Pandaimonion IV - Das Gewächshaus

herausgegeben von Ernst Wurdack

Paperback
120 Seiten
ISSN 1611-5872
Band 2
Preis: Euro 8,95


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Das Buch:

In diesem Band geht es vor allem - wie der Titel bereits vermuten lässt - um seltsame Gewächse. Dass damit nicht nur Pflanzen gemeint sind, wird der geneigte Leser sehr schnell feststellen. Wirrköpfe, Gefangene ihrer eigenen, oftmals grausamen Realität, gepeinigte Zeitgenossen und natürlich Kreaturen der Nacht tummeln sich in den Erzählungen der 24 Autorinnen und Autoren, die zum großen Teil Stammautoren der Pandaimonion-Reihe sind. Lassen Sie sich entführen in die wundersame Welt der Phantastik und genießen Sie 24 Geschichten, deren Spektrum von gruselig bis absurd reicht.


Die Autoren:

Heike Rau, Jens Schauder, Regina Schleheck, Dieter Schmitt, Stefan Wogawa, Fran Henz, Heidrun Jänchen, Markus K. Korb, Nadine Muriel, Rüdiger Bartsch, Judith Rau, Sven Liewert, Claudia Hornung, Somebody, Carmen Pia Günther, Wulf Dorn, Thomas Kohlschmidt, Thomas Waldschicht, Thorsten Hanson, Thomas Fröhlich, Sören Prescher, Andrea Tillmanns, Armin Rößler und Petra Vennekohl.


Eindringling

(Leseprobe)

Unwillkürlich schaute Nada auf. Sie meinte, etwas gehört zu haben, einen leisen, ungewohnten Laut, der sie rasch nach draußen blicken ließ. Dort saß ihr Sohn im Licht der schwächer werdenden Sonne, von den Gurten in seinem Stuhl gehalten. War das seltsame Geräusch von ihm gekommen? Nada konnte auf den ersten Blick durch die Fensterscheibe keine Veränderung an Rhett entdecken, dennoch unterbrach sie ihre Tätigkeit. Sie zögerte noch einen Moment, dann begab sie sich durch den schmucklosen Flur vor das Haus.

Rhett, ihr Sohn, hatte ihr Kommen nicht gehört oder nicht bemerkt. So nahm sie sich die Zeit, ihn in Ruhe zu betrachten. Die Ähnlichkeit mit anderen Jungen seines Alters endete, sobald man ihn näher in Augenschein nahm: Sein Kopf, bedeckt von einem dichten schwarzen Haarschopf, war ungewöhnlich klein, sein Rückgrat seitlich leicht verkrümmt, was jetzt, wo er saß, allerdings nicht so deutlich zutage trat. Auch in dieser Position aber machte er die kreisförmigen Bewegungen mit den Händen, als sei er unablässig dabei, eine sich nur ihm erschließende Fläche abzutasten. Wäre Rhett jetzt gelaufen, so hätte sie seinen unsicheren Gang und den eckigen, oft abrupten Bewegungsablauf sehen können, an den sie sich längst gewöhnt hatte. Das bald sechsjährige Kind sprach nur selten, weit öfter schrie es, dann meist aus Gründen, die niemand verstand - auch sie, Nada, nicht.

Nada sprach den Jungen jetzt vorsichtig und leise an, doch er beachtete sie nicht. Stattdessen schien er auf etwas anderes zu reagieren, etwas wahrzunehmen, das sich seiner Mutter entzog. Denn wieder glaubte Nada, den leisen Klagelaut zu hören, und jetzt war sie fast sicher, dass dieser von Rhetts blassen Lippen gekommen war. Sie sah, dass ihr Junge zu zittern begonnen hatte, erst leicht, jetzt aber schon stärker. Schnell ging sie zu ihm hin, berührte ihn sanft an der Schulter, um ihn ihrer Anwesenheit zu versichern, doch die Reaktion entsprach nicht ihrer fürsorglichen Absicht: Rhett stieß ein deutlich lauteres, pfeifendes Geräusch aus, das ihr durch Mark und Bein ging. Dann fing er an, schrill zu kreischen. Gleichzeitig wedelte er unkontrolliert mit seinen dünnen Ärmchen durch die Luft, auch seine Beine und sein ganzer Körper zuckten. Nada hatte genug seiner Anfälle erlebt, um zu wissen, dass daran nichts Ungewöhnliches war: Einzig der Laut, dieses erst leise, dann lautere, immer aber so eindringliche Klagen, machte ihr Sorge. War wieder einmal ein neues Krankheitsbild entstanden? Trat der Junge jetzt in eine weitere Phase, die ihr wieder Monate der Gewöhnung abfordern würde?

Sie wurde durch zwei Männer aus ihren Gedanken gerissen, die sie plötzlich auf der vorher noch leeren Straße sah. Sie kannte die beiden nicht. Waren sie von außerhalb des kleinen Ortes gekommen? Das Haus, in das Jaime sie gebracht hatte, lag direkt am Rand der Siedlung. Die Männer wirkten allerdings nicht, als seien sie von einem langen Fußmarsch erschöpft. Beide trugen dunkle Anzüge, ungewöhnlich in dieser auch am Abend noch schwülen Gegend, und standen jetzt vor dem Rasen, der zum Grundstück gehörte und direkt an die Straße grenzte.


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