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Der letzte Dreck

In den Fussballstadien grassiert der Fremdenhass. Davon hat Kubilay Türkyilmaz genug. Und er ist kein Einzelfall.

Von Marcel Lätsch und Elmar Wagner
Kubilay Türkyilmaz ist ein sensibler Mensch. Und einer wie er hat besonders grosse Ohren. «Turco di merda» - «Drecktürke» - tönte es beim Meisterschaftsspiel des FC Lugano gegen den FC Sankt Gallen vereinzelt von den Rängen des Espenmoos. Immer wieder hörte Kubi die Beschimpfungen, bei seinen Eckbällen und auf dem Weg zum Mannschaftsbus.

Türkyilmaz, ein Sohn türkischer Einwanderer, ist schon sehr lange Schweizer. Für die Nationalmannschaft erzielte er die Rekordzahl von 32 Toren. Und so lief ihm nach den Vorfällen in Sankt Gallen das Herz über: «Wenn ich ein Drecktürke bin, sollen doch die richtigen Schweizer für die Nati spielen», drohte er - und sprach von einem Rücktritt aus dem Nationalteam.

Drecktürke? Von den Sankt-Galler Offiziellen will dieses Schimpfwort niemand gehört haben. Der Präsident nicht, der Fanbetreuer nicht und andere ebenso wenig. «Ich bin fast sicher, dass der Fehlbare eine Einzelperson war, sonst hätte sich das schnell rumgesprochen», sagt Stefan Thurnherr, der Sprecher des grössten Sankt-Galler Fanklubs. Vielleicht geht es hier aber auch um kollektives Schweigen, weil Türkyilmaz eine Reizfigur ist. «Der muss jetzt gar nicht jammern. Einer, der den gegnerischen Fans jeweils den Stinkefinger zeigt, muss damit rechnen, dass das Publikum mit gleicher Münze zurückzahlt», sagt etwa Markus Imbach, der Präsident des FCZ-Fanklubs «Letzi». Komme hinzu, dass sich Türkyilmaz für Testspiele mit der Fussballnati zu schade sei. «Das Publikum lässt sich eben nicht gern verarschen», folgert Imbach trocken.

Reizfigur hin oder her - der rassistische Angriff gegen Türkyilmaz ist kein Einzelfall. Am vergangenen Sonntag erst wurde der neue FCZ-Brasilianer Renato von einigen Luganesi mit Affengebrüll verabschiedet. Ähnliches widerfuhr vor ein paar Jahren dem schwarzen FCZ-Stürmer August Makalakalane, dem das Basler Publikum zudem Bananen nachwarf. Im Spitzenfussball sind weitere verbale und tätliche Ausfälle aktenkundig. So beispielsweise jene gegen Souleymane Sané, der vom GC-Verteidiger Bernt Haas aufs Übelste rassistisch beschimpft worden sein soll. Und lange galt es in vielen Stadien als besonders originell, den Anlauf eines dunkelhäutigen Spielers zur Cornerflanke mit Affengejohle zu untermalen. «Uh, uh, uh!»

Der Hang zu rassistischen Unflätigkeiten im Schweizer Fussball ist flächendeckend. Allerdings gelten die Stadien von Bellinzona, Basel und Sankt Gallen in Insiderkreisen als besonders «heiss». «Sankt Gallen hat halt ein Publikum, das alles für den Sieg macht. Da wurde ich vor wenigen Jahren noch als

Ponte wiegelt trotzdem ab: «Hier zu Lande ist es eine kleine Schar von Leuten, die mit rassistischen Sprüchen auffällt. Man sollte das nicht überbewerten.» Support erhält er vom früheren Nationalliga-Schiedsrichter Marcel Vollenweider. In über 100 A-Partien musste er keinen einzigen Spieler wegen fremdenfeindlicher Äusserungen verwarnen. «Im Ausland geht es schlimmer zu und her», sagt er.

Dafür geht in den unteren Ligen so richtig die Post ab. «Die Hemmschwelle für rassistische Sprüche liegt bei den Hobbykickern tiefer, weil weder Kameras noch Mikrofone als Sittenwächter funktionieren», weiss Exschiedsrichter Vollenweider. Fussballpartien der 3. oder 4. Liga mussten schon abgebrochen werden, weil Publikum und Spieler verbal aneinander geraten waren.

Vor allem wenn türkische oder jugoslawische Mannschaften auf dem Feld stehen, steigt das Barometer der Emotionen. Fremdenfeindliche Bemerkungen fallen schneller. «Beleidigungen wie

Dabei ist die Rolle der Schiedsrichter ziemlich bedenklich. Nicht selten leisten sie mit ihrem Verhalten dem Rassismus Vorschub. Inci vom FC Galatasaray fällt auf, dass die Referees die fremdenfeindlichen Sprüche zwar mitbekommen, sie aber nicht ahnden. Dabei würde dieser Tatbestand gemäss Regelwerk automatisch einen Platzverweis nach sich ziehen. Und Zeljo Pavic, Spieler des unterklassigen FC Croatia, kritisiert, dass die Schiedsrichter sie häufig gegenüber Schweizer Teams benachteiligen würden. Pikant ist in diesem Zusammenhang, dass durchaus auch Schweizer ihr Fett abkriegen. So erinnert sich Markus Imbach, 5.-Liga-Spieler beim FC Industrie Zürich, dass er unter lauter ausländischen Kickern auch schon als «Scheissschweizer» bezeichnet worden ist.

Das Fussballfeld ist nicht der einzige Nährboden des Rassismus. Vor allem im Mannschaftssport führt die physische Dynamik schnell zu verbaler Aggressivität. Andere Sportarten bleiben hingegen weit gehend verschont. Der dunkelhäutige Dave Dollé, seit Jahren bester Schweizer Sprinter, wurde im leichtathletischen Umfeld noch nie mit Rassismus konfrontiert. «Fussballfans sind eben anders als Leichtathletikfans», doziert er.

Auch anders als Eishockeyfans? Nicht unbedingt. Ende 1999 geriet eine Partie zwischen den beiden B-Spitzenklubs HC Thurgau und EHC Biel in die Schlagzeilen. Zwei dunkelhäutige Bieler, Cyrill Pasche und Claude Vilgrain, wurden vom Publikum dermassen beleidigt, dass der Thurgauer Stadionspeaker die Zuschauer ermahnen musste, nicht zwischen weissen und schwarzen Spielern zu unterscheiden. Pasche rastete danach aus und ging auf den gegnerischen Captain los, der ihn mit rassistischen Ausdrücken provoziert hatte. Resultat: Massenschlägerei, Matchstrafe und ein verletzter Pasche.

Für den Rest der Saison tat der HC Thurgau Busse, indem er im Stadion antirassistische Transparente aufhängte und Sicherheitspersonal zur Überwachung des Publikums abstellte. Diese Aktionen wurden längst gestoppt. «Seit jenem Vorfall ist es bei uns absolut ruhig», behauptet Felix Burgener, Präsident des HC Thurgau. Zwar seien weiterhin primitive Sprüche zu hören, jedoch keine rassistischen mehr.

Das heisst nicht, dass das Problem endgültig vom Tisch wäre. Vor wenigen Tagen erst, in der Play-off-Serie gegen den HC Ajoie, wurde der Bieler Claude Vilgrain von einem Gegner erneut mit fremdenfeindlichen Bemerkungen bedacht. Vilgrains Mannschaftskollegen sprachen danach beim Schiedsrichter vor. Geschehen ist nichts.

Das scheint in Sachen Rassismus im Schweizer Sport ohnehin Programm zu sein. In den Fanklubs findet kaum gezielte Aufklärung statt. «Obwohl wir das Thema regelmässig ansprechen - wir kommen uns vor wie Rufer in der Wüste», sagt Res Lerch, Bindeglied zwischen dem FC Sankt Gallen und den Fanklubs. Zwar gibt es etliche Vereinigungen, die in ihren Statuten festhalten, dass rassistische Äusserungen den Ausschluss zur Folge haben. Bisher ist allerdings kein entsprechender Fall bekannt. Kommt hinzu, dass rechtsstehende Fanklubs wie etwa die Zürcher City Boys oder die Hardturmfront keinen offiziellen Status geniessen und sich daher leicht der Kontrolle entziehen können.

Es gab mal eine Zeit, als das Espenmoos die schwarzen gegnerischen Spieler mit Affengeräuschen empfing. Dann kam der Ghanaer Charles Amoah zum FC Sankt Gallen und wuchs zur Lichtgestalt. Und siehe da: Sofort hörte das primitive Gebaren des Publikums auf. In Sachen Rassismus scheint der Lernprozess manchmal andere Wege gehen zu müssen.


Die «Ausländer» in der Fussball-Nati
Nicht alle Schweizer haben ihre Wurzeln in der Schweiz. Auch in der Fussballnationalmannschaft nicht. In der Nati-Startaufstellung aus dem WM-Qualifikationsspiel gegen Russland standen sieben Schweizer mit ausländischen Wurzeln:
Ciriaco Sforza (Italien),
Marco Pascolo (Italien),
Patrick Müller (Österreich),
Alexandre Rey (Zaire),
Badile Lubamba (Zaire),
Alexandre Comisetti(Italien), Giuseppe Mazzarelli (Italien), Hakan Yakin (Türkei),
Mario Cantaluppi (Italien),
Stéphane Henchoz und Johann Vogel.

Beispiel Eishockey

«Nicht mein Vokabular»

Claude Vilgrain wurde vor zwei Wochen in den Play-offs zum letzten Mal rassistisch beschimpft.

FACTS: Claude Vilgrain, vor gut einem Jahr wurden Sie und Ihr Teamkollege Cyrill Pasche in Weinfelden im Spiel gegen den HC Thurgau rassistisch beschimpft. Haben Sie Ähnliches wieder erlebt?
Claude Vilgrain: Nein, so wie in Thurgau wars nie mehr. Ich glaube, das war für alle Beteiligten eine Lektion.

FACTS: Es gab also keine rassistischen Angriffe mehr gegen Ihre Person?
Vilgrain: Gut, vor zwei Wochen im Play-off-Spiel gegen den HC Ajoie gab es wieder einen Vorfall. Aber ich möchte daraus keine grosse Sache machen.

FACTS: Waren es Fans?
Vilgrain: Nein, es war ein Gegenspieler.

FACTS: Was bekamen Sie denn zu hören?
Vilgrain: Das Wort, das ich zu hören bekam, kommt in meinem Vokabular nicht vor.

FACTS: Und wie reagierte der Schiedsrichter?
Vilgrain: Ein paar Teamkollegen, welche die Beschimpfung mitbekommen hatten, gingen zum Ref und erzählten es ihm. Doch er sagte, er hätte nichts gehört, er könne nichts machen.

FACTS: Ist der Rassismus in der Schweiz schlimmer als in anderen Ländern?
Vilgrain: In Deutschland passierten solche Fälle genauso. Besonders in den Derbys, in denen die Emotionen hochgingen, war es schlimm. Da handelte es sich nicht um zwei oder drei Fans, sondern um tausend. Das ist schon ein Problem.

FACTS: Und in der Schweiz? Nehmen Sie Rassismus noch als Problem wahr?
Vilgrain: Nein, höchstens noch an Plätzen wie Olten.


Beispiel Fussball

«Negro go away»

Im internationalen Fussball zeigen sich schlimme rassistische Auswüchse. Bei Fans und Spielern.

Italien:
«Wir wollen dich nicht, dreckiger Neger», schmierten Mailänder Ultras auf Hauswände und meinten den dunkelhäutigen Engländer Paul Ince. Lazios Serbe Sinisa Mihajlovic wurde in der Champions League gesperrt, weil er Patrick Vieira von Arsenal als «Negerbastard» beschimpft hatte. Die «Irriducibili» («die Unbeugsamen») zeigen in der Lazio-Fankurve Hakenkreuz-Fahnen und Transparente, auf denen steht: «Auschwitz eure Heimat - die Öfen eure Häuser». Rechtsradikalismus und Rassismus haben vor allem in Italiens Stadien erschreckende Ausmasse angenommen. In Verona spielt bis heute kein dunkelhäutiger Spieler - der Präsident fürchtet sich vor dem Widerstand der eigenen Fans. Zu Recht: Als Verona 1996 den farbigen Holländer Michel Ferrier verpflichten wollte, hängten rechtsradikale Tifosi mit Ku-Klux-Klan-Kappen eine schwarze Stoffpuppe auf, mit dem Schild «Negro go away».

England:
Fussballstars für einmal nicht Opfer, sondern Täter. Die Leeds-Spieler Lee Bowyer und Jonathan Woodgate werden beschuldigt, letztes Jahr in einer Januar-Nacht einen 19-jährigen indisch-stämmigen Studenten nach einer Rangelei vor einem Nachtklub durch Leeds gehetzt und bewusstlos geprügelt zu haben.

Deutschland:
Stuttgarts Thorsten Legat beleidigte 1999 seinen dunkelhäutigen Teamkollegen Pablo Thiam. «Negersaft», schrieb er auf ein im VfB-Kraftraum hängendes Poster, das den Guinea-Internationalen mit einer Trinkflasche zeigte. Legat wurde entlassen.


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