Die Schweiz im zweiten Weltkrieg.

Im Rückblick auf den Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940
«Wir wollen Herr bleiben im eigenen Haus»
Nachdruck eines vor 14 Jahren erschienenen «Brückenbauer»-Interviews mit  Dr. Alfred Schäfer

Vor gut vierzehn Jahren, am 31. Juli 1985, erschien im «Brückenbauer» ein Interview von ganz besonderem Gehalt. Der damalige Ehrenpräsident der Schweizerischen Bankgesellschaft, Dr. Alfred Schäfer, äusserte sich darin zum Rütli-Rapport, zu welchem General Guisan die gesamte Armee-Spitze auf den 25. Juli 1940 aufgeboten hatte. Schäfer nahm als einer der damals jüngsten Offi-
ziere an diesem Rapport teil.

Frage: Herr Dr. Schäfer, welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Teilnahme am Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940?
Dr. Alfred Schäfer: Sicher behält das Gedächtnis nicht alles, was während eines langen Lebens erinnerungswürdig wäre. Doch die Erinnerungen an den Rütli-Rapport sind bei mir deshalb noch so frisch, weil ich einer der jüngsten Teilnehmer war. Damals zählte ich 35 Jahre und führte als Hauptmann interimsweise eine Kavallerie-Abteilung. Mit meiner Einheit stand ich auf dem Rotberg im Jura, als ich den Befehl erhielt, mich am Vormittag des 25. Juli 1940 auf dem Bahnhofplatz von Luzern einzufinden.

Überfahrt
Was haben Sie bei Ihrer Ankunft in Luzern vorgefunden? Waren Sie irgendwie überrascht?

Schäfer: «Überrascht» ist ein zu schwaches Wort. Man stelle sich vor, hier die ganze «Generalität» vorzufinden, mitsamt unserem General an der Spitze! Darauf war ich in keiner Weise vorbereitet. Bestürzt, ja fast entsetzt war ich, und mit mir zusammen die meisten, als alle einschliesslich der ganzen Armeespitze auf das Flaggschiff des Vierwaldstättersees, die «Stadt Luzern», geheissen wurden und dieses verhältnismässig schwere und langsame Schiff wegfuhr.«Was soll das?» fragte ich mich. Entlang der Route hätte von einem der so friedlich scheinenden Ruderboote ein Torpedo abgefeuert werden können, und die Armee wäre «ohne Kopf» gewesen. Allmählich wurde mir klar, dass wir das Rütli ansteuerten. Erst dann begannen wir, die Umrisse der «Übung», die da im Gang war, zu erahnen


Es wird heute erklärt, dass bis zur Ankunft auf dem Rütli eine Verspätung eingetreten sei, die den General zur Kürzung seiner Ansprache gezwungen habe. Hatte sich der besammelten Offiziere eine gewisse Hast bemächtigt?
Schäfer: Nein. Freilich sollten wir, um Benzin zu sparen, in Luzern die Abendzüge erreichen. Doch daraus entstand kein zeitlicher Druck, der den General irgendwie beengt hätte. Oben auf der Rütli-Wiese angekommen, wurden wir, nach Divisionen gegliedert, zu jenem Halbkreis formiert, der dann durch die historischen Bilder berühmt wurde. Nein, wirklich, die gemessene Ruhe, der sonnige Tag, die Abwesenheit jedwelcher Hast prägten das Ereignis, seine unvergessliche Grösse, mit.

Generalsrede
Als Sie in dieser Formation dastanden, kam der General. Und was sagte er?

Schäfer: Vorab weiss ich sicher, dass er sich lediglich eines kleinen Notizzettels bediente. Nichtsdestoweniger sprach er wie gewohnt präzise, etwa zwanzig bis dreissig Minuten lang. Er zitierte aus eigenen, ihm zugekommenen Briefen. Davon abgesehen, sagte er im wesentlichen, was dann sechs Tage später in den Tagesbefehl zum 1. August eingegangen ist.

Wirkung
Sagte der General nichts, was über das eigentlich Militärische hinausging?

Schäfer: Meine klare, aus sicherer Erinnerung fliessende Antwort lautet: Nein. Diese Begrenzung auf den militärischen Aspekt war mit das Grosse dieses Ereignisses. Innerhalb dieser zwanzig Minuten änderte sich bei uns Teilnehmern die Stimmung, genau so, wie sie sich dann im ganzen Volk geändert hat. Genauer gesagt: Sie festigte sich neu, sie entwickelte sich hin zur unverrückbaren Entschiedenheit. Es gab wohl kaum einen, auch nicht unter den härtesten Rapport-Teilnehmern, der nicht Tränen in den Augen hatte und sie auch nicht verbarg. Es waren Tränen der Ergriffenheit, die sich in Entschlossenheit wandelte.Jetzt verstanden und akzeptierten wir das mit der Schiffahrt in Kauf genommene Risiko. Gezeigt und symbolisiert werden sollte, was der General von da an immer wieder sagte: «Wir wollen Herr bleiben im eigenen Hause - was immer das kosten und fordern mag.»

Rückfahrt
Dann verlief die Rückfahrt stimmungsgemäss anders als die Hinfahrt?
Schäfer: Ja, jetzt waren wir, die Teilnehmer, eine verschworene Kampfgemeinschaft. Der General ging von einer Gruppe zur anderen, begrüsste jeden einzelnen mit Namen und mit Handschlag. Nochmals prägte er uns den Auftrag ein, aus dem Geiste dieses Rapports heraus die Moral der Truppe zu pflegen und zu festigen. Kaum zurück auf unseren Posten, lagen die entsprechenden Réduit-Befehle vor.
45 Jahre später sind Stimmen laut geworden, die an der demokratischen und sogar loyalen Grundhaltung des Generals zweifeln.
Schäfer: Wie haltlos jeder Vorwurf, jede Verdächtigung einer nicht grundsätzlich aufrichtigen und beispielhaften Haltung ist, beweist doch das: Vom Rütli-Rapport an hätte sich General Henri Guisan jederzeit mit einer Handvoll seiner Leute im Bundeshaus versammeln und erklären können:
«Von heute an bin ich - das verlangt die innere und äussere Situation des Landes - der General-Präsident oder der General-Landammann der Eidgenossenschaft!» 
Das Schweizer Volk hätte er hinter sich gehabt. Nicht nur hat Henri Guisan nie mit einem solchen - wenn man so will faschistoiden - Gedanken gespielt, sondern er hat der Landesregierung und der Verfassung des Landes gegenüber eine beispielhafte Loyalität bewiesen.

Beispiel
Sie denken hier vermutlich an das von Ihrem Freund Carl J. Burckhardt gern zitierte Wort des Prinzen Eugen an seine Offiziere: «Meine Herren, Sie müssen jederzeit als Beispiel dienen, aber in einer Weise, die niemanden beschwert.»

Schäfer: Besser könnte man das, was Henri Guisan verkörperte und zum Leitmotiv seines Verhaltens machte, nicht umschreiben. Wir rühren hier an einen dunklen oder zumindest grauen Punkt. Die sogenannte Opposition gegen den General war in der Armee lange Zeit viel grösser und breiter, als man gemeinhin annahm oder heute annimmt. Mit den zwei, drei Namen, die in diesem Zusammenhang geläufig sind, hat es nicht sein Bewenden. Ich will hier jetzt aber keine weiteren Persönlichkeiten nennen, aus Rücksicht auf den inneren Frieden des Landes.
Es gab eine beträchtliche Zahl unsicherer Kantonisten, die von den Erfolgen des «Führers» fasziniert waren. Sie wären in der militärischen Hierarchie zum Teil sehr hoch zu orten. Keiner wusste das besser als der General. Er hätte sofort eine Reihe von Entlassungen vornehmen oder erzwingen können. Er ging aber den anderen Weg. Er glaubte und vertraute darauf, dass die Kraft seiner Haltung, seines Stils und seiner sachlichen und menschlichen Güte zu der rechten Zeit siegreich sein würden.

Neu-Interpretationen
Um so mehr ist es berechtigt, einzelne Punkte des Barbey-Entwurfes unter die Lupe zu nehmen. Da ist die angebliche Freundlichkeit gegenüber sogenannt «kooperativen» Gedankengängen . . .

Schäfer: Sehen Sie: das berühmte Friedensabkommen zwischen den Sozialpartnern in der schweizerischen Maschinenindustrie und der Rütli-Rapport mit seinen durchgreifenden Konsequenzen für das ganze Volk - sie sind miteinander, ineinander verwoben. Das kann ich aus persönlicher und beruflicher Erfahrung sagen. Ob man nun hier von «kooperativen» Gedanken spricht, kommt letztlich auf das gleiche hin-
aus. Guisan hat sich ausdrücklich dafür eingesetzt, den Arbeiterkindern in der Armee die selben Aufstiegschancen zu öffnen wie allen anderen. Das gehörte zu seinem geistigen Vermächtnis, obschon er als Oberstkorpskommandant seit 1932 und damit Mitglied der Landesverteidigungskommission mit ansehen musste, wie spät sich die Schweizer Sozialdemokratie voll und ganz zur Landesverteidigung bekannte.

(Interview: Hans Eberhart)


Worte von General Guisan -
auch heute noch aktuell

«Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten!»

Radioansprache von Guisan vom 31.12.1940

«Manches Mal schon im Laufe dieses Jahres, das nun zu Ende geht und das Ihr unter den Waffen verbrachtet, habe ich mich an Euch gewandt, bald um Euch die Parole zu geben: Standhalten! Durchhalten!, bald um die Kräfte aufzurufen, die in Euch wohnen: den guten Willen, den Mut, die Energie, oder um Euch eine Botschaft des Vertrauens zu übermitteln. Im Juli habe ich Euch von der Rütliwiese aus, die so sehr zu unserem Herzen, zu unserem Geiste spricht, meinen unerschütterlichen Verteidigungswillen und meinen Glauben in die Widerstandskraft der Armee verkündet.

Heute abend, an der Schwelle des neuen Jahres, wende ich mich von neuem an Euch. Das bedeutet mir nicht eine blosse Pflicht, sondern auch eine Freude, eine Ermutigung. Wenn ich mich dazu am letzten Tage des Jahres 1940 gedrängt fühle, so darum, weil unsere Aufgabe noch nicht beendet ist, sondern vielmehr von jedem von uns, vom einfachen Soldaten bis zum Oberbefehlshaber, eine unablässige, zähe Anstrengung, aber auch ein unerschütterlicher Glaube verlangt wird. Denn ohne Glaube vermögen wir nichts.»

«Wir werden unsere Haut so teuer als möglich verkaufen»

Brief vom 12. Juli 1940 von Guisan an Minger

«Wenn Deutschland und Italien, solange sie den englischen Widerstand nicht überwunden haben, einerseits auch kein Interesse daran haben, neue Konflikte heraufzubeschwören, so sind doch andererseits die direkten Verbindungswege über unsere Alpen, zum mindesten für die erstgenannte Macht, von unbestreitbarer Wichtigkeit. Diese könnte demzufolge versucht sein, auf die Schweiz einen wirtschaftlichen, politischen und sogar militärischen Druck auszuüben, um freie Verfügung über diese Verbindungswege zu erlangen.

Die deutschen Forderungen könnten unter diesen Umständen früher oder später derart werden, dass sie mit unserer Unabhängigkeit und mit unserer nationalen Ehre nicht mehr vereinbar wären. Die Schweiz kann sich dieser Drohung eines direkten deutschen Angriffs nur dann entziehen, wenn das deutsche Oberkommando bei seinen Vorbereitungen zur Überzeugung gelangt, dass ein Krieg gegen uns lang und kostspielig wäre und dass es dadurch in unnützer und gefährlicher Weise im Herzen Europas einen Kampfherd schaffen und die Ausführung seiner Pläne beeinträchtigen würde.

Ziel und Grundsatz unserer Landesverteidigung müssen deshalb von nun ab sein, unseren Nachbarn zu zeigen, dass dieser Krieg ein langwieriges und kostspieliges Unternehmen wäre. Sollten wir in den Kampf verwickelt werden, so wird es sich darum handeln, unsere Haut so teuer als möglich zu verkaufen É»

Artikel 3: Zeit-Fragen Nr. 67 vom 29.05.2000, Seite 2/3, letzte Änderung am 1.06.2000


Ein Reporter gegen Hitler

Seine Mission bestand darin, den Menschen Hoffnung zu geben. Nach dem Fall der Maginot-Linie und dem Rückzug der Engländer bei Dünkirchen im Mai 1940 wurde Paul Alexis Ladame mit der Aufgabe betraut, als Gegengewicht zur deutschen Filmwochenschau eine schweizerische Filmwochenschau entstehen zu lassen. Er hatte nur wenig Zeit, seinen ersten Film vorzubereiten; der Bundesrat wünschte, dass die erste Ausgabe am 1. August 1940 gezeigt werde. Nach der Niederlage der Franzosen wuchs die Angst in der Schweiz. Mit der schweizerischen Filmwochenschau sollte dem Schweizervolk Mut gemacht werden, ausländischen Einflüssen zu widerstehen.

ag. In seinem Buch «Une caméra contre Hitler» beschreibt Ladame die Ereignisse dieser Kriegsjahre aus seiner persönlichen Sicht. Er beschreibt eine Begegnung, die er als junger Korporal kurz nach der allgemeinen Mobilmachung im August 1939 hatte und die den Geist der Truppe, der Soldaten, die am Vortag noch Zivilisten waren, widerspiegelt.

Er hatte dem Genfersee entlang Wachen aufgestellt. Bei einem nächtlichen Inspektionsgang um 2 Uhr bemerkte er einen Soldaten, der weinte. Der Soldat war verzweifelt, weil er wusste, dass zu Hause niemand seine Kühe melken würde. Ladame hat es auf sich genommen, diesen Mann nach Hause zu schicken, weil er der Meinung war, dass diese Arbeit für die ganze Bevölkerung wichtiger war.

Ladame hat von Anfang an begriffen, dass die beiden Totalitarismen in Europa sich nicht unterscheiden. «Der eine hat als Ziel ein «Grossdeutschland», das unter seiner Haube alles, was deutsch ist, zusammenbringen will, um dann die andern Länder Europas dominieren zu können. Der andere möchte eine Weltherrschaft errichten. [...] Ich vermute, dass dies wie eine Vereinbarung ist zwischen zwei Gangstern, die sich zusammentun, um sich später einer gegen den andern zu stellen.»

Heute, 60 Jahre später, ist es wichtig für uns zu erahnen, was für ein Geist in der Bevölkerung geherrscht hat. Durch ein Gespräch zwischen Ladame und seiner Frau erfahren wir, wie das tägliche Leben ausgesehen hat. Die Nahrungsmittel wurden immer knapper. Seine Frau Nina machte sich Sorgen um die Ernährung ihrer beiden Töchter. Trotz dieser Nahrungsprobleme blieb die Schweiz ein Asylland. Jeden Monat kamen Hunderte von Kindern aus den Kriegsgebieten aus Frankreich, aus Serbien usw. in die Schweiz.

Diese Schilderungen machen uns auch die Hintergründe der berühmten Anbauschlacht, den Plan Wahlen, deutlich, ohne den unser Land nicht hätte überleben können. Ladame hat mit seiner schweizerischen Filmwochenschau viel dazu beigetragen, dass jeder die Wichtigkeit dieser grossartigen Anstrengung verstand.

Ladame erwähnt auch die berühmte Rede von General Guisan auf dem Rütli, die er das «Wunder vom Rütli»nennt. «Ich habe aus dieser Rede den Geist und die Kraft geschöpft für meine Tätigkeit als Leiter der schweizerischen Filmwochenschau.»

Wenn man die Seiten dieses Buches liest, wird einem auch bewusst, wie sehr wir die letzten Jahre getäuscht und belogen wurden durch die schmutzige Kampagne gegen unser Land. Die Lektüre dieses Buches liefert eine Art Gegengift gegen die Schlüsse des Bergier-Berichts und gegen die aktuelle Tendenz, den Mut und die Anstrengung des Schweizer Volks während des Zweiten Weltkriegs zu leugnen. Die Geisteshaltung, die uns in diesem Buch entgegentritt, müsste wiedergefunden und verwirklicht werden, um gegen die Vereinnahmung durch die EU zu kämpfen, die unser Land einer antidemokratischen Macht ausliefern möchte.

Paul Alexis Ladame: Une caméra contre Hitler, Editions Slatkine. Genève 1997. ISBN 2-05-101545-7.

  Artikel 6: Zeit-Fragen Nr. 71d vom 25.09.2000, Seite 6, letzte Änderung am 27.09.2000

Back to texts page

 


Hosted by www.Geocities.ws

1