Euro

Wie die Schweiz eine nationale Währung bekam

Im 19. Jahrhundert gab es eine Vielzahl von Währungssystemen und -unionen, an denen zum Teil auch die Schweiz beteiligt war. Aus ihrem Erfolg oder Misserfolg lässt sich auch etwas über die Zukunft von Euro und Franken lernen.

Von Margrit Müller*

Im 20. Jahrhundert waren Währungsunionen eher etwas Ungewöhnliches. Häufiger waren sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als einerseits im Rahmen der Entstehung neuer Nationalstaaten das Münzwesen vereinheitlicht wurde und andererseits in einer zunehmend integrierten Weltwirtschaft die Idee der Währungsunion auftauchte, die den Handel zwischen politisch souveränen Staaten erleichtern und schliesslich zu einem Weltgeldsystem führen sollte.

Von einer gemeinsamen Weltwährung erwartete man damals nicht nur eine Reduktion der Transaktionskosten. Ein Autor im "Economist" vom 15. September 1866 formulierte dies so: "If civilization could make all men of one money, it would do much to make them think they were all of one blood." Die bedeutendste Währungsunion war die 1865 gegründete Lateinische Münzunion, die allerdings von Beginn weg mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Besonders gut funktionierte dagegen die von Schweden, Norwegen und Dänemark im Dezember 1872 gegründete Skandinavische Münzunion, zumindest bis zum Ersten Weltkrieg. Als eigentliche Weltwährung etablierte sich jedoch im Verlauf der 1870er-Jahre nicht eines dieser Unionssysteme, sondern der internationale Goldstandard.

Für den 1848 gegründeten Schweizerischen Bundesstaat waren die Beziehungen zur Lateinischen Münzunion besonders wichtig. Erst mit ihrem Scheitern wurde der Schweizerfranken vollständig nationalisiert und gewann jene Eigenschaften, die ihn zu einem internationalen Anlagemedium und zu einem nationalen Symbol werden liessen.

Schweizer Münzreform 1850-1852

Bei der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates im Jahre 1848 wurden im Rahmen der Vereinheitlichung des Binnenmarktes die kantonalen Zölle abgeschafft, Masse und Gewichte normiert sowie das Postwesen zentralisiert. Auch das Münzregal wurde von den Kantonen dem Bund übertragen, doch liess die Bundesverfassung die konkrete Ausgestaltung des künftigen Münzwesens völlig offen. Grundsätzlich war man sich zwar einig über die Notwendigkeit, den auf Grund der kantonalen Münzregale entstandenen "Münzwirrwarr" zu beseitigen. Umstritten war hingegen, welchem ausländischen Münzsystem die Schweiz sich anschliessen sollte.

Die Ostschweiz mit dem Zentrum St. Gallen war stark auf den süddeutschen Raum und damit auf den Gulden ausgerichtet, während sich die Westschweiz und der Grosshandel stets nach dem französischen Währungssystem orientiert hatten. Die Schaffung einer eigenen nationalen Währung stand überhaupt nicht zur Diskussion, weil dies für die kleine Schweiz ohne Edelmetallvorkommen zu kostspielig schien. Das neue Münzsystem sollte den Handel mit dem Ausland möglichst erleichtern. Da man davon ausging, dass der französische Franken im Begriff sei, zur "Allerweltsmünze" zu werden, wurde das französische Währungssystem schliesslich dem wenig verbreiteten süddeutschen Guldensystem vorgezogen. Auch Belgien (1832) und Italien (1862) führten im Anschluss an ihre Staatsgründungen den französischen Münzstandard ein.

Bevor die neuen Münzen in Umlauf gesetzt werden konnten, mussten die alten (darunter befanden sich 75 verschiedene Sorten) aus dem Verkehr gezogen und eingeschmolzen werden. Am 1. August 1851 wurde mit dem Einzug der alten kantonalen Münzen begonnen, und bereits am 31. August 1852 war der Umtausch von rund 66 Millionen Stück Münzen beendet. Mit dieser Münzreform vereinfachte sich der Zahlungsverkehr im Inland ganz erheblich. Die Kontrolle des Bundes beschränkte sich jedoch nur auf das Scheidegeld, d. h. auf die unterwertigen Münzen, während man in Bezug auf die Versorgung mit Silbergeld weit gehend von Frankreich abhängig war.

Die Lateinische Münzunion

Im Verlaufe der 1850er-Jahre wurden die Silbermünzen immer knapper, weil sich das Silber im Vergleich zum Gold auf Grund grosser Goldfunde in Kalifornien verteuerte. Goldmünzen verdrängten die Silbermünzen im Zahlungsverkehr, und innert weniger Jahre wurde der Napoléon d''or zur bevorzugten Münze in der Schweiz. Die Probleme mit der Verknappung der Silbermünzen führten schliesslich 1865 zur Gründung der Lateinischen Münzunion. In diesem Währungsvertrag zwischen Frankreich, Belgien, Italien und der Schweiz wurden der Feinheitsgrad sowie die Grösse der Silber- und Goldmünzen standardisiert und die öffentlichen Kassen der Mitgliedsstaaten verpflichtet, Unionsmünzen anzunehmen.

Mit der Gründung der Lateinischen Münzunion, der 1868 noch Griechenland beitrat, verband sich die Hoffnung auf ein weltweites Münzsystem, das auf Silber und Gold beruhen sollte. Auch der Schweizerische Bundesrat betrachtete die Union als einen ersten Schritt zu einem Universalmünzystem. Der Vertrag begründete einen Münzverein zwischen vier Staaten mit 65 Millionen, Einwohnern und man durfte hoffen, dass das Gebiet noch bedeutend zunehmen werde. So weit kam es jedoch nicht, weil Grossbritannien und die Vereinigten Staaten den Bimetallismus ablehnten und an der reinen Goldwährung festhielten. Das Interesse Deutschlands an der Münzunion war zuerst gross, doch zerschlug sich mit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 die Hoffnung auf eine Einbindung Deutschlands in die Währungsunion.

In den 1870er-Jahren veränderte sich das Verhältnis zwischen Gold- und Silberpreis erneut. Nun begann der Silberpreis relativ zum Goldpreis zu sinken, was zu einer starken Ausweitung der umlaufenden Silbermünzen führte. Die Lateinische Münzunion reagierte auf die Silberschwemme mit einer Begrenzung der Münzprägung. Im Verlauf der 1870er-Jahre gingen zudem immer mehr Staaten zur Goldwährung über. Da die Mitgliedsstaaten der Lateinischen Münzunion gemäss dem Währungsvertrag der Union verpflichtet waren, die ausgegebenen Münzen entweder in Silber oder Gold einzutauschen, bestanden zwischen diesen Währungen und jenen der Lateinischen Münzunion fixe Relationen. Dieser Goldstandard wurde zur eigentlichen Weltwährung und war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Grundlage für die starke Ausweitung des internationalen Handels und den freien Kapitalverkehr. Innerhalb der Lateinischen Münzunion konnte man sich jedoch nicht auf eine Anpassung des Münzvertrages an die neuen internationalen Währungsverhältnisse einigen: Sowohl die Einführung der Goldwährung wie die Nationalisierung des Silberscheidegeldes wurden wiederholt abgelehnt.

In der Schweiz führte die Verdrängung des Goldes zu einer vermehrten Nachfrage nach Banknoten, weil die Verwendung von Silbermünzen für grössere Zahlungen unpraktisch war. Bis in die 1870er-Jahre war das Banknotenwesen Sache der Kantone und vergleichsweise wenig verbreitet. Den grössten Anteil des Geldumlaufs bildeten die Münzen, deshalb schien eine bundesstaatliche Regelung nur bei dieser Art Zahlungsmittel nötig. Verschiedene Banken gaben ihre eigenen Noten heraus. Erst mit der Revision der Bundesverfassung von 1874 erhielt der Bund das Recht, allgemeine Vorschriften über die Ausgabe und Einlösung von Banknoten zu erlassen. Die Errichtung eines Notenmonopols wurde ihm jedoch vorerst nicht zugestanden. Der Gedanke einer zentralen Notenbank konnte sich in der Schweiz erst durchsetzen, als die Notenbanken durch ihr Verhalten eine Anpassung des Wechselkurses verhinderten und es in den 1890er-Jahren zu einem Silberabfluss aus der Schweiz kam, der mit der Zeit ein bedrohliches Ausmass annahm.

Die Nationalisierung der Währung

Diese Entwicklung führte dazu, dass der Ruf nach einer zentralen Notenbank lauter wurde. Nach einem langen politischen Kampf um die Frage Staats- oder Privatbank verabschiedete das Parlament am 6. Oktober 1905 das Ausführungsgesetz zur Schweizerischen Nationalbank. Nach wie vor war die Schweiz Mitglied der Lateinischen Münzunion, und die Schweizerische Nationalbank war somit verpflichtet, die ausgegebenen Noten in Gold- oder Silbermünzen gemäss dem Währungsvertrag der Union einzutauschen.

Der Erste Weltkrieg setzte dem Goldstandard, d. h. dem ersten Weltwährungssystem, ein jähes Ende, da alle Länder den Goldstandard verliessen. Die Zentralbanken waren nicht mehr verpflichtet, Noten in Gold bzw. Silber einzulösen; gleichzeitig erhielten die Noten gesetzliche Zahlungskraft. Der Krieg läutete auch das Ende der Lateinischen Münzunion ein. Nachdem die Silbermünzen ausser Kurs gesetzt wurden, blieb die Union vorläufig noch bestehen, da die Unionsgoldmünzen in allen Mitgliedsländern nach wie vor gesetzlichen Kurs besassen. Erst 1926 wurden die Lateinische Münzunion aufgelöst und im darauffolgenden Jahr die Unionsgoldmünzen als inländisches Zahlungsmittel ausser Kurs gesetzt. Damit war die schweizerische Währung rund achtzig Jahre nach der Gründung des Bundesstaates vollständig nationalisiert.

Nach dem Krieg hoffte die Schweiz, dass sich der Goldstandard wieder etablieren würde, und sie verfolgte daher eine entsprechende Währungspolitik. Bereits am 21. November 1924 erreichte der Schweizerfranken als eine der ersten europäischen Währungen die Vorkriegsparität wieder. Ende 1929 wurde der Übergang zur Goldwährung mit der Änderung des Nationalbank-Gesetzes auch gesetzlich vollzogen. Die harte Währung führte zusammen mit der politischen Stabilität dazu, dass die Schweiz an Attraktivität für ausländische Gelder gewann und die internationale Bedeutung des Bankenplatzes Schweiz zunahm. Zu dieser Zeit setzte sich in weiten Kreisen die Überzeugung durch, dass die Schweiz als rohstoffarme, kleine offene Volkswirtschaft mit einem aufstrebenden Finanzplatz eine stabile Währung auf Goldbasis brauche. Auch nachdem das Weltwährungssystem im Gefolge der grossen Depression der dreissiger Jahre erneut zusammengebrochen war, hielt die Schweiz als eines von ganz wenigen Ländern an der Goldwährung fest.

Die internationale Währungsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte bis zu Beginn der 1970er-Jahre auf dem Gold-Dollar-Standard mit festen Wechselkursen, bei dem die verschiedenen Währungen in einer bestimmten Relation zum Dollar standen und dieser zum Preis von 35 Dollar je Unze in Gold eingelöst werden konnte. Der überbewertete US-Dollar und die damit einhergehenden spekulativen Kapitalströme führten schliesslich dazu, dass die US-Regierung die Goldeinlösepflicht am 15. August 1971 einstellte, damit das zweite Weltwährungssystem aus den Angeln hob und den Übergang zu einer Währungsordnung mit flexiblen Wechselkursen einleitete. Die Europäische Gemeinschaft versuchte in der Folge, ihre internen Währungsrelationen mit Hilfe von verschiedenen Wechselkursregimen stabil zu halten. Diese Bemühungen mündeten schliesslich 1999 in die Europäische Währungsunion. Die Schweiz verfolgte demgegenüber bis heute eine eigenständige, auf Preisstabilität ausgerichtete Währungspolitik.

Geld lange kein nationales Symbol

Aus heutiger Sicht fällt im Rückblick vor allem auf, wie wenig die nationale Kontrolle über das Geldwesen bei der Münzreform von 1850 bis 1852 eine Rolle spielte. Die Schaffung einer nationalen Währung kam damals gar nicht in Frage, während wir uns heute eine Schweiz ohne Schweizerfranken kaum mehr vorstellen können. Geld, darüber war man sich im 19. Jahrhundert einig, ist in erster Linie ein Transaktionsmittel. Am besten beschafft man sich dieses Mittel dort, wo Akzeptanz und Verbreitung niedrige Transaktionskosten gewährleisteten. Man strebte nach mehr Sicherheit in der Geldversorgung, indem man sich an ein starkes Währungssystem mit Weltgeltung anschloss. Die Lateinische Münzunion konnte diese Erwartungen nicht erfüllen. Im frühen 20. Jahrhundert war deshalb die Nationalisierung des Geldes die Lösung für die im Rahmen der Lateinischen Münzunion nicht mehr zu bewältigenden Währungsprobleme. Die Nationalisierung der Währungen wurde mit dem endgültigen Zusammenbruch des Goldstandards in den 1930er-Jahren noch akzentuiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste in einem längeren Prozess ein neues Weltwährungssystem aufgebaut werden, welches schliesslich auf Grund von wirtschaftlichen Ungleichgewichten zusammenbrach und in Europa erneut das Bedürfnis nach einer Währungsunion entstehen liess.

Was eine Währung können muss

Eine Währung soll den internationalen Handel erleichtern und die dabei entstehenden Forderungen über die Zeit stabilisieren. Ob sich der Euro als Transaktionsmittel bewährt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Die Voraussetzungen für die Stabilität der Europäischen Währungsunion sind jedenfalls ungleich besser als jene für die Lateinische Münzunion. Einerseits geht sie mit politischer Integration einher und gleicht damit den überaus stabilen nationalen Währungsunionen, andererseits legt sie bereits in ihrer Gründungsphase eine erhebliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an die Situation der Mitgliedsstaaten an den Tag. Nur wenn sich die Europäische Währungsunion als unfähig erweisen sollte, die monetären Probleme zu lösen, welche sich stellen, ist eine Renationalisierung der Währungen vorstellbar.

Eine gut funktionierende Europäische Währungsunion ist für ein mit der EU so vielfältig vernetztes Land wie die Schweiz besonders attraktiv. Vorstellbar ist, dass es zu einer verbreiteten Verwendung sowohl des Schweizerfrankens wie des Euro kommt, vor allem im Tourismus und in den Grenzregionen. Der alltägliche Gebrauch zweier Währungen wird dazu führen, dass Geld vermehrt als Transaktionsmittel wahrgenommen wird, das man sich am besten in jener Form beschafft, welche diese Funktionen besonders gut erfüllt.

Wird die Schweiz in absehbarer Zeit der erste Nicht-EU-Mitgliedsstaat sein, welcher der Europäischen Währungsunion beitritt? Nationale Identität, das zeigt uns der Rückblick ins 19. Jahrhundert, ist nicht auf eine nationale Währung angewiesen. Für die Schweiz gehört der Schweizerfranken erst seit Mitte der 1920er-Jahre zum nationalen Selbstverständnis, und zwar vor allem deshalb, weil diese Währung die Funktionen des Geldes besonders gut zu erfüllen vermochte. Nur davon hängt schliesslich der Nutzen einer bestimmten Geldsorte ab und nur so lange wird man sie als identitätsstiftend überhaupt wahrnehmen können und an ihr festhalten wollen.

* Margrit Müller ist Oberassistentin am Institut für Empirische Wirtschaftsforschung und Dozentin für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich.

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