D rogenpolitik

SCHWEIZ

Verzögertes Wachstum

Unisono wird die liberale Drogenpolitik der Schweiz gefeiert. Doch der Teufel steckt im Detail. Und so liberal wirds gar nicht.

Von Walter Hauser und Sibylle Stillhart, Mitarbeit: Daniel Röthlisberger, Luzia Schmid

Bruno Hiltebrand hob im Freundeskreis zuerst freudig das Sektglas. Doch als der Inhaber des Zürcher Hanfladens James Blunt die Vorschläge von Bundesrätin Ruth Dreifuss für eine liberalere Drogenpolitik genauer durchsah, war er auf der Stelle ernüchtert. «Ich habe darin mehr Fragen als Antworten gefunden», sagt Hiltebrand enttäuscht.

Eines ist klar: Seinen Hanfladen an der Konradstrasse, der 1999 auf gerichtliche Anordnung geschlossen wurde, wird Hiltebrand nicht wieder eröffnen können. «Da mache ich mir keine Illusionen», sagt er.

Inzwischen stellt sich nicht nur Hiltebrand die Frage, ob der vorgelegte Entwurf tatsächlich «ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung» ist. Sondern im Gegenteil die bisherige Repressionspolitik bei der Bekämpfung des Drogenhandels zementieren könnte. «Ich setze ein grosses Fragezeichen hinter diese so genannte Liberalisierung», sagt François Reusser, Präsident der Schweizer Hanfkoordination.

Sukkurs erhält Reusser vom Freiburger Strafrechtler Franz Riklin. Der kann in einer ersten Einschätzung des bundesrätlichen Entwurfes keine grundlegende Änderung der bisherigen Drogenpolitik erkennen. Zwar soll der Konsum von Cannabis künftig legalisiert werden, sagt Riklin, «doch sowohl der Anbau als auch der Verkauf von Hanf sind weiterhin strafbar - wenn auch mit punktuellen Ausnahmen».

Genau diese Ausnahmen, die im Einzelfall die Behörden von ihrer Strafverfolgungspflicht befreien, können sich als Krux erweisen - und werfen Fragen auf. Ist das Verkaufsverbot an Jugendliche unter 18 Jahren noch unbestritten, so sind andere Vorschriften schon viel problematischer - und auch von den Behörden unterschiedlich auslegbar, sagt Reusser.

Besonders fragwürdig: Der Verkauf darf nicht an «Personen mit Wohnsitz im Ausland» erfolgen. Und ein Unikum in der schweizerischen Rechtslandschaft: Nicht die Behörden müssen allfällige Gesetzesverstösse beweisen. Die Hanfanbieter müssen im Gegenteil beweisen, dass sie die gesetzlichen Auflagen erfüllen.

Ähnlich rigorose Bestimmungen gibt es sonst nur nur im Waffenhandel oder beim Erwerb von Grundstücken durch Ausländer, von willkürlichen Beschränkungen will Ueli Locher, Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit, dennoch nichts wissen. Die Auflagen dienten nur dem Ziel, das lukrative Cannabis-Geschäft mit dem Ausland zu unterbinden, sagt er.

Bereits am 22. Februar warnte die Uno-Kontroll-Kommission für Drogen den Bundesrat unmissverständlich vor zu weit gehenden Liberalisierungsschritten: Eine solche verstosse gegen die Uno-Konvention über Betäubungsmittel und berge die Gefahr des Drogentourismus. Die Schweiz steht mit ihrer Drogenpolitik unter internationalem Druck.

Die Hanfladenbesitzer interessiert das wenig. «Ich baue auf Eigenverantwortung», sagt der Sankt-Galler André Stucky, Geschäftsführer von Home Grow Tech. In seinem Geschäft tauchen immer wieder Interessenten aus Deutschland und Österreich auf. Kollege Peter Zysset vom Berner Growland verlangt Ausweise - aber nicht immer: «Schon jetzt verkaufen wir Duftsäckchen nur an Personen über 18 Jahre. Im Zweifelsfall verlangen wir einen Ausweis.» Ausländer gehören nicht zu seiner Stammkundschaft. «Vielleicht», sagt er, «gibt es unter den Romands, die bei mir einkaufen, auch ab und zu einen Franzosen. Der wird aber bei mir behandelt wie jeder andere Kunde auch.»

Wesentliche Fragen zum Cannabis-Handel müssen in der Verordnung erst noch geregelt werden. So verlangt das Gesetz, dass er «nicht mit erheblichen Gewinnen» verbunden und «nicht in grossen Mengen» stattfinden darf. Was das heisst, müssen die Beamten des Bundesamtes für Gesundheit noch genauer umschreiben.

Genau dies kritisiert der Zürcher Staatsanwalt Ulrich Weder: «Es ist rechtsstaatlich nicht ganz unbedenklich», moniert er, dass so grundlegende Fragen wie die Bestrafung von Drogendelikten nicht schon auf Gesetzesstufe klar geregelt werden. «Zur Verordnung haben Volk und Parlament nichts mehr zu sagen.»

Ohnehin haben beim Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes allein die Kantone das Sagen. Jene, die heute schon eine strenge Repressionspolitik in der Drogenbekämpfung verfolgen, wollen die Liberalisierungsziele des Bundesrates nicht ohne weiteres mittragen und haben in den Vorschlägen von Ruth Dreifuss genug Spielraum für ihre harte Linie. «Wir werden auch in Zukunft konsequent durchgreifen», sagt der Schwyzer Polizeidirektor Alois Christen.

In der Branche macht sich nach der ersten Euphorie die Ernüchterung breit. «Wie sollen wir nur überleben, wenn wir nicht einmal Gewinne erzielen können», empört sich der Hanfbauer Marco Kuhn aus Oberbipp BE. In den letzten zwei Jahren wurden in der Schweiz eine ganze Reihe von Hanfanbaubetrieben von den Behörden geschlossen. Sie sollen - lautete der Vorwurf - Hanf zum Zwecke der Betäubungsmittel-Gewinnung produziert haben. Das allein ist zwar künftig kein Straftatbestand mehr, doch unterstehen die Hanfanpflanzer grundsätzlich denselben strengen Beschränkungen wie die Hanfladenbesitzer. Auch sie dürfen nur an einen speziell deklarierten Personenkreis liefern - und unter keinen Umständen an Ausländer Armin Käser, Mitinhaber der inzwischen geschlossenen Hanfanbaufirma CannaBioland im freiburgischen Litzisdorf, wurde wegen Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes im vergangenen Sommer zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, den Hanfanbaubetrieb wieder aufzunehmen. Aber die bundesrätlichen Vorschläge mögen auch ihn nicht freudig stimmen. «Alles steht in den Sternen», sagt Käser desillusioniert.

Viele der 200 Hanfladenbesitzer in der Schweiz haben allen Liberalisierungs-Schalmeien zum Trotz Angst um ihre Zukunft. Sie fürchten, dass die weit gefassten Beschränkungen künftig nur als Vorwand dienen, um noch härter gegen ihr Gewerbe vorzugehen. «Die schwammigen Formulierungen im Gesetz könnten die Behördenschikanen noch verstärken», meint François Reusser.

Deshalb ist auch das Fazit des Hanfunternehmers Peter Zysset von Growland vernichtend: «Ich halte absolut nichts von dieser Revision. Alles nur wässrige Aussagen», sagt der smarte Geschäftsmann, der täglich 500 bis 1000 Kunden bedient. Banker in Schale sowie Frauen aus gehobenen Schichten gehören dazu. «Sie kaufen Hanftee oder Duftsäckchen, je nach Belieben», sagt Zysset. Ob sich das mit der Revision ändern würde, weiss er nicht.

Die Frage ist erst mal, ob es sein Geschäft in der Berner Altstadt nach der Gesetzesänderung noch geben wird. Zur Kompetenz der Kantone wird es auch gehören, die Zahl der Hanfverkaufsstellen zu begrenzen.


Reaktionen aus dem Ausland

Keine Freude

Die umliegenden Länder kritisieren den Schweizer Entscheid.

Italien
«Joints bei Tageslicht im Tempel des Kapitalismus und der internationalen Finanz», kommentiert die italienische Tageszeitung «La Repubblica» den Entscheid aus Bern. Einst war die Legalisierung vom inzwischen verstorbenen Ex-Premier Bettino Craxi gefordert worden, doch nach wie vor sind die «spinelli» (Joints) strafbar. Emma Bonnino von den Radikalen ist deshalb erfreut über die Schweizer Entscheidung: «Gott sei Dank, ich hoffe, auch die italienische Regierung macht bald denselben Schritt.»

Österreich
In Österreich ist Drogenliberalisierung trotz Schweizer Vorstoss kein Thema. Angst vor steigendem Marihuana-Import aus der Schweiz hat man im Innenministerium in Wien auf jeden Fall nicht. «Wir haben dort gerade die ersten gemischten Streifen vorgestellt, die Zusammenarbeit zwischen den Vorarlberger und den Schweizer Kollegen klappt bestens», sagt der Sprecher des österreichischen Innenministers Ernst Strasser.

Deutschland
Auf scharfe Kritik stösst die neue Schweizer Drogenpolitik in Deutschland. Bern wagt sich nach der Meinung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk, «sehr weit vor». Die Schweiz drücke sich um eine «seriöse Abschätzung der Auswirkung dieser Politik auf die Nachbarländer», sagt Caspers. «In Deutschland beobachten wir immer mehr junge Menschen, die sehr exzessiv Haschisch rauchen und dann erhebliche psychische und gesundheitliche Probleme bekommen.» Hintergrund ist die rigide deutsche Drogenpolitik. Schleswig-Holstein toleriert zwar den Cannabis-Besitz von bis zu 30 Gramm, in Bayern oder Baden-Württemberg sind es nur sechs Gramm.

Frankreich
Am Dienstag liess die Presseabteilung aus dem Elysée-Palast in Paris verlauten, man wolle «keinen Kommentar» zu den Schweizer Liberalisierungsideen abgeben, und verwies auf die Aussage von Präsident Jacques Chirac, der ein scharfer Gegner der Drogenliberalisierung ist: «Es gibt keine Prävention ohne Pädagogik. Und es gibt keine Pädagogik ohne Verbote.»


Vorbild Niederlande

Bitte ein Duftsäcklein

Die Schweiz will von der zwanzigjährigen Erfahrung des liberalen Holland profitieren.

Mit der Hanfliberalisierung orientiert sich die Schweiz vor allem am Vorbild Niederlande. Seit gut 20 Jahren ist dort der Konsum von Haschisch und Cannabis erlaubt - mit Einschränkungen. Bis zu 5 Gramm dürfen pro Person für den Eigenkonsum verkauft werden. Beschaffung und Handel im grösseren Stil bleiben dagegen verboten. Trotzdem werden noch immer rund 800 Coffee-Shops geduldet, die den Stoff verkaufen. 1995 waren es noch 1800 Shops gewesen. Auf Grund der Kritik aus dem Ausland wurde damals die liberale Drogenpolitik verschärft und die zulässige Verkaufsmenge in den Coffee-Shops von 30 auf 5 Gramm gesenkt.

Für die Shops gelten heute noch schärfere Einschränkungen, die auch die Schweiz übernehmen will: So sollen die Hanfläden nicht für Cannabis-Produkte werben und keine Personen unter 18 Jahren bedienen dürfen.


Back to German texts page

 


Hosted by www.Geocities.ws

1