Vorwort von Tamara Ehs
Hochschullager im Austrofaschismus 1935 - 1937
Mit dem
Hochschülerziehungsgesetz führte der austrofaschistische Staat 1935
universitäre Sommerlager, sogenannte „Hochschullager“ ein. Diese 1936 und 1937 abgehaltenen
Lager mussten von allen männlichen Studierenden besucht werden und dienten der
körperlichen und geistigen Wehrhaftmachung. Sie waren Orte einer elitären
ideologischen Gemeinschafts- und Nationsbildung zur Ausbildung des „neuen
österreichischen Menschen“, den man in Absetzung von der NS-Identität des
deutschen Reiches konzipierte. Mittels der Gemeinschaftserfahrung des
mehrwöchigen Lagerlebens sollte die neue österreichische Volksgemeinschaft
erlebt werden. Es galt, die Existenz eines gegenüber Hitler-Deutschland
souveränen katholisch-deutsch definierten Österreichs zu behaupten und die
Jugend in österreichischen Patriotismus zu üben. Die vormilitärische Ausbildung
intendierte darüber hinaus eine Militarisierung, die jedoch eher im Sinne der
Disziplinierung als in einer hinreichenden Ausbildung in Kampffähigkeit
erfolgte.
Österreichs Mission
Die Universität
Wien war in den 1920er Jahren ein Hort des Großdeutschtums und der
Reichsideologie. Insbesondere an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen
Fakultät vertraten Professoren wie Othmar Spann eine an Mittelalter und Katholizismus
orientierte romantische Gesellschaftsphilosophie. Engelbert Dollfuß hatte bei
Spann studiert und erblickte wie viele andere im Nationalsozialismus die
Bastion deutscher Kultur respektive gar die Verwirklichung der
mittelalterlichen Reichsidee. Doch Hitler-Deutschland schlug schließlich einen
anderen, nicht-christlichen, nicht-ständischen Weg ein. Es blieb demnach im
Verständnis jener Ideologen Österreichs Mission, den europäisch-abendländischen
Reichsgedanken zu bewahren. Als Dollfuß als Kanzler 1933 den autoritären Kurs
einschlug, konzentrierte er sich auf die Errichtung eines katholischen
Ständestaates, in dem die Österreicher als bessere Deutsche ganz Europa zum
Vorbild gereichen sollten. Dieser doppelte Missionsauftrag – innerdeutsch und europäisch
– resultierte in der schließlich nicht bewältigbaren Gratwanderung, einerseits
des Nationalsozialismus zu bekämpfen, ohne dabei das Großdeutschtum zu
relativieren.
Wehrhaftmachung an der Universität
Die
austrofaschistische Diktatur etablierte sich nach der Ermordung Kanzler
Dollfuß‘ (1934) unter dem Eindruck der Bedrohung durch Hitler-Deutschland. Es
galt, innerhalb des Deutschtums das spezifisch Österreichische als Teil der
christlich-abendländischen Kultur zu (er)finden und darauf die Wehrhaftigkeit des
„österreichischen Menschen“ aufzubauen. Hierfür betrieb die neue Regierung
unter Kanzler Kurt Schuschnigg die Militarisierung sämtlicher Lebensbereiche.
An der Universität äußerte sich dies als geistige und auch körperliche
Wehrhaftmachung. Im Juli 1935 wurden unter maßgeblicher Mitarbeit des
Rechtsprofessors Ludwig Adamovich zwei Hochschulgesetze
kundgemacht, die den ideologischen Zugriff auf Universität und Studierende
regelten: das Hochschulermächtigungsgesetz und das Hochschulerziehungsgesetz.
Letzteres ergänzte die bisherigen Aufgaben der Hochschulen (Forschung und
Lehre) um eine dritte: die staatsbürgerliche Erziehung. Diese erfolgte durch
weltanschauliche Pflichtvorlesungen, vormilitärische Übungen (u.a. an
universitären Schießstätten) und mittels sog. „Hochschullager“. Jene Lager
mussten von allen ordentlichen Hörern weltlicher Studienrichtungen,
österreichischer Staatsbürgerschaft und männlichen Geschlechts besucht werden,
um zu den Abschlussprüfungen ihres Studiums zugelassen zu werden. Frauen waren
zur Teilnahme weder verpflichtet noch freiwillig zugelassen.
Gemeinschaftsbildung im Hochschullager
Die
Hochschullager dienten der körperlichen und geistigen Wehrhaftmachung. Mittels
der Gemeinschaftserfahrung des mehrwöchigen Lagerlebens sollte die neue
österreichische Volksgemeinschaft erlebt werden. Die vormilitärische Ausbildung
(Exerzieren, Kraftübungen, Taktik, Camouflage, Kartenlesen etc.) intendierte
darüber hinaus, die bis 1936 fehlende allgemeine Wehrpflicht wenigstens
teilweise zu kompensieren und auch die ungedienten, „weißen“ Jahrgänge älterer
Studenten heranziehen zu können. Die Militarisierung erfolgte dabei eher im
Sinne der Disziplinierung als in einer hinreichenden Ausbildung in
Kampffähigkeit. Es galt, Studierende gemeinschaftsfähig zu machen und den
Individualismus zu überwinden. Im Lager sollten Studenten, diese
„schwächlich-bleichen Stadtmenschen“, zu wie Landburschen „kräftigen,
gebräunten Gestalten“ (Ignaz Zangerle) ausgebildet und schließlich auf die neue
Österreichideologie eingeschworen werden. Dahingehend stand jedem Lager ein
Offizier des Bundesheeres vor, dem ein Bildungsführer zur Seite gestellt war.
Erster war für die vormilitärische Erziehung und für die Ausbildung der Körper,
zweiter für die weltanschauliche Schulung im vaterländischen Sinne (d.h. nicht
nationalsozialistisch, ja nicht liberal und schon gar nicht sozialdemokratisch,
dafür aber christlich-abendländisch deutsch) zuständig.
Alltag im Lager
Die
Hochschullager befanden sich in Rotholz bei Jenbach, Ossiach sowie am Kreuzberg
beim Weißensee. Aufgrund des Anschlusses Österreichs an Deutschland im März 1938
wurden sie lediglich zwei Mal abgehalten, in den Sommern 1936 und 1937. In
Einheitskleidung adjustiert absolvierten die Teilnehmer während vier Wochen
einen straffen Lageralltag:
6 Uhr Tagwache |
6 Uhr 15 bis 6 Uhr 45 Frühübungen, ev. Schwimmen im See |
7 Uhr
Frühstück |
7 Uhr 10 bis 7 Uhr 40 Herrichten der Zimmerordnung |
7 Uhr 45 bis 8 Uhr Flaggenhissung, Verlautbarung der Tageseinteilung,
Vorführung der Kranken, Lagerrapport |
8 Uhr 5 bis 10 Uhr Übungen, Unterricht, allenfalls zweites Frühstück um
10 Uhr |
10 Uhr 30 bis 12 Uhr 30 Schießübungen, Leibesübungen |
13 Uhr
bis 13 Uhr 30 Mittagessen |
13 Uhr
30 bis 14 Uhr 30 Mittagsruhe |
14 Uhr 30 bis 15 Uhr Vortrag des Bildungsführers |
15 bis 16 Uhr Leibesübungen am Seeufer; allenfalls Jause um 16 Uhr |
16 Uhr 30 bis 18 Uhr 30 Übungen oder Vortrag des Bildungsführers,
Befehlsausgabe, Anwesenheitsappell |
19
Uhr bis 19 Uhr 20 Nachtmahl |
20
Uhr bis 21 Uhr 15 Freizeitgestaltung |
22 Uhr
Zapfenstreich |
ab 22 Uhr 30 Sprechverbot, vollste Ruhe im Gebäude |
Robert Hampel
erinnert sich an das 1937 besuchte Hochschullager bei Weißensee: „Zu einer
Zeit, da in Hitler-Deutschland der Studentenschaft zahlreiche Nebenleistungen
wie Erntedienst und Schulungen auferlegt waren, wollte auch
Schuschnigg-Österreich seine Studenten vormilitärisch erziehen und sie dabei
weltanschaulich-politisch im Sinne der ‚Vaterländischen Front’ beeinflussen …
Als einer der ersten traf ich auf dem Kreuzberg ein … Von der Lederhose bis zum
Stadtanzug war alles vertreten, doch in den Folgewochen galten nur die um
geringes Geld zu beziehende Lagerhose und eine graugrüne Windjacke … Die
weitaus bemerkenswerteste Gestalt dieses Lagers war der sogenannte
Bildungsführer … Dreimal in der Woche nahm uns der Bildungsführer unter seine
Fittiche. Es ging um studentische Themen, um unser Verhältnis zur
Volksgemeinschaft, zum Staat, zum Bauern- und Soldatentum.“
Austrofaschistische Erziehung
Die hochschulpolitischen
Maßnahmen zur Ausbildung einer Österreichideologie hatten die (geistige) Wehrhaftmachung
insbesondere gegen Hitler-Deutschland zum Ziel. Man ging dafür allerdings mit
ähnlichen Mitteln wie die Nationalsozialisten vor. Hier wie dort ist das
Eindringen militärischer Elemente in den pädagogischen Diskurs der
Schlüsselbegriff zum Verständnis faschistischer Erziehung. Und hier wie dort
war die bevorzugte Erziehungsform zur Herstellung dieses neuen
Gemeinschaftsmenschen das Lager. Es betonte nicht den Einzelnen, sondern die
Gruppe, die wiederum in einer dem Militär nachgeahmten Hierarchie dem
Gruppenführer (Lagerführer, Bildungsführer) unterstellt war. Soziale Herkunft
und Bildungsstand traten in den Hintergrund; wichtig waren der starke Körper
und Gemeinschaftsgeist. Die Einführung verpflichtender Hochschullager verfolgte
somit zweierlei: Einerseits sollte der Klassenkampf, der im Bürgerkrieg 1934
seinen blutigen Höhepunkt erreicht hatte, überwunden und eine
gesamtösterreichische Gemeinschaft hergestellt werden; andererseits wurde diese
Männergemeinschaft körperlich trainiert und in militärischen Fähigkeiten
ausgebildet, letztlich diszipliniert. Wie aus zahlreichen Schilderungen (siehe
Hampel und Zangerle 1937*) hervorgeht, war das Gemeinschaftserlebnis die
Schlüsselkategorie der Hochschullagererfahrung. Hier wurde das neue Österreich
erlebt.
*Lebendiges Tirol. Beilage der „Neuesten
Zeitung“, 11. September 1937 (Für Tirol : Rotholz bei Jenbach)