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Copyright: Dieter H. Steinmetz

 

1. Abschnitt: Um 2000 v. Chr. bis 9. Jahrhundert n. Chr. (Erste Besiedlung)

 

Wie zahlreich gefundene Urnen und Werkzeuge das belegen, war die Gegend des heutigen Calbe schon in frühgeschichtlicher Zeit besiedelt. Bereits in der Jungsteinzeit (um 2000 v. Chr.) waren hier Menschen zur Sesshaftigkeit übergegangen; die Weinberg-Funde aus der Schnurkeramik-Kultur von 2001 sind der Beweis dafür. Am bedeutendsten aber war wohl der Calbesche Hortfund (Hausurnenkultur) aus der frühen Eisenzeit (ca. 700 v. Chr.) von 1956 mit schönen Artefakten. Dabei handelte es sich um einen nördlichen Ausläufer der Hallstattkultur. 

Urne und Trensenknebel aus dem Hortfund von Calbe

 

Unsere Vorfahren siedelten in unserer Gegend mit Vorliebe auf dem (westlichen) hohen Ufer der Saale, weil sie dort die Vorteile des Flusses nutzen konnten, ohne den Gefahren des stets wiederkehrenden Hochwassers ausgesetzt zu sein. Hier fing einer der fruchtbarsten Böden Europas, die Börde, an.

Auf dem hohen Ufer der Saale verlief auch ein Teil der „Frühen Bernsteinstraße“, eines der bedeutendsten Handelswege vor 2500 Jahren, der sich in der Gegend des heutigen Calbe verzweigte und einerseits nach Halle, Süddeutschland und Italien, andererseits bei Aken der Elbe folgend nach Böhmen führte. Der Wert des aus dem Ostsee- und Nordseeraum importierten Bernsteins entsprach damals dem von Gold.

An der Stelle des Hochufers, das in der Jungsteinzeit schon bewohnt war, befand sich nach Aussagen späterer Quellen eine Sonnenkult-Stätte, die Wunder- bzw. Trojaburg im Süden des heutigen Calbe. In einem inzwischen verschwundenen Spiralgang wurden zu Ehren der germanischen Fruchtbarkeitsgöttin Ostara (Ostern) im Frühjahr Auferstehungs- und Erweckungsriten zelebriert. Der Name „Wunderburg“ hielt sich bis heute.

Troja- oder Wunderburg

 

Am niederen östlichen Ufer war durch die häufigen Überschwemmungen morastiges Gelände mit vielen Flussverzweigungen und Mäandern und demzufolge auch mit kleinen Inseln (Werdern) entstanden.

Dann wissen wir für einige Zeit nichts über die Besiedlung der Gegend um Calbe.

Erst am Ende der Völkerwanderungszeit (im 5.Jahrhundert n. Chr.) begegnen uns wieder Siedler in unserer Heimat, die Thuringi (Thüringer), ein westgermanischer Stamm, zu dessen Nordthüringgau das Gebiet des späteren Calbe gehörte. Nachdem das Reich der Thüringer von den politisch und sozial immer mehr dominierenden Franken im Bunde mit den Sachsen 531 zerschlagen worden war, ließen sich die Sachsen mit Zustimmung ihrer Bündnispartner in den ehemals thüringischen Gebieten nieder und zahlten dafür einen jährlichen Tribut. Der Name „Nordthüringgau“ blieb aber noch mehrere Jahrhunderte bestehen.

Auch die Herrschaft der Sachsen in unserem Gebiet wurde durch den Sieg Karls des Großen in den mit grausamer Härte 32 Jahre lang geführten Sachsenkriegen 804 beendet. Wichtiger noch als die militärische Unterwerfung der Sachsen war ihre moralisch-ideologische Bindung an einen gemeinsamen Glauben, das Christentum. Der erste Bischof von Halberstadt, Hildegrim, richtete laut Chronik 35 Kirchen in seinem Sprengel ein, die dem ersten Märtyrer der römisch-katholischen Kirche, dem Heiligen Stephanus, geweiht waren. Eine davon, die karolingische St.-Stephani-Basilika war der Vorgängerbau der heutigen Stadtkirche von Calbe (vgl. 2.).

Mit der fränkischen Hegemonie wurden im 9. Jahrhundert Kristallisationskerne für die bald darauf erfolgende Urbanisation, speziell auch für die Siedlung Calbe, gelegt.

Östlich der Elbe-Saale-Linie lebten die ebenfalls zu den Indoeuropäern gehörenden Stämme der Slawen, bei denen sich der Feudalisierungsprozess langsamer durchsetzte. Sie betrieben vorwiegend Fischfang, Kleintierzucht und Ackerbau. Unsere unmittelbaren Nachbarn waren Wenden (Sorben). Karl der Große errichtete entlang dieser natürlichen Grenze ein System der verstärkten Sicherung, eine Reihe von Verwaltungs- und Militärstützpunkten; Königshöfe, Burgen und Kirchen entstanden. 806 gründete Kaiser Karl die Hauptburgen Magdeburg und Halle. Im gleichen Jahr berief der alternde Kaiser eine Heerschau nach Staßfurt ein. Zwischen den beiden Burgen führte die karolingische Heerstraße über Nienburg und Bernburg entlang. Königshöfe dienten nicht nur der Verwaltung, sondern auch als Etappenorte zur Bergung des Heeres (Herberge). Eines der wirtschaftlichen und politischen Zentren im östlichen Teil des Frankenreiches wurden der Königshof und die Fluchtburg Calvo.

 

2. Abschnitt: Um 800 bis 1168 (Formierung und Konsolidierung der Stadt Calbe)

 

Mit großer Sicherheit wurde die karolingische St.-Stephani-Basilika, von der einige Teile für die späteren Kirchen-Nachfolgebauten verwendet wurden, von Bischof Hildegrim errichtet. Diese Kirche war etwa so groß wie der heutige östliche Choranbau der gleichnamigen Stadtkirche. Da Hildegrim 827 starb, muss die Basilika schon vor diesem Jahr errichtet worden sein. Man setzt aber keinen so beachtlichen Bau in ein Dorf oder in eine Einöde, sondern dorthin, wo viele Menschen zusammen leben, in ein Marktzentrum mit politischer Bedeutung. Folglich musste eine urbane Ansiedlung, die Vorläuferin der heutigen Stadt Calbe, schon zu Beginn des 9., wenn nicht gar schon im 8. Jahrhundert, existiert haben.

Urkundliche Erwähnung fand sie aber erst, als am 13. September 936 König Otto I. das St.-Servatius-Nonnenkloster in Quedlinburg, wo sein Vater Heinrich I. begraben lag, mit Ländereien und 15 leibeigenen wendischen (sorbischen) Familien in Frohse und Calbe  belehnte. 961 schenkte Otto dem St.-Mauritius-Kloster in Magdeburg, dem späteren Kloster „Unser lieben Frauen“, den Zehnten, den die Deutschen und Wenden, welche zu den Burgwarden Magdeburg, Frohse, Barby und Calbe gehörten und in deren Burgen Schutz suchten, zu entrichten hatten. Das von Heinrich I. verstärkt ausgebaute Burgwardsystem in den Grenzmarken bezog sich auf gut gesicherte, aneinander grenzende Militärbezirke und auf Fluchtburgen. Von den wehrhaften Männern musste jeder neunte in den Burgen wohnen und sich auf den Kriegsdienst vorbereiten. Hier fanden auch Versammlungen und Feste der frühen Einwohner Calbes statt. Die Calbesche Burg unterstand dem Militärverwalter des Nordthüringgaus, dem berühmten und berüchtigten Markgrafen und Herzog Gero. Die Burg von Calbe, in späteren Quellen oft als Sudenburg bezeichnet, war kein Steinbau wie die von Nienburg, wie ein Handelsreisender 970 schrieb. Sie hatte wohl nur Grundmauern und war sonst aus Holzstämmen gebaut. Eine solche für heutige Begriffe eher bescheiden wirkende Fluchtburg hat nichts mit unseren Vorstellungen von spätmittelalterlichen Herrenburgen zu tun. Obwohl es heute keine Bodenbefunde dazu gibt, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sich die Calber Burg (urbs) etwa an der Stelle der ehemaligen Nikolai´schen Wolldeckenfabrik befand.

In der Nähe der Burg, etwa an der heutigen Ecke Bernburger Straße/Neustadt, gab es bis ins 17. Jahrhundert hinein eine Säule und einen steinernen Stuhl, das Ältestengericht. Hier wurde Gericht "unterm freien Himmel vor Gott und seinen Heiligen gehalten, [wo] auch jeder frei zutreten durfte und Recht suchen“, schrieb der Chronist Hävecker. Das Ältest- oder Eldistgericht  bestand aus 12 Männern, wovon sechs Adlige und sechs angesehene Ackerbürger waren. Diese Form der Rechtsprechung stammte allem Anschein nach aus der Zeit der Siedlungsanfänge und bildete die Grundlage für die Einführung von Schöffen Ende des 13. Jahrhunderts in Calbe (s. Abschnitt 3).

 

Etwa 300 Meter von der Burg entfernt wurde im 10. Jahrhundert eine dem heiligen Laurentius (Lorenz) geweihte Kirche errichtet. Diese Kirche gehörte zu jener Kategorie von Triumph- und Dankeskirchen, die Otto I. nach seinem historischen Sieg auf dem Lechfeld über die Ungarn im Lande errichten ließ. Otto der Große, wie er nach diesem Sieg genannt wurde, hatte am Tag der Schlacht, dem 8. August 955, der auch der Tag des Heiligen Laurentius war, gelobt, Kirchen zu Ehren dieses Heiligen zu errichten, wenn er gegen die Ungarn siegen würde. So gab es im 10. und 11. Jahrhundert eine regelrechte Welle von Gründungen solcher dem Laurentius geweihten Kirchen. Es ist ziemlich sicher, dass auch diese Kirche in diese Reihe gehört. Wie die Calber Stadtkirche wird man die St.-Laurentii-Kirche zuerst aus Holz gebaut haben. Die erste romanische Laurentiuskirche aus Sandstein wird im 12. Jahrhundert entstanden sein. Möglicherweise stammt die noch vorhandene Rundapsis aus dieser Zeit. Bis heute blieb die schlichte Kirche einschiffig. Ein Kirchturm, der nicht mehr existiert, war auch vorhanden. Die ursprüngliche romanische Sandstein-Kirche war etwa halb so groß wie die heutige und etwas niedriger.

Außerdem war das frühe Calbe an einem wahrscheinlich schon seit karolingischer Zeit existierenden Königshof (curtis regia) angelegt worden. Die Königshöfe bildeten die wirtschaftliche Grundlage des Königtums. Im mittelalterlichen Deutschland gab es noch keine Hauptstädte. Die Könige, auch die Kaiser, zogen von einem Wirtschaftshof zum anderen, wobei sie meist in den Wintermonaten dort blieben und im Sommer mit einem großen Hofstaat und vielen Bewaffneten reisten. So wurden Königshöfe auch zu politischen Zentren. Die Verwaltung eines solchen Königshofes wurde von einem "maior" (Meier) bzw. „villicus“ für die Zeit, in der sich der Herrscher nicht im Königshof aufhielt, wahrgenommen. Dieser Meier hatte die Aufgabe, die Abgaben der hörigen Bauern einzutreiben und die Fronarbeit auf dem Königsgut zu organisieren. Der erste namentlich bekannt gewordene erzbischöfliche Meier war der Ministeriale Dietrich von Calbe (1105). Bei Kriegszügen dienten die Königshöfe zur Bergung des eigenen Heeres (vgl. 1.). Deshalb waren sie auch stark mit Gräben und Palisaden befestigt und ständig mit Verpflegung für eine militärische Einheit für mehrere Tage ausgerüstet. In einem solchen Hof befanden sich das "Herren"-Haus, das Back- und das Brauhaus, die Scheunen und Ställe sowie der Brunnen. Unsere „Curtis regia“ befand sich im Gebiet der heutigen Ritterstraße.

In den Schriftquellen zu unserer Stadt wird Calbe als Calvo (936), Calva (1159), Calve (I305), Calbe (1485) bezeichnet. Es hat viele, zum Teil auch recht unsinnige Deutungsversuche zum Ursprung dieses Begriffes gegeben. Am einleuchtendsten erscheint jedoch eine sprachgeschichtliche Erklärung: Der Wortstamm „calv“ bedeutet im Indogermanischen (gal) und Althochdeutschen (kalwa) ganz einfach „kahl“ bzw. „nackt“ (lat. calvus, mittelhochdeutsch kalwe). Möglicherweise war das besiedelte hohe Ufer der Saale nicht bewaldet.

Die Sprachgrenze zwischen Nieder- (Platt-) und Hochdeutsch verlief im 10. Jahrhundert noch bedeutend südlicher als heute. Die höhere Amtssprache war das Neulateinische, das Volk und die niederen Beamten sprachen und schrieben bis zum Ende des 15. Jahrhunderts niederdeutsch (plattdeutsch), wie die Quellen belegen.

Schon am 28. März 965 jedoch schenkte Kaiser Otto seinen Königshof in Calbe ebenso wie den in Rosenburg jenseits der Saale dem St.-Mauritius-Kloster in Magdeburg mit allem Zubehör, sowohl den Kirchen und anderen Bauten, den Äckern usw. sowie den Mühlen. Diese Schenkung wurde auch von Ottos Nachfolgern bestätigt.

Als 968 das Stift des Heiligen Mauritius zum Erzstift erhoben wurde,  begann auf Grund von Ottos Schenkung nach relativ kurzer Zeit der Königsgewalt die 612 Jahre dauernde Herrschaft der Erzbischöfe und protestantischen Administratoren nicht nur über, sondern auch in Calbe, denn das neu erworbene, nun nicht mehr königliche, sondern erzbischöfliche Gut erfreute sich bei den geistlichen Landesherren immer größerer Beliebtheit als Nebenresidenz neben Magdeburg. Da das erzbischöfliche Schloss erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts erbaut wurde, befand sich also der Erzbischofssitz im 10. bis 13. Jahrhundert in der Gegend der Ritterstraße.

Aus der Schenkungsurkunde von 965 geht aber auch die Existenz eines weiteren bedeutenden Baues des Mittelalters, der Saale-Wassermühle, hervor, die zunächst zum Königshof und zur Stadt gehörte. Um das Wasser zum Antrieb der Räder vor der Mühle zu stauen, wurde ein Wehr, der so genannte Damm, errichtet. Das Wehr genügte aber nicht. Das zum Antrieb der Mühlenräder beschleunigte Wasser musste wieder zurück zum Fluss geführt werden. Das geschah durch den links der Saale gelegenen Mühlgraben. Die Saaleschifffahrt war aber wegen des künstlichen Dammes an dieser Stelle nicht mehr möglich. Deshalb wurde vor dem Wehr eine Umschiffungsmöglichkeit herbeigeführt. Das geschah rechts der Saale durch eine Flutrinne, später durch mehrere Schleusen.

Im 11. Jahrhundert konsolidierte sich Calbe immer mehr als Stadt, regelmäßige Jahrmärkte wurden auf dem „Alten“ Marktplatz abgehalten, der sich damals noch auf dem Terrain vor dem roten Backstein-Postgebäude befand.

1131 wurde auf einer kleinen Erhöhung am östlichen Saaleufer direkt neben der Stadt das Reform-Stift „Gratia Die“ (Gottes Gnade) gegründet. Es verdankte seine Gründung dem Grafen Otto von Reveningen [Röblingen am See], der es auf Veranlassung des Magdeburger Erzbischofs Norbert von Xanten erbauen ließ und einen Teil seiner Güter einbrachte. Der Graf wollte das Kloster ursprünglich auf seinen Gütern im Mansfeldischen gründen. Das hätte aber nicht ins strategische Konzept Norberts gepasst. Auf dessen eindringliche Bitten hin wählte Otto dann doch das erhöhte Ostufer der Saale bei Calbe. Beide legten gemeinsam den Grundstein in einer (damals) sumpfigen und waldreichen Gegend, die fast unbewohnt war. Otto von Reveningen hatte diesen Grund und Boden, wie es Norbert gewünscht hatte, durch Tausch erworben. Das Kloster bekam 1151 die Calbesche Mühle, die ursprünglich den Stadtbewohnern und dem Königshof gehört hatte (s. oben), sowie verschiedene Häuser, Kirchen und rent- und zinspflichtige Dörfer in der Umgebung von König Konrad III. geschenkt, was Kaiser Friedrich I. Barbarossa 1153 noch einmal bestätigte.

Norbert von Xanten und Köln (um 1080 - 1134), aus einem niederrheinischen Adelsgeschlecht (von Gennep) stammend, hatte eine große Karriere als Kleriker und Vertrauter Kaiser Heinrichs V. vor sich, wandelte sich aber radikal durch ein Nah-Tod-Erlebnis. Norbert machte sich ans Reform-Werk und entwickelte neue Ordensregeln auf der Basis der Lehren von Augustinus. 1120 hatte er in Prémontré jenen Orden der Prämonstratenser gegründet, der sich rasch ausbreitete und ein Leben zu praktizieren versuchte, das dem der frühen Christen entsprach und durch den Kirchenvater Augustinus seine Form gefunden hatte. Diese rasche Ausbreitung ist unter anderem auch auf das Streben jener Zeit nach einer grundlegenden Reform der inzwischen verweltlichten und stagnierenden Kirche zurückzuführen. Schon am 18. Juli 1126 wurde Norbert zum Erzbischof von Magdeburg, dem wichtigsten weltlichen und kirchlichen Vorposten im Osten des Reiches, berufen. 1129 verlegte er den Schwerpunkt des Prämonstratenserordens in dieses Gebiet mit dem Ziel der Ostkolonisation. Mittelpunkt wurde das Kloster "Unser Lieben Frauen". Der Mann, der barfüßig und im Büßergewand in seine Erzbischofsstadt eingezogen war, ging sofort daran, Missstände und Lotterleben abzustellen sowie Veräußerungen von Kirchengut rückgängig zu machen. Norbert von Xanten war auch politisch aktiv für eine starke Zentralgewalt und deren Verbindung zur Kirche. Als er erkrankte und 1134 in Magdeburg starb, wurde er im Kloster "Unser Lieben Frauen" beigesetzt, seine Gebeine jedoch in den Wirren der Reformation nach Strahov in Prag überführt. Das Kloster erhielt eine beeinduckende Stiftskirche, eine romanische Basilika, deren zwei Türme höher als die der Stephani-Kirche gewesen sein sollen. Sie wurde 1164 durch Erzbischof Wichmann im Beisein mehrerer Bischöfe geweiht. Leider wurde diese Kirche im Zuge der seit der Reformation einsetzenden Säkularisation vollständig abgetragen. Heute trifft man im heutigen Ortsteil Gottesgnaden nur noch auf eine damals vor den Klostermauern stehende Hospitalkirche (1207 geweiht) im vorwiegend romanischen Baustil.

Das Kloster, dessen Einfluss durch Tochterklöster bis an die Elbmündung, nach Riga und Palästina reichte, hat sich sehr verdient gemacht bei der friedlichen wirtschaftlichen Kolonisation der östlich der Saale, also im slawischen Bereich liegenden unwegsamen Sumpflandschaft.

Erzbischof Wichmann (Bronzegrabplatte im Magdeburger Dom)

 

1152 bestieg ein für Calbe sehr wichtiger Mann den Erzbischofstuhl in Magdeburg. Der 1115 oder 1116 geborene Wichmann Graf von Seeburg aus dem Geschlecht der Billunger (wie Gero) betrieb wie die meisten seiner Vorfahren eine expansive Ostpolitik gegenüber den Slawen. Er war ein treuer Vasall Kaiser Friedrichs I. Barbarossa und begeisterter Anhänger der Zentralgewalt. Nach einer beachtlichen Karriere übertrug ihm der Kaiser gegen den heftigen Widerstand des Papstes das Erzbistum Magdeburg. Als Initiator des 1188 kodifizierten "Magdeburger Stadtrechts" schrieb Wichmann europäische Geschichte. Dieser Erzbischof war ein bedeutender Förderer der Städte und ein zu Kompromissen bereiter Politiker. So vermittelte er immer wieder - auch erfolgreich - im päpstlich-kaiserlichen Streit und im Staufer-Welfen-Konflikt. Dieser bedeutende Politiker des Mittelalters hielt sich wie viele andere nach ihm folgende Magdeburger Erzbischöfe oft in Calbe auf und hat dadurch die Stadt erst richtig ins Licht der politischen Öffentlichkeit gestellt. Er starb am 25.8.1192 in Könnern bei Bernburg, seine Grabstelle ist  im Magdeburger Dom.

Erzbischof Wichmann, der große Schirmherr bei der rechtlichen Sicherung der Städte, hat auch für die Konsolidierung Calbes viel getan. Am bedeutendsten ist eine Urkunde, die allerdings undatiert ist, jedoch zwischen 1160 und 1168 entstanden sein muss. Darin ging es noch einmal um die Schenkungsbestätigung der Mühle an das Kloster „Gottes Gnade“. Viel wichtiger sind für uns jedoch zwei andere Tatsachen: Erstens bezeichnete Wichmann darin u. a. die Calber Einwohner, denen einstmals die Mühle gehörte, als seine Marktbürger (forenses), und zweitens stiftete er zu seinem Seelenheil jährlich ein Pfund Silber (Talent) aus seinen Höfen am Neuen Markt. Das ist unser heutiger Marktplatz; der Alte Markt, wie er noch lange hieß, lag 150 Meter weiter nördlich. Wichmann selbst hatte  diesen neuen, größeren Handelsplatz anlegen lassen. In einer Urkunde von 1168 taucht dann auch folgerichtig ein Schultheiß (eigener Stadtrichter) namens Hugold von Calbe, ein Ministeriale Wichmanns, auf. Das bedeutete, dass Calbe als Marktstadt aus dem öffentlichen Landrecht herausgenommen worden war und nicht mehr wie ein Dorf oder Marktflecken behandelt wurde. In den 1160er Jahren war also die juristische Anerkennung Calbes als Stadt erfolgt. Der Weg zu einem städtischen Aufschwung in Calbe war frei.

 

Calbe im 12. Jahrhundert (retuschiert nach einem Stich von 1706)

 

Zur Zeit der Erlangung des Stadtrechtes war Calbe schon von einer ersten bescheidenen Stadtmauer mit Türmen und Stadttoren umgeben. Die damals noch nicht sehr hohe und wenig starke Mauer reichte östlich vom linken Saaleufer, südlich an der Gasse „Hinter der Mauer“, westlich zwischen Breite/ August-Bebel-Straße und Magdeburger Straße und nördlich an der Grabenstraße entlang. Damals gab es zwei Stadtbezirke: das Altmarkt- und das Neumarkt-Viertel. Die Burganlage mit der St.-Laurentii-Kirche lag also außerhalb der Stadt. Hier war damals schon aus den kleinen Siedlungen Lorenz (nach Laurentius), der von Wenden bewohnten, tief gelegenen Fischerei und der unterwällischen Bauernschaft eine Vorstadt entstanden, die nicht dem Stadtrecht unterstand und wie eine Dorfgemeinde behandelt wurde.

 

 

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