Europa
Paris - In Paris kommen am Freitagabend
die Spitzenpolitiker Frankreichs und Deutschlands zu einem Meinungsaustausch
über bilaterale und europäische Fragen zusammen. An
dem Treffen nehmen auf französischer Seite Präsident
Jacques Chirac, Premierminister Lionel Jospin und Außenminister
Hubert Vedrine teil. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister
Joschka Fischer vertreten Deutschland.
Häufigere deutsch-französische Treffen
Nach dem schwierigen EU-Gipfel von Nizza waren häufigere
deutsch-französische Treffen vereinbart worden, um die Positionen
in der Europapolitik besser abzustimmen. Am Freitagabend dürften
auch die jüngsten Thesen Schröders zur EU-Reform zur
Sprache kommen, die in einem Entwurf zum SPD-Leitantrag für
den Parteitag im November enthalten sind.
Der Europa-Debatte fehle ein wesentliches Element - sie findet ohne Teilnahme des Publikums statt. Bisher sei sie nur eine "Kopfgeburt von Wissenschaftern und Politikern gewesen" - so ätzend kommentierte kürzlich die Neue Zürcher Zeitung den derzeitigen Stand der Integrationsgespräche. Und traf damit den Nagel auf den Kopf.
In 234 Tagen wird es das gemeinsame europäische Bargeld geben. Im Jahr 2004 werden Österreichs ehemals kommunistische Nachbarn nach dem "Regatta-Prinzip" (die besten kommen zuerst) an Bord gehen. Wahrscheinlich werden schon Ende 2002 die einschlägigen Verhandlungen abgeschlossen sein. Vieles muss sich ändern, denn die Erweiterung der EU ist unaufhaltsam.
Doch die nötige Neugestaltung der europäischen Ordnung scheint die Bürger ungleich weniger zu beschäftigen als das künftige Frühpensionsalter oder die Berechtigung der Frage nach dem "Haushaltungsvorstand" bei der Volkszählung.
Die Gründe liegen auf der Hand: Europa-Themen sind äußerst kompliziert, diffuse Ängste wirken stärker als Verfassungsdiskussionen und die Fachleute machen die Chose am liebsten unter sich aus.
Aber das könnte sich nun ändern. Mit seinen, wenn auch nur als SPD-Parteiantrag vorgelegten Reformvorschlägen hat Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder schlagartig die Ideenführung in der Union ergriffen: Stärkung der Kommission, Aufwertung des Europa-Parlaments durch Gewährung der Budgethoheit über EU-Ausgaben, Beendigung der Zwitter-Existenz des "Rats" der EU-Minister (zwischen Legislative und Exekutive) durch die Umwandlung in eine Länderkammer. Dazu will er bestimmte Kompetenzen wieder in die Nationalstaaten zurückführen.
All diese Ideen sind zwar weder sonderlich neu noch haben sie derzeit Chancen auf Verwirklichung . Frankreichs Regierung lehnt sie ab oder "schweigt dröhnend". Aber es war, nach Jahrzehnten des Zögerns und Kuhhandelns, eben der richtige, praktische Vorstoß zur richtigen Zeit. Endlich erkennbare Umrisse, über die man konkret streiten kann.
In Österreich geriet der Schröder'sche Versuchsballon leider gleich in die Fallwinde medialer Verkürzungen. Von Wolfgang Schüssels Erstreaktion wurde lediglich der Satz "Wir wollen keinen europäischen Superstaat" wiedergegeben, was sofort zu Polemiken führte.
Bei Durchsicht des ganzen Interviews entdeckt man aber , dass er zwar wie Gerhard Schröder für eine gewisse Dezentralisierung ist; doch sagte er auch, dass Europa "effiziente Institutionen" brauche. Weshalb er schon früher selber den Vorschlag einer zweiten Kammer gemacht hat und deshalb voll dafür ist.
Das klingt schon ganz anders.
Am vergangenen Dienstag , bei der Vorstellung des neuen Buches von Caspar Einem, wetterte dann SPÖ- Chef Alfred Gusenbauer abermals gegen alle Versuche, Europa zu re-nationalisieren. Was teilweise aber auch Schröder vorgeschlagen hat. Preisfrage: Wie sollen die Wähler mehr Interesse aufbringen, wenn auch Politiker und Journalisten mehr verwirren als aufklären?
Der Ex-CDU-Chef Wolfgang Schäuble spricht im KURIER-Interview über die Optionen der EU.
KURIER: Vor vielen Jahren haben Sie das Konzept Kerneuropa
entwickelt: Die EU solle zulassen, dass einige Mitglieder bei
der Integration voranschreiten. Heute reden Blair, Chirac, Schröder
darüber. Haben sie abgeschrieben?
SCHÄUBLE: Mit unserem Vorschlag haben wir die Debatte
schon ein Stück weit mitbeeinflusst. Das wichtigste Beispiel
ist der Euro. Auch wenn nicht alle mitgehen, gehen einige voran.
Das Tempo der Integration soll nicht vom Langsamsten abhängig
sein. Sonst werden wir die notwendige Dynamik nicht bewahren.
Das hat sich inzwischen durchgesetzt. In der Außen- und
Sicherheitspolitik werden wir noch Jahre mit Flexibilität
arbeiten müssen.
Es muss eine klare Ordnung geschaffen werden, was Europa entscheidet,
sonst verlieren wir die Zustimmung der Menschen zu diesem Einigungswerk.
Wir müssen die EU entrümpeln, sie ist zu bürokratisch.
Unklarheit ist die Quelle des Unbehagens.
KURIER:
Wird der Nizza-Gipfel nicht als Misserfolg gesehen, weil er ein
zu kleiner Schritt zu dieser Reform und zur Erweiterung war?
SCHÄUBLE: Er war in vielen Punkten eine Katastrophe.
Wichtig ist, dass die Voraussetzungen für die Osterweiterung
geschaffen wurden.
KURIER:
Deutschland und Österreich sind Nutznießer der Erweiterung,
doch das ist den Wählern schwer zu verkaufen. Was müssen
wir für die Nachbarn tun?
SCHÄUBLE: Das mit dem Nutzen darf man nicht so laut
sagen, weil man damit woanders Unterstützung verliert. Es
muss klar sein, dass es im Interesse aller ist. Wir müssen
dafür sorgen, dass die Begegnungen in den Grenzregionen so
intensiv wie möglich werden. Die Haltung muss weg, dass wir
uns dem Osten überlegen fühlen. Es gibt keinen Grund
dazu. Die haben eine freiheitliche Revolution geschafft.
KURIER:
Gelten die verschiedenen Geschwindigkeiten auch für die Beitritte,
muss Polen gleich dabei sein?
SCHÄUBLE: Wer dabei sein will, muss die Auflagen erfüllen.
Die Polen müssen es schaffen, sie sind das größte
Land. Es wäre ungut, wenn die Balten dabei wären und
Polen nicht.
Die Kosten müssen wir durch Übergangsfristen erträglich
machen. Wir Deutsche haben Erfahrungen mit dem Zusammenführen
völlig unterschiedlicher Systeme.
KURIER:
Wann rechnen Sie mit den ersten Beitritten?
SCHÄUBLE: Hoffentlich bleibt es dabei, dass die ersten
bereits an den Europawahlen 2004 teilnehmen.
KURIER:
Bis dahin müssen auch die internen EU-Reformen durchgeführt
werden.
SCHÄUBLE: Die Schlüsselfrage ist, was soll künftig
Europa entscheiden, was nicht. Die Gesetzgebung, etwa für
Binnenmarkt und Wettbewerb, muss durch das EU-Parlament erfolgen.
Es wird eine zweite Kammer geben im Zweifel die Vertretung
der Regierungen. Die Kommission wird die Funktion einer Exekutive
übernehmen müssen. Ich bin dafür, dass zumindest
der Kommissionspräsident durch das Parlament gewählt
wird. Dann kriegen wir eine demokratische institutionelle Struktur.