Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn - Motiv Leidenschaft

Astrid Roemer sorgt in Surinam für Gerechtigkeit

Alexander von Bormann

Astrid Roemer wird für ihr Erzähltalent gerühmt, und das ist in der Tat sehr ungewöhnlich: sorglos, sprunghaft, farbig, dicht - und unausgewogen. Die Autorin ist in Paramaribo in Surinam geboren und lebt abwechselnd dort und in den Niederlanden. Das Hin und Her zwischen zwei Kulturen, die einander seit Jahrhunderten irgendwie vertraut sind und doch auch wieder nicht, bestimmt auch ihren Roman und dessen Erzählweise. Die Handlung ist verwickelt, und vermutlich tut man gut daran, auch das als eine eigene Kultur zu deuten: Haupt- und Nebensachen werden jeweils vom Anteil der Menschen her gewertet. Es gibt keine Sache oder Bedeutung an sich. Wir werden zunächst an der Hauptperson interessiert: der 60jährigen Cora Sewa, aus deren Perspektive Astrid Roemer weitgehend erzählt, gelegentlich in der Form von Briefen.

Die Handlung spielt im Jahre 1999, und die Autorin stellt die wünschenswerte, aber recht unrealistische Fiktion in den Mittelpunkt, daß Surinam sich in einem großen öffentlichen Tribunal von seiner blutigen Geschichte reinigen will. Die reicht immerhin bis in unsere Gegenwart. Bis heute sind die Massenmörder und Drogenhändler in der politischen Spitze zu finden.Der Roman beginnt drastisch mit der Erinnerung an einen Mord von 1974. Cora war zu der Ermordeten, An Andijk, geholt worden, um die grausam zugerichtete Leiche präsentabel zu machen. Seitdem fühlt sie sich mitschuldig.

Es gibt noch weitere Tote in diesem Buch, und das beschreibt durchaus die Realität der 70er und 80er Jahre; zumeist sind es kamouflierte Morde, Abrechnungen mit vermeintlichen oder realen politischen Gegnern. Coras Mann Herman, ein Naturheiler, wollte keine Kinder. Sie ist nun aufgebrochen, um das Geheimnis, das über dem grausamen Mord liegt, aufzudecken. Auch hat sie entsprechende Papiere in Händen. So folgt der Roman in der Anlage dem Kriminal-Modell; zugleich ist er politisch angehaucht, auch ein wenig Liebesroman, Familiensaga mit postkolonialem Touch.

Cora Sewa hat in Paramaribo in Haushalten gearbeitet. In ihren Erinnerungen gewinnt die Familie Crommeling am meisten Kontur. Hinterher wissen wir, daß wir die Lösung des Mord-Rätsels schon auf Seite 100 hätten haben können, wenn wir aufmerksam genug gelesen hätten. Aber die Erzählerin gönnt sich einen langen Atem. Sehr ausführlich hören, riechen und schmecken wir das Leben auf den Plantagen, und erfahren auch, daß Herman Sewa, der Naturheiler, zugleich der gesuchteste Abtreiber von unerwünschten Kindern ist - eine Tätigkeit, die verständnis- und taktvoll dargestellt wird. Die Reise führt Cora, die den selbstgestellten Auftrag nicht vergessen hat, von Holland über England nach Florida, wo sie die Crommelings wiedertrifft.

Sie meint, der Aufklärung des Mordes ganz nahe zu sein, und das Ehepaar und Cora Sewa spielen für sich eine Gerichtsverhandlung nach, wo „jeder alle Rollen in sich vereinigte: Opfer, Täter, Ankläger, Verteidiger, Zeuge, Geschworener, oberster Richter.“ Bekommen wir ein befriedigendes Ergebnis? Angedeutet wird ein crime de passion. Als Leser denkt man, die Berge kreißten und gebaren eine Maus: Wofür die Reisen und die Geheim-Schatulle, das politische Großtribunal und die angedeuteten Verfolgungen? Alles für die jambisch akzentuierte These: „Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn“

Es gibt noch eine kleine Romanze für Cora Sewa, und eine Anklage gegen ihren Mann Herman (wegen der Abtreibungen), womit das Tribunal in Paramaribo den Prozeß ins Unpolitische schieben kann. Der Schluß gibt einmal mehr Cora das Wort, für ein Bekenntnis zu ihrem Mann und ihrer Liebe. Warmherzig erzählt ist das alles, auf einfältige Weise schwierig, so daß die Erzählerin manchmal auch nicht genau weiß, wo sie ist - obwohl das einer anrührenden, gutteils fesselnden Lektüre nicht im Wege steht.

Astrid H. Roemer: Könnte Liebe sein. Roman. Aus dem Niederländischen von Christiane Kuby. Berlin Verlag, Berlin 1998.



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