GESELLSCHAFT


 

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Single Belles

Attraktiv, intelligent - und solo. Viele Frauen finden keinen Mann, der ihren Ansprüchen genügt. Singles zwischen One-Night-Stand und Happy End sind ganz schön allein.

Von Ruth Brüderlin

Das Telefon bleibt stumm. Michelle (Name von Red. geändert), 24, tigert rastlos durch die Wohnung. Ein kurzer Kontrollgriff bestätigt zum wiederholten Mal: Der Apparat funktioniert. Um 11 Uhr sollte Roger anrufen. Inzwischen ist Nachmittag, Michelle kocht vor Wut. Roger wollte sie unbedingt treffen. Deshalb hatte sie sogar widerwillig eine Wochenendreise verschoben. Gegen Abend ist endgültig klar: Roger hat sie versetzt.

Michelle ist eine Frau wie aus dem Bilderbuch: intelligent, schön, charmant, eine witzige Gesprächspartnerin - und allein. Eine Superfrau, aber Single. Michelle studiert Jura und verdient sich ihren Lebensunterhalt in einer Unternehmensberatung. Trotzdem findet die tolle Frau ohne erkennbaren Makel keinen ebenso tollen Mann.

Vielen Single-Frauen in der Schweiz ergeht es wie Michelle. Sie haben alle Attribute einer Traumfrau - aber keinen Partner.

Dabei wäre die Auswahl an Männern theoretisch immens. Über zwei Millionen Menschen in der Schweiz leben in einem Einpersonenhaushalt; Alleinerziehende bei- derlei Geschlechts, die ebenfalls tendenziell an einer neuen Beziehung Interesse haben, nicht eingerechnet. Und: 60 Prozent der Singles sind männlich. Frauen können also unter einer Million allein stehender Männer auswählen. Theoretisch. In der Praxis aber sind die amourösen Perspektiven für Single-Frauen alles andere als paradiesisch.

Für dieses Phänomen hat die weibliche Spezies eine einfache Erklärung: Männer haben Angst vor starken Frauen. Der Zürcher Psychologe und Paartherapeut Ernesto Hofmann bestätigt diese These. «Männer haben Angst. Vor Frauen im Allgemeinen und vor Superfrauen im Speziellen.» Den Grund sieht er im Sexualtrieb. Dem seien Männer nämlich viel mehr ausgeliefert als Frauen.

Latent hegten die Herren der Schöpfung die Befürchtung, der weiblichen Erotik hemmungslos zu verfallen und dadurch manipulierbar zu sein. Hat eine Frau nicht nur Sexappeal, sondern ist auch intellektuell auf der Höhe, wird sie gemäss Hofmann zur ernst zu nehmenden Rivalin.

Wurde Traumfrau Michelle also wegen ihrer Überlegenheit von Roger versetzt? Das weist der muntere Vertreter aus Bern weit von sich. «Ihr freches Mundwerk hat mich zwar beeindruckt, aber nicht abgeschreckt.» Für ihn war die Sache simpler: «Als ich merkte, dass ich sie für mich gewonnen hatte, verlor ich das Interesse.» Roger mag mit seiner Einschätzung Recht haben oder nur seine Angst vertuschen - seine Strategie ist interessant. Denn sie ist typisch im Kampf der Geschlechter.

Während Männern nachgesagt wird, sie seien schnell begeistert, liessen aber eine gewisse Nachhaltigkeit vermissen, brauchen Frauen offenbar eine Aufwärmphase, ehe sie sich näher auf einen Mann einlassen. Deswegen sind sie auf der emotionalen Ebene leicht verwundbar. Das wissen Männer ganz genau und nutzen es aus. Sie umschmeicheln und umwerben ihr Objekt der Begierde, bis das Interesse der Frau geweckt ist.

Dann zeigt man der vorher Angebeteten die kalte Schulter und lässt sie am ausgestreckten Arm verhungern. Diese Methode beschreiben die beiden deutschen Autorinnen Ingrid Jenckel und Angela Voss äusserst witzig in ihrem Buch «Böse Männer kommen in jedes Bett».

Eine weitere beliebte Waffe, um starke Frauen kleinzukriegen: Der Mann macht auf hilflos und appelliert an den Mutterinstinkt. Sachbearbeiterin Christine, 36, aus Zürich kennt das nur zu gut. «Ich bin eine bliebte Klagemauer und ziehe schwache Männer magisch an», sagt sie. Doch von einem Partner erwartet sie genauso viel Selbstständigkeit, wie sie selber tagtäglich beweist.

Für einen Mann das Mami spielen, ist die Schreckensvision von Erika, 39, aus Zug: «Ich wasche seine Wäsche nur, wenn er meine auch wäscht», sagt sie. «Ich will einen selbstständigen, ebenbürtigen Partner, sonst bleibe ich lieber allein.» Frauen sind je länger, je weniger gewillt, die dienende Funktion in einer Partnerschaft zu übernehmen. Ironie des Schicksals: Erika wurde von ihrem Lover Patrizio verlassen, weil sie ihm angeblich zu anhänglich und häuslich war.

Gute starke Frauen, böse schwache Männer - diese einfache Gleichung lässt die deutsche Psychoanalytikerin Maja Storch nicht mehr gelten. Sie windet den Männern im Gegenteil ein Kränzchen. «Ich merke in meiner Praxis immer wieder, dass viele Männer extrem guten Willens sind, ihren Teil zu einer besseren Verständigung der Geschlechter beizutragen», sagt sie. Storch vermutet, Frauen stellten sich oft selber ein Bein. Ihr Buch «Die Suche der starken Frau nach dem starken Mann» ist wenige Wochen nach Erscheinen bereits ein Verkaufsrenner. Darin ortet Storch die «innere Tussi» als wahre Saboteurin einer glücklichen Partnerschaft.

Viele starke Frauen beherbergen gemäss Storch in ihrem Unbewussten ein unselbstständiges Wesen, das mit der bösen Welt überfordert ist. Dieses peinliche kleine Luder wird sorgfältig unter Verschluss gehalten, weil es nicht zum rationalen Selbstbild einer autonomen Frau passt. Doch was verdrängt wird, kommt prompt im dümmsten Moment zum Vorschein. Aus einer selbstsicheren Frau wird dann scheinbar ohne jeden Anlass ein klammerndes, jammerndes, nerviges Etwas. Meist verschwindet es zwar schnell wieder. Doch nur schon auf das Auftauchen eines abhängigen Weibchens reagieren manche Männer mit Panik und suchen das Weite. Denn sie wollen nicht in die alte Ernährer-und-Beschützer-Rolle gedrängt werden.

Die Psychologin Marie-Luise Imholz erklärt dieses Paradox: «Auf bewusster Ebene wünschen sich Männer eine starke Frau. Es schmeichelt ihrem Ego und wertet sie in den Augen der Öffentlichkeit auf. Unbewusst aber haben sie Angst, dieser perfekten Überfrau ausgeliefert zu sein.»

Gerade Männer, die frisch aus einer Partnerschaft kommen, ahnen ein neues Desaster voraus, bevor sie die Frau richtig kennen gelernt haben, schreibt die spitzzüngige New-Yorker Kolumnistin Candace Bushnell. «Man trifft jemanden, ist aufgeregt. Dann merkt man, dass die Zweisamkeit Probleme mit sich bringt, und lässt im Zweifelsfall die Finger davon.»

So bleibt man lieber Single und geniesst seine Freiheit. Isst morgens um drei eine Pizza vor dem Fernseher, verbringt den Sonntag ungewaschen im Pijama oder unternimmt ein ausgedehntes Bar- und Party-Hopping - sofern man sich traut. Denn wirklich geniessen kann seine Freiheit nur, wer in allen Lebenslagen selbstständig ist. Das lernen selbstbewusste, erfolgreiche Frauen nicht über Nacht. Die meisten müssen sich ihre Autonomie erkämpfen. Alleine ins Kino gehen, alleine in ein Restaurant, alleine in Bars und Klubs? Sehr schwierig - aber lernbar.

Die amerikanische Autorin Marcelle Clements hat das Single-Phänomen untersucht und kommt zum Schluss: Frauen kommen generell sehr viel besser mit dem Single-Dasein zurecht als Männer. Die wenigsten weiblichen Singles seien wirklich unglücklich mit ihrem Leben. Obwohl heute jede bessere Land-Disco Single-Partys veranstaltet und Dating-Shows auf fast allen Fernseh-Kanälen etwas anderes vermuten lassen.

Gemäss einer amerikanischen Studie klagen nur 17 Prozent der Single-Frauen über gelegentliche Überforderung. Bei den Verheirateten mit Kindern und Job stehen 24 Prozent unter Dauerstress. Weibliche Singles haben sogar als Anlegerinnen die besseren Karten. Der Wertzuwachs ihrer Portfolios ist durchschnittlich um 2,3 Prozentpunkte höher als jener von Single-Männern. Single-Frauen, berichtet die Studie, sind zudem sportlicher als Frauen mit einem festen Partner, sie essen mehr Obst und schlafen besser.

Schöne, selbstbewusste, erfolgreiche Single-Frauen sind offenbar so verbreitet, dass sie bereits in amerikanischen Serien Einzug gehalten haben. Die etwas konfuse, aber sympathische Anwältin Ally McBeal und die rigorose Ronnie aus «Veronicas Closet» sind nicht nur Kult, sondern taugen auch bestens als Rollenvorbilder. Doch selbst diese scheinbar perfekten, patenten Überfrauen sehnen sich gelegentlich nach einer starken Schulter. Und finden sie auch immer wieder.

Der Status Single ist eine variable Grösse, jeder und jede ist es zeitweise oder immer mal wieder. Die wenigsten wählen ihn als permanente Lebensform. «Single zu sein, wird als Zwischenphase empfunden», sagt François Höpflinger, Professor am Soziologischen Institut der Universität Zürich. Allerdings sind gut ausgebildete Frauen viel häufiger Single. Das heisst nicht, dass sie prinzipiell einen Partner verschmähen. Aber Heirat und Kinder stehen nicht zuoberst auf der Prioritätenliste.

«Ich möchte einen Freund, aber auf keinen Fall Kinder», sagt Single-Frau Katja und betont, dass sie es wirklich ernst meine. Sie könne nichts mit Kindern anfangen, sie passten einfach nicht in ihren Lebensentwurf, begründet sie ihren Entscheid. Katja hat zwar keinen Hochschulabschluss, aber sie steht mit beiden Beinen im Berufsleben. Und das solle so bleiben.

«In der Schweiz ist es immer noch sehr schwierig, Beruf und Kinder zu vereinen», sagt François Höpflinger. Seine Studien belegen, dass nur acht Prozent der Frauen ohne Lehrabschluss kinderlos bleiben, bei jenen mit Hochschulabschluss sind es jedoch 35 Prozent. Früher kamen Frauen um Heirat und Kinder kaum herum, wenn sie sozial abgesichert sein wollten. «Bis Mitte der Achtzigerjahre war eine Heirat die effizienteste Methode für eine Frau, sozial aufzusteigen», sagt Höpflinger.

Dank besserer Ausbildung haben Frauen so etwas heute kaum mehr nötig. Und entziehen den Männern die wichtigsten Waffen im Eroberungsfeldzug: Geld, Prestige, Macht. «Ich brauche keinen Mann, der mir ein nettes Einfamilienhaus plus Auto bietet und aus mir ein Heimchen am Herd machen will», sagt Carola, 40, aus dem Glarnerland. Trotz drei Kindern mangelt es ihr nicht an Verehrern. «Doch gerade auf dem Land sind die Männer sehr besitzergreifend und haben mit 30 schon Torschlusspanik», mokiert sie sich.

Heute können Frauen für sich selbst sorgen. Ein Mann ist angenehmer Luxus. Man leistet ihn sich zum Vergnügen und zur Entspannung. Selbst für die Reproduktion ist er dank künstlicher Befruchtung nicht mehr zwingend erforderlich. Paradox: Das Single-Dasein ist eines der - unfreiwilligen - Resultate der Emanzipation. Goldene Fesseln lässt man sich nicht von irgendeinem Kerl anlegen -ein Traumprinz sollte es schon sein.

Den schönen, charmanten Single-Frauen Egoismus zu unterstellen, wäre aber unfair. Sie sind durchaus nicht männerfeindlich. Erika spricht aus, was viele Singles denken: «Ich will beides. Meine Freiheit und die Sicherheit einer Partnerschaft.»

Klar ist: Mit dem nächstbesten Mann geben sich die wenigsten Frauen zufrieden. Verunsicherung macht sich breit hüben wie drüben. Die Frauen hegen diffuse Wünsche, bei denen Adjektive wie «charmant, witzig, selbstständig» vorkommen. Die Männer wiederum fragen sich, was sie eigentlich bieten müssen, um bei den Frauen auf Wohlwollen zu stossen. «Ich fühle mich unter Druck», erklärt Martin, Banker aus Basel. «Frauen wollen Männer mit durchtrainiertem Body, die gute Zuhörer sind, einen prestigeträchtigen Job haben und dazu ihre Gedanken lesen können. Das schafft keiner.»

«Die Ansprüche der Frauen sind gestiegen», bestätigt Soziologe Höpflinger. «Die Männer sind willens, aber sie verheddern sich immer noch in den Resten patriarchalischer Fallstricke.» Aus lauter Unsicherheit trauen sich viele Männer in den Städten nicht einmal mehr, eine Frau anzusprechen. Wurde jahrelang gejammert, Frau könne sich der männlichen Anmache kaum erwehren, hört man heute immer öfter das Gegenteil. Männer warten, bis sie von einer Frau «gepflückt» werden. Hat sie ihn dann erfolgreich nach Hause gelockt, will er lieber kuscheln als Sex.

Nur mit Glück ist ein potenzieller Mister Right auch ein williger Mister Right now. Dabei empfiehlt Jutta Wellmann in ihrem Single-Ratgeber «Glücklich allein» ausdrücklich One-Night-Stands gegen Einsamkeit. «Die stärken das Selbstbewusstsein», behauptet die Autorin. Doch so einfach ist die Sache nicht. Singles klagen über zu wenig Sex.

Weitaus die meisten sexuellen Begegnungen spielen sich innerhalb einer Partnerschaft ab. Der swinging Single, der jede Nacht einen anderen Partner nach Hause schleppt, gehört ins Reich der Märchen. «Es braucht Zeit und Nerven, um auf den Aufriss zu gehen», sagt Eliane Schweitzer, Sexberaterin beim «Blick». Ausserdem sind die Herren nicht immer willig, auch sie haben Migräne und Unwohlsein für sich entdeckt. Die Mär von der Frau, die jederzeit einen Kerl fürs Bett haben kann, ist meilenweit von der Realität entfernt. «Das funktioniert höchstens, wenn eine Frau absolut anspruchslos ist und buchstäblich jeden nimmt», sagt Schweitzer.

Zudem: Wenn die Liebesnacht schön war, sagt Schweitzer, will man mehr, und schon geht das Drama von vorne los. Also lassen die verunsicherten Männer es beim lockeren Flirt bewenden. Ehe man etwas Falsches macht, setzt man sich lieber wortlos ab. Und die versetzte Frau lungert ums Telefon und wundert sich, warum es nicht klingelt.

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«Es gibt keine Rollenmodelle mehr»


Bücher zum Thema

***

Cheryl Benard und Edit Schlaffer,
«Die Emotionsfalle»,
Wolfgang Krüger.
Frauen sind Spezialistinnen in Gefühlsangelegenheiten, heisst es. «Alles falsch», sagen die beiden Wiener Sozialwissenschaftlerinnen und treten den Frauen genüsslich ans Schienbein. Zu deren Vorteil, wohlgemerkt.

**
Vera Peiffer,
«Die Kunst, das Alleinsein zu geniessen»,
Midena.
Praktischer Ratgeber für Singles-Anfängerinnen.

****
Maja Storch,
«Die Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann»,
Walter.
Witzig, spritzig, manchmal bitter - und eine Erleuchtung für Frauen und Männer, die sich immer wieder wundern, warum ständig ein Wurm an der Zweierkiste nagt.

**
Ingrid Jenckel und Angela Voss,
«Böse Männer kommen in jedes Bett»,
Marion Von Schröder.
Exzellente Gedanken, verpackt in viele Klischees. Achtung Männer: Das Buch ist männerfeindlich! Aber für Frauen die reinste Genugtuung.

*
Karin Schramm,
«Zauberhafte Hexensprüche»,
ProSieben Edition.
Wenn Hopfen und Malz verloren scheinen, hilft Quacksalberei allenthalben. Oder so etwas Ähnliches.

Links

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