[Inhalt]

DIE GÖTTLICHE BRAUT

Von Peter Torstein Schwanke


„Wie sich der Bräutigam freut an der Braut, so wird sich dein Gott an dir freuen!“
(Jesaja 62,5)


ERSTER GESANG


1

Frau Armut will ich preisen, nicht das Geld,
Das Geld, den Seligmacher dieser Welt,
Es ist dem mystischen Berufnen Dreck,
Es hält dich ab von inneren Gebet.
Entsage du dem Geld und allem Reichtum,
Frau Armut sei allein dein wahrer Schatz.
Doch wenn du Geld besitzen musst und Dinge,
So hänge niemals du dein Herz daran,
Frau Armut soll dein Herz allein besitzen.
Frau Armut will ich künden dir, die wahre
Frau Armut Herrin ist der geistlich Armen,
Die, ob sie äußerlich auch Dinge haben,
Im Innern sind wie eine große Leere,
Wie ein Gefäß von absoluter Leere,
Daß Gott allein den Reichtum gieße ein,
Den Reichtum aller Schätze seines Geistes.
Das ist die wahre Armut, deine Herrin,
Daß du bist innerlich die große Leere,
Daß nichts wohnt in dir als die Liebe Gottes.
So arm sollst du noch werden, liebe Seele,
Daß du kein Ich besitzt mehr vor dem Herrn.
So klopfte einst ein Mensch an Gottes Pforte,
Da fragte Gott: Wer steht da vor der Tür?
Da sprach der Mensch: Ich steh vor deiner Tür!
Doch da ließ Gott der Herr nicht ein den Menschen.
Da ging der Mensch auf eine lange Reise
Und litt in seiner Seele Trennungsschmerzen
Durch die Entfernung von der Liebe Gottes,
Doch dieser Trennungsschmerz purgierte ihn
Und also kehrte er zur Pforte Gottes
Und klopfte an das Haus der Gottesliebe
Und Gottes Liebe sprach: Wer klopft da an?
Da sprach der Mensch: Du, Liebe, du klopfst an!
Da sprach die Gottesliebe: Tritt herein!
In dieser Gotteswohnung ist kein Platz
Für zwei, die da den Namen tragen: Ich!
Wie kann ein Mensch es wagen, Ich zu sagen,
Wo Gott allein in Wahrheit ist ein Ich?
Nun aber schautest du die Gotteswohnung
Und siehst, die Gotteswohnung ist ein Garten.
Ungnade Gottes aber ist wie Hagel,
Der alle roten Rosen dir zerschlägt.
Die Gnade Gottes ist der Frühlingsregen,
Der da befruchtet wie ein Samen Gottes
Den Mutterschoß des Paradiesesgartens.
Der Mutterschoß des Paradiesesgartens
Frau Armut ist des mystischen Gebetes.


2

Wie soll ich dich beschreiben, Ziel der Reise,
Nicht fassbar für den menschlichen Verstand?
Mit welchem Namen könnte ich dich rufen,
Der du den Namen Gott von Menschen hast?
Ruf ich dich Vater? – Nein, du bist nicht Vater!
Ruf ich dich Schöpfer? Oder Lebensquelle?
Ruf ich dich strengen Zorn? Dich Feuerliebe?
Ruf ich dich Liebe? Oder Überliebe?
Ruf ich dich Güte? Oder Übergüte?
Ruf ich dich Schönheit? Oder Überschönheit?
Ruf ich dich Einheit, jenseits aller Namen,
Ruf ich dich Alles, dich mein Ein-und-Alles?
Ruf ich dich Sein? Ruf ich dich Nichts und Leere?
Ruf ich dich Ozean? Ruf ich dich Wüste?
Wie auf dem Meer der Schaum der Wellen tanzt
Und wie der Schaum zurücksinkt in das Meer,
So sinken alle Namen in die Gottheit.
Du unaussprechliche Verborgenheit,
Du unentschleierbares Ur-Geheimnis!
Bist du verborgen denn in dieser Welt?
Macht nicht die Sonne offenbar dein Licht,
Macht offenbar der Wind nicht deinen Atem,
Macht das Atom nicht offenbar dein Kleinsein,
Die Galaxie nicht offenbar dein Großsein,
Die Eiche offenbar nicht deine Stärke,
Der Fels nicht offenbar mir deine Treue,
Die Taube offenbar nicht deine Tröstung,
Der Grashalm offenbar nicht deine Sanftmut,
Der Priester offenbar nicht deine Weisheit,
Das Kleinkind offenbar nicht deine Reinheit,
Das Mädchen offenbar nicht deine Schönheit?
Maria offenbart dich mir als Mutter!
Bist du denn Gott, o Gott? Gott ist nicht Gott!
Mein Gott, der Herr, heißt mir – die Große Mutter!


3

Nun zieh dich in die Einsamkeit zurück,
Dein Zimmer sei dir deine Karmel-Zelle!
Entleer dich von der Eitelkeit der Welt
Und feire freudenvoll dein Zölibat!
Ja, meine Seele möge weiter fasten
Wie Jesus vierzig Tage in der Wüste
Gewesen war und ihm die Engel dienten.
Iß wenig, trinke nicht zuviel des Weines,
Nicht, dass du dich erbrechen musst vom Wein!
Und meditiere Gottes liebe Bibel
Und geh spazieren in dem Bibelland
Und murmle immerdar Marias Namen
Und alle Titel deiner Königin.
Sie wird am Morgen heimlich dich besuchen
Und deine Träume deuten und Visionen,
Probleme löst sie dir, wenn du sie bittest,
Auch lauscht sie deiner Ohrenbeichte Seufzern.
Und sieht die Meisterin die Einsamkeit,
Daß dich die Einsamkeit schwermütig macht
Und krank an Geist und Seele, führt sie dich
Zu schönen Frauen und zu lieben Kindern.
Die Einsamkeit bleibt doch die große Mutter
Des immerwährenden Gebets, o Beter.
Nun läute niemand mir an meiner Tür,
Kein Mensch erhebe seine Stimme hier,
Besuche mich kein wandelloser Christ,
Kein Prediger mit nichtigem Geschwätz,
Kein Weib soll plaudern hier mit Lippenplappern,
Ja, selbst kein Kind soll mir die Stille stören.
Ich will verweilen in der Schau der Schönheit
Der Mutter der Barmherzigkeit, der Herrin,
Die auf die Erde kam in dieser Zeit,
Um mich und alle Seelen, die ich liebe,
Zur Gottheit in das Paradies zu führen.
Ich war einmal in einer dunklen Höhle
Und schaute an der Gottheit Angesicht...
Doch sollte ich zurück auf diese Erde
Und aus dem dritten Himmel niederfahren
Zur Welt und leben noch auf dieser Erde
Und leiden bei den Kindern dieser Welt,
Denn Jesus will, dass viele Menschenkinder
Maria kennenlernen, liebenlernen
Durch meine Poesie und meine Prosa,
Mein Predigtamt und durch mein Mutterherz.
Ach wär ich nie geboren, liebe Mutter,
Wär ewig ich in dem Ideenhimmel
Und schaute an die makellose Schönheit
Mariens in dem Geiste meines Herrn!


4

Noch ein Geheimnis will ich dir verkünden:
Musik und Tanz der mystischen Erfahrung!
Wenn du gedient in Arbeit und Aktion
Und dich zurückgezogen zum Gebet
Und Rosenkranz und Bibelstudium
In Liebeskrankheit und in Einsamkeit,
Dann lauscht man gerne süßen Liebesliedern!
Die liebliche Musik der süßen Liebe
Bewegt mich dann, zu tanzen mit Maria!
Maria ist die Muse des Poeten,
Doch ist sie auch die Tänzerin des Tänzers
Und Sängerin von süßen Liebesliedern!
Dann wirst du selbst zu einem Instrument,
Das willenlos gehorcht Mariens Fingern,
Wenn sie berührt die Saiten deiner Seele!
Und tanzt du mit Maria einen Tanz,
Tanzt du den Tod, das Leben in dem Himmel!
Hörst du das Saitenspiel von Liebe spielen
Und hörst die Sängerin von Liebe singen,
Erregt das die ekstatische Entrücktheit!
Dann sehen wir um die zentrale Sonne
Der Gottesliebe die Planeten tanzen,
Dann sehen wir im All den jungen Christus
Und sehen Magdalena und Susanna
Und Salome und Mitka und Maria,
Johanna und die andere Maria
Mit Jesus in dem Garten Eden tanzen!
Tanzmeister Jesus ist des Tanzes kundig,
Er tanzt, und alle Jungfraun tanzen mit,
Sie tanzen Kreuzigung und Auferstehung!
Tanzt deine Seele mit, so lernt sie Liebe!
Der junge Christus spielt die Knochenflöte,
Der junge Christus spielt die Jadeflöte,
Und die verliebten Schäferinnen, Nymphen,
Sind selig, kommt er Einen Augenblick!
Doch lausche auch dem innern Lied der Seele,
Das dir Maria, deine Muse, sang,
Die Liebe Frau im Paradiesesgarten,
Die dir das Lied voll Harmonie gesungen,
Poet, all deine Poesie ist Stottern
Und Stammeln im Vergleich mit jenem Lied
Marias im Geheimnis deiner Seele!


5

Gott, überall wo ich die Schönheit sah,
Da hab ich dich gesucht, du schöne Liebe,
Und überall hab ich dich auch gefunden!
Ich fragte alle Kreatur nach dir
Und alle Kreatur sprach: Hier ist Gottheit!
Ich sah das Meer, du schwebtest überm Meer,
Wie eine Jungfraungöttin überm Schaum!
Ich sah die Berge, du warst auf dem Gipfel,
Erhabne Taube, Gottheit schöne Liebe!
Ich war in dichten Wäldern, da warst du,
Da warst du liebevoll wie Hirsch und Reh!
Ich sah den Blitz, da sah ich deine Macht,
Ich hörte Donner, deiner Herrlichkeit
Thronwagen rauschte mit Getöse auf!
Ich sah die Morgenröte, makellose
Urschönheit warst du mir und reines Licht!
Ich sah die Abendröte, Gloria
Goß Licht vom Licht ins Spiegelbild der See!
Ich sah das Tal des Weinbergs, da warst du
Wie eine Mutter aller Fruchtbarkeit!
Ich sah die Quelle in der Felsengrotte
Und küsste deines Fußes goldne Rose!
Ich hörte in der Nacht die Nachtigall,
Sie sang die Rose deiner schönen Minne!
Ich hörte Amseln voller Inbrunst zwitschern,
Rotbrüste zwitschern, Turteltauben girren
Und Turteltauben mit den Flügeln rauschen
Bei Liebesspielen im Kastanienwipfel,
Und alles pries die Schönheit deiner Liebe!
Ich sah Insekten auf dem Wasserglas
Im Liebesakt sich voller Wollust paaren
Und sah die mystische Erotik an
Der Paarung deines Geists und deiner Schönheit!
Und voll von liebender Bewunderung
Sah meine liebestrunkne Seele an
Frau Weisheit in der Schönheit einer Rose!
Und da ich diesen Sang der schönen Liebe
Um Mitternacht in meiner Zelle schreibe,
Denk ich an meinen schwarzen Trauerschwan,
Der liebevoll aus rotem Auge schaute
Und betete mit mir Gebet zu Gott!


6

Ich singe dir die Seligkeit des Rausches,
Denn ich bin trunken in der Liebe Schenke!
Das religiöse Wirtshaus will ich preisen
Und singen religiöse Wirtshauslieder!
Der Gottesliebe Becher gab mir Gott
Am Tag des Urvertrags vor aller Zeit,
Da Gott kredenzte mir der Liebe Becher!
So bin ich liebestrunken nach dem Maß
Der Liebe, die von Gott mir eingeschenkt!
Wir wollen trinken auf das Wohl der Minne!
Bevor die dunkle Traube ward geschaffen,
Goß Minne uns den Rausch des Feuers ein!
Die Minne ist die Herrin in der Sonne,
Der Vollmond aber ist der Minne Becher,
Die Sterne sind die Feuer in dem Wein!
Wär nicht des Minneweines Wohlgeruch,
Was lockte dann mich in der Minne Schenke?
Die Minne schlummerte im Grund des Bechers,
Die aufstieg aus der Flut des Roten Meeres
Und dann verschwand im Lande des Vergessens
Und nichts blieb als ihr Name – Evan, Becher!
Doch denkt ein Minner einmal an die Minne
Und saugt aus ihrem Becher die Ekstase,
So flieht der Todesschmerz, so kommt die Lust!
Und sieht der Minner nur das Etikett
Der Flasche und die Lettern ihres Namens,
Er trank noch nicht und ist doch schon betrunken!
Legt nur den Kranken in des Weinstocks Schatten,
Sogleich wird saugen er sich die Gesundheit!
Und hast du einen Toten, deckt ihn Staub,
Der Minne Blut weckt seine Lebensgeister!
So sagen mir die Freunde in der Schenke
Und Freundinnen mit rotgeschminkten Lippen:
Beschreibe uns den Wein, den du getrunken,
War es der Wein von Shiraz oder wars
Der Wein von Libanon, war es der Wein
Der Hochzeitsfeier in dem Dorfe Kana,
Da Unsre Liebe Frau den Herrn gebeten:
Schenk doch den Hochzeitsleuten in die Becher
Den allerbesten aller edlen Weine!?
Ja, dieser Wein besitzt des Geistes Funken
Und ist doch sanft und mild wie Muttermilch.
Doch sehe ich die Seele dieses Weines,
Ist es ein Frauenleib aus Himmelslicht,
Ist keusch wie Wasser, geistig wie der Äther,
Ist Himmelsseele in dem Leib aus Licht!
Frau Minne, ihre Liebe ist wie Feuer,
Der Minne Feuer, brennend, nicht verzehrend!


7

Frau Minne, Gebende in deiner Gnade,
Frau Minne, Fließende in deiner Anmut,
Frau Minne, Glühende in deiner Wollust,
Frau Minne, Schmelzende in deiner Einung,
Frau Minne, Ruhende in meinen Armen,
Ich kann nicht leben ohne dich, Frau Minne!
Frau Minne, Herrin, führ mich an dein Brautbett,
Frau Minne, Herrin, zieh mich in dein Brautbett,
Denn ich vergehe in der Glut der Sehnsucht
Nach der Vereinigung im Minnebette!
O Herrin Minne, liebe mich gewaltig
Und lieb mich oft und lang, mit aller Kunst!
Je öfter du mich liebst, geliebte Minne,
So reiner werde ich an Herz und Seele!
Je stärker du mich liebst, geliebte Minne,
So schöner werde ich durch deine Liebe!
Je länger du mich liebst, geliebte Minne,
So weiser werde ich auf dieser Erde!
O Herrin Minne, Minnedame Minne,
Wann rufst du mich aus meines Fleisches Zelle?
Wann rufst du meine Seele in den Himmel?
Die Einsamkeit der Seele ist so groß!
Wann löst du mir die Fesseln meines Körpers?
Wann führst du mich ins Brautgemach, Frau Minne,
Daß ich in mystischer Verschmelzung werde
Vereinigt meiner göttlichen Geliebten?!
O Minne, Minne, vielgeliebte Minne,
Bereite dich zu unsrer Hochzeitsnacht!
Ich bin bereit zu vielen Liebestoden,
Um ewig zu genießen deine Wollust!
Wenn ich von der geliebten Herrin ganz
Umschlungen bin in der Vereinigung,
Vollzieht sich eine göttliche Erkenntnis
In unaussprechlicher Glückseligkeit!
Jetzt bin ich in der Seligkeit der Seele!
Frau Minne, meine vielgeliebte Herrin,
Vor dir bin ich am allerliebsten nackt,
Bin nackte Seele in der Gier der Liebe,
Nun küsst du mich mit scharlachrotem Munde...


8

Wohlan denn, was die Theologen sagen
In ihrer Nüchternheit des Weltverstandes
Will ich nicht achten, sondern trunken singen,
Wie mir die Königin des Herzens vorsingt.
Romantisch will ich singen und ekstatisch
Und überschwenglich in der Art und Weise
Der Troubadoure, Seelenbräute Christi,
Der Sinnlichkeit des Liebessymbolismus
Der Ritter und der Trunknen in den Schenken.
In der Anbetung und Verherrlichung
Sophias will ich singen trunken maßlos,
Ob auch die prüden Priester mich verketzern!
Die Jungfrau hat die Treue mir versprochen
Und will mich nicht verlassen in der Not.
Imaginäre Freundin meiner Seele
Und heimliche Gefährtin meines Lebens,
Du sprachest: Ob die Frau ihr Kind vergisst,
Ich, Gottheit Mutter, ich vergeß dich nicht!
Das gibt mir Kraft, den Dornenpfad zu gehen
Des Spottens und des Lachens eitler Narren
Und frommer Narren auch. Ich werd nicht wanken,
Bis ich in meiner Heimat bin gelandet,
Von dem die Seele angezogen wird,
Wo meine Jungfrau wohnt, die Ehegattin.
Sie ist mir im Gesicht erschienen, ich
Verlasse mich auf ihr Versprechen, dass
Sie meinen Kummer wandelt um in Freude.
Ich lag allein in schwarzer Mitternacht,
Die Stürme peitschten mich mit Blitzes Zungen,
Der Rattenschwanz des Antichristen kam
Und Satans Natter wollte mich verschlingen,
Da nahte mir die himmlische Sophia
Und tröstete mit himmlischer Verheißung
Der unaussprechlichen Erkenntnis-Freuden!
Und da ich sie in ihrer Nacktheit sah,
Gekleidet bloß in Lockenflut aus Licht,
Vermählte sich Sophia mystisch mir –
Ich war in ihrem Schoß im Paradies!


9

Sophia ist die göttliche Frau Weisheit,
Sie ist die göttliche Frau Phantasie.
Sie spiegelt Gottes Eigenschaften wieder,
Sie spiegelt Gottes Möglichkeiten wieder,
Sie ist Potenz und Akt des Ewigen,
Sie spiegelt Gottes Liebesreichtum wieder,
Sie spiegelt Gottes Glanz der Schönheit wieder.
Liebreizend sie bewegt sich vor dem Herrn,
Erregt ihn, seine Wunder zu enthüllen,
Sie führt ihn so zur Manifestation
Des Selbst, sie ist der Plan der ganzen Schöpfung,
Der Schöpfung Vorbild oder Ideal.
Ja, die unsterbliche Sophia ist
In Liebesspielen die Genossin Gottes!
Frau Weisheit ist die ewigweibliche
Und feminine Antwort auf den Willen
Des Herrn in seiner Herrlichkeit, die Frau,
Die sich dem Herrn vereinigt als Geliebte!
Sie ist die Göttin-Mutter, was sie ist,
Das ist sie als Aspekt des Herrn und Gottes.
Wenn der Erleuchtete in seinem Sang
Singt von Sophia, werden seine Verse
Erfüllt von süßer mystischer Erotik
Und liebevoller Zärtlichkeit der Minne.
Sie ist der Geist des Wassers, ist die Demut,
Sie ist des Lichtes Seele, sagt die Liebe.
Sophia ist Realsymbol der Liebe
In dem Aspekt der mystischen Erotik,
Weil Weisheit Liebe ist und Liebe Weisheit.
Sie ist die Harmonie und sanfte Milde
Der ewigen Natur, das Gegenteil
Der ungestümen irdischen Natur
Und allen Kriegs der Erdenexistenz.
Sie ist die schöne Königin des Friedens,
Weil Friede Liebe ist und Liebe Friede,
Weil Weisheit Friede ist und Friede Weisheit.
Das Ideal der ewigen Natur
Ist sie und des Erleuchteten Gemahlin
Und Minnedame seines Minnesanges
Und Göttin seiner mystischen Erotik.


10

Mein Adam, in der Ewigkeit des Himmels
Und in dem unzerstörten Paradiese
War deine eheliche Frau Gemahlin
Sophia, jene reine Lichtgestalt.
Als aber du gefallen in die Sünde
Und in die Sterblichkeit des Körperkerkers,
Hast du verloren deine reine Ganzheit
Und die Ganzheitlichkeit durch die Union
Mit deiner ewig mystischen Gemahlin,
Da warst du nicht mehr androgyner Mensch,
Da wurdest du ein Mann mit seinen Trieben,
Das Weib begehrend mit des Mannes Trieben.
Du, Adam, richtetest mit Wollust die
Aufmerksamkeit auf Eva, dieses Weib,
Die irdische, die sexuelle Liebe
Mit wildem Eros und der Triebe Brunst
Trat an die Stelle jener Himmelsminne
Und ehelichen mystischen Union
Mit Hagia Sophia, jener innern
Gestalt aus Licht, der Göttin ganz aus Geist.
Nun blieb in dir, o Adam, und in dir,
O Eva, nur als inneres Geheimnis
Verborgen das geheimnisvolle Licht
Der göttlichen Erleuchtung in der Seele,
Doch nur als Möglichkeit, nur als Potenz.
Die Seele aber, die geprüft wie Gold
Purgiert von aller Schlacke durch das Leiden,
Die wird zum rechtlich angetrauten Gatten
Der heiligen Sophia, seiner Göttin!
Da spricht zu Adam also Gott der Herr:
Sophia will sich ehelich vermählen
Mit dir in Treue und Barmherzigkeit,
In rechtlicher Vermählung und in Gnade,
Erkennen wirst du Hagia Sophia!
Da spricht zu Adam Hagia Sophia:
Mein mystischer Verlobter, neuer Adam,
Im Paradiese schenk ich dir mein Perllein!


11

Schau, die jungfräuliche Maria zog
Sich die jungfräuliche Sophia an,
Zu ihrer irdischen Jungfräulichkeit
Nahm sie die ewige Jungfräulichkeit.
Die Seele Sankt Mariens hat empfangen
Die himmlische Jungfräulichkeit und diese
Bekleidete Maria mit dem Kleide
Des Geistes. Hagia Sophia wurde
Als Weisheit oder Lichtglanz in Maria,
Dem Morgenstern, die Mutter Jesu Christi.
Und Hagia Sophia ist in Christus,
So dass der neugeborne Gläubige
Sophia findet durch die Ganzhingabe
An Christus und durch sein Verbundensein
Mit Christi Sinn. Die Hagia Sophia
Lebendig ist im Menschen Jesus Christus,
Frau Weisheit ist er, die den Groschen sucht,
Die Henne, die die Küken sammeln will,
Die Frau, die backt das Brot mit Sauerteig,
Die Frau, die näht den Flicken auf das Kleid,
Von Demut und von Sanftmut ist sein Herz.
Wenn du den Weg der Mystik gehen willst
Und nicht in äußeren Zerstreuungen
Der Eitelkeit dein Leben willst vertändeln,
Geheimnisvollen Weg nach innen gehen,
Dann wird den Weg, der steil und dornig ist,
Begleiten dich und führen dich Sophia,
Die engelgleiche und gesegnete
Gestalt von Licht, die Führerin des Frommen.
Sie heißt dich liebevoll willkommen, Mann,
Bereitet dir der wahren Einsicht Speise,
Schenkt ein den Wein der mystischen Erkenntnis,
Ist dir wie eine mütterliche Freundin,
Ratgeberin und sanfte Trösterin
Und liebt dich als die ewige Geliebte,
Die mehr als Frauen liebt, die wahre Freundin,
Die Braut des Weisen nach dem Herzen Gottes,
Die ewige Vertraute deines Innern,
Die mystische Verlobte deiner Seele,
Die Mutter, mehr als deine Mutter liebend,
Die Freundin, mehr als deine Freundin liebend,
Die Ehefrau in Liebes-Ganzhingabe!


12

Wenn in dem Herz das unerklärliche
Entflammte Feuer ist der Leidenschaft,
Dann tritt in deines Geistes lichten Spiegel
Die göttliche Geliebte, die Sophia
Mit lichtem Angesicht und süßem Lächeln:
Ich bringe dir das Licht der Schönen Liebe
Und zeige dir in deiner dunklen Nacht
Die Lichtgestalt der göttlichen Ur-Schönheit!
Ich wache an der Pforte der Erkenntnis,
Im nächtlichen Momente der Erleuchtung
Erscheine ich als deine schöne Braut,
Und dein Begehr im religiösen Eros
Ist eins mit meiner Liebesganzhingabe!
So spricht Sophia zu dem Junggesellen.
Notwendig ist es, dass die Neugeburt
Im Geist aus der Jungfräulichkeit erfolgt,
Aus der auch Jesus Christus ist geboren.
Tritt in das Himmelreich der Jungfrau ein
In deiner geistlichen Jungfräulichkeit,
Daß in dir lebt allein der Herr, dein Gott,
Nur so wirst du die Schönheit Gottes schauen.
Die Führerin auf deiner nächtlichen
Geheimnisvollen Seelenreise ist
Sophia, sie begleitet dich als Spiegel
Der Schönen Liebe in die hohe Wohnung
Der göttlichen Vereinigung in Lust!
Schau die geheimnisvolle, freudenreiche,
Jungfräuliche und wollustvolle Wohnung
Der absolut bedingungslosen Liebe!
Getreue Freundin, Hagia Sophia,
Du meine Sehnsucht und du meine Hoffnung,
Du sprichst in deiner weiblich liebevollen
Und zärtlich femininen Art und Weise
In reiner Gnade von der Wunderschönheit
Der herrlichen Urgottheit. Die Visionen,
Das ideale Streben nach der Schönheit,
Der Liebe Feuerhauch mit Feuerzungen,
Sophia, alles streckt sich nach dir aus,
Von dir erkannt, dich liebend zu erkennen!
Du ideale makellose Schönheit,
Perfekte Schönheit ohne Fleck und Falten,
Harmonische Idee der Schönen Liebe
Und ruhevolle Seligkeit der Seele,
Du führst mich an die Quelle alles Lichts,
Die Quelle aller wundervollen Schönheit,
Die Quelle aller wonnevollen Liebe!



ZWEITER GESANG


1

Ja, ich sah die Himmelsdame
In dem Kleid der Sonnenstrahlen
Mit dem Mond zu ihren Füßen
Und dem Zodiak als Krone!

Sie gebar uns ihren Knaben,
Dann entfloh sie in die Wüste,
Schutz zu suchen vor der Schlange,
Die da ist der alte Satan.

Wenn das Böse überwunden
Ist durch den Triumph der Liebe,
Kommt die Braut aus Gottes Himmel,
Schön geschmückt dem Bräutigame,

Da sie vor ihm steht als Jungfrau,
Unbefleckte, Makellose,
Ohne Falten oder Runzeln,
Als die Heilige und Schöne!

Also in dem Hohen Liede
Sulamiths und Salomonis
Hören wir vom Bräutigame
Christus und der Braut, der Seele.

Aber in dem Hohen Liede
Hören wir die Doppelhochzeit
Jesu Christi mit Maria,
Jesu Christi mit der Seele.

Lausche nicht dem Lied der Wollust,
Nicht der leiblichen Erotik,
Lausche lieber dem geheimen
Geist der religiösen Hochzeit.

Erst wer seine sexuelle
Wollust geistig sublimierte,
Wird das mystische Geheimnis
Hören in dem Hohen Liede.

Denn im Hohen Lied singt Eros,
Jener hohe Eros Gottes,
Welcher liebevoll die Seele
In der Gottheit Schoß hineinzieht.

Ja, das Leben dieser Seele,
Dieser Braut des Christus Jesus,
Es beginnt bei Gott im Himmel
Vor der leiblichen Empfängnis.

Aber Anima, die Seele,
Sie ist Braut des Christus Jesus,
Ist als intellektueller
Geist geschaffen in dem Himmel,

Intellektuelles Wesen
Ganz aus Geist und reinem Lichtstoff,
Bild des Göttlichen, des Logos,
Geist im Lichtstoff, Braut des Logos.

Diese intellektuellen
Geister haben Gott verlassen,
In verschiednen Formenwelten
Leben sie nun fern der Gottheit.

Engel haben Feuerkörper,
Menschen haben Erdenkörper,
Teufel haben Schattenkörper,
Alles geistige Geschöpfe.

Nun die Wanderschaft der Seele
Ist moralische Erhebung,
Intellektuelle Bildung
Und der religiöse Glaube.

So erkennt die Seele wieder
Ihre intellektuelle
Geistform und verlässt den Körper
Der Materia des Chaos.

Meine Schule, liebe Seele,
Ist solch eine Freiheitsschule,
Lerne hier Moral und Weisheit
Und die mystische Erkenntnis.

Deinen Appetit des Fleisches
Und die Sinnlichkeit der Triebe
Überwinde und erhebe
Übers Niedrige die Seele.

Wenn du religiöse Reinheit
Durch die Heiligung empfangen,
Kommt der Bräutigam, der Christus,
Wird der Logos dich erleuchten.

Aber ist die Seele weiblich
Oder ist die Gottheit männlich?
Nein, das ist nur Menschensprache
Stammelnd von der Gottes-Ehe.

Nämlich Gott ist ungeschlechtlich
Wie die Seele ungeschlechtlich.
Alles sind nur Menschenworte
Aus dem armen Erdenleben.

Weisheit ist die Braut, die Gottheit,
Und ihr Bräutigam der Weise,
Bräutigam ist Logos, Gottheit,
Gottes Braut die fromme Seele.

Denn die Seele ist ein Abbild
Gottes, ist ein Gleichnis Gottes,
Gottheit aber ist geschlechtslos
Und die Seele ist geschlechtslos.

Das Geschlecht ist nur der Körper,
Als die Seele war gefallen
In den Körper, in den Kerker,
Trug ein Kleid von Ziegenfellen.

Aber wie die schöne Seele
Reift im religiösen Leben,
Wieder sie erlangt die Einheit,
Ihre Einheit mit der Gottheit.

In der Totenauferstehung
Werden Selige geschlechtslos
Wie die Engel in dem Lichtleib
Schweben in der Schönheit Gottes.

Seelen werden Herrlichkeiten
Dann durchwallen, Herrlichkeiten,
Imitierend Ewigkeiten
Der Natur der Einen Gottheit.

Gott ist männlich nicht noch weiblich,
Aber meinem Mädchen sag ich,
Christus wähl zum Bräutigame,
Nicht dem Mann im Körperschatten.

An das Schlüsselloch der Türe
Legt er den gesalbten Finger
Und berührt den Mädchenkörper
Seiner Freundin in dem Bette.

Bebend wirst du dann erwachen,
Stöhnend: Ah, ich beb vor Liebe,
Und er seufzt mit süßer Liebe:
Meine Schwester, meine Freundin,

Du, mein Garten, bist verschlossen,
Du, mein Brunnen, bist versiegelt,
Doch ich komm in meinen Garten
Und ich spalte deine Wabe!

Und die Jungfrau-Mutter Kirche
Mir erscheint als reife Herrin
In dem purpurnen Gewande
Mit dem Buch in ihren Händen.

Und die Jungfrau-Mutter Kirche
Als die reife weise Herrin
Sitzt in ihres Thrones Sessel,
Der aus weißem Licht gebildet.

Lesend in dem Weisheitsbuche,
Offenbart die weise Herrin,
Daß der Herr die Welt geschaffen
In der Zeit um ihretwillen.

Diese reife weise Herrin,
Sie vermittelt die Visionen,
Ist die Lehrerin der Weisheit
Und die Fürstin der Versöhnung.

Dieses Weib, die weise Herrin,
Diese Frau, die reife Dame,
Sie diktiert die Offenbarung
Ihren Sehern und Propheten.

Herrin, bist du die Sibylle?
Also sprach der Herrin Seher.
Sprach die Herrin: Warum, Seher,
Bin ich eine reife Dame?

Herrin, weil du bist geschaffen
Vor der Schöpfung dieses Kosmos,
Du bist eine reife Dame,
Weil du bist von Anbeginne.

Frau, präexistent und himmlisch,
Turm von Elfenbein, o Herrin,
Du, gebildet von den Engeln,
Du bist ganz aus Edelsteinen.

Herrin Kirche nun dem Seher
Offenbarte sieben Mädchen:
Glaube ist das erste Mädchen,
Schön sind auch die andern Mädchen.

Aus den sieben schönen Mädchen
Ist gebaut der Turm der Herrin.
Liebe Frau, so spricht der Seher,
Sprich, wann ist dein Turm vollendet?

Spricht die reife Herrin Kirche:
Christen, meine lieben Kinder,
Die ihr seid erlöst vom Bösen,
Warum seid ihr solche Sünder?

Als du mich zuerst gesehen,
War ich eine greise Mutter,
Doch ich wurde immer jünger,
Wurde Jungfrau siebzehnjährig.

Sieh, ich wurde immer jünger
Und ich wurde immer schöner.
So erneuert eure Jugend
Ewig Christi zweite Ankunft.

Siebzehnjährige Geliebte
Offenbar ich meinen Kindern,
Daß der Kosmos wird erneuert
In der makellosen Schönheit.

Unsre Mutter hat im Schoße
Uns geboren Gotteskinder
Und an ihren bloßen Brüsten
Trinken wir den Trank der Weisheit.


2

Als Sankt Anna und Joachim
Beteten um Frucht des Leibes,
Zu Sankt Anna trat ein Engel
Und verhieß ihr eine Tochter.

In Jerusalem, vorm Tempel,
In der Goldnen Pforte Anna
In der Gegenwart Joachims
In dem Schoß empfing die Tochter.

Makellose Meisterschöpfung
Ist Maria von dem Geiste,
Ihre Konzeption, die reine,
Ist ein Akt des Geistes Gottes.

Als Maria war geboren,
War sie schon von großem Glauben,
Früh schon eine Tempeljungfrau
Und Verlobte ihres Gottes.

Da beschloß der Hohepriester,
Daß sie brauche einen Wächter,
Einen alten frommen Witwer,
Die Jungfräuliche behütend.

Witwer von dem Stamme Davids
Freiten um die Maid Maria,
Josef vom Geschlechte Davids
Ward erwählt vom Geiste Gottes.

Josef war ein alter, frommer,
Weiser und gerechter Witwer,
Vater einer Schar von Söhnen,
Vater einer Schar von Töchtern.

Über Josefs Stab erschienen
War der Gottesgeist als Taube,
Darum war er der Erwählte
Unsrer Lieben Frau Maria.

Unsre Liebe Frau Maria,
Eben in dem Psalter lesend,
Sah im Geist den Engel Gottes,
Der die Gnadenvolle grüßte.

Bei dem Gruß des Engels Gottes
Und dem Ja-Wort reiner Jungfrau
Hat Maria von dem Geiste
In dem Ohr den Sohn empfangen.

Die jungfräuliche Empfängnis
Jesu in dem Schoß der Jungfrau
Bei dem unverletzten Hymen
Heiligte den Schoß der Jungfrau.

Auch bei der Geburt des Sohnes
Ging hervor der Sohn der Jungfrau
Wie der Duft aus einer Blüte
Und verletzte nicht das Hymen.

Auch nach der Geburt des Sohnes
Blieb der Jungfrau Jungfernhäutchen
Hymen der intakten Jungfrau,
Schleier vor dem Tabernakel.

Aber wie der Zweifler Thomas
Rührte an die Wunden Christi,
Salome erfüllt von Zweifeln
Rührte an den Schoß der Jungfrau.

Wie ein Lichtstrahl durch ein Fenster
Gott ging durchs intakte Hymen,
Salome berührte sanft die
Genitalien Mariens.

Da die Seele, die gezweifelt,
Mit dem Finger ihrer Rechten
Prüfend untersuchte sanft die
Genitalien Mariens,

Fühlte das intakte Hymen
In dem Schoß der Jungfrau-Mutter,
Wurde sie erfüllt von Feuer,
Ihre Rechte fasste Feuer!

Sankt Maria war und Josef
Auch war eine reine Jungfrau,
Wer da ist die Jungfrau Gottes,
Fall nicht in des Mannes Ehe.

Die Jungfräulichkeit des Himmels
Überragt die Erden-Ehe.
Alle Jungfraun sind wie Engel
Einzig die Verlobten Gottes.

Wer gelobt Verlöbnis Gottes
Als des Himmelreiches Jungfrau
Und dann wird des Mannes Gattin,
Ist gefallen in die Sünde.

Ja, Maria ist die Jungfrau,
Immerjungfrau, Ewigjungfrau,
Nie geschlechtliche Beziehung
Mit der Jungfrau Josef pflegend.

Die jungfräuliche Maria
Ist auch wahre Gottesmutter,
Die Gebärerin des Gottes
Jesus Christus, Theotokos.

Als der Titel Gottesmutter
Unsrer Lieben Frau Maria
Ward in Ephesos gegeben,
Jauchzte laut das Volk voll Liebe.

Und in Ephesos die Menschen
Tanzten singend in den Straßen,
Weil in Ephesos die Menschen
Ehrten stets die große Mutter.

Artemis, die Magna Mater,
Göttin mit den neunzehn Brüsten,
Die da war die Göttermutter,
Die Gebärerin der Götter,

Wurde nun erneut gefeiert
In Maria, Gottes Mutter.
Ja, Maria war als Mutter
Göttlich, Universums Mutter.

Menschen an dem Mittelmeere
Feierten die Magna Mater,
Die Panhagia Maria
Ihnen war die Muttergöttin.

Sankt Maria mit den Jüngern
Redete und diese fragten,
Wie Maria Gott empfangen,
Wie Maria Gott geboren.

Wie kannst du den Unbegriffnen
Denn in deinem Schoß begreifen?
Wie kannst du den Unbekannten
Denn in deinem Schoß erkennen?

Ihn, der trägt den ganzen Kosmos,
Hast du in dem Schoß getragen
Und geborgen unterm Herzen
Ihn, der größer als der Kosmos!

Und Maria warnt die Jünger:
Unbeschreiblich dies Geheimnis,
Feuer kommt aus meinem Munde
Und verzehrt die ganze Erde!

Doch die Jünger fragten wieder,
Wie Maria Gott empfangen.
Sprach Maria: Betet, betet,
Betet, meine lieben Kinder!

Und Maria hob die Hände
Zu des Universums Schöpfer,
Der die Finsternis geschieden
Von dem makellosen Lichte.

Alle sieben Himmelssphären
Können dich nicht fassen, Schöpfer,
Doch mein Schoß hat dich umfangen,
Weils dir so gefallen, Schöpfer.

Ich gebar dich ohne Schmerzen,
Du des Vaters Liebling, Weisheit,
Die du alle Welt geschaffen
Und in meinem Schoß gelegen.

Und Maria ruft die Jünger,
Zwölf Apostel, Jüngerinnen,
Jesu sieben Jüngerinnen,
Ihre Glieder zu berühren.

Jeder Jünger hält ein Gliedmaß,
Daß die Glieder ihres Leibes
Nicht zerfallen, wenn Maria
Sagt von der Empfängnis Gottes.

Und sie sprach vom Engel Gottes,
Der verkündet die Empfängnis
Gottes in dem Schoß der Jungfrau:
Freue dich, du Gnadenvolle!

Als sie sprach vom Gruß des Engels,
Von dem Ave, o Maria,
Feuer kam aus ihrem Munde,
Flammen flogen von den Lippen.

Als Maria sprach vom Ave,
Feuer kam aus ihrem Munde,
Beinah wär verbrannt die Erde,
Beinah wär verbrannt der Kosmos.

Aber Christus kam vom Himmel
Und er sprach zur Jungfrau-Mutter:
Liebe, sprich nicht mehr vom Ave,
Sonst verbrennt das Universum!

Und Maria ist entschlafen
In dem Kreise der Apostel,
Simon Petrus ihr zu Füßen
Und Johannes ihr am Herzen.

Und es meinen manche Dichter,
Daß Mariens schöner Körper
Sei in einer Grabeshöhle
Beigesetzt in Mutter Erde,

An dem dritten Tage aber
Ward Mariens schöner Körper
Heimgetragen von den Engeln
In den Paradiesesgarten,

Wo sie bei den Himmelsgeistern
Wartet auf die Auferstehung
Und die künftige Vereinung
Ihrer Seele mit dem Körper,

Unter Heiligen Maria
Als die Heiligste erwartet
So des Fleisches Auferstehung,
Also meinen manche Dichter.

Mir die Mutter offenbarte,
Daß beim Heimgang der Madonna
Ihre wunderschönen Glieder
Schimmerten im schönsten Lichte,

Fern der Korruption des Todes
War immun die Makellose
Von Verwesung ausgenommen
Und sie schaute nicht die Grube.

Alle zwölf Apostel Christi
Stehen um der Jungfrau Körper,
Als erschienen Jesus Christus:
Petrus, wie soll ihr nun werden?

Petrus, Erster der Apostel,
Wagen und Gespann der Kirche,
Sprach zum Meister Jesus Christus
Von dem Körper der Madonna:

Unsre Liebe Frau Maria
Soll mit meinem Herrn Messias
Schon im Körper auferstehen,
Körperlich gen Himmel fahren!

Christus, Todesüberwinder,
Herr der Herrlichkeit des Himmels,
Laß den Körper deiner Mutter
Heute herrlich auferstehen!

Christus, Sohn der Jungfrau-Mutter,
Deine Mutter, unsre Mutter
Herrsche mit dir in dem Himmel,
Königin im Paradiese!

Jesus sagte: Ja, mein Petrus,
Auferstehen soll Maria,
Körperlich gen Himmel fahren
Und im Paradies regieren!

Jesus sagte zu Maria:
Komm, erhebe dich, Geliebte,
Du Vertraute meines Herzens,
Meine Nächste, die ich liebe!

Fern der Korruption des Todes
Und den Makeln aller Menschen
Soll dein Körper nicht verwesen
In dem Loch der Mutter Erde.

Unsre Liebe Frau erhob sich
Und ward wie auf Engelsrädern
Und dem Wagenthron des Himmels
Heimgetragen in den Himmel,

Ihre Seele in dem Körper,
Hauch in geistiger Bekleidung,
Liebe in dem Lichtgewande
Trat die Frau in Edens Garten!

Auf der Erde weise Meister
Sprachen: Sklaven der Madonna,
Tief im Staub verehrt Maria,
Gott alleine anzubeten!

Ja, und der Madonna Sklave,
Der Geliebte der Madonna,
Träumte: Himmlische Geliebte!
Meine Frau und keusche Göttin!


3

Unsre Liebe Frau Maria
Ist der Sesselthron der Weisheit,
Ist der Weisheit Sitz und Wohnung,
Ist das goldne Haus der Weisheit.

Gottes Sohn, der Gottesmutter
Auf dem Mutterschoße thronend,
Dieses Kindlein ist die Weisheit
Und der Thron ist Gottes Mutter.

Mittlerin die Gottesmutter
Ist des menschgewordnen Gottes,
Sie stellt her die reine Menschheit,
Gott gab Fleisch sie ohne Sünde.

Durch der Jungfrau reinen Körper,
Körper, unberührt von Sünde,
Sie umgab die Weisheit Gottes
Mit dem unkorrupten Fleische.

In dem unkorrupten Fleische
Aus der makellosen Jungfrau
Gottes Weisheit hat erneuert
Eine makellose Menschheit.

Als die wahre Mutter Eva
Unsre Mutter hat empfangen
Ohne sexuellen Actus
Und gebar und blieb doch Jungfrau.

In Maria, wahrer Eva,
Ist die Harmonie des Ursprungs
Zwischen Gott und seiner Schöpfung
Hergestellt in schönster Weise.

Tod und Sünde überwunden
In der makellosen Jungfrau,
In der Jungfrau-Mutter Gottes,
Ist sie Mutter allen Lebens.

Halleluja, Mediatrix,
Dieser makellose Körper
Überwand den Tod, die Sünde,
Sieger ist dein Körper, Jungfrau!

O dein süßer Schoß, Maria,
Alle Kreatur erleuchtet
Mit des Schoßes reiner Blüte,
Des verschlossnen Gartens Blume.

Unsre Liebe Frau Maria
Die Union erneuert zwischen
Der Materie und der Gottheit,
Die Union von Stoff und Schöpfer.

Göttlich schöner Lichtglanz flutet
Durch der Jungfrau reinen Körper
Wie der Himmelssonne Strahlen
Scheinen durch das Glas des Fensters.

Strahlen eines Diamanten
Und der Himmelssonne Schönheit,
Frau, sind in dich eingegossen,
Quelle von dem Herzen Gottes.

Diese lichte Lebensquelle
Von dem Herzen der Urgottheit
Ist die schöpferische Weisheit,
Die erschuf die Urmaterie,

Welche Eva warf ins Chaos,
Aber für Maria Gott schuf
Seiner Weisheit einen Körper,
Menschliche Gestalt der Weisheit.

O Maria, die Materie
Bist du uns, durch die die Weisheit
Haucht die Tugenden der Weisheit,
Wie aus Urstoff Gott die Welt schuf.


4

Minne-Mystik will ich singen,
Da der sexuelle Eros
Und die religiöse Liebe
Sprache sind derselben Seele.

Diese religiöse Seele
Ist die Braut, die voll Begierde
Die Union des Gottesgatten
Sucht im Brautgemach des Eros.

Diese religiöse Seele
Aber ist auch Minne-Ritter,
Der die Königin des Himmels
Betet an, die Herrin Liebe!

Männer in der Minne-Mystik
Sehen sich als Bräute Gottes,
Durch die Küsse Jesu Christi
Füllen sich mit Milch die Brüste.

Frauen in der Minne-Mystik
Sehen sich als Minne-Ritter,
Die verwundet von der Herrin
Liebe, Königin des Himmels.

Frauen in der Minne-Mystik
Werden selbst die Gottesmutter
Und gebären Jesus Christus,
Frauen werden Schmerzensmütter.

Frauen in der Minne-Mystik
Wie Maria Magdalena
Sind in mystischer Erotik
Die Geliebten Jesu Christi.

Seele, schmücke dich im Schleier
Und im Schmuck zum Hochzeitstanze,
Trittst du in die Kammer Gottes,
Wird dich Gott der Herr entkleiden,

Kleid um Kleider von dir streifen,
Bis du stehst als nackte Seele
Vor dem Herrn, dem Vielgeliebten!
Dann gib ganz dich hin dem Gatten!

Siehe, Gott beugt seine Kniee
Vor der schönen Herrin Seele,
Gott ergibt sich ganz in Liebe
Ihrer Wunderschönheit Allmacht!

Nach der Einigung der Liebe
Und Union im Ehebette –
Gott ist immer krank vor Liebe
Und verlangt nach der Geliebten!

Und die schöne Herrin Seele
Reißt ihr Herz entzwei in Liebe,
Gott in ihre Brust zu setzen,
Sie wird Stillung seiner Wollust!

Sie wird Balsam seiner Wunde,
Sie wird Wein dem Liebeskranken,
Sie wird Trösterin des Schöpfers
Und die Liebende des Feuers!

Ich bin Braut, ich bin die Seele,
Ich verlange nach dem Gatten!
Führe mich zur Himmelshochzeit
Im Jerusalem des Himmels!

Friede, Friede, Friede allen,
Neue Freude allen Lieben!
Siehe, meine Braut, spricht Christus,
Voller Kraft ist deine Liebe!

Siehe, meine Braut und Mutter,
Bist wie keine andre fähig,
Mich zu lieben als die Gottheit
In Erscheinung meiner Menschheit!

Nun empfange du den Samen
Meines Worts in deiner Seele
Schoß, o Braut, und triumphiere!
Enkel sollen durch dich leben!

Seele bin ich, die geschmückte
Mit dem Schmuck der Tugendsamen
Und geleitet durch den Himmel
Vor das schöne Antlitz Gottes!

O das Antlitz voller Schönheit
Thront auf einer lichten Scheibe,
Die da die Union der Gottheit
Ist, Natur der drei Personen!

Durch die Heiligkeit der Tugend
Ist die tugendsame Seele
Eins geworden mit der Menschheit,
Der perfekten Menschheit Jesu.

Nun die Seele, die verlobte,
Kommt in ihren Garten Eden,
In ihr Reich des Paradieses,
Königliche Braut des Christus.

Und der Adler schreit am Himmel:
Seele, schaue durch das Antlitz
Und erkenn dich als Verlobte
Und besitze deinen Gatten!

Und die Seele sieht sich innig
Ganz vereinigt mit dem Einen,
Der da thronte überm Abgrund,
Einig in gewisser Einheit!

Meine Seele schwillt in Liebe
Und in schwellendem Verlangen
In den Herrn, der Vielgeliebte
Ganz vereint der Vielgeliebten!

Meine Seele ist ein Ritter,
Minneritter, Minnesänger,
Ich erlebe Abenteuer,
Zu gewinnen Herrin Liebe!

Ja, ich will sie mir erobern,
Meine distanzierte Herrin!
Feinde leg ich ihr zu Füßen,
Reite ich in ihren Schlosspark!

Herrin Liebe, du bist grausam!
Herrin Liebe, du bist launisch!
Herrin Liebe, dir zu dienen
Mir bereitet Todesschmerzen!

Du verrätst mich, Herrin Liebe,
Du verrätst mich an die Feinde,
Ich verlasse dich, o Herrin,
Und bleib immerdar dein Sklave!

Wahnsinn bringst du, Herrin Liebe!
Sind zwei Seelen mir im Busen,
Eine will der Erde Wollust,
Eine Seligkeit des Himmels!

Wahnsinn bringst du, Herrin Liebe,
Siinnverstörung, Liebeswahnsinn!
Meine Mörderin, o Liebe,
Muß ich mich für dich ermorden?

Seufzer, Seufzer, Tränen, Tränen!
Blutigrote Liebestränen
Tropfen mir aus meinem Herzen
Durch die Grausamkeit der Liebe!

Alle Leiden will ich dulden,
Will im Fegefeuer brennen,
Tausend Kreuzestode sterben,
Um die Liebe zu gewinnen!

Schüler bin ich in der Schule
Meiner Lehrerin, der Liebe,
Herrin Liebe voller Weisheit
Inspiriert den Minnesänger.

Die geheime Kunst der Liebe,
Wie die Liebe zu gewinnen,
Will ich meine Jünger lehren,
Buhlt nur um die Herrin Liebe!




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