Gentech

Allergische Reaktionen auf Gentech-Food

Der StarLink-Mais, eine gentechnisch veränderte Sorte, steht in den USA unter Verdacht, Allergien zu verursachen. Die Behörden prüfen den Fall sorgfältig. Ihr Urteil könnte Signalwirkung haben.

Von Marc Kaufman*

Grace Booth, 35, hatte gerade ihren Chicken-Enchilada-Lunch beendet, als ihr plötzlich ganz heiss wurde. Juckreiz befiel sie, die Lippen schwollen an, sie bekam heftigen Durchfall und litt bald Atemnot. Ihre Kollegen vom California Youth Center riefen den Notarzt, der sie mit Verdacht auf Allergieschock in das nächstgelegene Krankenhaus brachte. Dort spritzte man ihr sofort ein Antiallergikum, gab ihr Benadryl-Tabletten und eine Infusion, und nach fünf Stunden konnte sie das Krankenhaus verlassen. Einige Tage darauf erfuhr Booth, dass Tortillas und andere Maisprodukte landesweit zurückgerufen worden waren, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie eine gentechnisch veränderte Maissorte, den StarLink-Mais, enthielten. Dieser Mais war, aus Sorge vor gesundheitlichen Gefahren, lediglich als Tierfutter zugelassen.

Mehrere Dutzend Fälle

Da in den Tortillas, die Booth verzehrt hatte, Mais enthalten war - und Tests auf andere Nahrungsmittelallergien durchwegs negativ verlaufen waren -, wandte sie sich an die Food and Drug Administration (FDA) und berichtete von einer allergischen Reaktion, die vermutlich von StarLink-Mais ausgelöst worden sei. Booth ist eine von mehreren Dutzend Personen in den USA, die davon überzeugt sind, dass allergische Reaktionen, die sie im letzten Herbst hatten, auf den Verzehr von StarLink-Mais zurückzuführen sind. Ihre Fälle werden zurzeit von der FDA und den staatlichen Gesundheitsbehörden untersucht. Das Ergebnis dieser Untersuchung könnte erhebliche Konsequenzen für die Zukunft von Gentech-Nahrungsmitteln haben.

Allergische Reaktionen gelten seit Jahren als das grösste Gesundheitsrisiko von genmanipulierten Nahrungsmitteln, die üblicherweise mit Proteinen fremder Organismen versehen sind. Aber StarLink ist das erste Biotechprodukt dieser Art, bei dem Konsumenten von gesundheitlichen Problemen berichten.

Sollte sich zeigen, dass die nichts ahnenden Konsumenten tatsächlich allergisch auf ein Protein im Mais reagiert haben, könnte das der ohnehin misstrauisch beäugten Biotech-Industrie einen weiteren schweren Schlag versetzen. Die Sorge ist weit verbreitet (insbesondere in Europa), dass gentechnisch veränderte Agrarprodukte für Umwelt und menschliche Gesundheit ein Risiko darstellen. Eine tatsächliche Gefährdung ist bislang allerdings noch nicht nachgewiesen worden. Allergische Reaktionen auf StarLink-Mais wären der erste dokumentierbare Fall eines genmanipulierten Lebensmittels, dessen Verzehr mit gesundheitlichen Gefahren verbunden ist.

Sollten die Untersuchungsergebnisse aber negativ ausfallen, dürfte die Branche ein gewisses Mass an Vertrauen zurückgewinnen. Die Industrie argumentiert, dass StarLink-Mais keine schweren, ja nicht einmal leichte Reaktionen auslösen kann, mithin sicher ist und deshalb schon vor Jahren für den menschlichen Verzehr hätte freigegeben werden sollen.

Lange Suche nach einem Test

Die FDA brauchte Monate, um einen Test für diese potenzielle allergische Reaktion zu entwickeln, aber dieser Test liegt jetzt vor, wenngleich das Prüf- und Zulassungsverfahren noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Wissenschaftler weisen ausserdem darauf hin, dass der Test keine hundertprozentige Gewissheit bieten wird. Seitens der FDA wird aber erklärt, dass man immerhin schon die Blutproben untersuchen könne, die Grace Booth und anderen Personen im letzten Jahr abgenommen wurden. Anfang April wurde in Washington mit der eigentlichen Untersuchung begonnen.

Karl Klontz, ein Mitarbeiter der FDA, erklärte, der Test werde ergeben, ob die Betroffenen Antikörper gegen das genetisch veränderte Protein (Cry9C) in StarLink-Mais produziert haben, das die Pflanzen vor dem europäischen Maisbohrer schützt. "Dies ist das erste Mal, dass ein solcher Test entwickelt wurde, und niemand behauptet, dass er absolut zuverlässig ist", sagte Klontz. "Aber das Vorhandensein des Antikörpers dürfte vermutlich auf ein allergisches Phänomen hindeuten, während das Nichtvorhandensein des Antikörpers wohl mit einiger Sicherheit beweisen würde, dass eine Allergie nicht besteht." Sollten in den Blutproben Cry9C-Antikörper entdeckt werden, könnten anschliessend Hauttests durchgeführt und sogar in einem kontrollierten Versuch StarLink-haltige Nahrungsmittel an potenzielle Allergiker verabreicht werden.

Der amerikanische Gesetzgeber betrachtet die gentechnische Implantation von artfremden Proteinen in Lebensmitteln mit besonderer Sorge, weil die Konsumenten darüber nicht informiert werden. Wer auf Erdnüsse allergisch reagiert, weiss, dass er bestimmte Lebensmittel vermeiden muss, aber genetisch veränderte Eiweisse sind nicht gekennzeichnet, und deswegen kann man sich vor ihnen auch nicht schützen.

Das Problem tauchte erstmals 1995 auf, als sich zeigte, dass ein in eine Sojabohne eingebautes Paranussgen Allergien hervorrufen kann. Das Problem wurde erkannt, bevor die Sojabohne auf den Markt kam, und die weitere Arbeit an diesem Projekt wurde eingestellt.

StarLink-Mais sollte zwar nicht mit Lebensmitteln in Berührung kommen, aber alle Beteiligten sind sich einig, dass das nicht funktioniert. Im Herbst letzten Jahres stellte sich heraus, dass der "Futter"-Mais versehentlich mit Mais vermischt wurde, der für menschlichen Verzehr bestimmt war, worauf es zu einer massiven und kostspieligen Rücknahme von Mais und Maisprodukten kam, einschliesslich Tortillas, Bier und zuletzt auch Mais-Hotdogs. Seit dieser Rückrufaktion haben US-Bundesbehörden und Vertreter der Industrie immer wieder unterstrichen, dass kein nennenswertes Gesundheitsrisiko bestanden habe.

Aventis CropScience, der Produzent von StarLink, stellte denn auch im November letzten Jahres erneut Antrag bei der US-Umweltschutzbehörde (EPA), StarLink für den menschlichen Verzehr zuzulassen. Neuen Forschungsergebnissen gemäss bestünde kein Allergierisiko. Aventis hatte die Lizenz für den künftigen Verkauf seiner Maissorte zurückgegeben, wollte aber eine rückwirkende Genehmigung haben, um Störungen des Maismarktes und, wie manche Leute behaupten, eigene finanzielle Verluste zu begrenzen. Aventis trug vor, dass StarLink in viel zu geringen Mengen beigegeben werde, als dass allergische Reaktionen entstehen könnten, und ausserdem würde das Cry9C bei der Produktion von Tacos und anderen Lebensmitteln nachweislich vernichtet. Das in Tacos entdeckte Cry9C stamme aus dem DNA-Material der Zelle und nicht aus Protein und könne daher keine allergische Reaktion auslösen.

Wochen später kamen Experten der EPA zu dem Schluss, dass eine "mittlere" Wahrscheinlichkeit bestehe, dass das StarLink-Protein eine allergische Reaktion auslösen könne, aber nur eine "geringe Wahrscheinlichkeit", dass Menschen die entsprechende Sensibilisierung entwickelt hätten, weil in den betreffenden Nahrungsmitteln nur geringe Mengen der Maissorte enthalten seien. Gleichwohl empfahlen sie, den Antrag von Aventis so lange ruhen zu lassen, bis ein geeignetes Testverfahren entwickelt sei, mit dessen Hilfe Berichte über allergische Reaktionen auf StarLink genauer geprüft werden könnten.

Die FDA hat 48 solcher Meldungen erhalten, und die Gesundheitsbehörden konzentrieren sich auf die 35 Berichte, die vor der Zusammenkunft des Expertenteams im letzten November eingegangen waren. Laut FDA soll es sich bei etwa einem Dutzend der vorliegenden Beschwerden um glaubwürdige Berichte von allergischen Reaktionen handeln. StarLink wird als Allergieauslöser verdächtigt, weil Cry9C weitaus hitze- und magensaftresistenter ist als angenommen, sodass der menschliche Körper mehr Zeit für Überreaktionen hat. Auch das Molekulargewicht des Proteins entspricht nach Ansicht der Experten einer allergenen Substanz.

Mehrere Gerichtsverfahren laufen

Der Fall StarLink hat zu mehreren Gerichtsverfahren gegen Aventis und andere Firmen geführt, denen Fahrlässigkeit und Konsumentenbetrug vorgeworfen wird, weil sie Maiserzeugnisse produziert oder verkauft haben, die nicht für Lebensmittel zugelassen waren. Die Kläger (darunter auch Personen, die sich nicht bei der FDA beschwert haben) führen an, dass sie allergische Reaktionen hatten. Repräsentanten der Biotech-Industrie spielen diese juristischen Auseinandersetzungen herunter und verkünden, dass einige Leute aus der Situation Kapital schlagen wollen und dass die Branche angesichts des extrem mühseligen und kostspieligen Aufkaufs von StarLink-Mais und des Rückrufs der beanstandeten Produkte eher Anerkennung als Kritik verdient habe.

Kläger in einem dieser Prozesse ist Keith Finger, Optiker aus Florida, der wie Grace Booth eine heftige allergische Reaktion erlitt. 15 Minuten nach dem Verzehr einer Mahlzeit aus Tortillas, Bohnen und Reis stellten sich die typischen Symptome eines Allergieschocks ein - Bauchschmerzen, starker Durchfall, Juckreiz, Anschwellen der Zunge, Atemnot. Finger liess sich sofort ein antiallergisches Mittel spritzen und nahm ein paar Benadryl-Tabletten, und allmählich verschwanden die Symptome. Er meint, dass er gestorben wäre, wenn er nicht schnell gehandelt hätte. Als er ein paar Tage später von dem StarLink-Mais erfuhr, überprüfte er, ob in seinen Tortillas Mais enthalten war, und als sich sein Verdacht bestätigte, machte er der FDA Mitteilung. Finger sagt, er habe vor mehreren Wochen mit einem Anwalt von Aventis gesprochen und angeboten, StarLink-haltige Produkte zu verzehren, um zu sehen, ob er auch ein zweites Mal allergisch reagieren würde. Der Anwalt sei zunächst auch interessiert gewesen, habe dann aber abgewunken. "Ich will im Moment nur wissen, ob Leute wie ich allergisch auf StarLink reagieren", sagte Finger. "Es ist doch eine unheimliche Vorstellung, dass man auf etwas reagiert, von dem man überhaupt nicht weiss, dass es im Essen enthalten ist. Das muss dringend geklärt werden."

* Marc Kaufman ist Reporter der "Washington Post", wo dieser Artikel erstmals erschienen ist. - Aus dem Englischen von Matthias Fienbork.

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