[Inhalt]

CHINESISCHE LYRIK
 
Nachdichtungen von Peter Torstein Schwanke
 
 
Zum Vorwort:
Der Meister, dem alles Leiden fremd war, so heilig war sein Geist, ward von einer blühenden Lotosjungfrau in die Welt des roten Staubes geboren. Er wanderte zum Knochenberg, da das Rohholz auf ihn wartete. Da ward an ihm der Satz „Das Leben ist Leiden“ wahr. In jenem Augenblick ward er zum roten Pfirsich der Unsterblichkeit. Aus ihm strömte Wein hervor. Der Meister aber stieg auf einem Gelben Kranich in den Himmlischen Garten auf, wo sein Licht die Jadestadt erleuchtet, die Phönixstadt am Ende der Milchstraße. Seine Schüler gedenken seines Leidens bei einem Körnchen Reis und einem Fingerhut voll Wein, wenn sie in der Einsamkeit das Tao hören. Mögen wir einswerden im Atem des Lebens, durch den Tao-Meister, mit dem Unendlich-Schöpferischen!
Shi Tuo-Tang.
 
 
AUS DEM BUCH DER LIEDER
S H I - J I N G
 
I
 
Guan, Guan! die Vögel auf der Insel schrein,
So wunderschön und keusch die Jungfrau fein,
Sie wäre gute Braut dem lieben Herrn.
 
Da, links und rechts, die Wasserpflanze lang,
Die Jungfrau ist gemütvoll, leis und bang,
Der liebe Herr sucht sie im Traume fern.
 
Der Herr, den ganzen Tag vor Sehnsucht schmelzend,
So lang die Nacht, so lang die Nacht sich wälzend!
Voll Unruh schaut er auf zum Hirtenstern.
 
Da, links und rechts, die Wasserpflanze lugend,
Gesittet ist die Jungfrau, voller Tugend.
O Harfe, seufz ihr in die Seele scheu!
 
Da, links und rechts, die Wasserpflanze lugend,
Anständig ist die Jungfrau, voller Tugend.
O goldnes Glockenspiel, ihr Herz erfreu!
 
 
II
 
Wie breitet sich die Pflanze schlingend,
Die Blätter üppig überschäumen.
Es kommt der Gelbe Vogel singend,
Die Vögel sammeln auf den Bäumen
Gesellig zwitschernd sich im Tal,
In dichten Kronen ohne Zahl.
 
Schlingpflanze, weit bist du geflochten,
Viel Blätter grün und schimmernd scheinen,
Die wir geschnitten, die wir kochten
Zu grobem Leinen, feinem Leinen.
Im Tale tragen wir im Stillen
Das Leinen ohne Widerwillen.
 
Ich sag der Meisterin, ich sag,
Ich kehr zurück; ich werde waschen
Das Unterkleid am nächsten Tag
Und oberen Gewandes Maschen.
Ich kehr zurück, um Gottes Frieden
Vater und Mutter zu entbieten.
 
 
 
III
 
Ich pflücke das grüne Mausohr, oh, oh,
Es füllt nicht den Weidenkorb, den schrägen.
(Ich seufze nach deiner Liebe Segen.)
Ich setzt ihn dort auf die Straße von Zhou.
 
Ich steig auf die Anhöhen, auf die schroffen,
Alle meine Pferde ermüden.
Ausschenk ich Reiswein aus dem Süden.
(Ach, dächt ich an ihn nicht, ewig betroffen...)
 
Ich steig auf den Felsen, die Pferde sind lahm.
Der Kutscher ist krank, der arme Knecht.
Betrübt, betrübt bin ich mehr als recht.
(Ich sehe nicht meinen Bräutigam.)
 
 
IV
 
Im Süden hängen Zweige von den Bäumen,
Bohne und Kletterwein umranken sie.
Froh sei der Herr,
Glück möge ihn befriedigen, und wie!
 
Im Süden hängen Zweige von den Bäumen,
Bohne und Kletterwein bedecken sie.
Froh sei der Herr,
Glück mög ihm eine Stütze sein, und wie!
 
Im Süden hängen Zweige von den Bäumen,
Bohne und Kletterwein umgeben sie.
Froh sei der Herr,
Glück mach ihn zum Vollkommenen, und wie!
 
 
V
 
Heuschreckenflügel massenhaft, einträchtig,
Oh, deine Söhne mögen zahlreich sein!
 
Heuschreckenflügel, volle Schwärme prächtig,
Oh, deine Söhne sollen viele sein!
 
Heuschreckenflügel zahlreich, fast verdächtig,
Oh, deine Söhne sollen ewig sein!
 
 
VI
 
Der Pfirsichbaum ist zart und schön,
Hell leuchtend ist das Blütenkleid.
Ich hab die junge Braut gesehn
Im Haus des Bräutigams,
Sie macht den Haushalt sich bereit.
 
Der Pfirsichbaum ist zart und schön,
Und frisch die Früchte sind zum Essen.
Ich hab die junge Braut gesehn
Im Haus des Bräutigams,
Sie macht den Haushalt angemessen.
 
Der Pfirsichbaum ist zart und schön,
Und üppig reich die Blätter sind.
Ich hab die junge Braut gesehn
Im Haus des Bräutigams,
Sie unterwies schon ihr Gesind.
 
 
VII
 
Man schlägt fürs Hasennetz die Pflöcke ein,
Und peng-peng schallt das Klopfen laut darein.
Dem Herzog ist der Krieger ein Beschützer.
 
Man schlägt fürs Hasennetz die Pflöcke ein,
Die Wagenspuren kreuzen sich beim Hain.
Dem Herzog ist der Krieger ein Gefährte.
 
Man schlägt fürs Hasennetz die Pflöcke ein,
Es soll ja mitten in dem Walde sein.
Dem Herzog ist der Krieger ein Vertrauter.
 
 
VIII
 
Rupfen wir den Wegerich,
Ja, dann rupfen wir ihn dort.
Rupfen wir den Wegerich,
Ja, dann fassen wir ihn dort.
 
Rupfen wir den Wegerich,
Ja, dann pflücken wir ihn dort.
Rupfen wir den Wegerich,
Ja, dann sammeln wir ihn dort.
 
Rupfen wir den Wegerich,
Tun wir ihn in eine Decke.
Rupfen wir den Wegerich,
Stecken wir ihn in die Röcke.
 
 
IX
 
Im Süden gibt es hohe Bäume,
Man kann darunter nimmer rasten.
Am Han-Fluß Mädchen gehn wie Träume,
Man kann sie küssen nicht und tasten.
 
Han-Fluß:
Hinüberwaten bringt Gefahren.
Jiang-Strom:
Wer kann ihn mit dem Floß befahren?
 
Gestapelt ist das Holz des Stamms,
Wir schneiden Dornen von der Erde.
Geh, Braut, ins Haus des Bräutigams,
Wir füttern dir die edlen Pferde.
 
Han-Fluß:
Hinüberwaten bringt Gefahren.
Jiang-Strom:
Wer kann ihn mit dem Floß befahren?
 
Gestapelt ist das Holz des Stamms,
Schafgarbe gehen wir zu holen.
Geh, Braut, ins Haus des Bräutigams,
Wir füttern dir die edlen Fohlen.
 
Han-Fluß:
Hinüberwaten bringt Gefahren.
Jiang-Strom:
Wer kann ihn mit dem Floß befahren?
 
 
X
 
Ich gehe die Böschung des Ru-Flusses lang,
Ich schneide dir Zweige und Ruten.
Da ich nach dem Bräutigam so sehr verlang,
Da muß mir die Seele verbluten!
 
Ich gehe die Böschung des Ru-Flusses gern,
Ich schneide die Zweige und Triebe.
Wie, wenn ich den Bräutigam sehe, den Herrn,
Der Liebste verschmäht meine Liebe?
 
Dem Karpfen vor Bangen verblutet der Schwanz,
Des Königs Gemach geht zugrunde.
Und dennoch sind Vater und Mutter mir ganz
Nah diese entscheidende Stunde.
 
 
XI
 
Einhornhufe...
Herzogssohn, gebietend Ehrfurcht...
Wehe, Einhorn!
 
Einhornscheitel...
Herzogsstamm, gebietend Ehrfurcht...
Wehe, Einhorn!
 
Einhornstirne...
Herzogssohn, gebietend Ehrfurcht...
Wehe, Einhorn!
 
 
XII
 
Die Elster hat ihr Nest gebaut,
Die Turteltaube wohnt darin.
Zum Herrn ins Zimmer geht die Braut,
Die Wagen ihr entgegen ziehn.
 
Die Elster hat ihr Nest gebaut,
Die Turteltaube sitzt da heiter.
Zum Herrn ins Zimmer geht die Braut,
Einhundert Wagen sind Begleiter.
 
Die Elster hat ihr Nest gebaut,
Die Turteltaube ruht drin hold.
Zum Herrn ins Zimmer geht die Braut,
Man bringt die Seide und das Gold.
 
 
XIII
 
Wo sammelt sie die Beifußblätter?
Auf Stromes Inseln und an Teichen.
Und wo gebraucht sie ihn? Bei Opfern
In Herzog- und in Fürstenreichen.
 
Wo sammelt sie die Beifußblätter?
Im Tal des Stromes bei den Bäumen.
Und wo gebraucht sie sie? Im Herzogs-
Palast in Seidenraupenräumen.
 
Das Kleid ist reich verziert, und frühe
Und spät kniet sie vorm Herzog nieder.
Der Kopfputz ist verziert, und später
Die Jungfrau kehrt nach Hause wieder.
 
 
XIV
 
Im Grase schwirrn Insektenflügel,
Heuschrecken hüpfen auf dem Hügel.
Ich hab den Herrn noch nicht gesehn,
Darum im Herz mir Trauer quillt.
Doch habe ich den Herrn gesehn,
Da wird mein armes Herz gestillt.
 
Den Südberg habe ich bestiegen,
Den Adlerfarn seh ich sich biegen.
Ich hab den Herrn noch nicht gesehn,
Vor Trübsal ist mein Herz verrückt.
Doch habe ich den Herrn gesehn,
Dann ist mein armes Herz entzückt.
 
Den Südberg habe ich bestiegen,
Ich seh die weiße Wicke fliegen.
Ich hab den Herrn noch nicht gesehn,
Mein Herz ist darum voller Trauer.
Doch habe ich den Herrn gesehn,
Dann kommt mich an ein Freudenschauer.
 
 
XV
 
Wo sammelt sie den grünen Kleefarn?
Im Stromtal südlich tut der sprießen.
Wo sammelt sie die grünen Algen?
An jenen Bächen, welche fließen.
 
Wo füllt sie alles das hinein?
In Weidenkörbe hoch und rund.
Und worin kocht sie alles das?
In Dreifußkesseln Viertelstund.
 
Wo bringt sie alles das zum Opfer?
Vorm Fenster in dem Ahnenraum.
Wer übt die Aufsicht aus? Ein Mädchen,
Ehrfürchtig, jung und schön wie Traum.
 
 
XVI
 
Den süßen Birnbaum zier,
Zerhack und fäll ihn nicht,
Graf Schao, er döste hier.
 
Den süßen Birnbaum zier,
Du richt ihn nicht zugrund,
Graf Schao, er ruhte hier.
 
Den süßen Birnbaum zier,
Zerhack und knick ihn nicht,
Graf Schao, er träumte hier.
 
 
XVII
 
Funkelnd und feucht ist der Tau auf der Straße,
Ist es nicht abends und frühmorgens so?
Immer ist funkelnder Tau auf der Straße...
 
Wer sagt, der Sperling habe keinen Schnabel?
Wie kann er meine Zimmerwand durchbohren?
Wer sagt, du seiest ohne reiche Eltern?
Wie hab ich den Prozeß denn dann verloren?
 
Wer sagt, die Ratte habe keine Zähne?
Wie kann sie meine Zimmerwand durchdringen?
Wer sagt, du seiest ohne reiche Eltern?
Wie würde sonst mich auch ein Richter zwingen?
 
 
XVIII
 
Auf dem Lammfell ungefärbte Seide,
Zwanzigfädige Litzen.
Artig ziehn sie sich vom Hof zurück,
Um beim Essen zu sitzen.
 
Auf dem Lammfell ungefärbte Seide,
Achtzigfädige Litzen.
Artig ziehn sie sich zum Mahl zurück,
Wo gehorsam sie sitzen.
 
 
XIX
 
Wildes Donnergrollen nun,
An des Südbergs Sonnenseite.
Warum zogst du in die Weite,
Ohne etwas auszuruhn?
Herr! voll Ehrfurcht fall ich nieder:
Kehre wieder, kehre wieder!
 
Donnergrollen laut und wild
An des Südbergs Sonnenhang.
Warum gingest du so lang
Ohne Rast durch das Gefild?
Herr! voll Ehrfurcht fall ich nieder:
Kehre wieder, kehre wieder!
 
Laute Donnerstürme heulen
An dem Fuß des Südbergs dort.
Warum gingst du so weit fort,
Ohne ruhend zu verweilen?
Herr! voll Ehrfurcht fall ich nieder:
Kehre wieder, kehre wieder!
 
 
XX
 
Man schüttelt und rüttelt den Pflaumenbaum,
Der Früchte sind sieben.
Es suchen verschiedene Herren mich,
Sie sollen mich lieben!
 
Man schüttelt und rüttelt den Pflaumenbaum,
Der Früchte sind drei.
Es suchen verschiedene Herren mich,
Und ich bin noch frei!
 
Man schüttelt und rüttelt den Pflaumenbaum,
Die Frucht kann ich zählen.
Es suchen verschiedene Herren mich,
Mög einer mich wählen!
 
 
XXI
 
Winzig leuchten kleine Sterne,
Dreigestirn und Fünfgestirn.
Huschen durch das Dunkel gerne.
Früh und spät uns unerreichbar,
Unser Schicksal nicht vergleichbar.
 
Winzig leuchten kleine Sterne,
Der Orion, die Plejaden.
Huschen durch das Dunkel gerne.
Wandern gehen Bett und Hemd,
Unser Schicksal bleibt uns fremd.
 
 
XXII
 
Nebenarme hat der Strom.
Sie zog zu dem Bräutigam.
Uns nahm sie nicht mit, uns Leute,
Was sie später sehr bereute.
 
Kleine Inseln hat der Strom.
Sie zog zu dem Bräutigam.
Sie wollt uns nicht Wohnung geben,
Später mußt sie mit uns leben.
 
Nebenflüsse hat der Strom.
Sie zog zu dem Bräutigam.
Doch sie mag uns nicht, ich sage,
Jetzt singt leis sie Frauenklage.
 
 
XXIII
 
Im Ödland ist ein Wasserreh,
Und weißes Schilf beflockt es.
Ein Mädchen spürt das Frühlingsweh,
Ein strammer Bursche lockt es.
 
Im Ödland ist die Hirschkuh tot,
Da stehen Sträucher grade.
Sie bindet weißes Schilf, und rot
Das Mädchen ist wie Jade.
 
Gemächlich und bequem genug,
Zerr nicht an meinem Schürzentuch,
Nicht bellen laß den Chow-chow-Hund!
 
 
XXIV
 
Wie groß des Kirschbaums Blüten!
Wir sollen Ehre bieten
Und freundlich grüßen sie,
Die Königstochter Ji!
 
Die Pfirsichbäume blühn!
Von Ping die Enkelin,
Es freit die schöne Ji
Der Fürstensohn von Qi!
 
Wie angelt man die Eine?
Von Seide ist die Leine.
Es freit die schöne Ji
Der Fürstensohn von Qi!
 
 
XXV
 
Komm nicht ins Haus rein, Jüngling, bitte!
Du, brich nicht meinen Weidenzweig!
O wie ich litte!
Was würden meine Eltern sagen?
Ich liebe dich! ich kanns nicht tragen.
Wie wird mir gleich?
 
Komm nicht den Wall hoch, Jüngling, bitte!
Du, brich nicht meinen Maulbeerzweig!
O wie ich litte!
Was würden meine Brüder sagen?
Ich liebe dich! ich kanns nicht tragen.
Wie wird mir gleich?
 
Bleib vor dem Tore, Jüngling, bitte!
Du, brich nicht meinen Sandelzweig!
O wie ich litte!
Was würden all die Leute sagen?
Ich liebe dich! ich kanns nicht tragen.
Wie wird mir gleich?
 
 
XXVI
 
Fort muß ich nun,
Die Arbeit tun.
Ich denk heut ja
An Jungfrau K.
Im Maulbeerhain
Geb ich mein Herz.
Verheißen ist: sie kommt allein
Zu Gruß und Kuß und Liebesscherz,
Die Jungfrau K.
 
Fort muß ich nun,
Die Arbeit tun.
Heut bin ich nah
Der Jungfrau K.
Im Maulbeerhain
Geb ich mein Herz.
Verheißen ist: sie kommt allein
Zu Gruß und Kuß und Liebesscherz,
Die Jungfrau K.
 
Fort muß ich nun,
Die Arbeit tun.
Heut seufz ich weh
Nach Jungfrau B.
Im Maulbeerhain
Geb ich mein Herz.
Verheißen ist: sie kommt allein
Zu Gruß und Kuß und Liebesscherz,
Die Jungfrau Z.
 
 
XXVII
 
Wo wolkige Schönheiten wandeln den Weg,
Durch Tore des Ostens ich wanderte weit.
Wie Wolken die Antlitze waren sanft reg,
Die Unruhe war meiner Seele ein Leid.
Doch Eine in Wildseide, bläulichem Tuch,
Sie gibt mir von Freude und Wonne genug!
 
Beim Vorhang-Turm schritt ich in lenzlichem Frieden,
Wie blühende Binsen die Mädchen erblüht.
Und wenn sie auch rangen mit Binsengrasblüten,
Die Schönheiten schwanden aus meinem Gemüt.
Demütig in Seide und keuschester Gaze
Erfüllt Sie das Herz mir mit süßer Extase!
 
 
 
T S A O   P I  (187-226 n.Chr.)
 
 
BEIM TODE DES VATERS
(nach der Weise tuan)
 
Ich seh nach oben, seh des Vorhangs Falten,
Ich seh nach unten, sehe Tisch und Teppich.
Es sind die Dinge so wie bei den Alten,
Der Mensch ist fort, er ruht nun unterm Eppich.
 
Sein Geist verließ mich (voller Gottvertrauen),
In ferne Welten zog sein Geist vonhinnen.
Auf wessen Wort kann ich mein Leben bauen?...
Ach, unaufhörlich Trauertränen rinnen.
 
Yu-yu! die Hirsche röhren hell und klar,
Beim Grasen rufen sie nach ihren Jungen.
Pien-pien! so singt beschwingt die Vogelschar,
Die Brut mit ihren Schwingen überschwungen.
 
Nun bin ich ganz allein, verwaist und leer,
Vielfältig-üblen Kummer muß ich hegen.
Mein Herz aus Traurigkeit, es leidet sehr.
Ach, wer kann mich verstehen (mir zum Segen)?
 
Bei meinem Volk geht um das kluge Wort:
Der Kummer macht, das Leid macht Menschen alt.
Mein schönes schwarzes Haar, wie schnell wars fort,
Mein weißes Haar, wie wuchs es mir so bald!
 
Lang seufze ich, stets klag ich todesbang,
Gedenke meines lieben Vaters Art.
Man sagt, der gute Mensch, er lebe lang,-
Was hast du dir das Leben nicht bewahrt?
 
 
SEGEN VOM HIMMEL
(nach der Weise chiu-hu)
 
Yao bestellte Shun und Yü,
Wem soll das zu Diensten sein?
Wunderpferd und Einhorn, hü,
Und der Phönix kommen rein.
 
Friede - Menschen zu gewinnen,
Unheil - Menschen, die verloren.
Gott erblickt das Herz von innen,
Schwierig ist das für die Toren.
 
Ich sings nach der Weise Yao's:
Treu und Glauben breite aus.
 
Sieh die Schlacht bei Ming-Tiao an:
Herrschers Heerschar unversehrt.
Engel, Heilige, Ahn an Ahn,
Himmelssegen niederfährt.
 
 
DIE SCHÖNE KAM NICHT
(nach der Weise chiu-hu)
 
Sie wollte kommen mit dem Morgenstern,
Doch auch zur Abendzeit war sie noch fern.
 
Mir schmeckte nicht, was meine Magd mir buk,
Und ungeküsst der Reiswein blieb im Krug.
 
Die Botschaft geb ich mit dem Vogelheer:
Das lange Warten, ich ertrags nicht mehr!
 
Ich beug mich nieder, breche Orchideen,
Ich heb mein Haupt und binde Kassia schön;
 
Doch meine Schöne hab ich nicht gefunden,
Wozu hab ich dann diesen Strauß gebunden?
 
O du, ich folge dir für hundert Lenze,
Und sei's bis an des Ozeanes Grenze!
 
Der Meergott wird dir meine Botschaft sagen
Und eine lichte Perle zu dir tragen.
 
Mein Blick ist bis zum Horizont geschossen,
Ich bleibe stehn, verweile unentschlossen:
 
Die Schöne kam zu mir nicht in den Garten:
Wo fang ich sie? wo kann ich auf sie warten?
 
 
MEINE SCHÖNE
(nach der Weise chiu-hu)
 
Der See vor vielem Himmel blaut,
Die Wasserlinsen schweben, fliegen,
Sie haben sich der Flut vertraut,
Die sich dem Winde folgsam biegen.
 
Die Blumen linde Düfte hüten,
Die Knospen glänzen an der Furt.
Des Morgens pflücke ich die Blüten,
Steck Abends sie an meinen Gurt.
 
Ich pflück sie. Aber wem sie schenken?
Wo ist die Frau, die all mein Sehnen?
Des Fischpaars Blicke sich versenken,
Die Enten aneinander lehnen.
 
Da gibt es eine Wunderschöne,
Wie licht der Augen Feuerschein!
Sie singt so schön der Lieder Töne,
Wie fein ist ihr Gesang, wie rein!
 
 
DEN BERG BESTEIGEND
(Nach der Weise "Wahrlich gut")
 
Ich steige auf und sammle Wickensamen,
Ich leide Hunger, dunkel wird es leider.
In tiefe Schluchten wilde Stürme kamen,
Voll Reif und Tau sind meine armen Kleider.
 
Ob ich noch die Fasanensprache lerne?
Ich höre die mir fremden Affen schreien.
Ich schaue nach der Heimat in die Ferne,
Die Berge türmen sich in langen Reihen.
 
Die hohen Berge haben steile Schroffen,
Des Waldes Bäume haben ihre Zweige.
Warum so viele Trauertränen troffen -
Wenn du es mir nicht sagen kannst, so schweige.
 
Das Leben ist ein flüchtiges Gesicht,
Was solls, sich um Vergänglichkeit zu grämen?
Freu ich mich meines innern Lebens nicht,
Dann wird der Tod die Jahre zu sich nehmen.
 
Shang-shang! ein Lied des Stromes Welle trägt,
Drauf treibt allein ein heimatloses Boot,
Bis es die Welle an das Ufer legt.
So ist des Fremdlings Wanderschaft und Not.
 
Ich treib mein Pferd an unter leisen Klagen,
Mein leichtes Pelzwerk schwere Tränen nässen.
Ich will nun galoppieren, will nun jagen,
Um eine Zeit den Kummer zu bergessen.
 
 
 
ACH MEINE SCHÖNE
(nach der Weise "Wahrlich gut")
 
Es gab eine Schöne, das Herz mir beglückend,
Wie süß sah sie aus um den leuchtenden Blick!
So schön war ihr Leib, und ihr Lächeln entzückend,
Sie gab meinem Herzen ein inneres Glück.
 
Sie kannte die Töne und jegliche Weise,
Die Kunst des Gesangs trug sie tief im Gemüte,
Sie strich ihre Saiten geheimnisvoll leise,
Ihr Atem so süß wie die rosigste Blüte.
 
Beim fröhlichen oder beim traurigen Chor,
Da traf sie genau die melodischen Töne.
Ihr Singen berührte mein herz und mein Ohr,
Ach, kaum zu vergessen ist mir ihre Schöne!
 
Ein einsamer Vogel sucht Ruhe am Abend
Auf schimmernder Flußinsel zwischen den Gerten,
Er streckt seinen Hals, sich am Himmel erlabend,
Wehklagend erklingt er und harrt des Gefährten.
 
Ich schaue zum Vogel voll Sehnsucht und Leiden,
Von Herzen die Tränen das Antlitz mir nässen.
Ach sagt mir, ihr Menschen vergangener Zeiten,
Wie habt ihr vorzeiten den Kummer vergessen?
 
 
WARUM WORTE MACHEN?
(nach der Weise "Rotes Gewölk verschleiert die Sonne")
 
Ein rotes Gewölke die Sonne verschleiert,
Am Himmel ein farbiger Lichtbogen feiert.
 
Im irdischen Tal stürzt die Wasserflut schwer,
Die Eichblätter fallen und wirbeln umher.
 
Der Mond hat die Fülle, doch bald ist er leer.
Die Blume blüht einmal, dann ist sie nicht mehr.
 
Ach wenn das so ist, so an jeglichem Orte,
Was soll ich dann fortplappern Worte um Worte?
 
 
DIE ANGELRUTE
(ein ku-tzu)
 
Den Huanghe überqueren seine Pfade,
Bald kommt er an des Ozeans Gestade.
 
Die Angelrute wippt wie Mädchentänze,
Da tänzeln um den Wurm der Fische Schwänze.
 
So, ihr wollt angeln? mögt mich leiden? Nun,
Was wollt ihr dann mit eurem Köder tun?
 
 
IN DEN BERGEN
(nach der Weise "Fünfzehn")
 
Vom Gipfel aus die Ferne zu betrachten,
Auch in den Schluchten gibts viel zu beachten.
 
Eintausend Fuß hoch Zedern, weite Reihen,
Zehntausend Gräser, üppiges Gedeihen.
 
Die Blütenvielfalt mir mein Auge blendet,
Der Farbenpracht Beschreibung nimmer endet.
 
Fasane rufen, Goldfasane schön,
Ein Tiger faucht, der Wind fängt an zu wehn.
 
Es tritt ein grimmer Braunbär auf die Szene,
Wild äugt er zu mir, fletscht dabei die Zähne.
 
 
VEREINIGUNG
(nach der Weise "Wilder Tiger")
 
Mit dir mich zu verbinden,
Mir neue Freude heißt.
Wir trauen uns und finden
Und eins in Herz und Geist.
 
Ich gehe liebentlang
In meines Fürsten Reihen.
Aufstieg und Niedergang,
Wer kann es prophezeien?
 
Holzölbaum, zieh die Schwingen
Des Phönix an mit Schwung.
Wolke und Regen schwingen
Sich zu dem Teiche Hung.
 
 
LEIERSPIEL
(nach der Weise "Wahrlich gut")
 
Des Morgens auf dem Turme freudenreich,
Des Abends tafelnd an dem Blumenteich.
 
Der Obermundschenk reicht mir süßen Wein,
Die Jäger bringen leckre Vögel fein.
 
Die Morgentänze tanzen Frazuen. Chin-
Gitarren spielen Abendmelodien.
 
Von Süden kam ein Gast zu meiner Feier,
Er spielt für mich die rein gestimmte Leier.
 
Fünf Töne klingen einig mannigfalten,
Er zupft die Leier lieblich und verhalten.
 
Die Fische lauschend auf den Wellen blieben,
Sie tauchen auf und nieder nach Belieben.
 
Die Vögel ziehen flatternd ihre Kreise,
Sie sammeln sich im Hain und klagen leise.
 
Ist Freude auf dem Gipfel, kommt der Schmerz.
Durchdringend bricht die Muse mir das Herz!
 
Die Tonart ist so herrlich, hell und wach,
Was nützt sie, ist des Herrschers Tugend schwach?
 
Groß ist das Wort: Die Saiten mögen schweigen,
Ich will mich erst der Psalmen würdig zeigen.
 
 
GOTTES DAO
(nach der Weise "Weidenzweige brechen")
 
Westberg, wie hoch hast du dich aufgeschwungen?
So hoch und höher, ragend in das Licht!
Und droben sind zwei engelgleiche Zungen,
Sie trinken keinen Wein und essen nicht.
Sie gaben mir des ewigen Lebens Pille:
Es schlummerte so licht in linder Stille.
 
Ich nahm die Medizin, in sieben Tagen
Da wuchsen meinem Körper Kranichflügel.
Man sah mich mit den Morgenwolken jagen,
Ich fleuchte weithin über alle Hügel.
Vier Ozeane hab ich angeschaut,
Doch weit und breit war nichts, das mir vertraut.
 
Ging Peng-tsu nicht nach siebenhundert Jahren,
Hab ich vom Dao das gleiche Los bekommen?
Lao-tse begab sich zu den Jung-Barbaren,
Bis jetzt ist er noch nicht zurückgekommen.
Wang-chao sprach hohle Phrasen sehr euphorisch,
Chih-sung nur leere Worte metaphorisch.
 
Der Weise unterscheidet Lug und Wahrheit,
Der Tor liebt Unsinnsfabelei des Drachen.
Bedenk ich die Vergangenheit in Klarheit,
Find ich Verwirrung, unklar tausend Sachen.
Soviel verschiedne Weisheit dieser Erde.
- O, Gottes Dao ists, das ich schauen werde!
 
 
DIE HIMMELSSCHWÄNE
(nach der Weise "Hinabschaun vom Turm")
 
Ich schau vom Turme mit Gefühl,
Durchs Fenster, der ich mich so sehne.
Tief ein Gewässer, klar und kühl,
Und leuchtend weiße Himmelsschwäne.
 
Auf denn! Als Diener bin ich treu!
Ich wünsch dem Herrn, der Majestät,
Daß tausend Jahre immerneu
Es seinem Geiste wohlergeht!
 
 
AUF DEM SÜDBERG
(nach der Weise "Maulbeerbäume auf dem Feld")
 
Man sah mich aus der Heimat eilen,
Ich trennte mich von meiner Sphäre,
Zog in die Ferne mit dem Heere,
Ein Fremdling, auf zehntausend Meilen.
 
Die Dornensträucher ich zerteil,
Ich such mir meine Wege heiter,
Auf Zehenspitzen eil ich weiter,
Mein Pfad gewunden ist und steil.
 
Die Leoparden schrecklich blieben,
Die wilden Hühner schrecken auf,
Sieh wie sie auseinander stieben
Und schreien irr im wirren Lauf.
 
Ich steige auf den Südberg: Irrnis!
Der Bäume üppig-dichte Wirrnis!
Ich ruhe unter Beifußpflanzen
Und ragenden Zypressenlanzen.
 
Die Tränen nässen mein Gesicht.
Gefährten, Freunde hab ich keine,
Ich bin die ganze Zeit alleine,
Ach, keine Freude fühl ich nicht.
 
 
 
 
 
FREU DICH!
(nach der Weise "Beifuß auf der Mauer")
 
Es blühet und gedeiht im Lenze lind,
Die Bäume duften, und die Kräuter würzen.
Im Herbste steigt dann auf ein wilder Wind,
Das faule Obst, die gelben Blätter stürzen.
 
Vereinsamt steh ich da, ach wie allein!
Vier Jahre war ich, da man mich verstieß,
Nun leb ich arm auf einem kargen Stein,
Was soll ich tun? (Wo ist das Paradies?)
 
Ganz unfreiwillig wird der Mensch geboren
Und lebt so zwischen Staub und Himmelreich,
So wie ein Vögelein, das traumverloren
Sich bettet wie ein Hauch in Blüten weich.
 
Gönn dir Gewänder prächtig, bist du arm,
Sei unbekümmert, leg dich auf den Pfühl.
Im Winter hülle dich in Zobel warm,
Im Sommer dich in Gaze leicht und kühl.
 
Ich wandle nur in Mühen und in Plagen.
Solang du kräftig bist, solang du jung,
Willst du nicht fahren einen Pferdewagen
Und Pferde treiben mit der Peitsche Schwung?
 
Ja, oben ist der lichte süße Himmel,
Kaum werd ich ihn noch lang mit Augen sehn.
Da unten ist der Erde Wurmgewimmel,
Kaum werde ich noch lange darauf gehn.
 
Was freust du dich nicht? Lust erfüll dein Herz!
Ergib der Wonne dich, das ist zu loben!
Und gürt dich mit der Schärfe deines Schwerts,
Die Klinge fahren laß von selbst nach oben.
 
Wie herrlich doch und groß, schneeweiß der Schliff,
Der Knauf gezeichnet von Rhinozeros,
Hellgrüne Steine schmücken seinen Griff,
Das Schwert ist würdig eines Kaisers groß.
 
Pi-lü aus dem Lande Wu,
Pu-kuang aus dem Lande Yüeh,
Lung-chüan aus dem Lande Chu,
Mo-yang aus dem Lande Han,
Felsenerz vom Berge Miao,
Blanker Edelstahl von Yang-tou.
 
Die Alten rühmten ihren hohen Wert,
Bezeugten ihre Schönheit ihre Pracht;
Jedoch da war noch unbekannt dein Schwert,
Des Pracht nie hinsinkt in Vergessens Nacht.
 
Dein Hut ragt hoch, wie hoch der Himmel reicht,
Aus dünnster Seide seine Bände waren,
Eisvogelfederschmuck, ganz herrlich leicht,
Das Auge lenkt auf Antlitz und Gebaren.
 
Chang-fu im Lande Sung von Edelstein,
Aus Chi die hohen Mützen auserlesen:
Sie meinten ebenfalls, voll Pracht zu sein;
Nun, wären sie des Blickes wert gewesen?
 
Wir werden durch die goldnen Tore schweben
Und treten in das Jade-Vestibül,
Da roter Staub und Sturm sich nicht erheben,
Die Lüfte düften frisch und klar und kühl.
 
Man möge auf der Huan-Harfe spielen
Und tanzen lassen Chao-Mädchen jung!
Es singe Nü Gesänge von Gefühlen,
Ou trifft genau die Töne Kang und Kung.
 
Das Lied der Seele auf die Freude stimmt,
Inwendig macht es das Gefühl uns frisch.
WSir schenken Wein ein, süß gewürzt mit Zimt,
Zerschneiden Karpfen, Brasse, Petersfisch.
 
Mit schönen Frauen feiern wir, die Zecher,
Wir wollen uns erfreuen an dem Wein.
Bedient uns, Mädchen, reicht die Jadebecher,
Die Freuden sollen unvergeßlich sein!
 
Noch ist da Freude. - Aber du, werd klug:
Sich zu vergnügen, ist zu kurz die Zeit,
Die Monde und die Jahre fliehn im Flug,
Was soll uns Gram und Traurigkeit und Leid?
 
 
IN LIYANG GESCHRIEBEN I
 
Ganz früh verlassen wir die Ortschaft Yeh,
Am Abend ruhen wir am Han-ling-Hügel.
Der Weg ist schlammig von verschmutztem Schnee,
Erschöpfte Leute reißen sich am Zügel,
Sie treiben peitschend an wie eh und je,
Die Haare naß, gekämmt von Windes Flügel.
Folgsam verließ ich den Palast (ein Lamm),
Doch warum muß ich nun durch diesen Schlamm?
 
Der König Wu von Chou, ein starker Held,
Er hatte Herzog Tau an seiner Seit.
Er nahm die Seelentafel, zog ins Feld,
Erlöste all das Volk aus Not und Leid.
Beistand ward ihm zuteil vom Himmelzelt,
Hilfe des Himmelreichs zu jener Zeit.
Was für ein Mensch bin ich? Werd ich nicht steuern
Am Ende meinen wirren Abenteuern?
 
 
IN LIYANG GESCHRIEBEN II
 
Es kracht und rollt der Donner wild verwegen,
Und trübsalgrau fällt nieder langer Regen.
Ich gehe mal zu Fuß, fahr mal im Wagen,
Ich muß mich durch die schwerste Mühsal tragen.
Am Yüan-Fluß die Wege der Verlornen
Durchs wirre Dickicht gehn, wir schneiden Dornen.
Morast und Wasserlachen, überschwungen
Von feuchtem Wind, nun werden sie bezwungen.
Mich Ächzen und mit Knirschen Wagen bebend,
Bald tief versinkend, bald sich wieder hebend;
Fuhrleute schrein und schimpfen, Fluch im Mund,
Bald fallen sie, bald liegen sie am Grund,
Bedeckt mit Schlamm, dem Regen ausgesetzt,
Das Hemd ist naß, die Hose ist zerfetzt.
 
 
IN LIYANG GESCHRIEBEN III
 
O, tausend Reiter wogen wild im Wind,
Zehntausend Reiter majestätisch sind.
Die Glocken und die Trommeln lassen beben
Himmel und Erde und der Menschen Leben.
Da gibt es Schilde, Schwerter, Äxte und
Yakschweifstandarten regenbogenbunt.
Die Banner glühen wie der Morgenstern.
Ich denke an die Tugend meines Herrn:
Ist nur sein Geist mit mir mein Leben lang,
So wird es mir zu meiner Freude sein!
Nun vorwärts, vorwärts, vorwärts, bis Liyang!
Und morgen bin ich im Ligusterhain...
 
 
 
 
P A O   C H A O   (+466)
 
 
GRABTRÄGERLIED
(für Kaiser Chien-fei)
 
Allein in Dunkelheit, bedenke ich,
Wie ich in frührer Zeit den Turm bestieg.
 
O Stolz und Hochmut, durch das ganze Leben,
Uneingeschränkt, wer kann uns das vergeben?
 
Wenn erst des Grabes Pforte zugeschlossen,
Ameisen kommen dann herangeschossen.
 
Lebzeitens schöne Orchideengestalt,
Die kleinsten Würmer nagen daran bald.
 
Das Schläfenhaar ist ewig wurzellos,
Der Schädel überzogen bald mit Moos.
 
Ach einst, da Wein liebkoste sanft den Gaumen,
In weißer Schale bot man grüne Pflaumen.
 
Von Peng und Han bis Lien und Lin - ach allen
Die Körper sind in Erdenstaub zerfallen.
 
Die Starken und die Edlen - alle sterben.
Wir wünschen tiefen Frieden ihren Erben.
 
 
WAHRLICH TRAURIG!
 
("Der Wandrer riecht den Lenz im Wald,
Der Lenzduft bricht das Herz ihm bald."
Lu Chi)
 
Der Unbehauste ist bewegt
Von dieser reinen Jahreszeit.
Er denkt daran und überlegt,
Jetzt umzukehrn. Der Weg ist weit.
 
Wie lange hier in den Gefilden
Kann niemand meine Schritte halten?
Der Bäume Blüten hübsch sich bilden,
Die Früchte fruchtbar sich entfalten.
 
Betrachte ich der Früchte Fülle,
Ist mein Empfinden voller Trauer.
Seh ich der Blüten Schleierhülle,
Strömt durch mein Sinnen Wonneschauer.
 
Nehm ich die Lebewesen wahr,
Dann sehn ich mich nach Gleichgesinnten.
So schrecklich widersinnig war
Die Trennung. Ich muß sie verwinden.
 
So flatternd, flatternd wie die Imme,
Im Netz gefangne Vögel schreien
Mit Einer Stimme, Einer Stimme,
Die Vögel schwirren wie in Reihen.
 
Das Schreien und das Schwirren gilt
Den Freunden und Gefährten innig.
Was ich beseufz im Lenzgefild,
Das ist die Trennung widersinnig!
 
 
LICHTER MOND
 
Vom Ostberg steigt herauf der Mond mit Schimmer
Und leuchtet durch das Fenster in mein Zimmer.
 
Die vielen schönen Frauen frühlingsfrisch
So gar bezaubernd und verführerisch.
 
Sie schminken schön sich hinterm Vorhangschleier,
Am Eingang spielen sie die sanfte Leier.
 
So schwarz war nicht das Haar von Lady Wei
Und Fei-yens Glieder nicht so duftend, hei!
 
Sie singen mir ein Lied von edlen Dingen,
Sie sollten lieber mir vom Vollmond singen.
 
Kommt warmer Wein, dann glätten sich die Falten,
Im Einklang wird die Seele sich entfalten.
 
Was können mir denn Gold und Silber geben?
Vielmehr gibt mir Begeisterung zum Leben!
 
(Fei-yen, die berühmte Gemahlin des Han-Kaisers Wu, war eine ausgezeichnete Tänzerin. Lady Wei, Gemahlin des Han-Kaisers Cheng, gewann dessen Zuneigung durch ihr schönes Haar.)
 
 
IM FRÜHLING DEN CHING-SHAN BESTEIGEND
 
Zum Ching-shan Gipfel steigend morgens frühe.
Auf steilem Weg zu wandern, das macht Mühe.
 
Ankämpfend gegen Reif- und Tau-Gewalten,
Das Moos so glatt, man kann sich nicht mehr halten.
 
Ich seh die Jenseitswelt der Wolkenszene,
Ausschöpft mein Aug des Himmelssohns Domäne.
 
Zehntausend Hütten reihn sich in der Stadt,
Der Mauerwall trägt Türme hoch und glatt.
 
Wie herrlich, herrlich sind die edlen Wagen,
Schön, schön, die Mädchen weiße Kleider tragen!
 
Im Licht der Berg, der immer scheint zu bleiben,
Die Sonnenstrahlen fort die Nebel treiben.
 
Blumen und Bäume wuchern auf dem Flachland,
Maulbeer und Dornen überziehn das Brachland.
 
Die Kletterpflanze spielt mit Purpurstengel.
O Tau und weiße Orchidee - ein Engel!
 
Was wir auch sehn, und sei es schön wie Morgen,
Befreit den Denker nicht von seinen Sorgen.
 
Gemeinsam trinken laßt uns Frühlingswein!
Lang singend ziehn wir über das Gestein.
 
 
ARMUT UND NIEDRIGKEIT
 
Im Untergang betrübt bis an den Tod -
Und doch lebt man so intensiv in Not.
 
Lang suefz ich, bis heraufkommt Morgenpracht,
Hab Traurigkeit und Trübsal bis zur Nacht.
 
Das blühende Gesicht verblasst und rauh,
Vorzeitig meine Haare silbergrau.
 
Von Freunden abgeschnitten, ehrt
Man erst in Einsamkeit der Freundschaft Wert.
 
Ich schäm mich vor der Lilien lichten Glast,
Hab weder Lied noch Leckerei dem Gast.
 
Tag, Mond und Jahr: mein Herz in Armut litt Leid,
Mein Antlitz weckt der andern Menschen Mitleid.
 
Da man einander keine Gabe bot,
Da ward vor Scham die Wange purpurrot.
 
Wo einer Stunde Ärgernisse waren,
Erwächst ein grimmer Groll von hundert Jahren.
 
Zehntausend Pläne man im Herzen schürt,
Nicht einer davon wurde ausgeführt.
 
Ach Schicksal! Jene Furt ist überflossen...
So wend ich mich zum Sterben in den Gossen.
 
Die hundert Lebensjahre auszuleben?
Viel besser, früh ins Grab sich zu begeben!
 
 
HSIAO-SHIH
 
Ying Hsiao-Shih liebte langes Leben immer...
Sein Mädchen wollte Jugend, Schönheit, Schimmer.
 
Den heißen Speisen wollten sie entsagen,
Stattdessen durch die roten Wolken jagen.
 
Der Zeit entkamen sie auf Himmelsfährte,
Auf einem Phönix ließen sie die Erde.
 
Die Leiber schwanden, kehrten niemals wieder.
Nur manchmal einer Jadeflöte Lieder.
 
(Ying war ein berühmter Flötenspieler des 6.Jh. vor Christus, seine Braut war Nung-yü, Tochter des Herzogs Mu von Chin. Er lehrte sie das Flötenspiel, um den Phönix anzulocken.)
 
 
JUNGFRAU WANG
 
Wildpflanzen treiben fernhin, ihr voran.
Wildgänse ziehn vor ihres Herzens Bahn.
 
Die Trommeln - morgens früh und abends bang,
Die Pfeifen - mitternachts ihr Schluchzen klang.
 
(Wang Chao-chün, Hofdame des Hankaisers Yüan, der sie einem Hunnenfürsten zur Frau gab.)
 
 
LIED VOM WEISSEN HANF
 
Rote Lippen, weiße Glieder beben.
Loyangs Jungen, Hantans Mädchen leben.
 
Früher hieß es: Wasserweiche Bänder.
Heute heißt es: Weiße Hanfgewänder.
 
Neunter Monat. Gelb die Lotosblätter.
Wilde Gänse, Rauhreif, Nordwindwetter.
 
Lange Nächte, von dem Reiswein toll,
Noch ist unser Glück nicht gänzlich voll.
 
 
REISELIED
 
Ich reich im goldnen Becher guten Wein,
Geschnitzte Schildpatt-Chin im Jadeschrein.
 
Vorhang mit siebenfarbigen Narzissen,
Neunfarbig Trauben auf dem Federkissen.
 
Die roten Wangen welk. Des Jahres Wende.
Der kalte Glanz. Der Jahreszeiten Ende.
 
Laßt ab von Leid und Denken, werdet weise!
Ich zupfe euch die Hymnen von der Reise.
 
Zypressenbalken, Bronzevogelruhm.
Rein hauchen Töne aus dem Altertum.
 
(Die Chin ist eine Art Leier, welche die Tao-Jünger gerne spielen.)
 
 
PO-SHAN-WEIHRAUCHSCHALE
 
Vom Meister aus Loyang die Weihrauchschale,
Gehämmert und graviert zehntausend Male:
 
Ein Mädchen Hand in Hand mit einem Genius.
O Glück der Nacht, wenn droben funkelt Venus!
 
Stellt jene Weihrauchschale hinterm Schleier
Bei Tempelkerzen auf zur Gottesfeier!
 
Zinnoberton der Schuppen hell ausstrahlend,
Den Purpurrauch des Moschusduftes malend.
 
Wenn sich dein Herze mir entfremdet hat,
Dann seufz ich hundert Jahre sterbensmatt.
 
 
GELBE ORCHIDEE
 
Auf Jadestufen, durch das Nephrittor,
Der Weg sich in den Pfefferraum verlor.
 
Die Fensterornamente und die Türen
Vorhänge transparenter Gaze zieren.
 
Drin lebt die Jungfrau Gelbe Orchidee,
Im Seidenkleide pflückt sie Blütenschnee.
 
Im Frühling ein Geschwirr von Sangesvögeln,
Im Wind die gelben Pflaumenblüten segeln.
 
Sie tut den Vorhang auf dem Sonnenschein
Und nippt an einer Schale Frühlingswein.
 
Sie singt. Sie weint, sie seufzt so trübsalstrübe.
Wie oft im Menschenleben fühlt man - Liebe?
 
Ach, lieber als ein Entenpaar geboren,
Als groß ein Gelber Kranich und verloren!
 
 
SCHICKSAL
 
Das Wasser, das man auf den Boden gießt,
Nach Osten, Westen, Süden, Norden fließt.
 
Ein Menschenleben muß sein Schicksal nehmen,
Wie sonst denn sitzen, seufzen, gehen, grämen?
 
Schenkt gelben Wein ein, daß uns leichter werde!
Und unterbrecht die Ode von der Erde!
 
Das Her ist nicht von Holz und Stein, ist eigen,
Was liegt mir auf der Zunge? Laßt mich schweigen.
 
 
RUHM
 
Habt ihr denn nicht das Gras am Fluß gesehen?
Im Winter tot, im Frühling sieht mans wehen.
 
Die Sonne oben überm Mauerwall?
Versinkt zur Nacht, steigt morgens auf ins All!
 
Wann trifft es uns? Wer von uns heimging, Brüder,
Der stieg zur Gelben Quelle ewig nieder...
 
Das Menschensein: viel Sünde, wenig Tugend.
Begeisterung und Glück nur in der Jugend.
 
Der Ziele wegen kommt bei mir zusammen.
Mit etwas Silber kauft mit Reiswein Flammen.
 
Der Bambus- oder Seidenruhm... mir gleich!
Nichtsein und Sein... das steht beim Himmelreich!
 
 
ARMUT DER HEILIGEN
 
Am langen Tische konnt ich nicht mehr essen.
Ich zog das Schwert und seufzte selbstvergessen.
 
Wie leb ich, da der Tod die Welt gestaltet?
Wie hüpf ich, da die Flügel mir gefaltet?
 
Auf gab ich, nieder legte ich mein Amt,
Ich ging nach Haus und ruhte aus auf Samt.
 
Von Meinen nehm ich morgens Abschied, schreite,
Bin abends wiederum an ihrer Seite.
 
Ich spiele mit dem Kind, das selig bebt,
Seh meine Frau, wie sie am Webstuhl webt.
 
Die Heiligen und Weisen waren arm:
Die Wahrheitsjünger auch, daß Gott erbarm!
 
 
DER VOGEL
 
Ich habe sehr an Melancholie gelitten,
Da bin ich durch das Nordtor ausgeritten,
 
Ich hob den Kopf und schaute fern, allein
Sah ich den Kiefern- und Zypressenhain.
 
Im Dornbusch sitzt ein Vogel namens Tu,
Es heißt, er sei der Himmelssohn von Shu.
 
Wehklagend ist sein Klagen, er weint weich,
Die Federn struppig, einem Bettler gleich.
 
Bei Bäumen schwebt der Geist des Altertums,
Gedenkend seines Himmelssohnesruhms.
 
Tod wird zu Leben... Ach das ist unsäglich.
Was ist mein Herz so qualvoll und so kläglich?
 
 
DIE ENTTÄUSCHTE
 
Im Hof fünf Pfirsichbäume glutvergüldet,
Zuerst hat Einer Blütenblust gebildet.
 
Im Lenz bezaubernd sie im Mondlicht wallen,
Vom Wind geschüttelt, sie aufs Westhaus fallen.
 
Im Westhaus eine Frau, sie sah betrübt,
Die Träne nässt ihr Kleid, sie seufzt verliebt:
 
Als ich Euch einst zur Tür hinausgeleitet,
Dacht ich, daß Ihr für ewig von mir schreitet?
 
Die Matte staubig, und der Spiegel blind,
Die Taille dürr, das Haar zerzaust vom Wind.
 
Nicht immer wird das Leben froh verbracht.
Enttäuschung geht mit ihr bis Mitternacht.
 
 
SCHEIDUNG
 
Die Seide gelb zu färben, ist gelungen.
Die Fäden sind verwirrt und ganz verschlungen.
 
Als ich zuerst zusammentraf mit Ihnen,
Da sagt ich mir, ich könnte Ihnen dienen.
 
Wir schwören uns, die Gürtel uns verwebend,
Einander treu zu sein, ob tot, ob lebend.
 
Heut sieht man mein Gesicht verwelkt und alt,
Und Ihr Verlangen ist erloschen, kalt.
 
Ich geb zurück die Nadeln und die Spangen,
Sie mehren mir die Trauer der Gedanken.
 
 
TOD
 
Hibiskus kaum nur einen Morgen blüht,
Er blüht, bis Zeit ihn in den Abgrund zieht.
 
Bezaubernd in der Jugend, blütenfein,
Nicht lang, so sollen sie ins Grab hinein.
 
Einmal hinab, gibts nimmermehr ein Steigen?
Zehntausend Jahre, tausend Herbste Schweigen.
 
Verlassne Geister zwischen All und Hügeln,
Einsame Seelen um die Gräber flügeln.
 
Nur Eindgeächz und Vogelschreie wimmern.
Wie könnte man des Lebens sich erinnern?
 
Das Sterben läßt den Menschen fot verzweifeln.
Shen-Freude folgt! sagt ab den Gui-Teufeln!
 
 
WAS SOLL ENTTÄUSCHUNG OHNE ENDE?
 
Verdorrter Bambus regte sich lebendig?
Wann wächst das Moos an alten Stengeln wendig?
 
Saht ihr die Opfer in geweihten Töpfen?
Wann wird die Geistwelt aus den Krügen schöpfen?
 
Woher kommt diese Trauer in Gedanken?
Was solls, mit Zeitgenossen sich zu zanken?
 
Das Leben - wie ein Blitz davongefahren!
Wie oft wird sichtbar Kraft von reifen Jahren?
 
Wir wollen freien Sinnes edel streben,
Laßt Wein und Lachs uns gegenseitig geben,
 
Das haltet fest vom Abend bis zum Morgen,
Zerschmelzt die Traurigkeit, werft fort die Sorgen!
 
Was wird aus dem, der nur Enttäuschung fühlt?
Hat dieses Lied dich zu sehr aufgewühlt?
 
 
FRAUENKLAGE
 
Im Frühling sieht den Wald man Blumen füllen,
Im Winter sieht man Schnee den Hügel hüllen.
 
Veränderungen um Veränderungen.
Mein Herr ist bis zur Grenze vorgedrungen.
 
Zum Abschied hielt ich seine Ärmel lang,
Drei Jahre, seither mir kein Grüßen klang.
 
Aus Morgenkummer - traurig, traurig - Tränen.
Ein Schmerz im Herz das abendliche Sehnen.
 
Das Duftöl hab ich lang nicht mehr benutzt,
Kein Schmuck mir das zerzauste Haar mehr putzt.
 
Des Staubes Schleier tanzt um Seidenquasten.
Vergessen Brauenschwärze, Puderkasten.
 
Seit ich geboren, leid ich Mißgeschick.
Ich liebe - doch es mangelt mir an Glück.
 
 
TREUE
 
Die Vögel singen süß am Jahresmorgen.
Doch weh mir! mein Empfinden voller Sorgen.
 
Da ich davonging, um dem Heer zu folgen,
Stieß meine Ruhmbegierde an die Wolken.
 
Drei Jahre sind wie Wellen fortgeflossen.
Schneeweiß sind Bart und Haare mir gesprossen.
 
Am Abend habe ich sie ausgezupft,
Doch morgens mir der Schnee das Haar betupft.
 
Ich fürchte nur, in fremdem Land zu sterben,
Ein Geist zu sein, der umgeht ohne Erben.
 
Des Fremdlings Denken in das Nichts verweht,
Da wo Essenz im leeren Raum entsteht.
 
Wenn mich im Herzen meine Heimat rührt,
Die Seele Alte-Leute-Kummer spürt.
 
Ein Fremdling fragt mich, wer ich und woher.
Kennt meine Ehefrau aus Nan-cheng er?
 
Er ist durch meine Heimat durchgezogen,
Da ich mein Amt vorzeiten hab bezogen.
 
Zehntausend Meilen bin ich ferne schon,
Gehalten, auszuziehn auf Expedition.
 
Ich ging, da hörte ich von Eurem Fleisch;
Sie ist allein die Nächte, rein und keusch.
 
Früh weint vor Kummer sie in stiller Kammer,
Spät hört man schluchzen ihrer Sehnsucht Jammer.
 
Die Miene nicht wie früher freudvoll lacht,
Ihr Angesicht nicht mehr zurechtgemacht.
 
Und wer sie anschaut, der muß weinen. Schwört,
Daß ihr all Euer Lebensgeist gehört!
 
 
IM BARBARENLAND
 
Ins Fels ziehn junge Männer waffenschwer.
Exil. Und hoffnungslos die Wiederkehr.
 
Der Heimat fern, und Tag und Nacht geritten,
Durch Paß und Fluß von Nachricht abgeschnitten.
 
Der Nordwind klagt, die Wolken weiß sich schwingen.
Barbarenpfeifen voller Wehmut klingen.
 
Das hört das hoffnungslose Volk nicht gerne.
Sie steigen auf den Berg, schaun in die Ferne.
 
Sie sterben unter den Barbarenpferden.
Ob sie noch Weib und Kinder sehen werden?
 
Was könnte man zu solchem Unglück sagen?
Sie sorgen sich, sie seufzen, seufzen, klagen.
 
 
WO SIND SIE HIN?
 
Habt ihr einst den Zypressenturm gesehn?
Ein Hügel heut, wo Gras und Unkraut stehn.
 
Habt ihr gesehen den O-pang-Palast?
Fasanen nisten nun in dem Morast.
 
Wo bleibt der Tänzerinnen Schwebegang?
Grabhügelreihen füllen nun den Hang.
 
Vergeblich schwang ihr Seidentuch das Weib,
Nun ist uns nicht mehr Silber wert ihr Leib.
 
O Wein! o Glück! o Freiheit angenehm!
Wir sinken seufzerlos zum gelben Lehm.
 
 
SCHMELZENDER REIF
 
Der Reif da in kristallener Gestalt,
Das Äußere und Innere ist kalt.
 
Und ist ihm auch ein Morgenstrahl beschieden,
Wie lange ist zu trauen solchem Frieden?
 
Des Volkes Sein ist ebenso zu achten:
Vergänglichkeit, wer wollte sie betrachten?
 
Es flieht die Zeit, als wollt sie wer verjagen.
Das weiße Haar mag keinen Hut mehr tragen.
 
 
MELANCHOLIE
 
Sahst du nicht, wie im Lenz die Vögel kamen,
Wie Grün und Blüte aufsprießt aus dem Samen?
 
Wenn eines Tages kalte Lüfte wehen,
Wie lange bleibt die Blütenpracht bestehen?
 
Ach, Tag und Mond und Jahr in Agonie -
Das ist mein Leid und meine Melancholie!
 
 
NICHTIGKEIT
 
Ihr Menschen, seufzt nicht, seid ihr arm im Land,
Der Reichtum kommt nicht aus des Menschen Hand.
 
Ein Mann von vierzig ist im Dienste tüchtig,
Ich bin erst zwanzig, fühle mich so nichtig.
 
Die Bäume unter harschem Schnee sich beugen?
Sie blühen, werden sie des Frühlings Zeugen!
 
Ich sang beim Wein: Das Ende aller Klagen
Hat Gott erhabnem Himmel angetragen!
 
Wein wollen wir in unsre Becher füllen,
Kopfkissen sollen Gold in Seide hüllen.
 
Ausschweifung, ja! Was soll das Ungemach,
Das hundert Jahre uns begleitet? Ach...
 
 
PFLAUMENBLÜTENFALL
 
Warum ich nur den Pflaumenbaum bewein?
So viele Bäume. Warum ihn allein?
 
Er bildet schöne Blüten, morgentauen,
Er kann auch wunderschöne Früchte bauen.
 
Im Lenzwind schaukelt er, voll Anmut lind,
Ihr Blüten fallt und treibt im kühlen Wind.
 
Vergebens eure Farbe auserlesen,
Ist edel nicht das inwendige Wesen.
 
 
NACHTS SITZEN UND SUMMEN
 
Ich sitze in der Winternacht und summ.
Das Herz schon offenbar, der Mund noch stumm.
 
Der Frost dringt durch den Gazevorhang ein,
Der Wind durchstreift den Wald im Mondenschein.
 
Das rote Funzellicht ist ausgegangen.
Ich suche - Liebe - deine roten Wangen.
 
In deinem Stile sing ich vor mich hin.
Ich lege Wert auf einen tiefen Sinn.
 
 
FRÜHLINGSTAG
 
Erneut begann ein neues Jahr.
Ich möchte gehn im Lichte klar.
 
Im Frühling sind die Berge grün,
Die hellen Sonnenstrahlen glühn.
 
Im Lenzgefild der Honigimmen
Und Vögelinnen süße Stimmen.
 
Die schönen Pflaumenblüten blühn,
Die schmalen Weiden werden grün.
 
Ich treib in meinem Boot, halbnackt,
Bei gleichmäßigem Rudertakt.
 
Ich singe: Wassernüsse pflücken.
Ich singe: Wildruf! mit Entzücken.
 
Ein leichter Wind kommt ausgeruht,
Ein wenig wächst die Wasserflut.
 
Ich hebe an zum Saitenspiel,
Schnek in den Becher Reiswein viel.
 
Ich fahre in den Lotosteich,
Zimtzweige brech ich zart und weich.
 
Duftende Ärmel regen sich,
Duftende Blätter öffnen sich.
 
Ich denk an dich im süßen Licht.
Du aber - Liebste - weißt es nicht.
 
 
KNOBLAUCHBERG
(im Auftrag des Prinzen von Shih-hsing verfasst)
 
Der Winterreif wie klirrendes Gericht,
Die Erde zu, die Quellen fließen nicht.
 
Der schwarze Krieger Maulbeerschatten liebt,
Der rote Vogel sich zur Zucht begiebt.
 
Getan der Bauern Arbeit weit und breit,
Dienstwagen ruhen auch zu dieser Zeit.
 
Grasbüschel wächst dem Moos nah, Saat bei Saat,
Dem Schilfgefährt die Zeit der Aussaat naht.
 
Der Hirschpark, kann er leimen unsre Augen?
Der Hasenpark, kann er zur Fessel taugen?
 
Man steigt zum Grat, sieht fern den Sonnenflor,
Das Inselreich der Weltflucht dich davor...
 
Die Wolken kommen aus der Jadehalle,
Von silberner Terasse wehn sie alle.
 
Die Felsen sind wie aufgehängte Sterne,
Die Inselbäume stehn im Dunst der Ferne.
 
Erlesen! wie das Haus des Himmelsthrons!
So kostbar! wie die Stadt des Himmelssohns!
 
Die Aussicht wird umkreist von weißer Sonne,
Die Orchideen empfangen sie voll Wonne.
 
Aus tiefen bambuswäldern pfeift es kalt,
Der Sturm singt auf dem Wasser mit Gewalt.
 
Des Prinzen Tugend - Liebe den Poeten!
Die Pinsel sprengen tönende Planeten!
 
Das Licht ist schön der schönen Menschen, schau!
Die Kleider weiß - entsprechend Gottes Tao!
 
 
ICH BESTEIGE DEN LU-BERG
 
In der Welt entgeht mir Geistes Raunen,
Im Gebirge fasst mich an ein Staunen.
 
Licht kommt. Aufwärts schwebt der Wolken Reigen,
Die vom Fuß des Bergs zum Gipfel steigen.
 
Hohe Gipfel vor dem Himmel steilen,
Lange Klippen trennen tausend Meilen.
 
Nebeldunst empfangen klare Sterne,
Wasserfälle stürzen in die Ferne.
 
Fast wie Tigerzähne Felsenschroffen,
Steine fast wie Bärenohren offen.
 
Tausend Jahre alt das weiße Eis,
Hundert Jahre alt der Bäume Kreis.
 
Hähne krähen an dem Gießbach laut,
Affen kreischen im Gewölk betaut.
 
Jadeflut stürzt in den Höhlen jähe,
Nephritsteine stoßen an die Höhe.
 
Jene roten Steine, von Gestalt
Ähnlich, aber dennoch mannigfalt.
 
Lausch dem Meister mit der Phönixflöte.
Such den Herrn, daß er den Drachen töte.
 
Sieh mich knien in Zimt und Kassiablatt.
Welch ein Dreck der Marktplatz in der Stadt.
 
 
JUNKER YÜ BEGLEITEND
 
("Den Atem anhaltend
Las er im Kanon der Unsterblichen.")
 
Wir sind auf wildem Weg zum Berg geschritten,
Die Wolkenklippen bergen Geisterhütten.
 
Hügel und Schluchten zahlreich und verschlungen,
Der Wald ist dich, vom Lichte kaum durchdrungen.
 
So düster, düster, tief der Felsenweg.
Das Wasser an der Brücke reg, so reg.
 
Im dunklen Winkel hält man Morgenherzen.
Am Fenster späht man nach den Sonnenkerzen.
 
Wie Phönixornament der Felsengrat,
Und die bemoosten Wände wie Brokat.
 
Dung-ting: Sieh Wasser schöpfen meine Hände.
Der Teich, der fließt nicht über bis ans Ende.
 
Tiefe und Leere. Anblick sonderbar.
Gefahr und Drohung. Wir erschauern gar.
 
Bezaubernd seltsam dieser Schöpfung Leben!
Das kann man lebenslang nicht wiedergeben.
 
Hier wollt ich sein dem wahren Dao ein Jünger:
Ich würde alt - und innen immer jünger.
 
 
AN EINEM HERBSTTAG MICH DEM MÖNCH MITTEILEND
 
Verdorrte Maulbeerblätter rieseln leicht.
An Wandrers Herz gar leicht ein Schrecken streicht.
 
Warum so früh in morgentlicher Stille
Vernehm ich schon das Zirpen einer Grille?
 
Der Wirbelwind hält an, erhebt sich wieder.
Die wilde Pflanze ruht und rollt dann nieder.
 
Betrübt, betrübt. Die Bambusmatte kühl.
Ach traurig, traurig. Frostig ists im Pfühl.
 
Das was man sieht, bedrängt der Sehnsucht Lenzen,
Der Frost und Reif bedrängt das Morgenglänzen.
 
Seh von der Halle aus dem Herbste zu
Und blicke in der Früh zur Stadt von Chu.
 
Um alles Winde ihre Schleier weben.
Ich seufz. Vergeblich scheint mir dieses Leben.
 
 
NACHAHMUNG EINES ALTEN GEDICHTES
 
Flußufergras sieh gelb im Herbste beben,
Die Hu-Wildgänse ihre Schwingen heben.
 
Im Herbste zirpen grüne Grillen sacht.
Im Froste webt die Frau die ganze Nacht.
 
Die Krieger kehrten wieder letztes Jahr,
Die sagten mir, du seiest wunderbar.
 
So hörte ich: Als du nach Lung gezogen,
Von deinen Lippen Seufzerlüfte flogen.
 
Tagtäglich wechselte ich mein Gewand,
Tagtäglich tauschte ich mein Gürtelband.
 
Ach, wenn ich daran denk: Wofür die Sorgen?
Die Nacht ist lang, der Kummer währt zum Morgen.
 
Ein Spiegel in verstaubter Truhe oben.
Die Jade-Chin in Spinnennetz gewoben.
 
 
BEIM STUDIUM EINES ALTEN GEDICHTES
 
Nordwind im zwölften Monat, weh!
Ein krauser Schleier, fällt der Schnee.
 
Ach, ich gedenk in bittrer Zeit
Des Nächsten in der Einsamkeit.
 
Zwei Konkubinen weiß und schlank,
Sie stammen beide aus Loyang.
 
So schön die Augen und die Brauen
Und schmal die Hüften jener Frauen.
 
Eisglatte Haut wie Schnee so weiß,
Lieblicher Göttin gleich ihr Reiz.
 
Ich lieb und schau, sie sind gesund,
Fließt Sprachmagie vom roten Mund.
 
Gewänder rote Seide fein,
Haarschmuck ein lichter Nephritstein.
 
Zum Saitenspiel sie tanzen Tanz
Und singen alte Oden ganz.
 
Geschehe euer Wille, Elfen,
Im Herzen wünsch ich, euch zu helfen.
 
Das Glück geschah an Winters Ende,
Die Nacht verging, es kam die Wände.
 
Die gleiche Decke liegt für beide,
Für zwei Ein Kissen roter Seide.
 
Ich wünsche, daß ihr euch besinnt:
Das neue Jahr gar bald beginnt.
 
 
AM ENDE DER TRAUERZEIT FÜR DEN PRINZEN
 
Vorüber nach den Riten das Geleit.
Gering und schwach zu sein, das tut mir leid.
 
Ich laß den Wagen, leg die Robe fort,
Kehr heim. Ich wünsch mir einen Zufluchtsort.
 
Bald bin ich fern, weitab von allen Bürden.
Bin ich zu niedrig für des Himmels Würden?
 
Ich ging, den Pflug zehn Jahre zu bewegen.
Jetzt kehr ich heim, das Bohnenkraut zu pflegen.
 
Im Bambusschrein die Heilige Schrift des Dao...
Und im Regal ein Buch vom Ackerbau.
 
Klagt, klagt! der Sturm bricht aus des Herbstes Stille.
Weint, weint! in Frost und Kälte zirpt die Grille.
 
Der Nebel üppig, Glanz auf Blütenlippen,
Der Mond erhaben, schöne Wolkenklippen.
 
Entsagend allem Volk, fürs A und O
Ausharren werde ich am Berg Shang-lo!
 
 
IM TRAUME NACH HAUSE ZURÜCKKEHREND
 
Verhalten weinend tret ich aus der Außentür.
Ich streich das Schwert. Kein Mensch kreuzt meine Wege hier.
 
Des Himmelssicht verdunkelnd sandig weht ein Wind,
Zur Heimat ausgerichtet meine Augen sind.
 
Um Mitternacht auf meinem Bett in Traumes Einkehr
Ich seufze einsam, spreche aus die Sehnsucht: Heimkehr!
 
Verlassen seufzt die Frau in ihrem jungen Leide,
Am Webstuhl säuselt das Gehaspel weißer Seide.
 
Aufrichtig sprechen wir von langen Trennungszeiten,
Wir schließen hinter uns die Bettvorhänge seiden.
 
Unter der Traufe unaufhörlich klare Kühle.
Der Mond von Osten schimmert auf verhülltem Pfühle.
 
Sie duftet wie die frisch geschnittnen Orchideen
Und ist wie frisch gepflückte Chrysanthemen schön.
 
Im Kästchen köstliches Gewürz sie fand,
Duftbeutels Schnur sie löste leichter Hand.
 
Im Traum ein fernes Ziel liegt vor dem Fuß,
Nach dem Erwachen trennt ein großer Fluß.
 
Erschrocken fahr ich hoch und seufze leer,
Wirr fliegt die Geisterseele, erdenschwer.
 
Es schäumt das weiße Wasser prächtig, prächtig.
Voll Kraft stehn hohe Berge mächtig, mächtig.
 
Die Welle sammelt sich, die Welle sprüht,
Die Blume welkt dahin, die Blume blüht.
 
Ach diese Erde ist nicht meine Erde!
Bei Gott ich meine Klage klagen werde!
 
 
HERBSTABEND
 
Zerstreut, das Herbstgewölk so fern, so fern.
Einsam zur Nacht des Himmels Silberstern.
 
Von Westen kam ein Wirbelwind mit Macht,
Wildgänse ziehen hin und her zur Nacht.
 
Ich öffne leise die Verandatür,
Ich nehm die Leier, such zu spielen zier.
 
Ach, ich erreiche keine Harmonie,
Der Schmerz bleibt, ist verstummt die Melodie.
 
Die Luft: metallen, kraftvoll, scharf und wach.
Doch das erhabne Yang: allein und schwach.
 
Der schöpferische Brunnen ausgeschöpft,
Duftende Zeit wie Wachs von Kerzen tröpft.
 
Einer weiß weniger und einer mehr.
Mit wem erkenne ich, was leicht, was schwer?
 
Ein Schriftstück sendend, ist mein Herz bedrückt.
Hab Seide auf den weiten Weg geschickt.
 
Ich wünsch dir Muße, wie gebührt den Alten.
Beim Denken mögest du auch Mahlzeit halten.
 
 
AN MINISTER HSIEH-CHUANG
 
Das Morgenrot ist licht, der Gießbach hell,
Die Sonne ruhig und die Strömung schnell.
 
Der Wind ist leicht, die Pfirsichblüten tagen,
Der Tau ist schwer, kein Lotos kann ihn tragen.
 
Das Leuchten auf dem breiten Fluß fließt über,
Der Nebel in den Kiefern immer trüber.
 
Die Dünste auf dem Berge traumverloren,
Und auf dem Felsen ist der Tau gefroren.
 
Bei lindem Licht am Morgen bunte Dinge,
Am Abend rauscht des Phönix Purpurschwinge.
 
 
LENZLIED, AUCH LU CHI ZUGESCHRIEBEN
 
Der Kreis der Jahreszeiten
Erscheint mir so betrüblich.
Nichts glänzt so süß und seiden
Wie Lenz, so licht und lieblich.
 
Der lind und milde Wind
Verhindert schwere Schwüle.
Verbliebne Lüfte sind
Von reiner klarer Kühle.
 
 
DAS ALTER
 
Im weißen Antlitz rote Adern glühten,
An dunklen Schläfen wachsen weiße Blüten.
 
Ah weh! Wer rettet mich aus meinem Alter?
Allmählich, ganz allmählich ward ich alt - Herr!
 
 
CHU YUAN
 
DER GEIST DES BERGES
 
Ich denk, da ist ein Geist der Hügel,
Gewandet grün in Gräsern da,
Er gürtet sich mit Efeuflügel,
Die Lippen lachen süß und nah,
 
Der Miene Zauber: aus dem Vollen!
Man sieht ihn rote Parder jagen,
Im Hintergrund die Katzen tollen
Und er: zurückgelehnt im Wagen.
 
Mit Aloe- und Kassia-Fahnen,
Gegürtet schön mit Azalee,
Umhüllt von alten Umlaufbahnen
Und Düften von der Blüten Schnee:
 
Erinnerung im Herz zurückzulassen...
 
Ja, aber dunkel ists im Haine,
Kein Licht des Tags erreicht ihn je,
Gefahrvoll ist der Pfad der Steine
Und schwer erklimmt man je den Schnee:
 
Erinnerung im Herz zurückzulassen...
 
Ich steh allein auf Hügels Höhe,
Gewölk zerfließt zu meinen Füßen.
Umher das alles was ich sehe,
Seh ich in roter Glut zerfließen.
 
Der Ostwind lispelt einen Reim,
Ganz sanfte fällt der Nieselregen.
Im Glück vergaß ich mein Daheim;
Wer wird mich jetzt noch ehren mögen?
 
Pflück Blumen an dem Hügelhang
Im Felsenchaos zwischen Wein,
Trink von der Felsenquelle lang
Und schlafe bei der Pinie ein.
 
Der Sturm jagt durch die Wisperbäume,
Der Prinz tritt ein in meine Träume,
Doch alles ist vergebens schlicht:
Mein Leid, mein Leid, das legt sich nicht!
 
 
DER GOTTESDIENST
 
Begräbnisriten auszuführen
Und dann des Tanzes Trommel rühren.
Der fromme Priester tritt zurück,
Nun kommen Tänzer für das Glück:
"Astern dem Herbste!" jubelt An,
"Orchis dem Lenze!" jubelt Nan.
So ist es immer.
So war es immer.
 
 
HAN WU-TI
 
KURZE JUGEND
 
Der Herbstwind weht die weißen Wolkenschlüfte,
Das Gras verblüht, die Gänse ziehn zur Sonne,
Der Orchisduft erfüllt die linden Lüfte,
Die Chrysanthemen geben süße Düfte,
Mein Herz ist voll der Lieben Frau der Wonne!
 
Die Tempeldschunke kreuzt den Fen-Fluß bang,
In Wassers Mitte türmt sich weiße Welle.
Die Trommel und die Flöte und Gesang.
Beim schönen Fest Gedanken kamen helle:
Die Jugend kurz, das Alter sicher lang.
 
 
GEGANGEN
 
Der Sang der Seide ward gestillt...
Von Staub der Marmorflur erfüllt.
Kein Schritte-Echo auf dem Grund,
Das Laub sinkt vor der Tür zugrund.
Denn Sie, mein Stolz, die liebe Eine ist gegangen!
Ich blieb zurück, in hoffnungsloser Angst gefangen.
 
 
LI FUJEN
 
Ist sie es oder ist sie's nicht?
Ich steh und schau.
Ein süßer Seidenseufzer licht...
Wie langsam kommt die Liebe Frau!
 
 
 
TOA CHIEN
 
SUBSTANZ UND SCHATTE UND GEIST
 
(Hoch und niedrig, weise und simpel,- alle sind sie geschäftig, anzuhäufen die Momente des Lebens. Wie irren sie sich! Darum hab ich bis zum Äußersten die Bitternis ausgeleuchtet, die Bitternis von Substanz und Schatten, und ließ meinen Geist lehren, wie wir, der Natur folgend, diese Bitternis auflösen.)
 
(Substanz spricht zum Schatten:)
 
Der Himmel und die Erde sind für immer,
Die Berge und die Flüsse bleiben gleich;
Aber im Kreislauf Kräuter stets und Bäume,
Erneut geboren durch den frostgen Tau.
Und Mensch, der weise, Mensch, der göttliche -
Soll er alleine dem Gesetz entkommen?
Für einen Tag erscheinend in der Welt,
Schied plötzlich er zur Nimmerwiederkehr.
Wie kann er wissen, daß die Freunde, die
Er ließ, ihn missen, daß sie an ihn denken?
Die Dinge, die er brauchte, die nur blieben;
Sie sehn sie an und weinen bittre Tränen.
Nicht Magierkünste reißen mich heraus,
Wenn du auch hoffst auf eines Meisters Hilfe...
Ich bitt inbrünstig, lausche diesem Rat:
Kannst du wo Wein bekommen, trinke ihn.
 
(Schatte antwortet:)
 
Das Leben mir bewahren kann ich nicht,
Unsterblichkeitspastille ist für Toren!
Ich würde froh im Paradiese wandeln,
Doch ist es fern, dahin führt keine Straße.
Seit ich mit dir vereinigt worden bin,
Teilen wir alle Freuden, alle Leiden.
Im Schatten ruhtest du, da ließ ich dich,
Doch bis zum Ende sind wir fest zusammen.
Impermanent ist unsre Existenz:
Zusammen gleiten traurig wir davon.
Der Leib zerfällt, da geht der Name auch,-
Gedanke unerträglich, herzzerreißend!
Laß ringen uns und schaffen schöpferisch,
Einige Taten Ruhmes wert zu tun!
Wein mag in Wahrheit unsre Sorgen lösen,-
Doch zu vergleichen dies mit großem Ruhm?
 
(Der Geist legt aus:)
 
Gott, Gott allein kann in Bewegung setzen,
Er will nicht kontrollieren seine Schöpfung.
Der Mensch, der Zweite in Dreifacher Ordnung,
Er übereignet seinen Vorrang Mir!...
Wenn ich auch allen euch verschieden bin,
Einer im Andern sind wir ja geboren.
Auf keine Weise können wir entfliehn
Intim-Erkenntnissen von Gut und Böse!
Die Drei Erobrer waren heilge Menschen,
Heut aber, sagt mir an, wo sind sie heut?
Erreichte Peng auch hohes Alter, aber
Er ging zuletzt, da wollte er noch bleiben.
Zu guter Letzt gehn alle Menschen hin,
Ob weise oder simpel, das ist gleich.
Der Wein mag tröstendes Vergessen bringen,
Doch bringt er nicht das Alter auch herbei?
Wenn ihr die Herzen setzt auf noble Taten,
Wie wisst ihr, daß euch jemand dafür preist?
Mit der Gedankenflut betrübt ihr Mich:
Du solltest gehn, wohin das Schicksal leitet.
Fahr auf dem Wasser unendlichen Flusses
Ohn alle Angst, und wenn du gehen mußt,
Dann geh, mach wenig Wesen dann davon.
 
 
GEBET
 
Jetzt flattern Vögel in dem Pflaumenhain,
Die fliegen hin und her, direkt und sacht.
Die Hsi Wang Mu hält Hof am Tag allein,
Im Westgebirg die Pfirsichfeen zur Nacht.
Oh werdet mir zu Himmelsboten! geht
Und tragt zu ihr hier dies mein letztes Wort:
Nach nichts hab ich gefragt auf Erden dort,
Als Jahres Länge, Weines Tiefe - mein Gebet.
 
 
 
DIE XIX EHRWÜRDIGEN GEDICHTE (Dichter unbekannt)
 
I
 
Nun wander, wander, wander, wander, wander.
Lebenden Leibes nun getrennt vom Guten,
Zehntausend Meilen lebend auseinander,
Getrennt durch Himmels Fluß mit lichten Fluten.
 
Die Wege weit und voll von Hindernissen.
Wie ließe sich ums Wiedersehen wissen?
Das Pferd hat sich dem Nordwind anvertraut,
Der Vogel sich im Süd ein Nest gebaut.
 
Mit jedem Tag einander ferner fern,
Der Gürtel täglich enger auf der Haut.
Gewölk treibt vor dem weißen Tagesstern,
Der Wanderer hat sich nicht umgeschaut.
 
Alt macht mich das Mich-nach-dem-Edlen-sehnen.
Die Jahre fliehn, spät ist es auf einmal.
So schweig von den Ereignissen, von jenen,
So schweig und find dich ein bei einem Mahl.
 
II
 
So grün, so grün am Fluß das Ufergras,
Anmutig rauscht die Silberflut der Weide.
So lieblich, lieblich hoch im Haus die Maide,
So schimmernd, schimmernd sie im Raume saß.
 
So schön, so schön der roten Schminke Schimmer,
So weiß, so weiß der feinen Händchen Haut.
Sie war einst Sängerin im Freudenzimmer,
Sie ist nun eines Vagabunden Braut.
 
Der geht und kehrt nicht wieder her.
Das leere Bett allein zu halten: schwer.
 
III
 
So grün die Zeder auf dem Hügel steht,
In dem Gebirgsbach Kieselstein um -stein.
So zwischen Erd und Himmelreich Menschsein:
Ein Gast. Wer weiß wie weit die Reise geht?
 
Schenk Wein ein: gegenseitig sich erfreuen!
Nur geize nicht, allein das Geben ehrt!
Spann an die Rosse, steig auf das Gefährt,
Fahr hin nach Wan und Luo: sich erneuen!
 
In Luo-yang, o welch ein Rausch und Prassen!
Die Hüte und die Schärpen sich ergänzen.
Lang die Alleen und eng vernetzt die Gassen,
Der Hierarchie ruhmvolle Residenzen.
 
Die zwei Paläste fernher lächeln Gruß,
Die zwei Portale hoch wohl hundert Fuß.
Das Fest: für Sinn und Seele Freudenschauer!
Doch ach, wo ist der Grund der tiefen Trauer?
 
IV
 
Heutigen Tages eine schöne Feier,
Kaum auszusagen, solch ein Überschwang!
Betörendes Getön entlockt der Leier,
Bezaubernd drang zum Geist der neue Klang.
 
Die Priester sangen Worte himmelwärts,
Die Wissenden vernahmens, das ist wahr.
Ähnlicher Wunsch ist im verwandten Herz.
Verborgner Geist wird dunkel offenbar...
 
Des Menschen Leben eilt durch seine Zeit,
Ist ungewiß, wie Staub im Wirbelsturm.
Ein Roß aufzäumen und als Erster sein
Dort an des Flusses Furt am höchsten Turm?
 
Tu's nicht. Bewahr bescheidnes Einfachsein.
Das Leid-Gefährt liegt lang in Not und Pein.
 
V
 
Weit im Nordwesten steht ein Haus allein,
Des Hauses First ist bei den Wolken-Steppen.
Die Fenster sind gemustert seidenfein.
Der A-Turm, Doppelbaldachin, drei Treppen.
 
Von oben her tönt Saitenspiel und Singen,
Mit einmmal so trauervoll die Töne.
Wem können solche Melodien gelingen?
Sollt es die Frau Qi Liangs sein, die schöne?
 
Shang-Töne der Bewegung folgen frei,
Und jäh ein Stocken, mitten in dem Stück.
Ein Saitenschlag und weher Seufzer drei,
Bedauernd, daß ihr fehlt das süße Glück.
 
Mich dauert nicht die Sängerin, ihr Leid,
Doch daß der Töne Kenner in den Fernen.
Sie wollten sein ein Kranichpaar, das schreit
Und flügelschlagend aufsteigt zu den Sternen!
 
VI
 
Den Fluß durchquert und Lilien gepflückt,
Duftendes Gras im Orchideenmoor.
Ich pflücke viel. Wem lege ich das vor?
Die Liebe, ach, ist in die Fern entrückt!
 
Ich schau zurück. Die Heimat ist so weit.
Wie sehnsuchtsvoll der Weg ins Ferne brennt!
Ach, Eines Herzens sein und doch getrennt!
Ach, tausend Schmerzen! dann das End der Zeit...
 
VII
 
In tiefer Nacht der lichte Mondschein gleißt,
Fern an des Ostens Mauern zirpen Grillen,
Des Wagens Deichsel auf den Winter weist,
Die Sterne, o wie rein und klar, die stillen.
 
Weißlicher Tau liegt auf dem wilden Gras.
Mit einemmal ists andre Jahreszeit.
Die Herbstzikade in dem Baume saß.
Mysterienvogel fliegt: wohin? So weit!
 
Mein Studiengefährte in der Weile
Ist aufgestiegen, schreibt die sieben Keile,
Gedenkt nicht mehr des Wohls gereichter Hand,
Läßt mich zurück wie eine Spur im Sand.
 
Im Süd die Sichel, Kelle steht im Nord,
Der Büffel nicht mehr vor dem Pflug im Joch.
Ach, ist nicht felsenfest des Menschen Wort,
Was nützte ihm der leere Name noch?
 
VIII
 
Ach, schwächlicher, ach schwächlicher verwaister
Bambus treibt seine Wurzeln tiefer in den
Berg. Neu verbunden sind der Edlen Geister,
Die Hasenhaare mit den Weiberwinden.
 
Der Wuchs des Hasenhaars hat seine Zeit,
In Ordnung ist, wenn Mann und Frau sich einen.
Vereinigt, wenn auch tausend Meilen weit,
Getrennt die Pfade sind, versperrt von Steinen.
 
Die Sehnsucht nach dem Edlen macht mich alt.
Wie lang des Wagens Heimkehr noch gestundet?
Die Lan- und Hui-Pflanzen sind verwundet,
Es streut ein Glanz sich aus dem Knospenspalt.
 
Die Pflanzen nicht gepflückt, die Zeiten schleichen,
Im Herbst verwelkend wie ein jedes Gras.
Des Edlen Tugend, nähm sie hohes Maß,
Die niedre Magd, was könnt sie nicht erreichen?
 
IX
 
Im Hofe steht ein wundersamer Baum,
Im grünen Laub die Pracht der schönen Blüten.
Pflück von dem Ast die Blüten, die erglühten,
Schick sie der Liebe hin durch Zeit und Raum.
 
Vom Brusttuch schwebt bezauberndes Arom.
Dorthin kommt keiner, ach, der Weg ist weit.
Den blühenden Tribut bringt welcher Strom?
Der Trennung, ach, gedenkend, rinnt die Zeit.
 
X
 
Am Himmel fern der lichte Hirtenstern
Und schimmernd fern die Sternstromdame schwebt.
So zart mit ihrer Hand, dem Liebsten gern
"Simm, simm" die Weberin am Rahmen webt.
 
Am Tagesabend nicht Ein Stück vollbracht.
Sie weint: so fällt ein Regen in ein Tal.
Der Weiße Weg so leuchtend in der Nacht.
Sie gingen auseinander: wieviel Mal?
 
So schimmernd, schimmernd in dem weiten Meer.
Nun Blick auf Blick - und keine Worte mehr.
 
XI
 
Ich wende mich, fahr los mit dem Gefährt,
Laß weiten Weg zurück und fahre weiter.
Seh jede Himmelsrichtung trüb, verheert,
Der Ostwind schneidet Gräser wenig heiter.
 
Nichts Altes treff ich an, zu meinem Leid.
Wärs möglich, da nicht alt zu werden gleich?
Ob wachsen, welken: das bestimmt die Zeit.
Wie traurig, früher nicht im Dienst zu sein.
 
Des Menschen Leben dauert nicht wie Stein.
Wie kommt man in das Alter segensreich?
Rasch, ungewiß. So folg dem Wandelwesen:
Leuchtenden Namen sich zum Schatz erlesen!
 
XII
 
Des Ostens Mauer, hoch und lang, sie führt
Sich windungsreich in weite Ferne fort.
Ein harter Herbstwind an die Erde rührt,
Das grüne Gras vergilbt, schon ists verdorrt.
 
Wie eindrucksvoll die Wandlungen der Zeit,
Des Jahres Abend kommt sehr schnell, der stille.
Der Morgenfalke weckt im Herzen Leid,
Und Kleinmut weckt im Herz die Abendgrille.
 
O läutert euch! Das Wollen und Empfinden
Befreit! Warum sich selbst in Fesseln binden?
In Yan und Zhao seht die vielen Holden,
Die schönen, mit Gesichtern jade-golden!
 
Gekleidet in ein seidenes Gewand,
So steht sie dort, erfindet neue Lieder.
Traurig der Ton mit einemmale wieder.
Die wohlgestimmten Saiten sind gespannt.
 
Sie singt sich aus; sie macht den Gürtel fest;
Sie schreitet hin und her; seufzt inniglich:
Ein freies Schwalbenpärchen sein, das sich
Hoch an des Edlen Hütte baut ein Nest!
 
XIII
 
Ich treib am obern Osttor hin den Wagen,
Ich seh die Gräber fern, des Nordens Wand.
Die Zitterpappeln leise rauschen Klagen,
Die Zedern, Pinien am Wegesrand.
 
Tief unten ist der Mensch, den Tod betraf,
Verfällt in dunkel-dunkler langer Nacht,
Liegt unter Gelben Quellen nun im Schlaf,
In tausend-tausend Jahren nicht erwacht.
 
Sich wechselnd, Yin und Yang, sie strömen rein.
Der Jahre Schicksal ist wie Tau. Ein Gast,
So ist des Menschen Leben, ohne Rast.
Auch Alter ist nicht fest wie Felsgestein.
 
Zehntausende von Jahren wechseln, kein
Heiliger kanns ermessen, was das heißt.
Beim Drogenschlucken um den Elfengeist
Getäuscht sind viele durch den falschen Schein.
 
Das gleicht dem Trinken nicht von gutem Wein,
Gewändern nicht von Purpurseide fein.
 
XIV
 
Wer geht, wird einem fremd und fremder täglich,
Wer kommt, wird einem lieb und lieber täglich.
Ich trete aus dem Tor, hinauszusehn,
Doch Hügel sind und Gräber nur zu sehn.
 
Die Gräber werden umgepflügt zum Feld,
Die Zedern und die Pinien gefällt.
In Zitterpappeln ist viel Kummer rege,
Viel Trauer. An die Toten denkt der Schmerz.
 
Ich sehn mich umzukehren heimatwärts.
Ach, niemand folgt mir nach auf diesem Wege.
 
XV
 
Das Leben zählt kaum bis zu hundert Jahren,
Stets hat man Tausend-Jahre-Kummer bang.
Das Taglicht kurz, die Leidensnacht ist lang,
Warum nicht Fackeln nehmen, wegzufahren?
 
Ergreifen den Moment um sich zu freuen!
Wer denkt, die Freude käm von selber her?
Der Dumme liebt das Um-Verschwendung-klagen,
Ein solcher ist Gelächter bloß den Neuen.
 
Wie Feenmensch Königssohn Qiao? Schwer
Ists, derartige Hoffnungen zu tragen.
 
XVI
 
Es neigt sich jetzt das Jahr, so kalt, so kalt.
Die Maulwurfsgrillen zirpen todbereit.
Schon blasen kalte Winde mit Gewalt,
Der Wandrer in der Kälte ohne Kleid.
 
Brokatne Decke an dem Ufersaum,
Bestickten Mantels Freund, er ist entrückt.
Die Nächte häufen sich. Allein im Raum.
Sein schimmerndes Gesicht kam mir im Traum.
 
Der Edle an die alten Freuden denkt.
Auf das Gefährt gestützt, nimmt er das Band,
Er hofft, das Lächeln immer ihn beglückt,
Heim im Gefährt, und er ergreift die Hand.
 
Dann angekommen: kein Moment Verweilen,
Nicht wo das Doppeltor die Flügel schwenkt.
Hat er nicht Morgenfalkenschwingen, wie
Könnt man dann reitend auf dem Winde eilen?
 
Versteh! Gereckten Halses: schau zurück.
Von fern einander hoffnungsvoll im Blick.
Sehr sachten Schritts, Schmerz in dem Herzen: Die
Fallende Träne netzt der Schwelle Stück.
 
XVII
 
Der Winteranfang, Lüfte klirrend-kalt,
Der Nordwind weht mit grausamer Gewalt.
Viel Sorgen. Ach ich weiß, die Nacht ist lang.
Ich schaue zu den Sternenscharen bang.
 
Drei, fünf, der helle Mond ist voll und blank,
Vier, fünf, der Mond in Dunkelheit versank.
Von fernem Orte her ein Gast eintrifft,
Ein Bote, überbringt mir eine Schrift,
 
Wo oben steht: Lang aneinander denken;
Wo unten steht: Lang wird die Trennung kränken.
Er birgt den Brief in seinem Mantel. In
Drei Jahren dieses Zeichen nicht zerbricht:
 
Ergebenheit von ganzem Herz und Sinn!
Der Edle, bange ich, bemerkt dies nicht.
 
XVIII
 
Ein Bote kommt von einem Orte fern,
Der einen Ballen Seide überbringt.
Zehntausend Meilen voneinander fern,
Der Freundin lang ein Freund: das Herz beringt.
 
Erlesnes Muster: Mandarin-Enten-Paar.
Draus mache eine Decke unsrer Träume,
Durchwirke sie mit Andachts Seidenhaar,
Mit unlösbaren Knoten sie umsäume.
 
Nimm Leim und gebe ihn in Lack. Wer kann
Das wieder voneinander trennen dann?
 
XIX
 
Der Mond so schimmernd, schimmernd überm Land,
Scheint schön auf unsern seidnen Bettvolant.
Bin sorgevoll und kann nicht schlafen mehr,
Leg ein Gewand mir an, geh hin und her.
 
Zu reisen, ists auch freudevoll genannt,
Ist nicht so wert wie frühe Wiederkehr.
Tret aus dem Tor, allein, geh hin und her.
O wem sei all mein schweres Leid bekannt?
 
Ich heb das Haupt, ich kehr ins Haus, voll Sehnen.
Das schimmernde Gewand durchtränkt von Tränen.
 
 
 
M E N G   H A O - J A N
 
IM TRAUMLAND
 
Die Sonne westwärts hinterm Hügel sank,
Im Osten spiegelt sich der Mond im Teich.
Ich trete aus der Tür, mein Haar fließt lang,
Ich will die frische Luft genießen gleich.
Von Lotosdüften schwer die Brise streich,
Ich höre Tropfen falln vom Bambus schlank
Und schau auf meine Leier, seufze weich:
Ach, keine geistverwandte Seele nah!
Ich döst, als es vor meinem Aug geschah:
Im Traumkleid liebe Freunde schwebten da.
 
 
DIE TAO-JÜNGER
 
Ich schlaf im Wald, ach ach, der Lenz vorbei,
Ich seh zum Fenster raus, seh alles blühn.
Und der Pirol der Königlichen Fei
Läd mich zur Halle, wo die Flammen sprühn
- Das goldne Cruzifix ward mir erhellt -
Beim Pfirsichbaum mit feinen Blättern grün.
Im Antlitz Jugend, das kann man bekommen,
Was braucht es arme Wandrer durch die Welt,
Die trunken sind vom Nebel und verschwommen...
 
 
W A N G   W E I
 
ADIEU AN MENG HAO-JAN
 
Beim Weine sprachen wir das letzte Wort.
Ich wisperte: Mein lieber Freund, wie weiter?-
Er sprach: Ich krank am Leben fort und fort
Und mir verlangt nach Ruh an Hügeln heiter.
Oh, sucht nicht meine Stapfen hoch im Schnee,
Die weißen Wolken stilln mich je und je!-
 
 
AN EINEN FREUNDLICHEN GAST
 
Den Platz des Friedens wollen wir am Abendtage,
Die Herzen unberührt von Weltgeschäftigkeit.
Kein Zukunftsplan bedrängt die Seelen uns zur Plage,
Wir suchen Kindheitswälder auf, so wild und weit.
 
Die Brise streicht durch Pinien bis zum Gürtelsiegel,
Die lichte Leier glänzt zum Monde überm Hügel.
Willst du verlangen, alle Weisheit zu erlangen?
Siehe, am Ufersaume, was die Fischer sangen...
 
 
T S U I   H A O
 
HEIMATHÜTTEN
 
Ein Sterbling segelte zum Himmelreich auf einem Kranich,
Der Gelbe-Kranich-Kiosk wird für je und immer sein.
Aber der Vogel flog davon, allein blieb auf der Bahn ich,
Obwohl wie einst die Wolken weiß wie lichter Mondenschein.
 
Im Osten ruht der weite Wald, da steht ein Zedernriese,
Von Westen duftet von den Blüten die Ambrosia-Brise.
Und täglich wenden meine Augen sich zum Heimatraum
Jenseits des großen Stroms mit seinen Wellen, seinem Schaum.
 
 
L I   B A I   ( L I   T A I - B O )
 
WANDERND ZUM MEISTER DES WEGES AM TAI-TIEN-BERG, OHNE IHN ZU FINDEN
 
Die Hunde bellen bei der Wasser Flucht,
Der Tau befleckt die Pfirsichblütenflocken.
In Wäldern seh ich Hirsche. An der Bucht
Hör nichts ich von den Mittagstempelglocken.
 
Der wilde Bambus blaue Dünste teilt.
Ein Bergstrom bei smaragdnen Gipfellinien.
Wer weiß, wer weiß, wohin bist du geeilt?
Zur Ruhe, Meister, fand ich zwei drei Pinien.
 
 
MOND AM O-MI-BERG
 
Halbmond beim O-mi-Berg zur Herbsteszeit,
Sein Licht sinkt in den Ping-chiang-Fluß hauchdünn.
Von Ching-chi zu den Dreien Schluchten weit -
Dich nicht erblickend, dein gedenkend, Maid -
Bin ich gegangen stromabwärts dahin.
 
 
AN DER CHING-MEN-FÄHRE, EIN ADIEU
 
Ich fahre hinter Ching-men in die Ferne,
Ich breche auf zum Südland - alter Traum.
Hier sinken in die offnen Felder Berge,
Der Strom fließt hin in grenzenlosen Raum.
 
Der Mond steigt auf, des Himmels Spiegelbild,
Die Wolke weht bis wo der Leuchtturm loht.
Ich weiß wohl, wie der Heimat Flut sich fühlt:
Zehntausend Meilen Abschied hier im Boot.
 
 
DEN WASSERFALL DES LU-BERGES BETRACHTEND I
 
Den Weihrauchbrenner-Gipfel nun hinan,
Ich schaue zu des Wasserfalls Kaskade
Im Süden da, dreitausend Fuß hoch, dann
Viel Meilen durch die Schluchten stürzend grade.
 
Wie Himmelsblitze plötzlich niederbrechend,
Erscheint mysteriös der Regenbogen.
Der Sternenstrom sinkt nieder wie erschreckend,
Zerstäubend löst er sich in Wolkenwogen.
 
Ich schaue auf zu seinem Toben, Rasen,
Zu aufgewühlter Macht, der Schöpfung Werk,
Wie Meereswinde unaufhörlich blasen,
In leere Räume scheint der Mond am Berg,
 
Die leeren Räume taumeln hin und sprühen,
Die sich, die grünen Kliffe spülend, wälzen,
In Nebel sich zertreuend, Perlen fliehen,
Und Gischt saust nieder am getürmten Felsen.
 
Nach meiner Wanderung am Berge hier
An innerm Frieden wird das Herz mir reich.
Was reden von dem Lebenselixier?
Hier spült der Welt Staub ab vom Antlitz gleich.
 
Ich bin der Liebe nah - und kann verlassen
Die völkerreiche Welt mit ihrem Hassen.
 
 
DEN WASSERFALL DES LU-BERGES BETRACHTEND II
 
Die Sonne auf dem Gipfel zündet lila Rauchen,
Ich sehe da des fernen Wasserfalls Gewimmel,
Die Quelle großer Ströme seh ich niedertauchen:
Da sinkt der weiße Sternenstrom durch die neun Himmel!
 
 
BESUCHEND EINEN ZEN-MEISTER
 
Wie Hui-yüan seinen Schüler, lehrst
Du mich die stille Zen-Meditation.
Hier ist es ja, bei Fels und Fichte, ernst,
Nicht anders als auf Gletschergipfels Thron.
Die Blüten rein, ganz ohne Illusion.
Und Geist und Wasser lauter Muße pur.
Die Leere schaue ich durch die Natur.
 
 
NACHTGEDANKEN AM TUNG-LIN-KLOSTER AUF DEM LU-BERG
 
Ich suchte nach dem Blauen-Lotos-Haus,
So trat ich aus dem Tor der Stadt. Ein blasser
Kristallner Frost. Die Glocken klangen aus.
Der Mond des Baches mild im bleichen Wasser.
 
Die reine Leere - Wohlgeruch des Himmels!
Und ohne Ende die Musik des Himmels!
 
Still sitz ich. Das vollkommne Himmelreich
In Haares Breite, Geistes Tiefe, so
Unendlich tiefe Klarheit, darin gleich
Der Weg beginnt, und endet - nirgendwo.
 
 
GESANG VON DER SONNE
 
Die Sonne steigt auf überm östlichen Hafen, kommt her,
Als käm sie aus irgendeiner Unterwelt Abgründen.
Sie kreuzt den Himmel. Sie flieht zum westlichen Meer,
Doch die sechs Drachen können nirgends Ruhe finden.
 
Täglich beginnt sie und endet täglich.
Geschaffen sind wir
Nicht mit solcher Lebenskraft unsäglich.
Wie lange können wir wandern mit ihr?
 
Blumen verweigern sich nicht, sie blühen hell,
Bäume ärgern sich nicht, sie lassen die Blätter fallen.
Niemand jagt wie die Jahreszeiten so schnell.
Aus sich selbst die zehntausend Dinge steigen und fallen.
 
O Hsi Ho, o große Mutter der Sonne,
O Königin der Sonne,
Wie kannst du ertrinken im purpurnen Kleid
In jenen wilden Seen der Verlassenheit?
 
Und Lu Yang, durch welche Macht
Hielt er auf der Sonne Weg in die Nacht?
 
Himmel und Tao verletzte das jedenfalls!
Alles Schwindel, nie endender hohler Schein!
 
Ich werfe die kotige Erde in einen Abfalleimer hinein
Und kehre heim in den ewigen Schoß des Alls!
 
 
ADIEU ZU EINEM GAST, DER GEN OSTEN SCHIED
 
Herbstregen endet in der Stadt am Fluß,
Der Wein ging aus, dein Segel rauscht hinaus,
Du scheidest über Flut und Wogenguß,
Die Deinen kehren mit dir heim nach Haus,
 
Vorbei an Inseln, die in Blumen ruhn,
Am Meeresufer Weidenfiligran.
Nach deinem Scheiden bleibt nichts mehr zu tun,
So kehr ich um und putz die Fische dann.
 
 
AM TURM DES GELBEN KRANICHS
 
Vom Turm, des Gelben Kranichs Nest,
Mein alter Bruder mich verläßt,
Den Strom hinab, durch die Gebiete
Des späten Lenzes. Lauter Blüte.
 
Einsamen Segels fernes Glühn
Entflieht in Lüfte jadegrün.
Nichts bleibt als eines Stromes Tümmeln
Hier an der Grenze zu den Himmeln.
 
 
LIED AUS HSIANG-YANG
 
In Hsiang-yang gabs Freude viel. Man war
Beim Spiele „kupferblondes Pferdehaar“
Und sang und tanzte auf dem Wiesenplan.
Doch ist es eine Stadt an einem Fluß:
Zurück nun also zu dem Wasser klar!
Ein Mond wie eine weiße Blüte muß
Uns offenbaren allen unsern Wahn.
 
 
ZU SENDEN IN DIE FERNE
 
Hier war soviel Schönheit -
Hütte blumenschwer!
Fort ist alle Schönheit -
Und das Lager leer!
 
Deine Decke aufgerollt, wie nie gebraucht.
Ach drei Jahre lang! Dein Atem hier noch haucht.
 
Duft, wie bist du fort - der doch nicht endest.
Du bist fort - dich nie mehr zu mir wendest.
 
Ich denk an dich - der Baum läßt seine Blätter los
Und Tränentau liegt glitzernd auf dem grünen Moos.
 
 
GESCHRIEBEN AN DIE MAUER DES GIPFELTEMPELS
 
Ich bin beim Gipfeltempel. Sterne glitzern.
Hier kann man sich bis zu den Sternen strecken.
Ich wage mehr nicht als ein leises Flüstern,
Um nicht die Heiligen des Himmels aufzuwecken.
 
 
IN DIE FERNE ZU SENDEN I
 
Die Frau alleine östlich von Chung-ling,
Dieweil ich bei den Han-Fluß-Inseln ging.
 
Ich schau den ganzen Tag durch Blütentriebe.
Ah, zwischen uns ein schmaler Pfad sich streckt.
Wir schieden, machten Wolken-Regen-Liebe;
Jetzt bleibt nichts mehr als Gras, das Herbstlaub deckt.
 
Herbstmotten steigen, Feuerfliegen funkeln,
Und jeden Abend Kummer ungetröstet.
Werd ich dich wiedersehen? und verdunkeln
Das Licht wie einst, als du das Kleid mir löstest?
 
 
IN DIE FERNE ZU SENDEN II
 
Die schmalen Frühlingsgräser grün umweben
Die Pforte, wie von Leidenschaft getrieben.
Ach, alles kam vom Tod zurück ins Leben -
Mein Wermutherz allein ist bitter blieben.
 
In allem diesem seh ich wieder dich,
Im Garten wandelnd wie ein Gartenkönig,
Und seh uns beide schauen müßiglich
Das was da lebt und webt - das ist nicht wenig.
 
 
WANDERND AM CHING-LING-STROM IN NAN-YANG
 
Ich sehe eine Abendsonne sinken.
Ich lieb des kalten Stromes klares Blinken:
Dem Wasser folgt das Purpurlicht westwärts,
Strömt sausend hin wie eines Wandrers Herz.
Zu Mond und Wolken sing ich einen Sang,
Es weht der Wind die Pinien entlang.
 
 
WANDERND AM WEISSEN STROM IN NAN-YANG
 
Morgens an des Stromes Quelle dort,
Plötzlich ist die Welt der Menschen fort:
Weltenendenschön der Inseln Rarheit,
Fluß und Himmel große leere Klarheit.
 
Meereswolken von den Blicken scheiden.
Geistes Muße. - Fisches Wanderungen.
Abendsonne hat sich fortgeschwungen.
Licht des Mondes sinkt auf grüne Weiden.
 
 
LIED DES HÄNDLERS
 
Seefahrer fährt im Himmelswind,
Reist in die Ferne mit dem Boot.
Wie Vögel bei den Wolken sind -
Verschwunden ohne Spur...........
 
 
ZEN-GESPRÄCH IM KLOSTER
 
Allein, inmitten grenzenlosen Traumes
Beginnen wir zu sinnen: da beginnen
Das Feuer und der Wind des Weltenraumes
Zu drehn in Erde und in Wasser drinnen
Und geben diesen Schatten uns, den dunklen.
Wir löschen dämmerhafte Konfusion,
Beharren auf den wesentlichen Punkten,
Erreichen Ewigkeits-Erleuchtung schon
Und sehen diesen Erdenkörper klar
Und ohne Furcht und Ängste um und um,
Jenseits von dem was kommt und dem was war,
Erkennen bald wir das Mysterium.
 
Was für ein Glück, zu finden auserkoren
Die Einsiedlei, anbietend grünen Wein.
Und wir, wir beide scheinen wie verloren
Zusammen, scheinen anders nicht zu sein
Als Berg und Wolken. Klaren Windes Wehen
Eröffnet reine Leere. Mondenschein
Scheint auf Gelächter und Gered zu sehen
Und blaue Lotosdächer zart und fein.
 
Und zeitloses Verlangen, innig ganz,
Bricht auf in einen weitwandernden Glanz.
 
 
GRENZBERGES MOND
 
Hoch überm Himmelsberge herrlich thront
In grenzenloser Wolkensee der Mond.
 
Zehntausend Tausende von Meilen lang
Der Wind den Weg zur Jadepforte schwang.
 
Das Heer am Weg des weißen Aszendenten,
Mongolen zu den Seen des Himmels wenden.
 
Die Wächter schauen zu des Mondes Grenze
Und sehnen sich nach ihrer Heimat Lenze.
 
Im Zimmer eines Turmes heute Nacht
Ist stöhnend aus dem Schlaf ein Weib erwacht.
 
 
SOMMERTAG IN DEN BERGEN
 
Weiße Federn meinem Antlitz fächeln,
Da ich müßig seh die Wälder lächeln.
 
Ich hänge meine Kappe an die Klippe,
Bei Pinien wehn die Haare um die Lippe.
 
 
IM GARTEN
 
(Ai-Wei gewidmet)
 
Ein Pflaumenbaum in Gartens Mitte stand
Und in des Gartens Grüne saßest du.
Du hieltest eine Pflaume in der Hand
Und reichtest sie in stiller Seelenruh
 
An den, der sie empfing. Dein kleiner Bube
Sich schmiegte an die Baby-Pfirsichbrüste
Und deines Mundes schwellende Jujube
Ich segnend bloß in meinem Traume küsste.
 
 
ANTIKER GESANG
 
Einst träumte Tschuang-Tse
Er sei ein Schmetterling,
Da ward der Schmetterling
Zum Träumer Tschuang-Tse.
 
Transformation des Leibs -
Ereignis grenzenlos
Geht vor und vor famos
Im Schoß des Maya-Weibs.
 
Die See des Ostens wird
Zu Westens Strömen klar.
Ein reiches Leben war.
Wo die Melone ziert
 
Das Tor des Ortes Ching,
Päonien an dem First,
Da herrschte einst ein Fürst,
Der Herrscher von Tung-ling.
 
Geschäftig treiben wir.
Ist Traum nicht - schön und jung -
Das Gleiche wie Hoff-nung?...
Und was, was suchen wir?
 
 
LENZGEDANKEN
 
Wenn Gräser kräuseln sich wie grüne Seide,
Üppiger Maulbeerzweig hängt erdenwärts,
Träumt er von Heimkehr zu der lieben Maide -
Und ich, ich warte mit zerbrochenem Herz.
 
Fremdlinge sind der Frühlingswind und ich.
Er haucht in meinem Gaze-Bettvorhang.
 
 
LAUSCHEND DEM SPIEL DER CHIN IN EINER MONDNACHT
 
O Mond so licht! Die Nacht ich müßig bin,
Ein Eremit spielt seine weiße Chin.
 
Mit einem Mal: wie dunkle Pinien singen,
Wie Kummerwinde sich harmonisch schwingen.
 
Die Finger streichen sanft den weißen Schnee,
Der Geist so ruhig wie ein Jadesee.
 
Und wer versteht? Nur die verstehen trunken,
Die hören dieses Lied von Einem, lang versunken.
 
 
VOM ZHONGNANG-BERG HINAB
 
Den blauen Berg zur Abendstunde nieder,
Mondstrahlen waren heimwärts meine Brüder.
Ich sah zurück, sah meinen Pfad verschwiegen
Auf Stufen in dem tiefsten Schatten liegen.
Ich kam beim Hof des Freundes an im Orte,
Die Kinder grüßten an der Dornenpforte;
Der Weg sich schmal durch Jade-Bambus wand,
Weinreben fassten, hielten mein Gewand.
Oh, ich war froh, aufs Lager hinzusinken
Zur Ruhe und mit einem Freund zu trinken!
Zum Lied des Windes in dem Wald zu singen!
Wir schwiegen, als die Sterne niedergingen,
Ich trunken, meines Freundes Seele froh,
Als wir die Welt vergaßen irgendwo...
 
 
ALLEIN MIT MOND UND SCHATTEN
 
Aus einem Becher Wein, den Blumen nah,
Hab ich getrunken, sonst war keiner da.
Ich heb den Kelch, womit den Mond ich bitt:
Bring meinen Schatten, und wir sind zu dritt!
Ah weh, der lichte Mond, er kann nicht zechen,
Und auch mein Schatte hat so seine Schwächen -
Doch Eine Stunde haben die Genossen
Im Lenz das Glück mit mir zusamm genossen:
Ich singe, und der Mond begeistert mich,
Ich tanz, mein Schatte taumelt fürchterlich.
Wir waren Segensbrüder auserkoren...
Betrunken, habe ich die zwei verloren.
Kann guter Wille sicher sein? Die Ferne
Zeigt mir den lichten Weg, den Strom der Sterne.
 
 
IM LENZ
 
Das Gras im Norden: blau wie Jade weich,
Der Maulbeerbaum: biegt grünumwundnen Zweig.
 
Nun denkst du, daß du bald zuhause bist,
Nun wo mein armes Herz gebrochen ist!
 
O Lenzhauch du, kaum wag ich dich zu kennen:
Gardinen sich vor meinem Bette trennen...
 
 
DER MOND AM BEFESTIGUNGS-PASS
 
Der Mond steigt auf vom Himmelsberg, vom Schnee,
In einem Dunst aus Wolken und aus See.
Der Wind, der reiste wohl an tausend Li,
Am Jade-Paß die Zinnen schlägt. Und die
Chinesen nehmen nach Baideng die Flucht,
Tataren spähen zu der blauen Bucht.
Ist Eine Schlacht berühmt, die die Soldaten
Ein zweites Mal ausschickt zu Kampfes-Taten?
Zur Grenze sieht der Krieger Schar zurück,
Denkt an die Heimat, Sehnsucht weh im Blick,
Denkt heut nacht an die Frauen in den Kammern,
Die ruhn nicht können, wälzen sich und jammern.
 
 
DIE VIER JAHRESZEITEN
 
Frühling.
 
Die süße Lo Fo aus dem Abendland
Am Wasser Blätter pflückt vom Maulbeerbaum,
Die grünen Blätter streicht die weiße Hand,
Im goldnen Licht glüht rot des Kleides Saum.
"Mein Seidenwurm ist hungrig, darum schritt ich.
Bleib fort mit deiner Pferdekutsche, bitt ich."
 
 
Sommer.
 
Aufm Spiegelteiche lieblichen Aroms
Die Lotosblüten wimmelnd Lüfte fächeln,
Im fünften Mond pflückt Xi Shi sie mit Lächeln.
Die Wächter stehn am Saum des Yuoye-Stroms.
Sie dreht ihr Boot, nicht wartend auf die Sterne,
Zum Freudenhaus verliebter Seufzer gerne.
 
 
Herbst.
 
Und über Tschang-an Mond am Himmel steht,
Waschbretter schrabben tausend Linnen naß.
Der Wind des Herbstes meine Seele weht
Für je und ewig je zum Jade-Paß.
O wann sind die Tataren überwunden?
Wann hab den Gatten wieder ich gefunden?
 
 
Winter.
 
Abreisen würde der Kurier alsbald.
Sie näht die ganze Nacht des Kriegers Kleid.
Die feinen Finger fühln die Nadel kalt.
Wie kann die Schere halten noch die Maid?
Das Werk ist fertig, und sie schickt es fort.
Wann wird erreichen es der Krieger Ort?
 
 
GESANG VOM BERGE LU
 
Ich bin der Mann des Wahnsinns in dem Land von Chu,
Der sang den Wahnsinns-Sang: die Weisheit des Kung Fu.
Ich halt in meiner Rechten einen Stab von Jade,
Ich kreuzte auf am Gelben-Kranich-Tor voll Gnade,
Und alle Heiligen Berge (ohne Ferne) schweben
Gemäß dem einzig dauernden Besitz im Leben.
Der Lu-Berg neben einer Südlichen Kaskade
In Wolken seidig reicht so wie ein Baldachin.
Mit seinem Schatten den kristallnen See verdunkelnd,
Zu Felsen offen steht die Goldne Pforte funkelnd,
Ein Silberstrom hängt zu den Felsenbrücken hin
Im Angesicht der machtvoll-schönen Dreifuß-Fälle.
Die Kliffs und Serpentinen führn zur Himmelshelle:
Ein Hauch von Wolke in der Morgensonne, du.
Kein Vogelschwarm wird fortgeblasen bis nach Wu.
Ich steig zur Spitze, alle Länder überseh ich,
Die langen Ströme hinterm Horizonte seh ich,
Die Winde trieben gelbe Wolken tausend Meilen.
Schneegipfel! Wirbeltanz des Stroms, ich seh ihn eilen!
So sing ich einen Sang vom Berge namens Lu,
Gesang, geboren aus dem Hauch des Berges Lu.
Der Felsenspiegel macht des Herzens Reinheit rein,
Und grünes Moos begrub die Spur von Xie, so fein!
Ich nahm die Pille der Unsterblichkeit, so rein,
Vorm dritten Lautenspiel bin ich in meinem Sein:
Fern seh ich Engel reiten bunter Wolken Feinheit,
Hibiskus haltend, zu des Himmels Jadestadt!
Wenn alle Welten mein Gemüt gesehen hat,
Folg ich dem Heiligen Luao zur Großen Reinheit!
 
 
DER TIANMU-BERG ERSCHEINT IM TRAUM
 
Seefahrender Besucher will von Japan reden,
Was Dunst und Wasser jenseits wohl enthalten täten.
Doch Yueh-Volk spricht von der Himmelsmutter-Höhe,
Gesehn noch durch die tiefe Wolke, die da streicht,
Gradauf zum Himmelreich, der Berg das Licht erreicht,
Wirft einen tiefen Schatten über China jähe,
Ist höher als die heiligen Gipfel. Weit vom Herz
Entfernt der Himmlischen Terasse Felsenerz,
Das sich, an diesem Punkt grad, wendet südostwärts.
Mein Herz und süßer Traum in Yueh sind und Wu,
Kreuzen den Spiegelsee im Mondlicht immerzu,
Der Mond will meinen tiefen Schatten mir erhellen
Und leuchtet mir den Weg zum Yan-Strom wunderbar.
Die Eremitage von Xie ist da immerdar
Und Affen rufen über grünen Wassers Wellen.
Ich trug die armen Schuh hinauf
Die Leiter ganz von Wolkenfall.
Ein Sonnenmeer auf halbem Lauf,
Heiliger Hahnenschrei im All!
Millionen Gipfel, Täler, nirgendwo ein Pfad,
Die Blume lockt, am Felsen ruh ich, Abend naht.
Der Bär stürmt an, der Drache stürmt an Berg und Fluß,
Erschrecken Wald und Felsenfuß.
Ein Regen macht die Wolken dunkel,
Auf bleichen Strömen Nebelschleier.
Der Gott von Sturm und Blitzgefunkel
Wühlt auf die vielen Felsenweiher.
Des Steintors Säulen brechen ab,
Geöffnet ist des Himmels Grab...
Ein Schatten tief und unergründlich...
Die Sonne und der Mond auf den Terassen stündlich.
In Regenbogenkleidern, reitend auf dem Wind,
Die Königin der Wolken kommet an geschwind
Mit Tiger-Lautenspielern, Phönix-Tänzern schön,
Gereiht wie Felder Hanfes reihen sich die Feen.
Ich rühr mich und es fliegt mein Geist.
Erwach mit Seufzermelodie.
Mein Bett und Kissen, das ist die
Verlorne Wolke, die da kreist.
Dies ist der Weg, wie immer, mit dem Menschenherz:
Zehntausend Dinge fließen stromgleich ostenwärts.
Und so schied ich von dir, weiß ich auch nicht wie lang.
Auf einem weißen Hirsch sitz ich am grünen Hang
Und reit zu dir, o großer Berg, wenn ich dich brauch.
Wie neig ich mich vor Menschen hohen Amts nach Brauch,
Mit ehrlichem Gesicht und nimmer bang?
 
 
SCHEIDEND VON EINER WEINSCHENKE IN NANKING
 
Ein Wind bringt Weidenblüten, die den Shop versüßen,
Aus Wu ein Mädchen schüttet Wein ein: Teile, teile,
Mit deinen Freunden aus der Stadt den Gott zu grüßen!
Den Kelch hob jeder; sprach ich in der Abschiedsweile:
O geht und fragt den Strom, der ostwärts fließt aus Liebe,
Ob er kann weiter ziehn als eines Freundes Liebe!
 
 
UNENDLICHE SEHNSUCHT
 
Endloses Sehnen,
Chang-an zu sehn!
Insekten summen, goldner Rand der Wellentränen,
Ein dünner Frost ist spiegelnd auf dem Vliese schön.
Laternen flackern. Dunkler wird mein Nest bewohnt.
Ich heb den Schatten, seufzend starr ich an den Mond,
Allein wie eine Blum, von Wolken rings umgeben.
Seh oben Blau und Tiefe, Himmels stilles Leben,
Seh unten Grün und Wasserwirbeltänze schweben.
Hoch Himmel! Weite Erd! Dazwischen schwebt mein Leid!
Träum überm Berg ich durch den Torweg himmelweit?
Endloser Schmerz
Bricht mir mein Herz.
 
 
VERZICHT AUF RUHM
 
Auf Erden lebend ohne Ruhm
Im Kreis der Menge, wer will sein
Gesund wie Wolke und wie Blum
Und wie der schöne Mondenschein?
 
Wer von den Alten trat zurück?
Nicht einer! Tragisch ist verendet
Nach seines großen Ruhmes Glück
Der Mann, dem Glorie man gespendet!
 
Das Haupt des Generales Wu
Ward aufgehängt am Tor der Stadt.
In tiefen Fluß ertränkt ward nu
Gekrönter Dichter lebenssatt!
 
Der talentierte Schüler hofft
Seit langen Zeiten schon vergebens,
Sein Leben zu bewahren, oft
Zu hörn den Kranichschrei des Lebens!
 
Minister Li bedauert nicht
Die Rente oder Pension:
Mit grauen Falken jagen licht,
Wie es sein Wunsch seit langem schon.
 
Vernahmest du von Zheng Han nicht,
Der aufgab, der nun sorgenfrei?
O heimzukommen und im Licht
Den Pfirsich zu verspeisen, eu!
 
Genieße einen Becher Wein,
Solang dein Fuß im Leben geht,
Und sorg dich nicht, ob dir auch rein
Dein Ruhm in Ewigkeit besteht!
 
 
DEN WEIN BRINGEND
 
O siehe, wie des Huanghe
Gewässer kommt vom Himmelreich!
Den Ozean erobernd jäh,
Nie wiederkehrend, vorwärts weich!
 
Sieh süße Blicke unverborgen
In lichten Spiegeln hoher Zimmer.
Sie wurden (seidenschwarz am Morgen)
Zur Nacht zu weißem Flockenschimmer.
 
Laß einen Mann des Geistes, Zecher,
Es wagen wie er will im Leben
Und nimmer seinen goldnen Becher
Dem Monde leer entgegenheben!
 
Der Himmel gibt Talente reich,
So lasse sie beschäftigt sein.
Die tausend Silbertaler gleich,
Sie kommen wieder durch den Wein!
 
Ein Schaf schlacht, koche eine Kuh,
Den Appetit weck breit und lang
Und mach aus hundert Bechern du
Mir einen langen langen Trank!
 
Für Cen, den großen Meister,
Für seine Jüngergeister,
Bring du herein den Wein!
Die Kelche immer klingen!
Laßt mich Gesänge singen!
Das Ohr laßt Lauscher sein!
 
Was Trommel und was Glocke rein,
Was Schüssel und was Schatz dem Frommen?
Laßt immerdar mich trunken sein
Und nie mich zu Besinnung kommen.
 
Die Alten (sauber wie die Becher)
Und alten Sagen sind vergessen.
Und nur die wunderbaren Zecher
Berühmt sind allzeit unermessen.
 
Prinz Chen bei einer Feier fein
In dem Palast der Perfektion
Zehntausend Taler für den Wein
Mit viel Gelächter zahlte schon.
 
Sag an, mein Wirt, und hör mein Rufen:
Ist denn das Geld schon wirklich alle?
Geh, hole Wein, dreihundert Kufen,
Ein Trank zusammen, Wein für alle!
 
Ja, mein beblümtes Pferd,
Mein Pelz sind Tausend wert.
 
Gib sie dem Knaben da bereit,
Sie mit viel Wein mir zu belohnen.
Wir schwemmen fort das wehe Leid
Von hunderttausend Generationen!
 
 
EINE BOTSCHAFT AN MENG HAO-JAN
 
Ich heilige, o Meister, dich im Herzen!
Dein Ruhm reicht weit bis zu den Sternenkerzen!
 
O Berg, wie dich zu sehn verlang ich! Auch
Spend hier, spend hier schon deiner Süße Hauch!
 
 
IM SCHEIDEN
 
Der Strom kristallenklar wie Himmel fließt,
Zu blenden ferne Meereswellen. Mensch!
Wenn eine Abschiedsstunde naht, der Mensch
Aus einem Weinkelch seine Träne gießt.
Des Tales Vögel singen in der Sonne,
Wo Schafe in Vigilien ruhend scheinen.
Was ich getan, als mich verließ die Wonne?
Nun hör ich nie und nimmer auf zu weinen!
 
 
NACHTGEDANKEN
 
Ich wache, Mondenschimmer spielt ums Bett, o glaubt,
Seh Rauchreif glitzernd den erstaunten Augen lachen.
Zum gloriosen Monde hebe ich mein Haupt -
Ich ruh, Gedanken an die Heimat mir erwachen.
 
 
GEFÄHRTEN
 
Die Vöglein flogen in die Heimatbäume,
Das letzte Wölkchen müde floß und lind.
Wir nimmer müd einander, unsrer Träume,-
Die Berge all und ich zusammen sind!
 
 
FÜR IHREN MANN
 
Heimwärts im Dämmer. Und mit Schwirren schlug
Die Krähenschwinge, eifrig auf dem Flug.
Dann schnatternd auf den schwarzen Zweigen alle,
Gesellten sich zur Nacht mit frohem Schalle.
 
Am Webstuhl eine Edeldame sitzt,
Und durch die seidnen Fensterscheiben flitzt
Leis flüsternd ihre Stimme, streicht das Ohr.
Einhält sie, denkt an den, den sie verlor.
 
Und einsam in den Stunden jener Nacht
Wie Regen fallen ihre Tränen sacht.
 
 
DAS BESTE DES LEBENS
 
Was ist das Leben anders als ein Traum?
Was soll es, solchen Wirbel auszulösen?
Tief trunken lieber sein vom Perlenschaum
Und all den lieben Tag im Schatten dösen.
 
Und wenn ich wach und schaue auf das Grün,
Ein Vogel singt im Blütenblust verborgen.
Ich frage: Ist es Abend oder Morgen?
Der Mangovogel haucht: Sieh Frühling blühn.
 
Von schöner Frühlingsansicht übermeistert,
Hab einen weitren Becher ich getrunken
Und wollt zum Mond aufsingen lichtbegeistert -
Bald aber bin ich trunken und versunken.
 
 
ABSCHIED AM STROM
 
Die Brise bläst den Weidenblust vom Tal herbei,
Die schöne Ji läßt uns bei Bechern jubeln, hei!
Umdrängt bin ich von Freunden, Lebewohl zu sagen:
"Adieu, adieu! und einen Becher frisch noch wagen!
Und wenn des Flusses Wasserbett auch trocken bliebe,
Ich hör nicht auf zu lieben, wie ich heut euch liebe!"
 
 
ABSCHIED
 
Beim Gelben Kranich, Lebewohl zu sagen leise
Wir hielten, Dunst und Blüte wünschten gute Reise.
Smaragdne Insel - Segel schwand - Und wenig später
Stand ich allein am Strom, der wogte auf zum Äther.
 
 
KEINE INSPIRATION
 
O Herbstwindwut,
O Herbstmondglut!
Gefallne Blüten sich zerstreun,
Pastorenkrähe fliegt allein.
Ich denk an dich und frag, wann werden wir uns sehn?
Heut kann das Herz ich gießen nicht in Verse schön.
 
 
TRÄNEN
 
Ein Mädchen zieht den blinden Mann zu Seiten,
Hängenden Hauptes sitzt sie unersprießlich.
Ich seh die heißen Tränentropfen gleiten,
Doch weiß nicht: warum weint sie so verdrießlich?
 
 
EXIL
 
Tribut hab ich dem süßen Lang-ling-Wein gezollt,
Flüssigem Amber in dem Kelch von schöner Jade.
Willst trunken machen mich wie einen Trunkenbold,
O Wirt? - Wenn ich vergessen könnte, das wär Gnade.
 
 
EIN MANN
 
Oft träumen von einander wir,
In Chang-an in der Ferne, hier.
Wehklagend Herbstes Grille traurig
Singt auf zur Venus bleich und schaurig.
Der erste Frost und kalte Sonne
Erobern warmen Bettes Wonne.
Die Lampe einsam angemacht.
Gedanken sterben in der Nacht.
Blind steh ich auf und starre her
Zum Einzel-Mond und seufze schwer.
Überm Azur: des Meeres Grund
Reicht endlos an das Himmelsrund,
Die Wogen unten trüb sich wiegen.
Schwer für die Seele ists zu fliegen:
Die Erde und der Himmel weit!
So hoch der Paß, tief die Gezeit!
Zu mir kommt nimmermehr dein Bild...
 
 
EINE FRAU
 
Des Tages bunte Farben scheiden,
Der Nebel schleppt sich durch die Weiden.
Wie Asche grau der Mondenschein.
Kann traurig schlafen nicht, allein.
Der Psalter sank zur Ruhe nieder
Auf Feuerbögen ohne Bangen,
Die Harfe tönt die süßen Lieder
Von einem süßeren Verlangen.
Die Lieder voll Bedeutung sterben
Vondannen, unbekannt den Erben.
Ach, hauchte sie der Lenzwind an,
Bis zu den Steinen von Yen-jan!
Ich sehne mich nach dir, so fern,
Noch jenseits von dem Himmelsstern...
Die Augen (früher Glut und Schimmer)
Sie weinen dir viel Tränen immer.
 
 
ABSCHIED HINTER CHING-MEN
 
Von Hu-peh kam ich wandernd, hier
Den Fluß bei Ching-men kreuzten wir.
Die Hügel starben unten schwer,
Die Ströme strömten in das Meer,
Der Mondenspiegel schien im Äther,
Die Meereswolken flohen später.
Ach! daß die Heimatwasser alt
Uns schickten auf die Wandrung bald!
 
 
NOCTURNO
 
Blaues Wasser, klarer Mond,
Mondlichtweiße Reiherschwingen.
Mädchen, die Maronen sammeln,
Gehn des Nachts nach Haus und singen.
 
 
DER EINDRINGLING
 
Das Gras von Yen wird grün und hoch in Längen,
Dieweil in Chin die Maulbeerzweige hängen.
O, wo mir jetzt mein Herz vor Sehnsucht bricht -
Kommst wieder du, o meine Liebe licht?
 
"O Lenzwind! du bist fremd, und ich bin bang.
Was kommst du durch den crepes-de-chine-Vorhang?"
 
 
D U   F U
 
BANKETT BEI FAMILIE TSO
 
Der Wald, vom Wind bewegt, beleuchtet
Vom Licht des Sonnenuntergangs,
Der Mond ist schmal.
Ich stimme meine Leier,
Die Saiten feucht von Tau.
Beim Buschwerk flutets
Im Dunkeln an dem Blumenpfad.
Konstellationen krönen
Das Dach von Stroh. Wir dichten,
Die Kerzen brennen nieder.
Das Denken wird uns scharf wie Schwerter,
Dieweil der Weinkrug seine Runde macht.
Als unser Wettstreit in der Kunst beendet,
Da singt ein Lied wer aus dem Süden.
Ich denke an mein kleines Boot
Und möchte weiterziehn.
 
 
GESCHRIEBEN AN DIE MAUER VON CHANGS EINSIEDELEI
 
Es ist nun Frühling in den Bergen.
Ich komm allein, dich aufzusuchen.
Holzfäller schlagen Bäume zwischen
Den stillen Gipfeln.
Die Flüsse sind noch eisig,
Und auf dem Bergpfad liegt noch Schnee.
Bei Sonnenuntergang erreiche ich
Dein Wäldchen an dem Bergpaß.
Nichts wünschst du mehr, obwohl zur Nacht
Du siehst die Aura
Von Gold- und Silbererz um dich herum.
Du lerntest Freundlichkeit,
So zähmtest du das Bergwild auch.
Den Weg zurück vergessen -
Ich werde so wie du,
Ein leeres Boot, das in die Ferne treibt...
 
 
WINTERDÄMMERUNG
 
Die Menschen und die Tiere
Des Zodiak ziehn über uns hinweg.
Der grüne Weinkrug und die roten Hummerschalen,
Sie übersäen ausgeleert den Tisch.
- Vergess ich irgendeine Freundschaft? -
Ein jeder sitzt und lauscht
Den eigenen Gedanken. Draußen
Geräusch von Wagen. Voller Unruh sind
Die Vögel in den Regenrinnen wegen
Des Lärms und Lichts.
Nun in der Winterdämmerung will ich
Mir meine vierzig Jahre anschaun:
Geboren ungestüm
Bei langen Schatten
Vom Sonnenuntergang, kenn ich
Halsstarrige Momente. Doch
Das Leben rast so wie ein trunkner Waldbrand!
 
 
SCHNEESTURM
 
Gelärm und Weinen, viele neue Geister...
Die Herzen brechen. Schmerzen.
Ich bin allein, ich singe für mich selbst.
Ein rauher Nebel siedelt in
Der Dämmerung, die weit sich breitet.
Schnee fliegt im Wirbelwind.
Das Weinglas umgestürzt, die Flasche leer.
Im Ofen ist das Feuer ausgegangen,
Die Menschen wispern.
Ich sinne, ach, wie sinnlos ist das Briefeschreiben.
 
 
TSAN BESUCHEND, DEN ABT VON TA-YUN
 
Schlaflos beim Glühn der Lampe,
In ihrem Schatten.
Das Herz in Frieden atmet
Anbetungsweihrauch.
Vor Tempelmauern abgrundtief die Nacht.
Die goldnen Glocken klingeln in der Brise.
Der Vorhof wird geschlossen in
Der tiefen Dunkelheit der Lenznacht.
In Schwärze spendet der kristallne Teich
Parfüm von Blumen.
Des Nordens Krone kreuzt den Himmel,
Vom Tempeldach zerschnitten, wo
Ein Eisenphönix steigt
Und sich in Lüften dreht.
Der Lobpreis flutet in der Halle.
Die Glockentöne schwinden
Und schwingen leis und leiser
An meinem Ruhelager. Morgen
Im Sonnenlichte werd ich wandern durch
Gedüngte Felder, werde weinen
Über den gelben Staub der Toten.
 
 
MONDFESTIVAL
 
Die Herbstkonstellationen
Beginnen aufzugehn.
Das klare Mondlicht, das brilliante,
Scheint auf die Scharen.
Mondkröte schwimmt und geht nicht unter.
Mondhase stößelt bittre Kräuter
Zum Elixier des ew'gen Lebens.
Mir wird das Herz nur bitter
Durch Mondes Drogen.
Die silberne Brillanz
Bleicht nur mein Haar.
Ich weiß, daß China
Von Kriegen überzogen ist.
Der Mond bedeutet den Soldaten
Nichts in des Westens Wüsten.
 
 
DER JADEBLUMENPALAST
 
Es wirbelt wild der Strom.
Der Wind klagt in den Pinien.
Zerbrochne Fliesen werden überhuscht
Von grauen Ratten.
O, welcher Prinz (lang, lang ists her)
Hat diesen herrlichen Palast gebaut,
Der nun so ruiniert am Kliff steht?
Im Innern grüne Geisterfeuer
In schwarzen Räumen.
Und die zerstörten Bürgersteige
Sind fortgespült.
Zehntausend Orgelpfeifen
Wispern und röhren, da der Sturm
Des Herbstes rote Blätter schüttelt.
Des Prinzen Jungfraun, seine Tänzerinnen,
Sie sind nun gelber Staub,
Die buntbemalten Wangen sind dahin.
Die goldnen Wagen und der Hofstaat,
Dahin, dahin.
Nur noch ein Steinpferd blieb
Von seiner Glorie.
Ich sitz im Gras und fang zu dichten an,
Mich überwältigt aber
Das Pathos des Poems.
Unmerklich flieht die Zukunft.
Was dieses Jahr uns bringen wird,
Sag, wer kanns prophezeien?
 
 
NORDWÄRTS REISEND
 
Schleiereulen heulen
In den gilbenden
Maulbeerbäumen. Mäuse huschen,
Sie bereiten ihre Löcher
Auf den Winter vor. Um Mitternacht
Kreuzen wir ein altes Schlachtfeld:
Mond scheint kalt auf weiße Knochen.
 
 
AUF EINE AUDIENZ WARTEND IN EINER FRÜHLINGSNACHT
 
Die Blumen an den Mauern des Palastes
Im Zwielicht dämmern.
Zwitschernde Vögel fliegen
Zum Schlafplatz. Sterne funkeln
Und kreisen über hunderttausend Häusern.
Der volle Mond tritt in das neunte Bild.
Ich bin noch wach. Ich hör das Rasseln
Von goldnen Schlüsseln
In Schlössern, höre Jadezügel-
Schmuckstücke klingeln in dem Wind.
Ich soll bei meiner Audienz
Eine besondre Denkschrift präsentieren.
Ich staun: Wie lang doch dauert diese Nacht!
 
 
AN DEN PENSIONIERTEN SCHÜLER WEI PA
 
Die Leben vieler Menschen sind
Viel kürzer als die Zeit, seit wir uns sahen.
Antares und Aldeberan,
So haben wir uns einst bewegt.
Und nun, welch eine Nacht? Wir sitzen
Zusammen hier im Kerzenschein.
...Die alten Freunde such ich auf,
Schon viele sind von ihnen Geister.
Der Kummer und die Furcht, sie schütteln mich
Und brennen meine Eingeweide.
Nie träumt ich, daß ich kommen würde
Auf diesem Weg, nach zwanzig Jahren,
Ein Wanderer, zu deinem Zimmer.
Als wir vor Jahren voneinander schieden,
Da warst du unverheiratet, doch nun
Hast Jungen du und Mädchen, die
Sanft lächeln und mich fragen über meine Reisen.
Wie habe ich dies Alter
Und diesen Ort erreicht? Bevor ich
Ans Ende komm mit einer
Geschichte ohne Ende, bringen schon den Wein
Die Kinder. In der Nacht gehn wir hinaus
Und schneiden junge Zwiebeln
In regnerischer Dunkelheit.
Wir essen sie mit heißer, gelber,
Dampfender Hirse. Du sagst: Es ist traurig,
Sich hier zu treffen... Doch wir stoßen an
Zehn Mal ganz schnell mit Kelchen aus dem
Horn des Rhinozeros. Zehn Kelche,
Und noch sind wir nicht trunken.
Wir lieben uns wie damals noch, als wir
Schulkinder waren. Morgen früh:
Berggipfel treten zwischen uns; mit ihnen
Endlose, blinde
Geschäftigkeit der Welt.
 
 
AM SICH WINDENDEN FLUSS I
 
Und Tag für Tag auf meinem Weg nach Haus
Von meinem Amt verpfände ich
Ein andres Frühlingskleid. Und jeden Tag
Komm ich betrunken von des Flusses Ufer.
Wohin ich geh, ich habe Geld für Wein.
Die Chronik kennt nur wenige,
Die siebzig Jahr alt wurden.
Ich seh die gelben Schmetterlinge
Tief aus den Blütenkelchen trinken,
Libellen nippen an der Oberfläche
Des Wassers immer wieder.
Ich rufe in den Frühlingswind,
Ins Licht und in die Zeit, die schwindet.
Wir freuen uns des Lebens nur für kurze Zeit,
Was sollen sich der Menschen Wege kreuzen?
 
 
AM SICH WINDENDEN FLUSS II
 
Es fliegen Blütenblätter überall,
Der Lenz vergeht. Zehntausend
Staubkörner Kummers wirbeln fort im Wind.
Ich schau die letzten Blumen an,
Die welken, und ich lindere den Schmerz
In meinem Herzen mit dem gelben Wein.
Zwei Königsfischer nisten
Im ruinierten Pavillon des Flusses.
Ein Steineinhorn bewacht das große Grab am Park.
Nach dem Gesetze ihres Seins
Ist jede Kreatur der Freude auf der Spur;
Warum nur ließ ich zu,
Daß eine offizielle Laufbahn
Mich abgebracht von meinem Lebensziel?
 
 
AN DEN DICHTER PI SSU YAO
 
Wir sind begabt. Die Menschen nennen uns
Die führenden Poeten unsrer Zeit.
Demütig ist die Heimat,
Die Anerkennung trivial.
Wir hungern, wir sind schlecht gekleidet,
Ein Knecht behandelt mit Verachtung uns.
Im Frühling unsres Lebens
Sind faltig unsre Angesichter schon.
Wer kümmert sich um uns,
Wer kümmert sich um unsre Sorgen?
Wir sind uns selbst ein Publikum,
Wir ehren unsre literarischen Verdienste.
Unsre Poeme werden bald gehandelt
Mit den Gedichten großer toter Dichter,
Darüber können wir uns trösten.
Zuletzt: die Nachwelt wird uns wohl beerben.
 
 
EINSAMKEIT
 
Ein Habicht schwebend in der Luft.
Zwei weiße Möwen treibend auf dem Strom.
Aufsteigend mit dem Wind, ists leicht,
Zu fangen Vögel, welche närrisch treiben
Mit dem Gewoge.
Im Grase funkelt bunt der Tau,
Die Spinne wartet auf ihr Opfer.
Prozesse der Natur sind ähnlich der
Geschäftigkeit der Menschen.
Ich steh allein. Zehntausendfacher Kummer.
 
 
KLARHEIT NACH DEM REGEN
 
Herbst.
Am Horizonte Wolken.
Der Westwind weht
Zehntausend Meilen weit.
In klarem Morgendämmern
Beschäftigt sind die Bauern
Nach langen Regenströmen.
Die kahlen Bäume schütteln
Die letzten Blätter ab.
Die Pfirschen klein, doch reif.
Tatarenlandes Flöte
Beim Stadttor spielt.
Die Wildgans einsam
Steigt in die Leere.
 
 
NEUMOND
 
Der lichte, dünne, neue Mond erscheint,
Schief an dem Himmel hängend.
Er scheint nicht länger auf
Die ruinierte Festung, denn
Die Abendwolken ihn verhüllen.
Milchstraße, unveränderlich,
Scheint auf die kalten Berge an der Grenze,
Ein weißer Frost bedeckt die Gärten,
Die Chyrsanthemen frieren in der Nacht.
 
 
DIE WÜSTE ÜBERBLICKEND
 
Der Herbst ist klar. Ich schau
In Räume ohne Ende.
Der Horizont zerfließt in Gruppen
Von Nebeldunst. Fern fließt der Fluß
Zum Himmel. Eine Stadt allein
Befleckt von Rauch. Der Wind
Bläst fort die letzten Blätter.
Die Hügel dämmern
Im Sonnenuntergang.
Ein Kranich fliegt allein und einsam
Zu seinem Schlafplatz.
Im Zwielicht stehn die Bäume und
Sind voll von schwarzen Krähen.
 
 
BESUCHER
 
Ich hatte Husten lange Zeit.
Es scheint sich nun zu bessern
In diesem Haus am Fluß.
Hier ists auch still.
Hier stört mich keine Menschenmenge.
Hier leb ich voller Ruh und Glück.
Wenn jemand ruft nach meinem Strohhut,
Dann bringt mein Sohn den Bambushut.
Ich geh hinaus und sammle
Uns eine Schale voll Gemüse.
Viel kann ich nicht anbieten,
Doch gebe ich mit Liebe.
 
 
LANDHAUS
 
Eines Bauern Hütte, nah am
Klaren Fluß, das rustikale Tor
Öffnet sich zu einer leeren Straße.
Unkraut wächst am öffentlichen Brunnen.
In den ältesten Gewändern
Lunger ich herum, die Weidenzweige schwanken,
Bäume blühn und parfümieren
Linde Lüfte. Und die Sonne sinkt
Hinter einer Schar von Kormoranen,
Die sich ihre schwarzen Schwingen
Trocknen nah am Ufer.
 
 
DIE WEIDE
 
Meines Nachbarn Weide schwenkt
Ihre zarten Zweige, graziös
Wie ein fünfzehn Jahre altes Mädchen.
Ich bin traurig,
Weil an diesem Morgen
Wilder Wind den längsten Zweig zerbrach.
 
 
SONNENUNTERGANG
 
Dämmerung glänzt auf den Perlenschnüren.
Frühlingsblumen blühn im Tal.
Gärten an den Ufern voller Duft.
Rauch aus Küchen schwebt
Über Barken, welche langsam treiben.
Schwalben hopsen, Schwalben tummeln sich
In den Zweigen. Wirbelnde Insekten
Schwärmen in der Luft.
Wer entdeckte,
Daß ein Kelch voll schweren Weines
Wird zerstreuen tausend Sorgen?
 
 
ADIEU EINMAL MEHR
(meinem Freund Yen an der Feng-Chi-Station)
 
Hier scheiden wir.
Du wanderst in die Ferne:
Die Berge, die bewaldeten,
Sind leer und ohne Freundlichkeit.
In welchem Urlaub sehn wir uns
Zusammen wieder trunken?
Wir gingen letzte Nacht
Im Mondlicht Arm in Arm,
Romantische Balladen singend,
Entlang des Flusses Ufersaum.
Drei Kaiser überdauert deine Ehre!
Ich geh zurück zu meinem
Einsamen Haus am Fluß,
Stumm, ohne Freund,
Ernährend meine Jahre, welche bröckeln.
 
 
RUHELOSE NACHT IM LAGER
 
Die Feuchtigkeit dringt ein,
Ich schlafe unterm Bambus
Im Mondenscheine, in der Wildnis.
Der dicke Tau wird feiner Nebeldunst.
Die Sterne, sie verlöschen nach und nach,
Allein die Feuerfliegen flimmern noch.
Die Vögel schreien überm Wasser.
Krieg brütet seine Konsequenzen aus.
Ganz nutzlos ist es, sich zu sorgen, wachend,
Dieweil die Nacht verscheidet.
 
 
SÜDWIND
 
Die Tage werden länger,
Die Berge schöner.
Der Südwind weht
Die Blütenwiesen lang.
Die Schwalben pfeilen wieder
Neu übers Marschland.
Im warmen Sande döst
Ein Entenpärchen.
 
 
NEUER FRÜHLING
 
Weiße Vögel überm grauen Fluß.
Scharlachblumen auf den grünen Hügeln.
Ach, ich seh den Lenz vergehn,
Und ich frage mich, ob ich
Je nach Hause kehren werde?
 
 
NACHT IM HAUPTQUARTIER
 
Klare Nacht im Herbst.
In dem Hof des Hauptquartiers
Wachsen in der Kühle Wutung-Bäume.
In der Stadt am Fluß
Wache ich allein bei einer Kerze.
All die Nacht lang
Stören Hornsignale mir mein Denken.
Mondlicht flutet reich am Himmel.
Wer bemüht sich, das zu sehen?
Wirbelwind von Staub.
Ach, ich kann nicht schreiben.
Unbewacht der Grenzpaß,
Reisen ist gefährlich.
Krank am Herzen wandre ich zehn Jahre lang.
Wie ein Vögelein auf einem Zweig
Sitz ich hier, voll Dankbarkeit für
Einen Augenblick des Friedens.
 
 
AM FLUSS
 
Ein Paar von goldenen Pirolen
Singt in den Weiden, grünen Weiden.
Von weißen Vögeln eine Linie
Kreuzt klaren blauen Himmel.
Das Fenster rahmt das Westgebirge ein,
Das weiß ist von dem Tausendjahreschnee.
Am Stege ankernd Boote ruhn
Aus Wu im fernen Osten,
Dreitausend Meilen von zuhaus.
 
 
KLARER ABEND NACH DEM REGEN
 
Die Sonne sinkt am Horizont.
Die Wolken sind davongeweht.
Ein Regenbogen schimmert auf dem Fluß.
Die letzten Tropfen tröpfeln auf den Felsen.
Kranich und Reiher hoch am Himmel rufen.
Am Ufer tapsen fette Bären.
Ich wart hier auf den Westwind,
Genieß den Mond, der schwindet
Und schimmert durch den nebeligen Bambus.
 
 
VOLLMOND
 
Allein und voll, der Mond
Am Strome überm Hause flutet.
Das kalte Wasser fließt ins Dunkel,
Fließt unterhalb der Gartenpforte weg.
Der lichte Goldglanz, funkelnd auf dem Wasser,
Ist voller Unruh.
Brillanter Glanz du meiner Wattejacke,
Brillanter als die beste Seide!
Der Zirkel oben ohne Makel.
Die leeren Berge ohne Ton.
Der Mond hängt in den weiten
Vakanten Sternkonstellationen.
Viel Pinienzapfen fallen in den alten Garten.
Die Hennasträucher blühen.
Die selbe klare Glorie gilt zehntausend Meilen weit.
 
 
NACHT IM HAUS AM FLUSS
 
Es ist spät im Jahr.
Yin und Yang, sie kämpfen,
Licht und Dunkel
In dem schrägen Sonnenlicht.
Auf den wüsten Bergen
Frost und Schnee
Glühen in der kalten Nacht.
Nun, nach Mitternacht,
Trommeln schrein und Hörner,
Grausam, mir das Herz durchschneidend.
Über jene Dreier-Schlucht pulsiert die
Weiße Stromfrau zwischen Sternen.
Bittre Schreie  aus vieltausend Häusern
Hört man überm Lärm der Schlacht.
Die Proleten singen wilde Songs.
Generäle und Heroen alter Zeiten
Sind für immerdar nun gelber Staub!
Ja, so sind nun einmal die Geschicke
Dieser Menschheit. - Poesie
Nur allein besteht in Einsamkeit und Stille.
 
 
DÄMMERUNG ÜBER DEN BERGEN
 
Die Stadt ist still.
Geräusche schwinden.
Gebäude leis im Abend dämmern fort.
Ein kühles Sonnenlicht auf höchstem Gipfel.
Der dicke Dunst der Nacht
Sich an die Hügel klammernd.
Die Erde öffnet sich.
Die Boote auf dem Fluß sind leer.
Der Himmel, er ist still
Wie Blätter, welche niedersinken.
Und siehe, eine Hindin kommt
In meinen Garten,
Die sich verirrt hat von der Herde
Und sucht nun ihre Freunde.
 
 
HEIMKEHR SPÄT IN DER NACHT
 
Die Nacht, sie sinkt.
Ich kehre wieder
Von einer Reise auf den Spuren
Der Tiger.
Die Berge, sie sind schwarz.
Zuhaus ist jeder, schlafend.
Der Große Bär steigt ab zum Fluß.
Darüber sind die Sterne groß am Firmament.
Wenn ich das Licht entzünde
An meiner Tür,
Ruft ängstlich eine Eule aus der Schlucht.
Ich hör den Wächter mit den weißen Haaren
Auf seiner Runde
Die Stunde rufend.
Den Knüppel in der Hand,
So wacht er diese Nacht,
Und alles ist sehr sicher.
 
 
MOND UND STERNE AUF DEM FLUSS
 
Die Herbstnacht ist sehr klar
Nach diesem Donnersturm.
Auf dem Gewässer glüht die Venus.
Der Milchpfad weiß wie Schnee.
Der dunkle Himmel tief, gewaltig.
Des Nordens Krone funkelt.
Der Mond, ein klarer Spiegel,
Erhebt sich aus der großen Leere;
Wenn er gestiegen ist
Hoch in den Himmel,
Dann glitzert Mondlicht frostig auf die Chrysanthemen.
 
 
VOM WASSER
 
Unter meinen Füßen weißer Mond
Gleitet auf dem Fluß.
Nach der Mitternacht,
Eine schaukelnde Laterne
Scheint im Herz der Nacht.
Auf der Sandbank
Flocken weißer Enten, welche schlafen,
Jede so wie eine Faust zusammgeballt.
Im Kielwasser meiner Barke
Springen Fische, Wasser schneidend,
Tauchen, plantschten.
 
 
GEDANKEN AUF DER REISE
 
Eine leichte Brise raschelt
In dem Rohr am Saum des Flusses.
Meines Bootes Mast ruft in die Nacht.
Sterne blühen
Über der gewaltigen
Wasserwüste. Mondlicht fließt
Auf dem wogendem Gewässer.
Meine Poesie
Machte mich berühmt, jedoch
Heute bin ich alt und krank und müde;
Ich bin eine Möwe,
Traumverloren zwischen Erd und Himmel...
 
 
WEIN
 
Die Scheidesonne liegt vor meinem Tor,
Ein Dämmer hüllt den Fluß im Frühlingshauch,
Wo Süßparfüm sich nah dem Strand verlor,
Wo Fischer ihre Anker senken, Rauch.
Im Haine schläft der Sangesvögel Chor,
Insekten schwärmen durch die Lüfte auch.
O Wein, wer gab dir die subtile Macht?
Ertränkt im Kelche Tausendsorgennacht!
 
 
AN SEINEN BRUDER
 
Die Abendtrommel leerte alle Pfade,
Zur Grenze flog die Herbstgans weiß wie Jade.
Kristallner Tau zu meinen Füßen licht,
Der Mond streut wie vorzeiten Silberlicht.
 
Wo sind die Brüder? Ferne sie umrauscht.
Kein Heim, wo man des Andern Sorgen lauscht.
Verloren gingen Briefe. Solln sie jetzt
Ankommen, wo das Schwert das Land verletzt?
 
 
SSU-MA HSIANG JU
 
Hier war es, von der Krankheit arg bedrückt:
Er fand Erleichterung an Wen-chuns Brust.
Hier war es: die vulgäre Schenke blickt
Zum Wolkenberge Tag und Nacht voll Lust.
 
Und unter Blum und Blatt da spürt ich nach
Dem Flatterhaar, dem sanften Antlitz schön.
Der Phönix rief vergebens, ach und ach!
Solche Gefährtin wird nie mehr gesehn!
 
 
DER EREMIT
 
Ich schritt den Hügel hin in Frieden,
Zu suchen einen Eremiten,
Wo Schläge klangen durch den Wald,
Zur Bergschlucht in der Laubgestalt.
Ich kreuzte einen Bach, der nicht
Zu frieren unterließ, als dicht
Nachmittagsstrahlen durch die Räume
Schräg glänzten durch die goldnen Bäume.
 
Es hat ihm Freude nicht gemacht,
Zu lästern von dem Stank der Nacht,
Vielmehr: zu sehn den Hirsch im Morgen,
Im goldnen Lichte leis verborgen.
Mein Geist war klar und ohne Not.
Doch ich verlor den Meister gut -
Und ohne Ruder zieht mein Boot
Vondannen mit dem Flug der Flut.
 
 
GENIESSE DEN TAG I
 
Die Blüte sinkt, der Lenz beginnt zu sterben. Und
Mein Herz wird trüb und trauriger mit Sturmes Schwellen.
Komm! eh des Herbstes Beute uns bestreut den Grund,
Und laß den Weinkelch kreisen unter den Gesellen!
 
Geformt ein Königsfischer, wo einst Menschen leise
Gelacht, Steindrachen wachen an des Kirchpfads Wänden.
Wer süßer Wonne folgt, alleine der ist weise.
Warum die Zeit mit Ruhmestaten sich verschwenden?
 
 
GENIESSE DEN TAG II
 
Vom Hofe geh zum Leihhaus ich zur Abendstunde,
Will wiederkehrn vom Fluß als Trunkenster der Runde.
Ich bleibe niemals etwas schuldig meinem Glas.
Gut, wenige nur werden Dreiundsechzig, was?
Der Falter fliegt von Blumenkron zu Blumenkron
Und die Libelle nippt vom Tau und springt davon.
Jeglich Geschöpf erfreut sich seiner Stunden Fließen.
Solang es geht, wolln wir den kurzen Tag genießen!
 
 
PICKNICK
 
Die Sonne sinkt in sanftem Abendrot,
Behauchte Wellen tragen unser Boot.
Wir suchen einen Bambuswinkel, wo
Duftende Lilien Ruhe bieten. O,
Gefüllte Kelche bieten uns die Feen,
Bestreut mit Lotos von den Fingern schön.
Die schwarze Wolke sieh am Himmel... Zeit
Das Buch zu schließen und zu fliegen weit!
 
 
DIE HÖHEN
 
Frischer Wind und hoher Himmel,
Affen weheklagen.
Klare Inseln, weiße Strände,
Silbermöwen jagen.
 
Durch den weiten Raum mit Rascheln
Blätterlaub verweht.
Jenseits meiner armen Hütte
Yangtse meerwärts geht.
 
Komm von Ferne, bin ein Fremder,
Herbst streut seine Blätter.
Mit den Jahrn und Krankheit streitend,
Krieg betritt die Bretter.
 
Ärger plagt und schlimme Prüfung,
Haare grauer täglich,
Bis die Stunde kommt und darreicht
Mir den Kelch unsäglich...
 
 
AN MEINEN ONKEL
 
Zehntausend Täler sind gefegt von Seufzerbäumen,
Man sieht des Herbstes Brise tausend Schritte säumen.
 
Weit von den Vorstadtmauern eilte unser Boot.
Banquett des Abschieds auf dem Flusse abendrot:
 
Ein nobles Meeting! Aber ach, es währt nicht lang.
Warum beherrschen Sorgen unser Leben bang?
 
Ach diese Knochen, sie gehören strengem Weh!
Die Räuberbanden zahlreich wie der Haare Schnee.
 
Bedauertest mein Scheiden, Onkel, wie die Alten,
Vermachtest aber mir noch deines Mantels Falten.
 
Im Sand der Gelbe Kranich, an dem Abendtage,
(Verloren seine Braut) weint trostlos seine Klage!
 
 
DAS GLÜHWÜRMCHEN
 
Geborn aus faulen Grases Feuchte,
Mußt fürchten du des Tages Licht.
Auf meinem Buche deine Leuchte,
Die Welt erscheinen läßt sie nicht.
Auf eines Fremden Kleid von fern
Läßt scheinen du den zarten Stern.
Auch: wenn du von dem Wind geboren
Zum Sabbat ruhst vor meinem Zimmer,
Ist winzig nur der Phosphorschimmer:
Ein Elfenauge traumverloren...
Und vor dem Regen birgst du dich,
In stillen Wäldern deinen Flügel.
Und dann - November frostiglich -
Du schwindest laubgleich von dem Hügel.
 
 
AN LI BAI
 
Wie lange habe ich dich nicht gesehen, Li!
Du armer Mensch, in deinem simultierten Wahn,-
Die Welt will deinen Tod, und dich vergessen, Li!
Mein Herze aber betet deine Seele an,
Für deine tausend Lieder, geistvoll: Hochgesang!
Und für den Einen Kelch: Balsam der Armutswunde!
Zu deinem alten Leseplatz, dem Berge Kuang,
Komm wieder, du mit weißem Haar. Es ist die Stunde.
 
 
 
C H A N G   C H I E N
 
DHYANA
 
In den Konvent schleicht Dämmer klar,
Die auferstandne Sonn betüpft
Den Baum, den sie mit Gold bestreichte.
Auf dem verschlungnen Weg erreichte
Dhyanas Halle ich, da war
Die Tanne und da war die Buche.
Am Hügel Vogelstimmen suche
Ich lauschend, und ein Vogel hüpft.
Vom Menschenherz der Schatten schlüpft
Davon am See, kristallenklar.
Der Lärm der Welt mit seinem Fluche
Ist fortgebannt vom Zauberspruche.
Es klingt die Glocke vom Altar.
 
 
C H I A   C H I
 
LENZLEID
 
Der Weidenschaum ist gelb gefranst,
Das Gras ist fröhlich grün.
Pfirschblüten wild vermischen sich
Mit Plaumen, welche blühn.
 
Ostbrise streicht an mir vorbei,
Mein Kummer will nicht fort.
Die Frühlingstage werden lang
Und länger leid ich, Lord!
 
 
W E I   Y I N G - W U
 
LEBT DER LIEBE?
 
Pirole singen kurze Weise
Und Orchideen blühen leise.
Man sieht die Frau die Kleider räffen,
Auf Musselin die Sonne treffen.
Die süßen Brauen falterfein,
Geteilter Mund wie Jadestein.
Sie seufzt in ihrem Tagestraume:
Es blüht der Pfirsich und die Pflaume,
Wo aber wohl ihr Heros bliebe?
Ach, seit er ging, flohn Tage trübe.
Ist tot er oder lebt der Liebe?
 
 
ERINNERUNGEN
 
Im Herbst, wenn der Mondschein die Nächte erleuchtet,
Dann schlender ich, summe und träume von dir.
Wenn Pinientropfen den Hügel befeuchtet,
Sag, träumst du von mir?
 
 
EIN VERSPRECHEN
 
Bei deinem Abschied süße Blumen blühten.
Die Blüte spricht: Ein Jahr verging den Kummern.
Zu prophezeien manche sich bemühten.
Dem Leiden Medizin: Es wegzuschlummern!
 
Ich leid im Leib! Sehn mich nach unsrer Stelle.
Ich kann in Müßiggang nicht faul vergehn.
Du sagtest, du besuchst mich. O komm schnelle!
Bis dann - wie oft soll ich den Vollmond sehn?
 
 
DER FÄHRMANN
 
Allein die Pflanze an dem Flußbett grün,
Der Mangovogel lauthals voll Bemühn
Vom schmalen Baume nieder singt sein Wort.
Voll Frühlingsfrische stürzt der Wildbach fort.
Ums Fährboot müßig sich die Wellen schwangen,
Der Fährmann Charon aber ist gegangen.
 
 
 
H A U   A N - C H E N
 
MEINE NACHBARIN
 
Bären schliefen bei den Lämmern
Und der Mond war fortgegangen,
Nacht verstarb im Morgendämmern,
Meine Gottgedanken schwangen...
 
Dann ein Sound von Melodie,
Eine Laute seufzte hin.
Und ich wußte: Das ist sie,
Süßes Mädchen Nachbarin.
 
Ihre Saite mich bezirzte
(Vor mir ihre Falterbrauen)
Mein Herz süß in Spannung stürzte
(Ihre Finger morgentauen).
 
Zwischen uns war Schloß und Pforte,
Wände trennten unsre Räume.
Eilt ich fort mit diesem Worte:
Träf ich dich im Reich der Träume!
 
 
L I U   Y U - H S I
 
EIN MÄDCHEN
 
Ein buntgewandtes Mädchen
Geht von der Laube fort,
Beweint: sie darf nicht wandern
Und ziehn von Ort zu Ort.
 
Am Hofe pflückt sie Blüten
Von mancher Blume Stamm.
Und die Libelle flattert
Und sinkt auf ihren Kamm.
 
 
 
B O   D J Ü - I
 
EINE FREUNDLICHE JUNGFRAU
 
Von einer lieben Jungfrau red ich, nicht in Prosa.
Wie Weidenblätter grün der Blick, die Wangen rosa.
Zwei Jahre vorher: Vor dem Spiegel stand ihr Leben
Und ein Jahr vorher lernte Sticken sie und Weben,
Vollendete mit Dreizehn ihre Fähigkeit.
Dem Schicksal zu begegnen war sie dann bereit.
Juwelenflechten krönten blütengleich das Haar,
Von ihr ging hauchgeborner Duft aus wunderbar.
Der Körper und das Angesicht: ganz unvergleichlich.
Bei jeder Wendung glänzte seltner Schimmer weichlich.
Doch Fröste, Pfirsch und Pflaume unzeitig vernichtend,
Anrührten sie, so fiel sie, ihre Hochzeit sichtend...
O Vater und o Mutter, legt den Gram beiseit,
Gesegnet ist sie nicht als Braut der Sterblichkeit -
Ein Engel sie! gebannt aus ihrer Heimat eben,
Verurteilt, auf der Erde kurze Zeit zu leben.
Liebliches Ding, von zarter Machart, fein und licht,
Wie eine Wolke schwindet, wie ein Glas zerbricht.
 
 
VOM ENDLOSEN WEH
 
Der Herr der Han-Zeit liebte Schönheit, Lust der Liebe.
Doch im Palaste fand er nimmer eine Liebe.
Ins Heiratsalter kam die Maid im Hause Yang,
Kam in der Harem, unbekannt der Welt auf lang.
Ein liebliches Geschöpf des Himmels tut man nie beiseite...
Sie ward erwählt, zu wandeln an des Prinzen Seite.
Sie lächelte - und Amor ward geboren süß.
Von keiner Kunst und Grazie die Dame ließ.
Es war im Lenz, sie badeten im Hua-ching-See,
Im lauen Wasser schmolz des Winters harscher Schnee;
Aufseher trugen sie, so hilflos und so schön,
Der Prinz begehrte sie noch über sein Verstehn.
O Wolkenhaar und Blumenantlitz! Klang der Füße!
O zu verbringen eine Lenznacht, eine süße!
Die Frühlingslust wie kurz! wie schnell die Sonne sank!
Der Prinz verließ den Hofstaat wegen Dame Yang,
Entwich aus Liebe, wich von dem Geschäft der Macht.
Ein Lenz verfolgt den andern, Nacht verfolgt die Nacht.
In seinen Kammern wohnten tausend Schöne stolz,
All seine Liebe an der Brust der Einen schmolz!
Im Inneren Gemach nach Untergang der Sonne
Sie diente ihm. Der Reiswein brachte Liebeswonne.
Frau Yangs Familie ward erkorn zum Ehrenstamme,
Die Demut ihres Hauses hell von Ruhmes Flamme.
Durchs Reich der Eltern Jubel glücklich war erklungen:
Ein Mädchen kam zur Welt (sie wollten keinen Jungen).
Auf lieblichen Palasts Balkon, im Wolkenkleid,
Ein Elfensturm von süßen Freuden hallte weit.
Und Wonnesang, lasziver Tanz zum Saitenspiele!
Und nimmer ward der Kaiser müde auf dem Pfühle.
Bis Beben kam von Trommeln und von Kriegsalarm,
Zerschmetterte die Schönheit in der Liebe Arm!
Staubwolken glühend vor Palastes Toren flogen,
Wagen und Reiterscharn sind in den Krieg gezogen.
Die schöne Dame wollte mit den Kriegern wandern,
Nach vierzig Meilen ruhte sie mit allen andern.
Ach, die Armee ging unter, alles hoffnungslos!
Die Augenbrauen sanken in der Erde Schoß,
Die Ornamente fielen, lagen da wie tot,
Die goldnen Klammern, Nadeln nun wie Blut so rot.
Ihr Herr konnt sie nicht retten. Da verbarg sich stumm er,
Mit letztem Blicke Tränen rannen ihm vor Kummer.
Der gelbe Staub zerschlagen, desolat der Wind,
Auf Wirbelwolken ließ die Erde sie geschwind...
Beim großen O-mi-Berge selten Leute gingen,
Das Sonnenlicht verglüht, die Banner träg sich schwingen.
Grün sind bei Szetchuan die Hügel, grün im Dust.
Von Nacht zu Nacht welch schweres Leid in seiner Brust!
Er sah den Morgen, seine Brust bestürmt von Schmerz,
Der Regen schmerzte ihn, der Wächter Glockenerz.
Die Rebellionen lärmten. Er zum Wagen stierte,
Ging raschen Schritts zum Wagen, den er reparierte.
Beim Hang von Ma-wei, tief verborgen in dem Grund,
Sah er das Antlitz nicht mehr, nun in Todes Schlund.
Er schaute zum Minister und es flossen Tränen.
Ostwärts die Stadt. Sie spornten ihrer Rosse Sehnen.
Ihr See und Garten war noch da, ganz unverändert.
Der Taiyeh-Lotos und die Weide glanzumrändert:
Der Lotos schien ihr Antlitz, Weide ihre Brauen.
Das sehend, strömten seine Tränen bittertauen.
Als Pfirsch- und Pflaumenblüten machten alles neuer,
Als Wutung-Blätter fielen in dem Herbststurmfeuer,
Vorm Hofe ungemäht wuchs rankend Herbstes Gras.
Die Wege rot von Laub, nie fortgefegt ward das.
Die Haare ihrer Freundinnen inzwischen grau,
Von dem Palast zog fort Eunuch wie Edelfrau.
Der Glühwurm in dem Raume ihre Seele schien.
Er zündete die Lampe, Schlummer wird ihn fliehn.
Wie leise durch die Nacht die Wächterglocke klang!
Wie glänzt der Milchweg, eh im Morgen Licht vordrang!
Wenn kühl das Dach, wo wahre Liebe mochte wohnen,
Wer wärmt dann wohl das Flügelkleid der Halcyonen?
Verglühend floh sein Leben durch der Jahre Raum.
Nie kam ihr Geist, zu stillen ihn in einem Traum.
Es kam ein Prediger, bewandert in Magie,
Und rufte, die in Yamas Halle weilte, sie;
Mitleidig mit des Prinzen Leid, der konnt nicht ruhn,
Er sandte Fang-Shih aus, der sollt sein Bestes tun;
Und der fixierte Luft, wie Blitze flog er fort:
Im höchsten Himmel und im tiefsten Erdenort
Er suchte durch, durch Gelbe Quellen, Azur-Feste
In Leere und in Glut, doch keine Überreste...
Da hörte er vom Meere und dem Haus der Feen,
Obskur auf Leere und vor Zauber nicht zu sehn,
Sehr schön, der Turm umweht von Regenbogenhaar,
Wo viele Elfen standen, schön und wunderbar.
Und eine, Tai-chen hieß sie, lieblicher als alle,
Die Haut weiß, schön das Antlitz, Schönste in der Halle -
An westlichen Palastes Pforte klopfte er
Und bat den Wächter: Ruf die Dame von dem Meer!
Da hörte sie sein Wort, bedient von Han Huang,
Im Silberschleier flog sie traumhaft mit Gesang!
Man sah die Seide flattern und sich wehend schwingen,
Durch reichbesetzten Torweg ihre Schritte gingen.
Die Wolkenhaare flossen, frisch vom Schlaf die Frau,
Der Elfenärmel, aufgepustet, floß wie Tau.
Ihr Hemd wie Regenbogen, Flügeln gleich ihr Kleid.
Ihr Antlitz traurig, Tränen in den Augen, Leid:
Lenzperlen in der Pflaumenblüte früh am Morgen...
Verschleiert war ihr Glanz. Sie dankt des Kaisers Sorgen.
"Stimme und Antlitz tragen Kummers schwarze Nacht.
Am Hofe blieb mein Herz, kennt keine andre Macht.
In Elfenlands Palast seh ich den Tag, den bunten.
Wend ich mein Haupt, zu sehn die Welt der Menschen unten,
Kann ich nur Chang-an sehn, so dick der Nebel fließt.
Sieh meine Dinge - wahrhaft meine Liebe sprießt -
Die Ornamente geb ich dir hier, den ich fand:
Der goldnen Nadel Hälfte hier in meine Hand,
Die andre send ich Ihm und diese goldne Klammer.
Mein Herz ist treu und echt wie Gold, trotz allem Jammer.
Im Himmel treffen Sterbliche sich wieder, dort..."
Die Elfe ging. Er fragte sie um noch ein Wort.
"Da ist ein Ding, das kennen nur wir zwei:
Wir standen einst in Chang-ans Halle", sprach die Fei,
"Zur Nacht wars, und wir beide waren ganz allein.
Im Himmel würden nimmer wir geschieden sein,
So schwörten wir im siebten Mond, am siebten Tage.
Bewahr die Erde unsrer Überreste Klage!"
Die Erde alt, der Himmel mächtig. Zeit vergeht.
Endloser Kummer aber nimmerdar verweht!
 
 
ALTER MANN MIT GEBROCHENEM ARM
 
Ein Mann in Hsin-feng, achtundachtzig Jahre,
Schneeweiß die Brauen und die Haare,
Sich lehnend auf des Enkels Schulterbeingelenke
Ging da vor einer Schenke.
Er lehnte auf die Schulter seinen linken Arm,
Gebrochen war der rechte Arm.
Ich fragte ihn, wieviele Jahre hingekrochen,
Seit seine Knochen er gebrochen;
Ich fragte ihn nach der Verletzung Grund
Und wie und warum es geschehen. Und
Der Mann sprach, er hätt einst das Licht der Welt erblickt
Und aufgewachsen sei er im Hsin-feng-Distrikt.
Sehr klug die Herrschaft sei zu jenen Zeiten
Gewesen, Krieg gabs nicht und keine Streitigkeiten.
"Oft lauschte ich im Birnbaumhain dem Klang
Von Flöte und Gesang.
Nichts wußte ich von Bannern und von Lanzen,
Von Bogen nichts und von der Pfeile Tanzen.
Dann kam des Tien-pao-Krieges Feuer,
Die große Steuer.
Und von drei Männern in jedwedem Haus
Ward einer eingezogen in des Krieges Graus.
Und jene, die das grimme Schicksal angeblickt,
Wohin denn wurden sie geschickt?
Fünfmonatsreise, tausend Meilen, fort
Nach Yünnan-Ort.
Wir hörten, daß durch Yünnan groß
Der Lu-Strom floß.
Die Blüten fielen von dem Pfefferbaum,
Giftiger Dampf stieg auf wie böser Traum.
Und als das große Heer hindurchgeschritten,
Die Wasser kochten gischtbeglitten.
Wenn zehn das andre Ufer sich erworben,
Zwei oder dreie sind gestorben.
In meines Dorfes Süd und Nord ein Weinen
Erklang und Klagelaut und Greinen,
Von Vater und von Mutter Söhne schieden,
Die Männer von der Frauen Frieden.
Ein jeder sagte, daß von den Expeditionen
Gegen die Min, die an der Grenze wohnen,
Von ausgesandter Männer Millionenschar
Nicht Einer wiederkehrte gar.
Ich, der ich alt nun bin, ich war
In jenen Tagen fünfundzwanzig Jahr.
Mein Name nieder war geschrieben, mir zum Fluch,
In Krieges Buch.
Nachts nahm ich heimlich einen Stein,
Auf meinen Arm schlug ich da ein!
Ich war zum Bogenspannen, Bannertragen
Ganz ungeeignet und zum Feindejagen.
Ich wußte: nun würd ich nicht durch den Dampf
Gesandt nach Yünnan in den Kampf.
Das mußte schmerzen: meine Knochen
Gebrochen.
Ich war bereit, den Schmerz zu tragen,
Könnt ich nur schon nach Hause jagen!
Mein Arm, seitdem gebrochen, schmerzte sehr,
Das ist nun sechzig Jahre her.
Ein Glied zerstört; das nützt:
Der ganze Leib geschützt.
Noch jetzt in Winternächten
Bei Sturm und Regenflechten
Vom Abend bis zur Morgenstunde
Kann ich nicht schlafen, denn es schmerzt die Wunde.
Vor Schmerz nicht schlafen können und vor Klagen,
Ein Kleines ists zu tragen,
Verglichen mit dem Glück, am Leben noch zu sein,
Wenn in der Erde schon der Anderen Gebein.
Sonst wär vor Jahren an der Furt
Des Lu-Stroms zur nochmaligen Geburt
Mein Körper mir gestorben und mein Geist
Bei unbegrabnen Knochen kreist.
Ein Geist, wär ich in Yünnan stets geschritten,
Schauend nach Haus, inmitten
Der Gräber der Soldaten, nicht mehr lebend,
Wehklagend schwebend."
So sprach der alte Mann in einem fort.
Ich bitt dich, lausche seinem Wort.
Vernahmst du nicht, daß der Premier von Kai-yun,
Sung Kai-fun,
Belohnte nicht die Heldentaten an der Grenze,
Solang noch herrschte Aggression im Lenze?
Vernahmst du nicht, daß der Premier von Tien-pao,
Yung Kuo-chung, im Morgentau
Begehrt, des Kaisers Gnade zu gewinnen,
Will darum an der Grenze einen Krieg beginnen?
Doch lang bevor die Feinde er besiegt,
Der Leute Stimmung schon verfliegt.
Frag du den Mann mit dem gebrochnen Arm
Im Dorf von Hsin-feng! Gott erbarm!
 
 
DER KOHLENHÄNDLER
 
Ein alter Köhler schneidet unverhohlen
Im Wald des Südbergs Holz für seine Kohlen.
Sein Angesicht, befleckt von Staub und auch
Von Asche, sah nun aus wie grauer Rauch.
Sein Haupthaar grau so wie von Alterspracht,
Seine zehn Finger schwarz wie Mitternacht.
Der Zaster, den vom Handel er erhält,
Wie weit reicht dies sein Silber in der Welt?
Grad gnug, die Glieder zu ummänteln und
Ein wenig Reis zu schieben in den Mund.
Doch ach, der Mantel um den Rücken bloß,
Geflickt ist er und dünn und futterlos.
Er hofft, wenn kommt des Winters kaltes Leben,
Inflationären Kohlepreis zu heben.
Und letzte Nacht gar, etwas vor der Stadt,
Stand einen Fuß der Schnee hoch, silbermatt.
Im Dämmer fährt den Kohlenwagen leise
Der Kohlenmann entlang gefrorner Gleise.
Der Mensch ist hungrig und der Ochse müd,
Die Sonne steht schon oben im Zenit.
Und vor dem Tor der Stadt, am Südmarkt dann
Er schließlich hält in Schlamm und Modder an.
Mit einemmale kommt ein Reiterpaar,
Wer konnt das sein? Voll Hochmut offenbar.
Im gelben Mantel ein Beamter fremd,
Ein Jüngling war dabei im weißen Hemd.
Ein schriftlicher Befehl in seiner Hand,
Auf seiner Zunge ein Gebot man fand.
Sie wendeten den Wagen an dem Ort
Und brachten ihn vom Markt nach Norden fort.
Holzkohle, mehr als tausend Stück im Wagen!
Dem Mann ein Unglück wars, nicht auszusagen!
Wenn man beschließt, den Ochsen fortzujagen,
Arbeiter können sich da nicht beklagen!
 
 
 
C H U   C H I N G - Y U
 
IM HAREM
 
Die Pforte war geschlossen zur Blumenzeit,
In Baumes Schatten ruhten sich Mädchen aus.
Die Herzen waren voll - sie schwiegen -
Sprechenden Papageien fürchtend.
 
 
 
C H A N G   C H I
 
DIE ANTWORT DER KEUSCHEN FRAU
 
Herre, wissend von meinen Frauenpflichten,
Habt zwei kostbare Perlen Ihr gesandt mir.
Ich, erkennend, daß Liebe Euer Herz füllt,
Beide wickelte in die Seidenwäsche.
Mein ein Haushalt ist hohen Ehrenranges,
Und mein Gatte ist Captain in der Heerschar.
Voll des Geistes Ihr solltet sagen: "Treue
Einer Frau ist für je und je beschlossen."
Nun mit Euren zwei Perlen send ich Tränen:
Daß wir uns nicht schon früher trafen, Herre!
 
 
 
Y A N G   C H U - Y U A N
 
GESCHMACK
 
Die Landschaft, die geliebet
Vom Dichter, ist die des Maien,
Wenn blühendes Grün verheimlicht
Die sprühenden Weidenblüten.
 
Der schönste Schmuck der Tage,
Hervorgebracht vom Sommer,
Wirkt auf jeden Wanderer
Reizend auf seinem Wege.
 
 
EIN FLÜCHTIGER BLICK
 
Die Blüten der Pfirsiche eben erst aufgebrochen,
Schwalbenpärchen überflogen die Erde.
 
Ein schönes Mädchen, mit entzückender Miene,
Zerstreuend den lieblichen Lenzhauch, ward gesehn.
 
Sie spielt mit dem Spiegel, an ihrer Seite liegend,
Errötete, denn die Fenster waren offen:
 
Wenn ein Reisender diesen Weg vorbeikommt,
Wird er sich freuen am Wohlgeruch, den er fortstiehlt.
 
 
 
T U   M U
 
VERLORENE LIEBE
 
Zu spät, ach! Ach, zu spät!
Ich kam und sah: Der Lenz,
Der liebliche Lenz ist geschwunden.
 
Doch muß ich nicht bedauern
Die herrlichen Tage der Jugend,
Die nun tot sind, o tot!
 
Obwohl die rosigen Blüten
Des Lenzes der grausame Wind
In den Staub gelegt hat,
 
Bewahre in deinem Geiste,
Die hangen nah dem Schatten
Des Laubes, die fruchtigen Trauben.
 
 
LIEBENDE GETRENNT
 
Auf den Schirm der Herbstmond
Starrt kalt vom Äther herab,
Mit seidenem Fächer sitz ich
Und schnippe die segelnden Glühwürmchen.
 
Die Nacht wird kalt und kälter,
Es fröstelt mich bis ans Herz,
Den Rinderhirten zu sehn
Getrennt von der Weberin!
 
 
 
L I   S H A N G - Y I N
 
ERINNERUNG
 
Du fragst mich, wann ich komme.
Ach, nicht so bald, meine Liebe!
 
O, wie der Regen füllte
Die Teiche in jener Nacht,
Da wir uns getroffen!
 
O, wann werden wir wieder
Heilige Kerzen entzünden,
Uns in Erinnerung rufen
Die glückseligen Stunden
Des abendlichen Schauers?
 
 
BLÜTENFALL
 
Die Gäste sind fortgegangen vom hohen Haus.
Im kleinen Garten fliegen fallende Blüten
Und wirbeln konfus die sich windende Straße lang,
Wie Blitze von Licht gesandt durch die klare Luft.
 
O die zerrissene Saite meines Herzens!
Umkehren wollt ich, mit durchbohrten Augen!
Ich überschütte den Lenz mit der Süße meines
Herzens,- aber laßt mir den Tränentau!
 
 
PEI CHING-LO
 
Zur westlichen Höhle steigt die Sonne nieder,
Den einsamen Priester auf seinem Lager such ich.
Wo ist er hin, da nun die Blätter fallen?
Kurvenreich windet sich meines Weges Enge
Durch kühle weiße Wolken und bringt mich hierher.
Zum Abendgebet alleine schlag ich leis
Die kristallene Glocke, an eine Rebe
Einsam in meditativen Gedanken gelehnt.
Ein Staubfleck in dieser großen weiten Welt -
 
Was brauch ich Liebe? oder brauch ich Liebe nicht?
 
 
M A   T S U - J A N
 
VOM WEG
 
In meiner Jugend ging ich, zu studieren
Das Wort und den Weg an einer lebendigen Quelle.
Dann aber lag ich den halben Tag müßiglich
Auf einem von der Sonne vergoldeten Bett.
"Was für ein Tor du bist!" rief mich mein Meister
Des Wortes an, "zufrieden mit menschlichem Los?"
Er bat mich, zu der Welt zurückzukehren
Und mich einen Trunkenbold zu nennen.
Aber - warum die Unsterblichkeit suchen,
Etwa durch ein Wunder von Lebenspillen?
Das Geheimnis immerwährender Jugend
Ist mir schon seit langen Tagen bekannt:
Akzeptiere mit der Ruhe der Weisheit,
Was immer dir der Gott der Liebe bringt.-
[Inhalt]


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