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Saubere Stadt

«Ein grober Unfug»


Mit provozierenden Plakaten und Schildern wollen die Städte ihre Einwohner zu mehr Sauberkeit erziehen. Doch die Kampagnen sind peinlich und kontraproduktiv.
von Stephanie Riedi

Der Pudel versteht kein Berndeutsch. Auch das Hunde-Piktogramm auf dem Schild ist ihm schnuppe. Hechelnd hebt er das rechte Hinterbein und wässert die Esche.

«Schysshung» prangerts schwarz auf weiss unterm roten Kreis auf der blechernen Verbotstafel ­ keine zehn Meter von Pudels Geschäft. Das Sujet gemahnt Hundehalter, die Stadt Bern sauber zu halten. «Schysshung» ist eines der Motive, mit denen die neue Kampagne «Saubere Stadt» Schmutzfinken erziehen will.

Bern, Basel, Zürich. Allerorten monieren Behörden die schleichende Vermüllung der Städte. In Bern wurden letztes Jahr 3700 Tonnen Abfall aus den Strassen und Pärken weggekarrt. Das sind zweimal mehr als 1994. In Basel müsse die Stadtreinigung viermal häufiger ausrücken als noch vor zehn Jahren, sagt André Frauchiger, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit des Basler Tiefbauamtes. Für Zürich liegen keine Zahlen vor, da der Müll von öffentlichem Grund nicht separat gewogen wird.

Den Städten gehts dreckig. Es wird auf die Strasse gereiert, gespuckt, gepisst. Pizzakartons und PET-Flaschen bleiben auf der Parkbank liegen. Kehricht und defekte Haushaltgeräte werden nächtens wild deponiert. Grund genug für den Staat, seine Bürger in die Zucht zu nehmen.

Wie es den «Tag der Hebammen» gibt, ruft man seit 17 Jahren in 120 Ländern zum so genannten «Clean-up Day» auf. Doch der Anti-Abfall-Feldzug zeitigt bislang wenig Erfolg. «Wir konnten noch keine markante Verhaltensänderung bei den Bewohnern herbeiführen», sagt der Berner Gemeinderat Alexander Tschäppät rückblickend auf die Sauberkeitskampagne 2001. Deshalb wurden für 2002 weitere 80 000 Franken lockergemacht und die aufreizende Kampagne lanciert. «Sie soll bewusst provozieren, gleichzeitig aber auch mahnen», sagt Tschäppät.

Mit oder ohne Hund. Gäste der «blue-metröglete» Bundeshauptstadt sind derzeit irritiert: Sie werden als potenzielle «Dräckfötzu», «Chotzbrocke» tituliert. Bern geht jetzt aufs Ganze. Nach Abfalleimer-Rülpsbären, die Merci sagten, wenn man den angebissenen Burger in ihren Rachen warf, und Kübel-Sujets wie «Dein Schmutzengel» redet man nun nichts mehr schön. Versucht, das Klischee der sauberen Schweiz mit Kraftausdrücken aufzupolieren. Vergeblich. Die Sisyphosarbeit vergrault allenfalls Stadtbewohner und Touristen.

Politiker sind offenbar zur Überzeugung gelangt, dem Menschen sei es nicht mehr zuzutrauen, Eigenverantwortung zu übernehmen. Doch der Backlash der Politik in Zucht und Ordnung scheint eher den Sauniggel in uns zu provozieren. Slogans, die in ihrem Sprachgebell an sozialistische Propaganda erinnern, lösen Adrenalinschübe aus. In Zürich kam es zu Vandalenakten mit Schäden von mehreren 10 000 Franken ­ Transparente, Abfallbehälter und Plakatständer der Sauberkeitskampagne fielen der Zerstörungswut anheim. In Bern wurden «Schysshung»-«Dräckfötzu»-Schilder demontiert und demoliert.

Der Wunsch von Gemeinderat Tschäppät, «die Leute mit Humor auf das Problem aufmerksam zu machen», erwies sich als Illusion. Die Kampagne werde nicht von allen geschätzt, sagt er. Ursache sind nicht nur die Slogans. Berns Putzpolitik zielt auch auf «unliebsame Minderheiten», was, laut Tschäppät, «von Linken nicht goutiert wird». Im Klartext: Durch die Belebung öffentlicher Plätze sollen Randständige verdrängt werden. «Leute, die kiffen, Leute aus dem Umfeld der Reitschule mit Hunden, aber auch Alkoholiker. Kurz: all jene, die sich nicht an die Spielregeln halten, sollen rausgedrängt werden», wurde Anfang Juni mitgeteilt.

Die allgegenwärtige Massregelung erinnert an den Kultroman «1984» von George Orwell. Vor mehr als 50 Jahren entwarf der englische Schriftsteller das düstere Bild einer Welt der totalen Überwachung durch «Big Brother»: Überall hängen Plakate mit Parteislogans. Wer nicht pariert, gilt als Dissident. Heute verstösst gegen die Regel des städtischen Sauberkeitsprogramms, wer seinen Müllsack mittags anstatt abends vor die Haustür stellt. Prompt hagelts Bussen.

Auch in Zürich bleibt keiner vom Sauberkeitsappell verschont. Berittene Polizeipferde in gelben Gamaschen mit schwarzen Ausrufezeichen patrouillieren an der See-promenade. Gäste und Eingeborene werden mit Transparenten, Plakaten und Flyern schon mal prophylaktisch zur Raison gebracht. Damit es auch jeder kapiert, gibts die 16 Benimmregeln in 12 Sprachen inklusive Standortplan der Züri-WCs.

«Willkommen in Zürich» heisst es in schwarzen Lettern auf gelbem Grund. Der russische Schriftsteller Wladimir Kaminer war bei seinem Besuch ob des Willkommensgrusses entzückt. Doch beim Lesen des Kleinergedruckten beschlich ihn «ein merkwürdiges Gefühl, so als würde ich eine Schweizer Uhr von innen besichtigen». Nun, Kaminer sah sich mit Sauberkeitspostulaten zwinglianischen Geistes konfrontiert: «Auf Hundekot steht hier niemand», «Erlaubt ist, was nicht stört», «WC benutzen».

Die verantwortliche Zürcher Polizeivorsteherin Esther Maurer sagte in einem Interview mit dem «Magazin», auf Sinn und Zweck der Kampagne angesprochen: «Damit haben wir ganz klar einen erzieherischen Anspruch. Die Menschen sind in den letzten Jahren dreister und egozentrischer geworden.»

Zu den Berner Erziehungsmassnahmen gehört auch ein so genannter Nichtreinigungstag, geplant für August oder September. Damit soll gezeigt werden, wie viel Abfall während 24 Stunden anfällt. In Zürich schlug der Entsorgungsstreik vergangenes Jahr fehl. Man liess den Müll liegen in der Hoffnung, die Leute würden sich an der Nase nehmen und ihre Bierbüchse zum Abfallkübel tragen. Irrtum.

Als die Müllberge immer weiterwuchsen, musste der Versuch abgebrochen werden. Die Basler sind vorsichtig geworden, was Zucht und Ordnung anbelangt. «Die Reinigungsaktionen zum ÐClean-up Dayð vergangenes Jahr kamen nicht überall gut an», sagt André Frauchiger vom Tiefbauamt. Auf provokative Plakatkampagnen habe man bewusst verzichtet. «Wir wollen nicht aggressiv auftreten. Schliesslich werden die Aktionen mit Steuergeldern bezahlt.»

Die Basler Plakate wenden sich denn auch nicht an potenzielle Delinquenten. Mit verniedlichenden Sujets wie «Harry Proper» oder «Tim und Strupper» will man lediglich Sympathie für die Mitarbeiter der Stadtreinigung wecken. Die «Maischter Proper» leiden offenbar unter der geringen Anerkennung, «wodurch ihre Motivation negativ beeinflusst wird».

Vielleicht sollten es die Basler den Bernern nachtun. Im Rahmen der Sauberkeitskampagne 2001 sind 35 Stadträte dem Aufruf von Tschäppät gefolgt. Mit Besen und Schaufel bewehrt, haben sie während gut einer Stunde die Innenstadt gekehrt.

Nur: Um die Alibi-Übung hat sich kaum ein Pudel geschert.



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«Ein grober Unfug»

Frank Baumann findet, dass Erziehung Sache der Familie und nicht des Staates ist.

FACTS: Herr Baumann, wann stellen Sie jeweils den Kehrichtsack vor die Haustür?
Frank Baumann: Das ist ein Drama in unserer Familie. Meines Erachtens erledige ich das routinemässig, werde jedoch immer wieder von meiner Frau darauf hingewiesen, es wieder vergessen zu haben.

FACTS: Aber Sie kennen die in der Schweiz gängige Regelung für die zeitlich korrekte Kehrichtentsorgung?
Baumann: Bei Bedarf beim Nachbarn in den Container werfen? Nein, ich weiss nicht, wann der Kehricht abgeholt wird. Ich liege schliesslich nicht auf der Lauer.

FACTS: Abfallsäcke dürfen erst am Vorabend des Abholtermins rausgestellt werden. Haben Sie je Müll wild entsorgt?
Baumann: Dafür wäre mir der Aufwand zu gross ­ ins Auto sitzen und irgendwohin fahren. Ausserdem wurde ich so streng erzogen, dass ich Kaugummipapierchen reflexartig im Hosensack und nicht im Strassengraben deponiere.

FACTS: Sie verhalten sich mustergültig. Fühlen Sie sich durch die Abfall-Kampagnen provoziert?
Baumann: Die Kampagnen sind ein grober Unfug, eine Bevormundung. Erziehung kann nicht durch den Staat erfolgen. Das hat vielleicht in der ehemaligen Sowjetunion funktioniert, wo die Bevölkerung durch Lautsprecher gedrillt wurde. Bei uns klappt das nicht. Erziehung ist Sache der Familie.

FACTS: Wie bringen Sie Ihren Kindern ordentliches Verhalten bei?
Baumann: Militärisch. Ich sage: «Jetzt wird der Kehrichtsack rausgetragen!» Manchmal verwende ich noch einen Kraftausdruck. Dann zuckt der Hund zusammen.

FACTS: Apropos Hund. Ein beliebtes Thema der Sauberkeitsapostel.
Baumann: Auch ich rege mich über Hundekot auf. Aber «Rossbollen» auf Feldwegen sind ebenfalls ärgerlich. Kein Reiter wird zum Aufkehren angehalten.

FACTS: Das ist eher ein ländliches Problem. Wie wirken sich die Abfall-Kampagnen aufs Image der Städte aus?
Baumann: Kleinlich, pauvre.

FACTS: Sie sind Werber. Was schlagen Sie vor?
Baumann: Schwierig zu sagen. Ich erinnere mich an eine Geschichte von Mark Twain, die in der Schweiz spielt. Twain versucht darin, ein Papierchen loszuwerden. Doch kaum hat er es fallen gelassen, eilt ein Schweizer herbei, um ihm zu sagen, er habe etwas verloren. Die Schweizer sind bekanntlich hilfsbereit. Vielleicht sollte man Demonstrationen solcher Art lancieren.

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