Die Schweiz im zweiten Weltkrieg.

Erinnerungen eines Aktivdienstsoldaten

General Henri Guisan

Robert Borer, Tobel

 Die Epoche des zweiten Weltkriegs wird für die Schweiz für immer mit dem Namen Henri Guisan verbunden bleiben. Dieser Waadtländer verkörperte als Oberbefehlshaber der Armee den Wehrwillen des Volks, den Willen zur Unabhängigkeit und Aufrechterhaltung der Neutralität. Eigentlich war Guisan während des zweiten Weltkriegs, wie seinem Vorgänger im ersten, eine rein militärische Rolle zugedacht. Aber die Umstände und seine überragende Persönlichkeit brachten es mit sich, dass General Guisan zum Symbol der Verteidigung gegen das Naziregime wurde. Er hat nicht, wie etwa die Feldmarschälle Rommel und Montgomery, seinen Ruhm auf den Schlachtfeldern erworben. Guisan hat ein gütiges Schicksal diese Rolle erspart.

Die grosse Rolle seines Lebens war nicht in erster Linie eine militärische, sondern eine politische, patriotische und menschliche. Das Wirken Guisans lässt sich im weitesten Sinn mit der Rolle Winston Churchills vergleichen, der für England das Symbol für den Widerstand gegen Hitler-Deutschland verkörperte. Dazu kam, dass es Guisan verstand, engen Kontakt zu hoch und Nieder in Volk und Armee zu halten. Er behandelte einen Soldaten nicht anders als einen Obersten und konnte mit einem Bankier genau so gut umgehen wie mit einem Arbeiter oder Gewerkschaftsführer.

Für die Nachkriegsgeneration ist es wohl nur schwer nachvollziehbar, dass ein General der Schweizer Armee so populär werden konnte. Um dies wirklich zu verstehen, muss man sich in jene Zeit von 1939 bis 1945 zurückversetzen. Nach dem Anschluss Österreichs ans Reich und der Eroberung Frankreichs durch die Deutschen war die Schweiz ganz von den Achsenmächten Deutschland und Italien umschlossen.

Das Schweizer Volk war in seiner grossen Mehrheit gegen die Nazis eingestellt. Aber der Nervenkrieg Deutschlands gegen die Schweiz und seine glänzenden militärischen Siege brachten etliche Mitglieder des Bundesrats und im höheren Offizierskorps zur Überzeugung, dass sich unser Land nicht länger der «Neuen Ordnung und Anpassung» ans Reich Hitlers entziehen könne.

Diese Meinung gipfelte in der berüchtigten Rede von Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz am 25. Juni 1940 und in der Tatsache, dass er eine Delegation der «Nationalen Front» empfing, die offen den Anschluss der Schweiz ans Nazireich propagierte. Dies führte zu einem ungeheuren Entrüstungssturm innerhalb der Bevölkerung und zu einer richtiggehenden Staatskrise.

Die Stimmung und Verunsicherung des Schweizer Volks wurde noch dadurch verschlimmert, weil sich auch höhere Offiziere negativ zu den Bestrebungen General Guisans äusserten, die Schweiz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen jeden Angreifer zu verteidigen.

Als dann der General beim berühmten «Rütlirapport» am 26. Juli 1940 nochmals seinen Willen zur Verteidigung des Landes bekundete, wusste das Volk, dass es in der Schweiz nur noch eine Autorität gab, nämlich Henri Guisan. Diese Meinung wurde noch dadurch gefördert, dass es General Guisan verstand, mit allen Bevölkerungskreisen loyal umzugehen. Er hatte ausserdem einen ungeheuren politischen Spürsinn, um den ihn jeder Berufspolitiker nur beneiden konnte. Henri Guisan war nun nicht mehr der General, sondern war zum Symbol geworden, zu dem das Volk mit grosser Achtung und Verehrung aufschaute.

 An der Landi 1939

Als 17-Jähriger schaute ich mir aus Anlass der Eröffnung der «Landi»im Mai 1939 den riesigen Festumzug an, der sich durch die Strassen Zürichs bewegte. Auf der Ehrentribüne sassen nicht nur Mitglieder des Bundesrats, sondern auch alle höheren Offiziere. Nach Schluss des Umzugs warteten die hohen Herren in respektvoller Distanz zum gemeinen Volk auf ihre Dienstwagen. Da sah ich, wie einer der «bekränzten» Offiziere sich ungeniert unter die Zuschauer mischte, wobei er krampfhaft versuchte, seinen Stumpen anzuzünden, was ihm aber nicht gelingen wollte. Ich war kaum mehr als zwei Meter von diesem Oberstkorpskommandanten entfernt, als ihm ein älterer Herr Feuer gab. Der Offizier bedankte sich mit einer leichten Verbeugung und den Worten «Merci bien Monsieur». Da wusste ich, das war ein Welscher, aber wie er hiess, wusste ich damals nicht. Aber als ich nach der Generalswahl am 30. August 1939 das Bild des neuen Armeechefs in der Zeitung sah, da erinnerte ich mich jenes freundlichen Offiziers und wusste nun, das war Henri Guisan.

Am Bahnhofplatz Zürich

Etwa 1942 sah ich beim Vorbeigehen vor dem Zürcher Hauptbahnhof einen grossen, graugestrichenen «Amischlitten» mit zurückgelegtem Verdeck parkiert. Hinten am Wagen befand sich ein graues Schild mit der Aufschrift «Der General». Da blieb ich natürlich stehen und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Das graue Militärauto war auch von andern Passanten bemerkt worden, und im Nu hatte sich eine grosse Menschenmenge angesammelt.

Dann kam der General, fast jugendlich und federnden Ganges durch den Bahnhof, nur von einem Adjutanten begleitet. Alle Leute klatschten und versuchten, dem freundlich lächelnden General die Hand zu schütteln oder ihn wenigstens berühren zu dürfen. Mit Mühe gelang es Henri Guisan, durch das Gedränge zu seinem Auto zu gelangen, umjubelt von der grossen Menschenmenge. Dabei machte es einen besonderen Eindruck, dass der General überhaupt keine Leibwache bei sich hatte, und das miten im Krieg. Aber er wusste offenbar, dass er das nicht nötig hatte.

 Der Abschied

Leider sah ich den General nie mehr von Angesicht zu Angesicht. Aber am 12. April 1960 habe ich am Fernsehen von ihm Abschied genommen, als sein Sarg in einem riesigen Trauerkondukt durch Lausanne geführt wurde. Man schätzte, dass damals mehr als eine halbe Million Menschen am Strassenrand standen, um dem General die letzte Ehre zu erweisen. Ich erinnere mich noch, dass während der Fernsehübertragung die Strassen Zürichs leergefegt waren, und die Trams auch leer herumfuhren. Diese Beerdigung in Lausanne war wohl die grösste und eindruckvollste, die je in der Schweiz stattgefunden hat. Im Trauerzug besonders aufgefallen waren die über hundert Fahnen und Feldzeichen der Armee, und natürlich nicht fehlen durfte das treue Pferd «Nobs», das direkt hinter dem Sarg seines verstorbenen Herrn mitgeführt wurde.

Jedermann am Strassenrand von Lausanne oder vor dem Fernsehschirm hat an jenem Tag wohl gespürt, dass hier nicht nur der General zu Grabe getragen wurde, sondern eine ganze Epoche der Schweizer Geschichte in gefahrvoller Zeit ihren Abschluss gefunden hatte.

 

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