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INHALT

FPÖ und ÖVP haben Verhandlungen über Inhalte abgeschlossen.- Liechtensteinischer Vaterland

Schwarzblau in Quarantäne - Facts Februar 2000

Der neue FP-Justizminister bezeichnete KZ als "Straflager"- Kurier

Klestil gibt grünes Licht - Kurier

Klestil betrieb Österreichs Isolation- Focus

Gewalt bei Demos - Kurier

Sorge vor neuen Krawallen - Kurier

1.500 vor der FPÖ-Zentrale in Wien - Demonstrationen auch in Graz und Bregenz - Vorarlberger Nachrichten

Österreich in Angst: Gewalt auf der Straße - Angst vor Sozial-Konflikten- der Standard

Sozialpaket: Was schwarz-blau anders macht- der Standard

Der Demonstrant in der Hofburg- Kurier

Schüssel hofft: Mittelfristig wird es zur Normalisierung kommen.- Kurier

Weh dem, der lügt: Vor Prozess Haider ­ Klima - der Standard

Die Freiheitlichen und die freie Meinungsäußerung - der Standard

Oppositionskritik am EU-Kurs gegen Österreich +Klestil ruft erneut zu politischer Mäßigung auf - apa

Scharfe Kritik an Haiders Talkshow-Auftritt - dpa

«Wir lassen uns nicht überfahren» - Facts

Front gegen Haider - Facts

Ein Land im Stadium der Farce - Facts

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FPÖ und ÖVP haben Verhandlungen über Inhalte abgeschlossen

Wien (APA) - FPÖ und ÖVP haben am Dienstagabend ihre Verhandlungen über ein inhaltliches Programm abgeschlossen. Die Inhalte sollen Mittwoch Früh Bundespräsident Thomas Klestil vorgelegt werden, gab VP-Chef Außenminister Wolfgang Schüssel am Dienstag kurz nach 22 Uhr in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit FPÖ-Chef Jörg Haider bekannt. Haider sagte, die beiden Parteien seien in der Lage, dem Bundespräsidenten "anspruchsvolles Reformprogramm" anzubieten, das sich auf eine breite Mehrheit im Parlament stützen könnte, wenn Klestil den Auftrag zur Regierungsbildung erteile.
VP-Chef Wolfgang Schüssel sagte, die beiden Parteien hätten Bundespräsident Thomas Klestil gebeten, er möge der Regierung eine Präambel mit auf den Weg geben; es werde ganz bewusst versucht, einen Weg zu finden, "der die berechtigten Sorgen in den europäischen Ländern ernst nimmt und ihnen von Vornherein die Spitze abbricht". Für Schüssel geht es bei der Kritik nicht mehr um Parteien, "denn hier steht tatsächlich das Land auf dem Prüfstand. Es muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, dass wir es nicht stehenlassen, dass Österreich als ein wichtiges und gleichberechtigtes Mitgliedsland der EU einfach ausgegrenzt und nicht einmal informiert wird und an den Pranger gestellt wird." Die 14 EU-Staaten seien "zu weit gegangen", bekräftigte Schüssel.
FPÖ-Obmann Jörg Haider betonte, "der Versuch von außen her, der Veränderung eines politischen Systems Widerstand entgegen zu setzen, ist nicht in Ordnung". Er habe die Entschlossenheit, jeden bis ins Detail herauszufordern, der leichtfertig Vorurteile transportiere. Festzustellen sei: "Man ist zu weit gegangen, oder man ist auf manche politische
Heißsporne, die den Abschied von der Macht nicht verkraften, hineingefallen."

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Schwarzblau in Quarantäne

Aus dem Standard

Die harschen Einwände gegen eine österreichische Regierung mit Jörg Haider sind eine EU-Premiere: Erstmals spricht die Union mit einer Stimme.

Von Tessa Szyszkowitz

Bomben explodieren selten in den Couloirs des EU-Rates in Brüssel. Umso grösser war der Schock am vergangenen Montag, als mitten in die Sitzung der EU-Finanzminister die Nachricht platzte, dass 14 EU-Staaten mit Österreich kein «Business as usual» mehr machen wollen, sollte Jörg Haiders FPÖ demnächst mitregieren. Auch wenn Austrias Repräsentanten zu EU-Ratstagungen weiter zugelassen würden, soll es keine bilateralen Regierungsbesuche mehr geben.

«So etwas hat es in der EU noch nicht gegeben», analysiert Peter Ludlow vom Center for International Policy Studies. Zum ersten Mal in der Geschichte der Union werden einem Mitglied diplomatische Sanktionen angedroht. Und das, bevor eine Regierung überhaupt gebildet wurde. Der portugiesische Premierminister Antonio Guterres fand klare Worte: «Die EU ist nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft. Wir haben auch gemeinsame Werte zu verteidigen.» Sollte Österreich sich für diesen «absurden und fehlerhaften Weg» entscheiden (Frankreichs Aussenminister Hubert Vedrine), dann heisst es ab sofort: Austria non grata.

In Wien löste die EU-Ohrfeige Depression, aber auch Starrsinn aus. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel will trotz internationalem Druck nicht darauf verzichten, Bundeskanzler werden zu wollen. Jörg Haider sah auch nach der EU-Rüge keinen Grund, sein Koalitionsangebot zurückzuziehen. Grosses Fragezeichen im Politpoker: Bundespräsident Thomas Klestil. Wenn er den schwarzblauen Pakt nicht absegnet, steuert Österreich auf Neuwahlen zu. Der Wiener SPÖ- Bürgermeister Michael Häupl sagt: «Dies ist die grösste Staatskrise der Zweiten Republik.»

Nach ersten Umfragen breitete sich in Österreich erst einmal Bunkerstimmung aus: Die EU-Erklärung sei nicht fair. «Über die Regierungsbildung wird in Wien entschieden», schnappte ein beherrschter, aber gekränkter Wolfgang Schüssel in Richtung seiner bisherigen EU-Partner. Die 14 Regierungen hatten den amtierenden Aussenminister seit vorigem Wochenende nicht mehr über die Pläne der EU informiert. «Offenbar hat man lange auf Schüssel eingeredet wie auf eine kranke Kuh. Irgendwann dachten sich die EU-Regierungen: Dem ist nicht zu helfen!», analysiert der österreichische Journalist Georg Hoffmann-Ostenhof vom Magazin «Profil».

Ganz wohl war aber auch am Tag danach so manchem Eurokraten nicht mehr bei dem Gedanken, dass die Union sich politisch derart weit aus dem Fenster gelehnt hat. «Die Kommission wird die Arbeitsbeziehungen mit den österreichischen Behörden aufrechterhalten», sagte EU- Kommissionspräsident Romano Prodi Dienstagvormittag in einer hastig einberufenen Pressekonferenz. Prodi, heisst es in seinem Umkreis, war nicht glücklich darüber, dass er vom portugiesischen Premierminister erst nachträglich über die Austria-Schelte informiert worden war.

Mulmig war einigen EU-Diplomaten auch bei dem Gedanken, dass die drastische Vorgehensweise in ihren Konsequenzen noch nicht abzuschätzen ist.

Sicher scheint: Österreichs «Quarantäne» bedeutet eine stärkere Isolation als zu Kurt Waldheims Zeiten. Damals durfte nur der Bundespräsident nicht mehr reisen. Die Minister eines schwarzblauen Österreich dürften nun in Zukunft zwar bei EU-Ratstagungen dabei sein, würden aber innerhalb des erlauchten Kreises ausgegrenzt.

Unsicherheit besteht in den Brüsseler Amtsstuben nun über das weitere Vorgehen. Zwar sieht der EU-Vertrag keine Klausel zum Ausschluss eines Mitgliedsstaats vor. Doch im Hinblick auf heikle Beitrittskandidaten wie die Slowakei hat die Union sich im Amsterdamer Vertrag, der im Mai 1999 in Kraft trat, einen Artikel sieben geschaffen, der Sanktionen gegen ein Mitglied vorsieht: Wenn ein EU-Partner «schwerwiegend und anhaltend» gegen die Grundsätze der Union (etwa die Einhaltung der Menschenrechte) verstösst, kann «der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschliessen, die Stimmrechte des Vertreters dieses Mitgliedsstaats auszusetzen.»

«Davon sind wir wirklich noch weit entfernt», heisst es im Büro von Javier Solana, der seit Herbst als Quasi- EU-Aussenminister fungiert. Doch in er EU bestimmt weniger der offizielle Rahmen die Geschicke der 15 Regierungen als das inoffizielle Geschehen: «Jede Initiative einer schwarzblauen österreichischen Regierung - etwa lange Übergangsfristen für Arbeiter aus den Beitrittsländern im Osten - wird wegen Verdachts auf rechtsextreme Beweggründe abgelehnt werden», prophezeit ein Ratsdiplomat.

Es ist freilich nicht allein das Misstrauen gegen Haider und die Sorge um Österreich, die Europas Staatenlenker bewegen. Die belgische Regierung etwa fürchtet den landeseigenen Vlams Blok als aggressive rechtsextreme Kraft; die Deutschen wollen den bösen Geist bannen, der sich die Krise der CDU zu Nutze machen könnte; die Franzosen haben Le Pen und sind sensibel, wenn es um österreichische Führer geht. Österreich hat dank seiner Geschichte in allen Hauptstädten einen schlechten Ruf.

Zudem klafft im europäischen Gewissen nach dem Versagen im Bosnien-Krieg eine offene Wunde. Dass jetzt neuerdings - im Kosovo aussenpolitisch, mit der Einmischung in Österreich innenpolitisch - mit einer Stimme gesprochen wird, halten manche für den Beginn einer geeinteren Ära der politischen Union.

Nur eine Politikerin in ganz Europa sprang den Wiener Schwarzblauen diese Woche zur Seite: «Auch Italien würde einen Haider brauchen», sagte Alessandra Mussolini, die Enkelin des Duce. «Nicht der arme Haider, die EU-Vertreter sind Rassisten.»

Umstrittene Zitate

Jörg Haider über -

DAS DRITTE REICH
«Da war eine ordentliche Beschäftigungspolitik.» (Juni 1991)

EHEMALIGE SS-LEUTE
«Anständige Menschen, die einen Charakter haben und auch bei grösstem Gegenwind ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind.» (Dezember 1995)

KRIEGS-VETERANEN
«Sie alle ragen heute heraus wie ein Fels im Meer.» (1985)

DEN HOLOCAUST
«Wenn Sie so wollen, dann war es halt Massenmord.» (1985)

DIE EUROPÄISCHE UNION
«Sind wir einmal in der EU, werden auch hier arbeitsscheue Elemente und Nichtstuer zunehmen.» (Juni 1994)

DIE ZENTRALMACHT IN WIEN
«Die linke Schickeria und ihre Nährväter.» (April 1999)

IMMIGRATION
«Wir brauchen keine Ausländer, wir brauchen eine vernünftige Familienpolitik.» (September 1999)

Regierungs-Programm

Einheimische zuerst

Kürzlich hörte sich Haider so an: «Wir wollen in dieser Koalition die Funktion des sozialen Gewissens ausüben, keine Frage.» Doch das soziale Gewissen, meinte er zum «Spiegel», soll vorrangig für die Österreicher gelten: «Null Zuwanderung, klar.» Familien sollen durch Kindergelder gestärkt werden, Steuererhöhungen wird es keine geben, dafür eine Pensionsreform.

Zudem soll die Polizei spezielle Rechte im Kampf gegen die Kriminalität erhalten.

Haider möchte einen «schlanken Staat», aber dann doch «keine Beamtenhatz», denn «es gibt auch viele sehr gute Beamte».

Fromme Wünsche
Haiders Programm erscheint bislang als Sammelsurium frommer Wünsch mit populistischem Einschlag («Kampf der Überfremdung»). Das wird auch so bleiben, denn erstes Ziel ist jetzt: «Die Freiheitlichen müssen [in der Regierung] beweisen, dass sie verlässlich sind.»

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Der neue FP-Justizminister bezeichnete KZ als "Straflager"

Im Protokoll der Sitzung festgehalten - FP-Pressedienst: "Miese, unhaltbare Unterstellungen"


Krüger zu Straflager und Konzentrationslager - Wortlaut Wien - Der neue FPÖ-Justizminster Michael Krüger hat 1995 im Nationalrat die Bezeichnung der NS-Konzentrationslager als "Straflager" durch FPÖ-Chef Jörg Haider verteidigt und wiederholt. Daran erinnert das Nachrichtenmagazin "Format" in seiner am Montag erscheinenden Ausgabe. Der FPÖ-Pressedienst entgegnete am Samstag, die Aussagen seien bisher unbeanstandet geblieben, "da es sich um ein Zitat aus einem Lexikon handelt".


Krüger hatte laut dem Stenographischen Protokoll am 8. Februar 1995 im Nationalrat in einer hitzigen Debatte gesagt: "Schauen wir wirklich in Ruhe nach, was das Wörterbuch dazu sagt. Was sagt das Wörterbuch zu 'Konzentrationslager'? (Abg. Fuchs: Das ist wirklich unerhört, was Sie da von sich geben! - Weitere Zwischenrufe.) Was sagt das Wörterbuch zu 'Konzentrationslager'? Ich darf Ihnen hier etwas vorlesen. Ich weiß, das wollen Sie nicht hören. (Weitere Zwischenrufe. - Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.) Da gibt es ein Fremdwörterlexikon - ich warte, bis sich die Tumulte wieder gelegt haben -: 'Das tägliche Fremdwort'. Und was schreibt das Fremdwörterlexikon? Was ist ein 'Konzentrationslager'? - Konzentrationslager ist das Straflager für Zivilisten."


Später betonte Krüger: "Es ist doch überhaupt keine Frage, dass unser Klubobmann mit Straflager das Konzentrationslager gemeint hat. Wir haben doch überhaupt keine Veranlassung, dabei einen Unterschied zu sehen. Das Konzentrationslager, die Einrichtung von Konzentrationslagern zählt zu den furchtbarsten Verbrechen, die die Menschheit jemals begangen hat."


Der freiheitliche Pressedienst konterte mit scharfer Kritik an dem Magazin und spricht von "miesen, unhaltbaren Unterstellungen". Die "Format-Anschüttungen" seien "so an den Haaren herbeigezogen, "dass sie nur mehr als verzweifelter Versuch der persönlicher Diskreditierung freiheitlicher Minister bewertet werden können". (APA)

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Klestil gibt grünes Licht



Ö sterreichs Bundespräsident macht jetzt doch den Weg frei für eine ÖVP-FPÖ-Regierung. Thomas Klestil werde die neue Regierung aus rechtsgerichteter Freiheitlicher Partei und konservativer Volkspartei am Freitag vereidigen, erklärte sein Büro. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel werde Bundeskanzler, die FPÖ-Politikerin Susanne Riess-Passer seine Vize.

Klestil hatte die Zustimmung zur geplanten Regierungskoalition zunächst hinausgezögert. Er müsse die Inhalte des Regierungsprogramms noch studieren, teilte er nach Beratungen mit dem rechtspopulistischen FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider und Schüssel mit.

Nein zu FPÖ-Minister

Bei einem neuerlichen Treffen zunächst mit Haider, dann mit Schüssel, lehnte der Bundespräsident zwei vorgeschlagene FPÖ-Minister ab: Thomas Prinzhorn, der Infrastruktur-Minister werden sollte, und Hilmar Kabas, der für das Verteidigungsministerium vorgesehen war. Beide waren im Wahlkampf durch ausländerfeindliche Parolen aufgefallen.

Die Demokratie-Erklärung

Zuvor hatte Klestil die Parteichefs eine "Demokratie-Erklärung" unterzeichnen lassen. In dieser "Deklaration 'Verantwortung für Österreich ­ Zukunft im Herzen Europas'" bekennen sich Schüssel und Haider zu den demokratischen Grundrechten, zu einem vereinten Europa und zur Aufarbeitung der österreichischen Geschichte. Die Deklaration soll dem Regierungsprogramm vorangestellt werden.

Proteste gegen das Rechtsbündnis

In Wien und anderen europäischen Städten protestierten Tausende gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Zwischenfälle gab es nicht.

Israels Regierungschef Ehud Barak kündigte an, den Botschafter seines Landes aus Wien abzuziehen. Nathan Meron werde nach Israel zurückfliegen, sobald die neue Regierung offiziell im Amt sei, hieß es in Jerusalem.
 

Meldung vom Donnerstag, 03.02.00 - FOCUS

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Klestil betrieb Österreichs Isolation

 

Bei Protesten gegen die neue Regierung gab es in Wien zahlreiche Verletzte
 

T homas Klestil hat die konzertierte Aktion Europas gegen Österreich veranlasst. FOCUS meldet, außenpolitische Kreise in Berlin hätten Kanzlerberater Michael Steiner bestätigt, der im ARD-Morgenmagazin auf den "Wunsch aus Österreich" hingewiesen hatte. Der bisherige Bundeskanzler Viktor Klima (SPÖ) hat nach diesen Informationen nur eine untergeordneten Rolle gespielt. Treibende Kraft sei vielmehr der österreichische Bundespräsident Klestil gewesen.

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war nach weiteren FOCUS-Quellen eine "treibende Kraft" in der Isolierung Wiens. Der portugiesische Regierungschef Antonio Guterres sah als gerade erst installierter Vorsitzender der Sozialistischen Internationalen eine gute Gelegenheit die Sozialisten zu profilieren, die die meisten EU-Regierungen stellen.

Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) wollte seinen Parteifreund von der ÖVP, Wolfgang Schüssel, in zwei Anrufen in Wien von der Koalition abhalten, blieb aber erfolglos. Schüssel war der Ansicht, dass er "nur auf diese Weise Haider bändigen" könne.

Der österreichische EU-Kommissar und ÖVP-Politiker Franz Fischler kündigte in einem FOCUS-Interview an, er "werde die ÖVP verlassen, sobald sie eine Regierungspolitik mitträgt, die unvereinbar ist mit ihrem Parteiprogramm und den Grundwerten, die die EU in Jahrzehnten geschaffen hat".

Peter Ruzicka, der ab 2001 die Salzburger Festspiele leiten wird, will den jetzigen Festspiel-Leiter Gerard Mortier davon abbringen, sein Amt aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ niederzulegen. "Das Verkehrteste ist doch, vor (FPÖ-Chef Jörg) Haider davonzulaufen", sagte Ruzicka zu FOCUS. Ein Rücktritt sei der "größte Fehler", den Mortier jetzt begehen könne. Schließlich habe auch noch kein internationaler Stars des Festivals abgesagt.
 

05.02.00, 8:17 Uhr

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Gewalt bei Demos

Die Proteste in Wien haben ein gewaltsames Ende gefunden.

 

Gegen 22.30 Uhr begann die Polizei, den verbliebenen "harten Kern" der Demonstration unter Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas aufzulösen. Die Kärntner Straße wurde durch einen Kordon gesperrt und weitgehend geräumt.


Kurz nach Mitternacht legten sich die Krawalle in der Wiener Innerstadt weitgehend. Laut WEGA-Chef Werner Brinek war Samstag Nacht nur noch "eine Handvoll Demonstranten unterwegs". Dem gegenüber waren nach wie vor massiv Einsatzkräfte zur Sicherung der neuralgischen Punkte Parlament, Ballhausplatz und Kärntnerstraße unterwegs.


Den Beamten war es zuvor unter Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas gelungen die randalierenden Demonstranten - "darunter zahlreiche aus dem Ausland" (Brinek) - zu zerstreuen. Bei den Ausschreitungen sollen mehr als 30 Beamte verletzt worden sein, über die Zahl der verletzten Demonstranten, der Festnahmen und den entstandenen Sachschaden lagen noch keine Daten vor.

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Sorge vor neuen Krawallen
Bilanz der wilden Demo-Nacht von Wien: 43 Polizisten und elf Aktivisten verletzt / 100 Anzeigen wegen Schäden

Was sich Freitagabend und in der folgenden Nacht in der Wiener Innenstadt getan hat, weckte Erinnerungen an die schlimmsten Opernball-Proteste der 80er Jahre: So wie damals fehlte der Demonstration zuletzt aber jeglicher manifestativer Charakter. "Es war die pure Lust an der Gewalt", meinte ein Polizei-Offizier erschüttert.


Entsprechend dramatisch ist die Bilanz des stundenlangen "Katz-und-Maus-Spiels" durch die Innenstadt, das Hunderte Aktivisten der Exekutive lieferten, ausgefallen: 43 Ordnungshüter (und ein Diensthund) wurden durch Wurfgeschoße (Steine, Flaschen, Baumaterial, mit Steinschleudern verschossene Glaskugeln), durch Pfefferspray oder direkte Attacken (mit Stöcken, Stangen, Tritten und Schlägen) verletzt. Auf der "Gegenseite" mussten elf Aktivisten verarztet werden. Auch zwei Passanten erlitten Blessuren. Außerdem registrierte die Polizei 32 demolierte Funkstreifen (eingeschlagene Scheiben, zerstochene Reifen, zerkratzter Lack) und 109 zerrissene bzw. "eingefärbte" Uniformen.


Demo-Anrainer im Pech


An der Auflistung der Schäden entlang der Strecke, die "die marodierende Horde" (Polizeipräsident Peter Stiedl) zurückgelegt hat, wird noch gearbeitet.
Zu den Hauptgeschädigten der Attacken gehört das bekannte Wohntextil-Geschäft Backhausen in der Kärntner Straße. Dort zertrümmerten Aktivisten mit einem Tretgitter eine zehn Quadratmeter große Auslagenscheibe aus Sicherheitsglas. Chefin Helga Backhausen Samstag zum KURIER: "Es war wie eine Explosion, ein Glück, dass die messerscharfen Splitter niemand verletzt haben." Die Auslage bleibt vorläufig mit festen Platten verrammelt, da die Ersatzscheibe frühestens in einer Woche geliefert wird. Der Schaden ist durch eine Versicherung gedeckt. Am Kommissariat Innere-Stadt, aber auch in den Bezirken Alsergrund, Neubau und Mariahilf wurden Samstag rund 100 weitere Anzeigen geschädigter Geschäftsinhaber oder Pkw-Besitzer registriert. Dazu hatten die Demonstranten quasi im Vorbeigehen noch viele Hausfassaden beschmiert.


Nasses Demo-Finale


Mehrmals gerieten Aktivisten und Polizisten aneinander ­ ob zu Beginn am Ballhausplatz (ab 11.15 Uhr); bei der Erstürmung des Sozialministeriums am Schottenring (14.35 Uhr); beim Gefangenenhaus an der Rossauer Lände (19.00 Uhr); irgendwo zwischendurch, oder zuletzt vor der FP-Zentrale in der Kärntnerstraße (22.30 Uhr). Der Demo-Zug hielt immer wieder an. "Bleiben wir stehen." Mit Durchsagen wurde die Stimmung aufgeheizt: "Hinten prügelt die Polizei wieder auf unsere Leute ein." Tatsächlich war die Polizei zurückhaltend. Die Durchsagen verfehlten ihre Wirkung nicht; Die (aggressive) Stimmung wurde regelmäßig neu aufgeheizt. Der schließlich um 22.47 Uhr angeordnete (erstmalige) Einsatz der Wasserwerfer vor der FP-Zentrale war für General Franz Schnabl die "einzig richtige und absolut notwendige taktische Maßnahme". Die Randalierer wurden "berieselt", die Kälte tat das ihre. Die Kärntner Straße musste schließlich von der WEGA geräumt werden. Sieben durchnässte Personen wurden festgenommen und verhört und (mit von der Polizei zur Verfügung gestelltem trockenem Gewand) auf freien Fuß gesetzt. Erst um ein Uhr früh traten die letzten, mittlerweile zum Parlament und dann weiter zur Oper gezogenen knapp 100 Aktivisten den Heimweg an. Der Spuk war vorbei ­ vorerst zumindest.


Der neue Innenminister Ernst Strasser, VP, ist besorgt: "Es verdichtet sich der Verdacht, dass es sich bei den Demonstranten um einen harten Kern von Anarchisten aus Österreich und dem europäischen Ausland handelt." Die Exekutive werde alles unternehmen, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu verteidigen. "Angriffe auf den Rechtsstaat, wie es sie in der Nacht zum Samstag gegeben hat, werden verfolgt." Strasser geht im KURIER-Gespräch davon aus, dass es weitere Proteste geben wird. "Es geht aber nicht an, dass eine kleine Gruppe anarchistischer Elemente ihr Geschäft auf Kosten friedlicher Kundgebungsteilnehmer macht", so Strasser.


Am Samstag hielt sich der vermutlich von den Strapazen der Nacht doch etwas mitgenommene harte Kern der Protestierer vorerst zurück. Zumindest bis zum frühen Nachmittag bot die City ein ruhiges Bild. Am Stock- im-Eisen-Platz belebte nur eine friedliche Tierschutz-Demo die Szene. Und auch eine Privatkundgebung "gegen ein neues Steuerpaket" beim Victor-Adler-Markt in Wien-Favoriten blieb unauffällig. Für den späten Nachmittag und die Abendstunden wurde allerdings mit heiklen "Spontan-Aktionen" gerechnet. In mehreren Landeshauptstädten, darunter auch in Klagenfurt waren dagegen regulär angemeldete Kundgebungen angekündigt.


Großdemonstration für Mitte Februar geplant


Nach den Krawallen in der Nacht zum Samstag ist man sich bei der Polizei sicher: Die nächste Zeit wird keine Entspannung bringen. So spricht Polizeigeneral Franz Schnabl von Zehntausenden Teilnehmern, die bei einer für Mitte Februar angekündigt Demo zu erwarten seien. Und auch die in den vergangenen Jahren abgeflauten Proteste gegen den Opernball (2. März) könnten ­ unter anderen Vorzeichen ­ wieder aufflammen.


Hofrat Ewald Bachinger, Chef der Wiener Staatspolizei, sagte, dass via Internet und in "freien Radios" zu Aktivitäten aufgerufen würde. Ihm zufolge liegen auch Erkenntnisse vor, dass sich deutsche "Chaoten" unter die heimischen Demonstranten gemischt haben. Ein Aufruf zur einer Kundgebung für Samstagnachmittag sei zwar mit "SOS-Mitmensch" gezeichnet: "Die uns bekannten Kontaktleute versichern aber, keine Demo zu planen."
Autor: Peter Grolig, Margaretha Kopeinig, Ilse Schmid, Johannes Wolf
Bild: Peter Schaffer

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1.500 vor der FPÖ-Zentrale in Wien - Demonstrationen auch in Graz und Bregenz

Wien - Ab 17:00 Uhr trafen am Wiener Ballhausplatz wieder zahlreiche Personen zu einer nicht genehmigten Demonstration gegen die FPÖ-ÖVP-Regierung zusammen. Laut Radioberichten kündigte die Polizei an, die Demonstration zu tolerieren, solange es zu keinen Ausschreitungen komme. Laut Exekutive versammelten sich zunächstrund 200 zum größten Teil jugendliche Demonstranten vor dem Wiener Ballhausplatz um durch die City zur FPÖ-Zentrale in der Kärntner Straße zu marschieren. Der Chef der Freiheitlichen war erneut das Feindbild Nummer eins. In Sprüchen wie "Haider ist ein Faschist" oder Transparenten auf den "Stoppt Jörg Haider" zu lesen war, machten die Teilnehmer ihrem Ärger Luft. Zu Zwischenfällen mit der Exekutive ist es vorerst nicht gekommen.


Gegen 18.00 Uhr heizte sich die Stimmung bei der Demonstration in Wien gegen die neue Regierung doch wieder auf. Nach Angaben der Polizei hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits 1.500 Menschen vor der FPÖ-Zentrale in der Wiener Kärntnerstraße eingefunden. Vereinzelt wurden Knallkörper und Eier geworfen. Unter den Demonstranten waren auch die Gegner von Gewalt klar erkennbar. Sie trugen Transparente mit der Aufschrift "Protest nur gewaltfrei" und T-Shirts mit der Aufschrift "Keine Gewalt".


Wasserwerfer in Bereitschaft
Die FPÖ-Zentrale war von der Polizei abgesperrt. Auch ein Wasserwerfer ist wieder aufgefahren. Die Ringstraße musste auf der Höhe der Oper gesperrt werden.


Demo sorgt für Verkehrschaos
Die rund 1.500 Demonstranten zogen über den Gürtel zum Westbahnhof, um dann in die Burggasse abzubiegen. Offenbar war geplant, wieder in die Innenstadt zurückzukehren. Da der Polizei die genaue Route der Protestierer nicht bekannt war, wurde im Bereich des Gürtels und des Wientals großräumig abgesperrt.


Die Folge war ein veritables Verkehrschaos. Autofahrer steckten im Stau, mehrere Straßenbahlinien wurden umgeleitet oder stellten vorüber gehend ihren Betrieb ein. Bis ca. 20.15 Uhr verlief die Veranstaltung allem Anschein nach aber konfliktfrei. Von Zusammenstößen oder Festnahmen war vorerst nichts bekannt.


Innenminister Ernst Strasser (V) hat unterdessen Kritik zurück gewiesen, die Exekutive sei am Freitagabend zu spät und halbherzig vorgegangen. "Die Exekutive ist maßvoll, aber konsequent eingeschritten", so Strasser in der "Kronen Zeitung" (Sonntag-Ausgabe). Und weiter: "Die Beamten, die ihren Kopf für uns hinhalten, haben volle Solidarität verdient."


1.500 Teilnehmer in Bregenz
Friedlich verlief Samstag Nachmittag eine Demonstration von 1.500 Vorarlbergern vor der Zentrale der Landes-ÖVP, in unmittelbarer Nähe des Landhauses in Bregenz. Einzige Ausnahme: Ein oder zwei Eier trafen das Gebäude der ÖVP-Geschäftsstelle, ein weiteres flog in Richtung einer Koalitionsbefürworterin (!), die sich auf das Podium gewagt hatte. Die Frau wurde aber nicht getroffen.


Die Kundgebung war innerhalb von nur zwei Tagen vor allem von Vorarlberger Kulturschaffenden organisiert worden. Der Schriftsteller Michael Köhlmeier appellierte an die "vielen Mitglieder oder Sympathisanten der ÖVP, die mit dieser Entwicklung ganz und gar nicht glücklich sind": Sie dürften nicht "die Faust in der Tasche machen", sondern müssten beweisen, "dass es in der ÖVP Reste von christlichen Grundprinzipien gibt".


Historiker Walser: "Haider ist ein Rückfalltäter "
Der Historiker Harald Walser warnte in seiner Rede vor dem "Gruselpakt" der beiden Parteien, der "einen noch nie dagewesenen sozialen Raubbau" bringen werde. FPÖ-Obmann Jörg Haider habe "schon mehrfach bewiesen, dass er ein politischer Rückfalltäter ist. Er rutscht nicht zufällig immer in die selbe Richtung aus", sagte Walser.


Er erinnerte die ÖVP an ihr Versprechen, in Opposition zu gehen. Dass sie nun sogar den Bundeskanzler stelle, sei eine "unglaubliche Wählertäuschung": "Es geht dem kleinen Herrn am Ballhausplatz (gemeint war Wolfgang Schüssel, Anm.) einzig und allein um seine Karriere."
SPÖ-Gewerkschafter Walter Gelbmann rief zum Widerstand auf: "Es müssen alle demokratischen Mittel angewendet werden, um diese Koalition zu verhindern."


Graz: Pfeifkonzerte
Hunderte Demonstranten haben sich Samstag Nachmittag in der Grazer Innenstadt versammelt, um gegen die neue Regierung von ÖVP und FPÖ zu protestieren. Es gab gellende Pfeifkonzerte vor dem Grazer Landhaus, dem Sitz der Regierungsbüros der Steiermärkischen Landesregierung. Die Teilnehmer riefen in Sprechchören "Widerstand".


Die Demonstration hatte um etwa 14.00 Uhr begonnen. Mit der Zeit wuchs die Menge auf viele hundert an. Schließlich kam der Straßenbahnverkehr in der Grazer Herrengasse völlig zum Erliegen, da die Demonstranten die Gleise besetzt hielten. Die Polizei hielt sich vorerst zurück und beobachtete die Szene. Aufgerufen hatte zu der Demonstration eine Plattform "Mayday". Es waren vorwiegend junge Leute, die sich an der Protestkundgebung beteiligten. Auch einige aus der Punker-Szene hatten sich eingefunden. Auf Transparenten stand zu lesen "Widerstand" und "Wir wehren uns".
Samstag Vormittag war die Grazer City bereits Schauplatz eines wesentlich friedlicheren Demonstrationsforums gewesen: Die Grazer SPÖ hatte einen Diskussionspunkt eröffnet, den die Bevölkerung ihre Meinung zu der neuen schwarz-blauen Koalition kundtun konnte.


Demonstrationszug gegen die neue Regierung auch in Salzburg
"Widerstand", "Widerstand" skandierten hunderte - zumeist Jugendliche - Demonstranten am Samstag Nachmittag in Salzburg bei einer Demonstration gegen die neue Regierung auf Bundesebene. Mit Sprechchören, Pfiffen und Hupen drückten die Teilnehmer ihren Unmut über die Zusammenarbeit von ÖVP und FPÖ aus. Die Demonstration, die gegen 13 Uhr begonnen hatte, endete nach gut einer Stunde ohne Zwischenfälle.


An dem Protestzug, der vom Hauptbahnhof auf den Alten Markt in der Salzburger Innenstadt führte, nahmen rund 700 Menschen teil. "Schwarz Blau - Supergau" oder "Keine Macht dem Rechtspopulismus" hieß es auf den mitgebrachten Transparenten. Die Demonstration war von der Aktion Kritischer Schüler angemeldet worden. Für kommenden Freitag ist die nächste Demonstrationsveranstaltung in Salzburg geplant. (APA)

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Österreich in Angst: Gewalt auf der Straße, vor Sozial-Konflikten


Gewerkschafter aller Fraktionen befürchten Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer und mobilisieren gegen Schwarz-Blauen-Horrormix"

"Wir wollen der Wirtschaft die Fesseln sprengen". Wolfgang Schüssel, 3.2.00
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"Es ist ein Programm für mehr Freiheit und Demokratie. Es bringt optimistische Zukunftsperspektiven für Kinder und Familien". Jörg Haider, 3.2.00
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"Es ist ein Begünstigungsprogramm für Bauern, Unternehmern und Hausherren." Fritz Verzetnitsch, 4.2.00
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Seit Wochen sind die Gewerkschafter aller Fraktionen beunruhigt. Schon das erste fast fertige Regierungsprogramm zwischen SPÖ und ÖVP beinhaltete für ihre Begriffe zu starken Tobak. Das Hinaufsetzen des Frühpensionsalters und das Milliarden-Sparpaket, das dem öffentlichen Dienst zugestellt werden sollte, trieb die Beamtengewerkschaft GÖD und sämtliche sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG) auf die Barrikaden. Doch als die Neuauflage der rotschwarzen Koalition noch in Griffweite war, gab es ein Regierungsprogramm, das dem Parlament Spielraum und damit Veränderungsmöglichkeiten einräumte. Rudolf Nürnberger, FSG-Chef und SP-Mandatar, hat es nicht unterschrieben. Die Arbeitnehmervertreter bauten auf Zeit.


Doch jetzt ist alles anders. Im Parlament gibt es eine konservative Mehrheit von FPÖ und ÖVP. Ihr Programm nennt der Bundessekretär der Sozialdemokratischen Gewerkschafter (FSG) Karl Drochter einen "schwarzblauen Horrormix". Das ist eine dramatische Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer und zu Gunsten der Unternehmer."


Nach Berechnungen der Arbeiterkammer würden die Arbeitnehmer fast 14 Milliarden Schilling verlieren. Unternehmer und Selbstständige würden demnach durch Lohnnebenkostensenkungen fast 19 Milliarden S profitieren. Die Bauern könnten mit vier Milliarden Schilling an zusätzlichen Förderungen rechnen.
"Die Regierung betreibt Klassenkampf von oben", konstatieren rote Gewerkschafter in einem offenen Brief. Doch nicht nur die roten Gewerkschafter toben. Auch die christdemokratischen Arbeitnehmervertreter sind bereit, sich gegen das Programm zu wehren. Die Beamtengewerkschaft hat ihren bereits bestehenden Beschluss für Kampfmaßnahmen erneuert. Der Tiroler AK-Präsident Fritz Dinkhauser (ÖVP) rief gar zum "nationalen Widerstand" auf. Die Christgewerkschafter fühlen sich heimatlos. Ihr Vorwurf: Der Arbeitnehmerflügel der ÖVP, der ÖAAB, habe sie politisch im Stich gelassen. FCG-Bundessekretär Karl Klein: "Der Ruf nach einer Ablöse unserer Spitzenfunktionäre in der ÖVP wird immer lauter." Schon denkt die FCG an die Einberufung eines außerordentlichen ÖAAB-Bundestags, um dort Bundesobmann Werner Fasslabend und seinen Generalsekretär Walter Tancsits abzulösen. Auch von der Abspaltung und der Gründung einer neuen Arbeitnehmerpartei ist im ÖAAB bereits die Rede. Es liegt im sonst so friedlichen Österreich, in dem Änderungen im Sozialsystem stets am Runden Tisch der Sozialpartner verhandelt wurden, ein Hauch von Spaltung in der Luft.


"Der Einfallsreichtum der Eisenbahner ist unerschöpflich, was Formen von politischem Widerstand anlangt", droht der Chef der Eisenbahnergewerkschaft Wilhelm Haberzettl unverhohlen. Sollte die Regierung ein neues Dienstrecht für die Eisenbahner anstreben, würde sich die Gewerkschaft nicht einmal an den Verhandlungstisch setzen. Begründung: Zum einen hätte die Regierung bei der Pensionsreform 1997 erklärt, dass das Pensionssystem gesichert sei. Zum anderen gelte ein Prinzip der Nichteinmischung in das Unternehmen ÖBB, das die künftige Bundesregierung offenbar nicht akzeptieren wolle.
Infolge der massiven Proteststimmung stellen sich die Gewerkschaften hinter die Demonstrationen gegen die neue Regierung. Am 19. Februar, für den Andre Heller zu einer Großkundgebung aufgerufen hat, werden die Arbeitnehmervertreter mit von der Partie sein. Die Vorbereitungen laufen (siehe Faksimile) auf Hochtouren.
Zitat: "Ich rufe zum nationalen Widerstand auf. Diese Belastungswelle werden wir nicht hinnehmen." Fritz Dinkhauser (FCG)
Zitat: "Ein schwarzblauer Horrormix, eine dramatische Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmer." SP-Gewerkschafter Drochter


Bundespräsident Klestil warnt vor "Spaltung"


Der Bundespräsident rief am Samstag zur Mäßigung auf. Er verurteile "die schweren Ausschreitungen" gegen die neue Regierung und appelliere an alle Österreicher, "in dieser schwierigen Situation zusammenzuhalten und nicht durch unüberlegtes Handeln eine emotionelle Spaltung innerhalb der Bevölkerung zu riskieren", so Klestil.


Max-Koch, Sprecher von SOS-Mitmensch, distanziert sich von den gewalttätigen Aufmarschierern. Seine Organisation habe zwar zur ersten Großkundgebung gegen die schwarz-blaue Regierung aufgerufen, die Proteste seien aber zum "Selbstläufer" geworden. Koch: "Die Leute kommunizieren über das Internet, über eMails. Sie verständigen sich, zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu sein."


Es sei eine "spontane Protestkultur", die es auch auf Fußballplätzen gebe: "Dort gibt es auch immer wieder Ausschreitungen, die mit dem Spiel nichts zu tun haben." Für das, was sich jetzt abspiele, könne man die Demo-Initiatoren nicht verantwortlich machen. "Unser Protest ist ausschließlich, ohne Wenn und Aber gewaltfrei."


Sorge bereiten Koch auch Äußerungen wie jene von FP-Generalsekretär Peter Westenthaler, der die Demonstranten als Terroristen und Sozialhilfeempfänger bezeichnet habe: "Da wird etwas aufgeschaukelt. Die Teilung der Gesellschaft ist unterwegs."
Autor: Patricia Haller

"Ich weiß, dass die SPÖ Druck im Ausland gemacht hat"
Die freiheitliche Vizekanzlerin Riess-Passer im KURIER-Gespräch über die neue Koalition

Denn sie an die Übersiedlung denkt, die in den kommenden Tagen auf sie zukommen wird, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen: Susanne Riess-Passer, bislang geschäftsführende Obfrau der FPÖ, ist am Höhepunkt ihrer politischen Karriere angelangt. Die 39-Jährige ist seit Freitag Vizekanzlerin und wird sich um die Verwaltungsreform und den Sport kümmern. Ihre neue Adresse: Das noble Palais Dietrichstein am Wiener Minoritenplatz.
Den Tag der Angelobung nennt sie "historisch für mich und die FPÖ. Nach 13 Jahren Oppositionsarbeit besteht für uns die Möglichkeit, unsere Vorstellungen auch umzusetzen. Dass das nicht allgemein auf Zustimmung stößt, ist legitim."


Den Weg über den Ballhausplatz habe die neue Regierung nach der Angelobung nicht aus Feigheit gemieden: "Es hätte keinen Sinn gemacht mit Leuten zusammenzutreffen, die nicht auf Diskussion, sondern nur auf Konfrontation aus sind."


Kein Verständnis hat die erste Vizekanzlerin der Republik für die Proteste der EU: "Diese Sanktionen sind völkerrechtswidrig und widersprechen dem Geist der europäischen Solidarität. Das ist ja eine Gemeinschaft der 15 und nicht der 14."


Wie will sie mit den Sanktionen umgehen? "Ganz einfach: Wir werden die Vorurteile anhand von Fakten und Taten widerlegen."
Wie überraschend waren die Sanktionen? "Die SPÖ hat uns das ja angedroht. Sie hat gesagt: Unterstützt eine Minderheitsregierung und verhaltet euch artig, dann reparieren wir euer Image im Ausland und dann kann man nach zwei Jahren eine rot-blaue Koalition machen. Als wir das abgelehnt haben, hat es geheißen: Dann werden internationale Reaktionen kommen, weil die ÖVP kann euch diese Absolution nicht verschaffen, weil sie international nicht einflussreich genug ist." Frage: "Glauben Sie also, dass die SPÖ im Ausland Druck gemacht hat?" Riess-Passer: "Ich glaube es nicht, ich weiß es."
Wirtschaftliche Nachteile befürchtet Riess-Passer trotz Sanktionen keine ­ im Gegensatz zu SPÖ und Grünen. "Ich finde es sehr skurril, dass jene Österreicher, die im Ausland gegen das eigene Land hetzen und geradezu zu Sanktionen aufrufen, in Österreich diese Reaktionen beklagen." Besonders hart geht sie wiederum mit der SPÖ ins Gericht: Diese hätte den Gang in Opposition nicht verkraftet und würde nun "hasserfüllt" gegen jene vorgehen, die diesen verursacht haben. "Die SPÖ hat nicht gelernt, die demokratischen Spielregeln zu akzeptieren. Auch die Gewerkschaften bekommen ihr Fett ab: "Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften, die neue Regierung von vornherein mit Streik zu bedrohen. Wir werden das Gespräch suchen."


Den vorzeitigen Bruch der FPÖ/ÖVP-Koalition schließt Riess-Passer aus. Neuwahlen vom Zaun zu brechen, um dann als Nummer 1 ins Kanzleramt einzuziehen, würden für die FPÖ keinen Sinn machen, so die Vizekanzlerin.


Zitat: "Die SPÖ hat den Gang in die Opposition nicht verkraftet. Sie geht nun hasserfüllt vor." Vizekanzler Riess-Passer
Zitat: "Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaft, die neue Regierung von vorneherein mit Streik zu bedrohen." Riess-Passer
Autor: Christian Thonke

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Sozialpaket: Was schwarz-blau anders macht
Reformideen der neuen Regierung

Schon die Übereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP waren für die Arbeitnehmervertretung nicht akzeptabel. Der jetzt vorliegenden Koalitionspakt sieht aber im Sozialbereich noch schärfere Maßnahmen vor, die die Gewerkschaften auf die Barrikaden treibt. Ein "vorher ­ nachher-Vergleich":

* Pensionen
Vorher: Erhöhen des gesetzlichen Frühpensionsalters ab 2001 binnen vier Jahren in Halbjahresschritten um zwei Jahre auf 57/62; bei Beamten (Post, Bahn, etc.) Erhöhen des Pensionssicherungsbeitrages um 0,95 Prozent;
Nachher:Erhöhen des gesetzlichen Frühpensionalters ab 1. 10. 2000 um je zwei Monate pro Jahr bis das Frühpensionsalter um 18 Monate erhöht ist. Gleichzeitig wird die bestehende Abschlagsregelung (jetzt zwei Prozent/Jahr vor dem gesetzlichen Pensionsalter) erhöht: Um ein Prozent pro Jahr, wobei der Pensionsantritt nach 45 Versicherungsjahren weiter möglich ist. Der Pensionssicherungsbeitrag im öffentlichen Dienst (Post, Bahn, Landeslehrer) wird um 0,8% angehoben.

* Krankenversicherung
Vorher:
Dämpfen der Kostenentwicklung vor allem im Medikamentenbereich; keine Beitragserhöhungen;
Nachher: Wegfall der Krankenscheingebühr von 50 S; stattdessen die Möglichkeit eines Selbstbehaltes um bis zu 20% auf Beschluss der Kassen nach Vorgabe des Gesetzgebers, der die Erhöhung im ASVG mit einer Bandbreite fixiert.

* Steuern
Vorher: Erhöhen der Mineralölsteuer um einen S (Benzin), 80 Groschen (Diesel), dafür Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten.
Nachher: Erhöhen der Energie-, der Versicherungs- und der Tabaksteuer.

* Urlaubsaliqotierung
Vorher: Urlaub aliquot ­ bei Beendigung eines Dienstverhältnisses wird nicht konsumierter Urlaub nicht mehr ausbezahlt; Abgeltung des Anspruchs in Freizeit.
Nachher: Urlaub wird absolut aliquotiert: Der Anspruch entsteht nicht sofort mit Beginn des Urlaubsjahres sondern anteilig pro Monat.

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Der Demonstrant in der Hofburg
Peter Rabl über Fragen und Zweifel, die Thomas Klestil provoziert hat

Draußen vor der Hofburg demonstrierten lautstark ein paar tausend Bürger, flogen die ersten Steine und Farbbeutel von ein paar Dutzend gewaltbereiter Chaoten. Drinnen in seinen Amtsräumen inszenierte Bundespräsident Klestil die Angelobung der Regierung in beispielloser Distanz und Kälte. Der Demonstrant in der Hofburg.


Thomas Klestils Verhalten war protokollarisch und verfassungsrechtlich korrekt. Die rechtlich vorgeschriebenen Formeln und Handlungen wurden heruntergespult. Darüber hinaus aber keine menschliche Regung, kein öffentlicher Glückwunsch, kein gemeinsames Foto. Eine trotz aller berechtigter Kritik demokratisch legitimierte Regierung wurde demonstrativ in den Eiskasten gestellt.


Thomas Klestil ist aus der Rolle des überparteilichen, objektiven Staatsoberhauptes gefallen. Statt den Start der Regierung in ohnehin schwierigster Lage zu erleichtern, war ihm die Demonstration seiner persönlichen Distanz wichtiger.


Stillos, dass er Tage vor der Angelobung ausgerechnet in der Boulevard-Illustrierten news ­ dort ließ er sich schon vor Jahren zu privaten Bekenntnissen drängen ­ die künftigen Regierungsparteien öffentlich abbürstete und der Regierung im Voraus schon sein persönliches Misstrauen aussprach ("Wenn ich diese Regierung angeloben sollte, tue ich dies nicht aus persönlicher Überzeugung . . .").


Grundlos der Verweis in seiner TV-Rede, er habe "Dr. Schüssel . . . klargemacht, dass eine Missachtung der . . . Bekenntnisse zu Europa und zum österreichischen Rechtsstaat schwerwiegende innen- und außenpolitische Folgen haben wird". Der neue Bundeskanzler muss sich jede Menge an Kritik und Zweifeln gefallen lassen. Abmahnungen in Sachen Europa oder Rechtsstaatlichkeit hat er sich in 30Jahren als Politiker jedenfalls nicht verdient. Es wäre dem Bundespräsidenten besser angestanden, schon im TV ein scharfes Wort gegen den gewalttätigen Teil der Demonstranten zu richten. Als die Rede aufgezeichnet wurde, waren die ersten Polizisten auf dem Ballhausplatz schon verletzt.


Thomas Klestil sollte sich nun im Interesse des Amtes voll auf seine Rolle als oberster politischer Vermittler im internen Streit und vor allem gegenüber dem Ausland konzentrieren. Indem er schlussendlich die persönlich ungeliebte Regierung angelobt hat, ist sie unvermeidlich auch seine. Der Schluss seiner TV-Rede kann ein guter Anfang einer Wende sein. Die Bitte an "unsere Partner in der Europäischen Union und in der Welt, der neuen Regierung eine Chance zu geben und sie nach ihrer Arbeit zu beurteilen" ist richtig und wichtig. Sie wäre wesentlich beeindruckender, würde Klestil diese Haltung auch selbst eindeutig vorleben. Die außenpolitische Krise wird nicht so rasch zu lösen sein, innere Konflikte brechen offen auf. Da braucht das Land ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen Staatsoberhaupt und Regierung.

Demonstrationen gegen Regierung gehen weiter: Aufruf zum "Widerstand"

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Schüssel hofft: Mittelfristig wird es zur Normalisierung kommen.

"Es war nicht das Ziel meiner Wünsche, jetzt um jeden Preis Bundeskanzler zu werden." - Schüssel bezeichnet die Kritik als überzogen

Wien - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hofft mit Arbeit, Information sowie geduldigem, beharrlichem Aufklären im Ausland Akzeptanz für die blau-schwarze Regierung zu erreichen. Das werde nicht leicht sein, es werde jedoch "nicht heute, aber mittelfristig zur Normalisierung kommen", hofft Schüssel. "Ungerechtfertigte Vorwürfe" gegen Österreich wies er "mit aller Schärfe" zurück, Kritik und Sorgen etwa seitens Israels müsse man "gelassen und mit Festigkeit ertragen". Angesichts der innenpolitischen Polarisierung trat Schüssel für eine "Abrüstung der Worte und Taten" ein. Man müsse Auseinandersetzungen in sachlichen Gesprächen, "nie und nimmer auf der Straße" austragen.


Schüssel äußerte einige Kritik an Stellungnahmen aus dem Ausland. So reagierte er sehr scharf auf die Aussage des französischen Europaministers Pierre Moscovici, dass Österreich nicht mehr "voller Partner im Sinn der europäischen Werte" sei. Das sei eine "Erklärung, die ganz eindeutig dem Geist, sogar dem Buchstaben der europäischen Verträge widerspricht. Das können wir uns nicht gefallen lassen." Zur Aussage der EU-Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine, die Entwicklung in Österreich habe die EU in ihre schwerste Krise geführt, sagte er: "Österreich löst doch keine Krise in Europa aus." Die 14 anderen Staaten müssten sich "doch nicht vor einem kleinen Acht-Millionen-Volk fürchten". Zu Jörg Haider sagte er in diesem Zusammenhang: "Da ist kein neuer Hitler im Entstehen. Ich halte es für enorm problematisch, den Hitlerismus, die NS-Zeit, derartig zu verharmlosen. Das ist eine andere Qualität."


"Wir sind nicht die Schuhabstreifer"


Schüssel, der sich "glühender Europäer" nannte, stellte fest: "Wir sind nicht die Schuhabstreifer. Wir haben unsere Interessen, die werden wir genau so klar und deutlich wie die anderen EU-Länder vertreten." Die bilateralen Kontakte, die die 14 EU-Staaten mit Österreich nicht mehr haben wollen, nannte Schüssel "klassische 19.-Jahrhundert-Diplomatie". Es sei zwar "unangenehm, wenn sie nicht mehr stattfinden, aber das wird wieder kommen, wenn wir gemeinsam daran arbeiten". Außerdem treffe man heute in multilateralem Rahmen ohnehin jeden, den man treffen wolle "x-Mal im Jahr".
Österreichs Aufgabe sei jetzt, "zu beweisen, dass wir etwas vorzuweisen haben und dass wir kein Pariastaat und nicht Serbien sind". Schüssel verwies darauf, dass die auch von der FPÖ unterschriebene Deklaration mit dem Ja zu Europa und der Abgrenzung vom Extremismus auch in der EU als wichtiges Signal registriert worden sei. Neuerlich kritisierte er die Erklärung der 14 EU-Staaten, hier sei "ein politischer vorbeugender Schlag erfolgt, das ist mit dem Geist der EU nicht vereinbar".


Klestil hätte diese Regierung nicht angeloben müssen


"Die wirklichen Probleme Österreichs" seien aber eigentlich dadurch entstanden, dass man sich auf die Euro-Kriterien festgelegt habe. Deshalb seien nun Ausgabendisziplin, Sparen und Änderungen im Pensionsrecht nötig. Für Schüssel ist angesichts dieser Probleme "die wichtigste Arbeit der Regierung, dass wir das Haus Österreich in Ordnung bringen". "Ob wir dabei den Europäern eine Freude machen, ist schön und wichtig, aber nicht das einzig Wichtige." Schüssel will "nicht ständig über Interviews Anderer oder nur über die europäische Ebene reden, die wirkliche Arbeit liegt hier".
Im einstündigen "ZiB-Extra"-Interview Freitag Abend nahm Bundeskanzler Wolfgang Schüssel auch zur kritischen Haltung von Bundespräsident Thomas Klestil zur blau-schwarzen Regierung Stellung. "Ich glaube, dass ich ein gutes Verhältnis zum Bundespräsidenten habe und werde mich auch darum bemühen. Aber wenn er diese Regierung nicht will, hätte er sie nicht angeloben müssen, diese Möglichkeit hätte er gehabt", sagte er. Schüssel gestand ein, dass es "eine schwierige Zeit" sei, glaubt aber, "diese Entwicklung zu meistern, wenn wir Vertrauensvorschuss von der Bevölkerung bekommen." Angesichts der innenpolitischen Polarisierung müssten auch "Medien, religiöse Führer und alle Politiker" mithelfen, "rechtzeitig Einhalt zu gebieten, sonst gerät das außer Kontrolle".


Schüssel: "Null Sympathie" für Kritik an Jörg Haider und seinen Äußerungen zur Nazi-Zeit


Sehr kritisch äußerte sich Schüssel zu den Demonstrationen gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Schüssel will nicht akzeptieren, "dass man die Regierung mit Gewalt am Arbeiten hindert. Demokratie darf man nie mit undemokratischen Mitteln verteidigen". Er will die Österreicher "überzeugen, dass man sich nicht fürchten soll". Ohne "Parteiengezänk" müsse man eine "Abrüstung der Worte und Taten" anstreben. Er werde sich auch mit den anderen Parteien und den Sozialpartnern um eine sachliche Diskussion bemühen.


Zur Kritik an Jörg Haider und seinen Äußerungen zur Nazi-Zeit betonte Schüssel, er habe "null Sympathie dafür". Aber es müsse registriert werden, wenn sich jemand entschuldige und Grundprinzipien außer Streit stelle. Dass er die Regierung mit der FPÖ einging, begründete Schüssel damit, dass es sonst Neuwahlen gegeben hätte, die der FPÖ wohl ein "sicher nicht schlechteres Ergebnis gebracht hätten". Haiders Beleidigungen gegenüber Frankreich und Belgien seien "natürlich ein schwerer Fehler. Es ist nicht mein Job, so etwas zu rechtfertigen." Wiederholt betonte Schüssel allerdings, er sei "nicht dafür da, dass ich ständig Interviews mit Anderen kommentiere".


"Es war nicht das Ziel meiner Wünsche, jetzt um jeden Preis Bundeskanzler zu werden."


Schüssel beteuerte: "Es war nicht das Ziel meiner Wünsche, jetzt um jeden Preis Bundeskanzler zu werden." Er habe nicht bereits im Oktober vorgehabt, eine Koalition mit der FPÖ zu bilden. Der Pakt mit der SPÖ sei daran gescheitert, dass "ein Teil der SPÖ - Gewerkschaft, Linke - dieses Programm nicht mehr mit tragen wollten". Stolz war Schüssel, dass er dann binnen zwei Wochen eine Koalition mit der FPÖ ausverhandelte: "Ich bin wahrscheinlich der erste Regierungschef in Europa, der es zu Stande gebracht hat, innerhalb von 14 Tagen" einen solchen Konsens herzustellen.


Jetzt gebe es eine "neue Regierung, die mit sehr viel Hoffnung und sehr viel Sorge betrachtet wird". Dass Haider Einfluss auf diese Regierung nehmen werde, glaubt Schüssel "überhaupt nicht". Haider habe den Pakt unterschrieben, "weil er Parteiobmann ist". Schüssel will mit den freiheitlichen Regierungsmitgliedern "ein Team entwickeln, das arbeitet auf Basis dessen, was vereinbart und unterschrieben wurde. Da wird auch Jörg Haider nicht auskommen können." Für die FPÖ sei es die Chance, sich "näher zur Mitte" zu positionieren. "Das würde Österreich gut tun", meinte Haider.


Krankenversicherungen sollen "keinen Schilling mehr aus dem Budget bekommen"


Zur Frage des geplanten Selbstbehalts bei Arztbesuchen erklärte er: Es gehe darum, dass die Krankenversicherungen "keinen Schilling mehr aus dem Budget bekommen". Die Krankenversicherungen hätten dann das Recht, entweder Leistungen so zu reformieren, dass sie mit ihren Mitteln auskommen - oder einen Selbstbehalt einzuführen, der nicht höher als 20 Prozent sein dürfe.


Schüssel nennt Kritik an "seiner Regierung" überzogen


Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat die internationale Kritik an seiner Regierungskoalition als "weit überzogen" zurückgewiesen. Mit den Maßnahmen gegen Österreich werde die Einheit und die Solidarität in der Europäischen Union gefährdet, sagte Schüssel in einem am Samstag im voraus veröffentlichten Interview der Zeitung "Welt am Sonntag". Viele Menschen in Österreich stellten sich die Frage, ob es fair sei, wenn die EU ein kleines Land so in die Ecke dränge.


Es sei neu, dass ohne Konsultationen des betroffenen Landes in die demokratische Entscheidung eines EU-Mitglieds eingegriffen werde, sagte Schüssel. Eine seiner Hauptaufgaben werde es nun sein, alle Besorgnisse auszuräumen. In der neuen Regierung säßen nur Minister, die einen klaren demokratischen und europäischen Hintergrund hätten, sagte Schüssel weiter. Die "dramatische Anti-Europa-Politik" der FPÖ sei inzwischen Geschichte.
Mit Bezug auf rechtsextreme Äußerungen von FPÖ-Chef Jörg Haider in der Vergangenheit sagte Schüssel, er habe die Erklärungen Haiders stets scharf kritisiert. Den Vorwurf, Rechtsextreme hoffähig gemacht zu haben, wies Schüssel zurück: "Man muss anerkennen, wenn sich jemand ändert". (APA)

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Weh dem, der lügt: Vor Prozess Haider ­ Klima
Ex-Kanzler und FP-Chef streiten über Kooperations-Angebot

Die von allen beschworene Deeskalation der innenpolitischen Krise ist nicht in Sicht. Denn: Das Parlament gleicht Fort Knox. Die Abgeordneten und die Besucher werden durch einen einzigen Eingang ins Hohe Haus, das lückenlos von der Polizei umstellt wird, geschleust. Auch im Plenum wird Ungewöhnliches dargeboten: Zum ersten Mal ist ein Kanzler noch vor der Regierungserklärung mit einem Misstrauensantrag konfrontiert.


In der Sondersitzung bringen die Grünen eine Dringliche Anfrage ein ­ zum Thema "Österreich in der Isolation ­ mit unabsehbaren politischen und wirtschaftlichen Folgen". Die Wahl des Dritten Nationalratspräsidenten ­ Ex-Heeresminister Werner Fasslabend löst Andreas Khol ab ­ dürfte Nebensache werden.


Ziel der Anfrage ist Wolfgang Schüssel als ehemaliger Außenminister. Argumentation der Umweltfraktion: Der VP-Chef habe gewusst, welche internationalen Reaktionen die FP-Regierungsbeteiligung auslösen würde. Er habe mehrmals Kontakt zum französischen Staatspräsidenten Chirac gehabt. Nur den persönlichen Vorteil im Auge ­ Regierungschef zu werden ­ habe Schüssel die Drohungen negiert. Unterstützt wird der Misstrauensantrag von der SPÖ, die damit erstmals ihre Rolle als Oppositionspartei wahrnimmt und nicht mit Kritik an der Regierung sparen wird.


Scharfe Worte, die man bisher von der FPÖ kannte. Diese will sich moderat geben. Was der neue FP-Klubobmann Peter Westenthaler, bisher kein Freund der sanften Töne, auch von Roten und Grünen einfordert: "Es soll keine verbalen Ausfälligkeiten geben."


Fraglich ist, ob die Blauen diese Zurückhaltung auch bei ihren Vorwürfen gegen Ex-Kanzler Klima üben werden. Laut FPÖ soll dieser die Auslandsproteste initiiert haben. Westenthaler: "Wir erwarten, dass Klima die Sache in einer Wortmeldung aufklärt."


Diese Erwartung dürfte nicht erfüllt werden. "Klima hat eine Auslandsverpflichtung, die er einhalten wird müssen", sagte SP-Klubchef Peter Kostelka dem KURIER.


Ob die FPÖ bereits heute einen Antrag auf die Einsetzung eines U-Ausschusses stellen wird, war unklar. Westenthaler, ohne Eile: "Wir werden noch Material sammeln."


ÖVP und Grüne sind noch unschlüssig, ob sie sich der Forderung nach einem U-Ausschuss anschließen. Beweis für die von der SPÖ als Verschwörungstheorie bezeichneten Vorwürfe gibt es bislang keinen. Auch Bundespräsident Klestil dementierte mehrmals, die Finger im Spiel gehabt zu haben. Die Phantasie wird freilich durch Aussagen wie jene des SPD-Politikers Freimut Duve angeregt. Dieser sagte in einer ntv-Talkshow, dass die EU-Erklärung ihren Ursprung bei der Stockholmer Holocaust-Konferenz habe. "Klima hat eine hervorragende Rede gehalten. Aus dieser Diskussion wurde die Bewegung der EU-Mitgliedsstaaten." Es sei über dieses Thema geredet worden, gesteht Kostelka. Klima habe aber jedem gesagt, "dass er das nicht mit ihm, sondern mit Schüssel besprechen soll".


Auch abseits des Parlaments werden schwere Geschütze in Stellung gebracht: Jörg Haider will Klima auf Feststellung und Unterlassung klagen. Hintergrund ist Haiders Behauptung, dass Klima für den Fall der Unterstützung einer SP-Minderheitsregierung der FPÖ die Besetzung von Ministerposten mit Experten angeboten habe. "Bei Gericht wird Klima unter Wahrheitspflicht als Zeuge aussagen müssen."


Als Zeugen nannte Haider Ex-Innenminister Schlögl und Klestil. Der Bundespräsident habe "mehrfach nachhaltig auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht" und erklärt, dass er eine SP-Minderheitsregierung wünsche.


Des FP-Chefs Vorschlag zur Klärung der Rolle Klestils: Der Nationalrat solle sich überlegen, das Staatsoberhaupt "schriftlich um eine authentische Erklärung zu ersuchen". Die bisherigen Erklärungen seien zu wenig.


Zitat: "Wir werden den Misstrauensantrag gegen Schüssel selbstverständlich unterstützen."Peter Kostelka, SPÖ
Zitat: "Es ist das erste Mal, dass ein Bundeskanzler den Rechtsextremismus hoffähig macht."Peter Pilz, Grüne
Zitat: "Bei Gericht wird Ex-Kanzler Klima unter Wahrheitspflicht als Zeuge aussagen müssen."Jörg Haider, FPÖ


Autor: Karin Leitner, Rudolf Cijan, Christian Thonke

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Die Freiheitlichen und die freie Meinungsäußerung
Noch nie war "Entschuldigung" bei den Freiheitlichen so groß geschrieben wie dieser Tage.

Seit sich die Regierungsbeteiligung der FPÖ abzuzeichnen begann, steht vor allem Parteiobmann Jörg Haider mit seinen verbalen Ausrutschern aus der Vergangenheit im Rampenlicht. Mit seiner Erklärung vom 12. November 1999, in der er "Aussagen, die mir zugeordnet werden" bedauerte, glaubt er reinen Tisch gemacht zu haben.


Doch nicht nur der Chef persönlich sorgte für Entgleisungen. Im Nationalratswahlkampf 1999 zeigte sich der damalige FPÖ-Spitzenkandidat Thomas Prinzhorn besorgt über die seiner Meinung nach herrschende Ungleichbehandlung von Österreichern und Ausländern. In einem Zeitungsinterview behauptete Prinzhorn, dass Ausländer vom Sozialamt Gratis-Medikamente zur Hormonbehandlung bekommen würden, um "ihre Fruchtbarkeit zu steigern".
Oder: Neo-Finanzminister Karl-Heinz Grasser gab 1997 in seiner Funktion als Kärntner Wirtschaftsreferent die Weisung, dass "nur noch jene Firmen öffentliche Aufträge erhalten, die heimische oder EU-Bürger" beschäftigen. Sie trat auf Grund der öffentlichen Empörung nie in Kraft. Der jetzige Infrastrukturminister Michael Schmid subventionierte als FP-Landesrat in der Steiermark die als rechtsextrem eingestufte Zeitschrift Aula 1993 und 1994 mit 150.000 S an Presseförderung.


Nachdem Jörg Haider 1995 Konzentrationslager als Straflager bezeichnet hatte, unterstützte ihn der neue Justizminister Michael Krüger. Er fand die Definition "Straflager für Zivilisten" für zutreffend.


Als 1994 burgenländische Jugendliche Spielbergs Film "Schindlers Liste" gratis besuchen durften, stieß dies auf Ablehnung des früheren FP-Landeschefs und jetzigen Klubobmanns Wolfgang Rauter: "Man will eine bestimmte Ausrichtung der Jugend erreichen."


Auch in nächster Umgebung von Sozialministerin Elisabeth Sickl zeigen sich braune Flecken. Laut Format war ihr Sohn Heinrich bereitwilliger Empfänger für NS-Propaganda und scheute sich nicht, bei Demonstrationen Seite an Seite mit Szenegrößen wie Honsik und Küssel aufzutreten.

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Oppositionskritik am EU-Kurs gegen Österreich

Deutsche Oppositionspolitiker haben ihre Kritik an dem EU-Kurs gegen Österreich verschärft. Vor allem die Bundesregierung wurde für ihre Haltung angegriffen, ihre Beziehungen zu dem Nachbarland gemäß der EU-Vereinbarung auf Eis zu legen.
 
Der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos forderte die Regierung auf, sich für ihr Verhalten zu entschuldigen. Die Reaktion auf eine durch demokratische Wahlen legitimierte Regierung sei unangemessen, so Glos.
 
FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle sprach von einem "Wählerbeschaffungsprogramm für Haider". Die Reaktion auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ sei hysterisch.
 
Bundeskanzler Gerhard Schröder verteidigte dagegen den Kurs. Deutschland hätte sich außenpolitisch isoliert, wenn es den Kurs nicht mitgetragen hätte. Österreich treibe sich selbst in die Isolierung.
 
Haider, dessen Freiheitliche Partei umstrittener Koalitionspartner in der neuen österreichischen Regierung ist, war Gast bei Erich Böhmes neuem Talk auf n-tv. Einige Hundert Menschen hatten vor dem gastauftritt gegen Haider protestiert. Größere Zusammenstöße blieben aus.

Klestil ruft erneut zu politischer Mäßigung auf

Wien (dpa) - Österreichs Bundespräsident Klestil hat erneut zu politischer Mäßgung aufgerufen. Es gehe jetzt darum, Österreich aus der schwierigen Situation herauszuführen und das Land nicht durch unüberlegte Äußerungen noch weiter schädigen. Unterdessen hat der Konflikt zwischen Österreich und der EU zur Absage eines Wien-Besuchs des portugiesischen Staatspräsidenten Sampaio geführt. Die EU- Kommission bekräftigte noch einmal, sie werde zu Österreich auch weiterhin ein völlig normales Arbeitsverhältnis haben.


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Scharfe Kritik an Haiders Talkshow-Auftritt

Berlin (dpa) - Erich Böhmes Gesprächsrunde «Talk in Berlin» mit dem österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider ist sowohl bei Politikern als auch bei Medienprofis auf scharfe Kritik gestoßen. Böhme wurde «schlechte Vorbereitung» vorgeworfen, die Gäste seien Haider gegenüber «hilflos» gewesen und die Sendung habe dem Rechtspopulisten ein Forum geboten, hieß es am Montag in Berlin.


«Am Ende sind der Talkmaster und seine Gäste gegenüber Haider unterlegen», sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD- Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt. «Die Vorhersage des Moderatoren, er werde den Mythos Haider entzaubern, ist nicht eingetroffen», meinte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele. «Die Show hat Haider lediglich ein Forum geboten, auf dem er sich schön selbst darstellen konnte.» FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle nannte die Sendung den «Gipfel der Peinlichkeit».


Der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos als einer der Teilnehmer kritisierte nach der Sendung indirekt die Zurückhaltung der anderen Gäste. «Ich war der einzige Haider-Gegner» sagte Glos. Die Sendung für den Sender n-tv war am Sonntag Nachmittag aufgezeichnet und am Abend ausgestrahlt worden. Haider war dabei nur wenigen Angriffen durch die anderen Gäste - der jüdische Publizist Ralph Giordano, der OSZE-Medienbeauftragte Freimut Duve und Michael Glos - ausgesetzt. Böhme wurde bereits während der Sendung von Haider, später auch von Medienexperten schlechte Vorbereitung und mangelnde Recherche vorgeworfen.


Böhme selbst sagte nach der Aufzeichnung, er könne noch nicht einschätzen, ob er Haider demaskiert habe oder nicht. «Das muss das Publikum entscheiden.» Haider wertete die Talk-Show als Erfolg. Er habe sagen können, was er habe sagen wollen, meinte er.


«Das Einzige, was Böhme und seine eher hilflosen Gäste klar gemacht haben, ist, das die politische Entwicklung in Österreich in Talkshows nicht angemessen behandelt werden kann», sagte Schmidt. «Wer Haider und Schüssel im Deutschen Fernsehen als Quotentreiber in Stellung bringt, darf sich nicht wundern, dass die Rechtspopulisten das Forum nutzen.» Ströbele kritisierte sowohl Böhme als auch die anderen Diskussionsteilnehmer: «Sie haben unterschätzt, wie konkret man Haider seine eigenen Aussagen vorhalten muss.»


Für den Auftritt des «umstrittensten Politikers Europas» (Böhme) waren am Sonntag rund 350 Polizisten im Einsatz und leisteten nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei rund 2 100 Überstunden. Gegen Haiders Fernsehauftritt demonstrierten mehrere hundert Menschen, ohne dass es bei massiven Sicherheitsvorkehrungen ernsthafte Zwischenfälle gab.


Nahezu einmütig erklärten Medienprofis trotz der Einschaltquote von 1,36 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 4,6 Prozent - das liegt für n-tv weit über dem Gewohnten - dass Böhme seinen Vorsatz, Haider zu demaskieren, nicht verwirklichen konnte.


«Die Sendung haben wir nicht nur wegen der Quote gemacht», sagte der stellvertretende Chefredakteur des Nachrichtensenders, Markus Föderl. Mit Böhmes Sendung habe man den Versuch unternommen, Haider aus der Reserve zu locken. Föderl gestand jedoch ein, dieser Versuch sei nur teilweise gelungen.
Für Günter Struve, den Programmdirektor der ARD, zeigte die Sendung, wie schwer ein Populist zu greifen sei. «Erregung oder Abneigung reicht nicht aus. Und vor allem darf man ihn nicht mit Amateuren in den Ring schicken.» Der Österreicher Hans Mahr, Chefredakteur von RTL, erklärte, mit einer einzelnen Sendung sei Haider nicht zu entzaubern «und ein wenig besser vorbereiten hätte man sich auch können».


Klaus Bresser, Chefredakteur ZDF, sah mit Haider in der Sendung «einen gnadenlosen Opportunisten, der sagt, was das Publikum von ihm hören will». Bresser kritisierte die mangelnde Professionalität des Gastgebers. Böhme hätte viel stärker mit gesicherten Quellen arbeiten müssen, viel stärker persönliche Bekenntnisse abfragen müssen.

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«Wir lassen uns nicht überfahren»

Wenn die EU die neue österreichische Regierung weiter ausgrenzt, droht FPÖ-Chef Jörg Haider mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof.

Interview: Benedict Rüttimann

FACTS: Herr Haider, Sie sind ehrgeizig, wollen stets gerne als Erster durch das Ziel, beim Sport wie in der Politik. Nach den Sanktionsdrohungen der EU gegen Österreich müssen Sie sich vorkommen wie ein Marathonläufer, den die Jury bei Kilometer 35 aus dem Rennen nimmt.
JÖRG HAIDER: Eben nicht, das war der Versuch der Jury, mich kurz vor dem Ziel aus dem Rennen zu nehmen. Aber der Versuch, eine Regierungsbildung unter Beteiligung der FPÖ zu verhindern, ist gescheitert. Diese Regierung gibt es.

FACTS: Wer wird den längeren Atem haben: die neue Koalition in Wien oder die anderen 14 EU-Regierungen?
HAIDER: Die Koalition und die EU. Denn die EU wird einsehen, dass man ein kleines Land nicht einfach überfahren kann, nur weil die Demokratie funktioniert und das Selbstverständlichste der Welt passiert ist, nämlich dass Regierungen wechseln.

FACTS: Was denken Sie, warum hat Europa Angst vor Ihnen?
HAIDER: Das weiss ich nicht. Das müssen Sie die fragen, die Angst haben. Ich finde es ja absurd, dass jemand, der im kleinen Österreich eine 27-Prozent-Partei repräsentiert, der ganzen Welt Angst einflössen soll.

FACTS: Haben Sie sich in den vergangenen Tagen nie gefragt, warum der französische Präsident Jacques Chirac oder die belgische Regierung derart heftig reagiert haben?
HAIDER: Das hat vorwiegend innenpolitische Gründe. Chirac muss sich positionieren gegenüber Premierminister Jospin, der als möglicher Herausforderer bei der nächsten Präsidentenwahl antreten wird. Beide kämpfen halt um ihr Wählerpotenzial und versprechen sich was davon, wenn sie gegen eine Partei wie die FPÖ vorgehen.

FACTS: Sie behaupteten auch, der Protest im Ausland habe seine Ursache zum Teil in der Anstiftung durch die österreichischen Sozialdemokraten.
HAIDER: Ich bin sicher, dass etwas Wahres dran ist an den Berichten in einigen seriösen Medien, dass nämlich vor allem Ex-Bundeskanzler Klima versucht hat, sich an das Ausland zu wenden und seine sozialistischen Regierungschefs zu mobilisieren. Das wird sicherlich auch vom österreichischen Parlament weiterverfolgt werden.

FACTS: Sie haben den übrigen EU-Ländern mit einem Gegenboykott gedroht ?
HAIDER: ich habe nicht Boykott gesagt. Ich sagte, dass ich erwarte, wenn man sich in einer Gemeinschaft vertraglich zu bestimmten Spielregeln verpflichtet hat, dass man diese auch einhält. Wenn 15 sich verpflichten, sich an einen Tisch zu setzen, um zu Entscheidungen zu kommen, sind 15 einzuladen also auch Österreich.

FACTS: Und wenn sich die 14 anderen Mitglieder nicht daran halten?
HAIDER: Dann gibt es eine Klage beim europäischen Gerichtshof. Es gibt ein Rechtsverfahren, man kann das einklagen. Es gäbe dann eine Verurteilung von 14 gegen 1, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass diese evidente Nichteinhaltung des Vertrags nicht gerügt würde. Deshalb gehe ich davon aus, dass nach der ersten Welle der Aufregung eine Normalisierung einsetzen wird. Die EU macht sich ja selber nichts Gutes damit. Sie wird für viele, die immer schon der Meinung waren, dass sie wenig demokratisch ist, noch verdächtiger, und für viele, die mit Begeisterung auch in Österreich für die EU gestimmt haben, ist sie plötzlich ein Feindbild geworden.

FACTS: Werden Sie sich aktiv um die Aufhebung der Quarantäne bemühen?
HAIDER: Primär ist jetzt Österreichs Aussenpolitik am Zug. Zudem habe ich deutlich gemacht, dass wir bemüht sind, der EU einen Weg zu eröffnen, damit
sie ohne Gesichtsverlust wieder mit Österreich vertrauensvoll zusammenarbeiten kann.

FACTS: Sind Sie enttäuscht von Bundespräsident Thomas Klestil, der kein Hehl daraus gemacht hat, dass er die FPÖ nur widerwillig an die Regierung liess?
HAIDER: Eigentlich schon. Weil ich von jemandem wie ihm erwarte, dass er dann, wenn es wirklich ums Land geht, persönliche Vorlieben beiseite lässt und sich um die Interessen des Landes kümmert.

FACTS: Sie haben die Beschäftigungspolitik Hitlers gelobt und SS-Veteranen einen guten Charakter bescheinigt.
HAIDER: Dafür hab ich mich entschuldigt. Messen Sie uns an unseren Taten.

FACTS: Die sind im Fall Kärnten, wo Sie Landeshauptmann sind, bescheiden. Sie haben starke Senkungen der Strompreise und Mieten versprochen, reduziert haben Sie sie nur um wenige Schillinge. Auch der Kindercheck ist nicht in der versprochenen Höhe von 6000 Schilling gekommen.
HAIDER: Die Leute sind sehr zufrieden. Die Strompreise sind immerhin um zehn Prozent gefallen. Wir sind das erste Bundesland, das die Liberalisierung erzwungen hat, die anderen folgen uns jetzt. Die Mieten sind um bis zu 100 Schilling (etwa 12 Franken) im Monat heruntergegangen. Das ist sehr viel. Und der Kindercheck ist in zwei Pilotgemeinden eingeführt. Zudem habe ich die Aufsichtsräte entpolitisiert. Politiker sind aus den Aufsichtsräten draussen, wo das Land beteiligt ist. Ich habe einen Technologiefonds geschaffen, der eine Milliarde Schilling für Technologiepolitik freisetzen wird.

FACTS: Was haben Sie in Wien vor?
HAIDER: Die Partei muss das 235- Milliarden-Budget-Loch schliessen, das die Sozialisten hinterlassen haben. Dann müssen wir Massnahmen ergreifen, um den Kapitalmarkt zu liberalisieren, und wir wollen eine Steuerreform vorbereiten, so eine Art Flat-Tax-System, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

FACTS: Warum machen Sie ständig Aussagen, die Sie einen Tag später bedauern müssen?
HAIDER: Ich gehöre nur zu jenen Politikern, die dann, wenn was schief läuft, auch den Mut haben, das einzugestehen und etwas zurückzunehmen. Es gehört zu einer geordneten politischen Kultur, dass man sich nicht in seinen Standpunkt verbeisst und - nur weil man Recht haben will - sozusagen auch bei einer falschen Meinung bleibt.

FACTS: Sie ändern Ihre Meinung allerdings extrem oft.
HAIDER: Nein. Wo denn?

FACTS: Beim Euro zum Beispiel.
HAIDER: Da habe ich meine Meinung nicht geändert. Ich bin überzeugt, dass er eine Fehlgeburt war, und zwar insoweit, als man den Euro am Ende der wirtschaftlichen Integration hätte bringen sollen.

FACTS: Sie machen sich für direkt- demokratische Elemente à la Schweiz stark. Was erhoffen Sie sich davon?
HAIDER: Ein gewisses Korrektiv zur Regierungspolitik. Es wird auch für uns nicht angenehm sein zu wissen, dass du nicht nur bei Wahlzeiten, sondern auch zwischendurch gefordert bist.

FACTS: Was ist Ihnen wichtiger: Gleichheit oder Gerechtigkeit?
HAIDER: Das ist kein Widerspruch.

FACTS: Das ist richtig. Aber was kommt bei Ihnen zuerst: Gleichheit oder Gerechtigkeit?
HAIDER: Gleichheit im Sinne von Chancengleichheit ist in Ordnung, ist wichtiger. Und dann die Gerechtigkeit. Wenns Chancengleichheit gibt, ist das Gerechtigkeit. Gleichheit um der Gleichheit willen ist keine Gerechtigkeit.

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Front gegen Haider

Die europäische Sanktionspolitik wird von Belgien angeführt - das Land hat selbst mit einer rechten Bewegung zu kämpfen.

Von Tessa Szyszkowitz

Der erste Test für «Quarantanien», wie Österreich bereits spitzzüngig genannt wird, droht an diesem Freitag. Zwar wurde die neue FPÖ-Sozialministerin Elisabeth Sickl nach tagelangem diplomatischem Tauziehen doch zu einem informellen Treffen der EU-Sozialminister nach Lissabon eingeladen. Doch wie viele ihrer Kollegen ihr den Handschlag verweigern werden, ist derzeit Thema Nummer eins in der Union. «Ich werde das tun, was ich immer schon mit Rechtsextremisten getan habe», kündigte die französische Sozialministerin Martine Aubry an: «Ich werde so tun, als sei die Dame nicht anwesend.»

Ihre belgische Ressortkollegin Laurette Onkelinx von den frankophonen Sozialisten zeigt sich von dieser Ankündigung erfreut: «Ich denke, wir werden konzertiert vorgehen. Dann sind die Massnahmen effektiver.» Der belgische Premier Guy Verhofstadt sagte vergangene Woche in einer Pressekonferenz: «Wir sehen mit Genugtuung, dass die Unionsstaaten sich unserer Initiative angeschlossen haben. Über weitere Massnahmen werden wir gemeinsam nachdenken.»

Die Isolierung der neuen österreichischen Regierung greift also auch auf die EU-Institutionen über. Da die Boykotterklärung der 14 EU-Regierungen aber primär die Einfrierung der bilateralen Beziehungen betrifft, denken gerade die Belgier darüber nach, wie weit die Isolation Österreichs gehen könnte. Derzeit wird sogar auf Menschenrechts-Organisationen Druck gemacht, die bilateralen Beziehungen zu den Wiener Kollegen abzubrechen.

Selbst die Psychotherapeuten diskutieren einen bilateralen Boykott. Der Präsident der Europäischen Assoziation der Familien-Therapeuten, Moni Elkaim, ruft dennoch zur Mässigung auf: «Ich bin auch immer dafür eingetreten, dass wir die Belgrader Opposition unterstützen. Wenn wir die serbischen Kollegen damals boykottiert hätten, dann wäre der Schaden in der Zivilbevölkerung noch grösser gewesen.»

Österreich, das zweite Serbien Europas. Nicht nur in Wien fragt man sich derzeit, warum gerade Belgien sich zum Vorreiter der europäischen Sanktionspolitik macht. Die Brüsseler Regierung aus Liberalen, Sozialisten und Grünen hat dafür einen triftigen innenpolitischen Grund. Wie kein anderes EU-Land kämpft das belgische Establishment mit einer ähnlich erfolgreichen Bewegung wie der FPÖ: der flämischen Separatistenpartei Vlaamsblok. Seit 1978 hat die Anti-Immigrantenpartei jede Wahl gewonnen und ist bereits in der flämischen Hauptstadt Antwerpen stärkste Partei. Sie stellt allerdings nicht den Bürgermeister, weil es keinen Koalitionspartner gibt - die anderen Parteien haben um den Vlaamsblok einen «cordon sanitaire» errichtet.

Und das soll auch so bleiben. Der Aufforderung des belgischen Aussenministers Louis Michel, eines frankophonen Liberalen, nicht in Österreich Ski fahren zu gehen, wird bereits Folge geleistet. Denn die Belgier hegen wie die Franzosen nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg ein tiefes Misstrauen gegenüber österreichischen Führern. In Brüssel gibt es zudem eine grosse und politisch sehr aktive jüdische Gemeinde, die sich auch im Nahost-Konflikt stets - durchaus israelkritisch - für Menschenrechte engagiert hat.

Wenn die österreichische Volkspartei nun gerne darauf hinweist, die europäischen Staaten seien in ihrem Protest «innenpolitisch motiviert», dann haben sie teilweise Recht. Doch rechtspopulistische Bewegungen wie die FPÖ sind eben längst ein europäisches Problem geworden. Umso grösser ist die Empörung in Europas Hauptstädten, dass die österreichischen Konservativen mit der neuen Koalitionsregierung einen Politiker wie Jörg Haider in Europa salonfähig machen wollen. «Wir müssen klarstellen, dass Politiker wie Haider in einer europäischen Regierung untragbar sind», sagt die französische Konservative Nicole Fontaine, Präsidentin des EU-Parlaments: «Haiders Programm und seine Aussagen widersprechen den Grundwerten Europas.»

Im Haiderland

Gefeierter FPÖ-Chef


Klagenfurt, die Hauptstadt Kärntens, ist eine putzige Stadt. Die Renaissancehäuser in der Altstadt sind frisch gestrichen, die Strassen gefegt.

Klagenfurt ist Haiderland. 42 Prozent der Wähler stimmten bei den Landtagswahlen vor einem Jahr für die Freiheitlichen und ermöglichten damit Jörg Haider ein eindrückliches Comeback als Landeshauptmann. Hier sind in den letzten Tagen nur wenige auf die Strasse gegangen, um gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ in Wien zu demonstrieren. Als sich Jörg Haider am Samstag am jährlichen FPÖ-Ball in der Messehalle von 3000 Anhängern und sieben frisch angelobten Bundesministern als Kanzlermacher feiern liess, versammelten sich gerade einmal 300 meist junge Demonstranten draussen vor der Tür. Würde nächsten Sonntag
gewählt, Haider würde locker die absolute Mehrheit erreichen.

«Politisches Talent»


«Haider ist ein ausgesprochenes politisches Talent», seufzt Herbert Würschl, Vorsitzender der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes in Kärnten und Mitglied der Sozialisten, die hier seit elf Jahren in der Opposition darben. Selbst Würschl ist ratlos, wenn er die bisherige Politik Haiders in dem kleinen Bundesland kritisieren soll. Jetzt hoffen die Genossen auf FPÖ-Fehltritte in Wien. Zum Beispiel mit der angekündigten Streichung von 9000 Beamtenstellen. «Vielleicht merken dann die Leute endlich, dass Haider ausser Unterhaltung politisch nichts zu bieten hat», sagt Melitta Trunk, geschäftsführende Vorsitzende der Kärntner SPÖ. Der Pakt mit der ÖVP mache Haider angreifbar. Das will Trunk auch in Klagenfurt ausnutzen.

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Ein Land im Stadium der Farce

Österreichs Politiker wollten in der Nachkriegszeit die Fehler der Vergangenheit um jeden Preis verhindern ­ und bereiteten damit den Weg für einen Mann wie Jörg Haider.

Von Michael Stürmer

Die Griechen wussten, dass jedes Spiel zweimal gegeben werden muss, einmal als Tragödie, einmal als Farce. In jenem zweiten Stadium befindet sich Österreich. Weder wird die Alpenrepublik, Karl Kraus zu zitieren, Versuchswerkstatt für den Weltuntergang, noch wird von hier und heute ein neues Jahrhundert des Faschismus seinen Ausgang nehmen.

Allerdings ist Österreich auch nicht das niedliche Land der Fremdenverkehrsprospekte. Es ist ein Land, das um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert den Glanz und das Elend der kommenden Jahrzehnte in sich enthielt, besonders in der Haupt- stadt Wien, und wo 1914 das Attentat von Sarajevo umgesetzt wurde in den Selbstmord der Zivilisation des 19. Jahrhunderts.

Für Dämonisierungen ist Österreich auf den ersten Blick ungeeignet. Auf den zweiten Blick aber bleibt etwas Unheimliches. Und das umso mehr, als das Bild, das Österreich von sich selbst produziert, das einer heurigenseligen Idylle ist.

In Wahrheit galt das nicht für Musils «Kakanien» vor dem Ersten Weltkrieg, den man am Ballhausplatz sehenden Auges in Kauf nahm, wie übrigens auch in Berlin, Sankt Petersburg, Paris und London. Noch galt es für «Deutsch-Österreich», wie sich der auf der Pariser Friedenskonferenz von den Siegern 1919 brutal und hirnlos zerstückelte Rest der Donaumonarchie trotzig und sehnsüchtig nannte.

Die Österreicher der ersten Republik waren überzeugt, nicht alleine leben zu können ohne Anlehnung an Deutschland, ja Inkorporation. Wie man damals im Donau-Reststaat sich einredete, dass allein im grösseren Deutschland das Heil liege, hat man sich nach dem Zweiten Weltkrieg eingeredet, niemals mit Deutschland in einem engeren Verhältnis gewesen zu sein ­ obwohl doch selbst der Fürst Metternich im Gespräch mit Napoleon pointiert gesagt hatte: «Sire, vergessen Sie nicht, dass ich ein Deutscher bin.» Dass die Habsburger in Deutschlands Freien Städten ihre treuesten Gefolgsleute hatten ­ vergessen und verdrängt, wie so vieles seitdem.

Die zweite Republik, das gehört zum österreichischen Malaise von heute, wollte immer alles tun, nicht den bitteren Weg der ersten zu nehmen, von «Deutsch-Österreich» zum «Anschluss». So konstruierte man eine Vergangenheit in Rot-Weiss-Rot nahezu seit Erschaffung der Welt. Untergründig aber wusste man, dass es um ganz anderes ging.

In den Zwanzigerjahren hatten Austromarxisten, Nationalsoziale und Christlichsoziale in einem dreikantigen Konflikt gegeneinander gestanden, der immer wieder Züge eines Bürgerkriegs annahm. Die Demokratie war ein halbkranker Gast im österreichischen Hause. Den Putsch der Nationalsozialisten gegen die Wiener Regierung brachten nicht die Westmächte zum Stehen, sondern kein anderer als Italiens Diktator Mussolini, der am Brenner Truppen aufmarschieren liess.

Der Westen hat es ihm schlecht gedankt, ebenso wenig den schweren Ernst der Lage verstanden, dass in des deutschen Diktators strategischem «Stufenplan» (Andreas Hillgruber) Österreich die nächste Etappe sein würde. Aus der unerfüllten deutsch-österreichischen Sehnsucht, in die Verfassung von 1919 als Staatsziel hineingeschrieben, wurde 1938 unter äusserstem Druck von innen und aussen der «Anschluss». Ein Drittel der Österreicher delirierte, ein Drittel ballte die Faust in der Tasche, viele wurden verhaftet, der Rest marschierte mit.

1943 in Ottawa aber gelang es, den Alliierten klarzumachen, dass Österreich Hitlers erstes Opfer gewesen war, und 1945 scheuten sich österreichische Behörden nicht, Deutsche zu vertreiben und zu enteignen als kollektive Strafe. Sich selbst gegenüber war man sehr viel milder, und das rächt sich jetzt.
Man hat nicht die fatale Doppelbedeutung des «Anschlusses» sehen wollen, noch die Tatsache registriert, dass sich 1938 und danach die schwarze SS vor Bewerbungen kaum retten konnte, dass die Kaltenbrunners und Seiss-Inquarts Österreicher waren, nicht anders als der Grosstyrann und eine unverhältnismässig hohe Zahl seiner grossen und kleinen Vollstrecker. Stattdessen die konvenable Geschichtserzählung, die halb richtig war und damit auch halb falsch, und das grosse, ungläubige Erstaunen, als in den Achtzigerjahren die Waldheim-Affäre begann.

War der Oberleutnant der Wehrmacht im Heeresgruppenstab in Saloniki wirklich der Finsterling, zu dem ihn amerikanische Medien machten, nicht zuletzt angestossen durch österreichische Meldegänger? Dass man Material des jugoslawischen Geheimdienstes heranzog, offenkundig gefälscht, hat die Bitternis der Österreicher erhöht: statt Aufklärung nun eine trotzige Haltung des «Nun erst recht». Der Westen hat damals ohne Zweifel Fehler gemacht, die sich ebenfalls jetzt rächen.

Aber gerade weil man die Bitternisse der ersten Republik nicht wiederholen wollte, errichtete die zweite Republik eine gemütliche Proporzdemokratie, wo alles Krumme gerade gebogen wurde, wo vom Botschafter bis zum Portier, vom Konzerndirektor bis zum Strassenbahnschaffner, von den öffentlich-rechtlichen Medien, den Kammern und der vielgestaltigen halbstaatlichen Industrie nicht zu reden, kaum eine Ernennung lief, ohne dass die Parteien, die im Fette sassen, ihr Sagen hatten und ihre Leute versorgten.

Wer solchermassen den Staat refeudalisiert, darf sich nicht wundern, dass diejenigen, die sich ausgeschlossen fühlen, mit dem Wahlzettel ihre Rache übten. Die Partei, die sich dafür anbot, waren die Freiheitlichen, die hinter der Tarnung ihres schönen Namens zur Protestpartei der kleinen Leute, der Zukurzgekommenen, der alten Marschierer wurde. Aber erst unter Jörg Haider, der die Witterung dieser Edelfäule mit scharfem demagogischem Instinkt aufnahm, wurde daraus eine Antipartei. Alles allerdings blieb, nach dem österreichischen Wohlverhaltenskodex, in Andeutungen. Man wusste immer, was gemeint war, sei es in der Körpersprache, sei es in den allgemein verständlichen Codeworten.

Zu einem neuen Hitler wird Haider dadurch nicht. Die Freiheitlichen sind nicht die gewalttätigen Marschierer von 1933, Österreich heute ist nicht das Österreich der Niederlage, der grossen Depression und des dreikantigen Bürgerkriegs wie ehedem. Österreich und den Österreichern geht es, per capita und im Bruttosozialprodukt, so gut wie nie zuvor.

Und doch, in Österreichs Protestpotenzial kommt zum Ausdruck, was viele in Europa fürchten: den Gegenschlag gegen die Verengung des Sozialstaats, das Modernisierungstempo, die Öffnung der Grenzen, die Entgrenzung der Politik, die Unübersichtlichkeit. Zugleich aber kündigt sich vieles an, was weder im Fortschrittsspielplan der Linken vorgesehen ist noch der These vom Ende der Geschichte entspricht: dass der Preis des Fortschritts für viele seinen Gewinn übersteigt, dass die Kultur ihr eigenes Unbehagen erzeugt, dass im Europa ohne Grenzen vieles hineingeschwemmt wird, was die meisten lieber draussen wüssten.

Zugleich kündigt sich auch das Ende des alten Machtkartells an, der feudalen Schutz-und-Treue-Verhältnisse, ja des umfassenden Versorgungsstaats. In Österreich ist nur deutlicher als anderswo, dass Demokratie die Werte nicht schaffen kann, auf denen sie beruht, und dass es einen Hunger nach Vision gibt, der in ruhigen Zeiten nicht zu befriedigen ist. Wir brauchen nicht nur einen besseren Stil der Demokratie, sondern auch festere Grundlagen.

Haider und seine Leute sind durch ihre Existenz nicht nur Erinnerung an diese Herausforderungen der Demokratie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie stellen auch die alten Lösungen in Frage. Ob der EU-Boykott politisch weise ist, ist fraglich. Dass er rechtlich nach den Verträgen nicht durchzuhalten ist, steht ausser Frage. Sich jetzt überrascht zu geben angesichts dessen, was in Österreich geschah, zeugt nicht von Weitblick. Wahl um Wahl sah die Haider-Leute im Aufstieg, und die Parteien der schwarzroten Proporzdemokratie haben sich nicht jenes schmerzhafte Examen verordnet, eingeschlossen Selbstbeschränkung und Patronageverzichte, das allein den Sirenengesängen der Populisten hätte wehren können.

Die Farce ist es, nicht die Tragödie, die jetzt gespielt wird. Entrüstung ob der Ergebnisse der Wahlen, die ohne Zweifel frei und fair abliefen, ist keine Politik. Man wird, damit nicht überall Haider-Land wird, dem Parteienstaat in den meisten Ländern Europas schmerzhafte Schlankheitskuren verordnen müssen, sich auch nicht mehr mit dem Wachs der Political Correctness die Ohren verstopfen dürfen. Wenn das unterbleibt, bietet Österreich ein Fenster in die Zukunft. Wenn nicht, nicht.

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