Rattenfänger

herausgegeben von Bernd Rothe

Rattenfänger

Mystery
400 Seiten
Magic Edition Band 8
ISBN 3-89840-268-1
9,95 Euro


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Diese Novellen - in der Tradition des Rattenfängers von Hameln - lehnen sich weniger an die klassische Sage an, sondern grenzen sich phantasievoll davon ab. "Fänger" aller Art sind nicht nur auf Ratten aus. Dieser von Pat Hachfeld reich illustrierte Band wirft ein völlig neues Licht auf das interessante Thema.
Marc-Alastor E.-E. bringt die Frage auf: Was treiben Vampire aus Siebenbürgen am Mäuseturm von Bingen? Alisha Biondas MEPHISTO gibt Goethes Faust eine erotische Note und greift die scheinbar unvereinbaren Werte "Weltprinzip und lüsternes Geschöpf" des Klassikers auf. Armin Rößlers SF-Variante DER VERLORENE spielt gar auf einem fernen Planeten. Dirk Taeger fabuliert aus der Sicht der Ratten - ungewöhnlich in Form und Sprache, dem Werk Sir Thomas Malorys "König Artus" nachempfunden. Und Christian von Aster bietet eine ganz besonders moderne und technische Variante ...


Inhalt:

Stephanie Bense - Schattenschläger

Alisha Bionda - Mephisto

Marc-Alastor E.-E. - Nicht ohne Wut, sei vom Lamm das Blut

Christian Schönwetter - Die Rattenfänger sind in der Stadt!

Marlies Eifert - Lenas Wege

Frank W. Haubold - Der Puppenmacher von Canburg

Dominik Irtenkauf - Der Lichtfänger

Barbara Jung - Die Königin und ihr Gardist

Monique Lhoir - Das Rattenmädchen

Markus K. Korb - Rattentod GmbH

Armin Rößler - Der Verlorene

Dirk Taeger - Die Stadt der Riesen

Stefani Hübner-Raddatz - Die Flöte des Spielmannes

Christian von Aster - Niederfrequenzmanipulation oder Des großen Rattenfänger Trick

Veruka Aniko - Canard - Liebling

Volly Tanner - Ein leises Lied vom Verschwinden …

Martin Skerhut - Der Rattenkönig

Alexander Amberg - Die Wege des Herrn …


Der Verlorene (Leseprobe)

Oort, der Lotse, stand hilflos vor der massiven Tür. Die Enttäuschung ließ seinen mächtigen Körper zittern. Eine einzelne Träne rann über seine behaarte Wange und verlor sich dort inmitten des grauen Pelzes.

Er betätigte einmal mehr den Signalgeber. Wieder erfolgte keine Reaktion.

Mit einem wütenden Aufschrei machte Oort seiner Verbitterung Luft. Gleichzeitig drosch er mit der linken Pranke unbeherrscht gegen die metallene Tür. Sie schwang lautlos auf. Verblüfft starrte er sie an.

Mühsam gewann Oort seine Fassung zurück und machte einige Schritte in den verdunkelten Raum hinein. Er tastete an der Wand nach einem Schalter, doch seine klobigen Finger trafen auf keinen Widerstand. "Licht", sagte er schließlich, und in seiner rauhen Stimme schwang die angespannte Erwartung mit. Eine schwache Lampe flackerte an der Decke auf, erlosch kurz wieder und tauchte das Zimmer dann endlich wenigstens in ein trübes Zwielicht.

Oort sah sich um. Hier war lange nicht mehr saubergemacht worden, viel zu lange, zumindest das bemerkte er sofort. Den Bewohner schienen die Berge von Unrat aber nicht zu stören, mußte er doch bereits seit Monaten inmitten dieser angehäuften Abfälle hausen.

Der Lotse hörte ein leises Rascheln, entdeckte aber nichts, das es verursacht haben konnte. Er lauschte. Da war es wieder. Als kratze eine vertrocknete Feder über vergilbtes Pergament. Das Geräusch durchdrang die ansonsten vollkommene Stille, wurde mal intensiver, blieb dann wieder für Sekunden aus, nur um erneut einzusetzen.

Oort konzentrierte sich auf das Rascheln und lokalisierte es. Es kam vom Tisch. Dort entdeckte er auch die Schabe. Sie kroch zielsicher durch das Labyrinth aus leeren Schachteln und benutztem Geschirr. Ihre langen Fühler zuckten unaufhörlich und schienen dabei einem unhörbaren Rhythmus zu folgen. Angewidert griff der Lotse nach einer Blechtasse, aus der ihn der eingetrocknete Rest einer bräunlichen Flüssigkeit anstarrte, und drückte sie auf das Insekt. Mit einem leisen Knacken zerplatzte der harte Körper der Schabe. Oort wandte sich ab.

"Was willst du?" Die Stimme klang seltsam angestrengt, als habe der Mann, dem sie gehörte, lange nicht mehr gesprochen. Das hatte er vermutlich auch nicht.

"Ich will einfach nur nach Hause", sagte Oort heiser. Er baute sich vor dem Bett auf, in dem der Mensch lag, und sein massiger Körper warf einen dunklen Schatten über das Gesicht des anderen. "Zurück in meine Heimat."

Ein Lachen. Leise und bitter. "Heimat." Krinson stieß das Wort wie einen Fluch aus. "Was ist das?"

Er rappelte sich auf, setzte sich hin, und der Lotse konnte ihn endlich näher betrachten. Was er sah, erschreckte ihn. Krinsons Augen lagen tief in ihren Höhlen, seine Wangen waren eingefallen, seine Lippen ein blasser Strich. Auch sein Körper wirkte, als sei Krinson krank. Er war mager geworden, unter der Haut zeichneten sich deutlich die Rippen ab.

"Ich kann hier nicht mehr bleiben", sagte Oort, ohne sich sein Entsetzen anmerken zu lassen. Er bezweifelte, daß es ihm gelingen würde, die Lebensgeister des Menschen wieder zu wecken. Und doch musste er es versuchen. "Ich gehe hier zu Grunde", fügte er drängend an.

"Eine Welt ist wie die andere", sagte Krinson. "Was stört dich? Ich komme wunderbar zurecht."

"Das sehe ich", erwiderte Oort sarkastisch.

"Willst du mir Vorwürfe machen?"

"Nein", sagte Oort schnell. "Aber ich habe einen Auftrag für uns. Einen lohnenden Auftrag."

Der Mensch schüttelte ärgerlich den Kopf und starrte den Lotsen jetzt direkt an. "Es gibt kein uns. Nicht mehr. Das weißt du. Es sollte selbst in deinen dicken Schädel gehen."

"Laß uns vergessen, was geschehen ist", schlug Oort vor, obwohl ihm diese Worte schwerer fielen als die größte körperliche Anstrengung.

"Das kann ich nicht", sagte Krinson leise.

"Das Angebot ist zu gut."

Krinson schwieg. Oort wartete geduldig ab. "Was bieten sie dir an?" fragte Krinson dann endlich.

"Eine Passage. Meiner Wahl."

"Und mir?"

"Was immer du willst."

Krinson zögerte. "Das klingt zu verlockend, um wahr zu sein."

"Und doch ist es so", bekräftigte der Lotse. "Warum willst du nicht wenigstens mit ihnen reden?"

Krinson erhob sich vom Bett. "Reden?" fragte er. "Ja, warum eigentlich nicht? Ich hatte heute ohnehin nichts Besonderes vor."

Nackt ging er in Richtung Bad. "Gib mir einige Augenblicke. Darauf kommt es jetzt wohl auch nicht mehr an." Er drehte sich noch einmal um. "Wie lange ist es her?" fragte er.

"Zwei Jahre", sagte Oort. "Zwei lange Jahre."


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