines Dranges
Und hebe deinen reinen Schlangenhals
Mit dem Geschlängel deines Überschwanges
 
Und sing der Schwanenkönigin des Alls,
Die da in ihrer Schwingen weißen Schleier
Aus vollem Busen, aus dem Schwanenhals
 
Zeus Lobpreis singt zum Klang von Orpheus’ Leier,
Elysiums Bewohnerin, die Schwanin
Des Gottes, Königin der Götterfeier!
 
Erscheine mir, der Frauenschönheit Ahnin,
Der Schönheit Inbegriff und Ur-Idee,
Und wandle vor mir, Mädchen, deine Bahn hin
 
Mit deinem Schwanengange, daß ich seh
Helenens aphrodisischen Popo,
Den goldnen Apfel, Marmor gan z und Schnee.
 
Dann wende dich mir zu, o Mädchen, so
Erfreu ich mich an deiner Perlenzähne
Anmutig liebem Lächeln, still und froh.
 
Dein Hals ist schöner als der Hals der Schwäne,
O Frau, seh ich dich deine Haare heben,
Zum Turm aufheben deiner Locken Mähne,
 
Die fallen dann auf deiner Brüste Beben
Und schleiern deiner Brust Rosinenspitzen
In transparenten seidigen Geweben.
 
Wenn aber deine Sternenaugen blitzen,
Die Meeressterne überm Archipele,
Die Dioskuren in den Grottenschlitzen,
 
Dann seh ich grünem Meer gleich deine Seele,
Du Meer der menschlichen Vollkommenheit!
Der ich nicht Juno, nicht Minerva wähle,
 
Ich laß auch Venus für die Schwanenmaid,
Die Gottes Abbild ist in Perfektion!
O Schönheit seliger Glückseligkeit,
 
Der Schönheit Inbild auf des Kosmos Thron,
Ich seh dich rein entschweben in den Äther!
Dich anzuschauen ist mir Himmelslohn,
 
Ich staun dich schon auf Erden an und später
In den elysischen Gefilden werde
Ich dich erkennen, o du Ei der Leda,
 
Erkennen dich, du Herrlichkeit der Erde,
Wie Gott dir solche Herrlichkeit gegeben,
Anmutige, liebreizende Gebärde,
 
O Helena, du meiner Sehnsucht Leben!
 
 
FÜNFTER GESANG
 
O Venus, nimm für deiner Brüste Äpfel
Den goldnen Apfel meiner Huldigung!
Mir wurde nicht von Zeus der Huld Getröpfel,
 
Mir ward von Gott der Gnaden Überschwung,
Vom Schicksal mir die schöne Helena
Zum Raub gegeben, Schwanin weiß und jung,
 
Die ich am Meeresstrand von Sparta sah,
Ich brauner Hirte, ich der Jüngling Paris.
Da war sie mir in ihrer Schönheit nah,
 
Die Augen funkelnd wie der stella maris,
Die mir erregten lüsternes Gezuck
In meinem Fleische, Ebenbild der Charis!
 
Ich suchte sie zu schmücken mit dem Schmuck
Von Troja, blauem Lapislazuli.
Der Turteltaube gurrendes Geruck
 
Bedankte sich, oh wie bedankte sie,
Sie sich mit ihrem allerschönsten Lächeln,
Als ich ihr gab aus Eros’ Sympathie
 
Den Fächer, Schweiß vom Busen ihr zu fächeln,
Den ich ihr schmückte mit dem weißen Mondstein.
Wie gnädig hörte sie mein Stöhnen, Hecheln,
 
Vor ihres Mondenangesichtes Mondschein
Und ihres Mundes blutigem Rubin,
So feucht und schwellend wie von rotem Mohnwein.
 
Wie ihr am Hals die Silberkette schien
Und an dem runden Arm die goldne Spange,
Die Perle in dem Nabel, ihr verliehn
 
Vom Gott des Mittelmeeres, wie die Schlange
Aus Messing ihr als Ring den Finger schmückt!
Wie glüh ich vor der Glut der schönen Wange,
 
Die vor Erregung glüht! wie mich entzückt,
Wenn ihrer Augen strahlender Karfunkel
Mir in die schwüle Nacht der Seele blickt!
 
So hab ich dich entführt im Sommerdunkel,
So hab ich dich entführt, Verführerin!
Das Mittelmeer mit rauschendem Gemunkel
 
Trug uns wie Sterne durch das Dunkel hin,
Die Dioskuren blitzten an den Masten,
Ich sah zum Himmel auf in trunknem Sinn,
 
Ob gar im All den Meeresstern erfassten
Die Augen, der dich mir gegeben, Venus!
Vor deinem Blick die Sterne all erblassten,
 
Als wir vom guten Dämon oder Genius
Der Liebe redeten, der Lebenslust,
Der Schönheit und der Kraft! Bis uns Silenus
 
Das Bacchusblut einflößte unbewußt
Und wir vom Weine und der Liebe glühten
Und auf dem Schiffe schliefen Brust an Brust.
 
Doch da erwachten wir, des Meeres Mythen
Sind aufgetönt mit wonnevollem Rauschen,
Da vor uns lag die Insel Aphroditen,
 
Da mit dem Strande wir das Schiff vertauschen.
Da war es Nacht, da schien der Mond, das Meer
Aufrauschte. Wir, ergeben leisem Lauschen,
 
Wir sind von aller Welt und Zeit so leer,
Nur Aphrodite rauscht in unserm Blut!
Wir sanken ineinander, schön und schwer,
 
So wühlt sich in das Mittelmeer die Glut,
So teilt die Gischt sich spritzend an dem Felsen,
So steht der Fels erhaben in der Flut.
 
Und wie die Wellen sich auf Wellen wälzen,
Wie Mond und Meer sich mischen lichter Feinheit,
So sind die Liebenden, die sich verscmelzen,
 
Des Leibes Blöße und der Seele Reinheit
In Eros Glut verschmelzen, bis sie trunken
Den Gipfel der Vereinigung, die Einheit
 
Erreichen, Seeligkeit der Seelenfunken!...
Wir waren auf der Insel der Cythere,
Arkadien im Mittelmeer versunken,
 
Ein Liebespardies im Mittelmeere.
Wie gerne wir das Inselreich erkunden,
Das Venus uns gegeben, Zeus zur Ehre!
 
Wie wohlig uns die Honigwaben munden
Und Milch, die von der Schafe Eutern troff.
Es wird von aller Sterblichkeit gesunden,
 
Wer je die süße Milch der Charis soff!
Doch ließ sie uns nicht kleine Kinder sein:
Mir, der ich auf des Weibes Liefe hoff,
 
Mir gab sie von den roten Reben Wein,
Der glühte purpurn auf dem schwarzen Boden.
Die Sonne sank mit scharlachrotem Schein,
 
Gewärtig war mir heilige Rhapsoden
Gesang, ein reiner geistiger Genuß,
Von Paphos an die schöne Göttin Oden.
 
Da tanzten wir zusammen, Fuß vor Fuß,
Da tanzten leicht wir nach antikem Takt,
Die Nacht hindurch an den kristallnen Fluß,
 
Der von den Bergen kam als Katarakt
Und vor uns floß in unsagbarer Ruh.
Du, Schöne, saßest in dem Wasser nackt,
 
Wie eine Göttin der Archaik du,
Ein marmornes Idol, doch voller Leben!
Ich schaute voll Begier und Sehnsucht zu,
 
Wie du gebadet deiner Brüste Beben
Und mit dem Tau benetztest deine Lenden!
Von einem Gott erbautes Tor von Theben,
 
Durch deine Himmelspforte mich zu wenden
Zur Nacht, hinauf ins grenzenlose All,
Ist mein Verlangen, Liebe dir zu spenden
 
Und heißt es auch für Troja Trojas Fall!
 
 
SECHSTER GESANG
 
Nein, Menelaos, nicht wars Helena,
Um die du fochtest mit ganz Griechenland.
Was Menelaos da im Geiste sah,
 
Die weiße Dame mit der weißen Hand,
O Menelaos, war ein Eidolon!
Der Ledas Tochter nicht in Troja fand,
 
Der Priamos gestürzt von seinem Thron,
Der Hektor schleifte blutig um die Mauer,
Der war bezaubert wie vom Gift im Mohn.
 
Sie war ja deine Sehnsucht, deine Trauer,
War deiner heißen Sehnsucht Tränensee,
War deiner tiefen Leiden Tränenschauer,
 
War deines heißen Sommers reiner Schnee,
War deiner starren Winter warme Sonne,
War in dem Männermorden die Idee,
 
Dein Leben, deine Hoffnung, deine Wonne,
Dein Ideal, die Dame aller Damen,
Die Flamme Gottes und des Lebens Bronne,
 
Der ganzen Schöpfung auserwählter Samen,
Bewohnerin elysischen Gefildes,
Die Trägerin von einem Gottesnamen
 
Und vieles mehr, nur Reines, Lichtes, Mildes.
Die himmlische Gestalt im Herzen treib
Hervor, es bleibt dir nur der Glanz des Bildes,
 
Nicht aber in den Armen dir ein Weib,
Nicht die Gemahlin ihrem Ehegatten,
Dies Traumbild lebt ja nicht in einem Leib.
 
Scheint heiß die Sonne, gibt sie keinen Schatten,
Du sprichst sie an, doch hörst du sie nicht reden,
Du Fleisch kannst dich nicht ihrem Fleische gatten.
 
Doch webst du sie aus deiner Sehnsucht Fäden,
Je unerreichbarer, je schöner sie!
Nicht von der Welt ist dieses Weib von Eden!
 
Du fandest Helena in Troja nie,
Doch auf der Proteus-Insel vor Ägypten.
Wie war dir, als du sie gefunden, wie?
 
Du tauchtest wie die Toten aus den Krypten
Und Grüften auf, du Pilger durch die Meere,
Gebunden nur von himmlischen Gelübden.
 
Da sahest du sie weinen. O die Hehre,
Wie war sie schön in namenloser Trauer!
Wie sank sie in dich ein in schöner Schwere
 
Durch ihrer Frauenleiden Tränenschauer!
Du wolltest selber sterben in dem Meer!
Das Meer ward grenzenloser, immer blauer,
 
Ein Spiegel zahlenlosem Sterneheer,
Unendlichkeit, der Ort für deinen Tod!
Mit Helena zu sterben dein Begehr,
 
Mit ihr verbluten in dem Abendrot
Und untergehn mit ihr im Ozean
Und aufzuwachen wie das Morgenrot!
 
Da schwamm sie selig, o der schöne Schwan,
Sie war ja immer noch die Wunderschöne,
Noch mehr als je mit Anmut angetan;
 
Nicht nur im Glanze, auch mit Lockenmähne,
Nicht nur aus Schnee, desgleichen auch aus Schaum,
Nicht Zeufzer nur, mit Perlen ihrer Zähne,
 
Von Fleisch und Blut, nicht nur ein schöner Traum,
Mit einem Herzen und mit einer Brust,
Auf Erden mehr als in dem Sternenraum,
 
Mit Armen, zu umfangen, nicht nur Dust,
Nicht Äther nur, auch Wein in ihren Venen,
In Wirklichkeit und nicht nur unbewußt,
 
Und nicht allein ein grenzenloses Sehnen,
Vielmehr Erfüllung in der Liebesfülle!
Aus Trauer nicht, aus Dankbarkeit die Tränen
 
Benetzten deines rauhen Kleides Hülle.
Wir wollen alle Götter hoch verehren
In dieses Ozeanes Meeresstille
 
Und segeln, in die Heimat heimzukehren.
Der königlichen Helena Gefilde
Wird sich durch ihre Gegenwart vermehren
 
Und alle Blumen blühn vor ihrem Bilde
Und alle schwellenden Granaten fruchten
Vorm Busen Helenas. Sie lächelt milde
 
Und die Delphine landen in den Buchten.
Sie lacht, wie Aphrodite gerne lacht,
Daß alle Gemsen springen in den Schluchten.
 
Sitzt Menelaos einsam in der Nacht,
Sinnt, was am Hofe der Rhapsode sprach,
So hat sie ihm das Lager schon gemacht,
 
Da legt er sich zu seiner Wonne, ach!
Da legt er sich zu seiner Ruhe hin.
Und kommt am frühen Morgen Telemach,
 
So tritt hervor die reine Königin
Als wie die jungfräuliche Artemis
Und strahlend wie der Schöpfung Anbeginn.
 
Ihr Antlitz-Licht vertreibt die Finsternis,
Im Hades selbst gerühmt ist ihre Schöne,
Es zittern Aidoneus, Pluton, Dis,
 
Es singen Pieride und Kamöne
Von ihres Frauenleibes Schwanenschnee
Und jungfräulichen Seele höchste Töne.
 
Verwundet Eros sie mit Wonne-Weh
Im Liebeskampfe in der lichten Nacht,
Empfängt sie von dem Mann Hermione,
 
Ganz Abbild ihrer Mutter, Pracht von Pracht,
Ganz eine lächelnliebende Cythere.
Wenn Helena mit süßem Schmelze lacht,
 
Dann singt der Schwan der Charis auf dem Meere!
 
 
SIEBENTER GESANG
 
Des Himmels Muse, sing, Urania,
Sing an dem Quell, des Heiligen Geistes Tau,
Die Liebliche, die allen Dichtern nah,
 
Die Dichter nennen: Unsre Liebe Frau!
Verzeih, Maria, es ist Sommerzeit,
Der Himmel ist so licht und ist so blau,
 
Du aber nahst mir aus der Ewigkeit
Mit blauem Gürtel um das weiße Linnen,
Die goldne Krone auf dem Haupte, Maid.
 
Da will ich dir ein Liebeslied ersinnen,
Weil alle Frauen heute schwanger sind.
Du weißt wie christliche Poeten minnen
 
Und singen wie die Nachtigall im Wind
Der Nacht allein für ihre rote Rose.
Was aber, wenn die Rose, die er minnt,
 
Ein Gleichnis ist für dich, die Dornenlose?
So ahn ich dich, und du bist schwanger auch,
Dein weißes Linnen fällt dir lang und lose
 
Und wölbt sich herrlich dir um deinen Bauch.
O nein, es war ja nicht der Zimmermann,
Es war ein Tau, ein Duft, ein Frühlingshauch,
 
Das Grüßen eines Engels, da begann
Die neue Schöpfung in dir zu entstehn,
Als seist du ihre Schöpferin. Und dann
 
Sah ich dich mit dem Zimmermanne gehn
Und sah, wie dich der Zimmermann bewundert,
Du seist in deiner Schwangerschaft so schön,
 
O Jungfrau, wie Jahrhundert um Jahrhundert
Die Dichter immer schöner dich gepriesen,
Die alle du mit deinem Gruß ermuntert.
 
Nun wandelst du in Galeläas Wiesen
Und schaust die kleinen Blumen zärtlich an,
An ihnen ihre Kleinheit zu genießen.
 
Wenn sie, die Jungfrau, innig sich besann,
Dann lag auf ihrem Angesicht ein Glanz
Und stilles Leuchten, so als ob begann
 
Der Schöpfung Morgenröte ihren Tanz
Und alle Morgensterne jubilierten
Und flochten sich für sie zu einem Kranz.
 
Das war ein Glanz von innen. Engel führten
Die Jungfrau, daß sie ihren Fuß nicht stoße
An einem Steine, führten sie durch Myrten,
 
Zum Erdbeerstrauch, zum Feigenbaum, zur Rose.
Sie war ja selbst wie ein verschlossner Garten,
Daß sie die Liebe im Geheimen kose,
 
Von innen her, mit Hauchen, zephyrzarten,
Erleuchtungen aus einer innern Quelle.
Von Gottes Kommen zu der Menschen Warten
 
Sprach ihr das Kind in innerlicher Helle,
Das Kind, das König war in ihrem Schoße.
Wie schmiegte sich so zärtlich die Gazelle
 
An Maid Maria an, die makellose,
Wie scheu sah ihr der Rehbock nach vom Bach,
Wie mutig aber wurde die Mimose,
 
Wie töricht ruft die Taube auf dem Dach,
Zutraulich hüpft der Spatz in ihre Hand,
Und alles, weil sie schwanger war und ach
 
So schön in ihrer Schwangerschaft! Das Land
Begehrte auch, den Himmel zu gebähren,
Weil es so schön Marien Wölbung fand.
 
Die Greisinnen und Mütter alle ehren
Maria, die sie alle weiblich tuscheln:
Will dir sich schon die runde Brust vermehren?
 
Gott liebt die kleinen Perlen in den Muscheln,
Denn Kinder sind Geschenk des Herrn. Ein Sohn
Wird sich in deine Mutterarme kuscheln.
 
Die Maid Maria aber wusste schon,
Daß sie mit dem Messias schwanger ging,
Der sitzen wird auf Salomonis Thron.
 
Wenn sie an ihrem Sohn mit Liebe hing,
Der ihres Leibes Frucht im Schoße war,
So liebte sie ja Gott! Maria, sing,
 
Sing aller Welt, daß eine Maid gebar,
Weil sie der Herr in Minne angeschaut
Und wollt in ihrem Schoße wohnen gar
 
Und hat sich ihr in Liebe anvertraut,
Weil sie zum Bräutigame Ja gesagt,
Drum heißt sie ja auch Heiligen Geistes Braut,
 
Leibeigene des Herrn, der seiner Magd
Leibeigner war in Demut seiner Gnade.
Maria, Jaspis, Jade, Gold, Smaragd,
 
Maria, Onyx und Saphir und Jade,
O Frau, allheilige Jerusalem,
Dem ewigen Worte eine Bundeslade,
 
Ich seh dich schwanger, mir wird angenehm
Vor solcher Hoheit deiner Schwangerschaft,
Als du gewandelt bist nach Bethlehem,
 
Schon schwach, im Innern aber Gottes Kraft,
Schon müd, im Innern aber Gottes Klarheit,
Ganz still, im Innern Gottes Leidenschaft,
 
Voll Fragen, innen aber Gottes Wahrheit,
In deinem frommen Staunen wahrlich weise,
Im Innern aber Gottes Liebes-Narrheit!
 
O Blume Gottes aus dem Paradeise,
Der neue Adam lag dir unterm Herzen,
War deinem Blut und deiner Seele Speise,
 
Bewegte sich, als wolle Jesus scherzen,
Verborgne Perle in dem Blumenanger,
Die deine Freude war, denn ohne Schmerzen
 
Warst du, Glückselige, mit Jesus schwanger!
 
 
ACHTER GESANG
 
Madonna, als du uns dein Kind geboren,
Da war es ja des Universums Freude
Und deine Freude, Jungfrau auserkoren.
 
Besingen will ich deine Liebe heute,
Mit der du so das Jesuskind geherzt,
Den süßen Dieb, du wurdest seine Beute,
 
Den Freudenboten, der mit dir gescherzt,
Als er dich aus den Augen angestrahlt!
Nichts hat dir wehgetan, nichts dich geschmerzt,
 
Die Freude war aufs Antlitz dir gemalt,
Das Glück des Kindes hat vor dir gelacht!
Für dich war der Erlösung Preis gezahlt,
 
Du schöne Mondin in der Weihnachtsnacht,
Umhüllt von Liebe wie von einer Sonne,
Dich schmückt der Sterne Jubel, ihre Pracht,
 
Weil du in deinen Armen hälst, Madonne,
Den Trost der ganzen Welt, den kleinen Heiland,
Den Apfel Edens, licht vor lauter Wonne!
 
Wie war dir doch zumute, Jungfrau, weiland,
Als du beglückt von aller Menschheit Glück,
Der Seligkeit gottheimgesuchtes Eiland!
 
Schau, meine Seele, dieses Kindes Blick,
Wie rein und heil, wie selig und wie licht!
Ein Morgenstern dem nächtlichen Geschick
 
Ist dieses gottgesalbte Angesicht,
Das in der Mutter Antlitz wiederscheint.
Das sagt kein Psalmgebet und kein Gedicht,
 
Wie Unsre Liebe Frau vor Freude weint
Und voller Dankbarkeit vor ihrem Kinde,
Als sie mit Jesu Herz ihr Herz vereint!
 
Das summen alle Bienen in der Linde
Noch heute in der schönen Sommerzeit
Und’s flüstern noch den Dichtern ein die Winde.
 
Wie aber wird mir diese Wonne, Maid,
Zu schaun, wie du das Jesuskind gestillt!
Du öffnetest dem lieben Gott das Kleid,
 
Die schöne Brust war dir mit Milch gefüllt,
Da ließest du den kleinen Jesus saugen.
Wie schautest du so mütterlich und mild,
 
Du gnadenvolle Jungfrau, aus den Augen,
Wie fielen über Jesus deine Haare,
Die dem Mysterium zum Schleier taugen.
 
O Lebensbaum mit deinem Apfelpaare,
Von denen darf der neue Adam kosten!
Maria, Mutterliebe offenbare
 
Der Welt, erscheine uns vom nahen Osten
Als Morgenröte, auf dem Schoß die Sonne!
Die Seraphinen singen auf den Posten,
 
Weil du dem Jesuskind die süße Wonne
Der honigsüßen Muttermilch gegeben,
Nährmutter Gottes, liebliche Madonne!
 
Du nährtest Jesus, Jesus war dein Leben,
Du Milch- und Honig-Land, das Gott verheißen,
Mit deiner vollen Brüste süßem Beben
 
Vermochtest du den lieben Gott zu preisen,
Denn was du gabest, das war deine Liebe!
Ich hör dich summen einen süßen leisen
 
Gesang, daß Jesus still am Busen bliebe,
Daß er dort selig sauge mit Geschmatz,
Fürwahr, ein Gott mit einem Menschentriebe,
 
Der fand an der Madonna Brust den Platz,
Den er ersehnt, am liebevollen Herzen!
Maria sang: Ich liebe dich, mein Schatz!
 
Wie Sterne strahlten ihre Augenkerzen,
Als Jesus sie gesättigt angesehn
Und küsste liebreich sie im Kinderscherzen.
 
- Nun wolln wir in der Nacht zur Nordsee geehn,
Da im November der Poet geboren.
Das Meer war dunkel und der Schnee war schön,
 
Der Schnee fiel nieder aus den Himmelstoren,
Die Flocken flogen ihre weißen Flüge.
Da lag das Kind in tiefer Nacht verloren,
 
Da trat Maria an die Kinderwiege
Und schaute es aus Mutteraugen an,
All sein Verlangen sie, all sein Genüge,
 
Sein Leben unter ihrem Blick begann.
Die Nordsee dunkelte, das blaue Meer
Sah still den schönen Stern des Meeres nahn,
 
Gott gab den Auftrag seinem Sternenheer
Den Namen der Maria anzuschreiben
Am schwarzen Himmel goldenstrahlend. Wer
 
Hat es gesehn, wem wirds im Herzen bleiben?
Der Geist des marianischen Poeten
Hat es gesehn, er sah die Mondenscheiben
 
Marie umschimmern und die Morgenröten,
Sah die Madonna um die Wiege laufen
Und ihm ein Lied von Jesu Liebe flöten.
 
Sie legte ihn in weiße Linnenschlaufen
Und trug ihn in die Kirche an das Becken,
Ihn mit dem Siegel Gottes zu betaufen.
 
Das war ein Auferwachen und ein Wecken!
Die Liebe Gottes regte sich im Herzen!
Maria ihn mit mütterlichem Necken,
 
Liebfraulich-liebereichem Minnescherzen
Liebkost, wie eine Mutter nur es kann.
Umschimmert von der Kirche goldnen Kerzen
 
Sah der Poet die liebe Mutter an,
Sein Ideal, sein Traum, sein Leben, und
Er wird dereinst, wenn er ein Gottesmann,
 
Maria wieder küssen auf den Mund.
 
 
NEUNTER GESANG
 
Das weiß ich wohl, o liebe Frau, daß du
Die dir Ergebenen zu Jesus führst.
Im Schatten deiner mütterlichen Ruh,
 
Die du mit himmlischen Gebeten zierst,
Seh ich dich Jesus in den Garten schicken.
O Jesus, wie du zart die Blumen rührst,
 
Freust dich an ihres holden Hauptes Nicken,
Du tatst sie aus dem Winterschlafe wecken,
Die nun so blau dir in die Augen blicken!
 
Du freust dich an den schwarzen nackten Schnecken,
Die einen Mund voll grünen Grases schmatzen,
Weil ihnen gut die Tropfen Taues schmecken.
 
Du freust dich an dem Spiel der kleinen Spatzen,
Die in den Pfützen plätschern in den Lauben,
Da schützt du sie vor räuberischen Katzen.
 
Du freust dich am Gegurr der Turteltauben,
Die in Kastanien gurren Ruckeguh.
Maria sagte dir von ihrem Glauben,
 
Die Taube ist ein Bild für Gottes Ruh,
So liebtest du die Gottesruh in ihnen,
O kleiner Königssohn des Sabbath du!
 
Du freutest dich an allem fruchtbar Grünen,
Besonders an des Grases Demut sehr.
Du sahst im Klee die glückverheißenden Mienen
 
Der drei Personen Gottes. O mein Herr,
Als Schöpfer gingest du in deinem Reich,
Gingst durch der neuen Schöpfung Blütenmeer,
 
Die Sonne war dir Gottes Antlitz gleich,
Du nanntest immer sie die Liebe Sonne,
Du freutest dich am Wasser warm und weich,
 
Dann liefest du zur Mutter wieder, Wonne
Und Seligkeit ihr alles zu erzählen.
Begnadet lächelnd sah dich die Madonne.
 
Dann lockte das Verlangen nach den Seelen
Dich zu den andern Kindern in den Gärten,
Zu Spielgefährten sie dir zu erwählen.
 
Da waren Knaben auch mit harten Härten,
Doch du warst immer sanfter als ein Lamm.
Wenn andre Kinder sich in Kämpfen wehrten,
 
Du standest fester als ein Eichenstamm,
Die Taube der Geduld in deiner Krone.
Und lieft ihr zu den Müttern dann zusamm,
 
Um Süßigkeit zu betteln euch zum Lohne,
Du gabest deine Süßigkeit den Kleinen,
O Jesus, würdig einem Gottessohne!
 
Wenn irgendwo in engen Gassen weinen
Verlorne Kinder oder arme Waisen,
Willst du den Traurigen zum Trost erscheinen.
 
Du willst die Tauben in den Gassen speisen
Und nicht wie andre Knaben Tauben jagen.
Und einmal hörtest du mit traurig-leisen
 
Wehklagen einen kleinen Knaben klagen,
Weil ihm gestorben war sein kleines Huhn.
Da wolltest du nicht viele Worte sagen,
 
Du wolltest lieber gleich ein Wunder tun
Und ihm das liebe Huhn vom Tode wecken,
Da sprang es fröhlich auf aus seinem Ruhn.
 
Du wolltest auch den lieben Josef necken
Aus lauter übergroßer Zärtlichkeit.
Ging er mit dir an dufterblühten Hecken
 
Und sprach zu dir von Gottes Ewigkeit
Und von dem A und B im Alphabet,
War deine Weisheit alsogleich bereit,
 
Zu rufen: ABBA, schau auf Nazareth,
Dein Kind will hier Kind deiner Freude sein!
So jauchztest du dein kindliches Gebet.
 
Mein kleiner Jesus, laß mich Josef sein
Mit einem Vaterherzen voll Erbarmen
Und Hüter deiner holden Kindheit sein!
 
O komm, mein Kleiner, komm zu meinem warmen
Und väterlichen Herzen, meine Freude,
Ich hebe dich hinauf auf meinen Armen,
 
Daß du in dem Gewimmel alle Leute
Als wie sein Reich ein König überschaust.
Mein kleiner König Jesus bist du heute!
 
O Gott, ich danke dir, daß du mir traust
Mit deinem ganzen kindlichen Vertrauen!
Wie lieb du’s meinst, wenn du im Spiel mich haust...
 
Ich will nur immer deine Augen schauen,
Ich seh in deinen Augen ja das All
Als eine neue Schöpfung Gottes blauen.
 
Komm, Lieber, laß uns spielen mit dem Ball,
Nimm mich als deinen Ball, Marien Sohn.
Und wenn ich zu dem Seegestade wall,
 
Dann trag ich dich auf meinen Armen schon
Und lehr dich ein hebräisches Gebet.
Du baust in meinem Herzen deinen Thron!
 
Wie gern geh ich mit dir von Nazareth
Zum Wasserspiele an das kleine Meer,
Ich mein den schönen See Genezareth.
 
Da schauen wir der Segelboote Heer
Und sehen braune Fischer mit den Netzen.
Dann wendest du dich, Jesus, zu mir her:
 
Ich möchte mich an einem Bad ergötzen,
Wie Fischer tun, die braungebrannt und bloß
Im See stehn, möchte mich ins Wasser setzen;
 
Du aber steh mir bei, o Josef groß!
Und wenn du stirbst, dann in dem Arm Marias!...
So prophezeist du, Jesus, makellos,
 
Mein lieber Gott, mein kindlicher Messias!
 
 
ZEHNTER GESANG
 
Nun ruf ich aber dich, o Muse, die
Du wohnest auf dem Gottesberge Zion
Und an dem Quell des Jordan, sing mir, wie
 
Gesungen nicht der griechische Arion,
Wie David einstmals sang und Salomone
Und wie Plejaden singen und Orion!
 
Ich sah und was ich sah war die Ikone
Der Weisheit Gottes! Aber wie es schildern?
Um Lorbeerkranz ja nicht und Ruhmeskrone
 
Will ich es singen, Bild vor allen Bildern,
Allein der grenzenlosen Liebe wegen!
Gott musste seinen lichten Glanz mir mildern,
 
Kam mir auf meiner Sehnsucht Weg entgegen
Und grüßte schön den singenden Poeten,
In mir die Kunst des Sanges zu erregen.
 
Johannes sah ich, schaute den Asketen,
Vollendung er von Gottes altem Bund,
Der Heiligste der heiligen Propheten
 
Rief alle aus dem bartumwachsnen Mund
Zur Umkehr auf, Hinwendung an das Reich
Des Himmels, Eintritt in den neuen Bund.
 
Er, an Gesichten und Visionen reich,
Vernahm die Stimme Gottes in der Wüste
Und ward dem Herrn als Stimme Gottes gleich.
 
Er rief zur Buße auf, der selber büßte,
Johannes, in ihm war der Geist Elias,
Der da den kommenden Messias grüßte,
 
Den er von Kindheit an gekannt, Marias
Begrüßung wurde ihm zum Jesus-Gruße,
Im Mutterschoße sah er den Messias,
 
Zu dessen Liebe wir in unsrer Buße
Erheben uns aus weltlicher Gemeinheit
Und fallen dann in Demut Ihm zum Fuße.
 
Vollendetes Geschöpf in lauter Reinheit
Sah ich der Weisheit zu der andern Seite,
Vereinigt im Gebet, in Herzenseinheit.
 
Wie schön sie war im himmelblauen Kleide,
Intakte Jungfrau, die drei Sterne schmücken,
Daß die Geburt sie nicht vom Hymen scheide.
 
Wie sah sie hold mit gnadenvollen Blicken
Zur Menschheit hin, in menschlicher Gefahr
Für sie Gebete zu dem Thron zu schicken.
 
Wie weiß der Schleier überm schwarzen Haar,
Wie golden auf dem Schleier ihre Krone,
Die aus dem Zodiak gebildet war!
 
Des Mondes Sichel diente ihr zum Throne,
Umgeben war sie von dem Licht der Sonne.
Ein Bild hielt sie von ihrem kleinen Sohne
 
Vor ihrem Herzen, herzliche Madonne,
Der kleine Jesus wohnte ihr im Herzen,
War Leben ihr und Süßigkeit und Wonne,
 
Dem sie sich einst vereint in Mutterschmerzen,
Der sie erhoben in die Herrlichkeit.
Umleuchtet wie von sieben Tempelkerzen
 
Erschien der Spiegel der Gerechtigkeit,
Maria, speculum justitiae,
Wie Licht von Gottes Lichte, reine Maid.
 
Je mehr ich aber zu Maria seh,
Je näher bringt sie mich zu ihrem Sohne.
Es zeichnete ein Engel mir ein T
 
Auf meine Stirn, daß mich der Zorn verschone,
Da sah ich in des Kosmos Herz und Grund
Die Ewige Weisheit schimmern auf dem Throne!
 
Maria grüßte mich mit süßem Mund
Und sprach: Die Weisheit Gottes nun betracht
Und liebe mich und Sie von Herzensgrund! -
 
Es war ein lichtes Licht in dunkler Nacht,
Sechs Stufen führten hin zu ihrem Thron,
Die aus den reinen Tugenden Gemacht.
 
Ein goldner Stein zu ihren Füßen, schon
Vollendet, war der wahre Stein der Weisen,
Wie eine Gottheit sich verklärt im Ton,
 
Durch die Gottmenschlichkeit der Weisheit, leisen
Gesangs der Chor der Cherubinen preist
Und süßen Jubels Seraphinen preisen
 
Sophia, deren Flügel ganz aus Geist,
Sophia, deren Flügel ganz aus Glut,
Sophia, von dem Kosmos rings umkreist,
 
Ruht in der Mitte als das Höchste Gut
In türkisblauem himmlischem Gewand,
Beherrscherin der Universumsflut,
 
Die Elemente all in ihrer Hand,
Die sie im Anbeginn erschuf aus Nichts.
Ihr Antlitz war verschleiert, hochgespannt
 
Erwart ich das Entschleiern ihres Lichts
Und ihrer gottgehauchten Urbildschöne
In höchster Perfektion des Angesichts.
 
Wie findet ein Poet die höchsten Töne,
Zu schildern die Vollkommenheit der Schau?
Der Papst mich mit dem Lorbeerkranze kröne,
 
Doch weiß ich nur zu sagen ungenau,
Ihr Antlitz war wie eines Jünglings Bild,
Wie eines Engels oder einer Frau,
 
Ich meine einer Frau, die anmutmild
Vollkommenschön wie Gottes Morgenstern.
Da aber stieg ein Bild aus jenem Bild,
 
Und aus Sophias Haupt erhob sich fern
Von mir des Christus Schmerzensangesicht,
Die heilige Ikone unsres Herrn,
 
In dunkler Nacht das Licht von Gottes Licht!
 
 
ELFTER GESANG
 
Ein Geist trat zu mir, zu der Negitoth
Im Arme sang er mir ein Weisheitslied:
Nun lebe ich, dereinst starb ich den Tod,
 
Nun bin ich Salomonis Sulamith.
Was ist die Kunst, o christlicher Poet,
Als nur die schöne Mystik, die da sieht,
 
Was in den Ur-Ideen Gottes steht,
Den Ur-Ideen aber Erz-Idee
Ist Hagia Sophia! Zum Gebet
 
Erheb dich! Hagia Sophia seh
Als Gottes Weisheit, Gottes Schöpfungswort.
Als ob ich in der Kirche Ostroms steh

Ist mir im Himmel hier an diesem Ort,
Denn Rußland, sag ich, grenzt an Gott, Poet!
Der Sohn ist doch der ganzen Schöpfung Hort,
 
Der aus dem Himmel zu den Menschen geht,
Die Menschen in das Himmelreich zu laden,
Wie es geschrieben in der Bibel steht.
 
Sophia ist die Gnade aller Gnaden,
Doch ist sie mehr noch: Sie ist auch die Braut,
Wie Sulamith vom Haar bis zu den Waden,
 
Ist in der Kreaturenwelt und schaut
Als Schöpfung zu dem Schöpfer-Bräutigam.
Urmenschheit ist sie, Jahwe anvertraut,
 
Idee des All, des Lebensbaumes Stamm,
Die Welt im Innersten zusammenhaltend,
Ist Gottes Braut, ist treu und monogam,
 
Vor Gott der Schöpfung Schönheit ausentfaltend
Und in Hingabe wieder darzubringen,
Weltinnenraum zum Opferlamm gestaltend.
 
Doch Hagia Sophia, so zu singen,
Ist mehr noch, nicht allein der Logos, auch
Nicht nur die Seele in den Schöpfungsdingen,
 
Sie ist die Einheit durch die Liebe auch,
Vereinigung des Schöpfers mit der Welt
In der Allgnade lebensvollem Hauch,
 
Allgnade aber aus dem Himmelszelt
Geht die Sophia zu der  Kreatur,
Weil also es dem Ewigen gefällt,
 
Die ganze Schöpfung zu erlösen, nur
Und ganz allein aus lauter reiner Gnade,
Teilhabe an der göttlichen Natur!
 
So sang ich dir vor Gottes Bundeslade,
Im Angesicht der Jungfrau voller Reinheit,
Allheiliger Jerusalem von Jade:
 
Sie ist nicht nur der ganzen Schöpfung Einheit,
Auch die Vereinigung von Gott und Welt
Durch ihres inkarnierten Wortes Feinheit.
 
Alleinheit! Vater, Mittlerschaft und Zelt,
In dem die Schöpfung sich mit Gott vereinigt
Durch Huld und Liebe! Sie hat mich erwählt,
 
Sie hat mich armen Narren streng gepeinigt,
Weil ich vor ihrer Heiligkeit gesündigt,
Sie hat mich in der Leiden Glut gereinigt,
 
Ich bin gerettet, denn ich hab verkündigt
Die wesentliche göttliche Natur
Der Hagia Sophia! Nicht entmündigt
 
Bin ich, ich bin der Mund der Kreatur,
Der göttliche Geheimnisse gepriesen,
Der Hagia Sophia auf der Spur.
 
Sie selber hat die Weisheit mir gewiesen:
Um Ihretwillen hat der Herr geschaffen,
Berufen alle uns zu Paradiesen!
 
Sie stieg als schöpfrische Idee in Waffen
Aus Gottes Haupt im Anbeginn der Zeit,
Doch leider nimmer fassen das die Pfaffen.
 
Ja, schau sie an im himmelblauen Kleid,
Alleinheit Gottes mit der Schöpfung schau,
Und preis sie Himmelskönigin und Maid,
 
Das Angesicht das Antlitz einer Frau,
Vielleicht auch eines Engels, schau nur hin!
Du sinnliche Natur schaust ungenau,
 
Drum inkarnierte die Sophia in
Messias Jesus, in dem Menschensohn,
Dem Leben Gott war, Sterben ein Gewinn!
 
Was war sein Thron? Aus Kreuzesholz sein Thron!
Was ihm Glückseligkeit? Die Kreuzesschmerzen!
Sophia schau, sie wandelt dir sich schon
 
In Unsrer Lieben Frau Gemüt und Herzen,
Wer nämlich ist die Seele der Maria?
Entzünde deiner frommen Andacht Kerzen,
 
Inkarnation der Hagia Sophia
Ist Sankt Marien Seele in der Reinheit.
Nun aber sing ich dir von Ecclesia,
 
Herausgerufen aus der Weltgemeinheit,
Ursakrament und Sauerteig der Welt,
Sophias Abbild in vollkommner Einheit,
 
Das ist die Kirche, Offenbarungszelt
Des Gottesworts, der Weisheit goldnes Haus.
(Wenn dir vor Ort das Völkchen nicht gefällt,
 
Tritt aber nie aus deiner Kirche aus,
Die heilig, apostolisch und katholisch!)
Schau wieder hin zu deinem Augenschmaus,
 
Was ich dir sage, nimms nicht melancholisch,
Die Kirche in Maria voll des Herrn,
Die einig, heilig, römisch, apostolisch,
 
Die Kirche und Maria-Meeresstern,
Maria und Messias-Menschensohn,
Das ist die Leiter dir zu Gott dem Herrn;
 
Der schenkt dir die Sophia auf dem Thron!
 
 
ZWÖLFTER GESANG
 
Da hob ich meine Stimme vor der Herrin:
O meine Liebe in der Gottheit, siehe,
In Schuld empfangen hat mich eine Närrin,
 
Du aber strahltest wie die Morgenfrühe
Im Anbeginne meines kleinen Lebens.
Ich wuchs heran und machte mir viel Mühe,
 
Doch all mein jugendliches Werk des Strebens
Und Eiferns war nur eine große Narrheit
Und jegliche Gerechtigkeit vergebens.
 
Der Lügenvater leugnete die Wahrheit,
Die Rebellion des Hasses alle Liebe
Und alles Werk der Finsternis die Klarheit.
 
Wie wild und wüste waren meine Triebe,
Als wie im Schweinestalle lose Huren,
Der Geist jedoch ganz tot in seiner Trübe.
 
Doch als ich litt am Tod der Kreaturen
Und war doch selber in dem Totenreich,
Da gingest du auf deiner Schafe Spuren
 
Und weidetest bei deinem Zicklein gleich
Und hast dich mir in Jesus offenbart
Und holtest heim mich in das Himmelreich.
 
Nun bleibe ich bei dir, bei meinem Bart
Gelob ich dir die ungebrochne Treue,
In dir, o Weisheit, meinem Gott gepaart.
 
Du schenktest mir, daß ich dich rein erfreue,
Die Lebensbeichte an dem Gnadenort,
Daß ich durch deine Gnade mich erneue,
 
Und wenn ich Sünder bleibe fort und fort,
Vermagst du es durch Gnade zu ergänzen,
Daß ich gelang in Paradieses Hort.
 
Dort schau ich deines Angesichtes Glänzen,
Sophia, die ich heut im Dunkel glaube,
Dort werden wir im Paradiese lenzen!
 
Mit sanftem Girren sprach die reine Taube:
Nun bist du wieder da, mein Bräutigam,
Ich rufe dich in die verschlossne Laube,
 
Auf daß du mit mir spielst, mit mir, dem Lamm,
Auf daß du mit mir kost im Minnescherzen.
Mein Lieber, auf des Lebens Wogenkamm
 
Zumut ich dir der Liebesleiden Schmerzen
Und eine innige Glückseligkeit.
Zu meinen bloßen Füßen goldenerzen
 
Seh ich dich liegen, mir zur Huld bereit,
Anbetung, Dank und Lobpreis mir zu weihen,
Ich aber heb dich alle Ewigkeit
 
Zu meinem Herzen auf, um dich zu freien!
Mein Herz ist wie der Liebe Feuerofen,
Barmherzig, immer gnädig zu verzeihen,
 
Seh ich dich nur auf meine Gnade hoffen
Und trauen noch dem kleinsten meiner Worte.
In meiner Liebe steht dir flügeloffen
 
Das Perlentor, des Himmels enge Pforte!
Ich führe dich dahin mit meinen Schwingen,
Mit meinem Stern dein Schiff zum Ruheporte.
 
Und willst du Liebe, Schönheit, Huld besingen,
So such nicht in der Herrlichkeit der Welt,
Das alles werd ich dir entgegenbringen,
 
Weil deine Liebe meinem Geist gefällt,
Weil deine Schönheitssehnsucht mich verlangt,
Weil meine Huld viel Gnade dir enthält.
 
Doch wenn dein Glaube vor der Wahrheit bangt,
So stärk ich dich mit Liebe, deine Stärke.
Weil dir die Pracht der Schönheit Gottes prangt,
 
Ruhst du an Heiligen Geistes schattigem Berge,
Drum sprech ich sanft zu dir, du Sohn Elias,
Daß wohlgefallen Jahwe deine Werke. -
 
Da wandt ich mich zur Königin Marias,
Der Weisheit Jah’s, in innigem Verlangen:
Gib mir die Perle Hagia Sophias,
 
Ich mein die Einigung! Mit roten Wangen
Erbat ichs von der Himmelskönigin,
Unschuldig wie die Tauben, klug wie Schlangen.
 
Sie aber sprach zu meinem innern Sinn:
Du hast das minnige Mysterium
Auch sonst gegeben andern Buhlen hin
 
Und willst nun der Sophia Heiligtum,
In Liebe mystische Vereinigung
Als Jesu Freudenevangelium
 
In deinem Sündenleben haben, jung
Und unerfahren, o mein Bräutigam?
Ich aber, in der Gnade Überschwung,
 
Demütig und sanftmütig wie ein Lamm,
Ich geb dir eine himmlische Verheißung:
Treu bleib ich dir in Minne wundersam
 
Und leite dich durch weisheitsvolle Weisung
Und überschatte dich mit meiner Huld
Und auch empfang ich gerne deine Preisung
 
Und will von dir nur Harren in Geduld
Und Glaubenswerke, Liebe und Gebet,
Dann deckt dir meine Liebe alle Schuld,
 
Dann schenk ich die Ars sacra dir, Poet,
Kunst, Weisheit und Vernunft, das du mich preist,
Dann heilige ich dich, so wie es geht,
 
Ich leb in dir durch meinen Heiligen Geist
In deines Herzens Herz, im Heiligtume,
Da herzen wir in Minne, wie es heißt,
 
Da werd ich dir zu deinem wahren Ruhme,
Das ist: in mir vertraute Gottesnähe.
Und meine Perle, Bräutigam, die Blume,
 
Die spar ich für des Paradieses Ehe.
[Inhalt]


Hosted by www.Geocities.ws

1