Die Schweiz im zweiten Weltkrieg.

auch : - Die Schweiz das kleine Stachelschwein....

Ein Oral-History-Projekt von vier Abschlussklassen des Maturjahrganges 1997

« der Rhein wäre unsere einzige wirkliche Waffe gewesen »
Zeitzeuge: Rudolf Bräm, Jahrgang 1915

verantwortlicher Bearbeiter: Marcel Amhof, Klasse 7l

Stichworte zum Inhalt:
* schwierige Lage in einem Fabrikbetrieb
* Als HD-Motorfahrer isoliert an der Grenze
* Der Rütlirapport und der Réduitplan
* über Hitler, Holocaust und die aktuelle Diskussion in der Schweiz

1915 wurde ich geboren. Nach sechs Jahren in der Primarschule und nach zwei Jahren Oberstufe trat ich in die Landert-Motoren AG ein. Ich blieb dort über fünfzig Jahre in der Werkstatt tätig. Meine Eltern waren in Höri Bauern auf einem Selbstversorgungsbetrieb, auf einem Hof mit ungefähr 5 -6 ha Land. In der Fabrik arbeitete und arbeitete und arbeitete man, und das den ganzen Tag, bis der Krieg anbrach.

Bei der Ausmusterung wurde ich zum Hilfsdienst eingeteilt, weil ich Plattfüsse hatte. So wurde ich weitgehend verschont. Ich hätte noch eine Rekrutenschule machen müssen, aber der Krieg kam dazwischen, und ich musste Dienst leisten; jene, welche eine Autofahrbewilligung hatten, sind zu den HD Motorfahrern eingeteilt worden, die Motorfahrer hatten keine Militärfahrzeuge, wie man sie heute kennt, die Armee hatte ganz wenige eigene Motorfahrzeuge. Als der Krieg ausbrach, wurden alle Privatfahrzeuge und Lastwagen, die einigermassen militärtauglich waren, requiriert und eingeteilt. Herr Landert (Anm.: Chef und Besitzer der Landert-Motoren AG) hatte in der Zeit gerade vor dem Krieg ein neues Auto gekauft. Dieses Auto wurde auch eingezogen, wie alle Autos mit neuerem Jahrgang. Er erwirkte, dass ich mit seinem Fahrzeug in den Dienst einrücken konnte, und zwar hier in Bülach, auf dem Kasernenareal. Von dort aus wurden wir dem Grenzschutz zugeteilt, der damals aus verschiedenen Grenzschutzkompanien bestand und aus dem Regiment 5.

Zuallererst war ich im Regimentsstab als Motorfahrer , das war - bei der Teilmobilmachung, als nur die Militärdiensttauglichen, die die Grenze rund um die Schweiz verteidigten, eingezogen wurden. Ich hatte dann das Glück, wie ein grosser Teil anderer Leute, die in Fabriken arbeiteten, nicht die ganze Zeit im Militär zu sein. Die Fabriken waren durch die Generalmobilmachung vom einen auf den anderen Tag blockiert. Viele Facharbeiter waren plötzlich im Krieg, und die Lehrlinge hatten jetzt niemanden mehr, um Fragen zu stellen, niemanden mehr, der bei einem Problem weiter wusste und half. Das war eines der Hauptprobleme. Ein grosses Problem der Firma war es deshalb, erfahrene Leute wieder zurück zu holen, damit der Betrieb einigermassen weiterlief. Die Hilfsdiensttauglichen hatten eher die Aussicht auf Dispensation als jene, die im Militär Vorgesetzte waren oder sonst eine wichtige Funktion hatten.

Ich kam dann ziemlich schnell, nach einem Monat ungefähr, wieder nach Hause zurück. Ich ging dann wieder in die Fabrik, in der es damals schwierig war; es war schwierig wirtschaftlich - das Material: Kupfer, Eisen, Blech war kontigentiert und man konnte nicht frei handeln wie man wollte. Zum Problem mit den fehlenden Leuten, das in einer Zeit, in der die Automatisierung noch nicht so weit fortgeschritten war, schwer ins Gewicht fiel, kam also die schwierige Materialbeschaffung. Mehr oder weniger alles - zum Glück, muss man sagen- wurde noch handwerklich angefertigt, aber natürlich brauchte man auch dazu Einrichtungen und entsprechend Kontrollstellen, damit die Betriebe weiterliefen. Das waren die grössten Probleme, nicht nur bei uns, sondern überall rundherum. Unsere Lieferanten konnten zum Teil auch nichts mehr liefern, und wir haben kein Material mehr bekommen und sind dann ausgewichen auf Ersatzstoffe.

(...)

(längere Passage über spezielle Anpassungsmassnahmen bei der Motorenproduktion, z.B. Verwendung von Aluminium statt Kupfer (Import aus Deutschland) -> andere Widerstände und Leiteigenschaften etc.)

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Als die Firma wieder einigermassen in Gang gebracht worden war und wieder produziert wurde, musste ich dann wieder einrücken, kurz nach der Generalmobilmachung. Sobald man wusste, dass Gefahr im Norden drohte, hat man angefangen, mit diesen Leuten die Grenze abzusichern. Die Tanksperren, die man heute noch als Zeugen am Rhein sehen kann, sind erst in Verlaufe des Krieges errichtet worden.

Als ich wieder einrücken musste, bin ich zum Grenzschutzbataillon 268 eingeteilt worden, in die Stabskompanie. Sie war in Eglisau selber einquartiert. Das Bataillon bestand aus fünf Kompanien. Es hatte den Abschnitt von Kaiserstuhl bis ungefähr nach Rüdlingen in seiner Obhut. Die Soldaten begannen damit, überall Schützengräben zu bauen und weitere Möglichkeiten, um sich zu verteidigen. Es sind dann Tanksperren gebaut worden. Zum guten Glück eigentlich haben wir eine natürliche Grenzsicherung, den Rhein. Der Rhein ist, wie ich es anschaue, ein grosses Hindernis gewesen, das die Deutschen gefürchtet haben.

Nach etwa einer Woche ging das Gerücht durch die Reihen, dass die Deutschen im süddeutschen Raum verschiedene Regimenter zusammenzögen. Wir rechneten natürlich mit einen Angriff. Hier unten, in Eglisau, war man natürlich besonders exponiert. Die Gebiete, die jenseits des Rheins waren, wären den Deutschen sowieso in die Hände gefallen. Man hat zwar schon hie und da Inspektionen durchgeführt, aber verteidigt hätte man dieses Territorium glaube ich nicht. Mein Kollege, ein Kaufmann aus Zürich, der sich kaum ans Autofahren gewöhnt war, und ich hatten den Auftrag, als Motorfahrer mit einer IK-Gruppe Stellung zu beziehen. Infanteriekanonen waren Panzerabwehrgeschütze, mit einer grossen Zielsicherheit. Diese Zielsicherheit war eigentlich für die damalige Zeit etwas Besonderes, auf die konnte man sich abstützen und einen allfälligen Panzerangriff abwehren. Sie waren viel durchschlagskräftiger als zum Beispiel Minenwerfer und konnten mit ihren 8 cm Geschossen einen Panzer erledigen.

In jener Nacht, in der das Gerücht eines deutschen Angriffs durch die Reihen ging, kam der Befehl, sich marschbereit zu machen. Wir bekamen den Auftrag, mit unseren zwei Privatwagen, die natürlich nicht geländegängig waren, sondern nur drei Gänge und einen Rückwärtsgang hatten, mit dem Geschütz und einem Korporal mit vier Mann zum Rhinsberg zu fahren. Später gab es dort eine Tanksperre, die durch das ganze Tal geht, vom Laubberg bis zum Rhinsberg. Am Rhinsberg, wo heute die Tanksperre endet, hatte es eine kleine Waldlichtung, und dort mussten wir unser Geschütz in Stellung bringen. Wir haben nur ein Loch gegraben, so dass das Geschütz einsatzfähig war, aber wir hatten keinen Unterstand, gegen die Flieger hätten wir also gar keine Möglichkeiten zur Verteidigung gehabt. Wir hatten Glück, dass es in dieser Nacht nicht geregnet hatte, denn eigentliche Strassen gab es damals noch gar nicht, sondern bloss schmale, schlammige Feldwege für die Bauern, die noch keine Traktoren, sondern Pferdefuhrwerke hatten. Erst als die Tanksperre gebaut wurde, wurden auch Zufahrtsstrassen gebaut für den Materialtransport. Munition hatten wir ein ganzes Auto voll.

Als es am Einnachten war, war immer noch nichts passiert. Die Leute haben ihren Auftrag erfüllt und das Geschütz in Stellung gebracht. Wir zwei Fahrer haben im Wald einen Kehrplatz gerodet, damit wir überhaupt wieder fortkamen. Als dann diese Nacht vorbei war, schlafen konnte natürlich niemand, wussten wir nicht, was rings um uns herum los war, denn wir hatten keinen Funk und somit keine Verbindung zur Aussenwelt oder zu unseren Vorgesetzten. Einer der Männer hatte ein Detektorradio, das war ein Kopfhörer mit Kristallen, mit dem man manchmal Radio hören konnte. Die Nachrichten waren die einzige Informationsquelle, die wir hatten. In diesen Tagen, da hatte ich das einzige Mal richtige Angst, weil wir überhaupt keine Ahnung hatten, was um uns herum geschah. Aus heutiger Sicht bin ich sicher, dass wir sicher verloren gewesen wären, wenn sie gekommen wären.

Man wusste ja in dieser Zeit vom Blitzkrieg, mit dem die Deutschen Polen innert weniger Wochen erobert haben. In diesem Feldzug benutzen die Deutschen ja modernste Waffen wie die Luftwaffe, mit der sie z.B. Warschau bombardierten, oder Panzer. Wie sie vorher erklärten, hätten die Schweizer bei einem allfälligen Angriff wohl keine Chance gehabt. Wie war denn die Moral in der Truppe, wie gross war der Wille zur Verteidigung bei so klaren Kräfteverhältnissen, wie sie in diesen ersten Monaten des Krieges herrschten?

Die Moral war gut, auch die Moral, sich zu verteidigen. Der Einsatz der Leute war sehr gross, und man war also bereit, sein Leben an der Grenze zu lassen. Man hatte nicht den Eindruck, dass man das Land einfach kampflos den Deutschen überlassen würde.

Unsere schlechte Ausrüstung in diesen ersten Monaten war sicher ein Zeichen dafür, wie überrascht eigentlich die Schweizer Armee war. Das betrifft jetzt nur unseren Abschnitt. Wie Tausende von Soldaten, die bestimmt etwa die gleichen Erlebnisse gemacht hatten, zu berichten wissen, so kann man schon sagen, dass auch sie den Willen hatten, für die Schweiz zu kämpfen.

Erst jetzt wurde einem langsam bewusst, was eigentlich passieren konnte, und man begann, mit allen Mitteln sich ein bisschen zu sichern. Auch von unserer Luftwaffe war nichts zu hören oder zu sehen, nein nein, und wir in unserer Stellung am Rhinsberg waren total abgeschnitten und bekamen nicht einmal Verpflegung. Das wäre wohl Aufgabe der Versorgungstruppen gewesen, aber wir lebten während Tagen von unsere Notration. Gemurrt haben wir aber trotzdem nicht.

Es war aber, so glaube ich, allen klar, dass der Rhein unsere einzige wirksame Waffe gewesen wäre. Mit der Sprengung der Brücken hätten die Deutschen sicher einige Verluste gehabt, was aber an unserer Niederlage schlussendlich nichts geändert hätte. Kämpfende Leute wären schon an der Grenze gestanden, aber wir hatten keine Mittel wie z.B. die Franzosen, die mit ihrer Maginotlinie eine wirksame Verteidigung aufgebaut hatten. Vor dem Krieg hatte man das auch gar nicht für nötig erachtet, und man hat erst später damit angefangen, Bunker etc. zu bauen.

Für die Bevölkerung waren diese Zeiten auch mit äusserst grossen Opfern verbunden, vor allem für die ländliche Bevölkerung. Die Männer standen an der Grenze und die Frauen mussten die Felder selber bearbeiten und die Ernte einbringen. Auch die Pferde waren alle requiriert, so dass die Felder mit Ochsen und Kühen bestellt wurden. Ich glaube, dass die bäuerliche Bevölkerung ungeheure Opfer zu erbingen hatte.

Die, die eigene Betriebe oder finanzielle Mittel hatten, die sind dann aus dem Grenzbereich fortgezogen in die Innerschweiz, auch Leute aus Bülach und Umgebung. Das war, solange es brenzlig war. Die akute Gefahr, die wir in jener Nacht hatten, die war nachher nie mehr so gross.

Hat man nachher die Gefahr, die ab 1940 herrschte, als Frankreich besetzt war und die Schweiz von den Achsenmächten umgeben war, nicht höher eingestuft als die Gefahr am Anfang des Krieges, wo man noch auf die Franzosen als Verbündete zählen konnte?

Ich glaube, dass Gefahr vor allem drohte, weil die Deutschen Frankreich erobern wollten und dass sie das über Belgien taten, ist sicher der Abschreckung durch die schweizerische Armee, die sicher besser war als die der Belgier, zu verdanken. Nach den ersten Monaten hat man dann auch angefangen, Bunker und Schützengräben zu bauen, so dass wir uns je länger desto sicherer fühlten. Wir haben auch in unserem Abschnitt angefangen, unsere Stellungen auszubauen und Schützengräben auszuheben. Auch die Panzersperren wurden laufend verstärkt. Während wir am Anfang nur einige Tannenstämme hatten, um den deutschen Panzern die Durchfahrt zu erschweren, bauten wir jetzt mit Eisenbahnschienen, die wir aus dem Areal des Bahnhofes Pfungen entwendet hatten, die Panzersperren aus.

Das Kriegsgeschehen verlagerte sich nachher auch immer mehr in den Osten, so dass wir ab dem Russlandfeldzug eigentlich keine Angst vor einer Invasion der Deutschen in der Schweiz mehr hatten.

Was für einen Stellenwert hatte für Sie der Rütlirapport und der Réduitplan?

Der Rütlirapport war für uns zu dieser Zeit eigentlich nicht sehr wichtig. Erst später wurde der zu dem Mythos gemacht, der er heute ist. Für uns war er sowieso nicht wichtig, weil er für uns nichts änderte und weil wir keinen Kontakt zu irgendwelchen Vorgesetzten hatten. In den vorher beschriebenen Tagen hatten wir auch keinen Kontakt und erhielten wir auch keine Informationen. Erst nach knapp einer Woche kam ein Adjutant und berichtete uns über die aktuelle militärische Lage.

Nach diesen Tagen wurde der Krieg für uns immer leichter, und wir fühlten uns auch immer sicherer, so dass wir auch vom Réduitplan nicht viel hielten, weil wir gar keinen Angriff mehr fürchteten.

Was haben Sie vom ganzen Weltgeschehen her mitbekommen, was wussten Sie jeweils über die aktuelle militärische Weltlage?

Die Medien waren noch nicht so verbreitet wie heute, und es wurden ja auch Meldungen zensuriert, so dass wir eigentlich nur sehr undetailliert Bescheid wussten. Als dann aber die Engländer begannen, deutsche Städte zu bombardieren, hörten wir die Bomber, die Friedrichshafen bombardierten, und es wurden ja auch einige Flugzeuge über der Schweiz abgeschossen, so dass wir schon etwas über die aktuelle Lage wussten, vor allem, als das Kriegsgeschehen wieder etwas näher kam.

Was man heute über die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland und die Waffenlieferungen weiss, das wussten wir damals, während des Krieges, alles nicht. Erst als gegen Ende des Krieges die Vernichtungslager befreit wurden, erfuhren auch wir von den schrecklichen Taten der Deutschen gegenüber den Juden.

Dass die Nationalsozialisten aber ganz klar eine antisemitische Politik betrieben, dss wusste man doch schon vor dem Krieg, als es noch keine Zensur gab.

Man wusste zwar von der Ideologie der Nationalsozialisten in Deutschland, aber nicht, dass sie diese auch so konsequent durchsetzen würden.

Was erfuhr man denn während des Krieges von der Flüchtlingspolitik der Schweiz?

Man hörte schon von der Parole: 'Das Boot ist voll', aber von der tatsächlichen Abweisung von Flüchtlingen ist uns während des Krieges nie etwas bekannt geworden.

Wie war denn die Einstellung des Schweizer Volkes zu den Nationalsozialisten in Deutschland vor dem Krieg? Hat man da mit den Nazis solidarisiert, und war man deutschfreundlich eingestellt?

Im Allgemeinen kann ich sagen, dass die Schweizer gegen die Nationalsozialisten waren. Die Familie meiner Frau, die aus Weiach kommt, war eine Bauernfamilie und hatte noch Land auf der deutschen Seite des Rheins gepachtet. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 hat man dann aber dieses Land immer weniger bewirtschaftet und schliesslich gar nicht mehr. Man hatte auch irgendwie ein komisches Gefühl und fast ein bisschen Angst vor den Deutschen, schon vor dem Krieg. Man spürte, dass die Deutschen irgend etwas Böses im Sinn hatten auch wenn man überhaupt nichts Konkretes wusste.

Es ist aber interessant zu sehen, dass in unserer Kompanie die Soldaten, die aus Schaffhausen kamen, viel deutschfreundlicher waren als wir Zürcher. Ich kann mir das nur so erklären, dass Schaffhausen bei einem allfälligen Überfall ganz sicher deutsch geworden wäre und die Schaffhauser sich so irgendwie anzupassen versuchten. Sonst aber war man sich in der Bevölkerung einig, und man versuchte, der deutschen Gefahr möglichst aus dem Weg zu gehen.

Wie stehen Sie dann zum Bundesrat, der zum Teil stärker mit Deutschland sympathisierte als das Volk, z.B. Marcel Pilet-Golaz, der auch Fröntler empfangen hat und dafür hart kritisiert wurde? Hätte die Schweiz eine andere Politik verfolgen können und sich weniger an Hitler-Deutschland anpassen müssen?

Ich glaube, dass der Bundesrat eine sehr schwere Zeit hatte und das Beste aus der Lage zu machen versuchte. Die Bundesräte haben sicher auch viele schlaflose Nächte gehabt. Ich glaube nicht, dass sie den Deutschen zuviel entgegengekommen sind, was aus heutiger Sicht natürlich viel einfacher zu beurteilen ist, da man ja den Ausgang der Geschichte kennt. Für das ganze Land war diese Zeit eine harte Probe, denn es war alles rationiert, und es wurden fast übermenschliche Opfer geleistet.

Was für einen Stellenwert hatte General Guisan für Sie und für Ihre Kameraden?

Für uns war er nicht das, wozu er heute oft gemacht wird. Am Anfang waren wir ein wenig skeptisch, weil er ja ein Westschweizer war, doch später erlebten wir ihn als eine Respektsperson, die sehr nahe mit dem einfachen Soldaten verbunden war.

Ab wann haben für sie die Deutschen den Krieg verloren? Wann haben sie begonnen, an einen Sieg der Alliierten zu glauben?

Als nach der Schlacht um Stalingrad die Ostfront aufzubrechen begann, wurde für uns klar, dass die deutsche Wehrmacht nicht unverwundbar war. An den Sieg haben wir erst zu glauben gewagt, als die Alliierten in Frankreich gelandet sind und so grosse Geländegewinne verzeichnen konnten.

Wie haben Sie persönlich das Kriegsende erlebt? Was für Gefühle empfanden Sie damals?

Zuerst einmal waren wir alle erleichtert. Ich war in diesen Maitagen wieder in der Fabrik an der Arbeit, als diese Meldung über Radio kam. Die Firma stellte dann für diesen Tag den Betrieb ein, so dass wir nach Hause gehen konnten. Schnell aber wuchs wieder eine gewisse Unsicherheit, die bis nach dem Kalten Krieg andauern sollte, weil wir nicht wussten, wie gut sich die Amerikaner und die Russen vertragen würden. Auf alle Fälle waren wir alle froh, dass der Krieg und somit die direkte Bedrohung durch Hitler nach sechs Jahren vorüber war.

Wie erleben Sie die heutige Diskussion über den Zweiten Weltkrieg? Ist sie überflüssig, oder hat die Schweiz ihre Geschichte wirklich schon verarbeitet?

Für mich ist diese Diskussion viel zu stark aufgebauscht worden, und oft auch unnötig. Es reden oft Leute mit, die sich viel zu wenig mit dieser Zeit beschäftigt haben und die sich die Entbehrungen und Opfer, die unsere Generation erbracht hat, gar nicht vorstellen können. Ich glaube schon, dass es gut ist, wenn man weiss, was damals passiert ist; doch die Medien haben dieses Thema richtig aufgebauscht und so eine differenzierte Diskussion nahezu verunmöglicht.

 

Auswertung / Kommentar

Im vorstehenden Interview berichtet Rudolf Bräm vor allem ausführlich von seinen persönlichen Erlebnissen, die er während des Krieges gemacht hat. Besonders herausgehoben hat er einige Tage im Herbst des Jahres 1939 und im Frühling 1940, als die Invasion durch die Deutschen unmittelbar bevorzustehen schien.

Am Anfang unseres Gespräches hat er sehr lange über seine Arbeit in der Fabrik während des Krieges gesprochen. Sehr detailliert und ausführlich hat er mir die schwierigen Produktionsbedingungen geschildert. Erst nach mehrmaligem Einhaken ist er dann auf meine Fragen eingegangen und hat über den Krieg selber und über seine Erlebnisse berichtet. Als ich dann etwas mehr über die allgemeine Lage zu jener Zeit erfahren wollte, kamen seine Antorten sehr stockend und erst nach Wiederholung der Frage begann er, darauf einzugehen und sie knapp zu beantworten, um dann oft wieder in persönliche Erlebnisse abzuschweifen.

Rudolf Bräm hat sein ganzes Leben in der gleichen Fabrik gearbeitet. Dort galt er als ein zuverlässiger und tüchtiger Mitarbeiter. Im Gespräch nach dem Interview habe ich auch bemerkt, dass er sich heute noch, obwohl er schon bald 20 Jahre pensioniert ist, sehr stark um die Anliegen der Arbeiter kümmert und sich auch politisch stark interessiert zeigt.

Für ihn und die Menschen seiner Generation, die so grosse Leistungen erbracht haben und vieles entbehren mussten, ist die Diskussion über die Schweiz im Zweiten Weltkrieg eine schmerzliche Erfahrung, weil wieder alle Gefühle und Ängste, die sie verarbeitet zu haben glauben, an die Oberfläche treten.

Bei Rudolf Bräm handelt es sich um ein gutes Beispiel für die Aktivdienstgeneration. Wie viele andere stand auch er an der Grenze, bereit, sein Leben zu opfern. Mit einem gewissen Stolz erzählt er heute von seinen persönlichen Erlebnissen. Fragen, die den Bundesrat und seine Politik kritisch beleuchten, versucht er so gut wie möglich auszuweichen, weil sie für ihn die Demontage seiner Betrachtung des Zweiten Weltkrieges, die von vielen Leuten der Aktivdienstgeneration geteilt wird, gleichkommt. Er glaubt zwar nicht, dass die Leistungen der Armee einen deutschen Überfall verhindert hätten, sondern dass das vielmehr Glück oder ein Zufall ist.

Von vielen Dingen, so z.B. auch vom Holocaust, hat er, wie viele andere auch, erst nach dem Krieg erfahren. So kann ich es auch verstehen, wenn eine gewisse Abneigung oder eineTrotzreaktion gegen eine Diskussion entsteht, die seine Leistung und die seiner ganzen Generation gering schätzen und ihnen Mitschuld an Dingen zuweisen (für die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland und die schweizerische Flüchtlingspolitik), von denen sie während des Krieges gar nichts gewusst haben.

Die Schweiz das kleine Stachelschwein....

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