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CHRISTLICHE MYSTIK

Von Peter Torstein Schwanke


DAS ADELSDIPLOM DER SCHÖNHEIT


Wie hat die Rose das Adelsdiplom der Schönheit erlangt? Der Schöpfer selbst hat Evi das Adelsdiplom der Schönheit verliehen! Der Adel der göttlichen Sophia ist ein göttlicher Adel, denn sie ist eins mit Gott! Herrin, dein untertänigster Diener wünscht, dir die Wunder und Zeichen zu preisen, die sich ereignet, als du das Adelsdiplom der Weisheit erlangt! Ich singe das in vier Gesängen, der erste Gesang besingt dein Studium, der zweite Gesang die Theoriebildung, der dritte Gesang die schriftliche Arbeit, der vierte Gesang den mündlichen Vortrag.


1

Der Maien ist gekommen! Der Mai ist Marienmonat und Mond der Minne! Herrin, was muß ich dich vermissen im Minnemaien! Du sitzt über deinen Büchern und studierst Pythagoras, Plotin, Hermes Trismegistos, du studierst in den Bibliotheken von Atlantis und Alexandrien. Ich aber bin angestellt als dein Diener, deinen kleinen Sohn zu hüten und zu weiden. Ich weiß wohl, du hast ihn im Advent vor vier Jahren jungfräulich empfangen. Mein Geist war der Zeuger, der im Schoß deiner Schönheit gezeugt hat. Du bist die Psyche, und dein Sohn ist Imago Dei, dein Sohn ist eine Theophanie, du bist die Madonna, dein Sohn ist das Jesuskind. Vier Jahre alt ist der Jesusknabe. Wir leben hier ja im Athen des Nordens, von allen Palästen schaut uns die Athene an, die Göttin der Weisheit, und von manchem Balkon schaut der Amor herunter, der kleine Schelm Eros! Tom, benannt nach dem heiligen Thomas, dem Apostel der Inder und Chinesen, und dem engelgleichen Thomas, dem größten Philosophen des Mittelalters, Tom ward von mir herumgeführt in dem Athen des Nordens. Zuerst wallfahrten wir zur Sankt-Marien-Kirche, zündeten Kerzen vor der großen Mutter der Schmerzen an für die Seele Toms und saßen dann auf den drei Stufen vor dem Allerheiligsten, da Jesus leibhaftig anwesend ist! Dann suchten wir das Museum auf, und was sahen wir dort? Die Krone des Kaisers Friedrich II., an dessen Hof das Sonett erfunden worden, das Sonett, in welcher Form Petrarca seine Donna Laura unsterblich gemacht. Goldene Krone mit Rubinen und weißen Perlen. Wir sahen die Falken des Kaisers, wir sahen den Pfau und den Paradiesvogel. Im Keller des Museums sahen wir das himmlische Jerusalem, eine Stadt ganz aus Gold und Glas und Edelsteinen. Kristall und Jaspis und Saphir und Smaragd und Amethyst und alle Edelsteine des himmlischen Jerusalem waren hier versammelt, und es war der Schatz des Kaisers. Dann suchten wir den Fürsten auf in seinem Schloß. Wir beteten zuerst im Kloster und beschauten die heilige Catharina und die heilige Margarethe und die heilige Barbara (CMB), wir beschauten die Schmerzensmutter mit dem toten Gottessohn auf dem Schoß, das Taufbecken, den Weihrauchkessel und das Priestergewand. Dann bestaunten wir die Ritterrüstungen und die Lanzen. Im Wohnsaal des Fürsten bestaunten wir die Schönheit der Schönheitsgöttin Venus mit ihrem kleinen Kinde Amor. Schau einmal, Tom, sprach ich, der kleine Amor, das bist du, und die Venus dort, das ist Evi! Dann begaben wir uns auf den Kanal am Schlosspark und ruderten auf dem Kanal, begleitet von den Wasservögeln mit den schönen Hälsen. Aber wenn ich allein in meiner Einsiedlerzelle war, dann klagte ich Maria mein Leid: Ach, Maria, es ist Mai, und meine Minnedame plaudert nicht mit mir im Garten! Was ist das für ein Minnemai ohne Minnedame, Madonna? Ich vermisse sie so schmerzlich! O Maria, du bist eine strenge Herrin! Du nimmst mich in allerstrengste Klosterzucht, in die Zucht des Karmeliterordens, des strengsten und asketischsten aller Orden, und lehrst mich die Kreuzeswissenschaft, die Mystik von den stellvertretenden Leiden zur Erlösung der Menschheit, die Mystik der Sühneopferseelen, die all ihre Leiden Gott aufopfern, um Christi Herz zu trösten und Seelen zu retten! Strenge Herrin, es ist Mai, die Natur ist wie ein Garten Eden, und ich bin eingesperrt in der dunkelsten und nacktesten Klosterzelle und meditiere nur über den blutigen Christus am Kreuz! O Madonna, du Herrin der Weisheit, was ist das für ein Mai? Draußen lächelt das Paradies, aber ohne Eva ist das Paradies kein Paradies für Adam! Madonna, soll sich Adam mitten in der Herrlichkeit des Paradieses mit Philosophie beschäftigen? Soll ich asiatische Philosophie studieren im Minne-Maien? Lebensweisheiten von Lao Tse und Kung Fu Tse hebe mir auf für den Herbst und Winter, Madonna, aber im Minnemaien schenk mir meine Paradiesfrau! So betete ich, aber die strenge Herrin ließ sich nicht erbitten. Statt mit der Venus-Madonna zu scherzen, scherzte ich aber mit ihrem Sohn, dem kleinen Amor-Jesusknaben! Er spielte Pharao, denn der Pharao ist ganz aus Gold und wohnt in einer riesigen Pyramide. Ach, Evi, du bist doch die Tochter des Pharao, die Salomo geliebt, doch ich hütete den kleinen Tom, der Pharao spielte. Aber mitten im Spiel fiel der Heilige Geist über Tom und während ich betrübt der Geliebten nachschmachtete, begann Tom zu prophezeien und ich hörte die Stimme meines Herrn und Gottes, des Kleinen Jesus, zu mir sprechen: Was trauerst du? Die allmächtige Prinzessin liebt dich doch, sie hat dir doch gesagt, dass sie dich grenzenlos liebt! Du bist doch verheiratet mit der allmächtigen Prinzessin aus der Sonne! Und wer bist du? Du bist der König des Meeres! Ruh dich nur aus, ich werde allein für dich alle Feinde besiegen, du brauchst nichts zu tun, ich tu alles ganz allein! So sprach der Kleine Jesus zu mir, und auf mein Angesicht zauberte sich ein Lächeln. Wahrlich, wahrlich, aus Säuglingsmund und Mund von Unmündigen bereitet Gott sich ein Lob! Kindermund tut Wahrheit kund! Aber nun sprach auch Maria zu mir. Sie hatte lange geschwiegen, aber aufmerksam meinen Gedichten gelauscht. Sie bedankt sich ja immer so höflich und herzlich für meine Liebesgedichte an sie. Nun begann sie selber zu dichten:

      „Die Engel in ihrer Pracht
      Sind winters und sommers bei euch, Tag und Nacht!

      Sie sind im irdischen Paradies gewachsen,
Die Rosen im Garten,
Sie sind für den Sommer zu erwarten.“

            Jungfrau Maria.

Also, Madonna, hieß es Geduld zu lernen, im Sommer kommt die Zeit der Rosen, die Zeit der Minne und der Schönheit! Du hast es versprochen! Und niemals lügst du und niemals enttäuschst du den, der dich unaussprechlich liebt!


2

Herrin, ich will deine Theorie der sakralen Architektur besingen. Theoria heißt ja Gottes-Schau! Du hattest die Visionen, die Ahnungen, intuitiv erkanntest du alles, aber du konntest es nicht ins Wort fassen. Ins Wort fassen, das kann ich, diese Gabe hat mir Gott gegeben. Eine neunzigjährige Karmelitin schrieb mir einmal aus dem Edith-Stein-Karmel: Der Herr hat dir die Gabe gegeben, mystische Erfahrungen ins Wort zu fassen. Danke dem Herrn dafür! Ich danke dem Herrn und danke der Liebe Gottes, dass ich nun meiner Minneherrin mit dieser Gnadengabe dienen darf. Ich will gar nicht davon sprechen, wie in Ewigkeit der Ewige Vater sich im Sohn selbst ins Wort fasst, denn der Sohn ist das Wort, der unergründliche Urgrund der Gottheit fasst sich im gezeugten Sohn ins fassliche Wort, das ist der Logos, das Wort, der Sinn, die Weltvernunft, und zwischen dem Urgrund und dem Wort waltet göttliche Liebe, das ist der Heilige Geist, die göttliche Liebe. Aber deine Theoria wollte ich besingen, die begann mit dem Schöpfungsakt Gottes. Da entfaltetest du die Schöpfungslehre nach Plotin. Herrin, ich pries dich vor der Jungfrau Maria und sprach zu Maria: Herrin! Siehst du meine Herrin Evi? Sie studiert den Neuplatonismus von Plotin! Schau dich um, Herrin Maria, ob du eine Frau auf Erden siehst wie meine Herrin Evi, die Plotin studiert! Ich kenne keine, Herrin Maria, wie meine Herrin Evi! Und auch dafür liebe ich sie so sehr! Denn die Welt ist aus dem Einen hervorgegangen, indem der göttliche Geist in der Weltseele zeugte. Die Weltseele aber durchwaltet das All. Die Weltseele, Anima Mundi, ist die göttliche Weisheit, die das All durchwaltet. Die Kraftwirkungen der göttlichen Weisheit sind die Energien des Heiligen Geistes. Die Energien des Heiligen Geistes sind Kraftströme der Grünkraft der Liebe, die in der Schöpfungsordnung Gottes harmonisch walten. Der Mensch der archaischen Vorzeit lebte versunken unbewusst wie ein Kind im Mutterschoß der Mutter Natur und verehrte die Mutter Natur als Große Mutter und Große Göttin. In der antiken Zeit lernte der Mensch, die Naturkräfte zu beherrschen und sich dienstbar zu machen. Bei den Hebräern war die Himmelsleiter Jakobs solch eine Verbindung von Himmel und Erde, und Jakob errichtete ja auch einen Stein an der Stelle, da er den Himmel offen gesehen hatte, und übergoß den Stein mit Salböl. Auch der Prophet Hesekiel schaute den Himmel offen und sah die vier Cherubim, die den Thronwagen Gottes trugen. Die Kabbala spricht davon. Mose schaute auf dem Berge Nebo das Gelobte Land, wo Milch und Honig fließen, aber er durfte nicht hinein! Weißt du, Evi, wie oft ich schon fühlte, ich sei Mose, du seiest das Gelobte Land, da Milch und Honig fließen, ich schaue es und darf nicht hinein! Aber Hesekiel schaute in Visionen den künftigen Tempel, den Johannes in der Apokalypse als das himmlische Jerusalem schaute, die Kubus-Stadt, die Phönixstadt am Ende der Milchstraße, wie sie der chinesische Dichter nannte. Die wahre Axis Mundi aber ist in der Grabes- und Auferstehungskirche Christi. Dann begann der römisch-katholische Kathedralbau. Die Kathedrale war das irdische Abbild, das himmlische Jerusalem war das himmlische Urbild. Die übergroße Herrlichkeit schon des irdischen Abbildes lässt einen schaudern vor Wonne, ahnt man die unaussprechlichen Herrlichkeiten des himmlischen ewigen Urbildes, die Stadt des ewigen Paradieses! Die heilige Stadt des römisch-katholischen Mittealters ist ein Abbild Christi am Kreuz. Alles ist durchwaltet von den harmonikalen Gesetzen der Zahl und des Maßes. Die Zahl ist überall die pythagoräische Zahl, die Ausdruck der Musik des Himmels ist. Die heilige Stadt ist Musik, die Kathedrale ist Musik, Musik, das ist eine in unsichtbaren Räumen geistig errichtete Kathedrale. Chartres! Das war mein Minne-Zauberwort. Ich brauchte bloß Chartres zu sagen, und schon sah ich deine Schönheit, deine Weisheit, schon sah ich den musikalischen Dom, schön hörte ich die Engel der Sphären singen! Was ist das Heiligtum, für das die Kathedrale von Chartres errichtet wurde? Es ist das Kleid der Jungfrau Maria, welches sie in der Weihnacht in Bethlehem getragen! Chartres, meine Liebe! Ich bin gebannt vom Labyrinth von Chartres! Chartres wurde erbaut auf den Grundsteinen des Pythagoras und des heiligen Augustinus, es ist steingewordene Musik zu Ehren der Jungfrau Maria! Den Saum ihres Kleides ehrfürchtig zu küssen, wurde ein Kosmos aus singenden Steinen errichtet! O du gebenedeite Jungfrau Maria! Chartres! O du schöne und geliebte Evi! Von Chartres führt deine Theoria durch die Philosophie des Abendlandes, die neuzeitliche Philosophie des deutschen Idealismus bis in unsere Zeit, da die Naturwissenschaft an die göttliche Weisheit grenzt! Ich denke, wenn du von den Kraftorten sprichst, von den heiligen Orten, an das Wort meines lieben heiligen Vaters Johannes Paulus des Großen: Ich will die Erde mit einer Geologie des Gebets durchziehen, die geistigen Hauptstädte der Welt sind die Wallfahrtsorte der Jungfrau Maria auf allen Kontinenten! Weißt du, geliebte Frau, wie es mir ergangen, als du mich um Mitternacht besuchtest zur gemeinsamen geistigen Arbeit? Ich erwartete dich mit freudiger Sehnsucht und harrte dem Glockenschlag von Mitternacht entgegen, betend. Ich betete den Rosenkranz und bat Maria, den Heiligen Geist auf uns herabzulocken. Da sah ich mit diesen meinen beiden Augen Maria, ihr Bild als Rosa Mystica, als mystische Rose. Ihr Bild war in einen heiligen Schleier gewoben. Ihre Gestalt war jung und schlank, sie trug ein langes weißes Kleid mit goldenen Stickereien und einen goldnen Gürtel um die Hüfte. Auf ihrer rechten Brust wölbte sich die weiße Rose der Freuden Marias, zwischen ihren beiden Brüsten, im Tal ihrer Brüste, wölbte sich die rote Rose der Schmerzen Marias, und auf ihrer linken Brust überm Herzen wölbte sich die goldene Rose der Herrlichkeit Marias. Ihr Antlitz war vollkommen schön und lieblich feminin. Aus ihren großen warmen Augen aber strömten blutige Tränen! Die roten Tränentropfen flossen über ihre Wangen und über das Kleid und tropften auf ihre gefalteten Hände und flossen weiter über den goldenen Liebreizgürtel in ihren Schoß. Dann sah ich mit diesen meinen beiden Augen Maria, ihre Statue, sie war ein junges Mädchen von siebzehn oder zweiundzwanzig Jahren und trug ein weißes Kleid, sie war die mystische Rose, und aus ihren Augen tropften blutige Tränen, und aus ihrer Stirn trat als Schweiß Milch und Honig aus und rann die Gestalt hinunter. Milch und Honig der himmlischen Mutter ward aufgefangen von indischen Priestern in einer silbernen Schale. Wahrlich, Maria ist das Gelobte Land von Milch und Honig. Dann kamst du, geliebte Evi! Dein Hemd war naß geworden vom Regen, du zogst es aus und standest im weißen Unterhemdchen vor mir, dann hülltest du dich in Schafswolle. Du saßest auf meinem Sofa und studiertest, ich diente dir als dein Geheimer Sekretär. Du saßest auf dem Sitz der Weisheit und ich saß auf dem Apostolischen Stuhl. Du diktiertest mir und ich fasste es in schöne Worte. Und das heißt Dichten und ein Dichter sein, denn Dichten kommt von Diktieren, und es ist die Muse, die diktiert, und der Dichter, der dichtet. Muse der mystischen Weisheit, du diktiertest, und ich schrieb auf als dein Geheimer Sekretär. Dann trat ich auf den Balkon und sah zum Sternenhimmel auf. Orion und Großer Wagen vom Sternenmantel der Madonna schwebten als der Schutzmantel der Madonna durch die dunkle Nacht. Ich schaute durch das Fenster vom Balkon in die lichterfüllte Einsiedlerzelle und sah, und siehe, ich weiß nicht wie, da saß nicht meine Herrin Evi, da saß meine Herrin, die Jungfrau von Guadelupe und las in einem Buch. Heimsuchung der Madonna um Mitternacht! Da schenkte ich dir, meine Herrin Evi, meine Übersetzung eines Verses aus den Sprichwörtern Salomos: Sophia spricht: Bei der Schöpfung, „da war ich bei Ihm als Seine Architektin und Lieblingin, ich war Seine Wollust jeden Tag und scherzte immer mit Ihm! Ich scherzte auf dem Erdkreis und hatte meine Wollust an den Söhnen Adams!“ (Sprüche Salomos 8, 30.31).


3

Ich sah mit diesen meinen beiden Augen die Jungfrau Maria, eine hohe Frau im langen blauen Mantel, der besät war mit goldenen Sternen. In der linken Hand hielt sie eine brennende Fackel. Sie lächelte mich an und sprach zu mir: Mein Bräutigam, ich freue mich über dein Dankopfer, das du mir bringst, und bitte dich: Fahre fort! So will ich also erzählen, liebe Evi, von einer wunderbaren Nacht. Es waren die Tage, da du deine schriftliche Arbeit der Architektur dem Lehrstuhl zur Prüfung vorlegen solltest. Du batest mich, am Abend zu dir zu kommen und als ein Schreiber dir zu helfen. Es ist mir eine große Ehre, dir meine große Liebe durch bescheidene Dienste der Tat ausdrücken zu dürfen! Wir arbeiteten und schrieben die ganze Nacht. Du hattest schon viele Nächte kaum geschlafen und warst an die Grenze deiner Kraft gekommen. Drei Stunden nach Mitternacht legtest du dich für eine Stunde in dein Bett, um zu schlafen und durch den heiligen Schlaf neue Kraft zu bekommen. Ich setzte mich vor die Pforte deines Hauses und betete für dich den Rosenkranz: Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade! Der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes: Jesus! Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes! Amen. Weißt du, Evi, lange Zeit habe ich dieses Ave-Maria-Gebet ein wenig abgewandelt gebetet. In meiner abgewandelten Form wählte ich eine mir näher stehende Wortwahl und schloß auch meine Liebe zu dir in das Gebet ein. Denn statt des kirchlichen Grußes: Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir! betete ich: Ave Maria, du Gnadenvolle, Gott ist mit dir! Weißt du, Evi, die lateinischen Katholiken sagen, das Ave ist die Umkehrung von Eva. Wie Eva Nein zu Gott gesagt, so hat Maria beim Ave des Engels Ja zu Gott gesagt. Dann betet die Kirche: Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes! Aber ich betete: Gebenedeit ist die Frucht deines Schoßes! Denn ich wollte immer heim in den Mutterschoß. Auch grüßte ich Maria nicht als Mutter Gottes, sondern als Liebe Frau, denn sie war mir zwar vertraut als meine himmlische Mutter, aber noch lieber und süßer war mir ihre Liebe, wenn sie mich zu ihrem mystischen Bräutigam erwählte und meine mystische Ehefrau ist. Dann betete ich auch nicht: Bitte für uns arme Sünder, sondern: Bitte für uns verbannte Kinder Evas! Diese Formulierung stammt aus einem anderen Mariengebet. Verbannte Kinder Evas sind wir, weil wir nicht mehr im irdischen Paradies leben. Aber ich bin auch ein verbanntes Kind Evas, weil du, Evi, meine Eva bist und weil dein Leib mein Garten Eden ist und weil ich aus dir ausgeschlossen bin. Und ich betete auch nicht: Bitte für uns in der Stunde unseres Todes, sondern: Bitte für uns in der Stunde unseres Heimgangs! Denn so wollte ich alle natürliche Todesangst überwinden, indem ich mich erinnerte, dass der Tod der Heimgang in die ewige Heimat ist, in das himmlische Paradies! Aber dann sprach einmal Maria zu mir von der Liebesflamme ihres makellosen Herzens und kam mit dem Erzengel Michael. Und Sankt Michael belehrte mich, dass das Gebet in der Formulierung, wie es von der Kirche formuliert ist, mehr Macht hat, das Böse zu besiegen und Seelen zu retten und Gnaden zu erlangen. Darum gehorche ich der Weisung des großen Engelsfürsten Sankt Michael und bete das Ave-Maria nun wieder so: Gegrüßet seiest du, Maria, voll der Gnade! Der Herr ist mit dir! Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes: Jesus! Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unsres Todes. Amen. So betete ich in der Nacht vor deinem Haus, da trat die Jungfrau Maria zu mir und sagte lächelnd: Töricht bist du, wenn du glaubst, dass ich dein Gebet nicht erhört hätte. Denn ich hatte den Rosenkranz für dich gebetet, Evi. Die Jungfrau Maria bat mich, sie hineinzulassen in dein Haus, sie wolle jetzt zu dir treten und dich segnen. Da sah ich, wie sie als schlanke Lichtjungfrau in dein Haus eintrat. Ich folgte ihr, denn es war die verabredete Zeit, da ich dich wecken sollte von deinem Schlaf. Du hattest aber nicht geschlafen vor innerer Unruhe und körperlicher Anspannung. Du mochtest dich gar nicht von deinem Bett erheben. Ich bereitete dir eine Tasse grünen Tee vom Himalaya und schnitt dir einen Apfel in Scheiben. Ich brachte dir den Tee ans Bett und du trankest den grünen Tee. Ich kniete neben deinem Bett und war ganz ehrfürchtig, dass ich in deinem Schlafzimmer vor deinem Bett knien durfte. Du recktest und strecktest dich und sagtest müde, du seiest ganz verspannt an den Muskeln und Sehnen deines Rückens und Nackens. Ich bot dir an, dir den Rücken zu massieren. Ich wagte es kaum, dir das vorzuschlagen. Aber du nahmst das Angebot freudig an. Da saß ich wahrhaftig neben meiner liegenden Geliebten auf ihrem weißen Himmelsbett, du drehtest mir den Rücken zu und ich massierte dir den Rücken und den Nacken und die Schultern. Und tatsächlich, um dir noch besser Erleichterung verschaffen zu können, massierte ich nicht dein Hemd, sondern deinen bloßen Rücken. Du ahnst nicht, welche zitternde Scheu und heilige Ehrfurcht mich dabei ergriff! Es regten sich wohl lüsterne Gedanken, wie süß es wäre, deine Brüste zu liebkosen, aber gleichzeitig ging mir eine Szene aus der Bibel durch den Sinn: Mose begehrte, die Herrlichkeit des Herrn zu schauen, und Gott sprach: Mein Antlitz kannst du nicht schauen, denn keiner lebt, der mein Antlitz schaut! Aber ich werde an dir vorüberziehen, und du wirst meinen Rücken und meinen Nacken schauen! So sprach Gott zu Mose, und, o Gott, ich kam mir mehr begnadet vor als Mose! Denn ich durfte nicht allein den Nacken und Rücken des Herrn schauen, sondern den Nacken und Rücken des Herrn berühren! Welch ein Wahnsinn der Liebe! Dann erhobst du dich und nahmst ein erfrischendes Bad. Ich aber nahm die Apfelscheiben auf einer Schale mit mir und setzt mich in der dunklen Nacht auf die Gartenbank vor deinem Haus, saß unter der heiligen Eiche und dem Holunderbaum mit den schwarzen Perlen und speiste den Apfel. Aber ich hob dir einige Scheiben auf. Dann tratest du aus dem Haus, die langen schwarzen Haare noch feucht und gelockt vom Bad. Du setztest dich leise neben mich auf die Gartenbank. Da bot ich dir die Apfelscheiben an und du aßest sie. Mir war, als sei ich Adam und du seiest Eva und wir speisten im Garten Eden den Apfel, aber ganz ohne Sünde! Ich war so selig, ich war wirklich einen Augenblick im irdischen Paradies! Bald aber musste ich Abschied nehmen. Und da ich in meine Wohnung fuhr, huschte eine graue Katze wie weggescheucht zur Seite. Daran musste ich denken, als ich bald darauf im jüdischen Talmud-Buch las, wie Adam nach der Speise der verbotenen Frucht von Gott durch den Engel wie ein Straßenköter davongejagt wurde, weil er als Sünder nicht im irdischen Paradies übernachten durfte!... Am nächsten Morgen las ich im Talmud. Der jüdische Talmud gilt den Juden neben dem Alten Testament als heilige Schrift und Offenbarung Gottes. Ich las: „Zwölf Stunden hat der Tag. In der ersten Stunde wurde die zur Schaffung des ersten Menschen benötigte Erde zusammengetragen, in der zweiten wurde er zum Klumpen geformt, in der dritten wurden die Glieder geformt, in der vierten wurde ihm die Seele eingehaucht, in der fünften stand er auf, in der sechsten führte Gott ihm die Tiere vor, damit er sie benennen sollte, in der siebenten wurde ihm Eva zugeführt! In der achten bestiegen sie zu zweit das Bett – und verließen es zu viert (Evas zwei Söhne), in der neunten wurde ihm das Verbot erteilt, vom Baum der Erkenntnis zu essen, in der zehnten hat er sich dagegen vergangen, in der elften wurde er gerichtet, in der zwölften wurde er aus dem Paradiese gejagt! Denn es heißt in Psalm 49,13: Denn Adam sollte nicht über Nacht in seiner Würde bleiben, sondern musste davon wie ein Vieh.“ Wirklich, Evi, als ich das las, da war ich Adam, der erste Mensch der Welt, und war verjagt aus dem Garten Eden. Und ich heulte und jammerte vier Stunden lag über das Unglück, daß Adam aus dem Paradies vertrieben! Ich konnte meine Tränen nicht trocknen, und wie der Psalmist sagt: Meine Seele wollte sich nicht trösten lassen! Ich war untröstlich und voll des namenlosen Jammers über den Fall und die Vertreibung Adams. Erst nach vier Stunden fasste ich mich ein wenig. Da hörte ich die Stimme vom Horeb beten. Der Horeb ist der Berg, da Gott sich Mose offenbart in einem brennenden Dornbusch und gesagt: Ich bin Jahwe! Mein Name ist: Ich bin, der ich bin! Ich bin, der ich war und bin und sein werde! Ich bin, der ich sein werde! Ich bin der Ich-bin-da! Ich bin! Halleluja! Ich hörte die Stimme vom Horeb beten die Gebete an Christus auf seinem Kreuzweg: Christus, mit dem Atem der Menschen, den du geschaffen, lästern dich die Menschen! Christus, mit der Zunge der Menschen, die du geschaffen, höhnen dich die Menschen! Christus, du bist dreimal unter der Last des Kreuzes gefallen! Dann bist du gestorben den Tod am Kreuz! O Christus, durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst! Christus, dein Leichnam wurde in den Schoß deiner heiligen Mutter gelegt! Christus, dein Leichnam wurde begraben! Da überstürzten mich wieder solche leidenschaftlichen Tränenströme und ich musste drei Stunden weinen über den Tod Christi am Kreuz! Sie haben meinen Herrn gekreuzigt! Mein Herr ist für mich gestorben! O welcher Jammer, welches namenlose Leiden, dass der Sohn Gottes von den Seinen, von der Menschheit, gekreuzigt wird! Ich weinte drei Stunden, bis ich mich zu einem Marienbild wandte, das Leonardo da Vinci gemalt. Es zeigt die stillenden Madonna. Die bloße Brust ist prall und gefüllt mit der süßen Milch des Trostes, und das nackte Jesuskind saugt begierig an der Brust. Da betete ich in meinem Jammer zu den Brüsten Mariens: O Maria, gebenedeit sind deine Brüste, an denen Jesus getrunken! Laß mich auch saugen die Milch des Trostes aus deinen hochgebenedeiten Brüsten! Wahrlich, nie ruft einer umsonst zu den Brüsten Mariens! Denn Maria ließ mich trinken die Milch des Trostes aus ihren barmherzigen Brüsten! Und da ich gestillt und getrost war, wie ein gestilltes Kind in den Armen seiner Mutter, da riefest du mich, Evi, mit deiner himmlisch-süßen Stimme, ob ich erneut in der Nacht dir helfen wolle. So hat mich Maria getröstet! Ich durfte dich wieder sehen, Evi! Ich betrachtete Bilder von Leonardo da Vinci. Ich sah die heilige Anna, die Mutter Mariens, mit dem jungen Mädchen Maria und dem kleinen Jesuskind. Ich sah die Madonna in der dunklen mystischen Felsgrotte, ein Engel sitzt neben ihr, in ihrem Schoß faltet sich der glühende Stoff, der kleine Johannesknabe zeigt zum segnenden Jesusknaben. Ich sah Jesus beim Letzten Abendmahl. Dann sah ich die Hausfrau Gioconda, die Leonardo verherrlicht in künstlerischer Arbeit von zehn Jahren zur Mona Lisa mit dem geheimnisvollen Lächeln. O Mona Lisa, o Herrin Evi, o zauberhaftes Lächeln! Und so kam ich am Abend zu dir, und du studiertest deine Aufzeichnungen und lächeltest so selig und friedlich und versunken vor dich hin, ich meinte, ich sehe das Lächeln der Mona Lisa, ich sehe das Lächeln Evis, ich sehe das Lächeln der Jungfrau von Guadelupe! Um Mitternacht aber hörte ich in meiner Einsiedlerzelle wieder die Stimme vom Horeb. Es war die Stimme meines lieben heiligen Vaters Johannes Paulus des Großen. Der heilige Greis im Himmel mauschelte den Rosenkranz auf Latein und die Lauretanische Litanei, das große Marienlob, auf Latein. Und ich schlief ein mit dem Gebet auf den Lippen: O Maria, ich bin ganz dein! O Maria, totus tuus ego sum!



4

Geliebte, der Heilige Geist hatte mich in dieser Zeit immer wieder hingewiesen auf die Bibelstelle, da Salomo berufen wird, den Tempel Gottes zu bauen. „So sieh nun zu, denn der Herr hat dich erwählt, dass du ein Haus baust als Heiligtum. Sei getrost und richte es aus! Und David gab seinem Sohn Salomo einen Entwurf für die Vorhalle des Tempels und für seinen Bau, seine Gemächer und Obergemächer und inneren Kammern und für den Raum des Gnadenthrones; dazu Entwürfe für alles, was ihm durch den Geist in den Sinn gekommen war... Und David sprach zu seinem Sohn Salomo: Sei getrost und unverzagt und richte es aus! Fürchte dich nicht und laß dich nicht erschrecken! Gott der Herr, mein Gott, wird mit dir sein und wird die Hand nicht abziehen und dich nicht verlassen, bis du jedes Werk für den Dienst im Hause des Herrn vollendet hast.“ (1 Chronik 28). Ich ging in die Kirche, für dich zu beten. Bei der Opferung Christi vertraute ich dich dem Ewigen an und bei der Speise des Leibes Christi bat ich Gott, dir die göttliche Weisheit zu schenken. Der Chor der Gemeinde sang drei Hymnen an den Heiligen Geist, der Priester sprach: Empfangt den Heiligen Geist, den Atem Gottes! So kam ich zu dir, um dir zu helfen. Es war aber so, dass dir die Ideen und Worte nur so herausflossen, denn es war der Heilige Geist auf dich übergegangen! So schriebst du bis in die hereinbrechende Nacht. Ich saß nur dabei und betrachtete dich, wie du in der Nacht im Garten zu einer Schwarzen Madonna wurdest. Ich dachte immer nur an das Minne-Zauberwort: Chartres! Du warst ein schöner Schatten in der dunklen Nacht, ich war erfüllt von Eros. Du sprachest: Ich bin so verspannt im Rücken und in den Schultern! Ich sprach: So ging es auch Jesus, als der das Kreuz trug. Darf ich dich massieren? Du erlaubtest es, aber als ich dich ein wenig massiert hatte, erdröhnte ein Donnerschlag. Du zucktest zusammen, als ob wir etwas Verbotenes getan hätten. Weil du zusammenzucktest wie vor etwas Unkeuschem, entfernte ich mich von dir. Du aber, erfüllt vom Heiligen Geist, arbeitetest weiter. Am nächsten Tag schenkte ich dir ein Perlenband aus Südamerika, ein Armband von weißen Perlen, an denen Bilder von Heiligen befestigt waren. Bilder waren das von Jesus und Maria, vom Heiligen Josef und anderen Heiligen. Du trugest es als Schutz. Am Abend brachtest du deinen kleinen Tom ins Bett, den ich am Tag gehütet hatte. Er saß nackt auf meinem Schoß, und du standest vor uns, ihm den Schlafrock anzuziehen. Da sagte das Kind: Guck mal und schau mal! Ich guckte und schaute und sah, siehe, was ich sah, das waren deine schönen weißen Brüste! Und in jener Nacht hatte ich einen bedeutsamen Traum. Ein Mann sprach zu mir, ob ich ein Liebender sein wolle und heiraten oder ob ich ein Gottgeweihter sein wolle? Ich sagte: Ich sei ein Gottgeweihter, aber dennoch ein Liebender! Da sprach der Mann, ich solle beten, meine Berufung zu erkennen. Ich trat in eine Kirche, die dem Heiligen Geist geweiht war. Auf dem Altar war der Leib Christi zur Anbetung ausgestellt. Aber ich kniete vor dem Marienaltar. Da sah ich drei Bilder der Jungfrau Maria. Auf dem ersten Bild kniete der Erzengel Gabriel wie ein schöner Jüngling vor der schönen Dame Maria und huldigte ihr in anbetender Minne. Auf dem zweiten Bild stand Maria im blauen und weißen Kleid, aber mit bloßen weißen Brüsten, und lud mich ein, ihr Geliebter zu sein. Auf dem dritten Bild sah ich den Liebesakt des Heiligen Geistes mit der reinen Jungfrau, die Jungfrau lag in ihrem Bett und die weiße Taube des Geistes der Liebe erkannte die Jungfrau, ich sah ihre bloßen Brüste und ihr Antlitz, das verzückt war von Glückseligkeit der Ekstase der Liebe! Am nächsten Tag kam ich wieder zu dir, Evi. Wir arbeiteten zusammen, aber ich war ungeduldig. Du wolltest langsam und ruhig arbeiten, aber ich wollte tanzen und rasen und stürmen. Da warest du wie die schwarze Stute des Pharao aus dem Liebeslied von Salomo, und ich war dein Reiter, ich wollte dich antreiben zu einem feurigen und stürmischen Galopp und jagte dir meine Sporen in die schwitzenden Flanken, aber du bäumtest dich auf voll Unmut und warfst mich aus dem Sattel! Dann erhobest du dich vor mir und schütteltest versöhnlich die lange feuchte schwarze Mähne und schautest mich an, ich aber bat demütig um Vergebung und streichelte deinen Rücken. Um Mitternacht ging ich nach Hause. Es war der letzte Tag vor deinem mündlichen Vortrag vor dem Lehrstuhl und der Prüfungskommission. Wir standen in einem dunklen Raum, es war da kein Licht als das Licht unsrer Augen. Ich bat dich, mir deine Hand zu reichen und erteilte dir wie ein Priester den Segen: Auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, auf die Fürsprache der seligen Evelin von Lüttich und auf die Fürsprache aller Heiligen hin segne, beschütze und erleuchte dich der all-liebende Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist! Im Zeichen des Kreuzes verließ ich dich. Als ich aber zuhause wieder in meiner Einsiedlerzelle war, trank ich meinen Rotwein und betete wieder: Auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, auf die Fürsprache des heiligen Quentin des Märtyrers und auf die Fürsprache aller Heiligen hin segne und beschütze dich der allbarmherzige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist! Auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, auf die Fürsprache des heiligen Apostels Thomas, Apostels von Indien und China, und auf die Fürsprache des Heiligen Thomas, des engelgleichen Lehrers der Philosophie, und auf die Fürsprache aller Heiligen hin beschütze und segne dich der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist! Auf die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, auf die Fürsprache des heiligen Petrus, meines Patrons, und auf die Fürsprache der heiligen Evi und auf die Fürsprache aller Heiligen hin beschütze und segne dich der all-liebende Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist! Amen. Am frühen Morgen, nach wenigen Stunden Schlaf, erwachte ich und las in der Bibel: „Und der Ewige sprach zu Abram: Ich will dich segnen und deinen Namen groß machen, und du sollst ein Segen sein. Und ich will segnen, die dich segnen, und wer dir flucht, den will ich verdammen, und mit dir sollen sich segnen alle Geschlechter der Erde.“ Da pries ich auf dem Weg zu dir, Evi, die Allmacht und Zärtlichkeit Gottes, die in diesen Worten mir zum Ausdruck gebracht wurde, ja, geradezu die göttliche Allmacht der Zärtlichkeit! Als ich aber in deinen Garten kam, lag der Glanz der reinsten Sommermorgensonne über dem grünen Garten. Die Bäume und Gräser und Büsche waren grün, Blumen blühten und Beeren hingen an den Bäumen. Die kleinen Vöglein sangen und hüpften lustig in den Zweigen umher. Dann trat ich in dein Haus und begrüßte dich. Du standest in dem Bad vor dem Spiegel. Da warest du ganz schwarz gekleidet, mit schwarzem Hemd und schwarzem Beinkleid, mit breitem schwarzem Gürtel mit silberner Schnalle, deine langen schwarzen Haare waren noch feucht vom Bad und hingen lang und lockig herunter. Du schminktest deine langen Wimpern schwarz vor dem runden Spiegel. Da ich dich grüßte, schautest du zu mir und lächeltest mich an. Das ganze Bad aber war in gleißendes Licht gehüllt. Vor der überwältigenden Schönheit trat ich zurück und begab mich ins Wohnzimmer. Da ging mir durch den Sinn, dass der unzugängliche Lichtglanz, in dem Gott wohnt, auch durch den geheimnisvollen Glanz der Schwarzen Madonna zum Ausdruck gebracht werden kann. Der Vater der Mystik des Abendlandes, Dionysios, ein katholischer Neuplatoniker, sprach von der höchsten Schau als der Schau des finsteren Lichtes Gottes! Dieses Paradox des finsteren Lichtes ist einzig angemessen, von der unbeschreiblichen Urschönheit der Urgottheit zu sprechen. Dionysios nennt ja die allerhöchste Gottheit – Urschönheit! Und wahrlich, mir war, ich hätte die Schwarze Madonna in einer Wolke von Lichtglanz geschaut, und sie habe mich liebevoll angelächelt! Ich habe in einer Vision das finstere Licht der göttlichen Urschönheit geschaut! Meine Kniee begannen zu zittern und ich trat in den Paradiesgarten in dem Glanz der Morgensonne. Ich setzte mich auf die Gartenbank und begann ein Gespräch mit dem heiligen Kirchenlehrer aus dem vierten Jahrhundert, Johannes Chyrsostomus, das heißt Johannes Goldmund. Man nannte ihn Goldmund, weil Maria seinen Mund geküsst, davon kam, dass er so besonders schön sprechen konnte. Ich sprach: Heiliger Johannes Goldmund, du hast einmal gesagt: Vom irdischen Paradies sind drei Dinge übriggeblieben, das sind die Reinheit der Kinderaugen, die Schönheit der Blumen und die Herrlichkeit des Sternenhimmels. Heiliger Goldmund, das ist wohl wahr, doch hattest du Evi nicht gekannt. Sie ist auch übriggeblieben aus dem irdischen Paradies! Sie ist rein wie die Augen eines Kindes, wenn es ein Marienbild anschaut, sie ist schön wie eine lachsfarbene Rose in der Morgenröte eines Maienmorgens, sie ist prachtvoll wie die schwarze Mutter Nacht in ihrem diamantenen Sternenkleid! Ich meine, Evi ist die Eva aus dem Garten Eden, die immer noch unter uns wandelt! Da lächelte Johannes Goldmund. Ich war wieder im Paradies, im Garten Eden, und eine geheimnisvolle Wollust durchglühte mich und ich dachte an das männliche Geschlecht der Schlange und das weibliche Geschlecht der Feige. Und ich sagte glühend und doch scherzend im Geist: Ach, Evi, du bist doch meine auserwählte Feige! Aber dann sah ich wieder die Vision des finsteren Lichtes der göttlichen Urschönheit, die Schwarze Madonna im Lichtglanz vor dem unbefleckten Spiegel, da sprach ich: Gott, was ich schaute, das ist die Herrlichkeit des Herrn! Herr, du selbst erscheinst mit deiner Herrlichkeit! Deine Herrlichkeit erfüllt die Wohnung wie eine Wolke voller Lichtglanz, ich kann nicht eintreten in die Wohnung, weil die goldene Wolke der Herrlichkeit darin ist! Und meine Kniee sanken zum Erdboden, denn es riß mich hin, anzubeten die Herrlichkeit des Herrn, das finstere Licht der göttlichen Urschönheit, die sich in der Schwarzen Madonna offenbart, die Schönheit Gottes anzubeten, die sich mir in Evi offenbarte! So begaben wir uns zur Universität, wo du deine Prüfung mündlich bestehen wolltest. Vor Beginn der Prüfung schlug ich das Evangelium auf und las in der Apokalypse, dass der Seher Johannes vor dem Engel, der ihm das himmlische Jerusalem gezeigt hatte in Gesichten, niederfallen wollte und den Engel anbeten wollte! Aber der Engel sprach: Tu es nicht, ich bin dein Mitknecht und der Mitknecht all deiner Brüder, der anderen Propheten, sondern bete Gott an! Dann begann dein Vortrag. Du trugst am rechten Handgelenk das weiße Perlenarmband mit den Medaillons der Heiligen. Aber ein Medaillon löste sich, als du zu sprechen begannst, da ich im selben Augenblick begann, den Rosenkranz im Geist zu beten. Es war dies das Medaillon der Jungfrau Maria. Sie war schlank und jung, vielleicht siebzehn oder zweiundzwanzig Jahre jung, trug ein schneeweißes Kleid und einen langen himmelblauen Mantel, um die Hüfte geschlungen einen himmelblauen Gürtel, ihr Antlitz war feminin, oval, lieblich lächelnd, mädchenhaft und doch mit mütterlich-liebenden Augen, von ihren Händen aber gossen sich wie weiße Sonnenstrahlen die himmlischen Gnaden aus, die sie über die ausgießt, die sie um Hilfe anrufen. Und diese Gnaden goß Madonna über dich aus, Evi, und auch über mich, da ich den ganzen Vortrag über im Geiste das Ave-Maria betete. So bestandest du die Prüfung. Ich verabschiedete mich von dir und dachte auf meiner Heimfahrt durch den Buchenwald an den Spruch, den ein Pfarrer in einer Komödie gesprochen: „Man kann von der Liebe Gottes sagen was man will, aber man hat keinen Liebeskummer!“ Und als ich wieder in meiner Einsiedlerzelle war, ward ich gelehrt von einem katholischen Schriftgelehrten über die Schönheiten des himmlischen Jerusalems. Er sprach ganz ernst und weise, aber für mich war es der lustigste Scherz, den der liebe Gott jemals mit mir getrieben! Daß er nun sprach von der Braut, von der Frau, die die Frau des Lammes ist! Dies ist das himmlische Jerusalem, die perfekte Stadt, ein Kubus aus symbolischen Zahlen der Vollkommenheit! Vom Architekten Christus in der Ewigkeit errichtet, ist dieses himmlische Jerusalem nur aus Gold gebaut, aber nicht aus profanem Gold, sondern aus Gold, das wie Glas durchsichtig ist. Seine Mauern sind aus Jaspis, aber die Tore sind offen. Jedes Tor ist aus einer weißen Perle, zwölf weiße Perlen bilden die zwölf Tore, darauf die Namen der Heiligen stehen! Und dieses himmlische Jerusalem ist die Braut! Dieses himmlische Jerusalem ist die Frau des Lammes, und sie ist geladen zum Hochzeitsmahl des Lammes, zum Gastmahl des Himmels! Und ihre Herrlichkeit ist so rein und klar und strahlend wie ein transparenter Jaspis, ihre Herrlichkeit, griechisch gesprochen ihre doxa, ist ihre unaussprechliche Schönheit, die unbeschreibliche Schönheit Gottes gehört wesensmäßig zu ihr, denn in ihrer perfekten Schönheit wohnt die göttliche Urschönheit!



DIE SCHWARZE MADONNA


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Gegrüßet seiest du, Unsere Liebe Frau von der Guten Hoffnung! Ich grüße dich, Madonna Paritura, du schwangere Jungfrau, hochgebenedeiten Leibes, die du in deinem Schoße die inkarnierte Weisheit trägst und nährst! Welche Würde und Ruhe geht von deiner erhabenen Gestalt aus, o Schwarze Jungfrau von Dijon! Wenn ich dich ohne Schmuck anschaue, scheinst du aus der Eiszeit zu kommen, aus den Höhlen der Steinzeitmenschen, aus dem grauen Altertum! Oder bist du die Schechinah der Juden, die Braut Adams, Abrahams, Isaaks, Jakobs, Moses, Josefs, Davids, Salomos, Jesus Sirachs und des Hohenpriesters Simon? Ich bete dein Ave Maria und höre die sanfte mütterliche Stimme des Himmels in mir flüstern: Ich bin die Schechinah! Du bist die Schechinah, die mütterliche Gegenwart Gottes in der Schöpfung, die Immanenz der göttlichen Natur, die Menschenliebe der göttlichen Mutter! Wirst du nun, du Matrone des Volkes Israel, in dieser Welt herumgestoßen und ausgestoßen, und musst du dir die Augen ausweinen über die Leiden Israels in dieser Welt? Hast du blutige Tränen geweint, du Matronita Israels, als du auf dem Kalvarienberg von Auschwitz die Kreuzigung deines geliebten Sohnes Israel anschauen musstest und bist du da verstummt vor namenlosem Schmerz, du Mutter Hiobs? Großen Ernst seh ich auf deinem Antlitz, in sich gekehrten Ernst und eine Schlichtheit der Armut, der Einfachheit der Armen Jahwes, deren Mutter du bist! Du bist von solch einer inneren Sammlung, dass du das Bild der Geschlossenheit gibst, in der wir alle uns sicher bergen wie in deinem hochgebenedeiten jungfräulichen Mutterschoß, du Schutzfrau der Armen! Du bist die Mutter von der guten Hoffnung, denn du, o Schwarze Jungfrau, bist schwanger mit dem Licht, dem strahlenden Lichtglanz der ewigen Erlösung in Jesus Christus, der gebenedeiten Frucht deines Schoßes! In dir ist bewahrt das Mysterium der Erlösung der gesamten Schöpfung und der Menschheit, das allen angeboten wird, aber es ist auch geheimnisvoll verborgen in dir und nur den erleuchteten Augen des Herzens sichtbar! So wie Gott sich in der Schöpfung geheimnisvoll verbirgt und zugleich mächtig und herrlich offenbart, so ist die fleischgewordene Weisheit und Liebe und Schönheit Gottes in deinem barmherzigen Mutterschoß verborgen und offenbart sich zugleich als Jesus, Sohn der Jungfrau! Die dich lieben, schmücken dich, wie es der Himmelskönigin gebührt, denn du bist die Himmlische Jerusalem, die Frau des Lammes, und du bist gleich dem allerreinsten Edelstein und einem transparenten Jaspis gleich, von Gold und Glas und Muschelperlen verschönt, und die Herrlichkeit des Herrn, die unaussprechliche Schönheit Gottes wohnt wesenhaft in dir, o Himmelskönigin! Freue dich, o Himmelskönigin! Wir preisen die Sterne an dem Nachthimmel, denn sie verweisen auf deinen Schutzmantel, denn wie die Dichter die schwarze Mutter Nacht besingen und sich bergen in ihrem Sternenmantel, so sind wir alle in den dunklen Nächten des Glaubens, der Seele und der Vernunft, da wir Gott nicht fühlen und finden, in den dunklen Nächten der Gottverlassenheit am Kreuz geborgen immer noch in deinem barmherzigen Mutterschoß! Siehe, Schwarze Jungfrau, dein Sternenmantel des Nachthimmels, dein Schutzmantel der gestirnten Nacht ist die Plazenta, an der all deine Kinder als Brüder und Schwestern Christi in deinem barmherzigen Mutterschoß geborgen sind, denn wir leben und weben und sind in deinem Schoß, bis du uns im gnädigen Tod gebierst in die ewige Herrlichkeit der himmlischen Jerusalem und des ewigen Paradieses der vollkommenen Glückseligkeit! Halleluja! Schwarze Jungfrau von Dijon, du gestirnte Himmelskönigin, du verbirgst den Sohn und offenbarst ihn zugleich, denn in deinem Rücken ist das Kreuz und sind die ausgestreckten Arme des Gekreuzigten! Man möchte meinen, dass die Passion des menschgewordenen Gottes sich wie auf einem dunklen Hintergrund als Traum deiner eigenen Seele vollzieht, ja, es ist ja so, dass die Passion deines Sohnes sich auch in den dunklen Tiefen deiner liebenden Seele vollzieht! Denn Christus ist von dir nicht allein in Bethlehem in der Grotte geboren, sondern vor allem in deinem Herzen erfuhrest du die mystische Gottesgeburt! So ist Christus auch nicht allein auf der Schädelstätte von Golgatha gekreuzigt, sondern auch gekreuzigt in deinem Herzen, als dein Herz mitleidend mit den Leiden deines Sohnes mitgekreuzigt wurde zur Erlösung deiner geliebten Menschenkinder! So sehe ich dich versunken in die Leiden des leidlosen Gottes und sehe dich gleichsam brüten über dem Mysterium der Passion der fleischgewordenen Liebe, um das Heil allen deinen geliebten Menschenkindern mütterlich zuzuwenden, das Heil deines Sohnes, das du für uns geboren hast! Darum sehe ich in deiner mütterlichen Gestalt, o Schwarze Jungfrau, das gesamte Mysterium der Menschwerdung Gottes und der Erlösung der gesamten Kreatur, ja, ich sehe in dir als in der Vierge Ouvrante, das Geheimnis der ganzen allerheiligsten Dreifaltigkeit, als da ist in dir gegenwärtig der liebende und barmherzige Vater, der gekreuzigte Christus und die Schöne Liebe des mütterlichen Heiligen Geistes! Diese geheimnisvolle Dreieinigkeit des allerhöchsten göttlichen Wesens verbirgt sich in dir und offenbart sich durch dich, die du bist der Abglanz der Schönheit des Schöpfers, die Wohnung der Weisheit und die Ausspenderin der mütterlichen Liebe Gottes. Danken muß ich aber auch dir, o Santa Anna, du Mutter der Unbefleckten Empfängnis. Ich sehe dich auch mit dem schwarzen Antlitz der schwarzen Mutter Erde, wie du als Großmutter Gottes in den Armen hältst die Unbefleckte Jungfrau, die jungfräuliche Mutter Gottes, die auf dem Schoße trägt den Lichtsohn, den Äon der Weisheit, den kleinen Jesus! Anna Selbdritt, dich hat auch Leonardo gemalt, der auch die schwarze Mona Lisa gemalt mit dem mystischen Lächeln. Anna, du Großmutter Gottes mit dem dunklen Antlitz der schwarzen Mutter Erde, wie schaust du voll Mutterliebe zum Mädchen, zum makellosen Mädchen, deren Antlitz strahlt voll lächelnder Zärtlichkeit zum kleinen Gott, zum Lichtsohn, geboren in der Dunkelheit, Jesus, der die Sonne der Gerechtigkeit ist, unter deren Flügeln wir hüpfen wie Kälber! Warum hat nicht Friedrich Schiller die Anna Selbdritt von Leonardo da Vinci betrachtet und statt der Hymnen an das Eleusinische Mysterium die Hymnen an das Evangelische Mysterium gesungen? Aber soll ich das sagen, heilige Erdmutter Anna, Großmutter Gottes, dass du über die Erde gewandert bist, das makellose Mädchen zu suchen, die hinuntergestiegen in die Unterwelt des Totenreiches, dort in der Finsternis des Todes den göttlichen Lichtsohn jungfräulich zu gebären? Wir haben doch auch die geheimnisvolle Speise und den geheimnisvollen Kelch, wir haben doch auch das mystische Schweigen vor der unergründlichen Gottheit, wir haben auch das mystische Mahl des Kornes und der Traube, zu dem allein die Eingeweihten zugelassen sind! Ja, die Mysterien der katholischen Offenbarung sind die wahren Eleusinischen Mysterien, und wir preisen Santa Anna, die irdische Mutter, wir feiern das makellose Mädchen Maria, die hinabstieg in unsre Dunkelheit, und wir beten die Geburt des göttlichen Kindes an, der das Licht Gottes in der Finsternis aufstrahlen lässt! Denn er, der Lichtsohn Jesus, besiegt die Macht des Hades! Er entreisst das makellose Mädchen der Umarmung des Hades und entrückt sie in den Himmel, er bleibt bei uns im mystischen Mahl des Kornes und der Traube, er lässt sich speisen von den Eingeweihten, die mit mystischem Lächeln die Schwarze Jungfrau feiern und mit mystischem Schweigen den Sohn der Jungfrau anbeten! Schwarze Madonna, dein Antlitz und deine Gestalt ist dunkel, ist schwarz, doch bist du die Madonna der guten Hoffnung, denn du bist trächtig mit der göttlichen Hoffnung, mit dem Licht vom Licht, das sichtbar in der materiellen Welt erscheinen will. Du, Schwarze Madonna, bist wie die Ursubstanz, wie der Urstoff, trächtig mit dem göttlichen Licht des Logos. Der Urstoff ist eine allesdurchdringende Substanz, alles Seiende erfüllend. Substanz heißt ja: Es ist innen vorhanden. Die in allem Seienden vorhandene Substanz ist formlos und eigenschaftslos, aber aller Formen und Eigenschaften fähig. Der Philosoph nannte sie Hyle, das heißt Holz oder Wald. Hyle heißt der Urstoff, der noch nicht zu konkreten Dingen geformt ist, es ist eine noch nicht verwirklichte Möglichkeit. Diese Kraft ist unvergänglich und bildet den Grund aller sichtbaren Erscheinungen der Wirklichkeit. Weil die Ursubstanz des Urstoffes nicht sichtbar ist, wird sie auch ungeschaffen genannt von der antiken Philosophie. Man ging von einem ewigen formlosen Bestehen der Ursubstanz aus und verstand sie gewissermaßen als eine transzendente Kraft. Die Erscheinungen können vernichtet werden, nicht aber die erscheinungslose Ursubstanz. In der Scholastik sprach man von einer ersten Materie (materia prima), die als Ursubstanz und Kraft allen wirklichen Körpern unsichtbar zugrunde liegt, und einer zweiten Materie (materia secunda), die die Stofflichkeit der konkreten Dinge ist. Aber in der Lehre des engelgleichen Thomas galt anders als beim griechischen Philosophen Aristoteles die Materia Prima, die Ursubstanz oder Hyle, nicht als ewige Transzendenz, sondern als geschaffen von Gott. Diese Ursubstanz oder Kraft der ersten Materie heißt in der modernen Wissenschaft Energie. Die prima materia hat eine immaterielle Qualität, sie wird erst sichtbar, wenn sie sich in einem konkreten Körper verwirklicht. Wenn der Körper vergeht, geht die Kraft der Ursubstanz in einen anderen Körper über. Dies entspricht dem Grundsatz von der Erhaltung der Energie. Aber was ist Materie? Was ist Energie? Die Energie wird nicht vernichtet, sie wird nur von einer Form in eine andere Form umgewandelt. Es ist ein Urgrund der Materie, aus dem alle konkreten Formen hervorgehen und in den hinein sie sich wieder auflösen. Lange Zeit nannte man das, was die Welt im Innersten zusammenhält, Äther. Dieser Begriff wird nicht mehr verwandt, aber man spricht von einer gewissen Leere als Hauptbestandteil der Materie. Es ist im Innern aller Dinge etwas, was man die Dunkle Materie nennt. Diese Dunkle Materie ist der tragende Grund des gesamten Universums. Aber auch diese Dunkle Materie ist ihrem Wesen nach unbekannt. So wie das Bewusstsein des Menschen auf einem dunklen Meer des Unbewussten wie eine Insel treibt, so treibt das sichtbare Universums auf der unerforschlichen Dunklen Materie. Diese Dunkle Materie ist wie ein kosmischer Ozean, auf dem die konkrete Gestalt des Universums wie eine Insel treibt. Also die Urmaterie oder Kraft oder Ursubstanz oder Energie oder Dunkle Materie ist eine allem konkret Seienden zugrunde liegende Urkraft, die in allen Religionen als weiblich aufgefasst wurde, als Sophia. Die schwarze Madonna ist ein kultischer Ausdruck dieser Prima Materia, dieser Ursubstanz, dieses kosmischen Ozeans der Dunklen Materie. Sie ist die Mutter, die Mater, die Materie, Maria. Engelgleicher Thomas, bitte für uns! Schwarze Madonna, dein Sohn, der Liebling Gottes, die spielende Weisheit, lehrte mich heute die mystische Hochzeit. Ist nicht in der Prima Materia der göttliche Geist, die Schöne Liebe, wie im Gefängnis? Ist nicht die Weltseele in dem Gefängnis der Körper? Wie wird die Weltseele aus dem Gefängnis der Materie befreit? Die Weltseele vereinigt sich mit dem göttlichen Geist! Erwache, Weltseele, und erkenne den göttlichen Geist und werde dir bewusst, dass du Glanz vom Glanz des göttlichen Geistes bist! Erhebe dich aus deiner Formlosigkeit und Unbewusstheit in einen Zustand der Hochzeit, da Leib und Seele als Braut und Bräutigam mystische Hochzeit in Gott feiern! Die von Gott gehauchte Seele und der von Gott geschaffene Leib begehen die mystische Hochzeit, das ist das große Werk des Menschen. So wird der Mensch zum Abbild der Ewigen Weisheit, die mit Gott vereinigt ist. Der Wahre Mensch, der in dieser Hochzeit gezeugt wird, das himmlische Kind, ist der Lichtsohn. Wie soll ich dich nennen, du Lichtsohn der mystischen Hochzeit? Soll ich die Lebenselixier nennen oder Tinktur? Soll ich dich Licht nennen oder Morgenröte oder Osten? Soll ich dich Adam nennen? Bist du mein Bruder, meine Schwester, mein König? Bist du der Hermaphrodit? Bist du der Kleine Gott der Erde? Bist du der mikrokosmische Sohn? Bist du der wunderbare Vater? Das natürliche Menschenwesen voller Instinkte hat sich mystisch vereinigt mit dem geistigen Intellekt des Menschenwesens, und aus dieser spirituellen Hochzeit ist das Gold hervorgegangen, Gold, aber diesmal mehr als Gold, nämlich Gold, durchscheinend wie Glas, und dies ist die Erkenntnis Gottes.


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Über einen Wanderpfad erreicht man die duftenden Bergweiden mit der Kapelle der Schwarzen Madonna von Vassivière, die während des Sommers die Menschensöhne und Menschentöchter, die Widder und Mutterschafe und Lämmchen in Schutz nimmt. Über dem Haupt der Schwarzen Madonna befindet sich als Glorienschein eine Muschel. Sie ist nämlich die Panhagia Aphroditissa der zyprisch-orthodoxen Kirche! Sie ist die Königin der Liebe, die auf Zypern in Marion und Kouklia verehrt wird! O Petra tou Romiou, du Fels der Römer, wie preist du die zyprische Madonna, die Madonna mit dem goldenen Granatapfel! Aber hier steigen wir hinan zur Schwarzen Madonna der Bergweiden, der Schafstriften. Auf den Bergweiden weiden die Schafe, die im Tal noch der Hirte geschoren, nun der Hirte aber weidet unter dem Segen der Schwarzen Madonna. Kleine Glöckchen um den Hals der Schafe sind das Geläute zum Gottesdienst des Guten Hirten. Hat sich auch ein schwarzes Schäfchen verlaufen, so eilt der Hirte ihm nach, verlässt die neunundneunzig Schafe und sucht das verirrte schwarze Schäfchen, das sich im Dornendickicht verirrt hat. Wenn er es gefunden hat, nimmt der Gute Hirte das schwarze Schäfchen in seine Arme und trägt es heim. Der Herr ist mein Hirte, und mir wird nichts mangeln! Er weidet mich auf grünen Auen und führt mich zum frischen Quell und zum Wasser der Ruhe! Jesus ist der Gute Hirte, der sein Leben lässt für die Schäfchen und Lämmer, und die Schafe des Guten Hirten hören seine Stimme und folgen ihm. Der Mietling aber flieht, wenn er den Wolf kommen sieht, der Gute Hirte aber verlässt die Lämmlein nie! Schwarze Madonna, Mutter des Guten Hirten, hier ist dein Ort: Die Mutter Natur! So werden ja die Bilder der Schwarzen Madonna immer gefunden: Der Hirte ist mit seiner Herde Schafe und Lämmer auf der Weide. Plötzlich wird ein kleines Lämmlein unruhig, entfernt sich von der Herde und bleibt an einem Orte stehen und bewegt sich nicht mehr. An diesem Orte stehen wilde Rosen und sprudelt eine klare Bergquelle. Der Ort zieht die Aufmerksamkeit des Hirten auf sich, da das Lämmlein wie gebannt auf den wilden Rosenbusch starrt. Da erblickt der Hirte plötzlich das Bild der Schwarzen Madonna im wilden Rosenbusch. Die Schwarze Madonna spricht zum Hirten und wirkt ein Wunder und noch ein Wunder und viele Wunder. Der Hirte verkündet den Menschen des Tals die Schwarze Madonna, aber das wunderkräftige Bild der Schwarzen Madonna bleibt beim Rosenstrauch an der Quelle zurück, denn dies ist der Ort, den die Jungfrau selbst gewählt hat. Nun kommen die Bäuerinnen Madelaine und Susanne und Catherine und Marguerite und Marie-Therese und die Bauern Mark und Yves und das Knäblein Benjamin und pilgern zur Schwarzen Madonna auf der Bergweide beim wilden Rosenbusch an der klaren Quelle. In einer Prozession wird das Bild der Schwarzen Madonna, angekettet, in die Dorfgemeinde zum Ortspfarrer getragen. Die wilde Jungfrau aber zerreißt die Ketten und flieht zurück in die wilde schöne Einsamkeit der Berge! Hier will sie wohnen an der Quelle, beim wilden Rosenbusch, bei den schwarzen Schäfchen und den unschuldigen Lämmlein! Darum bauen die Gläubigen eine kleine Kapelle für die Madonna. Diese Herrin ist ein Inbegriff für die Natur selbst, sie ist die menschgewordne Mutter Natur, ein Bild der Herrlichkeit des Herrn, die sich in der Natur offenbart! Die antiken Poeten besangen die schönen Physis: O schöne Physis, die du alles Leben aufquellen lässt, du schöpferische Mutter aller Lebendigen, du Seele der Natur, du Körper des Lebens! O schöne Physis, von der Liebe getrieben und der Lust zum Schönen, gibst du der Natur die Gesetze der Harmonie und die Ordnung der Schönheit! O schöne Physis, du bist Gottes Kleid, du bist die ewige Weberin und wirkst der Gottheit grüngoldenes Kleid! Die Schwarze Jungfrau offenbart sich ja gern in Grotten und an Quellen und Bergbächen, ja sie lässt sich selbst in der schwarzen Mutter Erde finden. Denn die Schwarze Madonna ist das schwarze Mütterchen Erde, das feuchte Mütterchen Erde, und die Große Mutter Gottes ist die Seele der Mutter Natur! Es ist die schöne Physis, vom Geiste Gottes erfüllt, die sich hier ausspricht in dem schwarzen und schönen Körper der Schwarzen Madonna. Darum erscheint die Madonna auch so oft in einem Baum, wie einst auch auf der Steineiche zu Fatima in Portugal der Hirtenkindern, denn der Baum ist die Vergeistigung der Ersten Materie, die Wandlung der Materie in Geist, die Amorisation des Kosmos durch den Amor Dei, das ist Christus! Darum griff auch in die Saiten der Zither Ephraem der Syrer, er selbst, die Zither des Heiligen Geistes, und sang der Braut des Heiligen Geistes, seiner himmlischen Muse, diese Hymne: Maria et arbor unum sunt! Maria und der Baum sind eins! Denn Maria ist der Lebensbaum des Paradieses, des wiedergefundenen Paradieses, der Lebensbaum der neuen Schöpfung, die Neue Eva der neuen und ewigen Schöpfung! Der Vater wohnt in unzugänglichem Licht, der Sohn ist Licht vom Lichte, der Heilige Geist erscheint als das Feuer der Liebe! Die Jungfrau Himmelskönigin erscheint im weißen Kleid mit goldenem Gürtel in der Aura der Sonne! Die Himmelskönigin ist so hoch in das göttliche Licht der himmlischen Dreifaltigkeit entrückt, dass sie den Frauen der Erde, den Töchtern Evas in ihren irdischen Nöten und Sorgen fast zu sehr entrückt scheint. Aber da erscheint die Jungfrau Maria als Schwarze Madonna, und als Schwarze Madonna umarmt sie die Natur, die Erde, die Nacht, das Meer, die Materie, den Alltag der Töchter Evas, das Fleisch der Söhne Adams! Nun ist in die Religion der katholischen Offenbarung Gottes auch das Schwarze integriert, nun hat die Madonna auch die Materie und die Nacht heimgeholt in das Himmelreich Gottes! Sie ist schwarz, aber sie ist eine gütige Mutter, sie tröstet und heilt, denn nichts Böses ist in Maria, nichts Böses ist ewig in Gott! Das ist gewisslich wahr und zu glauben: Gott ist gut und in Gott ist nichts Böses! Gottes Herrlichkeit offenbart sich in der Natur, und Franz von Assisi besang die Schönheit der Schöpfung als Spiegel der Schönheit Gottes, und Hildegard von Bingen sah den Glanz des Kosmos als Glanz der Ewigen Weisheit, Hildegard sah die kosmische Energie des Heiligen Geistes und sah die vitale Grünkraft in der Schöpfung als Potenz der Schönen Liebe, Mater Caritas! Hier ist Naturliebe gleichsam Gottesliebe, hier ist auch hohe Frauenminne gleichsam Marienminne, und die Hohe Frouwe der Troubadoure ist ganz ähnlich die Jungfrau, der Schwarzen Madonna! O Madonna, ich bins nicht wert, Euch den Schnürsenkel Eures roten Schuhes zuzubinden!... Und woher kommst du, Schwarze Madonna? Der moderne Westler irrt sich, der meint, das Christentum sei eine europäische Religion. Das Christentum begann in Ur in Chaldäa, wenn es nicht schon im Garten Eden begann, den Gott der Herr im Osten pflanzte. Das Christentum irrte durch die Wüste, war im Heiligen Land, ging durch Ägypten, bereicherte sich in Babylon und in Alexandrien, vermählte sich mit der griechischen Weisheit, so erst kam das Christentum nach Europa. Aber der heilige Apostel Thomas brachte das Christentum nach Indien und China. Die Schwarze Jungfrau von Sankt Christopherus ward im Jahre 1000 von einem Kavalier aus dem Heiligen Lande mitgebracht. Die Schwarze Madonna von Aurillac kam mit einem Kreuzritter von Antiochien nach Vaucluse, wo Petrarca später seiner Donna Laura gedachte. Ludwig der Heilige, Kaiser von Frankreich, brachte die Schwarze Madonna aus dem Heiligen Lande mit, nämlich La Egyptienne von Le Puy, sie stammte vielleicht ursprünglich aus Ägypten, jenem Land, da Moses studierte in seiner Jugend. Die Schwarze Jungfrau kommt aus dem Morgenland. Ex oriente lux, aus dem Osten kommt das Licht. Das Morgenland ist die Terra Incognita, das unbekannte Land. Hier ahnen wir alles Dunkle, Unverständliche, Fremde, Abgründige, Unerhörte und Unsichtbare, kurz das Göttliche, das Ganz-Andre. Der Orient ist ein Rätsel, das Morgenland ein Mysterium. Im Morgenland suchen wir alle die Romantik unserer Seele, alle die Geheimnisse unseres Inneres meinen wir im Morgenland verwirklicht. Das Morgenland ist die Verheißung ungeahnter Fülle des Lebens. Ohne die arabische Ornamentik und vielleicht auch die indische Mandala-Kunst keine gotische Kathedrale. Ohne persische Liebespoesie keinen Troubadourgesang der provencalischen Minne. Ohne arabische Philosophie keine Scholastik des lateinischen Mittelalters. Das Morgenland ist Vegetation und Geist, es ist Blume und Weisheit. Schon Marco Polo ward von China magnetisch angezogen. Ohne die chinesischen Nudeln des Langen Lebens keine italienischen Spaghetti. Es begann der Poeten große Wallfahrt in das Morgenland mit Goethes Westöstlichem Diwan und dem Großen Buch Suleika. Friedrich Rückert übersetzte den Koran meisterhaft als poetisches Kunstwerk, was er ist, und dichtete die mystischen Liebeslieder zwischen dem Gottmenschen Krischna und der Seelenfreundin Radha meisterhaft und kongenial nach. August Graf von Platen dichtete Hafis meisterhaft nach. Heine sehnte sich nach Indien, den großen Lilien und den klugen Gazellen. Hölderlin sah den Ursprung seines archaischen Dionysos in Indien und nannte Christus den Syrier. Else Lasker-Schüler inszenierte den Orient, in dem sie selbst als der Prinz Jussuf von Ägypten herrschte. Hermann Hesse vermählte Siddharta mit der indischen Kurtisane Kamala und reiste selbst nach Indien, in den Urwald von Sumatra. Peter Torstein Schwanke dichtete chinesische Poesie der Tang-Zeit nach, studierte chinesische Philosophie und sah sich selbst als Kaiser von China im Exil. Ja, es ist, wie der Dichter sagt in der morgenländischen Legende von dem nackten Heiligen: Das Morgenland ist die Heimat des Wunderbaren. Und von dort, aus der Heimat des Wunderbaren, kommt zu uns die Schwarze und Schöne Madonna. Das Morgenland der Schwarzen Madonna ist die Vermählung von Nacht und Tag, ist der Ort des finsteren Lichts der Gottheit, der Ort der Gottheit, die da ist der Zusammenfall der Gegensätze, die Wunderheimat Gottes.


3


Bei der Schwarzen Madonna von Marsat trafen sich das römisch-katholischen Mittelalter und die römisch-katholische Romantik. Die Schwarze Madonna ist gekleidet in Schwarz und Rot, doch das verborgene Gold ihres Untergewandes ist auch zu erkennen, der geheimnisvolle Glanz schimmert hindurch. Die Thronende hat den ernsten Blick ganz in sich gekehrt. Ihr ernstes Kind schaut auf ihrem Schoß mit großen Augen in die Geheimnisse der Ewigen Weisheit. Die Mutter hat übergroße Hände, ihr ernstes Kind zu schützen. Die Gelehrten kannten immer nur zwei Kulturepochen: Die griechisch-römische Antike und die italienische Renaissance, dazwischen lag für sie die Barbarei des finsteren Mittelalters. Die Romantik aber lenkte die gläubigen Augen auf das heilige römische Mittelalter deutscher Nation, zu deutschem Kaiser und römischem Papst, zu Mystik und Minne. Der Klassiker ehrte allein die Griechen, ihr Maß der Schönheit war das Maß der Idee der Schönheit an sich, es war die vollkommene Form. Es war das dreifaltige Ideal der Gutheit, Wahrheit und himmlischen Schönheit, die dem Klassiker das Maß für die makellose Form gab. Es war der edle Mensch das Maß aller Dinge, der vergeistigte, dem Ideal gehörige Mensch. Die Romantik war auf der Suche nach den tiefen Gründen der Seele, nach dem dunklen Urgrund alles Seienden und alles Seelischen. Die formale Formschönheit des Klassikers wollte die Romantik auflösen in einem Rausch, in einem Traum, in einer Leidenschaft, in einer allumfassenden Liebe! Die Romantik wollte hinabsteigen in den Mutterschoß des Geheimnisvollen, wie Faust hinabstieg zum Dreistuhl der archaischen Mütter. Aus dieser Urquelle des schöpferischen Geheimnisses auf dem Grunde der Welten wollte die Romantik erneuert auftauchen mit der lebendigen Schönheit, und wie zugleich die Aphrodite aus dem Urmeer der Seele auftauchte, so stieg die Madonna herab vom Himmel der Seele in göttlicher Schönheit, in der Aura der Ewigen Liebe! Die Romantik wollte nicht die glatte Formschönheit des makellosen Apollon, sondern die Ekstase und die Mysterienreligion des Dionysos, des griechischen Christus, dieser Religion von Fleisch und Blut, von Brot und Wein, von Ganzhingabe, Passion, von Tod und Auferstehung! Geist und Natur in Einer Person vereinigt! Die Nacht der Seele und das Licht der Wahrheit in Einer Liebe umschlungen! Was der Psychologe lehrt vom Schatten, das sang der Dichter schon vorher in dem Märchen von Peter Schlemihl, dem Nachfahren des Pinehas, der die Midianiterin Kisbi im Zelt mit dem Speer durchbohrt! O Peter Schlemihl, niemals verkaufe deinen Schatten! Es kommt ein hagerer schwarzer Mann, der schaut aus wie der leibhaftige Tod, ein baumelndes Skelett im schwarzen Rock und flucht: Bei Satan, verkaufe mir deinen Schatten! Peter, Peter, niemals verkaufe deinen Schatten! Ohne deinen Schatten ist deine Seele ewig tot! Weisheit sog die Romantik aus der Minne des Mittelalters, sie sang die Taglieder ihrer Geliebten, sie sang das Kreuzfahrerlied des Walther von der Vogelweide, sie sang den Tristan und die Isolde nach in der Schmerzseligkeit ihrer Passion, die mehr Kreuz war, Kreuz und Eros in Einem! Sie sang die Marienminne des Gottfried von Straßburg, die Lieder der provencalischen Troubadoure, die Göttliche Komödie von Dante und die Hymnen des heiligen Jakobus da Todi an die Herrin Liebe! Die Romantik sang den Friesen das Gudrunlied, den Deutschen das Nibelungenlied, den Briten den Sagenkreis um den heiligen Graal, das ist der Kelch des Sakraments der Eucharistie! Die heilige Gertrud von Helfta erschien mit dem brennenden Herzen der göttlichen Liebe! Mechthild von Magdeburg erschien mit ihrem fließenden Licht der liebkosenden Gottheit in ihrem mystischen Liebesspielen! Die heilige Hildegard erschien und besang die Mater Caritas im Ehebett Gottes des Herrn! Der selige Heinrich Seuse erschien und sang seine Herrin und Minnedame, die Ewige Weisheit, die Idee der Schönheit! Der heilige Franz erschien und sprach mit den Vögeln und sprach mit Bruder Sonne und Schwester Mond und sprach auch mit Bruder Esel, seinem Leib, und Bruder leiblichem Tod. Die Romantik in ihrer Suche nach dem Mysteriösen und Mystischen fand die Mysterien der katholischen Kirche, die Kirche selbst als Mysterium Christi in der Welt, und die sieben Mysterien der Sakramente, das Mysterium des allerheiligsten Altarsakramentes, nur den Eingeweihten zugänglich! Was der Klassiker suchte bei den Mysterien von Eleusis, das fand der Romantiker in dem Mysterium des Evangeliums! So sind in der Zeit der Romantik manche Figuren der Madonna als Schwarze restauriert worden. Denn die Romantik war eine Gegenbewegung gegen die Vergötterung der menschlichen Vernunft und der einseitigen Verklärung des Lichts. Wohl wusste schon das katholische Mittelalter, das der Glanz des Himmels allein durch Glanz ausgedrückt werden kann, darum schuf man der Madonna goldenen Schmuck, Edelsteine, Perlen, Kränze, Diadem, alles, was glänzte an heiligem Schmuck, aber der Glanz Gottes konnte auch durch das heilige Paradox eines glänzenden Schwarz ausgedrückt werden. Denn von Gott kann man nur im Paradox reden. Gott ist Gott, aber Gott ist auch nicht Gott, denn dass wir Gott Gott nennen, das hat Gott von den Menschen. Gott ist Licht, ist Vater, ist Geist, aber Gott ist ein finsteres Licht, Gott ist auch Mutter, und Gott ist auch die Gottnatur, das ist die Einwohnung Gottes in der Schöpfung. Von Gott kann man nur im Paradox reden, denn im Sinne der negativen Theologie können wir Gott weder mit menschlicher noch mit englischer Zunge beschreiben, sondern Gott ist immer der Ganz-Andre. So ist Gott Lichtglanz von unbeschreiblicher und unerträglicher Reinheit, aber dieser Glanz wird ausgedrückt durch die glanzreiche Reinheit des makellosen Schwarz der Schwarzen Madonna. In der Schwarzen Madonna schauen wir den Abglanz von Gottes unerschaubarem Lichtglanz! Die Herren der Schöpfung, die Rationalisten und Verstandmenschen begreifen die göttlichen Mysterien nie. Ihre wissenschaftliche Objektivität und ihr Glauben an den technischen Fortschritt ist ein blutleeres Gespenst. Die Seele vertrocknet vor solcher Ideologie. Sie sagen: Glauben ist nicht Wissen, und trennen die göttliche Offenbarung des katholischen Religion von den Wahrheiten der menschlichen Weisheit. Es ist aber nur Eine Wahrheit, Ein Gott ist die Quelle Einer Weisheit. Die menschliche Vernunft allein kann das Geheimnis des Lebens nicht ergründen, der sich selbst offenbarende Gott muß sich dem Glaubenden mitteilen, dann erst wird das Geheimnis der Liebe Gottes im geschöpflichen Leben mit heiliger Einfalt angenommen. Diese heilige Einfalt eines Kindes Gottes, das die Selbstoffenbarung Gottes durch den katholischen Glauben annimmt, ist die wahre Vollendung der menschlichen Weisheit der Lebensklugheit und der natürlichen Weisheit der Wissenschaft. So ist doch die Theologie der Offenbarung die Königin der Wissenschaften, die Philosophie und die andern natürlichen Wissenschaften sind die Mägde der Königin. Aber die Aufklärung, da der Gräuelgötze der Göttin der menschlichen Vernunft auf den entheiligten Altar Gottes gesetzt ward, führt zum Tod der Seele und des gesamten Lebens der Schöpfung. Die Romantik aber rebellierte wie eine marianische Revolutionärin der göttlichen Liebe! Die Romantik feierte die Nacht, den Traum, die Tiefe der Seele, die Inspiration, die Intuition, die visionäre Schau des Wesens aller Wesen. Die Mutter Nacht war die Urmutter alles Schöpfertums. Die Mutter Nacht lehrte eine intuitiv erahnte Geistergemeinschaft und eine universale Harmonie unter der Alleinherrschaft der lebendigen Gottheit. Hier ging die Seele in der Tiefe einen Bund mit der ewigen Weisheit ein. Der geheimnisvolle Weg zur verschleierten Weisheit führte in das Innere der Seele. Im Innern der Seele war die Ewigkeit mit allen ihren unzähligen Universen. Die Sprache des Innern der Seele war die Sprache der Mythen und Märchen, der Heiligen Schrift und der Legenden, die Ursprache der Seele war die geheimnisvolle Sprache Gottes, wie die Weisen und heiligen Sänger sie überlieferten von Anfang an. Die Tiefe der Seele war die Heimat der Ursprache, des Wunders, der sakralen Poesie, der Religion, und der All-Einheit, die wir Gott nennen. Aus der All-Einheit der Gottheit im tiefsten Brunnen allen Seins stieg alles herauf, alles Seiende und alles Seelische. Darum wandten sich die heiligen Seher und Sänger abwärts in die geheimnisvolle Nacht, ins unaussprechliche Geheimnis des Weltenanbeginns. Das Licht des Tages herrschte in der bemessenen Zeit, aber die Mutter Nacht erschloß den geheimnisvollen Raum der Ewigkeit, der Sprache Gottes. So wandte sich die Romantik der Nacht zu, der Innerlichkeit der Seele, dem Geheimnis, dem Mysterium Gottes. Aus der Tiefe des Urgeheimnisses Gottes stieg vor den Sehern die Vision des Ewigweiblichen auf. Clemens Brentano sang die kostbaren Romanzen vom Rosenkranz, Hölderlin sang seine Hymnen an Maria-Urania, die Mutterkönigin der Ewigkeit, Novalis pries die Sixtinische Madonna, aber bekannte als Seher: In unzähligen Bildern sehe ich Maria verherrlicht, aber keins von allen Bildern kann die Madonna schildern, wie ich sie in meiner Seele schaue! Nur weiß ich, dass, seit ich die Madonna in meiner Seele schaue, der Himmel auf Erden lebt und in meiner Seele das Paradies erschlossen ist! Je mehr der Gott der Zeit das Geld ist, je mehr die Kinder der Welt die vergänglichen Dinge vergötzen, je mehr die Gottlosen der sterblichen Göttern nachhuren, desto mehr wird das dunkle Meer der Seele aufgewühlt und es erscheint die Vision der Einheit, die uns erlösen will. So weiß ich, dass in Westfriesland die Jugend immer mehr Verehrung für die Süße Jungfrau hat. Kaum ein Jugendlicher, der nicht in seinem Heim zwischen Eisselmeer und Groningen einen Marienaltar hat und Unsere Liebe Süße Fraue verehrt. So weiß ich von Piet Swantewitt, der vom Eisselmeer stammt und in Groningen den friesischen Psalter studierte, den Bernlef der Barde übersetzt, dass er in seinem Heim einen Altar der Süßen Jungfrau hat mit drei Marienbildern: Der Engel Gabriel kniet als schöner Jüngling ehrfurchtsvoll vor der Süßen Jungfrau, die Süße Jungfrau erscheint als liebende Frau, die Jungfrau erscheint als mystische Braut des Heiligen Geistes, des schöpferischen Geistes der Liebe, die Potenz und Akt ist. So sagte auch der Weihbischof der friesischen Bischofskonferenz, der den Diözesen von Westfriesland, Ostfriesland und Nordfriesland vorsteht, Seine Eminenz Bonifazius II.: Unsere Liebe Süße Fraue steht für die Geborgenheit einer liebenden Mutter und für die liebenden Ganzhingabe einer liebenden Braut! So ist den Friesen die Süße Jungfrau zu einem Symbol der Erlösung geworden. Denn besonders in Friesland wird Unsere Liebe Süße Fraue als die Miterlöserin verehrt. Es ist die Nacht, die dunkle Nacht der Seele, der prophetische Traum, da sich die ewigweibliche Pforte zum Urmysterium auftut.



4

Schwarze Madonna, wie soll ich dich verherrlichen? Der Apostel warnt mich vor den Irrlehren der Gnosis, die von der gefallenen Sophia reden, von der in die Körperlichkeit gefallenen Psyche. Und mein Herz ist so voll süßer Liebe und müder Traurigkeit, dass ich nicht philosophieren mag von der neoplatonischen Anima Mundi. Nein, die Schwarze Weisheit ist mir Sulamith. Schwarze Madonna, so steht ja auf dem Rücken der Ägypterin geschrieben: Ich bin schwarz und sehr schön! Sulamith, die Freundin, sie sucht den Geliebten. Der Geliebte und die Freundin preisen sich in hymnischen Wechselgesängen. Aber die Freundin ward von den Wächtern misshandelt. Der heilige Bernhard, der Troubadour der Schwarzen Madonna, sieht im Geliebten Christus und in der Freundin die menschliche Seele. Auch ist die Freundin die Kirche, die sich mit ihrem Geliebten Christus vermählt. Oder sind es Liebeslieder des Königs Salomo an seine schwarze Freundin, die Königin von Saba? Sie kam immerhin vom Ende der Erde, die Weisheit zu hören, die Gott dem König Salomo verliehen hat. Oder sollen wir das Hohelied als geheime Schrift der Alchemie betrachten, da Braut und Bräutigam sich vermählen? Spricht doch im Buch der alchemistischen Aurora die göttliche Sophia selbst durch den Mund der schwarzen und schönen Freundin Sulamith: „Wendet euch zu mir von ganzem Herzen! Verwerft mich nicht, weil ich schwarz und dunkel bin, denn nur die Sonne hat mich so verfärbt! Die Abgründe haben mein Antlitz bedeckt! Die Erde ist verdorben, da Finsternis herrscht über ihr! Ich bin gesunken in die Tiefe, und aus der Tiefe rufe ich zu euch, aus dem Abgrund der Erde spricht meine Stimme zu euch, die ihr vorübergeht auf dem Wege: Seid achtsam und schaut auf mich! Fand jemals einer von euch Eine, die mir gleicht? Ich aber will euch den Morgenstern in die Hände legen!“ Dieses Antlitz der Schwarzen Sophia war schon da, bevor sich die Abgründe der Erde bildeten, war schon da vor der Erschaffung der Erde. Denn der Ewige hat Sophia gehabt im Anbeginne seiner Wege, ehe Gott etwas schuf, von Anfang. Sophia ist inthronisiert von Ewigkeit und im Anfang. Ehe die Erde ward, ehe die Meere waren, ehe die Quellen quollen, ward Sophia vom Ewigen geboren, geboren, nicht geschaffen. Ehe Himmel und Erde und Meer geschaffen wurden und alles was lebt, war Sophia als die Lieblingin des Ewigen bei Gott, und sie war seine Wollust immer! Sophia war also die Wollust des Ewigen, sie war seine Geliebte! Seine Geliebte in Ewigkeit war Sophia, bevor die Sonne sie so verbrannt hat, bevor die Abgründe ihr Antlitz bedeckten. Sophia, die Geliebte des Ewigen und Gottes Wollust, ist als Gottes Throngenossin die Architektin des Kosmos. Sie ist der still schaffende, dunkle Urgrund des Seins. Ihr Aufenthalt ist überall und nirgends. Fragte einst ein Mann einen Weisen: Wo wohnt Sophia? Da sagte der Weise: Das ist nicht so schwer zu beantworten wie die Frage: Wo wohnt Sophia nicht? Aber ihr Aufenthaltsort ist ein unergründliches Geheimnis. Keiner kennt Sophia, keiner hat Sophia geschaut. Sie ist mit nichts und niemand vergleichbar und ist verhüllt den Augen aller Lebendigen. Sophia ist unendlich kostbar, sie ist mit keinem irdischen Schatz vergleichbar und durch keinen Reichtum zu erwerben. Gott allein weiß, wo Sophia wohnt. Sie ist die schwer zu erreichende Kostbarkeit der Alchemisten, das Ziel des Großen Werkes. Wer sie findet, dem schenkt sie den Morgenstern. Doch bis sie gehört wird, bleibt sie verhüllt und verborgen, und es gibt nur Gerüchte über sie. Diese Sophia ist der Stein, den die Baumeister verworfen haben. Diese Sophia ist der Stein der Weisen. Sophia ist umgeben von den Schleiern des Geheimnisses und der mystischen Nacht. Ihr Wesen ist Mysterium! Aber sie ist ein allmächtiges Wesen und als die Architektin des Kosmos ist sie die Schöpferin! Sie ordnet das Viele, dass sie als Schöpferin erschaffen, nach erstaunlich tiefsinnigen Plänen und Grundstrukturen, ordnet alles nach Maß und Zahl, schafft die kosmische Harmonie, die bis ins kleinste Detail von uns unergründlicher, dunkler Weisheit zeugt. Sophia ist das unerschaubare Wesenslicht aller Kreaturen. Sophia ist die Offenbarung des Göttlichen. Aber sie wohnt unter uns. Sophia, die in der Transzendenz die Wollust des Ewigen war in Ewigkeit vor Anbeginn der Schöpfung, sie ist auch die Immanenz Gottes in der Schöpfung, sie wohnt unter uns, sie ist die Weisheit und Liebe Gottes in der Schöpfung. Aber als die immanente Gottheit, in der Schöpfung geheimnisvoll verborgen wohnend, ist Sophia die schwarze Braut des Herrn. Sie ist aus ihrem unzugänglichen Lichtglanz herabgestiegen in unsere irdische Nacht. Mit Trauer und blindgeweinten Augen leidet sie unter uns als Schwarze Madonna, bis wir alle das Gottesfünklein im Innern erkennen und uns mit Gott vereinigen!



PHILOSOPHIE DER LIEBE


1

Moses sah auf dem Horeb einen brennenden Dornbusch, der brannte, aber nicht verbrannte und aus dem brennenden Dornbusch hörte Moses die Stimme des lebendigen Gottes, der ihn sandte, das Volk Gottes aus der ägyptischen Sklaverei zu befreien. Da fragte Moses den lebendigen Gott nach seinem Namen. Da sprach Gott: Ich bin da! Ich bin da für euch! Ich bin, der ich bin! Ich bin, der ich sein werde! JHWH! Bezeichnet dies nicht allein den seienden Gott, sondern den für seine Menschen daseienden Gott, so ist doch in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, in der Septuaginta, der Gottesname Jahwe wiedergegeben als der Seiende. Damit war der Weg gebahnt zur Begegnung der göttlichen Offenbarung in der Heiligen Schrift mit der Weisheit der griechischen Philosophie. Schon Parmenides hatte in einer Mischung aus Philosophie und mystischer Vision von der Göttin der Wahrheit in der Nachtreise seiner Seele die Offenbarung erhalten, dass allein das Sein ewig ist. Allein das Sein ist, sagte Parmenides, das Werden und Vergehen ist nicht. Heraklit auf der anderen Seite nahm auch das Werden und Vergehen an und forschte nach einem Ewigseienden in dem Werden und Vergehen und entdeckte den Logos als das innere ewige Sein in allem Werden und Vergehen. Der Logos als das Ewige in allem Wandel oder als das Göttliche in der Schöpfung ist auch das Hauptprinzip der Stoa. Der Logos ist die Weltvernunft oder der Sinn allen Daseins. Im Johannesevangelium ist dieser Logos identisch mit Christus, dem ewigseienden Sohn Gottes, Mensch geworden in Jesus von Nazareth. In der Stoa werden für das innere Prinzip der Schöpfung verschiedene Namen gebraucht, die identisch sind: Logos, Weltseele, Geist, Zeus. Es ist also das göttliche Prinzip in der Schöpfung oder die Immanenz Gottes. In der orphischen Philosophie, die der Legende nach auf den weisen Dichter Orpheus zurückgeht, ist die Welt geschaffen von der Mutter Nacht, die befruchtet ward vom Wind, so wurde das Welt-Ei gelegt, der Urkeim der Schöpfung, und in dem Urkeim der Schöpfung lebte der Gott Eros, die göttliche Liebe. In der platonischen und neuplatonischen Philosophie ist das innere Prinzip der gewordenen Welt die Weltseele. Bei Plotin zeugt der absolute Geist, also Gott, in der Weltseele, und aus der Weltseele geht die geschaffene oder gewordene Welt hervor, die geistige und materielle Welt. Diese Weltseele wird vom jüdisch-hellenistischen Philosophen Philo von Alexandrien mit dem Logos identifiziert. Philo glaubte an den einen Gott, den Herrn, den Jahwe der mosaischen Offenbarung, und schaute doch den Logos der griechischen Philosophie als einen Werkmeister und mitschöpferischen Quasi-Gott oder Gottessohn an der Seite Jahwes. Der Gedanke des Werkmeisters kommt auch in der Theologie Salomos zum Ausdruck, da die Werkmeisterin und Mitschöpferin die Weisheit Gottes ist, Sophia. Diese Sophia oder Weisheit Gottes wird von Paulus mit Christus identifiziert. Gewissermaßen sind Logos und Sophia identisch, wobei der Logos als männlich vorgestellt wird, Sophia aber als weiblich. Der russisch-orthodoxe Religionsphilosoph Wladimir Solowjew identifiziert die Sophia auch mit der Weltseele oder dem göttlichweiblichen Nichts, aus dem Gott der Herr alle Welt geschaffen hat, und nennt diese Weltseele Sophia auch den Schutzengel der Welt. Im Mittelalter schaute Hildegard von Bingen als das der Schöpfung innewohnende Prinzip die göttliche Liebe. Die Liebe Gottes wurde von ihr in weiblicher Gestalt visionär geschaut, sie nannte sie das Mädchen Liebe, die Mater Caritas oder Frau Liebe, die Ehegenossin Gottes, die in einer heiligen Hochzeit mit Gott vereinigt ist im Ehebett Gottes. Hildegard sagt, dass Gott den Urkeim der Schöpfung aus dem Nichts geschaffen, dass aber in dem Urkeim der Schöpfung die göttliche Liebe innewohnte, die den Urkeim nach und nach zur Entfaltung gebracht habe und fortwährend bringt. Die göttliche Liebe wird aber im allgemeinen dem Heiligen Geiste zugeordnet. So erscheinen also die drei Personen der Einen Gottheit als Jahwe, der Herr, der Seiende, der Schöpfer, die zweite Person erscheint als Logos und Sophia oder Christus, Mensch geworden in Jesus von Nazareth, und die dritte Person, der Heilige Geist, erscheint als göttliche Liebe, als Mater Caritas.

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Ein Kardinal wies auf die Philosophie der Freiheit hin. Ich will also mich Fichte und Schelling nähern. Die Dichter Klopstock, Puschkin und Heine priesen ja die Göttin Freiheit. Wer ist die Göttin Freiheit? Fichtes Philosophie beginnt mit der Tat des Ich und endet mit der Versenkung des Ich in die absolute Gottheit. Fichte schloß sich zuerst Kant an, der sagte, die Freiheit des Menschen liege darin begründet, dass er sich freiwillig einer unbedingten Verpflichtung, dem Sittengesetz anschließt. Aber Fichte sah, dass zwar Kant das Ich für frei hielt, aber doch in der Erkenntnis höchst beschränkt. Hier ist das Ich vom Nicht-Ich abhängig. Das erkennende Ich ist vom Seienden abhängig, vom Ding an sich. Eine solche Abhängigkeit vom Ding an sich scheint für Fichte mit der menschlichen Freiheit unvereinbar. Außer dem freien Menschen kann es nicht noch eine ihn bedingende Welt geben, meint Fichte, die Welt außer dem Menschen sei also wesentlich gar nicht, sie ist nur ein aus dem Menschen herausgestelltes Bild des Menschen selbst, die Welt ist nichts als der Weltentwurf des schöpferischen Ich in seiner Freiheit. Das ist der Grundgedanke des deutschen Idealismus: Es existiert nur das Ideelle, Geistige, nur das geistige Ich in seiner absoluten Freiheit und Unbedingtheit. Die Welt existiert nur als Vorstellung des Menschen, aber die Vorstellungen des Menschen von der Welt werden nicht von der realexistierenden Welt bedingt, sondern vom Menschen freischöpferisch selbst erzeugt. Die Absolutheit des Ich lässt die Welt also untergehen. Wenn aber außer dem absolut freien Ich in seiner Unbedingtheit nichts existiert, kein Gott und keine Welt, dann existiert das absolut freie Ich auch nur in absoluter Einsamkeit. Der Mensch ist frei, aber was bedeutet ihm nun diese einsame Freiheit? Wozu ist er frei? Wenn aber alles Seiende und Wirkliche bloße Vorstellung des Subjekts ist, ist dann nicht das Ich auch bloßer Traum, bloße Vorstellung? Hat das Ich denn Sein und Wirklichkeit? Es bleibt dem Ich kein Sein und auch kein Bewusstsein vom wirklichen Sein des Ich, alles ist bloß Bild, Vorstellung, Traum. Alles sind vorbeischwebende Bilder und auch das Ich ist nur ein Bild. Alles wirkliche Sein wandelt sich in einen Traum, aber einen Traum ohne Träumer, der den Traum träumt. Es ist ein Traum, der in seinem Traum von einem Traum abhängig ist. Die Inder würden sagen: Alles Seiende ist bloße Maya, leerer Schein, Illusion, Zaubertrug. Wer nun die Freiheit retten will, die Freiheit davon bewahren will, in einem absoluten Nichts der Sinnlosigkeit zu versinken, der kann dies nur, indem er der Freiheit eine absolute Grenze setzt. Die absolute Freiheit wird erst wirkliche Freiheit, wenn sie vor einem Höchsten Absoluten als bedingte und endliche Freiheit erscheint. Denn der Mensch selbst ist nicht die Absolutheit, sondern er ist eine Doppelnatur aus Absolutheit und Endlichkeit. So muß auch die Freiheit diese Doppelnatur haben, dem Absoluten zuzugehören und doch als endliche Freiheit eine absolute Grenze anzuerkennen. In Wahrheit muß das Ich doch anerkennen, dass es Wesen außer ihm gibt. Mag man auch Dinge in der Welt als bloße Vorstellung des Ich betrachten, so gibt es doch andere Menschen, die selbst wieder solch ein Ich sind, es gibt die wirklichen Iche außer meinem eigenen Ich. Diese Iche außer meinem Ich sind selbst freie Persönlichkeiten und nicht nur Projektionsflächen meines eigenen schöpferischen Ichs. Neben meinem freien Ich stehen die andern freien Iche. Nun ist der Ausgangspunkt für den philosophischen Humanismus nicht mehr das einsame Ich, sondern die Geistergemeinschaft der freien Persönlichkeiten. Nun dringt der Blick des Philosophen in den Ursprung der Freiheit. Sie wurzelt im Gewissen des Menschen, seiner freien Entscheidung und auch Verantwortung über die Entscheidung zwischen Gut und Böse. Aber vor unserm Gewissen kann die Freiheit sich nicht beliebig entscheiden, sie ist gebunden an den Spruch des Gewissens. Es ist also eine Notwendigkeit im Ursprung der Freiheit. Es ist ein absolutes Gesetz der Ursprung der Freiheit. Das Ich muß sterben, um seine wahre Freiheit zu erlangen. Der Tod muß das absolut-endliche Ich von seiner Endlichkeit erlösen, damit das erlöste Ich in die absolute Freiheit eintreten kann. Um die absolute Freiheit zu finden, muß man also auch die menschliche Freiheit hinter sich lassen. Erst wenn der Mensch die radikale Abtötung der Eigenmächtigkeit annimmt, gelangt er in Wahrheit über sich hinaus in die wahre Freiheit, die Freiheit, frei zu sein vom Ich, um das wahre Ich in der Freiheit zu finden. Wer bereit ist, sein Ich aufzugeben, hinzugeben, zu sterben, der hat erkannt, dass er nicht der Zeuger seines eigenen Ich ist, sondern dass er sein eigenes Ich empfangen hat, dass er sich nicht sich selbst verdankt, sondern Gott. In Gott ist die wahre Wurzel der Freiheit. Wenn das Subjekt seine individuelle Freiheit aufgibt, kann es teilhaftig werden der absoluten Freiheit der Gottheit. Denn allein die Gottheit hat wahrhaft Sein. Die Gottheit ist ja das Sein in Person. Alles, was seiend ist, hat Sein vom Sein der Gottheit, so dass man sagen kann, Gott allein ist und außer Gott ist nichts. Der Mensch ist nicht ein Dasein aus sich selbst, sondern ist ein Dasein vom Sein Gottes, der Mensch ist eine Offenbarung der seienden Gottes. Wer aber sein eigenes endliches Dasein in den absoluten Urgrund der allein seienden Gottheit versenkt, hat teil an der einzig absoluten Freiheit, die Gott ist. – Nun will ich mich nach dem Ratschlag des Kardinals dem Philosophen Schelling nähern. Auch er spricht wie Fichte vom absoluten Ich. Aber in dem menschlichen und endlichen Ich entdeckt Schelling etwas Absolutes, das er das Ewige in uns nennt. Auf dieses Ewige in sich stößt der Mensch, wenn er in den absoluten Grund seines Ich hinabschaut. Er nennt dieses Hinabschauen intellektuelle Anschauung, die Gabe, sich zu entkleiden von allem, was von außen an die Seele herangetragen wird, und das Unwandelbar-Ewige in sich anzuschauen. Worauf der Mensch aber stößt, wenn er in den absoluten Grund seines Ichs hinabschaut, ist das Göttliche selbst. Und dieses Göttliche ist der Urgrund nicht nur des eigenen Ich, sondern der Urgrund aller Wirklichkeit. So denkt Schelling, wie Spinoza, das alles Wirkliche in diesem einen Urgrund eins sei, das alles Wirkliche aus diesem unerschöpflichen Urgrund hervorkommt, ja, das in gewissem Sinne dieser unerschöpflich-schöpferische Urgrund aller Wirklichkeit das einige wahrhaft Wirkliche sei. Dieses Göttliche ist das Leben, das allem Lebendigen innewohnt. Es ist die schöpferische Gottheit als immanente Gottheit, die im Innersten der Schöpfung lebt und wirkt. Nun betrachtet Schelling die Natur, die Schöpfung. Er sieht im Innern der Natur ein Gesetz der Polarität. Im Anorganischen wirkt das Gesetz von Magnetismus und Elektrizität, Im Bereich des Organischen wirkt die Polarität von Weiblichem und Männlichem. In der Natur wirkt die Polarität von Schwere und Licht. Durch diese Polaritäten verwirklicht sich die Natur als ein lebendiges Werden. Aber was ist das Ziel dieses Werdens? Schelling sagt, der Höhepunkt des Werdens der Natur ist der menschliche Geist, der geistbegabte Mensch ist die Krone der Schöpfung. Der Geist überschreitet aber die Natur und bringt die Natur zugleich zur Vollendung. Die Wirklichkeit der Schöpfung besteht also aus dem bewusstlosen Leben der Natur und dem bewussten Leben des Menschen. Auch in dem menschlichen Geist entdeckt Schelling das Gesetz der Polarität, das er auch schon in der bewusstlosen Natur gefunden hatte. Der Menschengeist verwirklicht sich durch Polaritäten, Spannungen, Gegensätze und die Versöhnung der Gegensätze. Alle Erscheinungen in der Schöpfung, von der unbewussten Natur bis zum bewussten Menschengeist, sind Glieder eines lebendigen Organismus, und in diesem lebendigen Organismus waltet und wirkt die schaffende Gottheit. Die Natur ist gewissermaßen der verborgene Gott. Doch die Natur ist noch nicht die eigentliche Offenbarung Gottes, sondern die menschliche Vernunft ist das Ebenbild Gottes. So zieht Schelling die Geschichte der Menschheit als eine fortschreitende Offenbarung des Ewigen, des Göttlichen, die Geschichte ist ein Epos, vom Geiste Gottes gedichtet. Wie ist aber diese Gottheit selbst zu denken? Wer ist Gott? Anfangs denkt Schelling Gott als absolutes Ich, als rein geistiges Wesen. Aber da er Gott auch erkennt als Wirkprinzip in der Natur, sagt Schelling, Gott müsse Ich und Nicht-Ich zugleich sein, die absolute Identität, die absolute Einheit vor und in allem, das All-Eine, aus dem die Polaritäten der Natur und des menschlichen Geistes hervorkommen, der eine absolute Ursprung und das eine höchste Ziel, Anfang und Ende. Ich will Schelling nicht weiter folgen in seinen gnostischen Spekulationen vom Negativen in Gott, vom werdenden Gott, vom Gott, der durch den Menschen erlöst wird. Für die Philosophie der Liebe halte ich das Gesetz der Polarität fest, das in der Einheit Gottes gründet, wurzelt und in die Einheit Gottes zurückkehrt. Dieses Gesetz der Polarität kann man auch Liebe nennen. Es ist das Yin und Yang der taoistischen Philosophie, das ja auch im Tao, als der Mutter allen Seins, wurzelt. Es ist das Prinzip des Eros, die Polarität von Männlichem und Weiblichem, wie der orphische Mythos es sah, der Eros von Männlichkeit und Weiblichkeit als Grundprinzip der Natur und der Vernunft. Es ist die göttliche Liebe, die Hildegard so poetisch besungen, wenn sie schildert, wie sich die Kräuter liebkosen. Die ketzerische Vorstellung, das in Gott das Böse seinen Ursprung hat, ja, das Gott gut und böse ist, durchzieht als eine Art Krankheitsgeschwür den deutschen Idealismus. Hegel nannte den Diabolos die vierte Person der Gottheit. Das ist eine böse Blasphemie. Gott ist gut, Gott ist Liebe, das ist die Offenbarung der Heiligen Schrift. Zu einer Philosophie der Liebe kann Hegel aber dennoch beitragen mit seinen Überlegungen über das Wesen der Liebe, über die Dialektik der Liebe. Denn wenn die Polarität das Wesen des Eros ist, dann kann der Eros nicht allein nur in der Schöpfung gefunden werden, wobei die Gottheit dann als das Eine, das Absolute, Einige, also einsame Urwesen gedacht wird. Denn wenn das Neue Testament sagt: Gott ist Liebe, dann ist die Liebe in Gott. Dann ist dieser Eros der Polarität von Männlichkeit und Weiblichkeit in Gott. Hier ist der Grund zu sehen für die Lehre der dreifaltigen Gottheit. Diesem Gedanken nähern wir uns mit der Hegelschen Philosophie von der Dialektik der Liebe. Kant zerriß den Menschen in zwei Hälften, in das höhere Selbst, das sich der moralischen Pflicht bewusst ist, und in das empirische Ich mit seinen üblen Neigungen. Hegel will die Einheit der Person wieder herstellen. Die Einigkeit des ganzen Menschen fand Hegel in der Liebe. Sie wird zum Ausdruck seines sittlichen Wesens und ist doch der Ausdruck der natürlichen Neigung des Menschen. So wird die Betrachtung der Liebe zum Ausgangspunkt der Hegelschen Dialektik. Denn Dialektik ist kein hölzernes Gesetz, sondern das innere Gesetz der Liebe. Was gehört zur Liebe als einem Verhältnis von Liebenden? Zuerst ist da ein Liebender, der ist, der Ich sagt. Das ist die Thesis, das Ich des Liebenden. Aber dann gehört zur Liebe wesentlich, dass der Mensch über sich hinausgeht, aus sich herausgeht, sich hinwendet und hingibt an das Du des geliebten Menschen. Indem das Ich sich an das Du hingibt, verliert er sich selbst, negiert sein Ich, negiert die Thesis und setzt die Antithesis, das geliebte Du. Aber das Paradox der Liebe ist, wie schon Jesus es beschrieb, dass der Liebende erst in der Hingabe an das Du sein wahres Ich findet. Das wahre Wesen der Liebe besteht darin, sich selbst zu vergessen, sich selbst hinzugeben, im geliebten Du aufzugehen und sich dadurch erst selbst wahrhaft zu gewinnen. Die Negation des Ich in der Antithese des Du wird also wieder negiert, in dem das Ich im Du sein wahres Selbst erst findet. Dadurch kommt die Synthesis zustande, die Einheit von Ich und Du. Der Geliebte ist der Liebende, der Liebende sieht sich selbst im Geliebten, und doch ist der Geliebte nicht der Liebende, sondern der Andere, ein Wunder, das den Verstand übersteigt. Diese Liebe ist aber allgemein das Grundgesetz der ganzen Wirklichkeit. Alles Leben spielt sich in Liebesbeziehungen ab. In der Liebe kommt das Leben selbst zu Erscheinung. Indem die Liebenden von der Liebe überwältigt werden, werden sie vom Leben überwältigt. Das Leben kommt in der Liebe zu sich selbst. So ist die sichtbare Liebe die höchste Form des unendlichen Alls des Lebens, die Liebe ist die Grund, aus dem alles Leben erwächst. Was in der Liebe offenbar wird, ist das All-Leben, das Absolute, das Eine Absolute, das Liebe ist. Diese Absolutheit als das absolute oder göttliche Leben, wird in der Liebe des Menschen sichtbar. Der Liebende und der Geliebte sehen, dass das eine Leben sie durchflutet, sie erfahren sich also als eine Einheit. Aber dennoch erfahren sie sich als getrennte Wesen und erfahren den Schmerz der Zerrissenheit. Es ist das einige Leben also in sich zerrissen, entzweit. In der Entzweiung und Zerrissenheit spüren die Liebenden aber doch den Drang nach Vereinigung, nach der Herstellung der höheren Einheit. In der Liebe findet sich das Leben verdoppelt und vereinigt. In diesem Rhythmus von ursprünglicher Einheit, Zerrissenheit und Wiedervereinigung pulsiert das lebendige Leben und schafft schöpferisch die Wirklichkeit. Dieses All-Leben mit dem Gesetz der dialektischen Liebe bezeichnet Hegel als die Gottheit, sie ist das unendliche Leben, die schöpferische Liebe. Diese Gottheit der Liebe steht an der absoluten Spitze der Philosophie. Inwiefern aber diese Gottheit selbst in sich dialektische Liebe ist, Einheit, Zweiheit und Vereinigung, das beantwortet nicht die Philosophie Hegels, sondern die Theologie von der Dreifaltigkeit Gottes.

3

Wenn man in einem Frühlingsgarten sitzt, das Herz voll Liebe, betrachtet die Natur und meditiert über das Tao, dann fragt man sich, ob die Liebe, die in der Natur waltet, die Liebe von Yin und Yang ist, der Eros der Polaritäten, oder ob nicht vielmehr die Liebe, die in der Natur waltet, die göttliche Liebe ist, die die dreifaltige Liebe ist. Nun ist aber das keine Frage, ob die 2 oder die 3 das Grundgesetz der Schöpfung ist, sondern die Tatsache, dass die Liebe das immanente Gottesgesetz in der Schöpfung ist, lässt nach dem Wesen dieser Liebe fragen. Auch bei der Polarität von Männlichem und Weiblichem als der Grundbedingung des Erotischen, kommt gewissermaßen als dritte Tatsache der Geist der Vereinigung hinzu. So lehrt der jüdische Religionsphilosoph Walter Schubert, dass im Augenblick der sexuellen ehelichen Vereinigung von Mann und Frau der Heilige Geist als der Geist der Liebe und als der Geist der Vereinigung hinzutritt. So ist Liebe immer der Liebende, die Geliebte und der Geist der Liebesvereinigung. Diese dritte Person, der Geist der Liebe, wird in der Familie durch das Kind verkörpert. Der Liebende als der Mann und die Geliebte als die Frau finden ihre Vereinigung und ihre Einheit gewissermaßen inkarniert in dem Kind. Der Liebende geht über sein Ich hinaus in der Hingabe an das geliebte Du, Ich und Du in der Vereinigung bilden ein Wir, aber dieses doppelt-einige Wir ist fruchtbar und geht in seiner Fruchtbarkeit noch über sich hinaus und wird schöpferisch, dies ist das Wesen der menschlichen Liebe, vereinigend zu sein für Mann und Frau und aus der Vereinigung heraus schöpferisch zu sein und Kinder zu zeugen. So bezeichnet Papst Johannes Paul II. die Ehe und Familie als Abbild der Dreifaltigkeit Gottes. Sankt Augustin bezeichnete die Dreifaltigkeit als den Liebenden, den Geliebten und die Liebe. Das Bild der Familie oder Ehe in Gott erscheint angedeutet im Buch der Weisheit, da Salomo den Herrn preist, Frau Weisheit als Throngenossin des Herrn, und vom Herrn und der Frau Weisheit ausgehend den Geist preist. Die alte heidnische Vorstellung eines Hieros Gamos, einer heiligen Hochzeit von Gott und Göttin, weist hier auf die heilige Hochzeit in Gott selbst hin. Hildegard von Bingen schaut diese Heilige Hochzeit in Gott, indem sie Frau Liebe preist, die Ehegattin des Herrn, die im Ehebette Gottes mit Gott vereinigt ist. Aber es ist nicht die Polarität von Göttlichmännlichem und Göttlichweiblichem allein, die in Gott erscheint, sondern die Vereinigung von Göttlichmännlichem und Göttlichweiblichem erscheint selbst als die göttliche Liebe oder als der Eros Gottes, eben das ist der Heilige Geist. So wird in der jüdischen Mystik der Kabbala von der mystischen Hochzeit in der Gottheit selbst gesprochen, da Jahwe der Herr sich vereinigt mit der Schechinah, das ist die mütterliche Gegenwart Gottes in der Schöpfung. Jahwe und die Schechinah, der Herr und Seine Herrlichkeit, vereinigen sich, und diese innergöttliche Hochzeit wird nach Anschauung der Kabbalisten eigentlich im Hohenlied Salomos besungen. Heute wird auch gern von der Mutterliebe Gottes im Heiligen Geist gesprochen. Der Heilige Geist, der sich Maria zum Tempel erwählte, ist der Geist des Trostes, der lebensspendende Geist, der Nährende, Aufziehende, Fürsorgende, der Geist der Liebe, dies wird als mütterlich empfunden. Es ist ja gewissermaßen der Heilige Geist auch die Fruchtbarkeit Gottes, denn der Heilige Geist bewirkte das Fruchtbarwerden der Jungfrau Maria, der Heilige Geist bewirkt Marias Empfängnis und bewirkt ihr Gebären. Er verkörpert sich gewissermaßen in Maria, die als sein besonders geweihter Tempel erscheint. Manche Denker sehen dann den Heiligen Geist als die Mutterliebe Gottes, so dass zu Gott dem Vater der Heilige Geist als Mutterliebe Gottes hinzukommt und so der Gott-Sohn hervorgeht. Die Römischkatholischen und die Orthodoxen stritten ja darüber, ob Gott der Geist aus Gott dem Vater allein oder aus Gott dem Vater und Gott dem Sohn hervorgehe. Was aber, wenn Gott der Sohn hervorgehe aus Gott dem Vater und Gott dem Geist (der Mutterliebe Gottes)? Auch hier sehen wir, dass die menschliche Ehe und Familie als das göttliche Konzept für die menschliche Liebe ein Abbild der göttlichen Liebe ist, die dreifaltig ist. Der Dichterpriester Ernesto Cardenal sagte: Gott ist Liebe und der Mensch ist auch Liebe, denn der Mensch ist ein Ebenbild Gottes. Die göttliche Liebe ist eine dreifaltige Liebe, die menschliche Liebe in Ehe und Familie ist eine dreifaltige Liebe. Nun bleibt es den Naturphilosophen und Naturliebhabern überlassen, die dreifaltige Liebe als göttliches Grundgesetz im Innersten der Schöpfung zu entdecken. Es ist das Schellingsche Gesetz der Polarität, das Gesetz von Yin und Yang, aber mit der mitgedachten dritten Person, nämlich dem Geist der Vereinigung, der wechselseitigen Anziehung, der Erotik zwischen den Polaritäten. Denn der weltimmanente Eros der Orphiker ist dreifaltig. In der Gottheit, im Menschen als dem Ebenbild Gottes und in der Natur als dem Kleid Gottes wirkt dasselbe Gesetz, die dreifaltige Liebe. Diese dreifaltige Liebe ist die Liebe von drei allmächtigen und unendlichen Personen. Der allmächtige und ewige Vater liebt in seiner ewigen Allmacht der gleichgöttlichen Sohn, der Sohn aber nimmt sich in seiner Liebe zum Allmächtigen soweit zurück, da gewissermaßen nur für einen Allmächtigen Raum ist in der Ewigkeit, dass der allmächtige Sohn aus Liebe zum allmächtigen Vater zu einer Ohnmacht wird. Die Allmacht der Sohnes wird zur Ohnmacht des Sohnes aus Liebe zum allmächtigen Vater. Dies ist das Opfer der Liebe, dass der Sohn am Kreuz als dem Holz der Vernichtigung dem Ewigen bringt. Gleichzeitig beweist der göttliche Sohn seine Liebe zum Vater, indem er des Vaters Meisterwerk, die Menschheit, bis zum Tode am Kreuz liebt. Es ist die Menschheit nämlich dem nackten Nichts und dem ewigen Tod verfallen, ja, der Verdammnis. Der göttliche Sohn löst sich aus dem liebenden Schoß des Vaters und teilt in seliger Selbstvergessenheit das Schicksal der Verdammten dieser Erde, er entäußert sich seiner Allmacht und wird zur Ohnmacht am Kreuz, er entäußert sich seines ewigen Seins und geht ein in die Nacht des Nichts, er verlässt die Glückseligkeit der göttlichen Vereinigung mit dem Schoß des Vaters und steigt hinab in die ewige Verdammnis, um sich ganz und vollkommen mit dem Menschengeschlecht zu vereinigen. Durch diese Liebesvereinigung der göttlichen Allmacht in der Ohnmacht des Sohnes mit dem nichtigen Menschengeschlecht, wird das Menschengeschlecht durch die Vereinigung mit dem Gekreuzigten der göttlichen Natur teilhaftig. Das ist die Erlösung, die uns die gekreuzigten Liebe erwirkt. Alles Seiende ist also die dreifaltige Liebe, und diese dreifaltige Liebe ist die gekreuzigte Liebe. Und du, o Mensch, willst du Gott ähnlich werden, sei auch gekreuzigte Liebe! Laß dein Herz dem Herzen Mariens ähnlich sein, dem mitgekreuzigten Herzen!



DAS KÖNIGREICH CHRISTI


1

Paulus kam nach Ephesos. Ephesos war im zehnten Jahrhundert vor Christus eine Siedlung der Achaier. Sie kann sich an Alter mit Peking messen. Homer hat in Ephesos gelebt und Heraklit hat seine Philosophie dort der Göttin Artemis geweiht. Homer erwähnte eine Wiese namens Asia, die am Fluß Kayster lag, der bei Ephesos ins Mittelmeer strömt. Von dieser Wiese bekam die römische Provinz Asia ihren Namen und später der ganze Erdteil Asien. Der Tempel der Artemis, Artemision genannt, war eins der größten Heiligtümer der Griechen für tausend Jahre, von der Errichtung im Jahre 700 vor Christus bis zur Zerstörung durch die Gothen im Jahre 300 nach Christus. Heute ist die Stelle des Tempels ein Wasserloch, nur manchmal führt ein Hirte seine Schafe hierher, um die Schafe am Wasser des Vergessens zu tränken. Kostbare Säulen aus dem Artemision sind in der Hagia Sophia, einige Marmorplatten in dem Kloster der heiligen Katharina von Alexandrien am Fuß des Sinai. Artemis, der Astarte der Bibel gleich, trägt die feinen Antlitz-Züge einer griechischen Göttin und neunzehn Brüste als Symbol der Fruchtbarkeit, die sie verkörpert. Hier predigte Paulus den Logos, aber die Künstler protestierten, die ihre Kunst der Verherrlichung der Göttin gewidmet hatten.


2

Smyrna ist eine der sieben Städte, die behaupten, Geburtsort Homers zu sein. Smyrna gehört auch zu den sieben Gemeinden, an die Johannes seine apokalyptischen Briefe richtete. In Smyrna haben einige Juden Jahwe, den Gott Israels, unter dem Namen Zeus Hypsitos verehrt. Zeus Hypsitos ist der Vater der Götter und Menschen, der nicht vergleichbar ist dem olympischen Zeus mit seinen amourösen Affairen, dem Spottbild der Komödiendichter. Zeus Hypsitos wurde bildlos verehrt. Er ist ein Beweis für den Drang der Griechen, zu einem höheren Rang der Verehrung des Göttlichen zu gelangen.


3

Plinius der Jüngere war Statthalter Roms und sah die Christen, die sich weigerten, den römischen Göttern und dem Gott-Kaiser Anbetung zukommen zu lassen. Man sagte ihm, keine Drohung könne diese Christen veranlassen, einen andern Gott anzubeten als Jesus Christus. Sie taten eigentlich nichts, als sich an einem bestimmten Tag der Woche zu treffen, bei diesen Treffen sängen sie feierliche Hymnen an Christus und verpflichteten sich feierlich, keine Sünden wie etwa Mord oder Ehebruch zu begehen. Sie versammelten sich zu gemeinsamen Mählern, bei denen sie unschuldige Speisen zu sich nahmen. Plinius der Jüngere findet bei diesen Christen nichts, was zu tadeln wäre, außer einem uferlosen und verdrehten Aberglauben. Kaiser Trajan empfahl größte Milde und verbot anonyme Denunziationen, die einer modernen Zivilisation nicht würdig seien.


4

In der Syrischen Wüste liegt Rusafa, die eine römische Grenzfestung war. Dort hatten die Christen Sergios und Bacchus, Soldaten der kaiserlichen Armee, sich geweigert, Christus zu verleugnen. Sie wurden degradiert. Dann führte man sie in Frauenkleidern um die Stadt herum, Bacchus in Frauenkleidern! Nach schrecklichen Martern wurden Sergios und Bacchus enthauptet. Bald pilgerten viele Christen zum Grab des heiligen Bacchus! Die Stadt wurde Sergiopolis genannt. In der Zeit Kaiser Konstantins des Großen baute man die Kirche des heiligen Bacchus und opferte dort Brot und Wein als Fleisch und Blut des Christus dem Vater im Himmel!


5

König Abgar der Neunte von Edessa trat zum Christentum über. Schon sein Ahne, König Abgar der Fünfte, schrieb einen Brief an Christus mit der Bitte, ihn zu besuchen. Christus schrieb ihm zurück, er werde ihn nach seiner Auferstehung besuchen, indem er ihm einen seiner Jünger senden wird. So kam der Apostel Thaddäus nach Edessa und taufte König Abgar den Fünften. Die spanische Nonne Etheria pilgerte am Ende des vierten Jahrhunderts zu den heiligen Städten und schreibt, sie habe in Edessa viele Abschriften der Briefe von Abgar und Christus gesehen. Sie waren in syrischer Sprache auf Pergament geschrieben und hatten große Wunderkraft. Christus hatte dem König Abgar auch ein Christusbild geschickt, die Wahre Ikone des Heiligen Antlitzes.


6

Simeon der Stylite war 390 nach Christus in Kilikien geboren. Als Jüngling trat er in ein Kloster ein, doch waren ihm die Klosterbrüder zu verweltlicht. Da zog er sich in die Syrische Wüste zurück, etwa eine Tagereise von Aleppo entfernt. Der heilige Simeon zog bald viele Fromme an, denn je größer die Heiligkeit eines Eremiten, desto wirksamer seine Fürsprache. Um der Welt noch weiter zu entfliehen, bestieg er eine Säule. Einige Male erhöhte er die Säule, bis sie zwanzig Meter hoch sich über die sündige Erde erhob. Um den Säulenschaft schlang sich die Schlange, auf der Spitze des Schaftes saß mit gekreuzigten Beinen der Heilige und meditierte das Wort Gottes. Von seiner Höhe aus predigte er den Scharen und schrieb Briefe an Kaiser und Bischöfe.


7

Der Obelisk im Vatikan ist ein steinerne Zeuge Christi. Er stand schon tausend Jahre in der Wüste Ägyptens, bis Kaiser Nero ihn im Cirkus errichten ließ. Der Stein stammt aus Heliopolis, der Obelisk war dem Sonnengott Re geweiht. Im sechzehnten Jahrhundert wurde er vor Sankt Peter in den Vatikan gebracht. Mit achthundert Arbeitern und hundertzwanzig Pferden unternahm Domenico Fontana das Werk der Wiederaufrichtung des Obelisks im Vatikan. Den Arbeitern war bei Todesstrafe Schweigen geboten. Aber als die Seile zu rauchen begannen, rief ein alter Seemann: Wasser für die Seile! Der alte Seemann hatte sein Leben riskiert für die Aufrichtung des Obelisken im Vatikan, Christus geweiht, der Sonne der Gerechtigkeit! Dieser Obelisk hatte das Martyrium des heiligen Petrus im Cirkus des Kaisers Nero gesehen und ist dessen steinerner Zeuge!


8

Als Kaiser Nero nach dem Brand der Stadt Rom den Christenprogrom befahl, bat die Gemeinde von Rom Petrus, den Bischof von Rom, die Stadt zu verlassen. Auf der Via Appia erschien ihm Christus. Petrus sprach: Domine quo vadis? Christus sprach: Ich bin gekommen, mich zum zweiten Mal kreuzigen zu lassen! Petrus kehrte um und ließ sich für Christus kreuzigen.


9

Paulus lebte ungestört in Rom, in das er als Gefangener des Kaiser gekommen war. Später wurde er noch einmal freigelassen und besuchte Spanien am Ende der Welt. Dann kehrte er nach Rom zurück und wurde mit dem Schwert enthauptet.


10

Vierzig Jahre nach Tod und Auferstehung Christi, zwanzig Jahre nach dem ersten Konzil der katholischen Kirche, dem Apostelkonzil in Jerusalem, ist die hochgebaute Zion von Kaiser Titus erobert und zerstört worden. Der siebenarmige Leuchter aus dem Tempel, der noch aus dem Tempelschatz Salomos stammte, ist lange in Rom aufbewahrt worden. Bei der Plünderung Roms durch die Vandalen ist er verschwunden.


11

Im Palast Fausta in Latrano, dem Haus der Kaiserin, fand das römische Konzil von 313 statt. In der Laterankirche befindet sich der Holztisch, der vom heiligen Petrus als Altar für das Messopfer benutzt wurde. Die Laterankirche ist Bischofskirche des Bischofs von Rom bis heute. Darum ist sie Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt und der Welt.


12

Papst Sylvester der Erste bat Kaiser Konstantin den Großen, über dem Grab des Apostels Petrus eine Basilika zu errichten. Der Altar der Kirche lag über dem Schrein des heiligen Petrus. Konstantin schrieb: Weil unter Deiner Führung die Welt sich triumphierend zu den Sternen erhoben, weiht dir Konstantin, der Sieger, diese Halle!


13

In der alten Basilika Sankt Petri ward am Weihnachtsfest des Jahres 800 Karl der Große von Papst Leo dem Dritten zum Kaiser gekrönt. Konstantin der Große war der erste christliche Kaiser auf dem Kaiserstuhl Roms. Zur Zeit aber, als Jerusalem im Besitz der Araber war, erhielt ein Franke aus dem Norden durch das Oberhaupt der christlichen Kirche seine Sanktion als Nachfolger der römischen Kaiser. Karl der Große hatte lange geplant, durch eine Heirat mit der Kaiserin Irene von Byzanz den Westen und den Osten zu einen. Ein Plan, der noch verwirklicht werden muß!


14

Im sechzehnten Jahrhundert wurde auf Weisung des Papstes Julius des Zweiten die alte Basilika Sankt Petri abgerissen, und durch Michelangelo und Bramante die neue Basilika des heiligen Petrus im Vatikan errichtet. Sankt Peter, tausend Jahre nach der Hagia Sophia von Byzanz gebaut, ist eins der größten Meisterwerke der christlichen Architektur. In der Cathedra Petri steht der Bischofsstuhl aus Holz, der der Stuhl Petri war. In der Capella della Pietà erhebt sich die Colonna Santa, diese Säule stammt aus dem Tempel Salomos in Jerusalem.


15

Das Pantheon von Rom ward vom Schwiegersohn des Kaisers Augustus errichtet, nach der Zerstörung des Pantheon durch einen Blitz ward er von Kaiser Hadrian wieder errichtet. Es war das Heiligtum aller Götter. Es ist den Göttern der sieben Planeten geweiht. Erst als die Kuppel der Hagia Sophia schon den Himmel erreichte, wurde das Pantheon zu einer christlichen Kirche geweiht. Dies tat Papst Bonifatius der Vierte, er weihte das Pantheon der Heiligen Jungfrau Maria und allen Märtyrern.


16

Die Marienverehrung war inzwischen im Osten begründet worden. Auch die Marienverehrung, wie alle Weltreligionen, hat die Menschheit aus dem Morgenland empfangen. In Ephesos wurde Maria Gottesgebärerin genannt, dort, wo die Heiden sonst die Große Mutter der Götter verehrt hatten, dort begann man nun die wahre Mutter zu preisen, die von aller Ewigkeit zur Mutter Gottes und Mutter aller Menschen auserwählte Jungfrau Maria!


17

Der Kaiser von Rom, Konstantin der Große, erkennt das Oberhaupt der christlichen Kirche, Papst Sylvester den Ersten, als Stellvertreter Christi auf Erden an und erhält den Apostolischen Segen. Der Kaiser besucht zu Fuß und ohne Krone den Bischof von Rom, um ihm die Papst-Tiara zu überreichen. Dann besucht der Papst, auf einem Schimmel reitend, mit der Tiara geschmückt, den Kaiser, der die Krone trägt. Der Konflikt zwischen weltlichem Oberhaupt, dem Kaiser des römischen Reiches, und dem geistlichen Oberhaupt, dem Papst der römisch-katholischen Kirche, durchzog das ganze Mittelalter. Dieser Kampf durchzieht Dantes Göttliche Komödie. Der Kampf zwischen Papsttum und Kaisertum um die Oberhoheit ist bis heute nicht entschieden.


18

Ambrosius von Milan gehört zu den Doktoren der Kirche. Ambrosius von Milan ist der erste Gelehrte, der den Ehrentitel Doctor Ecclesiae verliehen bekam. Ambrosius war Bischof von Milan. Sein Vater war Präfekt in Gallien. Er selbst hat als Gelehrter in Milan gelebt. Als er zum Bischof von Milan gewählt ward, war er noch nicht getauft. Man wartete damals mit der Taufe bis zur Todesstunde, damit des ganzen Lebens Sünde mit der Taufe abgewaschen wurde und die Seele unbefleckt ins Paradies eingeht. Ambrosius hatte wenig Lust, Bischof zu spielen, aber der Heilige Geist befahl es ihm. Ambrosius war ein sympathischer Mann. Ambrosius von Milan war auch ein Dichter, er hat das Tedeum gedichtet: Großer Gott, wir loben dich!


19

An der Nordküste der Adria fand sich aus dem fünften Jahrhundert ein Medaillon der thronenden Madonna mit dem Kinde. Die Mutter thront im Thronstuhl, hält in der Rechten den Hirtenstab mit dem Kreuz, sie wird umwunden von der Schlange. Auf ihrem Schoß thront das göttliche Kind. Der Orient begann, den Okzident zu befruchten. Die blühende Kunst von Byzanz beeinflusste die spätrömische Kunst. Im Medaillon hat Maria die Christen von Anfang an begleitet als die Mutter der Christen, als die Hilfe der Christen. Als die Hilfe der Christen half Maria auch dem Papst Leo dem Großen, allein durch die Vollmacht seiner Persönlichkeit den wilden Hunnen Attila vor den Toren des Abendlandes zur Umkehr zu bewegen.


20

Einige meinen, die griechische Fassung des Neuen Testaments sei nicht eine Fortsetzung des hebräischen Alten Testaments, sondern der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta. König Ptolemaios Philadelphos hat im dritten Jahrhundert vor Christus in Alexandria die Septuaginta in Auftrag gegeben. Daß das Neue Testament in griechisch geschrieben worden ist, war für die weitere Entwicklung des Christentums von außerordentlicher Bedeutung. Es war eine Voraussetzung für die Auseinandersetzung des jungen Christentums mit der ehrwürdigen griechischen Philosophie. Schon Paulus begann diese Auseinandersetzung, diskutierte mit Epikuräern und Stoikern und zitierte griechische Dichter. Die Schriften der griechischen Kirchenväter sind eine umfangreiche Bibliothek, Johannes Chrysostomus, Gregor von Nyssa, Origines und andere setzten sich intensiv mit der griechischen Philosophie auseinander.


21

Die Einweihung der Hagia Sophia von Byzanz im Jahre 537 ist ein Höhepunkt der griechischen Kunst. Es war eine Sternstunde des Glaubens und der Kunst. Kaiser Justinian trat aus der Versammlung heraus allein an den Altar, hob die Hände und betete: Ruhm und Ehre dem Allerhöchsten, der mich für würdig hält, ein solches Werk zu vollenden! O heiliger Salomo, ich habe dich noch übertroffen! – Salomo hatte der Welt den Tempel von Jerusalem geschenkt, die Griechen hatten der Welt das Pantheon geschenkt, das Christentum hat der Welt die Hagia Sophia geschenkt. Die Hagia Sophia ist das vollkommenste Bauwerk transzendenter Jenseitigkeit, das die Geschichte der Architektur kennt.


22

Kaiser Konstantin der Große schenkte dem Neuen Rom, Konstantinopel, die Kirche der Zwölf Apostel. Die Markuskirche von Venedig ist nach diesem Vorbild erbaut. An der Apostelkirche erbaute Konstantin sein Mausoleum. In seinem Mausoleum stehen die zwölf Apostel um den Schrein Konstantins. Der erste christliche Kaiser der Menschheit sah sich als dreizehnten Apostel.


23

Die Hagia Eirene, die Kirche des göttlichen Friedens, wurde über einem christlichen Heiligtum errichtet. In einem Aufstand wurde sie zerstört, aber Kaiser Justinian ließ sich prächtig wiedererstehen. Die Hagia Eirene wurde nur noch von der Hagia Sophia selbst übertroffen.


24

Die alte Hagia Sophia wurde Konstantin zugeschrieben. Aber sie stammt doch wohl von seinem Sohn Konstantius. Sie war mit heidnischen Statuen geschmückt. Sie wurde bei einem Aufstand zerstört. Die neue Hagia Sophia ist über den Trümmern der alten errichtet worden. Die neue Hagia Sophia hieß beim Volk nun die Große Kirche.


25

Kaiser Konstantins Mutter Helena war eine einfache Frau aus Nikomedien, sie war in ihrer Jugend sehr schön, man nannte sie die Schöne Helena von Griechenland, bis sie später nur noch die Heilige Helena hieß. In einer Hütte ist sie geboren, in einem Palast ist sie gestorben. Sie wurde heiliggesprochen. Konstantin, als er den Thron bestieg, blieb seiner Mutter treu. Sein Vater hatte seine Mutter tief gekränkt, aber der Sohn verlieh seiner Mutter den Titel Augusta. Die Augusta Helena war dem Christentum tief ergeben, schon als Kind hing sie dem christlichen Glauben an. Sie ging täglich zur Heiligen Messe und mischte sich in bescheidender Kleidung unter die betenden Frauen. Die Heilige Helena baute von Trier bis Jerusalem Kirchen. Im hohen Alter pilgerte die Heilige Helena nach Jerusalem und ließ über dem Grabe Christi die Grabeskirche errichten, die man im Osten Auferstehungskirche nennt. Die Heilige Helena fand das Kreuz Christi. Die Poeten singen gern von der schönen Helena von Byzanz, die das Kreuz Christi fand. Sie weben einen Schleier aus Poesie um die schöne Helena.


26

Alexandria, Antiochia und das Ephesos der Gottesmutter blickten auf das Neue Rom des Imperium Romanum. Am glanzvollen Hof von Byzanz versammelten sich Philosophen, Theologen und Künstler. Griechisch und Lateinisch wurde gesprochen, Philosophie und Rhetorik gelehrt.


27

In der Grabes- und Auferstehungskirche von Jerusalem befindet sich das Heilige Grab und der Hügel von Golgatha. Ebenso wie der Ort der Zionsburg Davids und der Ort des Tempels Salomos bekannt ist, so ist auch der Ort des Kalvarienberges und des Grabes Christi bekannt.


28

Kaiser Hadrian regierte im zweiten Jahrhundert. Er errichtete aus Feindseligkeit gegen die Christen auf dem Hügel Golgatha die Marmorstatue einer nackten Venus und in der Geburtshöhle von Bethlehem errichtete er ein Standbild des Adonis, des Geliebten der Aphrodite.


29

In der Hagia Sophia fand ein Konzil statt, auf dem über die Bilderverehrung diskutiert wurde. Die asiatischen Bilderstürmer nannten Bilder von Christus, Maria und den Heiligen Götzendienst, die andere Gruppe berief sich darauf, dass Gott selbst in Christus ein menschliches Antlitz und Bild (Ikone) geschaffen habe. Die Bilderstürmer wurden verworfen, dennoch standen sie zu späteren Zeiten immer wieder auf und es gibt solcher auch heute noch unter den Protestanten. Die Orthodoxie und die Römischkatholische Kirche dagegen haben das Evangelium auch durch Bilder verkündet.


30

Der Glauben der Christen verband das Diesseits durch die Religion mit dem ewigen Gott im Jenseits. Der menschgewordene Sohn Gottes war der Mittler zwischen Mensch und Gott. In der Kirche der Hagia Sophia ist dieses Lebensgefühl zum Ausdruck gekommen. Nach strengen statisch-mathematischen Gesetzen berechnet und aus realen Steinen errichtet, ist die Hagia Sophia dennoch rein spirituell, vollkommen vergeistigt. Der Beschauer, schaut er zur mächtigen Kuppel empor, hat den Eindruck, der irdische Raum gehe in den Himmel über. Der Innenraum der Hagia Sophia ist der schönste Raum, der je auf Erden geschaffen worden. Engelshände haben die Kirche der Hagia Sophia errichtet.


31

Missionare wurden nach Russland ausgesandt. Die Großfürstin Olga von Kiew ward bei einem Besuch in Byzanz in der christlichen Lehre unterwiesen und getauft. Ihr Enkel Wladimir der Erste ließ sich ebenfalls taufen. Großfürst Wladimir von Kiew heiratete die Prinzessin Anna von Byzanz, die Schwester des Kaisers. In der Chronik Nestors aus dem zwölften Jahrhundert, der ersten russischen Geschichtsschreibung, ist es aufgezeichnet. Wladimir untersuchte die Gottesverehrung bei den Germanen, den Griechen, den Moslems und den Juden. Überzeugt ward Wladimir vom christlichen Glauben durch die Schönheit einer Heiligen Messe in der Hagia Sophia, es war der Himmel auf Erden, die Apostel Petrus und Andreas höchstselbst zelebrierten das unblutige Messopfer Christi an den Ewigen. Wer an dieser Messe teilnahm, meinte, im Himmel zu sein und an der Liturgie der Seraphim und Cherubim teilzunehmen. Die neun Chöre der Engelshierarchie priesen die göttliche Weisheit. Gott wohnt unter den Christen. Der Gottesdienst der heiligen Kirche ist schöner als alle Gottesverehrung anderer Religionen. Wir können die Schönheit der griechisch-katholischen Messe in der Hagia Sophia nicht vergessen. So heiratete Wladimir der Erste die kaiserliche Prinzessin Anna in Korsun auf der Krim. Jaroslaw der Weise begann im Jahre 1000 mit dem Bau der Hagia Sophia von Kiew, dieser Mutter aller russischen Städte. So ward Russland das auserwählte Volk der Hagia Sophia.


32

Der Apostel Thomas erlitt in Indien das Martyrium. Schon nach der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahre 70 nach Christus siedelten sich Juden an der indischen Malabarküste an. Schriftliche Nachrichten über die Thomaschristen existieren vom vierten Jahrhundert an. Im Jahre 354 reiste Theophilos als Gesandter des Kaisers von Konstantinopel nach Arabia Felix und Äthiopien, den Rückweg trat er über Indien an und berichtete von Kirche und Kloster an der indischen Malabarküste, wo der Apostel Thomas beerdigt liegt. Die Reliquien sind später nach Edessa in Syrien gekommen. In der syrischen Kirche feiert man den 3. Juli als Festtag der Reliquien des heiligen Thomas. In Indien hielten sich über die Jahrhunderte die Erzählungen vom Wirken des Apostels Thomas.


33

Im Jahre 1623 wurde in Nordwest-China eine Steintafel aus dem Jahre 781 gefunden, die in chinesischer und syrischer Sprache Nachricht gibt von der Ausbreitung des nestorianischen Christentums in China um die Mitte des 7.Jahrhunderts. Der erste Zeuge Christi in China war der Apostel Thomas. Sankt Franz Xavier, der China-Missionar der Neuzeit, schrieb 1546: Viele Leute sagen, dass der Apostel Thomas in China gewesen war. Der Dominikanermönch Caspar da Cruz schrieb: Als ich in dem Lande war, wo der Apostel Thomas den Märtyrertod durch eine Lanze erlitt, nämlich an der indischen Malabarküste, erfuhr ich, dass der Apostel Thomas vorher noch in China gewesen war. Er predigte in China das Evangelium. Er blieb einige Zeit da, sah aber, dass er keine Früchte brachte, ließ drei oder vier Jünger zurück und kehrte wieder an die indische Malabarküste. In der Stadt Kanton sah ich eine Kapelle, in der sich die Figur einer sehr schön gestalteten Frau mit einem Kind auf dem Arm befand. Vor der Statue brannte eine Lampe. Keiner von den chinesischen Götzenpriestern konnte mir erklären, wer diese Frau sei. Es mag ein Bild der Muttergottes gewesen sein, das die alten Christen angefertigt oder das Sankt Thomas dort zurückgelassen hat. Aber die chinesischen Götzenpriester meinten, es könne genauso gut die Guan Yin sein.


34

Am Fuß des Sinai liegt das Kloster der heiligen Katharina von Alexandrien, der Gelehrten, eine Festung Christi im Meer des Islam. Das Kloster der heiligen Katharina ist an der Stelle gebaut worden, wo Moses die Stimme Jahwes aus dem brennenden Dornbusch hörte. Mohammed hat das Kloster einmal besucht und befahl den Wüstenbeduinen, die Mönche in Frieden zu lassen. Das Kloster der griechisch-orthodoxen Kirche enthielt einen wertvollen evangelischen Schatz: Den Codex Sinaiticus, dem neben dem Codex Vatikanus ältesten erhaltenen Manuskript der Bibel.


35

In Arabia Felix lebte die Königin Bilqis, die Königin von Saba. Sie besuchte König Salomo. Die Königin von Saba ist keine Märchenfigur aus den Märchen von Tausend und einer Nacht, ihr Reich Saba lag in Südarabien.


36

Auch in Äthiopien gedenkt man der Königin von Saba. Ich bin schwarz und sehr schön, sagt die Königin von Saba als Sulamith im Liebeslied des Königs Salomo. Zur Zeit des Königs Salomo sind die Juden nach Äthiopien gekommen. Seit jener Zeit nennt sich der Kaiser von Äthiopien: Löwe von Juda! Das Kaiserhaus von Äthiopien gründet auf der Herrschaft der Kaiser von Aksum, die zurückgehen auf Kaiser Menelik den Ersten, den Sohn Salomos und der Königin von Saba. König Salomo verwandte seine ganze Weisheit darauf, Bilqis zu verführen. Er gab ihr ein Gastmahl mit scharfgewürzten Speisen. Als Bilqis müde wurde, bot ihr Salomo an, in seinem Palast zu schlafen. Sie nahm an, aber er müsse sie unberührt lassen. Salomo schwor unter der Bedingung, dass Bilqis nichts von den Kostbarkeiten seines Palastes berühre. In der Nacht bekam Bilqis Durst von der scharfgewürzten Speise. Sie trank ein Glas Wasser. Salomo hatte nicht geschlafen und warf ihr nun vor, dass sie ihren Schwur nicht gehalten. Aber, sprach Bilqis, es war nur ein Glas Wasser. Salomo entgegnete: Wasser ist das Kostbarste auf der Welt. Du hast das Glas Wasser berührt, nun darf auch ich dich berühren. Und so schlief Salomo mit Bilqis, und seine Weisheit war ans Ziel gekommen. Die Frucht dieser Liebesnacht war Menelik, der als Erster Kaiser in Äthiopien den Thron des Löwen von Juda bestieg. Die Kirche von Äthiopien ist überzeugt, im Besitz der Bundeslade zu sein. Sie wird einmal im Jahr in einer feierlichen Prozession zur Anbetung ausgesetzt am Festtag Unserer Lieben Frau von Zion.


37

In der Mitte des vierten Jahrhunderts unternahm ein Philosoph aus Tyros eine Reise in ferne Länder, mit ihm die zwei Jünglinge Frumentius und Aedisius. In einem äthiopischen Hafen wurden sie überfallen, alle Männer auf dem Schiff wurden ermordet. Aber die beiden Jünglinge saßen an Land unter einer Palme und lernten. Man brachte sie zum Kaiser, der sie erziehen ließ. Später reiste Frumentius nach Alexandrien und wurde zum Bischof geweiht. Er kehrte zurück und taufte den Sohn des Kaisers, dieser Ezana wurde der erste christliche Kaiser Äthiopiens.


38

Der Löwe von Juda bewacht die Quellen des Nil. Als der Negus Negesti Kaiser Haile Selassi vor den Truppen des Faschisten-Duce flüchten musste, legte die Kaiserin Zauditu ein Gelübde ab: Wenn Gott dem Kaiser gewährt, nach Äthiopien zurückzukehren, weihe ich meine Krone der Kaiserin von Äthiopien dem Herrn in der Grabeskirche von Jerusalem. Die Kaiserin erfüllte ihr Gelübde.


39

In Malayatoor in Indien hatte sich der heilige Thomas zur Kontemplation zurückgezogen. An der Stelle, wo er zur mystischen Vereinigung mit Gott gelangte, wurde eine Kirche errichtet. Am ersten Sonntag nach Ostern wird hier ein großes Fest gefeiert. Alljährlich strömen Tausende von Pilgern an diesen Wallfahrtsort. Ein Bild zeigt den heiligen Thomas bei der Predigt. An einem schönen Frühlingsmorgen sah Thomas den Brahmanen zu, die im Wasser eines Tempelbeckens rituelle Waschungen vornahmen. Sie sangen ihre Mantren und warfen Wasser in die Luft. Thomas fragte nach dem Sinn dieser Handlung und erfuhr, es sei ein Opfer für die hinduistischen Götter. Thomas lächelte: Euer Opfer scheint den Göttern nicht zu gefallen, da das Wasser wieder auf die Erde fällt. Die Brahmanen fragten: Kannst du machen, dass das Wasser nicht zurück auf die Erde fällt? Thomas sprach: Ja, wenn ihr euch dann taufen lasst. Die Brahmanen stimmten zu. Thomas warf das Wasser in die Luft, rief den Namen Christi Jesu an, das Wasser blieb in der Luft hängen wie kleine glitzernde Diamanten. Einige Brahmanen ließen sich taufen, andere weigerten sich und verfluchten die Stätte, darum heißt der Ort bis heute Chowgat, der Verfluchte Wald. Eines Morgens kam Thomas an einem Berg vorbei, auf dem der Tempel der schwarzen Göttin Kali stand, der schrecklichen Todesgöttin, die blutige Menschenopfer forderte. Die hinduistischen Kalipriester hielten Thomas an: Keiner darf diesen Weg gehen, ohne die Große Mutter Kali zu verehren! Wenn du zu der Göttin betest, werden wir dir leckere Speise reichen. Thomas sprach: Soll ich meine Seele für eine Mahlzeit verkaufen? Aber ich werde zu eurem Tempel gehen, ihr werdet die Göttin fliehen sehen. Als der Apostel Christi dem Tempel nahte, floh die schwarze Göttin aus dem Tempel und der Tempel begann zu brennen. Die hinduistischen Priester gerieten in Zorn, einer ergriff eine Lanze und bohrte sie Thomas ins Herz!


40

Denkmal der Ausbreitung der Leuchtenden Lehre aus Ta-chin über das Reich der Mitte! Diese Steintafel steht in Xian. Ta-chin ist der Ausdruck für den römischen Orient, gemeint ist Syrien. Die Mission in China ward aufgebreitet von einem syrischen Mönch namens O-le-pen. O-le-pen ist die Übersetzung des syrischen Wortes Rabban, was verdolmetscht Meister bedeutet. Als Tai-tsung, der glänzende Kaiser, seine glückliche Regierung in Ruhm und Herrlichkeit begann, indem er erleuchtet und weise über sein Volk herrschte, lebte im Lande Ta-chin ein Mann von großer Tugend namens O-le-pen, der die heiligen Schriften herbeibrachte. Im neunten Jahre Cheng-kuan kam er nach Tschang-an. Der Kaiser sandte seinen Staatsminister Herzog Fang Hsüan-ling an der Spitze einer Eskorte, um den Besucher zu empfangen. Seine Schriften wurden in der Bibliothek von Tschang-an ins Chinesische übersetzt. Als die Lehren in den Privatgemächern geprüft wurden, erkannte der Kaiser ihre Wahrheit und ordnete an, sie sollen gepredigt und verbreitet werden. Wäre der glänzende Kaiser Tai-tsung zum Christentum übergetreten, wäre es von nicht absehbarer Folge gewesen! Doch das Christentum gelangte zur Zeit der Tang-Dynastie zu einer hohen Blüte. In fast allen Städten gab es prächtige Kirchen.


41

Das Licht des Evangeliums erlosch im Reich der Mitte im Jahre 845. Es gab Streit zwischen der buddhistischen und der konfuzianischen Konfession. Der konfuzianische Kaiser Wu Tsung erließ ein Dekret gegen alle ausländischen Religionen. Das Christentum galt als Religion des Kaisers von Byzanz. Chu Tang-shu sagte: Von den Mönchen und Nonnen, die angeklagt wurden, als Ausländer fremde Religionen in China verbreitet zu haben, waren sowohl die Ta-chin (die Christen) wie die Mu-lu-fu (die Anhänger Zarathustras), mehr als dreitausend Personen, gezwungen, wieder ins bürgerliche Leben zurückzukehren und mit dem Verderben der alten Traditionen Chinas aufzuhören.


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Dschingis Khan hatte als Vasallen die Ongut-Türken, die unter dem Einfluß des nestorianischen Christentums standen. Dschingis Khan gab eine seiner Töchter dem Ongut-König zur Frau. Durch die Ongut-Fürsten blieb das Christentum den Mongolenherrschern vertraut, es bewegte sich in der Nähe des Thrones. Mit den erobernden Mongolen kam es so wieder in das Reich der Mitte zurück.


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Der Enkel des Dschingis Khan, der Kaiser Kublai Khan war der Sohn einer nestorianischen Christin, der Prinzessin Sorghaktani, die aus der Mongolei stammte. Kublai Khan selbst war Buddhist, aber äußerst tolerant in religiösen Fragen. Er hat die Nestorianer beschützt und viele Christen an seinen Hof herangezogen. Kublai Khan hatte auch die Gebrüder Polo aus Venedig freundlich empfangen und sie über den christlichen Glauben befragt. Schließlich sandte Kublai Khan die Brüder Polo zum Papst nach Rom mit der Bitte, hundert Missionare des katholischen Glaubens nach China zu senden und Öl von der Lampe des Heiligen Grabes aus Jerusalem mitzubringen. Der Augenblick ging leider ungenutzt vorüber, denn als die Brüder Polo nach Rom kamen, war der Stuhl Petri gerade verwaist, und die Kirche musste zwei Jahre auf einen neuen Nachfolger Petri warten. Leider schickte der neue Papst nur zwei Mönche mit Marco Polo zusammen nach China. Als die beiden Mönche hörten, die Reise ginge nach China, liefen sie ängstlich davon.


44

Hung Wu, der Gründer der Ming-Dynastie, verwarf das Christentum als eine ausländische Lehre, die von den fremden Herrschern der Mongolen begünstigt worden sei. Alle Nachrichten über das Christentum in China verstummten bis zur Ankunft des Jesuitenmissionars Matteo Ricci im Jahre 1605. Sein Nachfolger, der deutsche Jesuitenmissionar Johann Adam Schall von Bell, versuchte, den Kaiser zum Christentum zu bekehren und so eine konstantinische Wende im Reich der Mitte einzuleiten. Auch dies gelang leider nicht.


45

Papst Johannes Paul II. sagte, im ersten Jahrtausend habe Christus Europa erobert, im zweiten Jahrtausend habe Christus Afrika und Amerika erobert, im dritten Jahrtausend werde Christus Indien und China erobern.


46

Ptolemais der Erste Soter bestieg den Thron der Pharaonen. Er und seine Nachfolger holten die Intelligenz nach Alexandria. Der Maler Apelles, der Mathematiker Euklid kamen nach Alexandria. Demetrius von Phaleron begründete die Bibliothek von Alexandria. Ptolemais der Zweite Philadelphos begründete das Musaion, ein Stadtviertel, das der Kunst und der Wissenschaft diente. Er gab auch die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische in Auftrag. In Alexandria lehrte der Mediziner Hippokrates und der Astronom Claudius Ptolemäus, dessen Weltbild bis zu Kopernikus und Galilei galt. Der Pharos von Alexandria, der Leuchtturm, war eines der sieben Weltwunder. Das mazedonische Geschlecht der Ptolemäer hat der Geschichte auch die große Königin Kleopatra geschenkt, die die Dichter immer wieder inspirierte. Der letzte Sproß dieser Dynastie war Kaisarion, der Sohn des Cäsar und der Kleopatra.


47

Im Jahre 43 nach Christus schritten zwei Männer durch Alexandria. Einem riß der Schuh, er ging zum Schuster, der, als er sich an seinem Werkzeug verletzte, ausrief: Gelobt sei Gott! Der Mann mit dem zerrissnen Schuh blieb daraufhin in Alexandria und predigte das Evangelium den Heiden, es war der Evangelist Markus, der erste Bischof von Alexandria. Der andere Mann war der Apostel Petrus, sein väterlicher Freund. Der Vater Petrus ließ Markus in Alexandrien als Bischof zurück und zog als Papst nach Rom. Die Gebeine des heiligen Markus werden in Alexandria verehrt. Zwischenzeitlich verbargen sich die Reliquien des heiligen Markus vor den Muslimen in Venedig, später aber gab der Papst die Reliquien wieder der Kirche von Ägypten.


48

In Alexandria lebte auch Origenes, ein Kenner des Alten Testaments und der Lehren Platons. Er schrieb glänzende Bibelkommentare. Er war der erste, der eine systematische Philosophie des Christentums geschrieben hat. Er hat die christliche Theologie tief beeinflusst.


49

Die heilige Katharina von Alexandria studierte an der Universität von Alexandria. Durch eine Erscheinung der heiligen Jungfrau mit dem Jesuskind bekehrte sie sich zum Christentum. In der Zeit der Christenverfolgung verschaffte sich Katharina Zutritt zum Kaiser. Der Kaiser war von der strahlenden Schönheit der heiligen Katharina so geblendet, dass er sie nicht in Gefängnis warf, sondern ihr erlaubte, ihre Angriffe gegen die ägyptischen Götter vor fünfzig heidnischen Philosophen zu verteidigen. Die heilige Katharina verteidigte den christlichen Glauben mit Zitaten aus der Bibel, Platon und Homer. Die fünfzig heidnischen Philosophen erklärten sich selbst für besiegt. Dennoch wurde sie vom Kaiser dem Martyrium ausgeliefert. Engel trugen ihren unverletzten Leib auf den Sinai. Später erschien die heilige Katharina der Jungfrau von Lothringen, Jeanne d’Arc, und rief sie zur Befreiung Frankreichs und zur Krönung des Königs auf.


50

Du bist also Bischof Cyprian von Karthago, frug der Konsul. Ich bins, sprach Cyprian. Du bist also der Führer dieser frevelhaften Menschen, die sich Christen nennen? Ja, sprach Cyprian. Die göttlichen Kaiser, sprach der Konsul, haben befohlen, dass man sie anbete und ihnen Opfer darbringe. Cyprian sprach: Ich tu es nicht! Der Konsul ermahnte: Denke nach! Cyprian sprach: Tu was du tun musst. Es lohnt sich nicht, in dieser Angelegenheit noch einmal nachzudenken. Der Konsul verkündete: Du hast dich zum Feind der Götter und Gottkaiser Roms gemacht. Darum soll dein Blut bezeugen die Ehre der göttlichen Kaiser und der Götter Roms. Wir befehlen darum, dass Bischof Cyprian von Karthago durch das Schwert zu Tode gebracht werde. Cyprian betete: Gott sei Dank!


51

In Afrika begann durch Augustinus und Tertullian die lateinische Literatur des Christentums. Augustin ist der Erzvater des lateinischen Christentums. In Afrika entstanden die ersten lateinischen Bibelübersetzungen. Mit Augustin gewann das lateinische Christentum eine Genialität, die es dem griechischen Christentum von Byzanz ebenbürtig machte.


52

Im Jahre 830 wurde in Compostela ein geheimnisvolles Grab entdeckt, das als Grab des Apostels Jakobus gilt. Santiago de Compostela ist seit dem neunten Jahrhundert der bedeutendste Wallfahrtsort Europas.


53

Tropfen des Blutes Christi kamen nach England. Als Josef von Arimathia und sein Sohn den Leichnam Christi vom Kreuz abnahmen, floß etwas Blut auf die Brust des Sohnes herab. Josef fing dieses Blut in zwei kleinen Fläschchen auf. Diese Fläschchen nahm Josef mit, als er mit dem Apostel Phillipus nach Gallien ging. Im Jahre 63 segelte Josef mit einer Gruppe von 12 Männern nach England. Sie landeten an der Küste von Wales und wanderten ins Landesinnere, bis sie an den Hof des Königs Arviragus kamen. Der König schenkte ihnen die Insel Glass. Da erschien den Missionaren der Erzengel Gabriel und befahl ihnen, eine Kirche zu Ehren der Jungfrau Maria zu bauen. In dieser Sankt Marien-Kirche ist Josef begraben. Die beiden kostbaren Fläschchen mit dem Blut Christi gab man Josef mit ins Grab.


54

Im irischen Tara feierten die heidnischen Druiden, die Priester der Kelten, das Frühlingsfest. Als sich im Jahre 432 die Häuptlinge unter ihrem König Laoghaire um den Hügel von Tara versammelt und das heilige Feuer der Frühlingsgöttin entzündet, feierte Sankt Patrick mit wenigen Christen in der Nähe das christliche Osterfest der Auferstehung Christi. Er entzündete das Osterfeuer zum Ruhm der siegreichen Sonne der Gerechtigkeit, die aus dem Grab des finsteren Todes auferstanden ist. Sankt Patrick rief: Dieses Feuer Christi wird Irland nicht mehr verlassen! Dieser Heilige hatte den Waffen der heidnischen Häuptlinge nichts entgegenzusetzen als das Wort des Evangeliums. Kriegsrufe erschollen unter den Heiden, aber das Wort des Heiligen Patrick blies die Heiden auseinander. Da luden die heidnischen Häuptlinge den Heiligen und seine kleine Schar von Christen zum Keltenkönig ein, um die Christen durch eine Kriegslist zu besiegen. Aber es kam statt der kleinen Schar von Christen eine Schar von Rehen und statt des heiligen Patrick kam ein Rehkitz mit einem Kreuz auf der Stirn, das war Sankt Patrick. Hundert Jahre später war das Christentum so fest verwurzelt auf der Grünen Insel Irland, dass der Heilige Ruadhan es wagte, einen Fluch gegen alle heidnischen Druiden zu schleudern, die ihren barbarischen Göttern Menschenopfer brachten. Sankt Patrick war im Jahre 390 im Westen der britischen Insel geboren, in Caerwent in Südwales, er ist also keltischer Herkunft. Sein Vater war Diakon der Kirche. Die Spiele seiner Jugend standen unter dem Schutz der Pax Romana. Dann aber zogen die Römer von Britannien ab. Als Patrick sechzehn Jahre zählte, wurde er verschleppt von einem Piraten und über See nach Irland gebracht. Er hat dann als Gefangener die Schafe eines Räubers gehütet, mit sechzig Jahren allerdings hütete er als Hirte die irischen Wollschafe der Herde Christi. Patrick gelang es, dem Räuber zu entfliehen. Auf einem Boot, das irische Wolfshunde nach Britannien brachte, kehrte er in seine Heimat zurück. Aber er hörte den Ruf Christi, den irischen Heiden das Evangelium Christi zu verkünden. Er ging in das Inselkloster Lerinum und besuchte den heiligen Martin von Tours. Dann lebte er beim Bischof Germanus in Auxerre. Dort wurde er selbst zum Bischof geweiht und ging nach Irland. Er besuchte die Könige. Er taufte und weihte Priester, er errichtete Kirchen und gründete Klöster, die später in der Geschichte Europas eine große Rolle spielten wegen der großen Gelehrsamkeit der irischkatholischen Mönche, sie waren die Träger der fränkischen Renaissance. Als Sankt Patrick im Jahre 461 starb, war er sehr beliebt bei den Iren. Irland, die Grüne Insel der Göttin Eire, das Land der zarten Poesie, der Stürme und der sanften Farben, war zu einem christlichen Land geworden.


55

Der Heilige Brendan war Anfang des sechsten Jahrhunderts in der Grafschaft Kerry geboren. Er trat ins Kloster Clonard in Meath ein. In der Zeit, da der heilige Columba das Kloster Iona an der Westküste Schottlands gründete, segelte Sankt Brendan mit drei Freunden nach den Hebrideninseln. Aber im Kopf dieses Heiligen spukte das alte Seemannsgarn. Unter den irischen Seefahrern war immer das Raunen umgegangen von einer großen Insel im Westen. Sankt Brendan war überzeugt, dass diese grüne Insel im fernen Westen der Garten Eden sei, so wie es auch später Kolumbus glaubte. So machte sich Sankt Brendan eines Tages auf, mit einer kleinen Schar von Gefährten, das Paradies zu suchen. Die erste Fahrt war ein Misserfolg, sein Abt tadelte ihn seiner Neugier wegen. Aber Sankt Brendan ging erneut auf große Fahrt. Nach vielen Abenteuern entdeckten die Mönche eine kleine Insel, sie gingen an Land. Aber das Land begann sich zu bewegen, es war ein Walfisch. Der Walfisch pries den Herrn und erlaubte den Mönchen, auf seinem Rücken die Heilige Messe zu feiern. Eines Tages nahm der Walfisch die Mönche mit und brachte sie zu der großen grünen Insel im fernen Westen. Und wie heißt heute diese Insel? Sie ist benannt nach dem Bruder der Venus Medici und heißt Amerika. So kam Christus nach Amerika.


56

Die Schlacht im Teuteburger Wald hat die Germanen davor bewahrt, unter römische Herrschaft zu geraten. Hätte Herrmann der Cherusker dieser Schlacht verloren, wäre Deutschland fünfhundert Jahre früher christlich geworden! So gute katholische Christen die Deutschen im Mittelalter waren, dieses halbe Jahrtausend römischer Zivilisation fehlte ihnen.


57

Engel des Vaterlands, heiliger Bonifatius, sei gegrüßt! Sankt Bonifatius, Apostel der Deutschen, stammte aus England, wo er im siebten Jahrhundert in Wessex geboren. Er hieß eigentlich Winfried. Seine erste Missionsreise führte ihn ins freie Friesland, dann ging er nach Rom und gewann das Vertrauen des Papstes, der Winfried den neuen Namen gab: Bonifatius, das heißt: Gutes Schicksal! Der Papst sandte Bonifatius als Apostel nach Deutschland. Er begann in Thüringen. Er wirkte dann in Hessen. Bei Fritzlar in Hessen fällte Bonifatius die heilige Eiche des germanischen Gottes Thor! Thor musste ohnmächtig zusehen. Mit der heiligen Eiche stürzte auch der heidnische Götterglauben der Germanen zusammen. Bonifatius gründete ein Kloster zu Fritzlar. Am liebsten war ihm die Klostergründung zu Fulda. Aus England kam die heilige Walburga, die treue Weggenossin des heiligen Bonifatius. Mitteldeutschland wurde christlich. Auf Anraten Bonifatius wandte sich die päpstliche Politik von kaiserlichen Machtzentrum in Byzanz zum neuen kaiserlichen Machtzentrum im fränkischen Reich. Bonifazius organisierte die Kirche in Bayern, Salzburg, Freising, Regensburg und Passau. In Mainz auf einer gesamtfränkischen Synode schworen alle deutschen Bischöfe dem Papst den Treue-Eid. Bonifatius und später der Papst salbten Pippin zum König. Von Mainz brach Bonifatius auf, die Friesen zu Christus zu bekehren. Eala Freya Fresena, es lebe das freie Friesland! Der Häuptling der Friesen, Radbod, weigerte sich der Taufe. Bei Dokkum in Friesland ward Bonifatius von Friesen ermordet. O Christus, du hast den heiligen Bonifatius, den Apostel Deutschlands, des Martyriums in Friesland für würdig befunden!


58

Sankt Ludger in Begleitung seines heiligen Schwans schwamm zur Insel Helgoland, dem Hauptheiligtum der germanischen Friesen, wo sie den Gott Forsete verehrten. Sankt Ludger heilte den blinden Bernlef von seiner Blindheit, worauf der getaufte Barde Bernlef die Psalmen Davids ins Friesische übertrug.


59

Willibrord, der Jünger des irischen Bischofs Wilfried, setzte Wilfrieds Werk der Friesenmission fort. Willibrord unternahm von Utrecht aus die Missionsreisen ins heidnische Friesland. Es gab unter den Friesen einzelne Bekehrungen, aber es gelang nicht, das ganze Volk der Friesen zu einem christlichen Volk zu bekehren. Pippin von Heristal, Hausmeier des gesamten Frankenreichs, dehnte seine Herrschaft auf das christliche Südfriesland aus. Er sandte Willibrord nach Rom zum Papst und bat den Papst, Willibrord zum Bischof von Friesland zu weihen. Der Papst konsekrierte den heiligen Willibrord zum Erzbischof von Friesland. Heiliger Willibrord, Apostel des Friesen, fünfzig Jahre wirktest du unter den Friesen, bis du um Jahre 738 gestorben bist. Der Apostel der Friesen ward am siebenten November im Himmel geboren!


60

Sophia spricht: „Durch mich regieren die Könige!“


AVE CRUX SPES UNICA


1

Von den Gnaden will ich erzählen, von den schweren Gnaden. Maria hat einmal in Deutschland gesagt: Meinen Kindern lege ich Kreuze auf, weil ich sie in meinem Sohn liebe, dem Gekreuzigten, ich lege meinen Kindern Kreuze auf, schwer wie die Berge, tief wie das Meer. Aber ich beginne den Bericht mit der Buße. Ich empfing das Bußsakrament, das Sakrament der Versöhnung mit Gott am Tag, da im kirchlichen Kalender die Geburt Mariens gefeiert wird. Ich bekannte dem Herrn meine Sünden, der Herr gab mir Weisungen und tilgte alle meine Schuld mit der Gnade seines kostbaren Blutes. Am Abend sprach der Herr zu mir, wie zu dem Gelähmten, den man durch das Dach herab zum Heiland ließ: Steh auf, deine Sünden sind dir vergeben. Und am nächsten Tag sprach der Heilige Geist in der Liturgie der Kirche mit den Worten des Apostels Paulus davon, dass ich gereinigt und geheiligt sei. Wie passend, diese Reinigung am Feiertag der Geburt Mariens zu feiern, die der Herr ja aus reiner Gnade vor jedem Makel der Sünde bewahrt hat vom Augenblick ihrer Empfängnis an. Der Herr lud mich ein, mich mit dem Vaternamen Gottes zu versöhnen, indem ich nicht meines Zeugers gedenke, sondern mir den Heiligen Vater Johannes Paul zum Vorbild nehme und betrachte, wie ein Adlervater zu seinem Adlerjungen ist. Der Herr bat mich, im Evangelium zu betrachten, wie Jesus von Nazareth mit den Ungeliebten umgegangen sei, mit den Aussätzigen, mit den Blinden, mit den Kopfsteuereintreibern. Und ich sah, er rief gerade die Ungeliebten in seine Nachfolge: Er heilte sie, nahm sie an und nahm sie in seine Jüngerfamilie auf. Ich trat aus der Kirche und sah die Madonna, zuerst als schwarze Jungfrau von Guadelupe allein und dann als Sixtinische Madonna mit dem Jesuskind, dann sah ich den Heiligen Vater Johannes Paulus, der mich liebevoll anlächelte. Ich hatte bekannt meinen Entschluß, jungfräulich für das Himmelreich zu leben. Die Geschichte dieses Entschlusses ist eine Geschichte von sieben Jahren. Zuerst rief mich der Herr durch das Wort an Jeremia: Du sollst dir keine Frau nehmen und keine Söhne und Töchter zeugen an diesem Ort. Dann bat ich Gott um das Charisma der Ehelosigkeit. Dann verlobte ich mich am fünften August des Jahres 2001 mit der Jungfrau Maria in Lourdes, dann sprach der Heilige Geist in der Adventsliturgie zu mir: Fürchte dich nicht, Josef, du Sohn Davids, deine Verlobte Maria zu dir zu nehmen! Dann sprach mich das Wort im Propheten Hosea an: Ich schließe einen Bund der Ehe mit dir, und als Brautgeschenk schenk ich dir meine Barmherzigkeit und Treue, und du wirst den Herrn erkennen. Das war mir ein Wort der mystischen Ehe mit der göttlichen Weisheit, der Hagia Sophia. Denn es schrieb der glühendste Marienverehrer des Barock, Sankt Grignion von Montfort: Die Ehe mit der Ewigen Weisheit ist eine geistliche, aber wirkliche Ehe. Aber die Kinder der Welt werden das niemals verstehen. Schließlich hörte ich den Pfingstgottesdienst von Papst Benedikt: Die zur Ehe berufen sind, sind dazu berufen, die Treue Gottes in der Ehe wiederzuspiegeln, und die zur Ehelosigkeit berufen sind, sind dazu berufen, die Treue Gottes in ihrer Gottes-Ehe unmittelbar zu leben. Als ich das hörte, wusste ich, ich bin zur Ehelosigkeit berufen. Dann hörte ich noch Papst Benedikt den Wunsch aussprechen, man möge den Mut fassen für eine lebenslange Entscheidung, entweder zur unauflöslichen Ehe oder zum Zölibat. Da fällte ich schließlich die Entscheidung, jungfräulich für das Himmelreich zu leben mein ganzes irdisches Leben. Ein benediktinischer Seelsorger gab mir den Rat, die Ehelosigkeit für Gott als eine mystische Ehe mit Maria zu leben. Dies also war das Sakrament der Versöhnung mit Gott.

2

Im Geist begleitete ich den Heiligen Vater Benedikt auf seiner Wallfahrt nach Lourdes. Zuerst sah ich den Papst in der schönen Kirche auf der Isle de Paris, Notre Dame de Paris. Ich hätte dies gern meinen Herzenskindern Midda und Jedidja gezeigt, denn sie sprechen oft von der heiligen Notre Dame. Die Kirche war ganz voll des goldenen Lichtes, und ich hörte den weisen Papst sprechen vor den Gottgeweihten den Lobpreis des Wortes Gottes. Er lud die Priester ein, die Weisheit Gottes, die sich im Wort Gottes offenbart, zur Freundin und Gefährtin ihres Lebens zu erwählen. Da erwählte auch ich wieder die Ewige Weisheit, die sich in der Heiligen Schrift offenbart, zu meiner Freundin und Lebensgenossin und zu meiner Trösterin in den Zeiten der Traurigkeit. Dann trat der Papst auf den Platz vor der Kirche Notre Dame, der Platz ist benannt nach dem Heiligen Vater Johannes Paulus dem Großen. Dort rief der Papst dazu auf, das Kreuz zu verehren. Er sprach von der wahren Weisheit Gottes, die sich in Christus dem Gekreuzigten offenbart. Er vertraute den Jugendlichen Frankreichs zwei Gaben an, das Kreuz und den Heiligen Geist, darin werden sie erkennen die Schönheit der Weisheit Gottes. Da pries ich die Schönheit der göttlichen Weisheit und verliebte mich in die Schönheit der göttlichen Weisheit. Die Jugendlichen beteten in einer Vigil für den Papst und den Frieden der Menschheit. Am nächsten Morgen sah ich die Heilige Messe gefeiert werden vor dem Grab Napoleons. Der Papst ermahnte die Franzosen und die ganze Welt, sich von den Götzen abzuwenden und sich dem lebendigen Gott zuzuwenden, der sich im Allerheiligsten Altarsakrament offenbare und hingebe. Dann sah ich den Heiligen Vater in Lourdes. Es wurde gefeiert das Fest der Sieben Schmerzen Unserer Lieben Frau Maria. Aber was verkündete der Heilige Vater? Nein, er malte kein gotisches Gemälde einer Schmerzensmutter mit sieben Schwertern im Herzen, sondern er sprach wie Marthe Robin: Es ist vor allem ihr Lächeln, das ich sehe! Eine geraume Zeit lang predigte der Papst über das Lächeln Mariens. Er malte es mit Worten vor die Augen meines Geistes. Er zitierte den fünfundvierzigsten Psalm, in dem es heißt: Die Edlen suchen dein Lächeln! Nicht nur die Kinder und alle Kleinen suchen das Lächeln der Madonna, sondern die Edlen suchen ihr Lächeln, die Weisen, die Gerechten und die Heiligen suchen das Lächeln Mariens. Es sind die Weisen und Heiligen, die wissen, dass ein geduldig und wenn möglich freudig ertragenes Leid der Weg zur Vereinigung mit Christus dem Bräutigam ist, der Weg zur mystischen Gottes-Ehe, dies wissen schon die Weisen, und dennoch suchen sie vor allem Mariens Lächeln. Wie wunderbar, gerade diese Botschaft vom Heiligen Vater in Lourdes zu hören. Denn ich war selbst einmal in Lourdes und betete abseits dem großen Pilgerstrom und suchte vor allem die Madonna als Minnedame und mystische Braut. Da ging ich auf Knieen den Kreuzweg Christi, und als ich an der Grabhöhle des Herrn vorüber war, sah ich die Pieta von Michelangelo und sah vor allem ihren Mund, ihr Lächeln, ihre lieben Lippen! Und da ich den Mund der Madonna sah, wurden meine Kniee schwach und ich sank in Verzückung nieder und war überwältigt von der Schönheit des Mundes der Madonna! Welcher Mund! Welches ruhende Lächeln! Welcher sprechender Kuß! Und so ertragen Marien Söhne es gerne, wenn sie selbst, der Mutter gleich, sieben Schwerter in ihrer Seele stecken haben, sie ertragen es gern, mitgekreuzigt zu werden mit Christus dem Bräutigam, wenn sie nur das Lächeln Mariens sehen, dieses liebliche Lächeln der ewigen Liebe! Dann feierte ich gemeinsam mit dem Nachfolger des heiligen Petrus die Anbetung des eucharistischen Christus. Der Papst kniete vor seinem Herrn und Gott, vor Jesus, dem Christus, dem Sohn des lebendigen Gottes. Und ich kniete vor dem Allerheiligsten Altarsakrament und sah in der weißen Hostie in einer Vision den Himmel. Es war, als wäre der ganze Himmel in dieser Hostie, in diesem Herzen Christi. Ich sah die Madonna von Lourdes, die Immaculata, und sah den heiligen Vater Johannes Paulus den Großen im weißen Gewand des Bischofs von Rom vor ihr knieen und ihr die Hände küssen. Dann sah ich die Madonna von Lourdes allein in der Hostie in ihrer femininen Himmelsschönheit, Gnaden ausspendend. Dann sah ich die Madonna mit dem Jesuskind auf dem Schoß, und zwar gerade so, wie in der Ikone der Sedes Sapientiae. Maria war Sedes Sapientiae, Thron der Weisheit, Sitz der Weisheit, Wohnung der Weisheit, und Jesus war Sapientia, die göttliche Weisheit, die ewige Weisheit, meine Herrin Hagia Sophia, menschgeworden in Jesus! Und da erkannte ich wieder, dass die Hostie für mich die Sapientia sein will, und ich betete an die göttliche Weisheit auf dem Thron Mariens!


3

Ich sah das heilige Antlitz Christi, das Grabtuch von Turin. Es wurde genauestens untersucht von den Wissenschaftlern, aber die Wissenschaft musste bekennen: Die Vernunft allein kann das Mysterium nicht ergründen, es muß der Glaube hinzukommen. Mit den Augen des Glaubens aber sah ich den Leib Jesu, wie er blutig gepeitscht war von den Lederpeitschen mit den Eisenkugeln, wie die Nägel ihm durch die Handgelenke getrieben worden waren, wie die Dornen seiner Dornenkrone sich in die Stirn gebohrt hatten, dass Blut über seine Stirn rann. Der ganze Körper war bedeckt mit Blutstropfen des kostbaren Blutes. Dann sah ich in einem Gesicht die Grabeshöhle Jesu, der Leichnam Christi lag auf einer Steinplatte. Die heiligen Marien waren da, den Toten zu salben für das Begräbnis. Ich sah die heilige Mutter Maria im schwarzen Kleid und mit schwarzem Schleier. Ihr Antlitz war blass, umrahmt von schwarzem Haar, die Augen schwarz und von tragischem Ernst erfüllt. Sie salbte den Leichnam ihres Sohnes. Dann sah ich in einem Gesicht einen Lichtstrahl vom Himmel in die Grabeshöhle dringen und das Licht des Heiligen Geistes den Leichnam Jesu beleben und verwandeln zu einem pneumatischen Auferstehungskörper. Der auferstandene Christus erhob sich vom Tod! Halleluja, Jesus ist auferstanden! Halleluja, er ist wahrhaftig auferstanden!


4

Erste Ode.

Morgens sprach der Heilige Vater weise:
All die edlen Seelen und weisen Herzen
Suchen doch nichts anderes als das süße
                  Lächeln Mariens!

Amen! rief ich, jubelte selig, aber
Gleich ergriff mich schmachtende Sehnsucht, heute
Anzuschaun das Lächeln Madonnas, nämlich
                  Evelins Lächeln!


Zwote Ode.

Wie im paradiesischen Garten schaute
Ich den kleinen kindlichen Jesus Christus,
In dem Apfelbaume des Gartens Eden
                  Speisen den Apfel.

In dem paradiesischen Garten Eden,
In den Apfelbäumen mit grünen Kronen
Schien des Lichtes Glorie wie die Sonne
                  Herrlichen Glanzes.

Dann sah ich den kindlichen Jesus Christus
Auf dem Schoß der heiligen Mutter thronen,
Und Maria barg in dem blauen Mantel
                  Jesus, ihr Schoßkind.

Ja, der blaue Schutzmantel der Madonna
War wie die Gebärmutter der Madonna,
Jesus wie ein Embryo der Madonna
                  In ihr geborgen.


Dritte Ode.

Sechzig Königinnen sind Salomonis,
Achtzig Konkubinen sind Salomonis,
Eine seine Taube ist, seine Reine:
                  Jungfrau Maria!

Meine Liebestaube im Tannenwipfel,
Gurre Mutterworte voll Muttertrostes,
Rausche mit des Heiligen Geistes Schwingen
                  Über mir, Liebe!

Schau, ein Chor jungfräulicher Mädchenstimmen
Sang des Jacopone da Todi Hymne
Stabat Mater, feiernd die sieben Schmerzen
                  Unserer Mutter.

Unter den Gesängen der weisen Jungfraun
Las ich in dem Hohenlied Salomonis.
Als Geliebter lag ich gebettet an den
                  Brüsten Mariens!

Als Geliebter lag ich gebettet an den
Brüsten der Madonna und ruht am Herzen
Meiner Vielgeliebten mit süßen Schmerzen,
                  Elend vor Liebe!


5

Es sprach zu mir der Prophet Jussuf von Theben: Nur Klein-Ritterherz kann dich jetzt noch trösten! Da kam Klein-Ritterherz zu mir. Jesus sprach: Wer eines dieser Kinder in meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf! So wusste ich also, mit Klein-Ritterherz kam der Kleine Jesus zu mir! Und wahrlich, mir ward ein wundersüßer Trost: Am Sonntagmorgen zeigte mir der Kleine Jesus den Morgenstern. Es war aufgegangen der Morgenstern in meinem Herzen. Der Kleine Jesus sprach: Ich bin der brillante Morgenstern. Und ich sah die Regionen der Venussphäre des Paradieses und maß den Morgenstern aus, den dritten Himmel. Dort sah ich die schöne Landschaft Aphrodite Terra, da meine himmlische Wohnung meines Vaterhauses sich befand. Es war mir, als sähe ich die Venus von Urbino auf einem Bette liegen, als schwebte die Venus Medici herbei, als stünde dort die nackte Eva am Apfelbaum, ganz wie Albrecht Dürer sie geschaut. Aphrodite Terra lag im Osten des Morgensternes und maß 25000 Ellen in der Länge und 10000 Ellen in der Breite. Im Süden befand sich die Ortschaft Helena, die regiert wurde von der schönen Helena von Sparta. Dort sah ich die paradiesische Wohnung meiner lieben Herrin Haura. Sie lebte dort in einer Wohnung, die vom Architekten Christus errichtet worden nach den Gesetzen der Salomonischen Architektur der Hagia Sophia, umgeben von einem Garten, der dem Garten Eden glich. Dort lebte meine Herrin Haura mit dem kleinen Prophetensohn Jaschub. Zwischen der Ortschaft Aphrodite Terra und der Ortschaft Helena befand sich die Ortschaft Leda, da die Dioskuren sich befanden, Midda und Jedidja. Wir gestalteten unsere Wohnungen des Paradieses und unsere Gärten des Paradieses in kreativer Arbeit ohne Schweiß des Angesichtes, allein um unsere Wohnungen im himmlischen Vaterhaus für die himmlischen Besucher zu schmücken. Denn der eine wird die andere einladen unter seinen Weinstock, und die andere wird den einen einladen unter ihren Feigenbaum. Die Ortschaft Helena war etwas kleiner als die Ortschaft Aphrodite Terra, allein weil ich mir durch mehr Sühnopfer mehr Gnaden erworben, aber den Anteil der Gnaden verteilte die Jungfrau Maria so gerecht, dass auch Haura und die glückseligen unschuldigen Kindlein im Paradiese unaussprechliche Wonnen erfuhren. Über allen unseren Ortschaften aber im Zentrum des Morgensternes lag die gewaltige Tempelanlage Mariam Corona, die Krone der Jungfrau Maria, denn Maria war die Königin und der Tempel des Morgensternes. Dieser Tempel war ganz von Zedern- und Zypressenholz und unbehauenen Steinen, alles mit Gold überkleidet. Die Seraphim und Cherubim wohnten dort mit ihr und der besondere Engel Chaniel, der Schutzengel des Morgensternes. Die gewaltige Tempelanlage erschien von außen wie aus weißem Marmor, und allmorgendlich trat die himmlische Madonna auf ihren schneeweißen Balkon, uns Audienz gewährend. Dann trat ich vor ihren Balkon und sang ihr einen marianischen Minnesang, den ich in der Nacht beim Wein vom Hochzeitsfest zu Kana ersonnen hatte. Das Lächeln der Madonna begleitete meine Glückseligkeit von Tag zu Tag. Und von Lied zu Lied ward das Lächeln der Madonna schöner und süßer, so dass man es nicht mehr in Worte fassen kann. Aber um die ganze Tempelanlage Mariam Corona befand sich der Rosengarten der Madonna, und in dem Rosengarten der Madonna lebte als die Gärtnerin der Madonna meine unsterbliche Großmutter. Ich versammelte mich jeden Sonntag bei ihr zum Abendmahl. Dies zeigte mir der Kleine Jesus und wiederholte sein Wort der Geheimen Offenbarung: Ich bin der brillante Morgenstern! Wer überwindet, dem schenke ich den Morgenstern!





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