Rechtsradikalismus


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aus Facts - September 2000

SCHWEIZ
Mein Sohn ein Neonazi

Skins Sie tragen Nazi-Kluft, hetzen gegen Ausländer und bestehen auf ihrem Gutenachtkuss.
Mütter sprechen über ihre rechtsradikalen Söhne.

Von Sibylle Stillhart

Angefangen hat alles vor einem Jahr, erinnert sich Petra Wasescha. Die 40-jährige Hausfrau und Mutter dreier halbwüchsiger Kinder entdeckte in der Wäsche ein schwarzes T-Shirt mit einem faschistischen Spruch, den sie nicht verstand. «Damals hab ich mir noch keine Gedanken gemacht», sagt sie. Auch als Thomas, ihr 17-jähriger Sohn, Wochen später nach weissen Schuhbändeln verlangte, mit denen er seine schwarzen Kampfstiefel binden konnte, war für die Mutter die Welt noch in Ordnung. «An den Wochenenden traf er sich mit Kollegen. Trank ein paar Biere. Mehr ist mir nicht aufgefallen.»

Erst als Thomas, ein Sanitär-Monteur-Lehrling, mit einem Drei-Millimeter-Haarschnitt nach Hause kam und stolz die auf dem Jahrmarkt ergatterte deutsche Reichsflagge präsentierte, stellte sie ihn zur Rede. «Dabei fiel mir auf, wie ausländerfeindlich Thomas geworden ist», sagt sie. Und nachdem kurz darauf im «Sarganserländer», dem Lokalblatt des Sankt-Galler Oberlands, ein Artikel über die Neonazi-Szene von Mels erschienen war, hatte sie keine Zweifel mehr: Thomas, ihr Ältester, gehört zur lokalen Skinhead-Szene von Mels, der so genannten Rheinfront.

Seit Wochen beherrschen Skinheads die Schlagzeilen. Höhepunkt war das letzte Wochenende, als sich 50 Skinheads, darunter Mitglieder der «Rheinfront», mit 80 Afrikanern in Sankt Gallen geprügelt haben.

Die Eltern der rechtsradikalen Glatzköpfe sind verunsichert, wissen nicht, wie sie mit den Irrungen und Wirrungen ihrer Zöglinge umgehen sollen. «Was kann ich dagegen tun?», sagt eine Mutter, die ihren Namen nicht nennen will. Zum Schutz ihres Sohnes. «Ich kann ihn doch nicht einfach auf die Strasse stellen.»

Für Petra Wasescha war der Artikel in der Lokalpresse Grund genug zu handeln. «Ich will nicht, dass meine beiden Töchter in dieser Szene landen», sagt sie. Deshalb will sie eine Selbsthilfegruppe für Eltern von Skinheads gründen.

«Vielleicht können wir die Jungs zusammen auf eine andere Bahn lenken.» Für ihren Mann, einen 42-jährigen Maschinisten, sei die Einstellung des Sohnes nicht weiter schlimm, sagt sie. Das werde sich schon wieder einrenken, habe er gesagt. Auch die beiden Töchter, die 16-jährige Claudia und die 14-jährige Ramona, stehen hinter ihrem Bruder: «Wir haben zwar nicht die gleiche Meinung», sagen sie, «aber er ist unser Bruder.»

Auch für Andrea F.* war es ein Schock, als sie von der faschistischen Neigung ihres Sohnes erfuhr. Damit sie im Dorf nicht ins Gerede kommt, will sie ihren Namen nicht nennen. «Schliesslich muss sich mein Sohn nächstens eine Lehrstelle suchen», sagt sie. «Ich will ihm die Zukunft nicht noch weiter verbauen.»

Dabei war sie es, die ihren Sohn im letzten Herbst begleitete, als er im Army-Laden im sankt-gallischen Buchs eine Bomberjacke kaufen wollte. «Die Jacken haben mir sogar gefallen», erzählt Andrea F. «Nie hätte ich gedacht, dass er sich als Skin kleiden wollte.» Stutzig wurde sie auch nicht, als sich der 15-Jährige weigerte, den Leichtathletikklub weiterhin zu besuchen. «Sport ist Mord», sagte er plötzlich. Noch immer glaubte die Mutter an pubertäre Flausen. Doch sie täuschte sich. «Erst als sich mein Sohn die Haare rasierte und plötzlich ein Hitler-T-Shirt trug, ging mir ein Licht auf.» Seither herrscht Krieg zwischen ihr und dem Sohn, dem Skin.

Seit zwei Monaten treffen sich Mitglieder der «Rheinfront» jedes Wochenende in ihrem mikrigen, ungefähr zwölf Quadratmeter grossen Lokal im Industriegebiet von Mels. Ihr Führer, der 20-jährige Robert Walser aus Maienfeld GR, der im Frühling durch eine im Internet veröffentlichte Todesliste Schlagzeilen machte, hat den tristen Raum gemietet. Sieben gebrauchte Schulstühle gehören zum kargen Inventar. Mitten im Raum steht eine Tafel, darauf ist ein Punk gezeichnet. «Arschlöcher», ist über seinem Kopf notiert. Auf dem Boden sind geschorene Haare zu sehen.

«Etwa 15 Mitglieder aus dem Sankt-Galler Oberland gehören zum Kern dieser rechtsradikalen Gruppierung», sagt Hans Eggenberger, Pressesprecher der Kantonspolizei Sankt Gallen. 50 bis 70 Anhänger gelten als Sympathisanten der Szene.

Andrea F. erlitt einen Nervenzusammenbruch, als sich ihr Sohn, ein 15-jähriger Sekundarschüler, in diesen Sommer weigerte, in die Sommerferien nach Italien zu reisen. «Ich wusste nicht mehr ein noch aus», sagt sie. «Dabei ging er früher immer gern ins Ausland.» Die Familie zog Konsequenzen und blieb dem Frieden zuliebe zu Hause. Trotzdem wurde der Sohn immer frecher, provozierte seine Eltern, wo er konnte. «Hier hätte ein Konzentrationslager Platz», habe er auf einer Wanderung gesagt. Und als sich die Mutter gegen seine Äusserung wehrte, drohte er ihr, sie auf die Todesliste der «Rheinfront» zu setzen. «Es ist, als ob er einen Chip im Kopf hätte», sagt die Mutter resigniert. «Ich habe keine Chance mehr, an ihn zu gelangen.»

Doch je härter sich der Bub in der Öffentlichkeit gibt, umso weicher wird er, wenn es tatsächlich ernst wird. «Vor wenigen Tagen brach ich nach einem Streit mit ihm weinend zusammen», erinnert sich Andrea F. Plötzlich wurde aus dem rechten Macho ein Muttersöhnchen. Mami, habe der Sohn gesagt, wenn du stirbst, bringe ich mich um. Und hat ihr versprochen, von nun an lieb zu sein. Dreimal sei er vom Schulweg zurückgekehrt, um nach seiner Mutter zu sehen. Und trotz seiner Neonazi-Kluft verlange der Bub jeden Abend von seinen Eltern nach einem Gutenachtkuss.

Woher die Fremdenfeindlichkeit ihres Nachwuchses stamme, ist für die Mütter der Skins nicht ganz klar. «Zum Teil sind es die Ausländer, die unsere Söhne provozieren», sagt Petra Wasescha. «Von beiden Seiten kommen Aggressionen.»

Teilweise schieben die Mütter die Schuld auf die Schule. «Mein Sohn hat das Gefühl, dass Ausländerkinder von den Lehrern bevorzugt werden», sagt Andrea F. «Wenn wir ihm verbieten, mit einer Schweizer Fahne zur Schule zu gehen, tauchen die Kosovo-Albaner trotzdem mit einer UCK-Flagge auf», sagt sie. «Das schürt den Hass.» Dabei weist die Gemeinde Mels einen Ausländeranteil von lediglich 13 Prozent auf, ein Drittel unter dem schweizerischen Durchschnitt.

Tatsächlich sind auch die Eltern an der rechtsextremen Einstellung ihrer Kinder nicht ganz unschuldig. Sie sind vielfach historisch wenig aufgeklärt, politisch unsensibel und gegenüber ihren Kindern naiv eingestellt. Ein idealer Nährboden, um die faschistoide Ideologie ungestört gedeihen zu lassen. Bis es zu spät ist. «Ich selber habe habe keine Ahnung, was genau während des Zweiten Weltkriegs passiert ist», gesteht Petra Wasescha.

In Mels geben sich die Skins angepasst. «Die Jugendlichen der ÐRheinfrontð äussern sich zwar faschistisch, sonst sind sie zuvorkommend und freundlich», sagt der Sicherheitsbeamte Marcel Jussel, der im Auftrag von Mels die Szene überwacht. Auch Willy Meier, Wirt vom Restaurant «Schäfli», wo die Skins verkehren, weiss nichts Negatives zu berichten. «Die sind doch harmlos», sagt er. «Die Burschen haben Komplexe, wollen für Mädchen interessant sein.»

Von den plakativen Parolen, wie «ich bin stolz auf mein Vaterland» oder «Ausländer sollte man vergasen» halten die Mütter nicht viel. «Die verstehen gar nicht, wovon sie sprechen. Keine Ahnung haben sie», sagt Petra Wasescha. «Dabei ist Thomas ein so lieber Bub. Der würde doch keiner Fliege etwas zu Leide tun.» Damit der Sohn von Andrea F. die Hintergründe über den Zweiten Weltkrieg erfahren kann, will sein Vater mit ihm eine Reise nach Deutschland unternehmen. «Er wird im die Konzentrationslager zeigen und ihm erklären, was Schreckliches passiert ist», sagt sie. «Vielleicht besteht darin eine kleine Hoffnung, unseren Sohn zu bekehren. Aber», fährt Andrea F. mit leiser Stimme fort, «wenn sich danach nichts ändert, bin ich am Ende meines Lateins.»

Aktive Ostschweizer Szene

Immer wieder ist es die Ostschweiz, die in die Schlagzeilen gerät, wenns um die rechtsradikale Szene geht. Für die Bundespolizei ist die Ostschweiz eine Schwerpunktregion, wo Rechtsextreme Zulauf haben und aktiv sind. Waren es 1999 gesamtschweizerisch noch 19 registrierte Treffen, zählte die Bundespolizei im ersten Halbjahr 2000 25 Anlässe. Ein grosser Teil davon kam in der Ostschweiz zu Stande. Auffallend viele Skins treffen sich in den Kantonen Sankt Gallen und Thurgau. Als sich am letzten Wochenende in Sankt Gallen 50 Skinheads mit 80 Afrikanern geprügelt haben, waren zwei prominente Skins der Ostschweizer Szene vertreten: Robert Walser aus Maienfeld GR, Führer der «Rheinfront» aus dem Sankt-Galler Oberland, und der Thurgauer Pascal Lobsiger, der am 1. August mit Gleichgesinnten auf dem Rütli provokativ aufmarschiert ist.

Thurgauer: Pascal Lobsiger

«An den Wochenenden traf er sich mit Kollegen. Trank ein paar Biere. Mehr ist mir nicht aufgefallen.»



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