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Ein Debakel

"Vorsicht: Schengen ist eine Falle"

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Rund um den Euro


Ein Debakel

Von Luciano Ferrari

Die juristischen Dienste der EU in Brüssel kamen am Freitag ganz schön ins Rotieren. Sie hatten Mühe, die Folgen des irischen Neins zum EU-Vertrag von Nizza abzuschätzen. Niemand hatte damit gerechnet, dass die bislang als vernünftig und brav geltenden Iren plötzlich gegen Brüssel rebellieren würden. Schliesslich versteht sich die EU gerade auf der Grünen Insel als Heilsbringerin. Der bemerkenswerte Wirtschaftserfolg des "Keltischen Tigers" ist massgeblich auf die reichlich fliessenden EU-Subventionen zurückzuführen. Doch die boomende Wirtschaft hat nicht Dankbarkeit ausgelöst, sondern das irische Selbstvertrauen gestärkt.

Das Nein der Iren muss noch analysiert werden. Wesentlich dürften diese Beweggründe gewesen sein: In Nizza haben sich die grossen EU-Länder - Frankreich, Deutschland und Spanien - den Kleinen gegenüber äusserst arrogant gezeigt. Zwar hat der neue Vertrag die nationalstaatlichen Kompetenzen aller Mitgliedsländer zu Gunsten der Gemeinschaft zurückgebunden. Die kleinen Länder sahen darin aber mehr als die grossen einen Verlust.

Zudem hat die EU-Kommission ausgerechnet in Dublin ein Exempel statuiert - erstmals hat sie dort nämlich in die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedslands eingegriffen. Des Weiteren haben wohl der geplante Ausbau des militärischen Arms der EU und dessen ungeklärtes Verhältnis zur Nato eine Rolle gespielt. Das neutrale und bündnisfreie Irland scheut sich davor, gemeinsam mit dem ehemaligen Kolonisator und immer noch mächtigen Grossbritannien in die Nato hineingezogen zu werden.

Derzeit fehlt der EU auch eine identitätsstiftende Vision. Die Europamüdigkeit greift um sich. In wenigen Monaten soll der Euro physisch in Umlauf kommen. Torkelnd und schwer angeschlagen geht die gemeinsame Währung diesem Ereignis entgegen. Die Debatte über Europas Zukunft mündete nach einem verheissungsvollen Auftakt mit der Rede des deutschen Aussenministers Joschka Fischer in eine Kakofonie, aus der man bestenfalls den Ruf nach wieder mehr nationalstaatlicher Souveränität heraushören kann. Irland hat sich nun auf seine Art in die Debatte eingeschaltet. Es setzt ein grosses Fragezeichen hinter die Zukunft der EU und die Pläne zur Osterweiterung der Gemeinschaft.

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"Vorsicht: Schengen ist eine Falle"

Der Schengen-Beitritt gefährde das Bankgeheimnis. Der Ständerat fordert deshalb Ruth Metzler auf, in den Verhandlungen mit der EU den "Turbo" auszuschalten.

Von Luciano Ferrari, Bern

Die Skepsis des Ständerats gegenüber einem Beitritt der Schweiz zu den EU-Abkommen von Schengen und Dublin ist gross - und wird immer grösser. Dies machte die gestrige Debatte in der kleinen Kammer deutlich. Sie wurde durch eine Interpellation von FDP-Ständerat Hans-Rudolf Merz (AR) ausgelöst und endete im Tenor, ein Vollbeitritt der Schweiz zu Schengen/Dublin, wie ihn der Bundesrat in Brüssel angemeldet habe, liege für den Ständerat nicht drin.

Bei einem Schengen-Beitritt würde die Schweiz ihre Grenzkontrollen aufgeben. Im Gegenzug müssten die Kontrollen hinter der Grenze verschärft sowie die Justiz- und Polizeizusammenarbeit mit der EU in der Kriminalitätsbekämpfung, aber auch in der Asyl- und Migrationspolitik, verstärkt werden. Die Schweiz hätte dabei die gesamte EU-Rechtssprechung in diesen Bereichen zu übernehmen. Bei deren Weiterentwicklung könnte sie zwar mitreden, aber nicht mitentscheiden.

Nur die SP bleibt stumm

In der über eine Stunde währenden Debatte im Ständerat meldeten sich Sprecher aus allen bürgerlichen Parteien, nur die SP blieb stumm. Bis auf die Ausnahme des Tessiner FDP-Ständerats Dick Marty bekam Justizministerin Ruth Metzler nur Kritik zu hören: Der vom Bundesrat in der zweiten Runde der bilateralen Verhandlungen eingebrachte Wunsch nach einem Vollbeitritt zu Schengen sei aus Fragen des Datenschutzes, des Föderalismus-, Demokratie- und Selbstbestimmungsverlusts höchst fragwürdig, befanden die Ständeräte. Am deutlichsten wurde dabei der Präsident der Aussenpolitischen Kommission, CVP-Ständerat Bruno Frick (SZ). Er machte klar: "Das Abkommen von Schengen integral zu übernehmen - mit der ganzen Evolution, die wir nicht mitbestimmen können - kommt politisch für uns Schweizer nicht in Frage." Frick und auch Merz machten dabei auf ein am 29. Mai von den Justiz- und Innenministern der EU gefassten politischen Beschluss aufmerksam. Danach soll künftig die Rechts- und Amtshilfe, die im Schengen-Abkommen vorgegeben ist, auch auf die direkten Steuern, sprich die Steuerhinterziehung ausgedehnt werden. "Damit würde faktisch das ganze Bankgeheimnis eliminiert", warnte Frick. Im Gespräch mit dem "Tages-Anzeiger" wurde der CVP-Ständerat noch deutlicher: "Schengen ist eine Falle, die die EU uns stellt." Ein Bild, das auch sein FDP-Kollege Merz beschwor. Bei Schengen gelte es jetzt, dem Bundesrat zuzurufen: "Passt auf, ihr lauft in eine Falle."

Am meisten zu denken geben dürfte dem Bundesrat jedoch das Votum des St. Galler CVP-Ständerats Eugen David. Der überzeugte EU-Beitrittsbefürworter stimmte in den Chor der Kritiker ein: "Ich habe Mühe, in den vom Bundesrat umschriebenen Bereichen - der gemeinsamen Visa- und Asylpolitik, der Polizei und Justiz, des Informationsaustausches - einen so genannten Souveränitätsverzicht zu leisten. Ich ziehe die EU-Mitgliedschaft einem solchen Status als Kolonie, die sich einfach fremdem Recht beugen muss, eindeutig vor."

Bundesrat im Dilemma

Damit dürfte die Strategie des Bundesrats in der zweiten Runde der bilateralen Verhandlungen gescheitert sein. Er kann in Brüssel wohl kaum mehr einen integralen Beitritt der Schweiz zu Schengen einfordern im Ausgleich für Konzessionen bei der Zinsbesteuerung oder der Betrugsbekämpfung. Entweder er verlangt von der EU etwas, das sie bisher verweigert hat, nämlich nur eine Teilintegration bei Schengen/Dublin. Oder aber der Bundesrat verzichtet nach den so genannten Vorverhandlungen ganz auf die engere Polizei- und Justizzusammenarbeit.

Bundesrätin Ruth Metzler wich dieser Frage gestern Dienstag vor dem Ständerat aus. Zwar betonte die Ministerin, ein Teilabkommen, wie es Frick und andere forderten, sei nicht möglich: "Die Philosophie der Übereinkommen von Schengen und Dublin lässt ein Rosinenpicken nicht zu." Gleichzeitig aber beruhigte Metzler die Ständeräte, es bestehe überhaupt kein Zeitdruck mehr. Nur in der ersten Phase sei es darum gegangen, die Gelegenheit rasch zu nutzen, um mit der EU endlich über Schengen und Dublin reden zu können: "Wir wollten den Fuss in die Tür stellen, und wir haben jetzt auch die Zeit dafür, diesen Fragen, die auf dem Tisch sind und die wir auch selber vertieft abklären wollen, noch vertieft nachzugehen."

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