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KRIEGSTAGEBUCH DES LEUTNANTS ZIMMERMANN

GRANADIER-REGIMENT NR. 3 (12. KOMPANIE)

Am 7. Mai vorm. 06.30 marschieren wir mit starken Haarwurzelkatarrh von der gestrigen Bowle ab, bei der Mühle vorbei, wo ich Halt mache und Abschied nehme, über Serrouville nach Audun-le-Roman. Dort werden wir verladen und fahren nach Spincourt. Von da mehrstündiger Fußmarsch nach Billy. Dort stoßen wir zum Rgt. Fast der gesamte Ersatz wird dem F.-Btl. Zugewiesen (= III./3), desgleichen die Offiziere. Ich werde zum Führer der 12. Kp. ernannt, Knoch kommt zu meiner Freude als Zugführer zu mir. Bei der Kp. finde ich nur einen Offizier vor, Lt. Grunwald, derselbe, der nachts bei Criask am 30./31.12.15 zu mir kam. In der Folgezeit zeigte es sich, daß Knoch, Grunwald und ich vorzüglich zueinander passen und ein gutes Kleeblatt abgeben. Ich lasse mir noch an diesem Tage alle Uffze. und Mannsch. vorstellen, die die schwere Zeit im Caillette-Wald vom 19.4.- 1.5. durchlebt haben. An Vfw. Finde ich vor: O.St. Sommerey und Federau.  

Auszug aus Zimmermanns Kriegstagebuch vom 2. Juni 1916

Am 8.5. morgens 08.00 sammelt sich das Btl. am Ostausgang von Billy. 08.10 erfolgt der Abmarsch mit Rgts.-Musik nach Mercy-le-Haut ins Ruhequartier. Knoch und ich sind sehr erfreut, denn dieses Dorf liegt in entzückender Gegend nahe bei Fillières. Ich sende meinen Feldwebel zu Pferd voraus als Quartiermacher. Mit meinen beiden Reitpferden kann ich sehr zufrieden sein, es sind gut gepflegte feurige Tiere. In den Nachmittagsstunden kommen wir in Mercy an, einem hübschen fast unzerstörten Dorfe. Fw. Federau kommt mir mit allen Zeichen größter Zufriedenheit entgegen. In der Tat meine ich den Vogel abgeschossen zu haben. Ich finde ein Haus vor, das sauber ist und in dem mich in der Diele eine junge Frau mit guten Manieren begrüßt. Mme. Madeleine Pierga führt mich in zwei große, sehr wohnlich eingerichtete Zimmer, die für mich hergerichtet sind. Überall, in Vasen und Schalen, prangen Blumen, eine Glastür führt von dem zu ebener Erde liegenden Wohnzimmer nach dem Garten. Die Hausfrau, deren Gatte bei Verdun gegen uns kämpft, stellt mir ihr Söhnchen Ro-Ro (Robert) vor, und auf die Frage nach dessen Alter stellt sich heraus, daß er heute  2 Jahre alt wird. Das ist ein Grund zu einem Geburtstagskaffee, zu dem ich die Mutter und Lt. Knoch einlade, zu dem Mme. den Kaffee amerikanischer Herkunft liefert. Knoch ist gleichfalls glänzend untergebracht bei einer Frau Oenstreicher mit Tochter und bringt von da eine Torte mit, gebacken von amerik. Mehl. 

In diesem herrlichen Neste, in dem das ganze Btl. dank strengster Disziplin bis zum 13. in bester Harmonie mit den Einwohnern bleibt, verleben wir schöne Stunden. Nur der dauernde Donner der Geschütze vor Verdun verrät den Krieg. Offze. + Mannsch. erholen sich bei knappem Dienst sichtlich. Täglich wird das Werfen von Handgranaten geübt, in dem wir alle eine große Fertigkeit erlangen. Nachmittags mache ich bei schönstem Wetter Ausritte nach Joppécourt, wo der schwäbische (Leonberger) Landsturm Bier verzapft, oder nach Fillières oder nach der Moulin au Bois bei  Serrouville. Am 9. hält Pfarrer Trickel, der mit großem Schneid im Caillette-Wald in vorderster Linie unsere armen Verwundeten besucht und versorgt hat, Gottesdienst ab. 

Am 10. findet eine Besichtigung des Btls. durch den komm. General des V. R.K. statt. Unser lieber Grunwald, ein ganzer Mann von unvergleichlichem Humor, der von 4 Offizieren der 12./3 nach dem  furchtbaren franz. Angriff im Caillette-Wald am 1. Mai, als einziger übriggeblieben war, fährt zweimal nach Diedenhofen zu seinem 'Wüsterchen'. Mme. Pierga wird bei der Leutnant Zimmermann mit dem französischen Stahlhelm vor den Trümmern des Dorfes Damloup, 1916 Aussicht auf den baldigen Abschied immer trauriger und weint schließlich.

Meine Mütze wird mir vom Kopf geschlagen, ich ersetze sie durch einen franz. Stahlhelm (Tagebuchnotiz).

Ich veranstalte am 11. noch eine italienische Nacht im Garten, dann geht's am 13. mittags wieder los nach vorn. Wir marschieren über Landres nach Amel, wo wir stark durchnäßt abends anlangen. Es sind fast nur noch Ruinen von dem Dorfe übrig. In der Nacht regnets an allen Ecken rein. 

Am nächsten Morgen (14.) werden Gasmasken verpaßt, gegen Abend marschiert das Btl. nach Gincrey, wo wir in den recht gut ausgebauten Unterständen der Stellung vor dem 21. Februar (Beginn des Angriffs auf Verdun) unterkommen. Am Abend des 15. begebe ich mich mit dem Btls.Stab nach der vordersten sog. Weinberg-Stellung, sehe mir den Platz an, den 12./3 besetzen soll und am 16. nachts rückt das Btl. zur Ablösung des II. Btls. nach vorn. Die Stellung des G.R.3 sieht etwa so aus:  Die Stellung ist in 4 Abschnitte A, B, C, D eingeteilt. Abschnitt A liegt am meisten unter schw. Artilleriefeuer, in Abschnitt C liegt die Res.Komp., die sich in einem Eisenbahndamm einge .. hat. Hier haust die Res.Komp., in diesem Falle die 12. Kp. In dieser Stellung liegt das Btl.unter Führung von Hptm. Krause 4 Tage, vom 16. nachts bis 20. nachts. 

Durch das Sperrfeuer kommt die Kp. gut durch ohne Verluste. Als erste Arbeit wird gründliche Säuberung der Komp.-Abschnitte vorgenommen; wie wir das gewöhnt sind, hat die abgelöste Kp. nicht das geringste getan, um den Aufenthalt so erträglich wie möglich zu gestalten. Wir gehen an gründliche Arbeit und es dauert keinen Tag, so ist es wunderschön. So verleben wir die 4 Tage in behaglicher Stimmung, freuen uns über das Trommelfeuer, das uns hier nichts tun kann, werden auch mehrfach eingegast, doch ohne Wirkung. Die Sonne scheint warm, ich sitze mit Grunwald auf einer selbstgezimmerten Bank vor dem Eingang zum Erdloch, wir spielen Schach, rauchen, politisieren und freuen uns des Lebens. 

Jeden Abend gegen 09.30 eilen die Essenholer in Richtung Dieppe und kehren mit Essen und Post gegen 12.00 nachts zurück. Das ist ein schöner, langerwarteter Augenblick, meist breche ich dann einer Flasche Wein den Hals und beim behaglichen Geplauder und Lesen lassen wir uns den Tropfen gut schmecken. Ein Lampion brennt lustig bis zum Schlafengehen.

In diesen Tagen erhält meine tapfere Gefechtsordonnanz, Uffz. Gerlach, unser „Bulle“, das EK II für hervorragende Tapferkeit im Caillette-Wald. Er und sein Schwager Uffz. Prütz, meine 2. Gefechtsordonnanz, sind mir eine der angenehmsten Erinnerungen an die schöne Zeit in Frankreich.

Am 20. nachts folgt die Ablösung. Die Kp. wird Relais-Kp. Da die Telefonleitungen täglich zerschossen werden (an einem Tag beispielsweise ein einziger Strang 18 mal), so ist ein Relais-Postendienst zwischen Dieppe und vorderster Stellung eingerichtet, so daß selbst im stärksten Sperrfeuer schriftliche Meldungen und Befehle nach vorn kommen.

In Dieppe kommt der Rest der Komp. in Kellern unter. Es ist ein böser Ort, der Tag und Nacht im im schweren Feuer liegt. Sehen lassen darf sich niemand. Grunwald und ich kommen in einen mit Steinen eingedeckten kellerartigen Unterstand unter, der in einem Hause liegt. Am 21. Früh räumen wir den Raum sauber ein, so daß der Aufenthalt erfreulich wird. Nachdem das schwere Werk geschehen, beginne ich an einer Skizze, die einen Blick durch das Dach der Häuser darstellen soll. Während des Zeichnens muß ich mehrfach mit schnellen Satz in den Unterstand springen, weil unmittelbar neben dem Hause die Granaten einschlagen. Plötzlich wirds im Dorf lebhaft, dicht vor uns neben meinem Hause lagerte Artilleriemunition sowie Kartuschen. 

Diese war durch Volltreffer in Brand geraten und explodierte mit Heulen und Zischen. Grunwald zieht mich zu dem Unterstand, wir überlegen gerade, was zu tun sei, als ein ungeheurer Knall ertönt und die Tür wie ein Blatt Papier in den Raum fliegt, dahinter Rauch und Staub, sodaß wir kaum Luft bekommen, alle Lichter sind aus. Ich werfe den Blick vor die Tür und sehe ein Bild grenzenloser Verwüstung: ein Volltreffer war vor der Tür eingeschlagen. Als bald darauf ein zweiter Schlag erfolgte, „hauen wir ab“, querfeldein, in Hausschuhen und Hemdsärmeln. Wir beziehen für die nächsten Tage in einem bombensicheren Artillerieunterstande. Die Komp. ist übrigens die 4 Tage lang nicht untätig, sie trägt jede Nacht Pioniermaterial und Munition nach der vordersten Stellung. 

Am 23. ist es sehr lebhaft. Der Feind schießt stundenlang stärkstes Trommelfeuer und gast uns außerdem ein; unsere Keller werden eingeschlagen, einige Kompanien werden obdachlos; ziemlich starke Verluste. Meine Kp. bewährt sich hier vortrefflich, indem sie ungeachtet des enormen Feuers alle Aufträge ausführt.

Am 24. erfolgt die Ablösung durch I./3, wir marschieren nach Gincrey, wo wir gegen Morgen ankommen. Dort beziehen wir die alten Quartiere, vom 15. + 16.5. Wir verleben 4 schöne faule Tage. Uffz. Eggert von meiner Kp. erhält das EK I für hervorragende schneidige Tat im Caillette-Wald. Grunwald begibt sich zum 4. Zug nach Gouraincourt, ich gebe ihm auch Prütz und Gerlach mit.

Dafür kommt Lt. Knoch zu mir. Diese 4. Züge lagen weit hinten, es war gewisser- maßen ein Erholungskommando, das alle 12 Tage wechselte.

Am 28. nachts rückt das Btl. wieder in die vorderste Stellung ein. Die 4 Tage verge- hen ungefähr wie die vom 17. - 20.; nur sind sie lebendiger, der Franzose hat uns besser gefaßt und trommelt unsere Unterstände ein. Obgleich 12./3 wieder in Stellung C liegt, hat sie doch Verluste, so bei Ablösung der Uffz.-Posten 1 Toten, 3 Verwundete. Außerdem wird beim Beerdigen eines Mannes ein Krankenträger verwundet. Die 9., 10. Und 11. Komp. haben schwere Verluste, weil ihnen mehrere Stollen eingeschlagen werden.

Am 1. Juni, Himmelfahrtstag, ist schönes Wetter, und wir alle freuen uns schon, daß wir abends abgelöst werden. Da erhalte ich den Befehl, mit der Kp. in meiner Stellung zu bleiben. Ich erfahre dann, daß das I.Btl. am Morgen des 2. Juni das Dorf Damloup stürmen soll, und, wenn möglich, anschließend den Damloup-Rücken südlich Fort Vaux. 12./3 soll mit dem I. Btl. zusammenarbeiten.  

Ich melde mich beim Batls.-Kdr. Frhr. von Uckermann, es wird alles klargelegt. Ich solle zu seiner Verfügung bleiben, bis ich weitere Befehle bekäme während 4./3 stürmten. Der Sturm soll beginnen, nachdem rechts von uns I.R.53 + 158 den Vaux-Berg gewonnen haben. Der Sturm beginnt 08.30 vormittags. Alles geht glatt. Mit uns arbeiten 2 Kp. Sachsen vom I.R.105. Kaum sind die ersten Mannschaften im Dorf, so erhalte ich den Befehl, mit meiner Kp. gleichfalls  ins Dorf einzudringen und die Keller auszuräuchern, die noch voller schießender Franzosen sind. 

Inzwischen waren Teile von uns schon auf halber Höhe des Damloup-Rückens, mußten aber umkehren, weil unsere Artillerie trotz dauernder Signale mit Leuchtkugeln hartnäckig zu kurz schoß. Es war ein Jammer. Vom Vaux-Berg und Damloup kommen lange Züge von Gefangenen, denen in ihrem eigenen Artilleriefeuer recht unbehaglich ist. Mit der Kp. springe ich durch das Sperrfeuer den Weinberg hinab nach Damloup. 

Meine Leute verteilen sich sofort und gehen mit großen Vergnügen an die Ausräucherung der Keller mit Handgranaten. An mir vorbei tragen Franzosen die Leiche des gefallenen Führers 2./3 Lt. v. Machui. Die Gefangenenzahl beträgt, wie wir später hören, 18 Offiziere und 502 Mann. Unsere Verluste sind leicht. Meine Gefechtsordonnanz Podguwski wird durch Kopfschuß schwer verwundet.

In Damloup ruft mich der Batls.Kdr. heran und befiehlt mir, die Kp. an den Westrand zu ziehen, um gegen einen Flankenangriff gesichert zu sein. Ich erteile sofort Anordnungen, Lt. Knoch ist mir sehr behilflich. Die Kp. gräbt sich sofort ein. In einem Keller finde ich eine Menge Pioniergerät und Sandsäcke, die uns trefflich zustatten kommen. Aber noch andere Schätze birgt dieser Keller. Fleischkonserven und Schokolade in Mengen, Brote, Zwieback, Wäsche, Wein und Cognac. Ich packe 5 Säcke voll und bringe diese, in franz. Uniformen gekleidet, in den Schützengraben. Dort helle Freude. 

Den ganzen Tag wars verhältnismäßig ruhig; gegen Abend schießt sich der Franzose mit seinen ?-batterien, die er inzwischen hinter der „Hohen Schanze“ und am Zw.Werk Laufée in Stellung gebracht hat, ein. Die Nacht ist noch unruhiger, es kommt Nebel und Regen dazwischen. Wir sind auf einen Angriff gefaßt, ich sitze dicht bei der Kp. mit meinen Gefechtsordonnanzen. Aber auch die Franzosen befürchten wohl einen Nachtangriff, das sieht man an den vielen Leuchtkugeln, die sie abschießen.

Am 3.6. im Laufe des Vormittags besichtige ich den Schützengraben, der für die kurze Zeit, die zur Anlage zur Verfügung stand, recht gut ausgearbeitet ist ... Während die Kp. weiterarbeitet, gehe ich kurz in den Keller, in dem der Aufenthalt anfängt ungemütlich zu werden. Der Franzose hat sich eingeschossen und putzt eine Mauer nach der anderen weg. Noch steht ein kleiner Torbogen als Rest des Hauses, in dessen Keller ich hause. Unter diesem Bogen steht ein Mann Posten. Bei ihm hält sich Krankenträger Schmidt auf. Da gelingt es den Franzosen, auch den Torbogen zu fassen, ich höre draußen einen großen Schlag und einen Augenblick drauf stürzen beide in meinen Keller. Der Posten war ein kleines niedriges Kerlchen, er ist ganz bleich und zittert. In seiner linken Wange sitzt, ohne daß er es weiß oder fühlt, ein riesiger Holzsplitter. Ich versuche diesen herauszuziehen, er bricht mir aber ab. 

Viel schwerer ist der Krankenträger verwundet, er hat 8 großen Wunden: 4 am Kopf, eine große quer über den Nacken, zwei am Rücken, eine am linken Oberarm. Ich zieh ihm das Hemd herunter und verbinde ihn mit bestem franz. Verbandsmaterial. Er hält sich sehr brav dabei. Beide bleiben wegen des starken Artilleriefeuers im Keller liegen. Um 05.00 nachmittags erhalte ich nähere Befehle wegen des Angriffs auf den Damloup-Rücken. Danach greift wieder das I.Btl. an, während 12./3 das Dorf nach der Flanke (Süd) und nach West schützen soll. Um 06.00 bin ich zum Stab befohlen, dort Besprechung. 1. Welle: 1.u.4.Kp.; 2. Welle: 3.u.2 Kp. 12./3 Reserve, schützt den Westrand, 2 Kpien Sachsen (3.+ 4./105) schützen den Südrand.

Der Sturm beginnt im heftigen feindlichen Feuer 07.30 abends. Er gelingt. Ich beobachte die Vorgänge zunächst von den Trümmern meines Hauses, dann vom Schützengraben aus, neben mir steht der Otl. Nur rechts am Vaux-Berg und Fort Vaux, wo I.R.53 angreifen soll, will's nicht recht vorwärts gehen. Die zwei ersten Kpien. (4.+ 2.) erreichen gerade den Damloup-Rücken, da erscheint dem Btls.Kdr. die Linie zu dünn. Er befiehlt mir, mit einem Zuge einzuschieben. Das Feuer ist sehr stark geworden. Ich brülle Lt. Knoch zu, er solle mit seinem Zuge im Marschmarsch die Höhe gewinnen. Knoch ist mit einem Satz draußen, rennt ein Stück, dreht sich um und ruft: „Mir nach marschmarsch!“ Wie die Katzen stürzen die wackeren Kerle hinaus, statt eines Zuges springen zwei Züge. 

Der Otl. ruft mir zu: „Famoser Geist in der 12. Kp., da steckt Schneid drin!“ Dann macht er mir Komplimente wegen des wirklich gut angelegten Grabens, der ihm umsomehr gefiele, als die Kompanien seines Btls. fast nichts getan hätten. Mit einem Teil meiner Leute lege ich Relais zur Höhe, das Artilleriefeuer wird widerlich. Ich bin hundemüde, da ich schon 4 Tage und Nächte kein Auge zugemacht habe. Und doch gibt's fortwährend zu tun, die Leute und Posten aufzustellen, Munition und Proviant auf die Höhe zu schaffen, Ordonnanzen zurechtzuweisen. 

Trotz des rasenden Trommelfeuers übermannt mich in den ersten Morgenstunden des  4. Juni der Schlaf; ich schlafe im Graben liegend wohl 2 Stunden und wache auf, als gerade beim Morgengrauen die 4. Züge der 4 Kpien. des  I.Btls. ankommen, um ihre Kpien. zu verstärken. Ich weise die Leute zurecht. Lt. Hehnmann, ein kerniger kräftiger Ostpreuße, fragt nach mir und kommt in das kleine Erdloch, das ich mir in der den Feind zugekehrten Seite des Grabens angelegt habe. Ich gebe ihm die nötige Auskunft, er verläßt mich, geht in den Anfang des Grabens und ich höre ihn rufen: „Wo wollt ihr den hin, ihr Hammels, hier rechts müßt ihr euch halten!“

Im selben Augenblick haut draußen wieder eine Granate ein und ich höre brüllen: Zimmermann - Zimmermann!“ und neben mir stürzt blutüberströmt mit einer mächtigen Schädelwunde Hehnmann hin. Zwei Unteroffiziere reißen ihre Verbandpäckchen heraus und verbinden ihn. Dann schleppen sie ihn fort; er bricht aber, schon wieder voller Blut im Gesicht, ohnmächtig zusammen und ich stelle 2 Leute, die behilflich sind.

Meine zweite Gefechtsordonnanz, Gefr. Schütz, war am vorhergehenden Abend durch Beinschuß ... (?). Ich habe nunmehr keine Ordonnanz und helfe mir mit den ersten besten Leuten in meiner Nähe aus.

Im Grabe wird's bedenklich. Die Franzosen, die das Einrücken der 4. Züge sicher bemerkt haben, überschütten ihn mit einem Eisenhagel. Die 4. Züge wollen nach der einen Seite, Verwundete nach der anderen. Ich jage die Verwundeten querfeldein nach dem Dorf, der Graben wird frei und die Verstärkungen kommen endlich vorwärts. Ich habe seit gestern nichts im Magen und begebe mich nach meinem Keller, als mich schon eine Gefechtsordonnanz zum Otl. ruft, der in meinem Graben ist. Wir erledigen einige Fragen wegen des Nachschubes; dann kommt Lt. W 1./3 an, der mit dem Btls.Kdr. eine erregte Aussprache hat. W. kommt dann zu mir in das Erdloch und bricht völlig zusammen. 

Er sei völlig fertig und könne nicht mehr, sagte er mir, und er weint wie ein Kind. Ob ich nicht den Sturm auf die „Hohe Schanze“ machen wolle für ihn? Ich rede ihm gut zu, er solle sich doch krank melden. Das tat er erst am 11.6. Jetzt geht er doch nach vorn, wo ein Teil seiner Kp. ist. Solche Nervenzusammenbrüche waren Verdun keine Seltenheit. Kurz nachdem W. mich verlassen hat, werde ich durch eine einschlagende Granate völlig verschüttet, nur mein Gesicht bleibt frei, was bei dem Trommelfeuer keine Annehmlichkeit ist. 

Ich rufe, unfähig, ein Glied zu rühren, um Hilfe, ein Wust von Sandsäcken, Erde, Steinen, Bohlen und Balkensplitter liegen auf mir und erschweren mir das Atmen. Auf meine Rufe kommen Uffz. Christinecke und ein Mann herbei, versuchen mich von oben zu befreien und, da dies nicht gelingt, fangen sie von unten an. Nach etwa 10 Min. war ich frei. Der Mann, der mir dabei geholfen hat, wird bald darauf verwundet, und zwar am Bein und läßt sich, in aller Seelenruhe seine kalte Zigarre weiterrauchend, durch 4 Kameraden im scharfen Feuer forttragen. Nachdem mein Unterstand eingetrommelt ist, begebe ich mich mit Christinecke an eine andere Stelle des Grabens. Dort legen wr uns lang auf die Grabensohle und lassen den Segen über uns ergehen. Der Bursche von Lt. Knoch, der etwas zum essen holen will, wird verwundet, ebenso eine Zahl der Leute um uns herum.

Unser Häufchen schmilzt sehr zusammen, während vorn auf dem Damloup-Rücken fast keine Verluste eintraten, da dort die franz. Artillerie mit ihren Flachbahngeschützen nichts ausrichten kann.

Wir unten im Dorf fangen wieder an zu arbeiten. Je mehr von unserer Brustwehr abgeschossen wird, umso tiefer gehen wir in den Boden hinein. Im Laufe des Nachmittags fängt auch noch ganz schwere Artillerie an uns zu bearbeiten, es ist wahrhaftig „dicke Luft“, wie der Soldat das nennt. Abends bei Einbruch der Dunkelheit nimmt das Feuer eine unerhörte Stärke an. Unsere Artillerie hatte wieder einmal zu kurz geschossen und brachte unseren Leuten auf dem Damloup-Rücken erhebliche Verluste bei, so daß sie sich umgruppieren mußten. 

Dies hielt der Gegner wohl für Vorbereitungen zu einem Angriff, und da rechts von uns am Vaux-Berg, 6-700 m entfernt, tatsächlich angegriffen wurde, so legte „Franz“ auf meinen Abschnitt heftigstes Sperrfeuer, Die Grabenwand, gegen die gelehnt ich hocke, gibt plötzlich nach. Es wird bedenklich, die Luft ist erfüllt von Pulverqualm, Schwefel und Oxyd. Die Detonationen verursachen starke Kopf- und Ohrenschmerzen. Ich bemühe mich, die Sache so leicht zu tragen als möglich, rauche meine Zigarre, singe hin und wieder und lasse die Schnupftabakdose kreisen. So eine Prise war angeraten, weil sie den Schwefel aus der Nase brachte und weil Niesen in manchen Augenblick Erleichterung verschafft.

Wieder wird ein Mann neben uns, Füsilier Pohl, übel verwundet, Christinecke verbindet ihn. Ich werfe inzwischen wegen der vielen Steinsplitter, die von links kommen, eine Sandsackbarrikade auf. Meine Mütze wird mir vom Kopf geschlagen, ich ersetze sie durch einen franz. Stahlhelm. Dann lasse ich den Pohl fortschaffen. Im Graben sind nur noch Christinecke, ein Mann und ich. Während ersterer mit äußerster Anstrengung schaffte, um die Grabensohle tiefer zu legen, platzt über uns eine Granate. Ich fühle einen saftigen Schlag gegen den linken Unterschenkel und siedende Hitze drin. 

Ich werfe mich lang über und neben Christinecke. Gleich darauf (10.30 nachts) gibt's wieder eine riesige Detonation. Sprengstücke schlagen mir gegen Helm und Hosenboden, der ganze Graben stürzt ein, Christinecke wird verwundet und der letzte Mann verschüttet und brüllt. Ich bin durch Qualm und den Lärm wie von Sinnen und springe etwa 20 Schritt rechts. Dort wird mir in der besseren Luft klarer um den Kopf. Von meinem Hosenboden steigt eine leuchtende Schwefelwolke auf. Nach einigen Augenblicken höre ich Rufe: „Herr Lt., Herr Lt!“ Es ist Gefr. Meier, der mit einem Befehl unterwegs gewesen war. Er reißt mich hoch und jagt mich gegen meinen Willen ins Dorf. Dort irre ich in dem bis zur Unkenntlichkeit zerschossenen Trümmermeer umher, und suche vergeblich den Eingang zum Keller des Btls. Stabes, der mußte verschüttet sein. 

Beim Umherirren stoße ich auf Chrstinecke, der an der rechten Hand verwundet ist. Wir suchen gemeinsam nach dem Verbandskeller. Dabei müssen wir die Gasmasken aufsetzen, weil wieder ein Segen von Gasgranaten ins Dorf fällt. Während ich, an den Reste einer Mauer gelehnt, einen Augenblick verschnaufe, findet sich auch ein Mann meiner Kp. namens Pallasch ein, der jammernd ausruft: „Oh mein Gott, wäre ich doch lieber gestorben!“

Ich setze dem  jungen Mann gründlich den Kopf zurecht, er solle sich freuen, daß er noch das Leben hat, wie ich auch.

Im Verbandskeller werden bei mir 4 Granatsplitter festgestellt und ich werde verbunden. Dort sehe ich üble Bilder. Gefr. Kobar von meiner Kp. liegt tot da. Nach einiger Zeit kommt Dr. Fränkel aus Dieppe, der in seiner ruhigen sachlichen Art sofort Ordnung und Ruhe schafft. Gegen Mitternacht wird Vfw. Pauke, 1.Kp., den ich noch vom Zwinin her kenne, angebracht, in einem bejammernswerten Zustande. Er ist blutüberströmt, hat eine riesige Schädelwunde, beide Augen sind ihm weggeschossen. 

Mit seinen Händen muß er immer nach dem Kopf gefaßt haben, denn sie sind gleichfalls blutüberströmt wie Fleischerfäuste. Er fragt den Arzt, ob er, wenn auch nur mit einem Auge, seine Kinder sehen würde. Dr. Fränkel macht eine Lichtprobe, er sieht nichts mehr. Bald darauf verfällt er in Krämpfe und erhält 2 Spritzen Morphium.

Auch ein Franzose ist da, sein linker Oberarm ist zerschmettert. Er gehört wie die anderen Gefangenen des Dorf Damloup zum R.I. 142. Er erzählt in hastigen Worten, daß er 2 Kinder habe, einen Knaben und ein Mädchen und fragt Dr. Fränkel, ob es ihm vergönnt sein würde, sie wiederzusehen. Immer diese Frage nach den Kindern.

Ich beschließe gegen 01.00 nachts, mit Christinecke um halb vier morgens dem Jammerkeller zu entfliehen und nach Morgemoulin zu laufen. Ich falle jedoch in einen tiefen Schlaf und wache erst um halb sechs auf. Draußen wütet wie immer heftig das französische Sperrfeuer. Es nutzt aber nichts, wir müssen weg, der Keller ist zu voll. Wir springen von Trichter zu Trichter, kommen durch die alte Weinberg-Stellung hindurch und legen etwa noch 1 km im Marschmarsch zurück. Das linke Bein, das inzwischen ziemlich stark angeschwollen ist, schmerzt zwar sehr, doch tut es noch seine Dienste.

Immerhin bin ich nur mit Mühe in der Lage, Morgemoulin zu erreichen. Dort nimmt mich die San.Kp. 50 liebenswürdig auf, ich werde frisch verbunden, wasche mich, und die Herren geleiten mich dann in ihr selbstgebautes, aus Trümmern anderer Häuser errichtetes ... Kasino, das draußen unter der Traufe simsartig den Spruch trägt: „Aus Schutt entstand dies neue Haus - Mach, Herrgott, du ein Deutsches draus.“ Man setzt mir einen guten Kaffee vor, zwingt mir noch ein Gläschen Portwein auf dem Weg auf und begleitet mich noch ein Stück bis Gincrey. Dort melde ich und verabschiede ich mich beim Rgts.-Stab, dann, bei der Leichtverwundeten-Sammelstelle, lerne ich einen Lt. Hintze, Führer einer Armierungs-Komp. kennen. Der lädt mich auf seinen Zweiräder, wir fahren bei der Komp.-Feldküche vorbei, und zum letzten Male drücke ich Lt. Grunwald, Feldwebel Federau und Sommerey, Uffz. Prütz und Gerlach, Schmidt und Christinecke sowie dem Koch Bruderhausen die Hand. Auch Lt. Taureck sehe ich noch. 

In den folgenden Kämpfen fiel Uffz. Eggert mit dem EK I, Taureck wurde schwer verwundet und Grunwald fiel zu unserer aller Schmerz (am 11.7. auf dem Fumin-Rücken bei Verdun).

Von Gincrey bringt mich Richters Wagen nach Senon, ich speise bei ihm und benutze nachher noch seinen Wagen nach Baroncourt. Dort Aufnahme im Sammellazarett und nach Abschied von meinem Burschen Robert Sannach (ist 1918 gefallen) Fahrt per Kraftwagen nach dem Feldlazarett der 50. ID. in La Mourière.

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