Modernes Deutsch
«Grounding»: Unser Wort des Jahres. Aber keine Angst, der Trendbegriff wird bald wieder aus dem Alltagstalk verschwinden c wie «Samenraub» oder «Dotcomkrise».

Ralph Pöhner und Thomas Widmer

Eine zweifelhafte Auszeichnung: Nadja Abdel Farrag ist das «Luder des Jahres 2001». Die deutsche Zeitschrift «Laura» verlieh «Naddel», der Ex-Begleiterin von Schlägersänger Dieter Bohlen, den Titel nach einer Umfrage unter gut tausend Frauen. Auf Rang zwei kam das allgegenwärtige Partygirl Jenny Elvers. Rang drei: Model Angela Ermakowa, die mit Tennisstar Boris Becker in der Hotel-Wäschekammer ein Kind gezeugt hatte.

«Luder» c das alte Wort erlebte heuer seine Renaissance: Im Dezember 2000 hätte sich jede Frau diese Bezeichnung verbeten, im Dezember 2001 können die Medien das Attribut reihenweise verleihen, ohne dass Verleumdungsklagen drohen. Nach der Titelstory «Deutschland, deine Luder» im Unterhaltungsmagazin «Max» kamen sie alle ins Fachsimpeln: Die «Neue Revue» ernannte «Boxen-Luder» (Katie Price), «Hauptstadt-Luder» (Ariane Sommer), «Ur-Luder» (Uschi Obermaier).

Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» philosophierte über «phallozentrische Blicke» im Rahmen der «Luder-Welle», und die «Süddeutsche Zeitung» rätselte, ob denn Botschaftergattin Shawne Fielding «in die Luder-Liga» absteige. In der Schweiz brachten vor allem «Blick» und «SonntagsBlick» den Begriff unter die Massen. «Wenn eine Frau merkt, dass ihre beste Freundin ein Luder ist, hat sie schon verloren. Meistens den Mann», schrieb etwa der «SonntagsBlick» über Stéphanie von Monaco, die Claudine Knie den Gatten ausgespannt hatte.

Amüsante Seiten des ausklingenden Sprachjahrs. Betrachtet man 2001 in verbaler Hinsicht, so zeigt sich erstens: Es bescherte uns neue Begriffe massenhaft. Und zweitens: Das «Luder» ist eine Ausnahme, die meisten Karrierewörter 2001 entstammen den politischen und wirtschaftlichen Krisen. Das Düsterjahr brachte uns ungeheuerliche Kombinationen wie «Uranmunition», «Bioterror» und «Topterrorist», und es rief uns den Agentenausdruck «Schläfer» wieder in Erinnerung. Derweil bereicherte die Ökonomie den Sprachschatz mit Konstrukten wie «Dotcomkrise» oder «Gewinnwarnung», und wegen der Swissair erfuhren wir, was die «Nachlassstundung» so mit sich bringt.

Dem Airline-Schlamassel verdanken wir auch das Modewort 2001: «Grounding». Die Vokabel platzte nach dem Debakel auf dem Flughafen (respektive «Hub») Kloten ins Bewusstsein c dann verbreitete sie sich flugs als Synonym für alles, was abzustürzen droht. Mittlerweile hat sies geschafft, den «GAU» als grössten anzunehmenden Katastrophenbegriff zu verdrängen. Woher das «Grounding» stammt, ist logo: aus dem Englischen c wie alle Begriffslabels mit Pep.

Von den 3000 Wörtern, die der Fremdwörter-Duden dieses Jahr neu aufnahm, waren vier Fünftel Anglizismen, so «Benchmark», «designen» und «Fake», «Firewall», «updaten» oder «Womanizer». Unweigerlich bedient sich das Deutsche der Sprache der globalisierten Wirtschaft, des Internet, der Popmusik, der Wissenschaft sowie von Hollywood. Eine Ten-denz, die durch willfährige einheimische Wortschöpfer verstärkt wird c etwa durch die Leute in der Werbung, die jede Unterhose zur «Lifestyle Underwear» hochblufft.

Rund drei Viertel der Markeninserate haben einen englischen Sprachanteil. Was zeigt, wer die globale Superpower ist und wie sie redet: Amerikanisch. Sprache spiegelt schliesslich Macht und Prestige. Bislang hat es kein serbisches oder kosovarisches Wort ins Alltagsschweizerdeutsch geschafft, obwohl hier achtmal mehr Menschen aus Ex-Jugoslawien leben als aus allen angelsächsischen Ländern zusammen. Auch die Tamilen sind zwar in der Schweiz angekommen, nicht aber in der Sprache der Schweizer. Riesige Erdräume c etwa ganz Afrika c liefern der deutschen Sprache praktisch nie ein Wort. Der Beitrag Asiens besteht aus einzelnen, sehr spezifischen Fachtermini vor allem aus dem ferneren Osten: «Kroepok», «Manga», «Kyudoka». Einige Bezeichnungen aus dem Arabischen schlugen sich zwar nach dem 11. September in unsern Medien nieder: «el-Kaida» (Das Fundament), «el-Taqwa» (Die Gottesfurcht) und «al-Dschasira» (Die Insel). Aber sie schafften es nicht, Sinnbild zu werden und so ein zukunftsträchtiges Eigenleben zu entwickeln. Wohl wurde «Taliban» gelegentlich umgemünzt zum Synonym für «sturer Bock» c etwa von jenem Leserbriefschreiber, der über die «Taliban in der Bundesverwaltung» herzog. Doch erstens war das die Ausnahme, und zweitens dürfte nach dem raschen Ende des Paschtunen-Regimes Schluss sein mit derartigen Anspielungen.

Nein, es bleibt dabei: Wortimporte und Neuschöpfungen sind vor allem Englisch geprägt. Oft werden sie gar nicht mehr gemütlich umgedeutscht und eingebürgert wie im 19. Jahrhundert noch der Streik («strike») oder der Keks («cakes»). Sondern sie rutschen halb verdaut in unser Alltagsdeutsch: «canceln» für absagen; «chillen» oder «relaxen» für ausruhen; «tunen» für anpassen; «toppen» für übertrumpfen; «fooden» für essen; «gamen» fürs Spielen am Computer oder an der Konsole. Ob sie sich aber halten können, ist eine andere Frage.

Die meisten Neovokabeln sind «Zugvögel der Sprache», wie Dieter Baer es formuliert, der Leiter des Fremdwörter-Dudens: Kurz da, bald weg. «Die Modewörter kommen und gehen, es gibt wenig dauerhafte Gäste.» In Zahlen: Pro Jahr gelangen rund 5000 neue Wörter ins Umgangsdeutsch, aber nur etwa 300 bis 400 können sich fest einnisten. So ein Beispiel scheint das «Date», das sich in den letzten zehn Jahren leise eingeschlichen und sanft durchgesetzt hat: Wer wagt heute noch zu sagen, er habe ein Rendez-vous? Anderseits ist etwa der «Datenhighway» schon fast wieder verschwunden, jene bombastische Begriffskonstruktion, auf der noch vor fünf Jahren so viele Hoffnungen lagen. Die Sprache bildet halt ihre Zeit und deren grosse Themen ab. Zuverlässig spiegelt dies die jährlich von der Wiesbadener Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) erstellte Liste der «Wörter des Jahres». In den späten Siebzigern ging die Rote-Armee-Fraktion um: «Konspirative Wohnung» und «Rasterfahndung» zeugen davon. In den Achtzigern zeigten sich die Schattenseiten der Industriegesellschaft: «Waldsterben», «Glykol», «Ozonloch» und «Verpackungsflut». In den Neunzigern schliesslich trat das Politische zu Gunsten ökonomischer Ansprüche zurück: «Reformstau», «Sozialabbau», «Sparpaket» oder «Globalisierung» wurden «verbale Leitfossilien jener Jahre», wie GfdS-Forscher Gerhard Müller es ausdrückt.

Aber selbst Fossilien erwiesen sich als vergänglich. Ans Allerweltswort «ganzheitlich» aus dem Esoterik-Speak der Neunziger erinnert man sich kaum noch; das damals so wichtige Schlagwort vom «schlanken Staat» nutzt kaum noch einer, nachdem im Fall Swissair die Politik der Wirtschaft beistehen musste.Was wir heuer erlebten, war c das totale Grounding des Deregulierungs-Speak.

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1. Ciabatta
a) neapolitanischer Modetanz
b) italienisches Knusperweissbrot
c) Mailänder Trendschuhlabel
d) Vespa-Modell

2. Digipulation
a) Datenmanipulation
b) Fingerarthrose
c) Fremdwort für SMS schreiben
d) Operationstechnik mit Laser

3. Falun Gong
a) Behördlich verfolgte Meditationsbewegung aus China
b) japanisches Glockeninstrument
c) koreanische Variante der Trennkost
d) buddhistische Meditationsmusik

4. Firewall
a) Mundgeruch von Schnapstrinkern
b) Antiwaldbrand-Schutzsystem
c) flambiertes Modedessert
d) Schutz für Computer-Netzwerk

5. Fogging
a) Einnebeln in der dreidimensionalen Computergrafik
b) Jogging im Nebel
c) Vertuschungs-Machenschaften
d) Trockeneis-Effekt in der Disco

6. Kyudo
a) japanische Wurftechnik
b) japanisches Bogenschiessen
c) japanisches Geduldspiel
d) japanischer Hip Hop

7. lurken
a) neue Tanztechnik
b) online auf der Lauer liegen
c) im Internet flirten
d) Lurche beobachten

8. Postdoc
a) Trauma nach Arztbesuch
b) Dokumentalist bei der Post
c) Stecker an DVD-Gerät
d) Wer nach der Doktorarbeit weiterforscht

9. probiotisch
a) fanatisch in Ökofragen
b) Verkaufstisch in Ökoläden
c) mit darmfreundlichen Bakterien versehen
d) biologieinteressiert

10. Zorbing
a) tanzen wie Zorbas, der Grieche
b) neue Frust-Therapie
c) umstrittene Verhütungsmethode
d) Rollen in einem menschengrossen Ball

Lösung:
1b, 2a, 3a, 4d, 5a, 6b, 7b, 8d, 9c, 10d.

Inseln der Sprache

Umgangssprachliche Redewendungen zeigen sich resistent gegen die Moden.
Unsere Alte Sprache wird von global nivelliertem Techno-Speak verdrängt, überall breiten sich die Anglizismen aus c so die gängige Befürchtung. Aber easy! Oder besser: gemach! Das moderne Deutsch ist noch voll von Begriffen und stehenden Wendungen, aus denen der Staub alter Zeiten rieselt: Wenn wir ein Handy-Gespräch beenden, sagen wir weiterhin «ich häng dann auf», in vielen Dialekten «drehen» wir das Licht aus, auch wenn sich kaum noch jemand an die Drehschalter erinnern kann. Wer empört einen Leserbrief schreibt, «greift zur Feder», obwohl er höchstens Computermaus und Tastatur bedient. Und ein undurchschaubarer Mensch ist auch 2001 noch ein «Buch mit sieben Siegeln»; er wird nie zur «passwortgeschützten Festplatte». Denn in ihren Redewendungen und geflügelten Worten ist die Sprache enorm beharrlich. «Fest ist etwas, wenn es zum Bild erstarrt c und zwar inhaltlich wie formal», sagt Dieter Baer von der Duden-Redaktion. Ergo werden wir noch lange «zu Kreuze kriechen» c mitsamt dem veralteten Dativ. Und wer Opfer einer der drohenden Personalabbau-Massnahmen wird, bekommt auch 2002 umgangssprachlich «den blauen Brief»; das ist «ein alter Hut», natürlich, denn Briefe in blauem Umschlag wurden im Preussen des 19. Jahrhunderts versandt, um Offiziere zu entlassen. Und so hält die Sprache in ihren Redewendungen selbst im engeren Technik-Bereich nicht mit der Entwicklung mit. Wohl leben wir mittlerweile im Zeitalter des Flachbildschirms, aber wir gucken immer noch «in die Röhre».

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