Liechtenstein ist enttäuscht über die EU


Vaterland

Bekämpfung illegaler Finanzgeschäfte
Mario Frick informierte französische Regierung


VADUZ: Liechtensteins Regierungschef Mario Frick hat die französische Regierung gestern in Paris über die Massnahmen seines Landes gegen illegale Finanzgeschäfte informiert.

Er teilte anschliessend mit, das Gespräch im Finanzministerium mit Staatssekretärin Florence Parly sei erfolgreich verlaufen. Parly habe die Anstrengungen Liechtensteins ausdrücklich gewürdigt und eine gute Zusammenarbeit zugesagt. Frick habe auch klar gemacht, dass der Bericht einer französischen Parlamentarierdelegation über Liechtenstein einseitig und tendenziös gewesen ist. Liechtenstein sei kein krimineller Staat.

Der Regierungschef habe in diesem Zusammenhang auf den Bericht des österreichischen Sonderstaatsanwalts Kurt Spitzer zum Abschluss seiner gründlichen Untersuchungen in Liechtenstein hingewiesen. Spitzer hatte betont, die Wirtschaftskriminalität im Fürstentum stelle sich nicht anders dar als in den übrigen europäischen Staaten.«Ich habe die Beobachtung gemacht, dass die meisten Vermögenswerte, die zum Zwecke der Geldwäscherei in das Fürstentum gelangen, bereits in anderen Ländern einer Vorwäsche unterzogen worden sind», hiess es in Spitzers Abschlussbericht.

Dies sollte auch jenen Ländern zu denken geben, die heute mit dem Finger auf das Fürs-tentum zeigen, hatte der Sonderstaatsanwalt weiter formuliert. Frick räumte bei dem Treffen im Finanzministerium Fehler in der Vergangenheit ein, auf die der Sonderstaatsanwalt auch hingewiesen habe. Die Regierung habe sofort reagiert. Die bereits eingeleiteten Mass-nahmen beträfen auf Gesetzes-ebene eine Verschärfung der Strafgesetzgebung im Bereich der Geldwäscherei und der organisierten Kriminalität, eine nachhaltige Beschleunigung der Behandlung von Rechtshilfeersuchen und eine Revision des Sorgfaltspflichtgesetzes. Auf der Vollzugsebene seien die Vorbereitungen für einen raschen Aufbau einer eigenständigen Meldestelle für Geldwäscherei, einer so genannten Financial Intelligence Unit (FIU), und für den Aufbau einer Spezialeinheit bei der Polizei für die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität getroffen worden. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte seien zudem personell deutlich aufgestockt worden. (pafl)


Neue Zürcher Zeitung

WIRTSCHAFT Dienstag, 26.09.2000 Nr.224   21

 

Liechtenstein ist enttäuscht über die EU

Wiederholte Geldwäsche-Vorwürfe

Die EU-Finanzminister haben bei der Kommission einen Bericht über das Fürstentum Liechtenstein in Auftrag gegeben, in welchem erneut schwere Vorwürfe aus den Bereichen Geldwäsche und Steuerpraktiken erhoben werden. In der Sache ist dem Papier wenig Neues zu entnehmen, über das Vorgehen ist Liechtenstein schwer enttäuscht.

 

Ht. Brüssel, 25. September

Die Finanzminister der EU werden sich an ihrer nächsten Sitzung (Ecofin) am Freitag voraussichtlich auch mit Liechtenstein beschäftigen. Grundlage ihrer Diskussion, die während des Mittagessens und damit im informellen Rahmen stattfinden soll, ist ein vertraulicher Bericht der Europäischen Kommission über «Die Situation hinsichtlich Geldwäsche und schädliche Steuerpraktiken in Liechtenstein». Dieses Dokument, das vom Juli datiert und trotz seiner Klassifizierung seit kurzem die Runde unter Brüsseler Journalisten macht, kommt im Wesentlichen zum Schluss, das Land unternehme zwar formale Schritte, um den internationalen Bedenken beispielsweise über seine Vorkehrungen gegen die Geldwäsche zu begegnen. Es müsse aber die internationale Gemeinschaft erst noch überzeugen, dass die Schritte ausreichten, um Geldwäsche und «schädlichen Steuerwettbewerb» zu verhindern. Der Bericht ist die Antwort auf eine Forderung des Ecofin von Ende Februar (vgl. NZZ vom 29. 2. 00). Damals hatte der deutsche Finanzminister Eichel Liechtenstein scharf kritisiert, ohne dass allerdings der Rat einen formellen Beschluss gefasst hätte und ohne dass die Auftragsvergabe für den Bericht der Öffentlichkeit mitgeteilt worden wäre.

Zusammenfassung alter Vorwürfe

Wie im Dokument nachzulesen ist, hat der für Binnenmarkt und Steuern zuständige EU-Kommissar Bolkestein die Mitgliedstaaten eingeladen, der Kommission mit einschlägigen Informationen beizustehen. Acht Hauptstädte haben geantwortet, doch nur Deutschland, Belgien und Finnland haben bestätigt, dass sie Probleme mit Liechtenstein, vor allem im Bereich der Zusammenarbeit, hätten. In der Folge stützt sich der Bericht ausführlich auf eine Reihe von früheren Dokumenten aus anderen Quellen, darunter den Report des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) vom 8. April 1999, eine OECD-Studie über schädliche Steuerpraktiken (26. 6. 00) sowie Berichte des Europarates (11. 2. 00) und der französischen Assemblée nationale (12. 4. 00). Inhaltlich ist deshalb wenig Neues zu entdecken. Etwas seltsam mutet aus heutiger Sicht an, dass einige der schwerwiegendsten Vorwürfe ausgerechnet aus jenem BND-Papier übernommen werden, welches der in Liechtenstein eingesetzte Sonderstaatsanwalt Spitzer inzwischen in Teilen stark relativiert hat (NZZ vom 1. 9. 00).

Der Bericht zitiert unter anderem die BND- Vorwürfe, wonach in Liechtenstein spezielle Finanzdienste internationalen kriminellen Organisationen Geldwäsche und ähnliche Dienstleistungen anböten. Er erwähnt Besonderheiten des Unternehmensrechtes und des Steuerrechtes, insbesondere den weitgehenden Verzicht auf die Besteuerung von «Off-shore»-Gesellschaften». Weiter diskutiert er die Vorschriften zu Sorgfaltspflicht und Bankgeheimnis der Banken und Finanzinstitutionen. Er erwähnt einen Brief des deutschen Finanzministeriums, wonach die beschränkte Reichweite der Rechts- und Amtshilfe in den letzten Jahren zu einem riesigen Defizit in der Zusammenarbeit im allgemeinen und beim Informationsaustausch im besonderen geführt habe. Laut dem Report der französischen Nationalversammlung sei Liechtenstein das Paradebeispiel für ein nichtkooperatives Territorium nach der Definition der Financial Action Task Force (FATF). - Anschliessend wird diskutiert, ob Liechtenstein Verpflichtungen verletzt, welche dem Land aus seiner Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erwachsen. Dabei geht es vor allem um die Umsetzung der Geldwäsche-Richtlinie der EU und einer Reihe von Richtlinien zum Unternehmensrecht. In diesen Bereichen hat die Kommission die EFTA-Überwachungsbehörde eingeschaltet, welche für die Durchsetzung der auch für EWR-Mitglieder bindenden EU-Regeln zuständig ist. Diese hat inzwischen in einigen konkreten Anliegen die in solchen Fällen vorgesehenen Schritte eingeleitet, und Liechtenstein hat, wie im EU-Bericht erwähnt wird, Korrekturen in Aussicht gestellt.

Zielscheibe Bankgeheimnis

In den Schlussfolgerungen hält der Bericht fest, Liechtenstein erfülle klar die OECD-Kriterien für ein Steuerparadies und habe bis anhin keine Hinweise darauf gegeben, dass es «schädliche Steuerpraktiken» eliminieren wolle. Hingegen scheine das Land laut einem Brief seiner Ständigen Vertretung bei der EU gewillt zu sein, die meisten «übrigen» Probleme zu lösen. Allerdings werde eine Anzahl von Anliegen in den vom Fürstentum zur Verfügung gestellten Informationen nicht angegangen: Der Bericht listet sechs verbliebene Anliegen auf, darunter die Ratifizierung des Zusatzprotokolls der Europäischen Konvention über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen und die Durchführung von Kontrollen durch Revisionsgesellschaften, die nicht von der kontrollierten Gesellschaft bezahlt werden. Er schliesst mit der Bemerkung, über die Anpassung von isolierten Bereichen hinaus liege die Lösung in einer «stärker eingeschränkten Anwendung der Bankgeheimnis-Regeln» vor allem in Fällen, wo diese den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität verhinderten. Die weitere Entwicklung von Gesetzgebung und Praxis müsse genau verfolgt werden. Nötigenfalls seien Gegenmassnahmen zu entwickeln, um die Möglichkeiten zur Anlage von Geldern aus der organisierten Kriminalität, die durch Liechtenstein kanalisiert worden seien, in der EU und ihren Partnerländern zu beschränken.

Kein Dialog

Prinz Nikolaus von Liechtenstein, Ständiger Vertreter des Fürstentums in Brüssel und Bruder des Fürsten, zeigt sich auf Anfrage enttäuscht über das Vorgehen der EU. Kurz nach dem erwähnten Ecofin habe man dem Ministerrat und der Kommission Informationen angeboten, doch sei ein «Prozess ohne Verteidigung» geführt worden, und Liechtenstein habe den Bericht bis heute offiziell nicht erhalten. Auf diesen fehlenden Einbezug führt es von Liechtenstein zurück, dass der Report «mit Fehlern gespickt, tendenziös und weit überholt» sei. Sein Land habe den Weg zu Korrekturen eingeschlagen, der Bericht komme zur Unzeit. Weiter vermenge die EU den Kampf gegen Geldwäsche mit ihrem Streben nach Steuerharmonisierung. Anzufügen ist, dass der letzte Aspekt angesichts der EU-Vorhaben zur Zinsbesteuerung und zur Relativierung des Bankgeheimnisses auch der Schweiz noch Probleme bereiten könnte: Wie zu erfahren ist, hat die Kommission bei der Übermittlung des Liechtenstein-Berichts an die Mitgliedstaaten in einem Begleitbrief erwähnt, die Diskussion müsse auf ähnlich gelagerte Staaten ausgedehnt werden. Wie die Debatte weitergeht, ist jedoch ungewiss. Da Deutschland, im Frühjahr noch die treibende Kraft, inzwischen das Interesse an der Weiterverfolgung auf EU-Ebene etwas verloren zu haben scheint und da sich Liechtenstein bewegt hat, könnten die Minister den Bericht auch einfach «zur Kenntnis nehmen».

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