Die Schweiz und der zweite Weltkrieg

 

Gesellschaft: Wehleidig? Pauschale Vorwürfe?

Historiker Georg Kreis bespricht Pro Senectute-Publikation «Zeitzeugen 1939-1945»

Die Publikation «Die Schweiz 1939-1945. Damit unsere Nachkommen nicht vergessen. Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen» (Bericht (Bericht seniorweb.ch)) stösst auf Resonanz. Es spricht für das Werk, dass es aus prominenter und sachkundiger Warte besprochen wird: Der Basler Historiker Georg Kreis(unter anderem Mitglied der 1996 geschaffenen unabhängigen Expertenkommission "Schweiz - Zweiter Weltkrieg") hat es in der Neuen Zürcher Zeitung vom 9. Februar 1999 besprochen. Das Werk gibt dem 55jährigen Kreis Anlass zu Überlegungen über die Rolle von Gedächtnis und geistiger Verarbeitung, über das Verhältnis von persönlicher Erfahrung und geschichtlichem Kontext, über damalige Opfer und den Sinn von Vergleichen. Es ist eine kritische Würdigung: «Ist da nicht eine für die schweizerische Mentalität typische Wehleidigkeit am Werk?» fragt der Autor. Wir geben im Folgenden den Beitrag mit seiner freundlicher Genehmigung wieder:

Die Debatte um den Zweiten Weltkrieg kommt gerade noch zur rechten Zeit, und sie kommt nicht von ungefähr gerade zu dieser Zeit. Es ist die Zeit der letzten Lebensjahre derjenigen Menschen - man spricht da auch von Generation -, die jene Jahre auf verschiedenen Seiten und in verschiedenster Weise miterlebt haben. Es ist die Zeit, da man vor dem Verlöschen noch einmal seine Schlüsselerlebnisse aufleuchten lassen und damit - so die Hoffnung - auch weitergeben kann.

Es ist eine Zeit aber auch, da bisher dominierende Deutungen plötzlich in Frage gestellt werden und es darum nötig erscheint, nochmals - vielleicht ein letztes Mal - das eigene Bild von der Vergangenheit zu verteidigen vor neuem Verständnis, das unheilvoll sich ankündigt. - In diesem Sinne hat die Redaktion des Pro-Senectute- Magazins «Zeitlupe» mit einem Aufruf die Menschen, «die jene Zeit mit all ihren Nöten und Einschränkungen erlebt haben», aufgefordert, ihre Erlebnisse und Meinungen sich «von der Seele zu schreiben». Die Zielsetzungen des Unternehmens sind allerdings ziemlich diffus, sie beruhen auf einem Missverständnis und tragen kräftig dazu bei, dass dieses Missverständnis weiterlebt. Ausser dem bereits erwähnten seelenhygienischen Zweck des befreienden Schreibens werden an Zielen genannt: Man möchte einen Spiegel der «Situation der Schweizer Bevölkerung in den Kriegsjahren» geben; man möchte ein «Stimmungsbild der Bevölkerung in die aktuelle Diskussion» einbringen; man möchte dafür sorgen, dass «unsere Nachkommen nicht vergessen», und schliesslich auch noch «einen Beitrag an die Vergangenheitsbewältigung» leisten.

Im vorliegenden Heft findet sich von allem ein wenig, freilich in unterschiedlichem Ausmass; am wenigsten zur Vergangenheitsbewältigung und am meisten zu dem, was man als Schilderung der damaligen «Situation» bezeichnen kann. Obwohl gewiss schwer auseinanderzuhalten, wäre es hilfreich gewesen, man hätte etwas stärker zu trennen versucht, was damals Erlebtes und was heute Beurteiltes ist; was an Einsichten warum nicht vergessen werden darf, demzufolge sozusagen unverändert konserviert werden muss, und was an Erlebtem in welchem Sinne bewältigt, das heisst umgestaltend verarbeitet werden sollte.

Einige grundsätzliche Überlegungen über die Funktion von Gedächtnis wären wohl hilfreich gewesen und dürften es auch jetzt noch sein. Das sich in Form von konkreten Erinnerungen manifestierende Gedächtnis ist bekanntlich nicht einfach Zeugnis bestimmter objektiver Sachverhalte der Vergangenheit, sondern Teil einer Positionierung im zeitgenössischen Diskurs. Dies wird in einigen Beiträgen auch explizit auf den Punkt gebracht: Tausende von Franken, schreibt F. v. A., habe er auf den «Altar des Vaterlandes» gelegt; es schmerze ihn darum sehr, wenn «die Jugend von heute» die Anstrengungen von damals als Kasperlitheater abtue. Tut sie das wirklich, die Jugend von heute, oder kommt da nicht eine selbst produzierte Befürchtung als pauschaler Vorwurf daher? K. W. bemerkt in Anspielung auf den Pauschalvorwurf des Kriegsgewinnlertums mit Hinweisen auf den kleinen Sold und die bescheidene Lohnausfallentschädigung: «Sie können sich ausrechnen, wie wir uns bereichert haben während dieser Zeit.»

Ist es denn nicht möglich, dass die Kriegsjahre Einzelnen gewiss grosse Entbehrungen bescherten, dass bestimmte Unternehmen zugleich Kriegsprofite machten und die Schweiz alles in allem mit einer überlegenen Volkswirtschaft in die Nachkriegsjahre eintrat? Und warum soll es nicht möglich sein, dass die militärische Landesverteidigung zeitweise vom einzelnen Wehrmann zwar alles abverlangte, in den Bemühungen um die Erhaltung einer gewissen Eigenständigkeit aber doch nur eine Komponente neben anderen war? Gewisse Zeugnisse zeigen, wie schwierig die Koexistenz von subjektiven Lebenswelten und die objektivierende Einschätzung eines Landesschicksals sein kann und wie falsch es ist, die beiden Dimensionen gegeneinander auszuspielen. «Wahrheiten» haben zuweilen nicht alternativen Charakter, sie können sich widersprechen und trotzdem beide zutreffen.

Akzeptiertes und Entbehrtes
Bemerkenswerterweise hält sich angesichts der revisionistischen Infragestellung die eigene Kritik an damaligen Missständen in engen Grenzen. Einmal finden sich in den Ausführungen von J. S. die üblichen Ausfälle gegen dickbauchige Obersten. E. W. verbindet aber kein böses Wort mit dem Bericht, dass für die Ortswehren keine Helme vorhanden waren, weil alle aus Furcht vor einem deutschen Angriff in die Innerschweiz gebracht worden seien. Dass die Geschütze 1939 nicht einsatzbereit waren, erklärt A. S. entweder mit Schlamperei oder mit Sabotage, er beeilt sich aber beizufügen: «Trotzdem möchte ich der Armee keine Schuld zuschreiben.»

Immer wieder ist in den Berichten von der Kargheit der Lebensbedingungen die Rede. Im Rahmen der allgemeinen Lebensbedingungen konnten subjektiv allerdings sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht werden. H. L. erklärt, von der Rationierung «nicht viel» gemerkt zu haben, I. B. dagegen erinnert sich an ihr bescheidenes Glück, als ihr beim Mehranbau einmal ein Kohlkopf überlassen wurde. Die grösseren und kleineren Entbehrungen werden durchwegs den Kriegsjahren zugeschrieben, die Erfahrungen der Vorkriegs- und Nachkriegsjahre könnten diesbezüglich freilich die gleichen gewesen sein. Der wichtige Punkt: Sie haben den Status von Kontrasterfahrungen zu den heutigen Überflussverhältnissen und verbinden sich oft mit dem Gefühl, Lebenschancen verpasst zu haben.

In einem Selbstzeugnis findet sich die wohl stark verbreitete Auffassung, dass das grosse Weltgeschehen das kleine Privatleben beeinflusst habe. Im konkreten Fall hielt sich das «Opfer» freilich in Grenzen: Der Bankangestellte H. F. konnte nicht wie geplant in Paris eine Stelle annehmen, sondern musste sich mit einer Anstellung in der Schweiz begnügen. Ist da nicht eine für die schweizerische Mentalität typische Wehleidigkeit am Werk? Worin hätten die Entbehrungen bestanden, wenn man damals, um nur eine eher harmlose Variante ins Spiel zu bringen, in Belgien oder Holland gelebt hätte? Es sind nicht zufällig durchwegs Frauen, die in ihren Erinnerungen auch den Kriegsopfern einen Platz einräumen.

Zur falschen Zeit geboren
Aus Empörung über in jüngster Zeit geäusserte Kritik, aber - noch stärker - auch aus einem allgemeinen Epochen- und Generationengegensatz werden in manchen auch ausserhalb dieses Heftes abgegebenen Stellungnahmen in fragwürdiger Weise Generationenschicksale verglichen und gegeneinander ausgespielt. Zudem wird in Anlehnung an die Wiedergutmachungsforderungen der wirklichen Opfer des Zweiten Weltkrieges von Exponenten der Aktivdienstgeneration wenigstens eine moralische Anerkennung der erbrachten Lebensleistung eingefordert. Es ist von Opfern die Rede und indirekt von der Ungunst der zu frühen Geburt.

A. K. ist sogar überzeugt, dass ihm wegen des deutschen Militarismus die fünf schönsten Jahre seines Lebens (die Jahre zwischen 20 und 25) «versaut» worden seien. Wenn Ausbildungs- und Aufbaujahre in die Zeit der grossen Weltwirtschaftskrise und die anschliessende Aktivdienstzeit fielen, kann man sich tatsächlich vom Schicksal schlecht behandelt vorkommen. Die Vorstellung vom ungerechten Schicksal beruht aber weitgehend auf falschen Vergleichen. Wären nicht eher Vergleiche mit anderen Schicksalen der Kriegszeit anzustellen statt, wie es zumeist geschieht, mit Lebensbedingungen der in den späteren fünfziger Jahren einsetzenden Hochkonjunktur? Von der Nachkriegskonjunktur hat im übrigen die Aktivdienstgeneration durchaus ebenfalls profitiert - allerdings nicht in den unternehmungslustigen Jugendjahren, sondern in der Nähe des AHV-Alters. Dem Hang zu unverhältnismässigem Selbstmitleid muss der Hinweis entgegengehalten werden, dass andere von anderen «ungünstigen» Momenten erwischt wurden und - auch ohne Aktivdienst - ähnliche Erfahrungen machen mussten, zum Beispiel in den frühen zwanziger Jahren oder nach der sogenannten Erdölkrise von 1973 oder heutzutage in den mit Massenarbeitslosigkeit verknüpften Umstrukturierungen der Wirtschaft.

Anderseits muss auch daran erinnert werden, dass den Jahren 1939-1945, wie einige Zeugnisse belegen, auch Möglichkeiten der Erfüllung innewohnten und dass sie - im Vergleich mit anderen Zeiten - vielleicht sogar die Chance einer besonders sinnvollen Existenzgestaltung bereithielten; insbesondere die zwar immer gegebene, damals aber speziell wichtige Aufgabe, für eine bessere Welt einzustehen. Es gab sie durchaus, die Schweizerinnen und Schweizer, die aus gewichtigeren Gründen eine «Wut im Bauch auf Hitler» hatten als einzig darum, weil er die Ursache für Lohnausfall und Familienabwesenheit war.

Die Kriegsgeneration müsste - weniger zur Schonung der folgenden Generation als zum eigenen Wohlbefinden - davon ausgehen, dass Leistungen erbracht wurden, weil man sie an sich und für sich als wichtig und nötig erachtete, ohne Dankbarkeitserwartungen, auch wenn tatsächlich persönlicher Verzicht im Hinblick auf das Wohl der Nachkommen und Nachwelt geleistet wurde. Ferner müsste man insbesondere falsche, zum Teil von Neid geprägte Vergleiche mit heutigen Lebensmöglichkeiten vermeiden. Jede Zeit hat ihre guten und weniger guten Seiten.




Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg

Eine Klarstellung

Referat anlässlich der Veranstaltung

der SVP des Kantons Zürich vom 1.3.1997

10.00 Uhr im Hotel International Swissôtel,

Zürich-Oerlikon

von Nationalrat Dr. Christoph Blocher

 

 

Zur sogenannten "Aufarbeitung" der Geschichte
Von Selbstgerechten, Heuchlern und anderen Moralisten
Die neue Schallplatte
Was ist zu tun?
Wie ist denn die Schweiz früher in solchen Situationen aufgetreten?
Wo sind diese entschiedenen Stellungnahmen heute zu finden?
Anhang zu "Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg - Eine Klarstellung"
Literaturauswahl

 

Nichts Neues unter der Sonne

Das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, die damalige Wirtschafts-, Aussen-, Neutralitäts- und Flüchtlingspolitik der Schweiz, welche sich in erstaunlicher Weise aus dem Zweiten Weltkrieg heraushalten und inmitten der nationalsozialistischen Brandung unversehrt bleiben konnte, ist - wieder einmal - in Diskussion geraten.

Dabei ist es eigenartig: Die grossspurig als historische Neuigkeiten angekündigten Sensationen sind allen einigermassen informierten Zeitgenossen längst bekannt. Bis heute ist überhaupt nichts Neues zum Vorschein gekommen, was Interessierten, speziell aber den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht längst hätte bekannt sein müssen.

Ein Teil davon war schon im Weltkrieg, vor allem aber in den Nachkriegsjahren bei Presse, Parlament und Volk Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen. Die Neutralität im Zweiten Weltkrieg, die Handelspolitik, die Verteidigung des Landes, die Aussen- und die Flüchtlingspolitik, sind und waren Gegenstand zahlreicher historischer Betrachtungen und geschichtlicher Expertisen. In allen neueren Geschichtsbüchern und im Geschichtsunterricht der heutigen Schulen wird all das gesagt, was heute naiverweise als Neuigkeit verkündet und angeprangert wird.

Trotzdem: Die classe politique verhält sich bei den heutigen schwerwiegenden Angriffen auf unser Land, unser Volk und unser Verhalten während des Zweiten Weltkrieges etwa so überlegt und gefasst wie Hühner in einem Hühnerhof, wenn der Fuchs ums Gehege schleicht. Der Grund dafür dürfte in einer bisher krassen, generellen Missachtung der Geschichte durch die verantwortlichen Leute in unserem Staate liegen, als ob man ohne Geschichtskenntnisse Gegenwart und Zukunft gestalten könnte. Diese Weisheit wurde in den letzten Jahren in politischen Kreisen geradezu verlacht und verhöhnt.

Unsere Landesregierung und namhafte Wirtschaftsvertreter lassen bis heute jedes klare Konzept vermissen, agieren - oder besser reagieren - höchst widersprüchlich und unglücklich. Sie haben mit ihrem Verhalten jenen Kreisen, die uns unentwegt attackieren, ständig Auftrieb gegeben. Ein grosser Teil der inländischen Presse hat die Stimmung der Verunsicherung mit fetten Sensationsmeldungen, mit gezielten Indiskretionen zusätzlich geschürt und für eine miesmacherische, selbstzerfleischende Untergangsstimmung gesorgt. Unzählige Bürgerinnen und Bürger werden dabei in ihren Gefühlen zu unserer Heimat, die älteren unter ihnen in ihrer Lebensleistung für unser Land, ständig aufs neue verletzt. Deshalb ist eine Klarstellung nötig geworden. Es geht darum, im Dickicht der dümmlichen, widersprüchlichen Schlagzeilen das Wesentliche ins Auge zu fassen, und es geht vor allem darum, sich jetzt nicht - wie manche hoffen - für eine falsche Politik missbrauchen zu lassen.

Daran gibt es nichts zu rütteln

Für das politische Handeln bei Angriffen auf unser Land, unser Volk und unsere Regierung wegen des Verhaltens der Schweiz in den 30er und 40er Jahren haben die wesentlichen historischen Tatsachen als klare Richtschnur zu gelten. Die wesentlichen historischen Tatsachen stehen fest und lauten:

1. Das Schweizervolk erwies sich zwischen 1933 und 1945 als resistent gegenüber dem nazistischen Gedankengut. Praktisch 100 % der Schweizer wählten auf Bundesebene demokratische, schweizerisch gebliebene Parteien! Einen einzigen Vertreter brachten die Fröntler 1935 für vier Jahre in den Nationalrat1). Die Schweizer waren keine Nazis; sie standen mit ihrer Presse und ihren Behörden dem faschistischen Treiben ablehnend, ja hasserfüllt gegenüber. Die Schweiz ist in jenen Jahren ein demokratischer Rechtsstaat geblieben.

2. Niemand wurde in unserem Land mit staatlicher Billigung misshandelt, gefoltert, ermordet. Bundesrat Obrecht verkündete 1938 an die Adresse Hitlers unmissverständlich, dass wir Schweizer nicht ins Ausland wallfahrten würden. Jeden Angreifer, wer es auch sei, erwarte der Krieg.2)

3. Insgesamt 800'000 Mann (im 4-Millionen-Land 20 % der Bevölkerung) bewachten von 1939 bis 1945 unser Staatsgebiet und verschafften der bewaffneten Neutralität Nachdruck. Sie waren bereit, ihr Leben für unser Land hinzugeben. Keine wichtige Verkehrsachse, kein nennenswerter Industriebetrieb wäre dem Feind unversehrt in die Hände gefallen.

4. Die Schweiz zeigte unter gewaltigen Opfern einen Widerstandswillen, der seinesgleichen sucht: Erwähnt seien die sogenannte Anbauschlacht unter Leitung des späteren SVP-Bundesrates Wahlen, die Rationierung der Lebensmittel, die Kriegsvorsorge, die Wehranleihe, zusätzliche Steuerabgaben.3)

5. Wer mit Bürgerinnen und Bürgern spricht, die diese Zeit bewusst durchlebt haben, spürt: Die Schweizer standen zusammen, Familien von Angestellten, Industriearbeitern, Bauern - sie alle verband in dieser schweren Zeit ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Solidarität, wie vorher und später nie wieder.

6. Die militärische Bedrohung war - das beweisen auch neueste Untersuchungen - Realität. Im Sommer 1940 arbeitete der deutsche Generalstab auf Geheiss Hitlers detaillierte Angriffspläne gegen die Schweiz aus, Mussolini wollte die italienische Grenze gleichzeitig bis zur nördlichen Hochalpenkette verlegen.4) Hitler nannte die Schweiz 1942 vor Mussolini das "niederträchtigste und erbärmlichste Volk und Staatsgebilde" und die Schweizer "Todfeinde des neuen Deutschland". Stalin beschimpfte die Schweizer als "Schweine".5) Wir dürfen solche Worte aus dem Munde zweier Massenmörder nicht allzu leicht nehmen, aber gleichzeitig auch als Kompliment auffassen!

7. Tatsache ist, dass eine Aktion Schweiz durch Hitler wegen der Verteidigungsbereitschaft der schweizerischen Milizarmee für den Angreifer unverhältnismässig viele Kräfte gekostet und gebunden hätte.

8. Erst Ende 1942, nach der Besetzung Südfrankreichs, überwogen für das Dritte Reich die Vorteile einer intakten Schweiz. Als die Alliierten 1943/44 in Süd- und Westeuropa vorrückten, stieg die Gefahr eines deutschen Einmarsches zur Sicherung der Nachschublinien noch einmal.

9. Auch die humanitäre Hilfe trug zu einer positiven Bilanz der Neutralität bei. Während der Kriegszeit lebten für kürzere oder längere Zeit 295'381 registrierte Flüchtlinge und Internierte auf dem schützenden Schweizerboden. Dazu kamen zahlreiche Emigranten, darunter viele Juden, die sich nicht bei der Polizei anmeldeten und von Privaten beherbergt wurden.6) Neben dieser Flüchtlingshilfe leistete das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in den kriegsführenden Ländern unzählige gute Dienste. Die neutrale Schweiz übernahm die diplomatischen Schutzmachtmandate für 43 Länder und ihre Bürger gegenüber den jeweiligen Gegnern, nicht zuletzt auch für die Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber 12 Feindstaaten - auch das scheint man vergessen zu haben!7)

10. Ab Juni 1940 war die Schweiz von den Achsenmächten vollständig umklammert. Dadurch verlor sie ihren freien Zugang zur Welt. Der für das Ueberleben nötige Handelsspielraum wurde eng. Selbstverständlich hat man in dieser Situation auch - und nach 1940 vor allem - mit den Achsenmächten Handel getrieben. Mit wem denn sonst? Es galt, den lebensnotwendigen Import und Export sicherzustellen - beides versuchte man soweit möglich auch mit den Alliierten. Handel mit den Alliierten wiederum war nur möglich, wenn die umklammernden Achsenmächte die Waren durchliessen. Das Ueberleben des Kleinstaates hing - neben dem Widerstand des Volkes und der Armee - vom geschickten Verhandeln staatlicher Aussenhandelsdelegierter und Privatunternehmer ab. Es ging nicht ohne Kompromisse und Zugeständnisse. In allen Bevölkerungskreisen war die Furcht vor Arbeitslosigkeit, Hunger und Not gross und berechtigt; politische und soziale Unruhen hätten den Widerstandsgeist gebrochen. Alle Parteien - auch die Sozialdemokraten - wussten genau, dass für einen eingeschlossenen Kleinstaat Wirtschaftsbeziehungen mit dem Dritten Reich unumgänglich waren. Die Kreise, die sich heute für die seinerzeitige Handelspolitik entschuldigen, weisen den Verantwortlichen von damals eine Schuld zu (sonst könnte man sich ja nicht entschuldigen!) und beleidigen die damals verantwortungsvoll Handelnden in schwerster Weise. Soll man sich etwa dafür entschuldigen, dass man ein Volk vor dem Hunger bewahrt?!

11. Die Schweiz hat das Neutralitätsrecht entgegen anderslautenden Behauptungen während des Krieges im wesentlichen hochgehalten, hat es sogar freiwillig enger ausgelegt, als es das Völkerrecht verlangte. Unser Neutralitätsrecht gestattet keine militärische Begünstigung von Kriegsführenden durch direkte Beteiligung an Kriegszügen, keine Gewährung von Truppendurchmärschen, keine Freigabe internierter Soldaten vor Kriegsende, keine staatlichen Waffenlieferungen an Kriegsführende. Daran hat sich die Schweiz vollumfänglich gehalten.

12. Die Neutralitätspolitik erlaubt demgegenüber eine elastischere Haltung. Ausdrücklich nicht verboten sind etwa die vorsorgliche Kontaktnahme mit allfälligen Verbündeten vor dem Angriff (General Guisan tat dies mit den Franzosen), die Waffenlieferung der Privatindustrie und überhaupt der private Handelsaustausch.8)

13. Eine Gesinnungsneutralität liess sich damals beim Schweizervolk ohnehin nicht durchsetzen, selbst wenn dies einzelne Bundesräte im Zweiten Weltkrieg aus Angst vor den drohenden Nachbarn nicht ungern gesehen hätten.9)

14. Schon während des Krieges war die Handhabung der Neutralität Gegenstand heftigster Kontroversen. Der englische Kriegspremier Winston S. Churchill sagte am 13. Dezember 1944- also noch vor Kriegsende - zur Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg: "Von allen Neutralen hat die Schweiz das grösste Anrecht auf bevorzugte Behandlung. Sie war der einzige internationale Faktor, der uns mit den uns schrecklich Entfremdeten noch verband. Was bedeutet es schon, ob sie in der Lage war, uns die gewünschten Handelsvorteile zu gewähren, oder dass sie, um sich am Leben zu erhalten, den Deutschen zuviel gewährt hat? Sie war ein demokratischer Staat, der von seinen Bergen aus seine Freiheit verteidigt hat, und trotz ihrer áethnischenñ Zugehörigkeit hat die Schweiz gesinnungsmässig grösstenteils unsere Partei ergriffen."10)

Und sogar in Amerika wurde die standhafte Schweiz gelobt. Die angesehene "New York Herald Tribune" schrieb 1943: "Die Schweizer sind sich treu geblieben, und zwar auch in dunkelsten Stunden des Jahres 1940, als nichts ausser die Tapferkeit Grossbritanniens und der blinde Glaube der freien Männer der übrigen Welt zwischen Hitler und Europa stand."11)

15. Heute wird keine Gelegenheit ausgelassen, um die Staatsmaxime Neutralität mit Füssen zu treten und die damalige Verteidigungsbereitschaft der Armee zu bespötteln. Interessanterweise tun dies gerade diejenigen politischen Kreise, welche schon in den 30er Jahren die militärische Landesverteidigung bekämpft und hintertrieben haben und die auch heute gegen die Armee und die bewaffnete Neutralität agieren und - einmal mehr - für den Frieden schwärmen, den zu verteidigen ihnen zu mühsam wäre. Adolf Muschg bezeichnete in der Berner Zeitung die Neutralität als "einen unanständigen Furz". Nun, der Herr Literaturprofessor hat seine eigene, zu ihm passende Sprache. Auch das nationalsozialistische Deutschland hat 1940 die bewaffnete schweizerische Neutralität "als durch die Ereignisse völlig überholt und mit der Neuordnung Europas unvereinbar"12) bezeichnet (dieser Satz ist Ihnen aus der heutigen Zeit nicht unbekannt). Gerade weil die Schweiz ihre Neutralität zu einer immerwährenden erklärt hat, weil sie ihre Aussenpolitik nicht ständig den veränderlichen Verhältnissen anpasste, war sie nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Vorwurf geschützt, ihren Mantel um des momentanen Vorteils willen nach dem Winde gehängt zu haben. Was - so möchte man die neunmalklugen Neutralitätsgegner fragen - wäre aus der Schweiz geworden, wenn sie im Zweiten Weltkrieg nicht neutral geblieben wäre? Was wäre geschehen, wenn wir uns an der Seite der Deutschen in den Krieg gestürzt hätten, um auch einen "Platz an der Sonne" zu ergattern (wie es einige Schweizer wollten)? Was wäre geschehen, wenn wir, umschlossen von Nazideutschland, verkündet hätten, wir träten auf der Seite der Alliierten in den Krieg ein? Was wäre geschehen mit dem Schweizervolk, mit den Flüchtlingen, den hier ansässigen und den vorübergehend aufgenommenen Juden? Wer die Alternativen untersucht, muss zum Schluss kommen, dass es ausser der bewaffneten Neutralität keine Lösung gab! Edgar Bonjour, der sich mit der Geschichte unserer Neutralität in fachlich hervorragender und objektiver Weise verdient gemacht hat, bekannte sich nach seinen jahrelangen Studien als "unbedingten Anhänger unserer aussenpolitischen Maxime".13) Ein Vergleich mit Schweden, Portugal oder Spanien zeige, dass die Schweiz die konsequenteste und strengste Neutralitätsauffassung vertreten habe.

16. Auch damals hatten in unserem Lande nicht alle die Kraft, der Gefahr und dem Druck von aussen standzuhalten. Es gab Schwache, es gab Anpasser und Leisetreter, die es immer gab, heute gibt und auch in Zukunft geben wird. Einzelne behördliche Massnahmen - angeregt durch lebensfremde, eigenmächtige Bürokraten - wie der Judenstempel, die Bestimmungen, wonach Juden für jüdische Flüchtlinge selbst aufzukommen hatten, die hermetisch abgeriegelte Grenze nach 1942, die Ausweisung von Flüchtlingen, aber auch die zu rigorosen Zensurbestimmungen der Behörden sind im Rückblick unverständlich und zu kritisieren. Da und dort war auch ein allzu willfähriges Verhalten dem bedrohlichen Deutschland gegenüber festzustellen. All dies ist in historischen Untersuchungen längst belegt worden. Entscheidend ist aber, dass sich letztlich die Widerstandsfähigen und Widerstandswilligen in unserem Lande durchgesetzt haben. Alle Staaten haben rückblickend in Einzelfällen solche Fehler zu beklagen. Es kommt aber auf das Ganze an, und hier hat die Schweiz nicht versagt, sondern sich ausgezeichnet. Wem käme es in den Sinn, den Engländern in erster Linie die Politik Chamberlains, den Amerikanern das zu späte Eingreifen in den Krieg, der Sowjetunion in erster Linie den Nichtangriffpakt mit Hitler vorzuwerfen? All dies kann doch das grosse Verdienst dieser Staaten bei der Befreiung Europas nicht mindern.

1940 - auf dem Höhepunkt der Gefährdung - verunsicherte Bundesrat Pilet-Golaz das Schweizervolk mit einer anpasserischen Rede. Er gab den Fröntlern die Ehre eines Empfanges im Bundeshaus. Man duldete Luftraumverletzungen. General Guisan musste sich immer wieder direkt auf das Volk stützen, weil er dem Widerstandswillen des Bundesrates nach 1940 nicht mehr recht traute. Nach Meinung von Hermann Böschenstein hatte unser Land 1940, nach dem Rücktritt der standfesten Bundesräte Minger und Obrecht, den schwächsten Bundesrat nach Gründung des Bundesstaates.14) (Was die Geschichte in fünfzig Jahren über den heutigen Bundesrat sagen wird, muss offen bleiben!) Aber dies war das Wunderbare: Die Schweiz hielt durch, trotz zeitweiligem Wankelmut auf höchster Ebene.

17. Wenn hier die Frage von Anpassung und Widerstand aufgeworfen wird, so ist die Frage zu stellen, wer denn 1933 bis 1945 allenfalls zu anpasserisch war: das Volk oder einige der sogenannt führenden Leute in der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft?

Die Antwort ist eindeutig: Das Volk war weit widerstandswilliger und verteidigte die Souveränität weit entschlossener als viele Leute in führenden Kreisen. Vieles blieb dem Volk verborgen: Die Schweizer Volksrechte waren in jenen Jahren eingeschränkt, es herrschte die Pressezensur, die Regierung regierte mit zusätzlichen Vollmachten. Der Bundesrat übernahm zuweilen die Sprache und die totalitäre politische Kultur des faschistischen Gegners.15) So sagte Aussenminister Pilet-Golaz in seiner anpasserischen Rede von 1940: "Der Zeitpunkt der inneren Wiedergeburt ist gekommen." Er rief das Schweizervolk auf, "der Regierung als sicherem und hingebendem Führer, der seine Entscheidungen nicht immer wird erklären, erläutern und begründen müssen", zu folgen.16) Pilet dachte durch und durch elitär, sah im Volke nur eine dumpfe, willenlose Masse und verglich die Demokratie mit einem welken, fallenden Blatte.17) Die Tendenz der Regierenden, sich bei ihrer "höheren Einsicht" vom Volke höchst ungern dreinschwatzen zu lassen, Volksentscheide möglichst zu umgehen, kennen wir auch heute! Auch hier können wir aus der Geschichte lernen: Wollen nicht auch heute führende Kreise auf anpasserische Weise wesentliche demokratische Rechte an eine zentralistische Bürokratie in Brüssel abtreten?18) Es ist aber zu hoffen, dass solche Tendenzen heute ebenso scheitern wie damals; scheitern am Selbständigkeitsdrang, am Widerspruchsgeist, an einer gewissen Eigenbrötlerei des Schweizers, scheitern an der vielfältigen politischen Kultur unseres Landes, am Förderalismus und an der Volkssouveränität, die wir nicht preisgeben dürfen.19)

18. Aber auch ein Teil der führenden Kreise der Wirtschaft forderte damals die Anpassung an die uns umgebende Grossmacht, eine sofortige und stramme Ausrichtung an das sogenannte "neue Europa" (wie oft wurde doch in der Geschichte und - auch heute wieder - mit einem "neuen Europa" hantiert). Viele Wirtschaftsführer glaubten Propagandaminister Goebbels, der am 25. März 1941 verkündet hatte, die von Deutschland angestrebte Neuordnung Europas biete jedem Staat nur Vorteile (auch diese Schalmeien kommen uns nicht unbekannt vor). Wünsche die Schweiz nicht mitzumachen - so Goebbels - sei das ihre Sache, werde aber zu ihrem wirtschaftlichen Nachteil ausschlagen (wer kennt denn diese Töne nicht aus heutigen Tagen!). Allmählich werde auch das Schweizervolk die anbrechende Zeit verstehen (auch heute kennt man solche Prophezeihungen).20) Liest man die damaligen Protokolle von Generalversammlungen führender Schweizer Industriegesellschaften, liest man die Forderungen der Wirtschaftsverbände, aber auch der Vertreter der Gewerkschaften aus dieser Zeit, erstaunt der anpasserische Ton und erinnert in der Wortwahl an neue und neueste Zeiten.21) Entscheidend aber ist wieder - und das ist das Wunderbare - keine dieser "massgebenden" Stimmen konnte sich damals durchsetzen. Der Wiederstandswille blieb bestehen.

19. Es ist schwer verständlich, weshalb sich damals alle Staaten der Welt den Juden gegenüber hartherzig und grausam zeigten. Wenige haben hier Grund, mit dem Finger auf die andern zu zeigen: Im Buch über den St. Galler Judenretter Paul Grüninger von 1993 steht: "Heinrich Rothmund und die Eidgenössische Fremdenpolizei arbeiteten mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund und mit vielen sozialdemokratischen Polizeidirektoren 'aufs loyalste' zusammen, wie in Reden und Briefen aus jenen Jahren immer mal wieder geschrieben steht."22) Die Flüchtlingskonferenz von 1938 in Evian unter amerikanischem Präsidium verlief ohne konkrete Ergebnisse, da kein Staat die Flüchtlinge aufnehmen wollte. Dem Schiff "Saint Louis" mit über 900 hauptsächlich jüdischen Flüchtlingen wurde im Mai 1939 das Anlegen in Florida durch Küstenwachtboote der USA verwehrt; der Kapitän musste nach Europa zurückkehren, die meisten Passagiere wurden später durch die Nazis umgebracht.23) 1940 berichtete der Schweizer Konsul aus den USA nach Bern, sogar im offenen Amerika sympathisiere fast die Hälfte der Amerikaner mit den Antisemiten.24) 1942 verwarf der amerikanische Senat eine Vorlage, welche 20'000 jüdischen Kindern die Rettung vor den Gaskammern ermöglicht hätte.25)

Die Schweiz hat damals 29'500 jüdische Flüchtlinge aufgenommen.26) Schweden, in einer unvergleichlich besseren geopolitischen Situation, nur deren 12'000. Die Schweiz hat mehr aufgenommen als die typischen Auswanderungsländer Kanada, Australien, Neuseeland und Südafrika zusammen. Aber die Schweiz hat auch ca. 30'000 jüdische Flüchtlinge zurückgewiesen. Die Flüchtlingspolitik der Schweiz, die ja in verschiedenen Publikationen ausführlich geschildert ist, ist kein Ruhmesblatt in ihrer Geschichte. Die Schweiz war leider in dieser Frage kein Sonderfall! (Es ist halt nie gut, wenn man kein Sonderfall sein will.) Sie fand sich leider in "guter Gesellschaft".27) Hier haben alle Staaten ihre unrühmliche Geschichte.

Aber es geschah Erstaunliches: Im Volk - das erst später von diesen Massnahmen erfuhr -, in den Kirchen, in den Parteien (von rechts bis links) erhob sich augenblicklich Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik der Behörden. Die Empörung von Seiten des Volkes war so mächtig, dass der Bundesrat gezwungen war, die Grenzschliessung wieder zu lockern.28)

20. Es gibt nichts daran zu rütteln: Auch wenn einzelne Entscheide falsch, das Verhalten einzelner Personen damals fragwürdig und anpasserisch war - im gesamten verdient die damalige Schweiz Respekt, Hochachtung und Bewunderung für ihre Politik. Hier gibt es nichts zu entschuldigen - im Gegenteil: Das Schweizervolk hat die Verschonung vor Krieg und fremder Besetzung, vor Tod, Hunger und Elend errungen in harter Arbeit, mit Entbehrungen, Durchhaltewillen und Standhaftigkeit. Von Seiten des Staates waren ausschlaggebend:

- die Rückkehr zur integralen, d.h. vollständigen Neutralität
- das unbedingte Festhalten an der demokratischen Ordnung
- die entschlossene Verteidigungsbereitschaft der Armee
- eine Kriegswirtschaft, die geprägt war von der knappen Formel: "Vorsorge, Fürsorge, Arbeit    und Brot"
- ein kontrolliertes Handelssystem nach den Grundsätzen "Aussenhandelsbeziehungen nach allen    Seiten", sowohl aus Neutralitäts- und Versorgungsgründen wie auch aus exportpolitischen    Rücksichten
- die Verankerung dieser Maximen im Volk und der daraus resultierende Durchhalte- und    Verteidigungswille.

Die entschlossene Verteidigungspolitik generell als Versagen anprangern, kann angesichts der damaligen schwierigen Situation nur, wer selbstgerecht, heuchlerisch und moralistisch glaubt, selber keine Fehler zu machen und wer nie schwierige Entscheidungen zu treffen hat. Dies ist - zusammen mit der ausserordentlichen Leistung unserer Vorfahren - den lautstarken Angriffen entgegenzusetzen, falls einem an den geschichtlichen Tatsachen und dem Wert eines schweizerischen Staates gelegen ist.

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Zur sogenannten "Aufarbeitung" der Geschichte

"Aufarbeitung" der Geschichte ist unter Politikern und Journalisten zum Renommierwort geworden. Es ist die Forderung dieser Tage schlechthin, nachdem die Berücksichtigung der Geschichte in den gleichen Kreisen in den letzten Jahren als hinterwäldlerisch galt. Man schwafelte lieber von Visionen, von Zukunftsgestaltung, von der "Schweiz nach dem Jahre 2000" und dergleichen mehr. Und jetzt staunen Politiker und Medienleute, weil sie die Geschichte nicht kennen und glauben, man müsse diese zuerst aufarbeiten. Seit wann ist es aber in freiheitlichen Demokratien üblich, dass der Staat, gleichsam die Regierung oder das Parlament, seine eigene Geschichte aufarbeitet? Offizielle Hofschreiber und Hofdichter kennen wir doch nur in den absolutistischen Monarchien; eine offizielle Staatsgeschichtsschreibung leisten sich allenfalls Diktatoren, seien es linke oder rechte. Hierzulande - in einem demokratischen Rechtsstaat - aber ist es unüblich und undenkbar, dass der Staat seine Geschichte schreibt! Wir haben doch noch immer volle Forschungsfreiheit. Allein der einzelne Historiker - oder wer immer sich dazu berufen fühlt - soll das Schreiben der Geschichte besorgen. Professor Edgar Bonjour spürte dies klar. Deshalb liess er sich, um sich volle Unabhängigkeit zu bewahren, für seinen Bericht mit Ausnahme der Spesen mit keinem Rappen entschädigen und hat sein Werk als Privatmann herausgegeben.29) Der Bundesrat enthielt sich damals für einmal bewusst jeden Kommentars - manchmal (nicht nur in diesem Fall) das Gescheiteste, was der Bundesrat tun kann!

Ich zweifle daran, ob die neuernannte Historikerkommission so selbstlos wie Bonjour forschen kann. Der Bundesrat hebt nämlich auffallend anerkennend hervor, dass der Kommission neben fünf Schweizern auch vier Ausländer angehören, drei der neun Kommissionsmitglieder seien jüdischer Kultur.30) Durch diese Zusammensetzung will er das Ergebnis zum vornherein objektivieren und sanktionieren. Ich frage: Gibt es in dieser Kommission neben den Historikern, die auf das Aufspüren von Sünden der Vergangenheit spezialisiert sind, auch solche, die Verständnis für die damalige schwierige Lage haben? Gibt es darin auch Historiker, die die Ansicht vertreten, die Schweiz habe sich 1939 - 1945 in einer schwierigen Lage befunden und sich ehrenwert geschlagen? Unter den Kommissionsmitgliedern befindet sich der Sozial- und Wirtschaftshistoriker Jakob Tanner, neuerdings Professor an der Universität Zürich. Da ich selbst Industrieller und an der Wirtschaftsgeschichte interessiert bin, ist mir zufällig eine seiner Schriften in die Hände geraten. Tanner ist sogenannter Mitautor eines Buches über die Wirtschaftskrise mit dem Untertitel "Aus marxistischer Sicht". Das Buch schliesst mit den Worten: "Dass ein solcher Prozess mit dem Ziel der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft sehr schwierig und langwierig sein wird, ist jedem bewusst, der die politische Realität - gerade in der Schweiz - kennt. Aber nur die Ueberwindung dieser Schwierigkeiten bringt die Möglichkeit (...), eine sozialistische Demokratie zu schaffen, die alle Lebensbereiche umfasst."31) Wohin Tanners marxistische Ideologie führt, was marxistische Geschichtsschreibung im Osten fertiggebracht hat, was aus seinen sozialistischen Demokratien geworden ist, haben wir in Osteuropa gesehen. Das ungeheure Elend, der Hunger, Tod, Verbannungen, Arbeits- und Konzentrationslager, die katastrophalen Folgen für die Bevölkerung erinnern mich an nationalsozialistische Greueltaten. Ich hoffe nur, dass die übrigen Kommissionsmitglieder profundere Wirtschaftskenner sind. Andernfalls können wir uns auf ein schönes Gutachten freuen! Jedenfalls sind wir angesichts der Zusammensetzung der Kommission nicht bereit, den Bericht von vornherein als Evangelium zu akzeptieren. Und wir werden nicht von vornherein behaupten, diesem liege nun endgültig die Geschichte eines Staates zugrunde. Ich persönlich glaube nicht, dass alle bisher tätigen Historiker nur Unsinn geschrieben haben. Gewiss wird man - nach Oeffnung bisher unzugänglicher Archive - neue Einzelheiten erfahren, etwa über vereinzelte Wirtschaftsbeziehungen oder über den Schweizer Aussenhandel im einzelnen. An der Gesamtheit dürfte dies aber nichts ändern.

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Von Selbstgerechten, Heuchlern und anderen Moralisten

Die heutige Diskussion über die Schweiz und den Zweiten Weltkrieg wird in unserem Land weitgehend von schweizerischen Moralisten einerseits und anderseits von ausländischen jüdischen Organisationen bestimmt, die von uns Geld verlangen. Die Argumentation hat - auf beiden Seiten - sehr viel Heuchlerisches an sich. Die jüdischen Organisationen, die Geld fordern, sagen, es gehe ihnen letztlich nicht ums Geld. Aber genau darum geht es.

Auf der schweizerischen Seite öffnet man einen Fonds, sagt, es sei "eine humanitäre Hilfeleistung" oder "aus Dankbarkeit für die Unversehrheit vom Krieg", meint aber wohl letztlich "per Saldo aller Ansprüche", d.h. auch hier geht es um Geld.

Meines Erachtens ist hier eine klare rechtliche Auseinandersetzung vonnöten und wäre auch wesentlich ehrlicher.

Die Diskussion wird heute viel zu stark von Moralisten geprägt. In heuchlerischer Selbstgerechtigkeit wird auf dem Schweizer Volk, den Entscheidungsträgern der 30er und 40er Jahre, auf unsern Vorvätern, herumgehackt. Vor allem die jungen Vertreter der Linken, einige Theologen, zahlreiche Soziologen, Professoren, Kulturschaffende und Journalisten wissen heute - aus sicherer Distanz - natürlich ganz genau, was man vor einem halben Jahrhundert in schwieriger Situation alles hätte besser machen müssen. In einem bornierten, grossmauligen, heuchlerischen Manifest preisen solche Leute ihre eigene, zartbesaitete Humanität, ihre charakterliche Makellosigkeit, ihre tiefe Besorgnis und finden die Schuldigen rasch: Die Entscheidungsträger. "Wir sind die Guten und distanzieren uns von den Bösen und geben dies auch in ganzseitigen Inseraten bekannt".

Die "Moralisten" haben sich in Politik und Medien weit vorgedrängt, nicht nur in dieser Frage. Das ist eigentlich nicht erstaunlich, denn in der heutigen Zeit wimmelt es von Moralisten. Besonders in der Politik. Das ist verhängnisvoll, denn in schwierigen Situationen kann man mit Moralisten nichts anfangen. Es geht diesen nämlich letztlich nie um Verantwortung, nie um das Einstehen für andere, nie darum, für andere ein gutes, tragbares oder bestmögliches Ergebnis zu erzielen und durchzusetzen, sondern lediglich um sich selbst: Um die eigene unbefleckte Weste, um ihr eigenes Ansehen. Sobald ihr Ansehen befleckt zu werden droht, sobald sie den Kopf hinhalten müssen, schleichen sie sich aus der Verantwortung und sind nicht mehr da.

Wer Verantwortung trägt, hat aber einen Auftrag: den Auftrag nämlich, in einer ganz bestimmten Sache, an einem ganz bestimmten Ort, zu einer ganz bestimmten Zeit etwas ganz Bestimmtes zu tun. Trotz oder mit der eigenen Unvollkommenheit muss es getan werden. Es ist bekannt, dass die Verantwortung am besten wahrgenommen und dass ein schwieriger Auftrag für die Gemeinschaft nur dann erfüllt werden kann, wenn man das eigene Ansehen und die eigene Person vernachlässigt. Der wirklich Verantwortungsbewusste weiss, wie anspruchsvoll dies ist, und es ist ihm deshalb bewusst, dass er nicht überall, nicht in der ganzen Welt zum Rechten sehen kann. Er kann und muss es dort tun, wo er steht, wo er den Ueberblick hat und wo seine Kräfte ausreichen. Ganz anders der Moralist: Er erklärt sich selbst überall und allezeit für alles und jedes zuständig. Er masst sich das Recht und sogar die Pflicht an, überall zum Rechten zu schauen. Das Ziel des Moralisten ist es ja nicht, dass zum Rechten geschaut wird - und also das Rechte auch geschieht - sondern dass er selbst es geschafft hat, zeigen kann, dass er zum Rechten sehen will und makellos dasteht. Die Moralisten handeln nicht aus Liebe zu den Menschen und zur Sache, sondern nur im Bestreben, selbst "gut herauszukommen". Darum hiess mein Grundsatz stets - sei es in der Wirtschaft oder in der Politik - seit jeher: Hände weg von den Moralisten. Sie handeln unmoralisch, unethisch. Die Politik, die Gesellschaft und die Wirtschaft in der Schweiz wird heute relativ stark durch solche Moralisten mitbestimmt. Ich meine, man sehe es auch den Resultaten an. Gerade wer die Geschichte des Zweiten Weltkrieges studiert, wird schnell sehen, wo echte Verantwortung und wo Moralisten am Werk waren. Das muss man der Schweiz im gesamten während des Zweiten Weltkrieges lassen: Sie hat ihren Auftrag, die demokratische Schweiz unversehrt zu erhalten, erfüllt. Das ist moralisch hochstehend. Das zählt! Das verdient Respekt und Bewunderung. Wäre die Schweiz den Weg der heutigen "Moralisten" gegangen, wäre sie damals - mit vielleicht Hunderttausenden von Toten - untergegangen, aber diese Moralisten hätten ihre reine Weste gewahrt. Und das ist unmoralisch!

Nationalrat Hubacher hat mir in einer Radiodiskussion vorgeworfen, die Schweiz habe die Kriegsjahre nicht mit einer "blütenweissen", sondern mit einer beschmutzten Weste überstanden. Ja, um Gottes Willen, hat denn irgend jemand je behauptet, die Schweiz hätte eine blütenweisse Weste? Wer - wie die Frauen und Männer der Kriegsgeneration - gegen widrige Umstände um das wirtschaftliche und politische Ueberleben kämpfte, wer für ein Land - von einem barbarischen Regime umringt und bedroht - Entscheide zu treffen hatte, kann am Schluss nicht mit einer blütenweissen Weste dastehen. Herr Hubacher als Gewerkschafter müsste eigentlich wissen, dass wer arbeitet, wer den Alltag bewältigt, am Schluss keine blütenweisse Weste davontragen kann.

Es entspricht den Moralisten auch, dass sie sich für alles mögliche entschuldigen; am leichtesten geht dies, wenn man sich für Dinge entschuldigen kann, für die man weder verantwortlich noch zuständig war. So kann man seine blütenweisse Weste noch besser zur Schau stellen. Für die Taten unserer Väter und Grossväter, für die Kriegsgeneration lässt es sich leicht entschuldigen. Dass damit aber nichts anderes getan wird, als diejenigen, die damals schwere Verantwortung trugen, zu erniedrigen und zu verletzen, ist den Moralisten gleichgültig.

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Die neue Schallplatte

Meine Damen und Herren, wir verfolgen heute mit steigender Verwunderung, wozu die Diskussion um die angebliche Vergangenheitsbewältigung hierzulande führt. Besonders muss dem Schweizerbürger auffallen, wie Politiker, Medienleute und Kulturschaffende die Angelegenheit vorschieben, um ihr eigenes politisches Süppchen zu kochen. Man benützt das Ganze, um die Souveränität und die Neutralität aufzugeben, die Volksrechte abzubauen, mehr Macht an die classe politique zu übertragen. Bundesrat Cotti versteigt sich sogar zur Behauptung, die ganze Affäre sei gleichsam die Quittung für unser Abseitsstehen in EU und EWR. Ich wundere mich über eine solche Behauptung eines Bundesrates, der sich sonst immer über mangelnde Differenziertheit beklagt. Die Behauptung ist etwa so differenziert, wie wenn wir behaupten würden, Herrn Cottis Aussenministerium hätte die gegenwärtige Krise besser gemanagt, wenn er das letzte Jahr nicht ständig für die OSZE im Ausland gewesen wäre! Hier scheint Herr Bundesrat Cotti - und mit ihm zahlreiche Journalisten - auf eine ganz neue Idee gekommen zu sein: Bisher hat man dem Volk ja dauernd die Schallplatte abgespielt, die Schweiz müsse wegen der grossen wirtschaftlichen Vorteile, die dies dem Schweizerland bringe, in die EU. Doch angesichts der hohen und steigenden Arbeitslosenzahlen in der Europäischen Union hat diese Schallplatte gehörige Risse bekommen und ist für den Schweizer ausgeleiert. Immer weniger Leute glauben an diese verkündete Heilsbotschaft. Also ist man gezwungen, eine neue Schallplatte aufzulegen, die aber das Volk wieder für dumm verkauft: Wären wir in der EU oder im EWR - so wird dem Volk erzählt - würden uns die andern Länder gewiss umgehend zu Hilfe eilen. Wie wenn die EU-Länder nicht heilfroh wären, dass man nicht von ihrer eigenen Vergangenheit spricht! Die Frage sei erlaubt: Welches waren nun eigentlich die Zustände im damaligen Deutschland oder in Oesterreich, in von den Nazis besetzten Staaten wie Belgien, Holland, Dänemark, Norwegen, Frankreich oder Griechenland, in Diktaturen wie Spanien oder Portugal? Wie war es im neutralen Schweden? Wer hat nun ganz genau wie stark mit den Nazis kooperiert, wer hat sich wie intensiv an der Judenverfolgung beteiligt? Nein, die heutigen EU-Staaten würden sich auch im Falle unserer Mitgliedschaft genau so schön still verhalten wie sie es heute tun.

Dass nun der Bundesrat bei seinem widersprüchlichen und kraftlosen Verhalten in dieser Angelegenheit eine neue Ausrede erfinden muss, ist leicht zu durchschauen. Sie soll verdecken, dass man nicht fähig oder nicht willens ist, unser Land gegenüber dem Ausland zu verteidigen. So wie unfähige Manager für ihre selbstverschuldeten Misserfolge dauernd den fehlenden EWR als Alibi vorschieben, so schiebt nun der Bundesrat die fehlende EU-Mitgliedschaft als Alibi für die Unfähigkeit vor, das Land in dieser Situation zu verteidigen.

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Was ist zu tun?

Worum geht es eigentlich? Nüchtern betrachtet, geht es letztlich um Geldforderungen an die Schweiz - auch wenn das Gegenteil gesagt wird oder diese Geldforderungen anders definiert werden. Nicht ganz klar ist, wofür die Schweiz dieses Geld bezahlen soll.

- Geht es um Hilfeleistungen für Leute, welche in Not sind?
- Geht es um finanzielle Abgeltung für erlittenes Unrecht?
- Geht es darum, dass die Schweiz Schulden zu begleichen hat?
- Geht es um "Wiedergutmachungszahlungen"?
- Geht es um Rückerstattung unrechtmässig erworbenen Vermögens?
- Geht es um Schweigegeld?
- Geht es um Abwendung von angedrohten Boykotten?
- Geht es um sogenannte "Schadensbegrenzungen"?
- Geht es um Imagepflege?
- Worum eigentlich geht es?

Diese Frage ist bis heute nicht geklärt worden, und ich habe den Eindruck, da und dort lege man Wert darauf, dass das Ganze im Verschwommenen bleibt. Ich bin aber der Meinung, diese Frage müsse sauber geklärt werden.

Folgendes ist meines Erachtens zu tun oder zu unterlassen:

1. Die offizielle Schweiz hat gegenüber den masslosen Anschuldigungen in- und ausländischer Kreise und auch gegenüber Geldforderungen entschieden aufzutreten. Man darf sich nicht dadurch einschüchtern lassen, dass man bei Ablehnung von Forderungen ausländischer jüdischer Organisationen sogleich als Antisemit verschrieen wird. Nur ein Staat, der sich auch für seine berechtigten Anliegen wehrt und wehren kann, verdient Respekt. Die Schweiz - auch als ein kleines Land - muss sich nicht jeden Dreck über den Kopf leeren lassen. Hier ist aus der - durchaus aufgearbeiteten - Geschichte zu lernen. Die Diskussion über das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ist nämlich - wie gesagt - in keiner Art und Weise neu. Sie hat bereits während des Krieges und der Nachkriegsjahre eine grosse Rolle gespielt. So war die Schweiz in dieser Beziehung im Laufe der Geschichte stets - auch und gerade vor fünfzig Jahren - gefordert. Es ist aber bezeichnend, dass Forderungen und Anschuldigungen in der heutigen Ungeheuerlichkeit erst fünfzig Jahre nach dem Krieg an die Schweiz herangetragen werden. Früher hätten in unserem Land zu viele Leute noch gelebt, die dabeigewesen waren und die entschieden erklärt, richtiggestellt und zurückgewiesen hätten, weil sie die Geschichte aus eigenem Erleben kannten.

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Wie ist denn die Schweiz früher in solchen Situationen aufgetreten?

Für die Neutralität musste zu jeder Zeit - aber ganz besonders in Konfliktfällen - im Ausland eingetreten und um Verständnis gerungen werden. Das gehört zu deren Natur. Denn es ist klar: Für jede Partei ist ein Neutraler zwar keiner von der andern Partei, aber er ist auch nicht "auf der eigenen Seite". Neutral sein, ist ausserordentlich anspruchsvoll. So musste die Schweiz sowohl das alliierte wie auch das faschistische Ausland schon früh immer wieder daran erinnern, dass die Neutralität eine Konsequenz des schweizerischen Staatsgedankens sei, ein wesentlicher Teil unseres staatlichen und nationalen Wesens, der mit der geographischen Lage, der Kleinstaatlichkeit, dem Föderalismus, der Vielstämmigkeit zusammenhänge und deshalb nicht plötzlich abgelegt oder entscheidend verändert werden könne, ohne dass die Gesamtheit des staatlichen Daseins in Mitleidenschaft gezogen würde. Wie gesagt: Die Schweiz hat dies während und vor dem Krieg in so deutlicher Weise getan, dass die beiden - aus mehreren Ländern bestehenden - Kriegslager, die beide gerne Unterstützung statt Neutralität gehabt hätten, sich während des Krieges überzeugen liessen. Aber auch 1946 - also nach dem Krieg - musste der Schweizer Delegierte Walter Stucki in Washington Klartext sprechen. Es sei nicht einzusehen, dass man es der Schweiz "fast als Verbrechen ankreide, nicht im Krieg gewesen zu sein". Hätten die Japaner 1941 die USA nicht angegriffen - so Stucki -, wäre dieses Land dem Krieg ebenfalls ferngeblieben; umgekehrt könne man sagen, die Schweiz wäre im Falle eines Angriffs genau wie Amerika in den Krieg eingetreten. Man scheine die Schweiz mit einem besiegten und militärisch besetzten Lande zu verwechseln und vergessen zu haben, "dass wir, wenn auch klein und machtlos, doch ein souveräner und unabhängiger Staat sind".

Stucki erinnerte damals mit Nachdruck an die Worte des amerikanischen Präsidenten Roosevelt zu Weihnachten 1943: "Die Rechte jeder Nation, ob gross oder klein, müssen respektiert und ebenso sorgfältig bewahrt werden wie die Rechte jedes Individuums in unserer eigenen Republik. Die Lehre, dass der Starke den Schwachen beherrschen soll, ist die Lehre unserer Feinde, und wir lehnen sie ab."32)

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Wo sind diese entschiedenen Stellungnahmen heute zu finden?

Um entschieden und überlegen aufzutreten und die Interessen der Schweiz zu verteidigen - das ist die Aufgabe unserer Behörden - muss man allerdings zur Schweiz und ihren Werten stehen! Wenn man die Neutralität nicht mehr ernst nimmt, überall nach Anpassung ruft, die direkte Demokratie und den Wählerwillen zusehends missachtet, sich im Ausland für Volksentscheide entschuldigt, die direkte Demokratie und die Neutralität durch die Eingliederung der Schweiz in die Europäische Union "relativieren" oder gar verunmöglichen will, wenn man an der Souveränität des Landes selbst zweifelt, besitzt man die Voraussetzung und die Kraft nicht mehr, die Interessen des Landes zu wahren.

2. Forderungen mit Boykottdrohungen sind mit aller Entschiedenheit zurückzuweisen. Vergessen wir nicht: Mit Boykotten jüdischer Geschäfte in Deutschland hat die grauenvolle Judenvernichtung ihren Anfang genommen. Wer Boykotte durch Erfüllung der Forderung abwendet, wer Erpressungen nachgibt, wird dauernd von neuem erpressbar und liefert sich neuen Boykotten aus.

3. Falls der Bundesrat der Meinung sein sollte, die Regelung über die nachrichtenlosen Vermögen (heute ist dies eine privatrechtliche Regelung zwischen den Banken und ihren Kunden) sei nicht mehr zweckmässig, so soll er dem Parlament eine entsprechende Vorlage unterbreiten, damit diese Frage, die keineswegs nur die jüdischen Vermögen betrifft, generell neu geregelt werden kann.

4. Der Fonds, der durch Banken und andere Wirtschaftskreise für humanitäre Zwecke geäufnet wurde, ist Angelegenheit dieser privaten Spender und auch als solche zu behandeln: Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat damit nichts zu tun. Auch wenn der Bundesrat auf Wunsch der Fonds-Aeufner eine allfällige Verwaltung regeln sollte, tut er dies auf Bitte dieser Kreise und nach deren Anweisung. Es handelt sich ausdrücklich nicht um Zahlungen des Bundes und nicht um Steuergelder. Es ist den Banken, Unternehmen und Privaten anheimgestellt, ob und mit wieviel und aus welchen Gründen und wofür sie sich daran beteiligen wollen.

5. Eine Entschädigung - unter welchem Titel auch immer - für eine angeblich verfehlte schweizerische Handels- und Wirtschaftspolitik während des Zweiten Weltkrieges kommt nicht in Frage. Die Handelspolitik der Schweiz während des Krieges mit von Deutschland besetzten Gebieten, war nicht nur rechtmässig, sondern für die Schweiz - neben der bewaffneten Verteidigung - überlebenswichtig. Kein Unternehmen der Schweiz, welches damals mit diesen Ländern Handel betrieben hat, muss sich deswegen einen Vorwurf gefallen lassen. Alle, auch Gewerkschaften, Sozialdemokraten, die gesamte Bevölkerung, waren sich bewusst, dass diese Massnahmen für das Ueberleben des Landes notwendig waren. Würden nun die Wirtschaft, die Banken, der Bund oder wer auch immer für diese Wirtschaftspolitik Geld bezahlen oder sich gar dafür entschuldigen, so käme dies einer unberechtigten Kritik an der damaligen Politik unseres Landes gleich. Dies würde heissen, sich für eine Wirtschaftspolitik entschuldigen, die das Volk vor dem Verhungern bewahrte. Da es damals aber keine andere Möglichkeit gab, unser Land zu retten, wäre eine solche Kritik oder eine dafür geleistete Geldzahlung Verrat an unserem Volke!

6. Auf staatlicher Ebene haben sich die Alliierten - speziell die USA - und die Schweiz 1946 und 1952 über das Raubgold und über deutsche Guthaben in der Schweiz geeinigt. Diese Verträge waren das Ergebnis harter Verhandlungen, stellten einen Kompromiss dar und sind rechtsgültig.33) Keinesfalls dürfen der Bund oder die Wirtschaft eine Art Busse dafür bezahlen, dass sie vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg internationalen Handel betrieben haben. Es ist nochmals festzuhalten: Diese Aussenwirtschaftsbeziehungen waren - neben dem unbedingten Wehrwillen - Voraussetzung für das Ueberleben unserer Schweiz, die auch in Zeiten gefährlichster Bedrohung neutral, demokratisch und - so gut es eben ging - auch freiheitlich geblieben ist. Unsere Vertreter haben auch im gegenwärtigen Zeitpunkt dem Druck und der Macht das Recht entgegenzusetzen. Ich habe mich vor kurzem in Amerika davon überzeugen können, dass sich die Aufregung dort in weit engeren Grenzen hält als bei uns. Die Amerikaner haben entgegen anderslautenden Nachrichten in unserer Presse auch noch andere "Helden", als eine angeblich als "hero" gefeierte Nationalrätin, deren Heldentat darin bestand, irgendwelchen Stellen irgendwelches Geld zu versprechen, das ihr nicht gehört.

7. Wenn wir nach sorgfältiger Untersuchung zum Schluss kommen sollten, dass sich die Nationalbank, andere Schweizer Banken oder Unternehmungen unrechtmässig bereichert oder Gelder nicht an die rechtmässigen Eigentümer zurückerstattet haben, muss das Geld den rechtmässigen Eigentümern bzw. deren Erben ausgehändigt werden. Sind diese nicht mehr eruierbar und kommt man zum Schluss, es sei rechtlich möglich und richtig, dass man solche Zahlungen im Sinne der Opfer verwendet, soll dies getan werden.

Auch dies hat aber alles in einwandfreier Form des Rechtes und von Rechtsansprüchen zu geschehen. Und auch solche Verwendungen haben unter Abschluss eines Vertrages zu erfolgen.

8. Eine weitere Forderung dieser Tage lautet: Aus Dankbarkeit dafür, dass wir nicht in den Kriegsstrudel hineingezogen wurden, solle ein Fonds geäufnet werden. Dieses Geld könne man beispielsweise Angehörigen der Holocaust-Opfer zukommen lassen. Ein Dankbarkeits-Fonds auf äusseren Druck hin, quasi auf Befehl, dankbar zu sein? Dies hat etwas Unglaubwürdiges! Mir widerstrebt diese Idee, denn unter welcher Erklärung solche Gelder auch gegeben würden, die andere Seite würde sie in etwas anderes umfunktionieren. Bereits nach Aeufnung eines Fonds durch die Banken zu humanitären Zwecken, sprach (gemäss NZZ) Dr. Sigi Feigel, Ehrenpräsident der jüdischen Cultusgemeinde Zürich, von "Schuld der Vergangenheit" und "Schulden der Täter", die hier beglichen würden. Herr Rechtsanwalt Feigel möge präzisieren: Was verbirgt sich für den Juristen hinter der Doppelbedeutung des Wortes "Schuld"? Um welche Schuld geht es denn eigentlich? Wer sind die Täter? Wie hoch ist denn diese Schuld und wann ist diese abgegolten? Soll eine solche Zahlung etwa bereits eine Schuldanerkennung bedeuten?

Noch interessanter ist die Bemerkung des jüdischen Weltkongresses aus New York, es handle sich (gemäss NZZ) um "einen Anfang". Was heisst hier Anfang? Und wo ist das Ende? In der Zeit vielfacher Forderungen und Beschuldigungen, heute aus Bundesgeldern plötzlich einen Dankbarkeits-Fonds zu gründen, ist ausserordentlich heikel, unglaubwürdig und deshalb im heutigen Zeitpunkt abzulehnen. Wenn Private dies tun wollen, ist das ihre Sache. Unser Land hat sich die passende Gelegenheit für den Ausdruck der Dankbarkeit, vom Krieg verschont worden zu sein, nicht entgehen lassen: Der Bund und - in einer eindrucksvollen Sammelaktion - auch Private spendeten den kriegsgeschädigten Völkern bei Kriegsende 200 Millionen Franken, was 8,5 % der Bundesausgaben (!) entsprach.34)

9. Was auch immer der Staat tun will, hat er sich vor Augen zu halten: Die Verantwortlichen verteilen Geld des Schweizervolkes und nicht ihr eigenes.

10. Wenn wir aus der Geschichte lernen, sollten wir erkennen, dass konsequente Gegenwehr dort, wo wir von unserem Recht überzeugt sind, mehr bringt als schrittweises Nachgeben, das zu weiteren Forderungen verleitet. All jene Wirtschafts- und Bankenvertreter, die von Schadenbegrenzung sprechen, und jene Politiker, die nach Washington pilgern, sollten einmal nachlesen, was 1946 der Schweizer Delegierte Stucki in Washington gesagt hat und dann auch danach handeln: "Die Existenz eines Kleinstaates wie der Schweiz hängt ja fast ausschliesslich vom Recht ab und weniger als irgendein anderer Staat kann es sich die Schweiz leisten, um momentaner Vorteile willen geheiligte Grundsätze des Rechtes preiszugeben, um damit zwar vorübergehend wirtschaftliche Vorteile zu erringen, ihr Ansehen aber auf die Dauer preiszugeben."35)

Das galt damals, das gilt heute, das gilt in Zukunft. Daran gibt es nichts zu rütteln.

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Anhang zu "Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg - Eine Klarstellung"

1) Es handelte sich um den Zürcher Robert Tobler (Nationale Front); die eher dem italienischen Faschismus zugewandte Union Nationale brachte damals den Genfer Georges Oltramare ebenfalls für vier Jahre in den Nationalrat. Vgl. Historische Statistik der Schweiz, hrsg. von Hansjörg Siegenthaler und Heiner Ritzmann, Zürich 1996, S. 1045.

2) "Das Ausland muss es wissen: Wer uns ehrt und uns in Ruhe lässt, ist unser Freund. Wer dagegen unsere Unabhängigkeit und unsere politische Unversehrtheit angreifen sollte, dem wartet der Krieg. Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehn." Rede von Bundesrat Hermann Obrecht vor der Basler Gruppe der Neuen Helvetischen Gesellschaft, 15. März 1939. Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 3, 2. Aufl., Basel/Stuttgart 1967, S. 320 f. Anspielung auf die Reisen des österreichischen Kanzlers Schuschnigg und des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Hacha zu Hitler.

3) Handbuch der Schweizer Geschichte, Bd. 2, Zürich 1972.

4) Urner, Klaus: "Die Schweiz muss noch geschluckt werden!" Hitlers Aktionspläne gegen die Schweiz, 2. Aufl., Zürich 1990. Schweizer Lexikon, Bd. 5, Luzern 1993, S. 688 (Autor Georg Kreis). Der ETH-Professor Klaus Urner warnte in einem Interview in der "Weltwoche" davor, heute die damalige militärische Gefährdung unseres Landes herabzuspielen. "Dies alles nur als Gerede abzutun, hiesse, die Bösartigkeit des Nationalsozialismus erneut zu verkennen." In: "Die Weltwoche" Nr. 6, 6. Februar 1997.

5) Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Neutralität, Bd. 5, Basel 1970, S. 66, 408.

6) Zusammenstellung des Politischen Departements, 19. Februar 1946. Historische Statistik, hrsg. von Hansjörg Siegenthalter und Heiner Ritzmann, Zürich 1996, S. 997. Vgl. auch Bonjour, Bd. 6 (1970), S. 42.

7) Die Bevölkerung der 43 Staaten, die dem Kleinstaat Schweiz im Zweiten Weltkrieg ihre diplomatische Vertretung anvertrauten, umfasste 1,6 Milliarden oder vier Fünftel der Weltbevölkerung. Die Schweiz vertrat die USA als Schutzmacht gegenüber Bulgarien, China, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Indochina, Italien, Japan, Rumänien, Thailand, Ungarn. Umgekehrt liessen sich kriegführende Staaten durch die Schweiz in den USA vertreten, nämlich Deutschland, Frankreich, Italien, Bulgarien und Japan. Vgl. Rings, Werner: Advokaten des Feindes, das Abenteuer der politischen Neutralität, Wien/Düsseldorf 1966, S. 9, 11, 19 f. Vgl. auch Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 361.

8) Schweizer Lexikon, Bd. 4, Luzern 1992, S. 785 (Autor Georg Kreis).

9) Der Basler Regierungsrat und Rechtsprofessor Carl Ludwig widersetzte sich im Sommer 1941 einer von Bundesrat Eduard von Steiger und andern schweizerischen Politikern geforderten Neutralität nicht nur des Staates und der Regierung, sondern auch des Volkes. Vgl. Bonjour, Bd. 6 (1970), S. 156 ff. Briefwechsel zwischen Ludwig und von Steiger vgl. Bonjour, Bd. 7 (1974), S. 384-394.

10) Winston Churchill am 3. Dezember 1944, zitiert nach "Neue Zürcher Zeitung", 18./19. Januar 1997.

11) Anm. "New York Herald Tribune" vom 26. Januar 1943, vgl. Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 362.

12) Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 137.

13) Bonjour, Edgar: Erinnerungen, 3. Aufl., Basel 1984, S. 245. Bonjour betont, wie die "Neutralität ihren unvergänglichen Sinn und Zweck" hatte, "im Gegensatz zu einem grossen Teil des Auslandes und einigen Wirrköpfen im Inland, die glaubten, die verbindliche Kraft des Neutralitätsstatuts sei infolge der geschichtlichen Entwicklung der Völker und der gänzlich veränderten Lage der Neuzeit geschwächt. Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 447.

14) "Nach allem, was die zeitgeschichtliche Forschung in vier Jahrzehnten erarbeitet hat, halte ich an meiner These fest, dass die Schweiz im Zeitpunkt der zweiten Generalmobilmachung im Mai 1940 die schwächste Landesregierung seit 1848 hatte." Böschenstein, Hermann: Vor unsern Augen, Aufzeichnungen über das Jahrzehnt 1935-1945, Bern 1978. Vgl. auch Bütler, Heinz: "Wach auf, Schweizervolk!" Die Schweiz zwischen Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung 1914-1990, Bern 1980, S. 179 f.

15) Jost, Hans Ulrich: Bedrohung und Enge (1914-1945), in: Geschichte der Schweiz - und der Schweizer, Bd. 3, Basel/Frankfurt a.M. 1983, S. 175. 16) Radiorede von Bundesrat Marcel Pilet-Golaz vom 25. Juni 1940, in deutscher Fassung gehalten von Bundesrat Philipp Etter. Bonjour, Bd. 7 (1974), S. 160-163.

17) Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 438.

18) "Geschichtlich gesehen ist der Wille zu einem einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum nicht neu. Zweimal schien er nahe seiner Verwirklichung: Das erste Mal unter Napoleon, das zweite Mal unter Hitler. Gewiss darf man nicht einfach parallelisieren. Beide Male stand die militärische Gewalt einer europäischen Vormacht dahinter, die in ihrem ausschliesslichen Interesse die Einigung erzwingen wollte. Das ist heute nicht mehr so. Aus einer Macht ist ein Staatenpluralismus geworden, aber der Grundsatz des Druckes und der Beeinträchtigung der Souveränität ist doch erhalten geblieben." Stadler, Peter: Schweizerische Neutralität - eine geschichtliche Würdigung, Vortrag vom 11. Mai 1996 anlässlich der 11. ordentlichen Mitgliederversammlung der AUNS. 19) Jost, Hans Ulrich: Drohung und Enge (1914-1945), in: Geschichte der Schweiz - und der Schweizer, Bd. 3, Basel/Frankfurt a.M. 1983, S. 175. 20) Der deutsche Propagandaminister Joseph Goebbels am 25. März 1941, "Journal de Genève" Nr. 83, 8. April 1941. Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 251.

21) Zu Arbeitgeberorganisationen: Jost, Hans Ulrich: Bedrohung und Enge (1914-1945), in: Geschichte der Schweiz - und der Schweizer, Bd. 3, Basel/Frankfurt a.M. 1983, S. 174. Zur Haltung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften vgl. die Rede des Berner National- und Regierungsrates Robert Grimm im Nationalrat: "Die Probleme werden in Zukunft nicht einfacher werden. Die Wirtschaftslage wird uns zwingen zu einer ganzen Reihe von ungeahnten Massnahmen, die in der Vergangenheit immer wieder abgelehnt worden sind, aus verständlichen Gründen, die heute aber als Notwendigkeit erscheinen, wenn wir überhaupt durchhalten wollen. Da wird es vielleicht am Platze sein auch darauf hinzuweisen, dass man heute jener naiven Auffassung den Krieg erklären muss, die dahingeht, als ob es durch irgendwelche Massnahmen möglich wäre oder möglich gewesen wäre, in einem Zustand, wo ganz Europa in Flammen steht, wo der Wirtschaftskrieg à outrance durchgeführt wird, in der Schweiz die alten Wirtschaftsbedingungen aufrecht zu erhalten. [...] Wir hatten früher Krisen und Arbeitslosigkeit; aber die Arbeitslosigkeit, die jetzt zu erwarten ist, wird doch durch etwas ganz anderes charakterisiert als jemals früher. Früher hingen Rohstoffüberfluss und Arbeitslosigkeit miteinander zusammen; heute ist Rohstoffmangel die Ursache der kommenden Arbeitslosigkeit." Vgl. Amtliches Stenographisches Bulletin der Bundesversammlung vom 5. Dezember 1940, S. 640.

22) Keller, Stefan: Grüningers Fall, Geschichten von Flucht und Hilfe, 3. Aufl., Zürich 1994, S. 202. Zur engen Zusammenarbeit zwischen jüdischen Organisationen in der Schweiz und den Behörden vgl. Picard, Jacques: Die Schweiz und die Juden (1994), S. 145, 150 f., 155. Keller, Stefan: Grüningers Fall (1994), S. 77, 95, 119-121, 125.

23) Hertzberg, Arthur: Shalom Amerika! Die Geschichte der Juden in der Neuen Welt, München 1996, S. 276-278.

24) Bericht des Schweizer Konsuls in New York an das Eidgenössische Politische Departement vom 12. März 1940. Vgl. Picard, Jacques: Die Schweiz und die Juden 1933-1945, 2. Aufl., Zürich 1994, S. 305. Fast die Hälfte der Amerikaner waren 1938 der Meinung, die Juden trügen teilweise an ihrer Verfolgung in Europa selber schuld. Hertzberg, Arthur: Shalom Amerika! Die Geschichte der Juden in der Neuen Welt, München 1996, S. 273.

25) Guggenheim, Willy (Hrsg.): Juden in der Schweiz, Glaube - Geschichte - Gegenwart, Küsnacht 1982, S. 84.

26) Der Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF) nannte die Zahl 29'500 für die aufgenommenen jüdischen Flüchtlinge. Vgl. Picard, Jacques: Die Schweiz und die Juden 1933-1945, 2. Aufl., Zürich 1994, S. 378.

27) Guggenheim (1982), S. 84.

28) Bonjour, Bd. 5 (1970), S. 22-24. Häsler, Alfred A.: Das Boot ist voll ..., Zürich 1967, Kapitel "Widerstehet!", S. 116-188.

29) Bonjour, Edgar: Erinnerungen, 3. Aufl., Basel 1984, S. 231

30) Widmer, Sigmund: Parteigutachten statt Wahrheitssuche, in: ZüriWoche, 30. Januar 1997. Die Mitglieder der Kommission sind:

- Jean-François Bergier, Prof. für Wirtschaftsgeschichte an der ETH (Präsident)
- Sybil Milton, Holocaust Museum Washington/USA
- Wladyslaw Bartoszewski, Polen
- Paul Friedländer, Israel
- Harold James, Grossbritannien
- Georg Kreis
- Jacques Picard
- Jakob Tanner
- Joseph Voyame

31) Tanner, Jakob / Müller, Felix / Schäppi, Hans: Krise: Zufall oder Folge des Kapitalismus? Die Schweiz und die aktuelle Wirtschaftskrise, eine Einführung aus marxistischer Sicht, Zürich 1976. Tanners offensichtliches Vorbild, Karl Marx, hat 1844 u.a. in furchtbaren antisemitischen Tiraden geschrieben:

Das Geld ist der eifrigste Gott Israels."

- "Der Wechsel ist der wirkliche Gott des Juden."
- "Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom   Judentum."
- "Wir erkennen also im Judentum ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Element."

32) Stuckis Eröffnungsrede in Washington vgl. Bonjour, Bd. 9 (1976), S. 323.

33) Washingtoner Abkommen von 1946 (und 1952), Uebereinkunft zwischen der Schweiz und den Alliierten, v.a. den USA, über die in der Schweiz befindlichen deutschen Guthaben, deren Auslieferung die Siegermächte forderten. Die Schweiz gab 50 % der deutschen Vermögenswerte heraus und erhielt die andere Hälfte zur Deckung eigener Guthaben, wobei den betroffenen Deut-schen im Prinzip ein Entschädigungsanspruch zugestanden wurde. Was die Forderung nach dem durch die Schweizerische Nationalbank erworbenen deutschen Gold (sog. "Raubgold") betrifft, so einigte man sich schliesslich auf die Herausgabe von 250 Millionen Franken in Gold. Die USA gaben die einge-frorenen schweizerischen Guthaben im Wert von 5,3 Milliarden Franken frei und hoben die "schwarzen Listen" auf (Verzeichnisse von Firmen und Perso-nen, die nach alliierter Ansicht unrechtmässigen Handel mit den Achsenmäch-ten trieben und boykottiert wurden). Durchführungsschwierigkeiten führten zu weiteren Verhandlungen und 1952 schliesslich zu einem neuen Abkommen.

34) Unser Volk will danken, Schweizer Spende an die Kriegsgeschädigten, Bern 1945: "[...] Ein Werk, mit dem wir uns nicht brüsten, sondern das wir als eine Selbstverständlichkeit betrachten wollen."

35) Bonjour, Bd. 9 (1976), S. 322.

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Literaturauswahl

Zur Neutralität:

Darstellung der beeindruckenden, weltumfassenden Tätigkeit der Schweizer Diploma-tie und des IKRK mit Aussagen von Zeitzeugen: Rings, Werner: Advokaten des Feindes, das Abenteuer der politischen Neutralität, Wien/Düsseldorf 1966.

Vorbildlich seriöse Aufarbeitung der Schweizer Neutralitätspolitik mit vielen Dokumen-ten, wobei der damalige SP-Bundesrat Pierre Graber (Chef des Politischen Departe-ments) vorerst einen Drittel der vorgesehenen Dokumente zensierte: Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Neutralität, 6 Bde + 3 Bde Dokumente, Basel 1965-1976.

Im Kapitel "Neutralitätsbericht" Bekenntnis zur Schweizer Neutralität und Hinweise auf die Entstehung eines bedeutenden Geschichtswerks: Bonjour, Edgar: Erinnerungen, 3. Aufl., Basel 1984.

Zur Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg

Standardwerk mit zahlreicher, bis Ende der 1960er Jahre erschienener Literatur. Greyerz, Hans von: Der Bundesstaat seit 1848, in: Handbuch der Schweizer Geschich-te, Bd. 2, Zürich 1972.

Faktenreiche Darstellung im Anschluss an vielbeachtete Fernsehsendungen, Auftritte zahlreicher Zeitzeugen: Rings, Werner: Schweiz im Krieg 1933-1945, ein Bericht, Zürich 1974.

Ebenfalls unter Einbeziehung von Zeitzeugen: Bütler, Heinz: "Wach auf, Schweizer-volk!" Die Schweiz zwischen Fanatismus, Verrat und Selbstbehauptung 1914-1940, Bern 1980.

Darstellung aus linker Sicht, Betonung gewisser Anpassungstendenzen in Politik und Wirtschaftskreisen, die im Volk insgesamt nicht verfingen: Jost, Hans Ulrich: Be-drohung und Enge (1914-1945), in: Geschichte der Schweiz - und der Schweizer, Bd. 3, Basel/Frankfurt a.M. 1983, S. 101-189.

Seit dieser Historiker konkrete Angriffsplanungen der deutschen Wehrmacht gegen die Schweiz veröffentlicht hat, darf niemand mehr behaupten, eine militärische Bedrohung sei ein "Mythos" gewesen und die Nazis hätten wegen wirtschaftlicher Vorteile ein gewaltsames Vorgehen überhaupt nicht ins Auge gefasst: Urner, Klaus: "Die Schweiz muss noch geschluckt werden", Hitlers Aktionspläne gegen die Schweiz, Zürich 1990.

Eine weit über rein Biographisches hinausgehende Studie unter Betonung des unbe-dingten Widerstandswillens, den für das Volk der Oberbefehlshaber weit mehr als der Bundesrat bedeutete, und der heiklen Gratwanderung der Neutralität: Gautschi, Willi: General Henri Guisan, die schweizerische Armeeführung im Zweiten Weltkrieg, Zürich 1989.

Zur Flüchtlingspolitik:

Dieser Bericht brachte unmissverständliche Aufschlüsse über die Flüchtlingspolitik von Behörden und Verwaltung: Ludwig, Carl: Die Flüchtlingspolitik der Schweiz in den Jahren 1933 bis zur Gegenwart, Bern 1957.

Die eher trocken präsentierten Fakten des Berichts Ludwig für eine breite Leserschaft zum Leben und zum Mitfühlen gebracht: Häsler, Alfred A.: Das Boot ist voll ... Die Schweiz und die Flüchtlinge 1933-1945, Zürich 1967.

Guggenheim, Willy (Hrsg.): Juden in der Schweiz, Glaube - Geschichte - Gegenwart, Küsnacht 1982.

Geisselt speziell das Verhalten des St. Galler SP-Regierungsrates Valentin Keel und von Sydney Dreifuss, Leiter der jüdischen Flüchtlingshilfe in St. Gallen, gegenüber dem Judenretter und Polizeikommandanten Paul Grüninger: Sandor. Lancelot C.: Aktenzeichen Grüninger - ungelöst?, in: Tages-Anzeiger-Magazin 41, 13. Oktober 1984, S. 20-29.

Ausführliche Darstellung von Grüningers Tat und ihrem Umfeld: Keller, Stefan: Grünin-gers Fall, Geschichten von Flucht und Hilfe, Zürich 1993.

Faktenreiche, schonungslose Darstellung der Judenpolitik in- und ausserhalb jüdischer Kreise: Picard, Jacques: Die Schweiz und die Juden 1933-1945, Schweizerischer Antisemitismus, jüdische Abwehr und internationale Migrations- und Flüchtlingspolitik, 2. Aufl., Zürich 1994.

Zum ambivalenten Verhalten der Amerikaner, u.a. auch zum dort weitverbreiteten Antisemitismus: Hertzberg, Arthur: Shalom Amerika! Die Geschichte der Juden in der Neuen Welt, Frankfurt a.M. 1996.

Zur Wirtschafts- und Aussenpolitik:

Frei, Daniel: Das Washingtoner Abkommen von 1946, in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 1969.

Durrer: Marco: Die schweizerisch-amerikanischen Finanzbeziehungen im Zweiten Weltkrieg, von der Blockierung der schweizerischen Guthaben in den USA über die "Safehaven"-Politik zum Washingtoner Abkommen (1941-1946), Bern 1984. Gutverständliche, spannende Geschichte der Goldgeschäfte, vor allem der National-bank: Rings, Werner: Raubgold aus Deutschland, die "Golddrehscheibe" Schweiz im Zweiten Weltkrieg, Zürich 1985.

Vogler, Robert: Der Goldverkehr der Schweizerischen Nationalbank mit der Deutschen Reichsbank 1939-1945, in: Gold, Währung und Konjunktur, Quartalsheft Schweizeri-sche Nationalbank I/1985, S. 70-78.

Inglin, Oswald: Der stille Krieg, der Wirtschaftskrieg zwischen Grossbritannien und der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, Zürich 1991.

Schiemann, Catherine: Neutralität in Krieg und Frieden, die Aussenpolitik der Ver-einigten Staaten gegenüber der Schweiz 1941-1949, Chur 1991.

Sorgfältige, reich dokumentierte Zusammenstellung: Castelmur, Linus von: Schweizerisch-alliierte Finanzbeziehungen im Uebergang vom Zweiten Weltkrieg zum kalten Krieg, die deutschen Guthaben in der Schweiz zwischen Zwangsliquidierung und Freigabe (1945-1952), Zürich 1992.

Trepp, Gian: Bankengeschäfte mit dem Feind, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich im Zweiten Weltkrieg, von Hitlers Europabank zum Instrument des Marshall-plans, Zürich 1993.

Linke, Manfred: Schweizerische Aussenpolitik in der Nachkriegszeit, Chur 1995.

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