SCHWEIZER AUSSENPOLITIK
Einmischung Gefordert - Facts
«Ich bin für den NATO-Beitritt.» - Facts
Armee-Einsätze im Ausland -Facts
Die Schweizer Armee ist bis in kleinste Details Nato-tauglich - Facts
Die Schweiz muss der Nato beitreten. Dies fordern 14 prominente Schweizer. Der Druck auf die offizielle Politik steigt.
VON URS ZURLINDEN
Als der Krieg in Europa erklärt wurde, stand die Schweiz fünf Minuten daneben. So lange brauchten die Vertreter der Schweizer Nato-Mission in Brüssel, um am Mittwoch, dem 24. März, gegen 17 Uhr von ihren Büros ins Nato-Hauptquartier zu eilen. Ein Info-Meeting war angesagt. Drei Stunden später fielen die ersten Bomben auf Jugoslawien.
Der Schweizer Missionschef Pierre-Yves Simonin und seine Mitarbeiter
konnten am Tag, als der Krieg ausbrach, nur dasitzen und zuhören.
Entschieden war der Angriff gegen Slobodan Milosevic bereits am
Abend zuvor in der inneren Umzäunung des Nato-Hauptquartiers.
Die politische Order erreichte dann die militärische Befehlszentrale
im belgischen Städtchen Mons. Dort ist die Schweiz gerade
noch mit einem Mann präsent, dem Verbindungsoffizier Oberst
Heinz Loppacher. Und in Neapel, zur operativen Kommandozentrale
für die Nato-Flotte und -Luftwaffe, hat die Schweiz gar keinen
Zutritt.
Krieg in Europa, und die Schweiz muss untätig zusehen. Daran
soll sich laut offizieller Bundespolitik auch nichts ändern.
«Ein Nato-Beitritt drängt sich derzeit nicht auf»,
sagte Adolf Ogi, Vorsteher des Departements für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), noch vor Monatsfrist.
«Die Sicherheitslage verlangt keinen Nato-Beitritt.»
Das sehen Opinionleader aus Politik und Militär anders. FACTS
präsentiert 14 Persönlichkeiten, die trotz der Nato-Angriffe
offen für einen Beitritt der Schweiz zum Nordatlantischen
Verteidigungspakt plädieren.
Das ist nicht selbstverständlich. Denn die Bomben haben das
heikle Thema zusätzlich tabuisiert. Das Verteidigungsministerium
hält an seiner Optik fest und drückt sich um eine
klare Position. «Sicherheit durch Kooperation», lautet
der diffuse Leitsatz im noch unveröffentlichten Sicherheitsbericht
2000 des Militärdepartements. Erst wenn ein Nato-Beitritt
«der Schweiz erheblich mehr Sicherheit brächte»,
beschrieb Botschafter Anton Thalmann, Autor des Berichts, den
eidgenössischen Egoismus in der NZZ, «müsste auch
dieser Schritt in Betracht gezogen werden.»
Eine Allzweck-Ideologie. So kann die Generalität sowohl die
alte Doktrin der autonomen Landesverteidigung retten als auch
die neuen Annäherungsversuche zur Nato institutionalisieren.
Die Absicht: Die helvetischen Truppen sollen, eine autarke Streitmacht
vortäuschend, ungehindert mit weiteren Hightech-Waffen ausgerüstet
werden. Das unverbindliche Fraternisieren mit der Nato käme
als Supplement dazu.
Jüngster Zug im Verwirrspiel: Ogis Departement prüft
den Kauf weiterer acht bis elf Kampfjets vom Typ F/A-18 (Kosten:
800 Millionen Franken). Ab 2006 sollen Kurzstreckenraketen (Kosten:
600 Millionen) das Schweizer Waffenarsenal ergänzen, ab 2010
stehen sogar Mittelstreckenraketen auf der Wunschliste. Ein Schulterschluss
mit der Nato ist in der Konzeptstudie «Feuer der operativen
Stufe» nicht vorgesehen. Allfällige «Absprachen
mit ausländischen Streitkräften» figurieren im
57-seitigen Papier lediglich unter «Pendenzen».
Trotzdem hat das Paktieren mit der Nato längst begonnen.
Seit Mitte der Neunzigerjahre üben Schweizer Soldaten mit
Nato-Ländern den Ernstfall. «Brückenschlag»
hiessen die Manöver mit Pontonieren der deutschen Bundeswehr
vom Juni 1995. Zwei Jahre später drangen fünfhundert
Schweizer Soldaten weit in französisches Hoheitsgebiet vor.
Nach «Léman I» wird im Herbst «Léman
II» anlaufen. Zur besseren multinationalen Verständigung
soll an Schweizer Offiziersschulen die Nato-Sprache Englisch Pflichtfach
werden.
Auch die Balkankrise hat die Schweiz näher zur Nato gerückt.
Gegen 7000 Nato-Flugzeuge haben für die Friedensmission in
Bosnien die Schweiz überflogen, mit Einwilligung des Bundesrats.
Die Nato-Aktivitäten sollen, heisst es VBS-intern, im Volk
einen «Gewöhnungseffekt» erzielen. Eine längst
fällige Debatte über Neutralität und territoriale
Unversehrtheit fand nie statt. Die Strategie der Militärs
hat einen Haken: Sie ist schlecht getarnt und deshalb angreifbar.
«Die Armee sitzt in der Falle», sagt der Politanalyst
und ehemalige CVP-Generalsekretär Iwan Rickenbacher. «Für
die Rundumverteidigung fehlt der Feind und für Solidaritätsaufgaben
wie in Kosovo fehlt das Recht.»
Die politische und militärische Prominenz, die offen für
einen Nato-Beitritt der Schweiz einsteht, nimmt ständig zu.
Dazu gehören der frühere Generalstabschef Arthur Liener,
FDP-Präsident Franz Steinegger, Alt-Bundesrat Rudolf Friedrich,
CVP-Nationalrat Eugen David oder SP-Ständerat Gian-Reto Plattner.
Nur aus Ogis SVP will sich niemand als Nato-Befürworter outen.
Tim Guldimann, Chef der OSZE-Delegation in Kroatien: «Das
Land an den Grenzen und am Gotthard zu verteidigen, ist eine teure
Illusion. Wir müssen unsere Sicherheitsinteressen dort einbringen»,
sagt er mit Blick auf Brüssel, «wo über sie entschieden
wird.» Auch der Genfer FDP-Nationalrat Peter Tschopp kritisiert
das zögerliche Mitmachen am äussersten Rand der Nato:
«Die Trittbrettfahrerei hat ausgedient.»
Der Nato-Krieg um Kosovo kommt für Ogi und seine Strategen
ungelegen. «Es wäre eher eine Beruhigungsphase erwünscht»,
sagt ein VBS-Chefbeamter. Grund: Ende Januar hat Ogi eine kleine
Änderung des Militärgesetzes in die Vernehmlassung geschickt.
Ziel der Minirevision: Schweizer Soldaten sollen bei ihren Auslandeinsätzen
Waffen tragen dürfen.
«Gehen wir zur Krise, sonst kommt die Krise zu uns»,
begründete Ogi jeweils die Auslandeinsätze seiner Truppen.
Jetzt hat die Realität des Kosovo-Kriegs das Bonmot eingeholt.
Doch eine offene Diskussion über den Nato-Beitritt liegt
nach wie vor nicht drin. «Die Generalität darf sich
dazu nicht äussern», sagt Roman Weissen, Sprecher des
Generalstabschefs, das Primat habe die Politik.
Das ist nur die halbe Wahrheit. Ogi und seine Generäle verweigern
die Nato-Debatte aus Angst vor der unheiligen Allianz zwischen
linken Armeeabschaffern und rechten Stahlhelmfraktionen. Schon
die unscheinbare Gesetzesrevision könnte zum Auslöser
werden. Die friedenspolitische Linke um SP-Nationalrätin
Barbara Haering hat sich noch am Vortag des Nato-Kriegs «gegen
Blankoschecks für bewaffnete Auslandeinsätze»
ausgesprochen. Rechts aussen in Ogis SVP haben die Nationalräte
Hans Fehr und Ulrich Schlüer Ende Januar unter dem Titel
«Ja zur Neutralität» ein Widerstandsnest eingerichtet.
Die geistigen Erben Winkelrieds bekämpfen die Gesetzesrevision,
denn, so Schlüer: «Sie führt zur Nato.»
Geht es gegen den Nato-Beitritt, können die Bewahrer einer
immer währenden «Unabhängigkeit und Neutralität»
auf breite Unterstützung zählen. Keine der Regierungsparteien,
hat eine aktuelle FACTS-Umfrage ergeben, steht für einen
raschen Nato-Beitritt ein. Gemäss Nationalrat Samuel Schmid,
SVP-Fraktionschef und Infanterie-Oberst, wäre der Beitritt
«ein Weitschuss, der im Moment im Ungewissen landet».
Der Einsiedler Niklaus von Flüe (1417 bis 1487) hat das Dogma
eidgenössischer Neutralität und aussenpolitischer Teilnahmslosigkeit
geprägt: «Mischt euch nicht in fremde Händel.»
Für Tim Guldimann, den Schweizer OSZE-Delegierten in Zagreb,
gilt dieser Rat des Heiligen nicht mehr. «Entweder sind
wir Parasiten», sagt der Spitzendiplomat, «oder wir
beteiligen uns aktiv an der Verteidigungspolitik in Europa.»
«Ich
bin für den NATO-Beitritt.»
Gian-Reto Plattner
HD-Unteroffizier aD, Professor für Physik, SP-Ständerat,
Basel
«Eine autonome Verteidigung der Schweiz ist sinnlos und
unnütz. Wenn wir das europäische Haus gegen Einbruch
sichern wollen, nützt es wenig, wenn die Schweiz allein das
Badezimmer im obersten Stock verteidigt.»
Arthur Liener
Korpskommandant, Physiker, bis Ende 1997 Generalstabschef, Bern
«Die Rahmenbedingungen sind sauber, gründlich und in
notwendiger Breite abzuklären. Allenfalls sind Vorbehalte
wegen Art. 5 (kollektive Verteidigungspflicht) anzubringen beziehungsweise
die Verträglichkeit mit dem Milizsystem zu prüfen. Die
Zusammenarbeit wäre auch auf der Basis bilateraler Nato-Verträge
denkbar.»
Otto Schoch
Major, Rechtsanwalt, Alt-Ständerat, FDP, Appenzell AR
«Die Nato gewährleistet unsere Sicherheit. Sie ist
zusammen mit der EU der wichtigste Garant für die Sicherheit
unseres Landes. Ein militärischer Alleingang der
Schweiz ist heute sinnlos.»
Iwan Rickenbacher
Oberst im Generalstab, Unternehmensberater, ehemaliger CVP-Generalsekretär,
Schwyz «Mit der Ost-Erweiterung der Nato riskiert die Schweiz
in der Sicherung des europäischen Friedens einmal mehr isoliert
zu werden.»
Erika Forster
Soldatin aD,
FDP-Ständerätin, Sankt Gallen
«Der Nato-Beitritt muss ein Ziel sein wie der Uno- und der
EU-Beitritt. Auch wenn die Nato zurzeit vielleicht ein etwas trauriges
Bild abgibt ohne dabei zu sein, können wir auch nichts
ändern.»
Rudolf Friedrich
Hauptmann, Alt-Bundesrat, Winterthur
«Die Schweiz ist aus technischen und finanziellen Gründen
nicht mehr in der Lage, sich autonom zu verteidigen. Zudem betreffen
denkbare Bedrohungen nicht die Schweiz allein, sondern ganz Europa.»
Tim Guldimann
Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung an
der ETH Zürich
«Ich persönlich bin für einen Nato-Beitritt. Angesichts
der Hartnäckigkeit, mit der die Schweiz bisher an der autarken
Landesverteidigung festgehalten hat, ist aber die schrittweise
Annäherung realistischer.»
Peter Tschopp
Diplomat, OSZE-Delegierter in Kroatien, Zagreb
«Ich bin für den Nato-Beitritt im Rahmen der folgenden
Strategie: Beitritt zur EU und zur Westeuropäischen Union
(WEU), Ausbau der WEU zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft,
die Europa innerhalb der Nato zum gleichwertigen Allianzpartner
der USA macht. Die Emanzipation der europäischen Aussenpolitik
verlangt eine geeinte und dadurch verstärkte Verteidigung.»
Pietro Donzelli
Professor für Volkswirtschaft, FDP-Nationalrat, Genf
«Die Trittbrettfahrerei hat ausgedient. Es ist besser, in
einem modernen Armeeverbund dabei zu sein, als weiter- zufahren
mit der Illusion der Unabhängigkeit einer hoch technisierten
Armee, die letztlich auf Kosten ihrer Einsatzfähigkeit und
damit auf Kosten des Lebens ihrer Soldaten geht.»
Franz Steinegger
CVP-Nationalrat, Rechtsanwalt, Sankt Gallen
«Sicherheit in West- und in Osteuropa kann nur durch die
Nato gewährleistet werden. Für mich ist aber der EU-Beitritt
auch sicherheitspolitisch zurzeit viel relevanter als ein Nato-Beitritt.»
Irene Thomann-Baur
Hauptmann, Generalsekretärin Schweizerische Offiziersgesellschaft,
Winterthur
«Der Alleingang ist keine Alternative. Ein sofortiger Beitritt
würde jedoch zu einer innenpolitischen Zerreissprobe führen.
Längerfristig wird die Entwicklung in Richtung Nato-Beitritt
gehen.»l
80-jährige Tradition: Die ersten Auslandeinsätze der Schweizer Armee fanden vor mehr als 80 Jahren statt. Und mit der Nato wird seit Jahren eng kooperiert
1919
Bewaffnete Eskorten der Schweizer Armee beschützen Warentransporte
nach Osteuropa, zum Beispiel im August nach Warschau.
1953
Schweizer Militärs werden zur Überwachung des Waffenstillstands
nach Korea entsandt. Noch heute sind 5 Offiziere in Panmunjom.
1978
Trainingsflüge von Piloten der Schweizer Luftwaffe: Unter
anderem in Israel, in Italien, in den USA.
Juli 1983
Beginn des umstrittenen, dem damaligen EMD-Chef Georges-André
Chevallaz vorenthaltenen Pilotenaustausches mit Südafrika.
Gemäss offizieller Version diente der Austausch zur Überprüfung
der taktischen Einsatzmöglichkeiten der Mirage III S.
19891998
Der Bundesrat schickt Sanitätstruppen nach Namibia, in die
Westsahara und nach Tadschikistan.
1990
Beginn der Uno-Missionen von Schweizer Militärbeobachtern
im Nahen Osten, in Ex-Jugoslawien und Georgien.
Sommer 1995
Erste gemeinsame Übung von Bodentruppen mit einem Nato-Land.
Beim «Brückenschlag» üben Schweizer Genietruppen
mit deutschen Einheiten den Katastropheneinsatz. Derweil trainiert
die Luftwaffe in England («Norka»), Frankreich, Holland
und Norwegen.
Dezember 1995
Der Bundesrat bewilligt Überflüge im Rahmen der Nato-Einsätze
auf dem Balkan. Bis Ende 1999 wird die Schweiz über 10 000-mal
überflogen.
April 1996
Ein mechanisiertes Füsilierbataillon steht in Österreich
(«Mobility»), eine Panzerkompanie reist zu Gefechts-
und Schiessübungen nach Schweden («Drakar»).
1996
Einsatz von bis zu 55 unbewaffneten Gelbmützen in Bosnien-Herzegowina
zur Unterstützung der OSZE.
Dezember 1996
Aussenminister Flavio Cotti unterzeichnet das Nato-Rahmendokument
Partnerschaft für den Frieden (PfP).
Mai 1997
Cotti nimmt an der Gründung des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates
(EAPC) der Nato- und Partnerschaftsländer teil. Seither wechseln
sich der Aussen- und der Verteidigungsminister an den EAPC-Treffen
ab.
Oktober 1997
Grenzüberschreitende Übung für Katastrophenhilfe
des Rettungsbataillons 6 in Frankreich («Léman 97»).
Ähnliche Übung im Juli 1999.
November 1997
Eröffnung der Schweizer Mission bei der Nato und erster offizieller
Besuch eines Nato-Generalsekretärs in der Schweiz.
Sommer 1998
Im Rahmen der Operation «Alba» des Uno-Flüchtlingshilfswerkes
stehen rund 70 Schweizer mit drei Super-Puma-Helikoptern in Albanien
im Einsatz.
November 1998
Der Bundesrat beschliesst Teilnahme am Planning and Review Process
(PARP) der Nato. Damit wird die Zusammenarbeit der Nato mit den
Partnerländern in Form von Zielen genauer definiert. Am 25.
April 2000 reicht die Schweiz 33 PARP-Ziele ein.
Frühjahr 1999
Erste Abkommandierung eines Schweizer Stabsoffiziers an einen
Nato-Stab.
Juni 1999
Der Bundesrat entsendet eine Truppeneinheit mit 137 Frauen und
Männern in den Kosovo (Swisscoy).
Oktober 1999
Trilaterale Luftraumüberwachungsübung der Schweiz, Frankreichs
und Österreichs («Amadeus»).
Mai/Juni 2000
Gefechtsübung der Panzerkompanie II/18 in Frankreich. Anschliessend
üben französische Panzertruppen auf dem Schiessplatz
Wichlenalp («Wiva») im Glarnerland.
Von Urs Zurlinden
Adolf Ogi, Chef des Militärdepartements mit unverkrampfter Vorliebe fürs Aussenpolitische, durfte sich wieder einmal als Lichtfigur geben. Die Schweiz werde «wie ein Licht nach aussen wirken», schwärmte Ogi am Dienstag voriger Woche im Bundeshaus, als er das neue «Zentrum für die demokratische Kontrolle der Streitkräfte» ankündigte.
Ein veritables «Maison de la Paix» will Wehrminister Ogi auf dem Areal der ehemaligen Maschinenfabrik Sécheron in Genf einrichten.
Das Haus des Friedens wird auch die beiden anderen, von Ogi innerhalb von vier Jahren aus dem Boden gestampften Zentren «für Sicherheitspolitik» und «für humanitäre Minenräumung» beherbergen. Kosten: 30 Millionen - pro Jahr. Finanziert werden die drei Genfer Zentren aus einem Budgetposten mit wachsendem Umfang: als Beitrag der Schweiz zum Nato-Programm «Partnerschaft für den Frieden» (PfP).
Die Schweiz und Ogis Armee mausern sich, von der Öffentlichkeit weit gehend unbemerkt, zum absolut verlässlichen Nato-Partner - und zwar bis in die Niederungen einer Anhängerkupplung. «Die Schweiz gehört zu den aktivsten und anerkanntesten Ländern innerhalb der Nato-Partnerschaft,» sagt Botschafter Philippe Welti, der sicherheitspolitische Chefideologe im Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), «wir sind an der Spitze dabei.»
Ogis Armeereform XXI wird gemäss ihrer Devise «Sicherheit durch Kooperation» aus der Schweizer Soldateska endgültig eine international einsetzbare Streitmacht formen. Beispiel Befehlshierarchie: Abschaffung der Divisionen und Regimenter, nur noch Brigaden wie in der Nato. Beispiel Ausbildung: Mehr Profis und Durchdiener, schnelle Einsatztruppen. Beispiel Rüstung: Transportflugzeuge für Auslandeinsätze.
Armeemotorfahrzeugpark (AMP) Thun, im Juni 2000. Die feldgrünen Lastwagen mit dem militärischen Kürzel 6/10 DM stehen einsatzbereit auf dem Parkplatz. Die Laster wurden 1982 beim Schweizer Hersteller Saurer beschafft. Am Heck fallen unschweizerische Eigenheiten auf: Zwei verschiedene Stecker für Stromanschlüsse, zwei Vorrichtungen für unterschiedliche Bremssysteme. Die Anschlüsse dienen dem alleinigen Zweck: Die 6/10 DM made in Switzerland sollen auch Anhänger von Nato-Fahrzeugen ziehen können. Oder der Radschützenpanzer 8x8, ab 1993 in drei Tranchen à 205 Stück bei Mowag, Kreuzlingen TG, gekauft, ist mit Vorder- und Rücklichtern ausgestattet, die jederzeit aus einem Nato-Ersatzteillager nachbestellt werden könnten. Auch die auf dem Fahrzeug montierten Nebelwerfer entsprechen dem Nato-Bestand.
Der Einfüllstutzen für die Luft-Luft-Betankung des Abfangjägers F/A-18 ist ebenso Nato-tauglich wie die neuen Befestigungspunkte für Tragbahren in den Sanitätscontainern. Die Liste von Schweizer Armeematerial, das sich an den entscheidenden Schnittstellen problemlos an eine Nato-Einheit kuppeln liesse, ist überraschend lang. Nur weiss das kaum jemand. Die Mechaniker im AMP-Thun, die einen 56-tonnigen Kampfpanzer Leo 2 besser kennen als ihr Zweigangtöffli, blicken ratlos auf das eigenartige Fadenkreuz aus reflektierendem Material neben dem Nummernschild mit Schweizer Kreuz. Nicht einmal sie wissen, dass das von innen beleuchtete Katzenauge eine Nato-Erfindung ist. Damit können sich die Pänzeler nachts, wenn sie nur mit Tarnlichtern fahren, am vorderen Fahrzeug orientieren. Schweizer Panzertruppen könnten sich also fadengerade in eine Nato-Kolonne einreihen.
Während im Bundeshaus weiter über bewaffnete Auslandeinsätze gestritten wird, wie diese Woche im Ständerat, ist die Schweizer Armee de facto längst auf Nato getrimmt. Die Nato-Tauglichkeit würde selbst einen Papierkrieg überstehen. So wurde das Formular GAPL (Geräteaufgliederungsplan), Ausgabe 3. 6. 1992, für ein AMP-Ersatzteillager extra den Vorgaben des Nordatlantischen Verteidigungspaktes angepasst. Obschon die frühere, schweizerische Ordnung «eigentlich logischer» gewesen wäre, klagt ein AMP-Mann in Thun.
Sind Anpassungen an den Nato-Standard nötig, erfolgen sie rasch und ohne Federlesen. Als die Schweizer Gelbmützen in Bosnien eintrafen, hatten sie ein Problem: Ihre Puch-Geländewagen - ökobewusst mit Katalysator gekauft - fuhren nur mit bleifreiem Benzin, alle anderen Truppen tankten Diesel. Worauf das VBS die Puch postwendend umrüstete. Oder: Die Super-Pumas in Albanien konnten ihre Hilfseinsätze vorerst nur mit französischen Eskorten fliegen. Denn sie waren für die Nato nicht als «Freund» erkennbar. Bis in den Schweizer Helis ein Nato-lesbarer Erkennungscode eingerichtet wurde.
Ogi weiss: «Die Nato ist die wirksamste Organisation kollektiver Verteidigung.» Nachzulesen ist dieses Credo im neuesten Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik (Sipol 2000). Der Bericht dient als militärpolitische Grundlage für die Armee XXI. Doch die Konsequenz aus dieser Erkenntnis will die Landesregierung nicht wagen. «Ein Beitritt zur Nato steht nicht zur Diskussion», versichert der Bundesrat in den Ende Mai verabschiedeten Leitlinien zur neuen Armee. Die Scheu vor der offenen Auseinandersetzung mit linken und rechten Nato-Gegnern verdrängt militärstrategische Erkenntnisse und Notwendigkeiten. Bloss die Vorstellung einer autonomen Landesverteidigung, wie sie noch in der Stahlhelmfraktion um SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer herumgeistert, haben Ogi und seine Generale definitiv begraben. «Die autonome Landesverteidigung macht weder Sinn, noch ist sie finanzierbar», bringt Urs Lacotte, Chef Rüstungsplanung im Generalstab, die Haltung des VBS auf den Punkt.
Die Alternative? Militärexperten wie Kurt Spillmann, Leiter der ETH-Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse, wissen: Die Nato und deren Standards «sind die einzigen international verbreiteten und anerkannten Normen der militärischen Zusammenarbeit.» Deshalb ist für Spillmann klar: «Wir müssen uns schrittweise Richtung Nato-Beitritt bewegen.»
Das tut Ogi, aber sagt es nicht. Um den Marsch nach Brüssel zu tarnen, hat er den Nato-Begriff «Interoperabilität» importiert. «Interoperabilität ist die entscheidende Voraussetzung für die Kooperationsfähigkeit», steht im bundesrätlichen Armeeleitbild XXI. Deshalb sei «die Armee als Gesamtsystem auf Interoperabilität auszurichten.»
Der Zungenbrecher ist als Zielvorgabe gemeint, beschreibt aber zugleich den Ist-Zustand. Seit 12 Jahren praktizieren Piloten der Schweizer Luftwaffe «Interoperabilität» mit ausländischen Fliegerformationen über ausländischen Hoheitsgebieten. Seit 1995, seit der Übung «Brückenschlag» an der schweizerisch-deutschen Grenze, machen es die Bodentruppen den Piloten nach. Jüngster Höhepunkt: Nato-Kampfpanzer mit Nato-Munition üben, wie kürzlich eine französische Panzerkompanie auf dem Glarner Schiessplatz Wichlenalp, den grenzfreien Verkehr - als ob das schweizerische Territorium schon fest in die Allianz eingebunden wäre.
Nato-Beitritt Nein, Nato-Partnerschaft Ja! Was an die EU-Debatte erinnert, findet eine miliärpolitische Fortsetzung in der Nato-Diskussion. Und wie in der Europa-Politik - Stichwort: «Autonomer Nachvollzug» - stellt sich heraus, dass die Schweizer Armee heute zu den mustergültigen Nato-Partnerarmeen gehört. Nur wird das aus Angst vor einem heillosen Gezänk um Neutralität und militärische Unabhängigkeit nicht öffentlich ausgesprochen. Dafür danach gehandelt.
Kaserne Luzern, Armee-Ausbildungszentrum. Dort ist, wie zahlreiche Beispiele belegen, die Kaderschmiede für Ogis Nato-Armee.
?In den militärischen Führungskursen für Berufsoffiziere ist nicht mehr eine zweite Landessprache Pflichtfach, sondern die Nato-Sprache Englisch. Seit 1999 wird zudem ein spezieller Kurs für militärische Terminologie angeboten, ein Duplikat des Military Terminology Course (MFS) der Nato.
?Im Führungslehrgang 4 für höhere Stabsoffiziere gehts um die Taktik, wie militärische Aufträge zu erteilen seien. Dafür galten bisher die Ordern gemäss Führungs- und Stabsorganisation (FSO). Jetzt wird die Nato-Doktrin Operational Planning Process (OPP) geschult.
?Via Internet lassen sich verschiedenste Ernstfall-Szenarien auf den Bildschirm holen. Simulation-Network heisst das von der Nato initiierte und demnächst auch in Luzern angebotene Trainingsprogramm. Die Übungen, welche die Schweizer Offiziere kostengünstig absolvieren können, sind äusserst praxisnah. Sie basieren auf Erfahrungen, welche die Nato auf dem Balkan gemacht hat.
«Wir wollen keinen Nato-Beitritt und bereiten ihn auch nicht hinter den Kulissen vor», sagt der VBS-Chefbeamte Urs Lacotte. «Damit die Armee aber eine hohe sicherheitspolitische Wertschöpfung hat, muss sie in der Lage sein, Aufgaben im Rahmen von internationalen Kooperationen zu übernehmen.» Grundlage dazu bietet PfP, auf Nato-Englisch: Partnership for Peace. Rund 300 Schweizer Offiziere haben im vergangenen Jahr an PfP-Programmen teilgenommen. Das derzeit aktuelle Angebot umfasst mehrere hundert Kurse, darunter etliche vom VBS.
Jetzt hat sich die Schweiz gar freiwillig in die Pflicht nehmen lassen. Im Rahmen des Nato-Programms PARP (Planning in Review Process) wurden 33 Ziele festgelegt, welche das Nicht-Nato-Land bis 2006 erfüllen will. Am Dienstag nach Ostern wurde die Vereinbarung im Nato-Hauptquartier in Brüssel bereinigt und nachträglich vom Bundesrat anstandslos ratifiziert.
Wie nahe Ogi die Schweizer Armee an die Nato heranführen will, bleibt allerdings im Dunkeln: PARP wurde - im Einvernehmen mit der Nato - zur Geheimsache erklärt.
Bei Umschalten Nato
Der Hebel zur Nato. Jedes Schweizer Armeefahrzeug neueren Datums,
wie zum Beispiel der Geländewagen Puch, verfügt in der
Nähe des Beifahrersitzes über einen Umschalthebel. Damit
kann vom schweizerischen Stromkreis auf die Nato-Steckdose umgeschaltet
werden.
Mit der Nato verkuppelt
Bereits 1982 kaufte die Armee einen Schweizer Lastwagen, der jederzeit
einen Nato-Anhänger ziehen kann. Der Saurer 6/10 DM wurde
am Heck mit zwei verschiedenen Stromanschlüssen und zwei
Kupplungen für unterschiedliche Bremssysteme versehen.
Munition vom Kaliber der Nato
1990 wird für eine Milliarde Franken das neue Sturmgewehr
90 inklusive Munition (u.) gekauft. Es löst das alte Sturmgewehr
aus dem Jahre 1957 (o.) ab. Das neue Gewehr ist nicht nur eineinhalb
Kilo leichter, sondern auch Nato-verträglich. Die Munition
Kaliber 5,6 wird auch von den Nato-Armeen verwendet.
Orientierung an der Nato
Das reflektierende Fixierkreuz am Heck des Schweizer Kampfanzers
Leopard 2 dient der Orientierung des nachfolgenden Panzerfahrers.
Eine Nato-Einrichtung, damit sich die Pänzeler auch nachts
und bei Tarnlicht in geordneter Kolonne verschieben können.
Ein Steckplatz für die Nato
Oben Schweiz, unten Nato: Um die militärische Unabhängigkeit
und immer währende Neutralität zu wahren, verfügt
die Schweizer Variante des Puch-Geländewagens, in einer ersten
Tranche mit dem Rüstungsprogramm 1988 gekauft, hinten über
zwei Steckdosen. Die Stromspannung ist dieselbe.