Allerseelen Interview Neo-Form

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Das Projekt Allerseelen und sein Hauptprotagonist Gerhard müssen eigentlich niemandem innerhalb der Szene mehr vorgestellt werden. Seine vielseitigen künstlerischen Veröffentlichungen haben weltweit Anerkennung gefunden. Das folgende Interview befasst sich nicht mit einer speziellen neuen Veröffentlichung, sondern beleuchtet viele, vor allem den jüngeren Hörern vielleicht noch unbekannten, Details und Hintergründe.

1. Könntest Du etwas aus Deiner Zeit als Livemusiker bei ZERO KAMA erzählen?

Ich war gar nicht Live-Musiker bei Zero Kama - bei den Auftritten der Gruppe stand ich nicht auf der Bühne. Ich war nur bei den monatelangen Proben und Vorbereitungen dabei, bei denen einige schöne Stücke entstanden. Am meisten mochte ich die Lieder, in denen Rockiges und Rituelles nahtlos ineinander übergingen. Ich habe mit Menschenknochen und Paukenschlegeln auf Kesselpauken und Gongs gespielt, Michael De Witt sang dazu, ein anderer Musiker spielte Bass und Gitarre. Es war die einzige Zeit in meinem Leben als Musiker mit regelmäßigen Proben. Diese gemeinsam verbrachte Zeit war für mich auf jeden Fall sehr lehrreich.

2. Ein sehr frühes Stück von Dir heißt "Hunger" und befindet sich auf einem Kassettensampler namens "Die Geburt" auf dem Label ART BRUT. Wer stecktehinter diesem Label?
 
Ich habe seinen Namen vergessen, weil ich ihn nur unter seinem Pseudonym kannte. Es war ein punkiger Typ, der jetzt als Tontechniker im Wiener Flex arbeitet. Das letzte Mal traf ich ihn vor zwei Jahren bei einem Coil-Auftritt in Wien. Ich weiß gar nicht, ob das Label noch existiert. Er hat auch mit Maria Zerfall gemeinsam etwas aufgenommen, der Name dieses Projektes war Aktive Stagnation. Aber das alles liegt viele Jahre zurück.

3. Bei der Wiederveröffentlichung Deiner alten Kassettenaufnahmen auf Vinyl hast Du auf den Abdruck der originalen (sehr schönen) Tracktitel verzichtet, so dass die Stücke nun namenlos sind. Was war der Grund dafür, da die Titel für die Konzepte der einzelnen Tapes sehr wichtig schienen? Auf der "Requiem" z.B. ist dies durch den Anfangsbuchstaben A in der Trackliste erkennbar (Allerorten, Ansporn, Aufbegierde, Alraune etc)

Die DoLPs Archaische Arbeiten und Heimliche Welt sind für mich wie Zwillinge. Als Max von Ahnstern und ich die alten instrumentalen Lieder aus dem Jahr 1989 für diese DoLPs auswählten, gefiel mir diese schwermüötige Dunkelkammermusik nach wie vor sehr gut, aber ich konnte mit den alten Titel nicht mehr viel anfangen - die Stücke waren auf eine merkwürdige Weise zeitlos, die Namen der Lieder nicht. Deshalb habe ich die alten Aufnahmen in ein neues Konzept eingefügt. Die Lieder sollen ineinander übergehen wie bei einem Soundtrack für einen imaginären Film. Sobald ein Lied Text und Titel hat, verbindet man damit bereits bestimmte Vorstellungen. Jetzt lenken nur noch die Cover und die Zitate von Kaiserin Elisabeth und Alexander Lernet-Holenia die Vorstellungen der Hörer in eine bestimmte Richtung. Meine Lieder entstehen oft ähnlich - wenn einzelne Spuren fertig sind, mache ich mich auf die Suche nach den Worten, die zu diesen Spuren passen. In diesem Fall schlüpfen eigentlich die Hörer in die Rolle des Songwriters: Sie machen sich auf die Suche nach den Worten - fündig werden aber werden sie nur in sich selbst, nicht in den Liedern. Genau das ist die Heimliche Welt, die mir vorschwebt.

4. Im Insert zu dieser Kassette erklärst Du auch deinen Projektnamen: "Allerseelen, an allegory of the golden bliss, is the day in which the tormented souls of the purgatory are allowed to recover on earth from their wounds, thus Allerseelen represents, at least temporarily, an essentialcounterpart to restrictive conceptions like sin, guilt, punishment, condemning them to insignificance." Würdest Du dies heute genauso erklären?

Das klingt sehr römisch-katholisch, wie auch der Name Allerseelen selbst, aber es schimmert auch Aleister Crowleys Aussage "The word of sin is restriction" durch. Ich habe mich damals offenbar zu sehr in die kunterbunte polytheistische Welt des Katholizismus vertieft mit den Wundmalen der Therese von Konnersreuth und den Karfreitagstrommeln von Calanda, ohne tatsächlich jemals gläubig gewesen zu sein. Mit dem Konzept von Allerseelen heute hat diese Vorstellung nichts mehr zu tun, es gibt ja in meiner Glaubenswelt kein Fegefeuer. Nach wie vor aber bin ich froh, einen so schönen Namen für meine Musikgruppe gefunden zu haben. Allerseelen ist für mich nicht ein einzelner Tag mit einem faszinierenden Miteinander von Leben und Tod - für mich ist das ganze Jahr Allerseelen: Die Toten sind nicht tot, die Toten nehmen am Leben teil, und die Wirklichkeit, die wir wahrnehmen, ist eigentlich nur die gerade aufgeschlagene Seite im großen Buch des Lebens. Ich bin seit vielen Jahren stark beeindruckt vom Kosmischen Kreis, dem Kult der Blutleuchte, den Alfred Schuler mit Ludwig Klages und Karl Wolfskehl im München der Jahrhundertwende gründete - die Mitglieder der Blutleuchte träumten vom offenen Leben, von einem Einklang von Leben und Tod, einer Ganzheit, in der kein Raum war für eine Scheidung in Diesseits und Jenseits.

5. Du hast auf Aorta damals auch Stücke von Luciano Dari, T.A.C., White Stains und Vox Populi herausgebracht. Wie kam damals der Kontakt zustande, und besteht dieser eventuell noch?

Diese Zeit war eine intensives Miteinander. Ich war mit vielen Musikern auf der ganzen Welt in einem regen Briefwechsel, wir tauschten Gedanken aus, schickten uns Fotokopien, Musikkassetten. Es gab damals viele kleine Zeitschriften, die aussahen wie meine ersten Aorta-Hefte. Es war eine archaische, sehr fruchtbare Zeit nach dem Ende von Throbbing Gristle und vor dem Beginn von Psychic TV. Alles war einfacher und viel überschaubarer als im heutigen telektronischen Zeitalter. Wir nahmen uns die Zeit dafür. Ich besuchte mit achtzehn oder neunzehn auf einer Reise zu den Vulkanen Siziliens Luciano Dari von Musica Maxima Magnetica in Neapel und Simone Balestrazzi von T.A.C. in Florenz und verbrachte mit beiden einige Tage. Simone Balestrazzi habe ich vor einigen Jahren in Deutschland wieder einmal getroffen, und Carl Abrahamsson von White Stains werde ich irgendwann wohl in Skandinavien begegnen.

6. Auf diesen Aorta-Tapesamplern gab es neben den musikalischen Beiträgen auch eine Art Miniatur-Dokumentationen zu hören, die direkt in thematisch dazu passende Musikstücke übergingen (Calanda, Nacht der Stigmata; Konnersreuth-Die Wehen des Todes). Wie kamst Du auf diese Idee und woher stammten die Dokumentationen?

Die Calanda-Dokumentation ist eine Radiosendung, die ich selber gestaltete. Ich war zweimal bei den Karfreitagstrommeln von Calanda und gestaltete nach meiner Rückkehr eine Dokumentation für den österreichischen Rundfunk. Ich schrieb den Text und wählte die Musik aus, der ORF ließ den Text von einem Sprecher vortragen. Die Inspiration für diese Dokumentation stammte von der Schallplatte von Vagina Dentata Organ und einem ausführlichen Interview mit Psychic TV in einer englischen Musikzeitschrift. Der Beitrag über Konnersreuth stammt von einer Kassette, die ich damals in Konnersreuth in der Oberpfalz gekauft habe. Ich war damals auch in Kontakt mit einem Pfarrer aus Konnersreuth und bemühte mich vergeblich, an die Aufnahmen mit der oberpfälzischen Stimme von Therese von Konnersreuth bekommen. Ich halte nach wie vor ihre Visionen für sehr faszinierend. Sie erlebte das Leben von Jesus Christus aus der Sicht eines kleinen Mädchens. Ihre Visionen widersprechen in vielen Einzelheiten den Aufzeichnungen der vier Evangelisten. Auch sie ist ein Beweis für ein offenes Leben, in dem die Vergangenheit zur Gegenwart wird - offenbar ist es ihr in ihren Visionen gelungen, auch andere Seiten aus dem großen Buch des Lebens aufzuschlagen. Ob dieses zusätzliche Wissen sie glücklicher gemacht hat, möchte ich bezweifeln, aber es ist ihr gelungen, viele Leute in ihrer Umgebung zu heilen.

7. Worauf bezieht sich der Titel "Sibirische Symphonie" auf der CD "Stirb und Werde"?

Sibirische Symphonie bezieht sich auf den Künstler und Stuka-Piloten Joseph Beuys, der 1963 eine recht grausame Performance mit einem Klavier und einem toten Hasen gemacht hat: Joseph Beuys schnitt dem toten Hasen das Herz heraus - die Pfoten des Hasen aber waren mit Klaviersaiten verbunden, und aus dieser Operation entstanden Klänge. Diese Musik erschien auf einer Schallplatte, ich suche diese Aufnahme seit vielen Jahren, bin aber bis jetzt nicht fündig geworden. Mit seinem Mäzen Josef Froehlich trank Beuys auch mit Hasenblut vermischten Champagner. Mir gefallen auch andere seiner eigenwilligen Performances, so die Aktion mit dem heufressenden Schimmel auf der Bühne, dessen Huftritte über ein Mikrophon live übertragen wurde. Ich liebe auch seine dreitägige Performance in New York mit einem Kojoten als Symbol der Wildnis, als Symbol des vorkolumbischen Amerikas - ich habe über diese Aktion eine eigene Aorta-Ausgabe geschrieben. Als Beuys starb, ließ er seine Asche in einigen Gefäßen, die er bei verschiedenen Performances verwendete, bei Helgoland in die Nordsee versenken - um offenbar nach seinem Tod möglichst nahe bei Atlantis zu sein. Joseph Beuys fasziniert mich mit seiner archaischen Symbolik von Blei und Filz und Honig und Kupfer. Oft sind aber seine Antworten in Interviews viel faszinierender als seine Installationen selbst - als seien die Kunstwerke nur ein Vorwand, damit ihm Fragen gestellt wurden. An Beuys ist etwas stark Dämonisches, Faustisches, und das wirklich Merkwürdige ist eigentlich, warum er weltweit so populär wurde. Vielleicht deshalb: Er war ein Archetyp, ein Dissident. Im Grunde war er und ist er eine Wotan-Figur, der ständig einen Hut trug, ein Wanderer und Wender. Dieser Hut war für ihn ein Schutz, er hatte ja in seinem Schädel eine Silberscheibe, seit er im zweiten Weltkrieg mit seinem Flugzeug in der Krim abstürzte. Irgendwo stand Beuys in der Tradition der bloßfüßigen Propheten der Weimarer Republik.

8. Was hat es mit dem Jean Baudrillard-Zitat "Vielleicht sind unsere Augen nur ein photographischer Film, den man uns nach dem Tod entnimmt, um ihn irgendwo zu entwickeln?" im Booklet dieses Albums auf sich?

Da müßtest Du Jean Baudrillard selbst fragen. Mich fasziniert diese Frage, und ich würde auch gerne die Antwort darauf wissen. Ich liebe dieses Zitat, deshalb habe ich es auf der Stirb und Werde CD verwendet. Es wäre ja sehr schön, die eigenen Gedanken und Träume und Visionen speichern zu können. Es ist traurig, wenn ein Dichter oder Forscher stirbt und nur einen Bruchteil seines Wissens an die Nachwelt weitergeben kann. Wer vor allem ist jener "man", der unseren Augen den Film entnimmt.. Vielleicht auch sind unsere Ohren nur ein Aufnahmegerät, das uns ein Tonmeister nach dem Tod entnimmt. Von Baudrillard gibt es einige tolle Texte, die ersten seiner kleinen Bücher aus dem Verve-Verlag entdeckte ich mit achtzehn oder neunzehn Jahren auch im Haushalt von Zero Kama - Cool Killer, Aufstand der Zeichen. Auch Baudrillard hat mich sprachlich beeinflußt mit seinen knappen, spartanischen Aussagen, seinen Wortspielen, seinen Provokationen, seinem Widerspruch - ein weiterer faszinierender Dissident.

9. Der vor Ewigkeiten geplante Sampler zu Ehren Emil Ciorans ist ja leider nie erschienen und das dafür geplante Allerseelen-Stück "Manastiri spaniole/Spanische Klöster" somit auch nicht. Wird dieses jemals erscheinen? Und warum gerade dieser Text (aus "Leidenschaftlicher Leitfaden") von Cioran?

Vielleicht ist es ganz gut so, daß diese Anthologie nicht erscheint. Das rumänische Allerseelen-Lied Manastiri spaniole wird in seiner ursprünglichen Form sicher nicht veröffentlicht werden. Aber vielleicht entsteht eines Tages eine neue Fassung. Ich schätze E. M. Cioran sehr und suchte nach einer bestimmten Stelle um den scheinbaren Gegensatz von Religiosität und Sinnlichkeit zu vertonen. Da war dieses Zitat natürlich perfekt: "Auf den Brüsten der Weiber träumte ich von spanischen Klöstern." Die meisten würden wohl umgekehrt träumen. Ich war mehrere Jahre lang in der glücklichen Lage, viele spanische Einsiedeleien und Klöster in Begleitung eines hübschen Fräuleinwunders zu besuchen, ich konnte also von beidem träumen und beides verwirklichen. E. M. Cioran beeindruckt mich sehr, seine Schriften sind apokalyptisch und leidenschaftlich, oft erscheint mir aber seine Einsamkeit, seine Verachtung, sein Weltschmerz, seine Zerrissenheit, die vielen schlaflosen Nächte als eine große lustvolle Show. Er erscheint mir wie ein Tannhäuser, hin- und hergerissen zwischen dem Weg des Geistes und dem Weg des Fleisches, zwischen Venushügel und Gralsburg, zwischen Narziss und Goldmund, zwischen Gott und Frevel. Er ist genau der Künstlertypus des mystischen, suchenden Individualanarchisten, der sich weder in einer religiösen noch politischen Gemeinschaft für längere Zeit wohlfühlen könnte, deshalb war wohl auch die Legion Erzengel Michael nur für kurze Zeit eine Heimat für ihn. Da ist viel zu viel Dunkelheit, Nacht, Wahn in seinen Werken - Cioran ist genau der Typ des spanischen Gläubigen, der zwei Kerzen anzündet, eine Kerze für Gott und eine für den Teufel. Eigentlich liebte er nur die Musik, er liebte Bach und Mozart. Auch er konnte sich offenbar ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. In einem Buch schrieb er, daß er einmal an einem Scheidepunkt war, ob er in der Seine ertrinken wolle oder lieber in der Musik - er entschied sich dann für die Musik. Interessant ist auch, daß Cioran 1933-1935 in Berlin Philosophie studierte und dort offenbar Ludwig Klages kennenlernte - also ein direkter Bezug zur Blutleuchte von Alfred Schuler. Beide, Schuler und Cioran, verehrten Kaiserin Elisabeth von Österreich, über die  Constantin Christomanos ein wunderbares Tagebuch veröffentlichte.

10. "Wir tragen ein Licht" ist Jhonn Balance von COIL gewidmet. Wie hattest Du damals das Ende von COIL durch den Tod von Jhonn aufgefasst?

Sein Tod hat mich für kurze Zeit erschüttert. Aber das Leben geht weiter. John Balance war einfach eine sehr dionysische und vulkanische Persönlichkeit, sein Sternzeichen war Wassermann, und dieses luftige Sternzeichen muß in den Kraftfeldern von Kunst und Drogen sehr vorsichtig agieren, wenn es nicht an seinen Träumen zerbrechen will. Er ist von den Mänaden zerrissen worden wie einst Dionysos selbst. Durch die Coil-Platte Scatology bin ich auf das kraftvolle Symbol der Schwarzen Sonne aus einem Buch von Aleister Crowley aufmerksam geworden. Ich habe John Balance dann auf die schwarze, eigentlich dunkelgrüne Sonne der Wewelsburg hingewiesen - aber vielleicht ist es ganz gut so, daß er dieses Symbol nicht für Coil verwendet hat. Wir waren eigentlich nicht viel in Verbindung, nur in den letzten Monaten vor seinem Tod, als ich ihm vorgeschlagen hatte, Konzerte von Allerseelen und Coil zu kombinieren. In einem der Bücher von Miguel Serrano steht: "In diesem Kampf wechselt man auch nicht die Seite. Nur während des Todes ist einem eine kurze Pause vergönnt." Diese Pause hatte John Balance wohl nötig. Auf Miguel Serrano wurde ich übrigens in einer von Coil herausgegebenen A5-Zeitschrift aufmerksam.

11. Welches ist das Konzept von "Flamme"?

Fast alle Fotos der Allerseelen CD und DoLP Flamme stammen von einem Wintersonnwendfeuer in den österreichischen Bergen, das wir einen Tag nach dem Allerseelen-Auftritt in Venedig am 20. Dezember 2003 gemacht haben. Eines der Bilder zeigt auch einen Buben mit einer Fackel bei diesem Auftritt. Die Sonnwendfeuer im Juni und Dezember sind in den letzten Jahren sehr wichtig für mich gewesen, sie haben mein Leben verändert und mich zu manchen Liedern angeregt. Das Feuer ist ein sehr kraftvolles und vielfältiges Symbol. Mit seinen aufsteigenden Flammen und göttlichen Funken ist ein Symbol der Überwindung der Schwerkraft und Schwermut. Ich bin fasziniert von den römischen Vestalinnen, die das heilige Feuer hüteten. Als mit allen vorchristlichen Mysterienkulturen auch der Kult der Vestalinnen verboten wurde und viele Kultstätten zerstört wurden, zerfiel auch das römische Reich.

12. Auf "Flamme" hast Du einen Text des großartigen legionären Dichters Simion Lefter verwendet, unter dem Titel "Kehrst zurück nicht mehr", im rumänischen Original "Cantecul legionarilor cazuti". Wie kam es dazu und wie fügt er sich in den Rest des Albums ein?

"Kehrst zurück nicht mehr" ist ein sehr schönes, stimmungsvolles Lied geworden, es ist ein Requiem. Ich habe es in den "Aufzeichnungen im Kerker" von Corneliu Codreanu entdeckt. Ich liebe dieses schwermütige Gedicht sehr. Für mich bezieht es sich gleichermaßen auf den Tod wie auf die Liebe, auf den Abschied. Auch die Flamme kehrt nicht wieder, sie steigt empor ins Licht.

13. Du hattest ja damals die Lieder der Eisernen Garde im Gegensatz zu Boyd Rice nach Absprache mit den alten Legionären veröffentlicht. Wie kam dieser Kontakt zustande, und hast Du von ihren Reaktionen danach gehört? Es gab ja von deren Seite z.T. starke Kritik zu hören, da eine Pervertierung der ursprünglichen Inhalte befürchtet wurde.

Ich war mit zwei älteren Legionären in Verbindung, die sehr freundlich und hilfsbereit waren. Auch der Verlag Colectia Europa bei München, der viele Bücher zur Legion Erzengel Michael herausgebracht hat, war sehr hilfreich. Eine Pervertierung kann natürlich nur geschehen, wenn das Christliche und Mystische der Legion in einen ganz anderen Zusammenhang gebracht wird - das aber war ja bei dieser Doppel-7" auf grünem Vinyl in keiner Weise der Fall. Die meisten schätzten diese mittlerweile vergriffene Veröffentlichung und die Gestaltung. Vor einigen Jahren habe ich in Wien auch einige jüngere Legionäre kennengelernt, die sich aber jetzt offenbar zurückgezogen haben. Die Veröffentlichung der Gesänge durch Boyd Rice rückte diese Lieder dann in ein ganz anderes Licht. Für orthodoxe Christen sind Leute wie Boyd Rice natürlich Satanisten. Allerdings scheint jetzt Boyd Rice bei seinen Forschungen im Zusammenhang mit Rennes-le-Chateau in Südfrankreich jetzt offenbar christliches Blut in seinen Adern entdeckt zu haben - vielleicht zündet er jetzt   auch schon zwei Kerzen an, eine Kerze für den Teufel und eine für Gott.

14. Du hast ein Stück von DAF gecovert, "Als wärs das letzte Mal". In diesem Zusammenhang fiel mir auf, wie sehr sich Allerseelen und DAF durch den z.T. minimalen Einsatz der Texte und des Gesangs ähneln (aus wenigen Zeilen bestehende, monoton-hypnotisch wiedergegebene Texte), siehst Du das ähnlich? Ist es Zufall, dass der Titel des Stückes "Que" auf dem gleichen Album an "El Que" von DAF erinnert?

Das Gedicht Que von Juan Ramon Jimenez aus seinem Büchlein Fuego y Sentimiento und El Que von DAF hängen gar nicht zusammen - que ist einfach ein sehr häufiges spanisches Wort. Bis heute ist DAF eine sehr zeitlose Gruppe geblieben, zeitloser noch als Kraftwerk. Aber wahrscheinlich hätten sie sich noch früher auflösen müssen. DAF war ein wichtiger Einfluß in meiner Jugend mit den spartanischen, minimalen Klängen, mit den dichten und straffen Texten. Ich habe die ganze Schulklasse mit meinem Kassettenrekorder mit Tanz den Mussolini terrorisiert. E. M. Cioran schreibt irgendwo über die Lust des Schreibers, ganze Seiten, ein ganzes Kapitel einem einzigen Satz oder auch nur einem einzigen Wort am Schluß zu opfern - oder eine leere Seite. Die Liebeslieder von DAF haben immer etwas Ironisches. Aber im Gegensatz zu DAF sind in meiner Musik viel mehr Streicher, viel mehr Romantik, vielleicht zuviel vom feuchten Weg. DAF verkörpert da mehr den trockenen Weg.

15. Du bist ja ein Liebhaber der Filme von Alejandro Jodorowsky und hast diesem gleich durch mehrere Versionen von "Santa Sangre" Tribut gezollt. Wie findest Du seine Bücher und seine anderen Filme wie "El Topo" und "Montana Sacra"? Und ist es nicht ein Jammer, dass letztendlich nicht er, wie ursprünglich geplant, mit Salvador Dali und Udo Kier den Film "Dune" inszenierte? Hast Du ihn mal getroffen? Vor Jahren empfing er ja wöchentlich
seine Fans in einem Pariser Café.

Sein Buch "Wo der Vogel am schönsten singt" ist wirklich beeindruckend mit den ganzen düsteren, surrealistischen Elementen aus dem osteuropäischen Judentum. Dieses Buch ist eine merkwürdige Autobiographie, die im Grunde mehr von seinen Großeltern und Eltern handelt und mit seiner Geburt endet. Ich besitze sein Buch Psicomagia über seine eigenwilligen schamanischen Therapien auf Italienisch, aber ich hab es noch nicht gelesen. Die Mutter eines guten Freundes ließ sich von Jodorowsky von einer Krankheit heilen. Santa Sangre ist ein Meisterwerk. Ich liebe auch El Topo. Montana Sacra gefällt mir nur teilweise. Dune wäre sicher ganz anders geworden, wenn Jodorowsky federführend geworden wäre. Kennengelernt hab ich ihn nie, aber ich sende ihm öfters meine CDs, nach wie vor würde ich meine Musik gern in einem seiner Filme hören. Ich würde gerne den italienischen Film sehen, in dem Jodorowsky Ludwig van Beethoven spielt. Jodorowsky ist in jeder Hinsicht faszinierend, ich liebe auch die Interviews mit ihm. Irgendwie verbindet ihn vieles mit Miguel Serrano - beide sind Chilenen, beide sind Visionäre, beide leben in einer Welt voller Mythen.

16. Deine Musik hat sich ja über die Jahre sehr verändert, von den industriellen Noiseklängen der frühen Tage bist du zu einer Musik angekommen, die längst nicht mehr diese Schwere besitzt und die in meinen Ohren einmalig klingt. Das rohe Material der Anfangszeit wurde mit der Zeit immer weiter verwandelt und verfeinert, Du hattest ja auch einmal gesagt, dass Du wie ein Alchemist arbeitest. Bist Du selber auch mit der Zeit entspannter und weniger zornig geworden? Fühlst du Dich noch den alten Industrialgruppen wie SPK, MB, TG etc verbunden?

Ich war auch früher selten zornig. Eher schwermütig. Zornig klingt eigentlich nur einiges auf Gotos=Kalanda und den Sturmliedern. Aber eigentlich ist in den neuen, noch nicht veröffentlichten Arbeiten auf der russischen Allerseelen-Changes-Split-CD Men among the Ruins wieder viel Schwere - diese Lieder sind fast eine Art dunkler Krautrock oder fast Krautmetal. Die Musik von Maurizio Bianchi kannte ich nicht. Throbbing Gristle ist für mich nach wie vor großartig, vor allem Live-Platten wie Mission of Dead Souls und Rafters. Meine ersten Schallplatten waren die Throbbing Gristle 10" Discipline und Information Overload Unit von SPK. Heathen Earth von Throbbing Gristle hat für mich jetzt etwas fast Krautrockiges mit den düsteren, langsamen, verzerrten Klängen. Ich höre im Augenblick gerade Kalte Sterne und Zuckendes Fleisch von den Einstürzenden Neubauten, auch diese Stücke haben etwas sehr Dynamisches, Fetziges, Krautrockiges.

17. Stimmt es, daß Du einen Artikel über Peter Handke verfasst hast?

Ja, ich habe einen kurzen Artikel über Peter Handke und seine Leidenschaft für Serbien geschrieben. Mit seiner scharfen nato-kritischen, pro-serbischen Einstellung hat er sich viele Feinde geschaffen. Eigentlich habe ich mehr über seine Gegner geschrieben, die plötzlich wollten, daß seine Bücher boykottiert werden, daß sie nicht mehr bei Suhrkamp erscheinen. Eigentlich verglich ich seine Rolle mit der von Ezra Pound, der von amerikanischen Truppen in einen Eisenkäfig bei Pisa eingesperrt wurde und dann in den USA in einem Irrenhaus landete. Ich habe Peter Handke mit fünfzehn Jahren einmal am Mönchsberg in Salzburg besucht, aber es war eine recht einsilbige Begegnung, ich hatte noch zu wenig von ihm gelesen, um mich mit ihm unterhalten zu können. Ich habe vor einiger Zeit ein schönes Zitat von ihm gelesen: "All diese Zeiten, in denen man gemauert wird, sind fruchtbar für das epische Denken. Man muß nur fähig sein, sich in den Abstand zu denken." Peter Handke könnte sichs ja schön machen und seine Lorbeeren genießen, aber offenbar will er immer wieder heraus aus dem Elfenbeinturm. Er hat ja auch am Grab von Slobodan Milosevic eine Grabrede gehalten. Allgemein aber passen Kunst und Politik nicht zusammen, jeder Künstler sollte diese Paarung vermeiden, sie schadet dem Werk.

18. Es ist ja bekannt, dass Du viele Reisen unternimmst, was sich dann auchstets auf Deine Veröffentlichungen durch Bilder, Titel und Referenzen manifestiert. Wie schaffst Du es, Dir die Zeit dafür zu nehmen? Und wohin gehen Deine nächsten Reisen?

Ich bin ein fahrender Sänger in den terrae incognitae der Welt und versuche, überall, wo wir auftreten, einige Tage zu bleiben. Ich nehme mir einfach die Zeit für Land und Leute. Im allgemeinen bin ich sehr neugierig, vieles ist für mich Neuland, und ich bin mir meiner Bildungslücken stets bewußt. Ich bemühe mich immer, mich auf das Land vorzubereiten, in dem wir auftreten werden. Ich lebe nicht von der Musik, und daher gibt es für Allerseelen auch nicht die Notwendigkeit, unter Zeitdruck in zwei Wochen durch zehn Länder touren zu müssen. Meine nächsten Reisen gehen im Sommer in die Bergwelt. Allerseelen werden im Herbst wohl in Griechenland, Katalonien, Kastilien und vielleicht auch noch anderen Ländern spielen, und ich werde versuchen, für jedes dieser Länder Zeit zu haben. Ich habe schon mit achtzehn entschieden, daß für mich Zeit wichtiger ist als Geld. Das erleichtert mir meine Konzertreisen.

19. Was denkst Du, wie wird sich Allerseelen in den nächsten Jahren entwickeln?

Auch das ist für mich eine terra incognita. Auf der Bühne wird Allerseelen sicher in Zukunft ebenso dynamisch, rauh und rockig sein, weil ich auch weiterhin mit hervorragenden Live-Musikern zusammenarbeiten werde - hier einmal ein Dankeschön an meine Schlagzeuger Balazs und Gergö von Cawatana und die beiden Bassisten Jörg von Graumahd und Marcel von Halgadom - die beiden Bassisten sind allerdings bisher noch nicht gemeinsam bei Allerseelen auf der Bühne gestanden. Über die Zukunft von Allerseelen weiß ich kaum etwas, auch ich lasse mich überraschen. Allerseelen ist für mich immer Neuland, und ich bin eigentlich ganz froh, für dieses unbekannte Land gar keine Landkarte zu besitzen. Wie wird Allerseelen in einigen Jahren klingen? Ich weiß nicht einmal, wie die Tonkunst sein wird, die ich in wenigen Stunden aufnehmen werde. In jedem Klang ist eine ganze Welt von Möglichkeiten enthalten.

Vielen Dank & alles Gute!!!

john-stagliano für Neo-Form

 

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